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Literatur. I.
Literatur. I.

[573⇒] Runen (vom got. rûna, Geheimnis), die ältesten Schriftzeichen der Germanen, sollen aus dem Kapitalalphabet der ältesten röm. Kaiserzeit gebildet sein. Man unterscheidet ein älteres, allen german. Stämmen gemeinsames Alphabet von 24 Buchstaben (bis zur Mitte des 7. Jahrh. in Gebrauch) und ein jüngeres in Skandinavien (bis Ende des Mittelalters) gebräuchliches von 16 (später bis 27) Buchstaben. Die R., mit dem eintretenden Christentum verdrängt, dienten ursprünglich, in Stäbchen (Runenstäbe) eingeritzt, religiösem Zweck, Zauberzeichen etc.; erst später wurden sie eigentliche Schriftzeichen (Runeninschriften, Runendenkmäler [Tafel: Literatur I, 8]). – Vgl. W. Grimm (1821 u. 1828), Liliencron und Müllenhoff (1852), Wimmer (deutsch 1887), Henning (1889). Sammlung der nordischen R. von Bugge (1891 fg.), der dänischen von Wimmer. [⇐573]

Quelle: Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 2. Leipzig 1911., S. 573.
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[264⇒] Runen, die ältesten Schriftzeichen der Germanen. Sie sind nicht, wie man früher annahm, einheimischen Ursprungs, sondern aus einem südeuropäischen Alphabet hervorgegangen, dessen Buchstaben man unter prinzipieller Vermeidung der wagerechten und krummen Linien (diese waren zum Ein ritzen in Holz ungeeignet) umformte und mit bedeutsamen Namen versah. Daß die R. aus der lateinischen Kapitalschrift umgebildet sind, was lange auf Grund der Wimmerschen Forschungen für ausgemacht galt, wurde neuerdings durch O. v. Friesen und Bugge bestritten, die vielmehr zu beweisen suchen, daß die R. zum größern Teil aus dem griechischen Alphabet entlehnt sind, während nur wenige Zeichen dem lateinischen entstammen. Das älteste Runenalphabet (nach den ersten sechs Buchstaben futhark genannt) bestand aus 24 Zeichen: f, u, th, a, r, k, g, w, h, n, i, j, e, p, z (= weich s), s, t, b, e, m, l, ng, o, d; dasselbe läßt sich mit geringen Abweichungen in der gleichen Anordnung bei den Nordgermanen (Brakteat von Vadstena; Runenstein von Kylfver auf Gotland), Angelsachsen (in der Themse gefundenes Messer) und Süd germanen (Charnayspange) nachweisen, war also allen [⇐264][265⇒] germanischen Stämmen gemeinsam, was für die Goten durch die Beibehaltung einzelner Runenzeichen in dem Alphabet des Ulfilas und durch die in einer Wiener Handschrift erhaltenen Namen der gotischen Buchstaben, die mit den Namen der angelsächsischen und nordischen R. übereinstimmen, für die Franken durch das ausdrückliche Zeugnis des Venantius Fortunatus noch besonders erhärtet wird.

Fig. 1. Das gemein-germanische Runenalphabet.
Fig. 1. Das gemein-germanische Runenalphabet.

Dieses gemeingermanische Alphabet (Fig. 1) ist bei den Angelsachsen durch Hinzufügen neuer Zeichen (die durch die reichere Entwickelung des Vokalismus notwendig wurde) erweitert, bei den Skandinaviern vereinfacht worden, da in den jüngern Inschriften nur 16 Zeichen (f, u, th, o, r, k, h, n, i, a, s, t, b, l, m, y) verwendet werden, denen man erst ganz spät noch 7 neue Sproßformen (die sogen. punktierten R.) hinzufügte (Fig. 2–4). Eine eigentümliche Abart des kürzern Alphabets sind die sogen. Zweigrunen, eine Art nordischer Geheimschrift. Zuerst sind die R., denen man einen geheimnisvollen Einfluß auf die Personen oder Dinge, die ihre Namen bezeichneten, zuschrieb, nur zur Weissagung (beim Losorakel) und zum Zauber gebraucht worden.

Fig. 2. Angelsächsische Runen (nach der Inschrift des Kreuzes von Ruthwell). Die hier fehlenden Zeichen, durch 0 eingeschlossen, sind aus dem Alphabet des Runenliedes hinzugefügt.
Fig. 2. Angelsächsische Runen (nach der Inschrift des Kreuzes von Ruthwell). Die hier fehlenden Zeichen, durch 0 eingeschlossen, sind aus dem Alphabet des Runenliedes hinzugefügt.
Fig. 3. Das jüngere nordische Runenalphabet.
Fig. 3. Das jüngere nordische Runenalphabet.
Fig. 4. Das jüngste nordische Runenalphabet mit den »punktierten« Runen (nach dem »Codex runicus«).
Fig. 4. Das jüngste nordische Runenalphabet mit den »punktierten« Runen (nach dem »Codex runicus«).

