[107⇒] Kleidung, die dem Menschen in höhern Breiten für die Erhaltung seiner Gesundheit, ja seines Lebens unentbehrliche Hülle, die hauptsächlich den Wärmeverlust des Körpers herabsetzen und Schutz gegen Wind und Wetter gewähren soll. Neben diesem Zweck diente die K. stets und überall zum Ausdruck des sich geltend machenden ästhetischen Gefühls, und so sehen wir die K. bezüglich des Materials, ihrer Farbe und Form beständig schnellstem und mannigfachstem Wechsel unterworfen (s. Kostüm), ohne daß immer den Anforderungen, die die Gesundheitspflege an die K. zu stellen hat, Genüge geleistet worden wäre. Die K. besteht, abgesehen vom Schuhwerk, aus Wolle, Seide, Leinen oder Baumwolle, bez. aus Geweben und Wirkwaren aus diesen Grundstoffen. Man ist im allgemeinen geneigt, den physikalischen und chemischen Eigenschaften der Grundstoffe (mechanische Widerstandskraft, das Vermögen Feuchtigkeit und Riechstoffe anzuziehen, Benetzbarkeit, Wärmeleitungsvermögen [⇐107][108⇒] etc.) eine entscheidende Bedeutung beizumessen, genauere Untersuchungen haben aber gelehrt, daß die technische Beschaffenheit der Gewebe, ihre Dichte, Dicke etc. den Charakter der einzelnen Kleidungsstücke viel mehr bestimmen als der Grundstoff, aus dem sie hergestellt sind. Alle Gewebe schließen eine große Menge Luft ein, der Luftgehalt (das Porenvolumen) beträgt bei Flanell 90, bei Trikot und Geweben für die Oberkleidung 7580, bei Leinen- und Baumwollgeweben etwa 50 Proz. Appretieren, Stärken und Plätten macht die Gewebe so gut wie luftfrei. Alle Grundstoffe sind hygroskopisch und ändern ihren Feuchtigkeitsgehalt mit der relativen Feuchtigkeit der Luft. 100 Teile absolut trockner Wolle absorbieren in mit Feuchtigkeit gesättigter Luft 2528, Seide 16,5, Baumwolle 11,6, Leinwand noch weniger Wasser. Im Wasser nehmen die Gewebe um so mehr Wasser auf, je größer ihr Porenvolumen ist (maximale Wasserkapazität), beim Herausnehmen aus dem Wasser und nach dem Auswinden bleibt noch Wasser in den Geweben zurück (minimale Wasserkapazität), und zwar in 100 kg bei
Die Unterschiede hängen wesentlich von der Webart ab. Glattgewebte Seide, Leinwand, Baumwolle benetzen sich schnell, Trikot langsamer, Wolle stets langsamer als die andern Grundstoffe. Wasser-, aber nicht luftdicht präparierte Gewebe nehmen, wenn sie endlich durchfeuchtet werden, nur ein Fünftel soviel Wasser auf wie nicht präparierte. Der minimalen Wasserkapazität entspricht bei den einzelnen Geweben sehr verschiedene Füllung der Poren mit Wasser; je lockerer der Stoff, um so günstiger verhält er sich auch im feuchten Zustand. So beträgt das Porenvolumen bei
Die nassen Gewebe legen sich an die Haut an, Flanell und Trikot aber niemals so dicht wie Baumwolle und Leinwand; die abstehenden Härchen der wollenen Gewebe hindern die innige Berührung zwischen Haut und Gewebe. Von großer Wichtigkeit ist die Durchdringbarkeit der Gewebe für Luft. Durch 1 qcm einer 1 cm dicken Lage des Gewebes geht bei 0,42 mm Wasserdruck 1 ccm Luft hindurch bei
Die Zeiten, die erforderlich sind, um eine gleiche Luftmenge durch ein Gewebe zu befördern, verhalten sich wie die Dicken der Gewebe. Sehr großen Einfluß übt die Appretur aus. Bei seiner Leinwand verhalten sich die Durchgängigkeiten vor dem Waschen und nach dem Waschen wie 171,6:17,2. Wenn das Wärmeleitungsvermögen von Luft = 1 ist, so beträgt es bei luftleerer Wolle 6,1, bei Seide 19,2, bei Baumwolle und Leinwand 29,9. Da die Gewebe aber sehr viel Luft enthalten (s. oben), so wird ihr Leitungsvermögen wesentlich mit durch das der Luft bestimmt. Je mehr die Fäden im Gewebe senkrecht zur Haut stehen, um so leichter geht die Wärme hindurch. Flanell läßt mehr Wärme hindurch als Trikot, Tuch oder Loden, und diese mehr als glatt gewebte Stoffe. Den absoluten Wärmedurchgang verschiedener Gewebe zeigt folgende Tabelle:
Die Ungleichheit in der Wärmehaltung der Gewebe beruht auf ungleicher Dicke, dann auf ungleicher Dichte und in dritter Linie auf dem verschiedenen Wärmeleitungsvermögen der Grundstoffe. Durch die Aufnahme von hygroskopischem Wasser nimmt das Wärmeleitungsvermögen zu, und zwar bei Wolle um 109,8 Proz., bei Seide um 41, bei Baumwolle um 16 Proz. Bei der Durchnässung mit flüssigem Wasser nimmt die Wärmeleitung bei lockern Stoffen weit weniger schnell zu als bei glatten, und auch im nassen Zustand sind die luftreichen Stoffe, zu denen fast immer die Wollenstoffe zu rechnen sind, oft noch doppelt so wärmehaltend wie die glatten Stoffe, die wenig Luft einschließen, sich aber trotzdem sehr reichlich durchnässen. Auch die Wärmeausstrahlung ist bei den Geweben verschieden; glatte Gewebe strahlen weniger stark aus als rauhe. Bei nassen Stoffen wächst die Ausstrahlung um 37 Proz., wenn die Oberflächentemperatur gleich bleibt, meist aber sinkt sie schnell durch starke Verdunstung. Leuchtende Wärmestrahlen werden von unbekleideten Strahlen der (weißen) Haut stark reflektiert. Das Absorptionsvermögen der K. für diese Strahlen hängt wesentlich von der Farbe, wenig von dem Grundstoff ab. Wenn Weiß 100 Wärmeeinheiten aufnimmt, absorbiert Hellgelb 102, Hellgrün 152, Dunkelgelb 140, Dunkelgrün 161, Rot 168, Hellbraun 198, Schwarz 208 Wärmeeinheiten. Für die dunkeln Wärmestrahlen ist der Einfluß der Farbe nicht näher bekannt.
