Danzig [1]

[736] Danzig, 1) Regierungsbezirk der preußischen Provinz Preußen, der nördliche Theil des ehemaligen Westpreußens, liegt zwischen der Ostsee u. den Regierungsbezirken Königsberg, Marienwerder, Bromberg, Frankfurt u. Köslin, u. hat auf 152 QM. 11 Städte, 6 Flecken u. 1875 Dörfer u. Weiler, mit 436,000 Ew., deren größere Hälfte evangelisch ist, die anderen sind Katholiken, zum Theil Mennoniten u. Juden; der nordwestliche Theil, Kassuben od. das Blaue Ländchen genannt, ist bergig u. zum Theil sehr romantisch, wie bei Neustadt u. Karthaus; südlich von letzterem Kreisorte erhebt sich das Terrain in den Schönbergen bis zur Höhe von 1020 Fuß; der südliche Theil des Regierungsbezirks an der Ferse (bei Berent, Schöneck, Stargardt) u. am Schwarzwasser (Czarnawoda) enthält viel Haide u. Waldung; die östliche Hälfte heißt (im Gegensatz zur Höhe) die Niederung, u. erst hinter Elbing beginnt wieder eine bergige Landschaft. Die Weichsel, von Süden kommend, theilt sich an der Grenze des Regierungsbezirks: die Nogat, welche in vielen Armen dem Frischen Hasse zugeht, u. die eigentliche Weichsel; zwischen beiden liegt das sehr bevölkerte u. reiche Große Werder. Links von der Weichsel ist das ebenfalls sehr fruchtbare Danziger Werder, durchflossen von der Mottlau u. ihren Nebenflüssen, Kladau u. Radaune. Die Weichsel theilt sich schon vor Alters bei Rothebude nochmals in einen östlichen Arm, welcher, zum Hasse fließend, auch die Elbinger Weichsel hieß, u. in die westwärts strömende Danziger Weichsel. Der Ausfluß der letzteren, längst wegen Sandanhäufungen unpassirbar u. durch einen Damm geschlossen, ist durch den nordwestlich führenden Kanal von Neufahrwasser ersetzt, der mit dem letzten Theile der Weichsel von D. abwärts einen sicheren u. trefflichen Hafen bietet. Der nördliche, von den beiden Weichseln umfaßte Küstenstrich, von Weichselmünde bis gegen Pillau hin, ist die zum Theil sehr fruchtbare Danziger Nehrung; diese wurde beim Eisgange 1840 eine Meile oberhalb D. durch das Eis u. Wasser durchbrechen; eine Schleuse, unweit dieses sehr tiefen Durchbruches von Neufähr, regelt seitdem die Wasserverhältnisse der untersten Weichsel mit desto größerer Sicherheit. 2) Landkreis D., zählt auf 231/2 QM. 54,000 Ew.; 3) Stadtkreis D., nämlich die Stadt mit ihren Vorstädten u. ihrem Gebiete, zählt auf 11/5 QM. 72,000 Ew.; 4) Stadt D., (poln. Gedansk, lat. Gedanum), an der Mottlau gelegen, auch durchströmt von der mehrfach getheilten Neuen Radaune (einem künstlichen Kanal, der aus der eigentlichen Radaune bei Praust abgeleitet, in einem hängenden hölzernen Kanale hoch über dem Festungsgraben in sie eintritt), ist von der Ostsee eine Meile entfernt; sie besteht aus der Alt-, Recht-, Vor- u. Niederstadt, dem Langgarten u. der Speicherinsel. Bes. die Altstadt ist eng u. winkelig; die Rechtstadt enthält neben imposanten Straßen schmale u. unansehnliche Nebengäßchen, die übrigen Theile sind geräumig u. zum Theil noch nicht ganz bebaut; die Speicherinsel, von der Mottlau umschlossen u. durch 5 Brücken nebst drei benachbarten mit der übrigen Stadt verbunden, enthält außer vielen, seit dem Bombardement leeren Baustellen, 175 Speicher. D. ist eine Festung ersten Ranges, theils nach italienischer, theils nach holländischer Manier, mit einem Hauptwalle u. 20 Bastions; sie bildet einen Halbkreis, dessen runde Seite bes. durch doppelte Umfassung mit Gräben u. durch Inundation vermöge der Steinschleuse geschützt wird; der übrige, gerade fortlaufende Theil, von den nahen Höhen am Radaunekanal dominirt, hat durch deren Befestigung in neuerer Zeit große Sicherheit erlangt; die