Hieraus erklärt sich auch der Name der N. (rûna, altnord. run. Plural rúnir. bedeutet Geheimnis). Über das Losorakel ist uns im 10. Kapitel der »Germania« des Tacitus ein Zeugnis erhalten. Man st reute mit R. (notis quibusdam) bezeichnete hölzerne Stäbchen auf ein weißes Tuch; darauf würden auf gut Glück drei dieser Stäbchen aufgehoben und gedeutet. Höchstwahrscheinlich geschah diese Deutung in metrischer Form (in alliterierendem Spruch). Die Verwendung der R. zum Zauber ist besonders im Norden bezeugt. Es gab Zauberrunen für bestimmte Zwecke, so Siegrunen, Bierrunen, Bergerunen (zur Geburtshilfe), Seerunen (zum Schutz der Schiffe), Rederunen (um klug zu sprechen), Löserunen (bei Gefangenschaft), R. zum Besprechen (Stumpfmachen) der Schwerter u. dgl. Zu zusammenhängender Schrift sind die R. von den Deutschen des Kontinents nur in geringem Umfange gebraucht worden (die einzigen erhaltenen Runendenkmäler sind Schmuckgegenstände, die durch die R. den Wert von Amuletten erhielten, und Waffen), und auch in England war ihre Verwendung zu diesem Zweck nicht häufig (das umfangreichste Denkmal, die Inschrift auf dem Kreuz von Ruthwell, stammt bereits aus christlicher Zeit). Im skandinavischen Norden, wo die lateinische Schrift erst verhältnismäßig spät bekannt wurde, haben die R. dagegen sehr ausgedehnte Verwendung gefunden, besonders zu Grabinschriften auf Steinen, die nicht selten ganz oder zum Teil in alliterierenden Versen abgefaßt sind (vgl. E. Brate und S. Bugge, Runverser in: »Antiqvar. Tidskr. för Sverige«, Bd. 10). Die Schrift geht entweder von links nach rechts oder umgekehrt, zuweilen auch in beiden Richtungen abwechselnd. Die ältesten Denkmäler (die Zwinge von Thorsbjärg, das Diadem von Straarup u.a.) gehören wahrscheinlich dem 5. Jahrh. an; das berühmte »goldene Horn« von Gallehus bei Tondern, die Steine von Tune, Strand, Varnum, Tanum u.a. stammen aus dem 6. Jahrh. Vgl. Fr. Burg, Die ältern nordischen Runenschriften (Berl. 1885). Die Inschriften im kürzern Alphabet beginnen etwa um 800 (z. B. die Steine von Helnäs und Flemlöse auf Fünen). Ganz sicher datierbar sind jedoch erst die zweifellos jüngern Jällingesteine aus dem 10. Jahrh. Sie sind besonders zahlreich in Schweden und reichen bis in späte Zeit hinab, auf Gotland bis ins 16. Jahrh. Der Gebrauch der R. zu literarischen Zwecken (in Handschriften) ist selten und nur als eine gelehrte Spielerei zu bezeichnen (das umfangreichste Denkmal, der sogen. »Codex runicus« mit dem schon ischen Recht aus dem 14. Jahrh., ist faksimiliert hrsg. von P. G. Thorsen, Kopenh. 1877). Besonders lange wurden R. auf Kalenderstäben gebraucht. – Die ältere Literatur (Worm, Göransson, Brynjolfsson, Liljegren u.a.) hat nur noch historischen Wert. Zur Orientierung empfiehlt sich: v. Liliencron und Müllenhoff, Zur Runenlehre (Halle 1852). Über das Alphabet handelten: Kirchhoff, Das gotische Runenalphabet (2. Aufl., Berl. 1854), und Zacher, Das gotische Alphabet Vulfilas und das Runenalphabet (Leipz. 1855); O. v. Friesen, Om runskriftens härkomft (upsala 1904); S. Bugge (in der Einleitung seiner Ausgabe der norwegischen R.). Unter den neuesten Schriften ist die bedeutendste Ludv. Wimmers Buch »Runeskriftens oprindelse ok udvikling i norden« (Kopenh. 1874; deutsch von Holthausen, Berl. 1887). Die große Sammlung von Stephens: »The old northern runic monuments of Scandinavia and England« (Lond., Kopenh. u. Lund 1866–1901, 4 Bde.), ist wertvoll durch ihre vorzüglichen Abbildungen, dagegen sind die Deutungen der Runeninschriften fast sämtlich verfehlt. Unzulänglich sind auch Dybecks Sammlungen der jüngern schwedischen Inschriften: »Svenska Run-Urkunder« (Stockh. 1855–59) und »Sverikes Run-Urkunder« (das. 1860–76), sowie P. G. Thorsens Werk: »De danske Rune-Mindesmærker« (Kopenh. 1864–81). Auf der Höhe der Wissenschaft stehen dagegen die im Erscheinen begriffenen, groß angelegten »Corpora« der norwegischen, dänischen und schwedischen Runendenkmäler: [⇐265][266⇒] Sophus Bugge, Norges Indskrifter med de ældre Runer (Bd. 1, Christ. 1891–1903; Bd. 2, 1. Heft und Einleitung, das. 1904–05; »Norges Indskrifter med de yngre Runer 1 [Hönenrunerne]«, das. 1902); Ludv. F. A. Wimmer, De danske Runemindesmærker undersögte og tolkede (1. Halbband: De historiske Rune-Mindesmærker, Kopenh. 1895; Bd. 2–4,1. Abt., 1899–1905); »Sveriges runinskrifter utgifna af Konungl. akademien«, 1. Heft: Ölands runinskrifter (von Sv. Söderberg; Stockh. 1900). Die deutschen Runendenkmäler sind gesammelt von Rud. Henning (Straßb. 1889); vgl. dazu Wimmers Aufsatz: »De tyske Rune-Mindesmæerker« in den »Aarböger for nord. Oldkyndighed og Historie«, 1894. Sonst haben sich um die Runenkunde verdient gemacht: W. Grimm (1821, 1828), Lauth (1857), K. Hofmann (Münch. 1866), Fr. Dietrich, Th. v. Grien berger; im Norden: F. Magnusen, Worsaae, Munch, Rafn, Thomsen, Gislason, Jessen, Torin u.a. Ein Wörterbuch schrieb Dieterich (»Runensprachschatz«, Stockholm u. Leipz. 1844). Vgl. Bugge, Übersicht über die Runenliteratur (in »Verhandlungen der Gelehrten Esthnischen Gesellschaft«, 1875, Bd. 8), und E. Sievers, R. und Runeninschriften, in Pauls »Grundriß der germanischen Philologie«, Bd. 1, 2. Aufl., S. 248 ff. (Straßb. 1896). [⇐266]

Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 264-266.
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[890⇒] Runen heissen die von den Germanen angewendeten Schriftzeichen; der Bedeutung des Wortes gemäss, got. runa, ahd. rûna = Geheimnis, geheimer Ratschlag, wurde diese Schrift nicht für zusammenhängende schriftliche Aufzeichnung des gewöhnlichen Lebens, sondern zur Losung und Weissagung, zu Segens- und Verwünschungsformeln angewendet. Die Runenzeichen stammen aus dem griechisch-phönikischen Alphabet; wie und wann sie den Germanen zukamen, ist nicht bekannt; wahrscheinlich geschah es auf dem alten Handelswege von Griechenland und dem Schwarzen Meere her. Die Anwendung der Runen zur Losung geschah dergestalt, dass man Stäbchen aus den Zweigen von fruchttragendem Hartholze, besonders von der Buche (daher ahd. buochstab, Buchstabe, in der Bedeutung von Lautzeichen und das Wort buoch = das Buch, aus die buoche, ahd. puocha) schnitt, in jedes Stäbchen eine Rune ritzte und aus den aufs Geratewohl herausgegriffenen Runenstäbchen eine Deutung zu gewinnen suchte; dabei vertraten die Runen nicht sowohl einzelne Laute, als Begriffe, mystische Zeichen, die erst durch das gesungene Lied, worin die Runen als Anlaute gewisser Hauptworte allitterierend wiederkehrten, ihre Bedeutung erhielten. Daher die Rune auch Stab hiess, wie die allitterierenden Begriffswörter des stabreimenden Verses. Der technische Ausdruck für das Einschneiden oder Einritzen der Runen war ahd. rîzan, altsächs. und angelsächs. wrîtan, in engl, write, erhalten und nhd. Abriss, Reissbrett, das Wort wurde durch das lat. scribere verdrängt, ahd. scrîban, nhd. schreiben. Erst mit der Zeit lernte man die Runen als blosse Lautzeichen verwenden. Das erste Runenalphabet enthielt ursprünglich [⇐890][891⇒] bloss 15 oder 16 Zeichen, später erhielt es eine Erweiterung bis zu 22, bei den Angelsachsen sogar bis zu 33 Zeichen. Der Gebrauch der deutschen Runen hörte mit der Einführung der lateinischen Schrift durch christliche Lehrer schnell auf; bei den Angelsachsen und den Skandinaviern erhielt sich die Runenschrift bis tief in die christliche Zeit. Aus einer Vermischung des Runenalphabetes mit dem griechischen schuf Ulfilas sein gotisches Alphabet. W. Grimm, über deutsche Runen, Göttingen 1821. W. Lilienkron und Müllenhoff, zur Runenlehre. Zwei Abhandlungen. Halle 1852. Zacher, das gotische Alphabet Vulfilas und das Runenalphäbet. Leipzig 1855. Über die in der letzten Zeit gefundenen und erklärten Runen vgl. namentlich Dietrich in Haupts Zeitschrift für deutsch. Altert. Band XIII, 1867 und Pfeiffers Germania X, 1865. [⇐891]