In unserm Klima besteht die Hauptaufgabe der K. darin, eine übermäßige Wärmeabgabe des Körpers zu verhindern. Im unbekleideten Zustand findet man Lufttemperaturen von 3537° noch behaglich, 2530° erscheint angemessen, bei 15° fühlt man Kälte, und bei 1012° tritt bald intensives Frostgefühl ein. Wir bedecken bei mittlern Temperaturen (abgesehen von der Kopfbedeckung) etwa 80 Proz. unsrer Körperoberfläche mit K., bei Kindern bleiben unvernünftigerweise oft 40 Proz. selbst bei niedriger Temperatur unbedeckt. Die Temperatur an den einzelnen Stellen der Körperoberfläche zeigt erhebliche Unterschiede. Bei einem Mann betrug die Temperatur auf der Oberfläche des Körpers bei 12° Lufttemperatur im Durchschnitt 27,6°, auf einem baumwollenen Trikothemd 23,8°, auf der Weste 21,9° und auf dem Rock 18,3°. Je dicker die Kleidungsstücke sind, um so niedriger ist die Temperatur auf ihrer Oberfläche (Turnerjacke 20,6°, starker Tuchrock 18,4°). Bei steigender Lufttemperatur erwärmen sich auch die bekleideten und unbekleideten Teile unsers Körpers, aber in weit geringerm Maße. Bei [⇐108]
[109⇒] Bei 25,6° läßt also die hier gewählte Art der K. kaum noch Wärme durch, während die nackten Teile noch um 5,6° höher temperiert sind als die Luft. Die von K. bedeckten Hautstellen sind in der Regel wärmer als die nackten, doch ist der Unterschied von der Lufttemperatur abhängig und bei 25,6° sehr gering. Innerhalb der K. beobachtet man steigende Schichttemperaturen, so z. B. bei einem Mann mit winterlicher Bekleidung:
Setzt man die Wärmeausstrahlung der nackten Haut = 100, so sinkt die Ausstrahlung nach dem Anziehen eines Wollhemdes auf 73° und dazu eines Leinenhemdes auf 60°, nach dem Anziehen der Weste auf 46 und des Rockes auf 33°. Dadurch ist der Beweis für die den Wärmeverlust hemmende Wirkung der K. erbracht. Dieser Schutz der K. äußert sich in Herabsetzung der Intensität der Verbrennung des Stoffumsatzes im Körper. Bei 1112° schied ein Mann in Sommerkleidung 28,4, mit Winterüberzieher 26,9, im Pelzrock 23,6 g Kohlensäure in 1 Stunde aus. Der Organismus besitzt das Vermögen, sich verschiedenen Temperaturen anzupassen, im allgemeinen erhöht Kälte den Stoffumsatz und damit die Wärmebildung, während Wärme umgekehrt wirkt. Abgesehen von diesem Schutz, der übrigens bei 30° fortfällt, behütet die K. vor Wärmestrahlung, Wind, Regen und beständig wechselnden Reizen. Bei höherer Lufttemperatur vermehrt die K. die Wasserausscheidung des Körpers durch die Haut. Ist nun die K. nicht hinreichend durchlässig, so kann Überwärmung eintreten und eine unangenehme Empfindung drückender Schwüle, weil man den Wasserdampf nicht abzugeben vermag. Kommt es zum Ausbruch von Schweiß, so lagert sich dieser in der K. ab, er steigert in hohem Grade das Wärmeleitungsvermögen der K. und erzeugt durch seine Verdunstung Frösteln, nachdem die Schweißbildung längst aufgehört hat. Dies zeigt sich am unangenehmsten bei glatten Stoffen, die sich an die Haut anlegen, viel weniger bei Wolle, die durch ihre Stützhaare vom Körper isoliert bleibt. Diese gibt auch den Schweiß leichter an die äußern Kleiderschichten ab, wenn nur nicht eine Schicht glatten Stoffes, etwa ein leinenes Hemd über dem wollenen oder ein Kleiderfutter aus glattem Stoff, hindernd wirkt. Zur Erzeugung des Gefühls einer gründlichen Durchnässung der Unterkleidung genügen 4050 g Wasser. Die K. des deutschen Soldaten wiegt trocken 4850 g, durchnäßt 8750 g. Zur Verdampfung der 3900 g Wasser sind 2300 Kalorien notwendig, d. h. so viel, wie vom ruhenden Erwachsenen an einem Tag erzeugt wird. Schweißbildung als Folge der Überwärmung durch die K. ist durchaus zu vermeiden, die K. darf nicht zu warm und muß hinreichend luftdurchgängig sein. Sie soll wohl einen gewissen Windschutz geben, aber in der Lüftbarkeit soll man des Guten eher zuviel als zuwenig tun. Ventilationsarme K. macht abgeneigt gegen alle kräftigen Muskelbewegungen, macht schlaff und arbeitsunlustig. Die Wahl einer gut ventilierten, rationellen K. bringt unter Umständen eine große Umwälzung im Verhalten des ganzen Menschen zustande. Gute K. muß so luftdurchgängig sein, daß auch bei mäßiger Bewegung des Menschen der Kohlensäuregehalt der Kleiderluft sinkt, und im Freien soll man an kühlen Tagen das Gefühl erfrischender Kühle nicht vermissen. Derartige K. trägt auch viel zur Abhärtung der bedeckten Haut bei und ist in dieser Beziehung ein viel naturgemäßeres Mittel als das kalte Bad. Die mittlere Bekleidung des ganzen Körpers ist etwa 8 mm dick und besteht aus 146 Teilen fester Stoffe und 854 Teilen Luft; sie wiegt beim Mann im Sommer 2,53, im Winter 67 kg, die der Frauen ist etwas schwerer. Wir tragen im Winter 0,1 unsers Gewichts an Kleidern mit uns herum, während ein Hund von 45 kg nur 70 g Haare als Winterpelz besitzt.