des Hagelsberges geschah durch Napoleon 1810 bis 1812, die des Bischofsberges um 1830. Von der alten Befestigung der nebeneinander bestehenden Städte sind noch übrig: der Stockthurm (1346), der Kick in die Kök (1410 erbaut), der Milchkannenthurm an der Grenze der Speicherinsel mit dem kleineren daneben, ferner an der Langen Brücke längs der Mottlau die Abschlußthore sämmtlicher Straßen, bes. aber das Höcker-, Krahn- u. Frauenthor; das Ordensschloß, auf der Ecke zwischen Radaune u. Mottlau erbaut, wurde 1454 zerstört u. die Gräben 1623 verschüttet, u. seit 1678 ließen Planirungen u. Neubauten nur sehr wenige Überreste davon. Durch ansehnliche Befestigungen auf u. an dem Holme, einer Insel zwischen dem letzten krummen Ende der Weichsel u. dem geraden Schuitenkanäle, steht die Hauptfestung mit den zahlreichen Seebefestigungen in Neufahrwasser u. Weichselmünde in Verbindung. Letztere haben ihren Mittelpunkt von früher in dem bastionirten Viereck, aus dessen Centrum der Wartethurm hoch emporragt. D. ist der Sitz der Bezirksregierung, der Kreisbehörden, des Provinzialsteuerdirectorats von Westpreußen nebst der Salzfactorei, der Landschaftsdirection, eines Commerz- u. Admiralitätscollegiums, Polizeipräsidiums, Hauptzollamtes, eines königlichen u. eines Privat-Bank-Comtoirs. Hauptgebäude: am Langen Markte das alterthümliche Rathhaus mit 270 Fuß hohem Thurme; der Artus- od. Junkerhof, von Außen mit Steinfiguren u. Vergoldung geziert, der einzige Überrest der preußischen Artushöfe, im Innern eine hohe Halle auf 4 Granitpfeilern, zuerst Festlocal, dann zum Schöppengericht, seit 1742 hauptsächlich zur Börse benutzt; vor dem Artushofe steinernes Bassin von[736] 1633 mit eherner Figur des Neptun; das Grüne Thor, ursprünglich 1645 mit drei hohen Giebeln als Absteigequartier den polnischen Königen erbaut, jetzt zu Ausstellungen u. geselligen Zwecken gebraucht; die königliche Bank, Schauspielhaus, dicht neben dem Zeughause; die Oberpfarrkirche zu St. Marien (1343 erbaut, doch nachher erweitert), eine der größten Kirchen der Welt (333 Fuß u. 218 Fuß), mit vielen Kunstwerken (z.B. das Jüngste Gericht Memlings, die Taufkapelle aus reinem Messing, große Orgel, Hochaltar mit meisterhaften Schnitzwerken, große Glocken); die Johanniskirche mit reicher Bibliothek; die Katharinenkirche mit fünfspitzigem Thurm, die Bartholomäikirche, mit Volksbibliothek; die Jakobskirche ist ganz für die Stadtbibliothek (mit 40,000 Bänden u. Seltenheiten, Incunabeln, Handschriften u. Bildnissen) eingerichtet; die Trinitatiskirche auf der Vorstadt (sonst zum benachbarten Franciscanerkloster gehörig), mit uraltem Chorstuhle; die katholische Dominicanerkirche (das Kloster selbst wurde 1840 abgebrochen), mit prächtigem Hochaltar. Im Ganzen hat D. sammt den Vorstädten 11 lutherische, 2 reformirte, 6 katholische Kirchen, 1 mennonitisches Bethaus u. 5 Synagogen. Gelehrte u. Unterrichtsanstalten: Provinzial-, Kunst- u. Gewerbeschule, Navigationsschule (mit kleiner Sternwarte), Gymnasium, zwei höhere Bürgerschulen (zu St. Peter u. St. Johann), zwei höhere Töchterschulen, eine Menge gewöhnliche Lehranstalten, seit 1832 eine Handelsakademie; Münzcabinet im Gymnasium, städtische u. Kabruusche Gemäldesammlung außer anderen nicht öffentlichen, Museum für Alterthümer u. Modelle, Naturforschende Gesellschaft, Friedensgesellschaft zur Unterstützung ausgezeichneter Jünglinge, Literarische Gesellschaft (seit 1835), Kunstverein (1836), Gewerbeverein (1828), Verschönerungsverein (1840) etc. Wohlthätige Anstalten: Stadtlazareth od. Pockenhaus, Marien-Krankenhaus mit Barmherzigen Schwestern (seit 