Man hat sich mit der Bekleidung bisher meist nur in empirischer Weise beschäftigt. Es sind Kleidungssysteme entstanden, die stets einen Grundstoff als besonders vorteilhaft rühmten und alle andern Grundstoffe als unzweckmäßig, schädlich und gefährlich bezeichneten.
Spezifische Wirkungen eines oder des andern Grundstoffes sind aber nicht bekannt, und die Eigenschaften der Gewebe sind, wie oben angegeben, hauptsächlich von der Art der Herstellung abhängig. Am reformbedürftigsten ist die Unterkleidung, das leinene Hemd, das auf der Brust gestärkt und geplättet wird, ist durchaus unzweckmäßig, weil glatte leinene wie auch baumwollene Gewebe zu wenig durchlässig sind und sich nach der Durchnässung an die Haut anlegen und dann Frösteln verursachen. Den vielverbreiteten Netzstoffen, die man unter dem Hemde trägt, sind Trikotstoffe unbedingt vorzuziehen. Reinwollene Trikotstoffe müssen zur Erzielung der nötigen Haltbarkeit zu dick hergestellt werden, und deshalb sind halbwollene und andre Mischstoffe praktischer. Der Vorteil, den die Trikotstoffe gewähren, [⇐109][110⇒] wird aber aufgehoben, wenn über ihnen ein leinenes oder baumwollenes Hemd getragen wird. Diese Kombination eignet sich nur für Personen, die nicht angestrengt körperlich arbeiten und nicht Schweiß absondern, und selbst für diese nur im Winter. Bei den Oberkleidern kommt namentlich in Betracht, daß sie in der Regel, besonders im Sommer, zu warm sind, und daß man bei der Wahl gut durchlässiger Stoffe deren Vorzüge durch Fütterung mit wenig durchlässigen glatten baumwollenen Stoffen wieder aufhebt.
Die weitverbreitete Erkenntnis der Reformbedürftigkeit der heutigen Frauenkleidung führte zur Gründung des »Allgemeinen Vereins für Verbesserung der Frauenkleidung« u. zahlreicher Zweigvereine. Der Verein hat den Wahlspruch: »Gesund, praktisch, schön«, er strebt einen Aufbau der Kleider an, der den Linien des normalen Körpers folgt und von dem Tailleneinschnitt absieht.
Vorbedingung ist dabei eine leichte und wenig faltenreiche Unterkleidung, die bestehen soll aus anliegendem Hemd u. Beinkleid oder einer Hemdhose aus durchlässigen, waschbaren Geweben, einem Leibchen oder Büstenhalter an Stelle des Korsetts u. geschlossenem Stoffbeinkleid an Stelle der Unterröcke. Die Unterkleidung darf nicht über den Hüften gebunden werden. Abgesehen von der Reform des Schuhwerks (richtige Form, Beseitigung der hohen Absätze), der Abschaffung der Strumpfbänder und gewisser Auswüchse der Mode (Schleppe, hohe Kragen etc.) und dem fußfreien Straßen- und Arbeitskleid richten sich die Reformbestrebungen hauptsächlich gegen das Korsett.
Ganz allgemein werden von dem überwiegenden Teile des weiblichen Geschlechts irgendwelche Folgen der unzweckmäßigen K. in Abrede gestellt. Das Korsett verursacht ihnen nicht die mindeste Unbequemlichkeit, wenn es nur gut gearbeitet ist, ein gut sitzendes Korsett schadet angeblich weder bei der Arbeit noch beim Sport. Und doch gibt es kein Übel, das auf die Dauer den weiblichen Körper in seiner Gesamtheit so zu schädigen imstande wäre wie die zu enge K. Die Fläche, die durch das Korsett samt Zubehör eingeengt wird, umfaßt in der Hauptsache den untern Teil des Brustkorbes und den obern Teil des Bauches und reicht in einer Höhe von ungefähr 10 cm rings um den Körper herum. Auf dieser Fläche lastet der Druck der engen K., den man, in Gewicht umgerechnet, bei einer nach dem landläufigen Begriff lockern K. auf durchschnittlich 2 kg annehmen kann. Bei festlichen Gelegenheiten wird die Taille um 1020 cm eingeengt, was, gering gerechnet, einem Gewicht von 68 kg entspricht. Wenige Jahre nach der Anlegung des Korsetts hat jedes junge Mädchen, das dem Korsett die »schöne« Taille verdankt, eine sehr unschöne Hervorwölbung des Bauches bekommen, die eine mehr, die andre weniger, aber bei keiner fehlt sie (Fig. 1 u. 2, S. 109). Diese Unschönheit zu verbergen, hilft man sich mit stark nach unten ausgreifenden Korsetts oder Leibbinden.
Unter dem dauernd gleichmäßig wirkenden Druck müssen die Eingeweide ausweichen, zunächst wird der Magen nach hinten oder zur Seite gezerrt, in der Mitte zusammengeschnürt und winklig geknickt. Dabei entstehen Störungen des Appetits, die sich häufig während des ganzen Lebens bemerklich machen. Das häufig tödlich verlaufende Magengeschwür tritt besonders beim weiblichen Geschlecht auf und wird durch Druck von außen in seiner Entstehung begünstigt. Ein großer wichtiger Teil der Leber wird durch das Schnüren abgeklemmt (Schnürleber) und bleibt für die Gallenbereitung nur noch mangelhaft brauchbar; Gallenleiden der verschiedensten Art, vor allem Gallensteinkolik, werden durch äußern Druck begünstigt und hervorgerufen. Ebenso leiden die Bauchspeicheldrüse (Störung der Verdauung), die Nieren (Wanderniere), Gebärmutter (Störungen der Periode, unzählige Frauenleiden) und infolge der Hemmung des Blutumlaufs im Unterleib auch der Darm (Verstopfung etc.).
Wer sich schnürt, preßt den untern Teil des Brustkorbes zusammen, die untern Lungenpartien funktionieren nur mangelhaft, und die Atmungsfläche verkleinert sich; bei andauernder Arbeit ermüden Lunge und Herz und damit der ganze Körper schneller; außerdem besteht die Gefahr, daß die untätigen Teile [⇐110][111⇒] der Lunge leichter Krankheitskeime aufnehmen. Die Verunstaltung des Brustkorbes wird durch die Figuren (3 u. 4) verdeutlicht.
Die Wirbelsäule besitzt in ihrem ganzen Verlauf, namentlich auch in ihrem untern Teil, eine große Beweglichkeit. Diese geht aber bei enger K. mehr und mehr verloren, da die Stäbe des Korsetts, namentlich die Planchettes, ein ausgiebiges Biegen und Bücken unmöglich machen. Die starke, längs der Wirbelsäule zu beiden Seiten am Rücken in die Höhe steigende Muskulatur soll die Wirbelsäule stützen, das Rückgrat steifen, das Korsett aber trifft diese kraftvollen Muskeln in ihrer Mitte und schneidet sie förmlich entzwei. Die Muskulatur wird schwächer und schwächer, und allmählich büßt das Rückgrat seinen Halt ein. Dann erklären die Frauen, das Korsett sei ihnen als Stütze nötig, ohne Korsett würden sie ihren ganzen Halt verlieren. Die Muskeln der vordern und seitlichen Bauchwand helfen zur Bildung der Bauchpresse, die wir für jede kräftige Bewegung, z. B. beim Treppensteigen, Bücken, Heben, nötig haben; ferner halten sie die Eingeweide in ihrer Lage und wirken auf deren Tätigkeit fördernd ein. Werden nun diese Muskeln schwach, so wird die Bauchwand schlaff, die Därme weiten sich und verursachen den Hängebauch. Die Haut endlich, soweit sie gepreßt wird, kann ihrer natürlichen Funktion der Wärmeregulierung nicht mehr im nötigen Maße dienen, und als Nachteile machen sich mit der Zeit eine übergroße Empfindlichkeit und Erkältungen bemerklich.
Den angegebenen Tatsachen gegenüber kann die Notwendigkeit der Abschaffung des Korsetts nicht mehr zweifelhaft sein. Auch das sogen. Reformkorsett ist als der schlimmste Feind wirklicher Reform zu verwerfen.
An Stelle des Korsetts ist das Reformleibchen (Fig. 5 u. 6) zu empfehlen, das aber sorgfältig nach der Figur gearbeitet sein muß, da nur dann erreicht wird, daß die Schulterträger auch wirklich tragen, und daß Rockhose oder Unterrock, ohne zu zerren und zu drücken, bequem an das Leibchen angeknöpft werden können. Schultern, Taille und Hüften müssen die gesamte Unterkleidung gleichmäßig tragen, ohne daß der Brustkorb und der Unterleib gepreßt werden. Die Brüste werden zweckmäßig durch Ausarbeitung der Leibchen geschützt; die Schulterträger dürfen nicht zu schmal genommen werden; seitlich angebrachte Knöpfe dienen zur Befestigung nicht elastischer Strumpfhalter. Neben der Abschaffung des Korsetts kommt die Verminderung des Gewichts der Unterkleidung und Verteilung des Gesamtgewichts der Unterkleidung auf Schultern, Taille und Hüften in Betracht. In den Vereinigten Staaten und in England hat sich die Hemdhose eingebürgert. Sie ist eine Art Wams, aus einem Stück gefertigt, und schmiegt sich dem Körper von den Schultern bis zu den Knieen unmittelbar an; je nach Belieben wird sie unter oder über oder auch statt des Hemdes getragen. Die Unterröcke können ganz oder teilweise fortfallen; durch den Sport beeinflußt, verzeichnet die Mode in der Tat bereits einen starken Rückgang der Unterröcke, und vielfach hat man sich daran gewöhnt, als Ersatz eine aus festerm Stoff gearbeitete Rockhose zu tragen, in die nach Belieben eine leinene Hose eingeknöpft wird; alsdann ist eine weitere Unterkleidung entbehrlich, oder man begnügt sich, über der Rockhose noch einen einfachen Unterrock zu tragen. Dem Vordringen der Reform stellt sich vor allem ein psychisches Moment entgegen. Der Begriff der schönen Gestalt ist heutzutage und namentlich auch bei der Männerwelt noch immer ziemlich gleichbedeutend mit schlanker Figur. Keine junge weibliche Person will daher ohne Not an Schlankheit einbüßen. Und doch ist dieser Begriff falsch. Die Skulpturen der Antike zeigen uns, daß das alte Schönheitsideal die schlanke Figur nicht kannte. Die Proportionen der weiblichen Taille unterscheiden sich wenig von denen der männlichen, und durch alle Zeiten und Kunstrichtungen hat sich bei den wahren Künstlern der Schönheitsbegriff in dieser Beziehung nicht geändert. Auch die moderne Skulptur kennt keine Wespentaille, aber das Publikum hält an dem unnatürlichen Tailleneinschnitt in der Gesellschaftstoilette fest. Solange also die Männerwelt die überschlanke Taille noch für schön hält, wird man verstehen, wenn es dem weiblichen Geschlecht schwer fällt, sich von der sog. schönen Figur zu trennen.