1852), Entbindungsanstalt u. Hebammeninstitut (seit 1804), Kinder- u. Waisenhaus (seit 1340), Spend- u. Waisenhaus (seit 1698), drei Kleinkinderbewahranstalten (seit 1838), 16 Frei- u. Armenschulen, mehrere Stifte u. Hospitäler, u. Vereine, namentlich Bibelgesellschaft (1815), Missionsverein (1826), Gustav-Adolphs-Verein (1844), Mäßigkeitsverein (1838), der katholische Pius-, Vincentius- u. Borromäus-Verein (seit 1848); ferner zwei Freimaurerlogen (Eugenia u. Einigkeit). Vergnügungen: Theater (in sieben Wintermonaten), Schützengesellschaft mit neuem Locale (seit 1851), mehrere Ressourcen u. die reiche schöne Umgegend. Handel: Gegenwärtig hat D. 260 wirkliche Kaufleute, darunter 110 Großhändler. Ausfuhr: Getreide (etwa 40,000 Last), Holz (Rundholz, Balken, Bohlen, Dielen, Planken, Stäbe, Schiffsbauholz), Asche u. grobe Leinwand (beides sehr verringert), Mehl, Doppelbier, Branntwein etc.; die früher sehr großartige Dominiksmesse (5. August) ist jetzt nur ein Jahrmarkt; Rehderei, über 100 Schiffe (meist größere) u. 8 Dampfbote. Der Handel, durch Zeitverhältnisse vermindert, ist dennoch nicht unbedeutend u. befördert durch die Verbesserung der Weichsel u. die Eisenbahn, deren Zweig, von dem Riesenbau der Dirschauer Brücke abgehend, in D. am Mottlau-Bassin endigt. Industrie: An 30 Liqueurfabriken (bes. Danziger Goldwasser), Brauereien (meistens für Baierisch Bier), Mühlen, große Bäckereien, Zuckerraffinerien, Pottaschesiedereien, Tabaks- u. Stärkefabriken, Schiffswerfte (bes. die großartige königliche Marinewerste mit Trockendock), viele Kunstgewerbe, 7 Buchhandlungen, 5 Druckereien etc. Außer der 8800 Mann starken Besatzung hat D. 63,000 Einw., darunter 44,000 evangelische, 15,700 katholische, 2600 jüdische u. 700 mennonitische. D. ist Geburtsort von Hevelius, Fahrenheit, Chodowiecky, v. Archenholz, Koppe, Lengnich, Konopack, Falk, Johanna Schopenhauer u. And. Umgebungen: Vor dem Hohen Thore: Bischofsberg mit Belvedere; vor dem Petershager Thor die nahen Höhen, Kirchdorf Ohra, Drei Schweinsköpfe, St. Albrecht mit katholischer Kirche; vor dem Neugarter Thore: Stolzenberg (reizende Anhöhe ohne alle Spur der ehemaligen Stadt), Schidlitz, Emmaus, Piezkendors, Ottomin, Kahlbude, Jenkau etc.; vor dem Olivaer Thore: Vorstadt Langfuhr, wohin eine doppelte Lindenallee führt, Jöschkenthal, Brentau, Strieße, Oliva (mit Garten u. dem Karlsberge), Seebad Zoppot u. v. a. Punkte; an der Weichsel: Neufähr, Heubude, Weichselmünde (Fort u. Schifferdorf), Neufahrwasser (mit altem u. neuem Leuchtthurm, zwei Kirchen, Salzniederlagen u. den kolossalen Steinmodeln), Westerplatte (mit Seebad, sowie Weichselmünde u. Brösen nahebei) etc. – Schon St. Adalbert (s.d. 15) fand 997 hier eine Stadt Namens Gidanie vor; diese soll Herzog Subislaw von Pomerellen, nachdem er ein Schloß an der Weichsel erbaut hatte, 1185 mit Mauern umgeben haben. König Waldemar II. von Dänemark eroberte die Stadt 1221, aber schon 1225 verlor er sie an Swantopolk III. von Pomerellen. Dessen Sohn Wratislaw versetzte sie an seinen Schwager Konrad von Brandenburg, u. nach verschiedenen Kämpfen, nach dem Aussterben der pomerellischen Herzöge, fiel sie 1310 den zu Hülfe gerufenen Rittern des Deutschen Ordens zu. Aus dieser Zeit stammen viele bedeutende Bauten, namentlich die ganze Anlage der Rechtstadt (1340), der Jungstadt an der Weichsel (1380) u. der Vorstadt (1393). Um 1350 der Hansa beigetreten u. mächtig zur See wie zu Lande, wurde D. 1449 nach der Zerstörung Wisby's Quartierstadt der Hansa. Gegen den Deutschen Orden, dessen Gebieter sich durch Gewaltthätigkeiten, namentlich 1411 durch die Ermordung des Bürgermeisters