Kleidungsstücke absorbieren Gase und Riechstoffe, und zwar um so stärker, je hygroskopischer sie sind, tierische Fasern absorbieren mehr als Pflanzenfasern, rauhe Gewebe mehr als glatte. Durch den Schweiß und die Abschilferung der Haut sowie durch Staub in die K. gelangte organische Substanzen werden durch gleichzeitig vorhandene Mikroorganismen, besonders wenn die K. anhaltend feucht ist, in Fäulnis versetzt und entwickeln dann sehr übeln Geruch. Auch Krankheit erzeugende Bakterien haften in der K. und werden durch sie übertragen. Dies gilt besonders für Wundinfektionskrankheiten, Kindbettfieber, Diphtherie, Cholera, Tuberkulose. Die zu Unterkleidern benutzten Zeugstoffe zeigen beim Tragen auf der Haut einen wesentlichen Unterschied in der Fähigkeit, Mikroorganismen in sich aufzunehmen. Getragener Flanell enthält 36mal soviel Keime wie getragener leinener oder baumwollener Stoff. Demnächst enthalten die Trikotstoffe die meisten Keime, weniger die dünnen Wollenstoffe und am wenigsten die leinenen und baumwollenen Hemdenstoffe, die ziemlich gleiches Aufnahmevermögen zeigen. Seide verhält sich der Wolle und Baumwolle ähnlich. Die rauhe Fläche eines rein baumwollenen Stoffes nimmt fast dreimal soviel Keime auf wie die glatte. Dickere Stoffe enthalten nach dem Tragen zahlreichere Keime als dünne. Je mehr kleine Hohlräume zwischen den Fäden und den einzelnen Fasern eines Stoffes vorhanden sind, desto mehr Staubteilchen werden sich in ihm fangen. Je lockerer der Faden gesponnen, der [⇐111][112⇒] zum Stoffe verarbeitet ist, je mehr Faserenden von seiner Oberfläche in die gröbern Gewebsmaschen hinein- und von der Oberfläche des Stoffes hervorragen, um so mehr ist der Stoff geeignet, Staubteilchen zurückzuhalten. Bei gleicher Beschaffenheit der Stoffe in dieser Beziehung nehmen sie annähernd proportional ihrer Dicke Staubteilchen auf. Daher sind die glatten und fest gewebten leinenen und baumwollenen Stoffe am reinlichsten. Unter gewöhnlichen Bedingungen findet eine Vermehrung der Keime in der K. nicht statt, wohl aber wie auch auf der Haut, wenn durch gehinderte Verdunstung Haut und K. längere Zeit feucht erhalten werden.
Bei gefärbten Kleidungsstoffen können durch Benutzung giftiger Farben Gefahren entstehen. Es kommen hierbei besonders Arsen, Antimon, Blei und Zink in Betracht. Am gefährlichsten sind Kleidungsstoffe, denen die giftige Farbe nur mechanisch anhaftet, so daß sie beim Tragen der Kleider abstäubt. Zink- und Antimonverbindungen können auf der Haut Geschwüre und Ausschläge erzeugen, und auch manche Teerfarbstoffe scheinen ähnlich zu wirken. Nach dem Gesetz vom 5. Juli 1887 darf Arsen in Kleidungsstoffen nicht in wasserlöslicher Form und nicht in solcher Menge vorhanden sein, daß sich in 100 qcm des Gewebes mehr als 2 mg Arsen finden. Vgl. Stratz, Die Frauenkleidung und ihre natürliche Entwickelung (3. Aufl., Stuttg. 1904); Thiersch, Die Schädigung des weiblichen Körpers durch fehlerhafte K. (Berl. 1901); Schultze-Naumburg, Die Kultur des weiblichen Körpers als Grundlage der Frauenkleidung (Leipz. 1901); Menge, Über die Einwirkung einengender K. auf die Unterleibsorgane (das. 1904). Über Fußbekleidung s. Schuh, über Geschichte der K. s. Kostüm. [⇐112]
Kleidung, siehe Tracht.
[508⇒] Bekleidung, 1) überhaupt vollständige od. theilweise Bedeckung des Körpers mit Kleidern. Die B. der Soldaten heißt Montirung, s.d. u. Uniform. [⇐508][509⇒] Daher Bekleidungskunst, die Kunst, die B. des Körpers so einzurichten, daß derselbe gefalle; auch so v.w. Drapirungskunst; 2) (Bot.), Nebentheile an anderen als Haupttheilen, s. Nebenpflanzentheile; 3) (Bauk.), die auf hölzerne Thürgerüste genagelte Einfassung von gehobelten Bretern, mit od. ohne Gesims, welche den Schluß der Fuge zwischen Wand u. Zarge bewirken u. zugleich als Verzierung dienen soll. Die B. steht vor dem Vorputz hervor, welcher sich an sie anschließt; 4) das, womit man verschiedene Gegenstände bekleidet, bes. im Sinne von bekleiden 5)9). [⇐509]
Bürgerliche Kleidung, 1) die in mittelalterlichen Polizeigesetzen den Personen bürgerlichen Standes vorgeschriebene Tracht, s. Kleiderordnung; 2) Civiltracht, der Uniform entgegengesetzt.
[146⇒] Kleidung (weiblich) (weibliche). Die Bekleidung im Allgemeinen entspringt aus dem Bedürfnisse, sich vor den Einwirkungen der Atmosphäre zu schützen, kann aber eben sowohl die Gesundheit bewahren, als sie vernichten. Abgesehen von der zu warmen Kleidung, welche verweichlicht und den Körper für Krankheiten nur empfänglich macht, kann die Unzweckmäßigkeit in der Form auch das gesunde, gleichmäßige Gedeihen des Körpers hindern. In letzterer Beziehung sei hier der höchst beklagenswerthe Gebrauch gerügt, die Kleider der Kinder über die Brust schmal, knapp anliegend und über den Mücken weit zu machen. Auf diese Weise preßt man die Brust ein, zwängt die Arme vor, nöthigt den Körper zu einer geduckten Stellung und begünstigt die Anlage zu Lungenübeln; hindert außerdem die freie Bewegung der Arme, also die Ernährung derselben und der Brustorgane, die für das weibliche Leben von so unendlich hoher Bedeutung sind. Dem Schnürleibe, diesem unnatürlichsten Theile der weiblichen Kleidung, ist ein eigener Artikel gewidmet. Die Kleidung der Frauen muß, wie überhaupt alle Kleidung, der Lebensweise, dem Klima und der Beschäftigung angemessen sein. Zur Arbeit vorzugsweise bedarf man einer leichten, nicht [⇐146][147⇒] beengenden und hindernden Tracht, eine Regel, die nur zu oft vernachlässigt wird. Was in warmen Gegenden zweckmäßig ist, würde in kalten höchst unpassend sein, und es ist thöricht, die Mode auf ein unpassendes Feld zu verpflanzen. Aber nicht nur die Wohlfahrt des Körpers, auch die Aesthetik macht gleich große Ansprüche auf die Wahl der Bekleidung. Eines der edelsten Attribute der Weiblichkeit ist die Schamhaftigkeit, die bei einer vorgeschrittenen Kultur engere Grenzen zieht, als bei den wilden Kindern der Natur. Aber auch die nur mit leichten Hüllen umgebene Wilde, die ärmste Negersklavin kennt das Erröthen der Jungfräulichkeit, ohne welches das Weib der Weiblichkeit entbehrt. Die Schönheit des Weibes ist eine edle Blume, die nur in der Verborgenheit erblüht und wie diese, durch die Sonnenstrahlen Farbe und Geruch verliert. Es liegt eine herrliche Poesie in der Sitte der Orientalinnen, tief verschleiert einherzugehen und den Schleier mit Entrüstung fallen zu lassen wenn Unheiligkeit des Blickes eine Lästerung der heiligen Weiblichkeit bekundet. Im Alterthume, wo das Leben des Weibes bei den gebildeten Völkern sich meistens auf das Haus beschränkte, war die Kleidung bequem, leicht und häuslich. Die faltenreiche Tunica der Griechinnen und Römerinnen war das ungezwungenste, aber von künstlerischer Einfachheit geadelte Negligé, dem die Gewänder unserer Zeit nicht gleich kommen. Als das Leben der Frauen Theil an der Oeffentlichkeit nahm, entstanden die fest anliegenden Gewänder, entstand die Ueberfüllung mit Schmuck und Zierath, entstanden alle jene Künste der Toilette, die nur zur Bewunderung und zu Siegen herausfordern. Welchen Theil übrigens der größte Tyrann der Frauen, die Mode, an deren Bekleidung im Laufe der Zeiten hatte, dieß ist in dem Artikel Moden zu ersehen; hier sei nur noch erwähnt, daß die Natur den weiblichen Körper schmäler in den Schultern, breiter in den Hüften bildete, und daß jede Tracht, die dieses Verhältniß beeinträchtigt, eine geschmacklose ist. Einfachheit ist für die wahre Schönheit der edelste Schmuck. Ueberladung ist [⇐147][148⇒] nur an Schönen erträglich. Wenn ferner die weibliche Kleidung die Schönheit im strahlenden Lichte zeigen soll, muß in ihr strengste Ordnung und die höchste Sauberkeit herrschen. Das Weib ist der Repräsentant der Ordnung, Sitte und jeder bürgerlich-häuslichen Tugend. Aber wie könnten diese bestehen, wenn Unordnung Und Nachlässigkeit im Anzuge auf unweibliche Richtungen schließen lassen? Reinlichkeit ist unzertrennlich von jenen Begriffen und die Sorgfalt dafür kann nie zu weit getrieben werden. Die reichste Toilette wird nie das Auge blenden, das in verrätherischen Momenten einen Mangel jener Tugend entdeckt. Die Natur hat das Weib zu einer Blume seltener Schönheit geschaffen, aber wie Blumen von unendlicher Zartheit, verlangt sie auch die sorgfältigste Pflege. Die Aufgabe der Frau ist, einem Manne die Idee des Besitzes unendlicher Schätze zu gewähren, Ader die Reinlichkeit in jeder Beziehung ist das erste Mittel zur Erhöhung der Schönheit, und nichts kann so sehr den Bewunderer der Schönheit abschrecken, als die Spur einer Unvollkommenheit, welche die Folge einer vernachlässigten Toilette ist.