Letzkau u. seiner Genossen, verhaßt gemacht hatten, schloß sich D. dem preußischen Städtebunde an u. trat 1454 sammt dem übrigen Westpreußen unter polnischen Schutz. Sie behielt als Freistaat große Privilegien in Betreff des Handels u. der Zölle, eigene Besatzung, eigene Münzen mit dem Bilde des polnischen Königs, Rechte über Leben u. Tod der Ihrigen, eigenes Gesetzbuch (die sogenannte Danziger Willkür), Sitz u. Stimme bei Reichstagen u. bei der Königswahl. Unter häufiger Abwehr preußischer u. polnischer Angriffe auf jene Vorrechte u. unter manchen inneren Kämpfen zwischen Aristokratie u. Bürgerstand blieb D. fast 340 Jahre lang in Verbindung mit Polen. 1520 wurde D. im Kampfe des Hochmeisters Albrecht mit König Sigismund I. belagert u. nachdem es trotz der polnischen Reaction sich der Evangelischen Lehre zugewendet hatte, litt es harte Belagerung 1577 von Stephan Bathori, welchen die Stadt nicht als König von Polen anerkannte. 1626 u. 1655 stärker u. umfangreicher befestigt, hatte D. sogleich im Schwedenkriege[737] u. ebenso im späteren 1703 u. 1704 Plünderungen des Gebietes zu leiden. D. wurde 1734, für die Aufnahme u. den Schutz des Königs Stanislaus Lesczynski, von den Russen belagert u., als der König entkommen war, eingenommen. Die Theilung Polens 1772 brachte die Vorstädte u. den Hafen an Preußen; von preußischen Gebieten u. Zöllen hart umschlossen, konnte D. seinen Wohlstand erst 1793 wieder gewinnen, wo es bei der zweiten Theilung Polens von Preußen in Besitz genommen war. 1807 mußte General Kalkreuth nach tapferer dreimonatlicher Vertheidigung D. an Marschall Lefèbre übergeben, der den Titel Herzog von D. erhielt (s. Preußisch-russischer Krieg 1800–7). Im Tilsiter Frieden wurde D. mit einem Gebiet von 11 QM. nominell zu einem Freistaate erklärt, in Wirklichkeit ein französischer Waffenplatz; General Rapp regierte ziemlich willkührlich, trieb die (von 20 auf 16 Mill. Frcs. ermäßigte) Contribution mit Härte ein, während durch die Continentalsperre der Handel gänzlich darniederlag, führte den Code Napoléon ein u. verstärkte die Festungswerke. 1913–14 wurde D. fast 1 Jahr lang durch das preußisch-russische Corps unter Herzog Alexander von Württemberg belagert; nach der Besetzung am 2. Jan. 1814 kehrte D. unter die preußische Herrschaft zurück (vgl. Russisch-deutscher Krieg 1812–15). Durch Auffliegen eines Pulverthurmes am Jakobsthore 1815 u. durch die Cholera 1831 litt D. großen Schaden u. Verlust. Am 4. Mai 1848 wurde D. von der dänischen Regierung in Blockadezustand erklärt. Obgleich der Handel gegenwärtig durch die Grenzverhältnisse noch weniger als durch überseeische Conjuncturen begünstigt worden ist, so ist D. dennoch ein bedeutender Handelsort geblieben, u. der Durchbruch von 1840, die Stationirung der Kriegsflottille, die Errichtung der Marinewerste, des Seebataillons etc., namentlich die Eisenbahnverbindung, versprechen D. auch für die Zukunft Bedeutsamkeit. Vgl. R. Curicke, Historische Beschreibung der Stadt D., Danz. 1687; Gralath, Geschichte D-s, Königsb. 1789, 3 Bde.; Duisburg, Historisch-topographische Beschreibung D-s, Danz. 1816; Dessen Geschichte der Belagerungen u. Blokaden D-s, ebd. 1808; Blech, Geschichte der siebenjährigen Leiden D-s, ebd. 1816, 2 Bde.; G. Löschin, Geschichte D-s, ebd. 1822, 2 Bde.; Derselbe, D. u. seine Umgebungen, ebd. 1836, 3. A. 1852; H. Döring, D-er Bilder 1840, Münzen u. Siegel der Städte D., Elbing u. Thorn, Verl. 1841; Brandstäter, Die Weichsel, 1855.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 4. Altenburg 1858, S. 736-738.
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