D. [⇐148]
[489⇒] Bekleidung, ein Wort von mannichfacher Bedeutung, bezeichnet in der gewöhnlichsten diejenigen Kleidungsstücke, die zum Anzug erforderlich sind. Woraus sie besteht, aus welchen einzelnen Theilen und Stücken, gehört in die Artikel Kleidung, Tracht. Es sei uns erlaubt, die weibliche Bekleidung aus einem höhern Gesichtspunkte zu betrachten, zu untersuchen, welchen äußern Einflüssen sie unterworfen ist, welche Eigenschaften und Charakterzüge sich durch sie aussprechen, in wiefern sie auf das körperliche Wohl und Wehe einwirkt. Die Mode, diese größte Tyrannin der Welt, äußert sich vielleicht nirgends despotischer als in der Art und Weise sich zu kleiden, und wir sehen ihr oft bis zur Uebertreibung gehuldigt. Wo dieß ohne Zuziehung des guten Geschmackes, ohne Berücksichtigung des Alters, des Aeußern und mancher andern Zufälligkeiten geschieht, fühlt man sich zu dem ungünstigen Urtheil veranlaßt, ein solches wanderndes Modejournal für eitel, geschmacklos [⇐489][490⇒] und thöricht zu erklären. Ein wahrhaft guter Geschmack weiß zu sondern, dasjenige aus den vorgeschriebenen Gesetzen zu erwählen, was zur Gestalt, zur Farbe von Haar und Augen, vor allen Dingen zu den Jahren paßt; und die beschränktesten Umstände können, wo richtiger Sinn und Gefühl herrschen, der weiblichen Bekleidung einen Stempel aufdrücken, welcher gleich frei von Modethorheit und gesuchter Einfachheit ist. Wie sehr sich das Gefühl für Anstand und Sittlichkeit in der weiblichen Bekleidung ausspricht, muß einem Jeglichen einleuchten, und nie kann und darf die Mode als Entschuldigung für unschickliche Entblößung, übertriebene Kürze und ähnliche anstandswidrige Vorschriften gelten. Aber auch der Sinn für Sparsamkeit oder Verschwendung offenbart sich in der weiblichen Bekleidung, und die Sucht, jeder Mode zu folgen, alles Neue, jeden Wechsel an sich zu produciren, verräth neben Wankelmuth und Liebe zur Veränderung auch einen Hang zur Verschwendung, der nur zu leicht ausartet und zum Verderben führt. Und endlich ist es nicht zu läugnen, daß die weibliche Bekleidung den größten Einfluß auf die Gesundheit ausübt, indem sie beengend, Blut hemmend und erkältend auf den Körper einwirken, und die nachtheiligsten Folgen hervorbringen kann.
L. M. [⇐490]
[1618⇒] Die Kleidung, plur. die -en. 1) Das Verbale des Zeitwortes kleiden, die Handlung des Kleidens, ohne Plural, in allen Bedeutungen, die letzte figürliche ausgenommen, in welcher es nicht gebraucht wird, weil kleiden in dieser Bedeutung ein Neutrum ist. 2) Dasjenige, was zur Bekleidung eines Körpers, zu dessen Bedeckung dienet, besonders was ihm zur Zierde gereichet. Die Kleidung eines Schießgewehres, das Beschläge. Besonders was zur äußern Bekleidung des menschlichen Körpers gereichet, wo es als ein Collectivum gebraucht wird, welches in weiterer Bedeutung und ohne Plural alles unter sich begreift, womit der menschliche Leib so wohl zur Nothdurft, als zum Wohlstande bekleidet wird. Jemanden in der Kleidung erhalten. Für jemandes Kleidung sorgen. Sie erschienen in ihrer vorigen Kleidung, 2 Macc. 3, 33. Auch mit dem Nebenbegriffe der Art und Weise sich zu kleiden. Ein Vernünftiger merkt den Mann an seinen Geberden, denn seine Kleidung, Lachen und Gang zeigen ihn an, Sir. 19, 26. Zuweilen auch von einem einzelnen Kleide in der engsten Bedeutung dieses Wortes. In einer andern Kleidung erscheinen, in einem andern Kleide. [⇐1618]
[592⇒] Kleidung. (Zeichnende Künste. Schauspiel)
Da in den Werken der schönen Künste alles, bis auf die Kleinigkeiten mit Geschmak und Ueberlegung muß gemacht seyn, damit nirgend etwas anstößiges, oder nur unschikliches darin vorkomme1; so muß auch überall, wo man uns Personen für das Gesichte bringt, die Bekleidung derselben von dem Künstler in genaue Ueberlegung genommen werden. Darum macht die gute Wahl der Kleidung einen [⇐592][593⇒] Theil der Wissenschaft aus, die sowol zeichnende Künstler, als Schauspieler besitzen müssen.
Umständlich wollen wir uns hier über diesen Punkt nicht einlassen; weil ein paar allgemeine Grundsätze hinlänglich scheinen einem verständigen Künstler über diese Sache das nöthige Licht zu geben. Die Kleidung muß überhaupt nach Beschaffenheit der Umstände schön und schiklich seyn.
Um uns nicht in eine vielleicht ganz unnütze Speculation über das, was in der Kleidung absolut schön seyn könnte, einzulassen, wollen wir über den Punkt des Schönen in der Kleidung nur so viel anmerken, daß darin nichts offenbar ungereimtes, unförmliches und unnatürliches seyn müsse. Daß es dergleichen Fehlerhaftes in Kleidern gebe, beweisen verschiedene Moden in denselben, die nur ein völliger Mangel des Geschmaks kann eingeführt haben. Schuhe mit ellenlang hervorstehenden Spitzen, wie vornehme Frauen in dem XIII und XIV Jahrhundert trugen, sind doch eine absolute Ungereimtheit. Und in diesem Falle befinden sich die steiffen und weit herausstehenden Halskragen, womit an einigen Orten, Magistratspersonen und Geistliche prangen; nicht weniger verschiedene feyerliche Kleidertrachten des weiblichen Geschlechts, die in einigen Reichsstädten und an verschiedenen Orten in der Schweiz aus den alten Zeiten der Barbarey nicht nur übrig geblieben, sondern durch neue Zusätze noch abgeschmakter gemacht worden sind. Ueberhaupt rechnen wir hieher alles, was der menschlichen Gestalt, die von allen sichtbaren Formen die schönste ist, ein unförmliches ekigtes Ansehen giebt. Der Künstler muß jede Kleidung verwerfen, die die natürliche Schönheit der menschlichen Gestalt verstellet; und die Verhältnisse der Theile völlig verderbt, wie z. E. den Kopfputz, der den Kopf noch einmal so groß macht, als er ist; die ungeheure Fischbeinröke, die dem obern Theil des Körpers, der in der Natur doch die grössere Hälfte ausmacht, zu einem kleinen und unansehnlichen Theile des Ganzen macht. Eben diese Regel schließt von der Kleidung alles steife und ungelenkige aus, weil es eine der größten Schönheiten des Körpers ist, daß er überall gelenkig, und zu unendlich mannigfaltigen Wendungen geschikt ist. Diese Fehler vermeiden in ihren Kleidungen Personen von Geschmak, es sey daß sie sonst nach chinesischer, türkischer oder europäischer Art sich kleiden.
Man schreibet sonst den Künstlern vor, daß sie sich in ihren Vorstellungen nach dem Ueblichen, oder dem sogenannten Costume richten sollen; und es ist gut, daß sie es bis auf einen gewissen Grad beobachten: aber wo die Mode einen völlig verkehrten und der Natur geradezu entgegenstreitenden Geschmak anzeiget, müssen sie das Uebliche verbessern.2
Ungereimte Kleidungen, kann man dem Künstler nur in dem einzigen Fall erlauben, wenn er die Personen nach dem Zwek seiner Arbeit lächerlich vorzustellen hat, und die Kleidung gerade eines der Mittel ist, das wesentlich dazu gehört. Aber auch in diesem Falle muß die Sache nicht zu sehr ins Abgeschmakte getrieben werden, wie es die Schauspieler bisweilen thun. Ganz verrükte Köpfe, die man überall ins Tollhaus setzen würde, sind bey keinerley Gelegenheit ein Gegenstand des Spotts; und darum muß auch die Narrheit in der Kleidung nicht übertrieben werden, damit sie nicht ekelhaft werde, da sie nur lächerlich seyn soll. Es ist um so viel nöthiger, daß die, welche die Aufführung der Schauspiele anordnen, dieses ernstlich bedenken; da es nur gar zu gewöhnlich ist, das ganz Alberne und Abgeschmakte an die Stelle des blos Lächerlichen gesetzt zu sehen. Dadurch aber verfehlt man seinen Zwek ganz.
Die Schiklichkeit der Kleidung erfordert mehr Nachdenken, als ihre Schönheit. Die Kleider unterscheiden vielfältig den Stand und die Würden der Personen, und selbst die Geschäfte, oder die Handlung darin sie begriffen sind. In der ganzen Welt ist man bey Feyerlichkeiten anders gekleidet, als bey häuslichen Verrichtungen, und der Mahler würde eine Narrheit begehen, der einen im Krankenbette liegenden König, mit Krone und Zepter vorstellte, wie bisweilen von Künstlern, die ausser der Kunst keinen Verstand zeigen, geschehen ist. Etwas von dieser Unschiklichkeit, ist auch aus der ehemaligen Barbarey des Geschmaks hier und da in Schauspielen übrig geblieben, wo man noch bisweilen vornehmere Personen in völlig feyerlichem Staat sieht, da sie kaum aus dem Bette aufgestanden sind, und nun blos häusliche Verrichtungen haben. Die Schauspieler sollen bedenken, daß dergleichen Ungereimtheiten die Täuschung so völlig aufheben, und dem feinen Theil ihrer Zuschauer so anstößig sind, daß die ganze Würkung, die ein [⇐593][594⇒] Drama haben sollte, dadurch völlig gehemmet wird. Einige Schauspieler scheinen zu glauben, daß in dramatischen Stücken von einiger Würde, die Personen nie anders, als in gewissem Staat erscheinen können. In der That ist es ein zarter Punkt, das völlig Natürliche mit einiger Würde zu verbinden. Wir wollen auch nicht sagen, daß man auf der Bühne jemand so natürlich im Bette liegen lasse, wie er es etwa in seiner Schlafkammer gewohnt ist. Aber auch die allergewöhnlichste Hauskleidung kann mit Anständigkeit und Würde verbunden seyn; wenn nur der, der diese Sachen angiebt ein Mann von Nachdenken ist und einige Kenntnis der Welt hat.
Zu dem Schiklichen können wir auch das rechnen, was von dem Ueblichen charakteristisch ist. Darauf hat der Künstler vorzüglich Acht zu geben. Der Mahler ist ofte in Verlegenheit seine Personen bestimmt zu bezeichnen; und da kommt ihm das charakteristische der Kleidung sehr zu statten. Es giebt ganze Kleider, einzele Theile, so gar Farbe des Gewandes, besondere Arten des Schmuks, die völlig charakteristisch sind, und sogleich den Stand, oder die Würde, oder eine ganz besondere Verhältnis derselben, oder eine ganze Handlung genau bezeichnen. Diese muß der Künstler, aus der alten und neuen Geschicht und von mehrern Nationen kennen. Aber dieses schlägt schon in das Uebliche ein.3
Dem zeichnenden Künstler empfehlen wir zum fernern Nachdenken über diese Materie ein aufmerksames Lesen, dessen, was der Herr von Hagedorn über diese Materie mit großer Gründlichkeit angemerkt hat.4 Von der besondern Behandlung der Kleidung, und der Kunst sie gut zu legen und zu falten ist in einen besondern Artikel gesprochen worden.5 [⇐594]
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