Quelle: Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 890-891.
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[454⇒] Runen, 1) (altnord. Runir, Runar, schwed. Runor, d.i. geheimnißvolle Zeichen, Geheimnisse), die Schriftzeichen der alten germanischen Völker, welche ursprünglich mehr nur in irgend einer religiösen Beziehung verwendet wurden, namentlich bei Loosung u. Weissagung, sowie bei Segens- u. Verwünschungsformeln. Zu der bei den Germanen sehr beliebten Loosung u. Weissagung schnitt man Stäbchen aus den Zweigen von fruchttragendem Hartholze, bes. von der Buche, ritzte in jedes Stäbchen eine Rune u. versuchte dann aus dem od. den auf Gerathewohl herausgegriffenen Runenstäbchen eine Deutung zu gewinnen. Unter dem Hersagen von Segens- od. Verwünschungsformeln versah man auch mit R., was man stärken od. schützen wollte, das Schwert, das Schild, den Becher, den Schnabel des Schiffes u. dgl. Als technischer Ausdruck für das Einschneiden od. Einritzen der R. galt das altnordische rista (reißen). Aus der allgemein üblichen Anwendung der Buchenstäbchen entstand der Ausdruck Buchstab in der Bedeutung Lautzeichen, welcher dann auch für die Lautzeichen des aus der Fremde überkommenen lateinischen Alphabetes beibehalten wurde. Es galt für die in zufälliger Folge wieder aufgenommenen Runenstäbchen einen Vers zu finden, in welchem die Runenstäbe als Reimstäbe standen. Aber nicht bloß auf die Form, sondern auch selbst auf den Inhalt des gesuchten Verses konnten die R. einen bestimmenden Einfluß üben, vermöge ihrer Namen, da diese für eine jede Rune ein bestimmtes mit ihrem Laute denselben anhebendes Substantivum darboten. So heißen die R. im Altnordischen u. im Angelsächsischen für f: fê u. fesh; für u, v: ûr; für th: thorn (od. thurs) u. dhorn; für o: ôs; für r: reidh u. râdh; für k, g: kann u. cên; für h: hagal u. hägl; für n: naudh u. nead; für i: îs; für a: âr; für s: sôl u. sigel; für t, d: tyr u. tîr; für [⇐454] [455⇒] b, p: biarkan u. beorc; für l: lögr u. lagh; für m: madhr u. man. Bei den Skandinaviern erweiterte sich durch eine eigenthümliche, in der späteren nordischen Skaldenpoesie bis auf die Spitze getriebene formelhafte Synonymik der Bereich dieser Runennamen ziemlich über den ganzen Kreis der damals vorhandenen Ideen; so geben beispielsweise ôs u. reidh (d.i. Gott u. Wagen) zusammen: Wagen-Gott, d.i. den Gott Thor; dagegen lögr u. reidh zusammen: Meer-Wagen, d.i. Schiff. Ferner konnte jeder einzelne Runenname eine ganze Reihe verwandter Begriffe vertreten; z.B. bedeutete nicht blos Vieh, sondern auch Reichthum überhaupt, sowie alle einzelne Dinge, welche zum Reichthum gezählt wurden, Gold, Ringe u. dgl.; biarkan (d.i. Birke) konnte jeden weiblichen Baumnamen vertreten, u. nach einer mysteriösen Symbolik bedeutete wiederum jeder weibliche Baumname in Verbindung mit einem zum Reichthum gerechneten Namen (z.B. Birke des Goldes) so viel als Frau; dagegen jeder männliche Baumname mit einem Synonym von so viel als Mann. Gelangte auch erst allmälig die Runendeutung zu dieser Künstlichkeit, so setzt sie doch schon in sehr alter Zeit eine ziemliche Übung in dem Gebrauche der epischen Formeln voraus, so daß die Runendeutung förmlich erlernt werden mußte, daher sie einen förmlichen Gegenstand des Unterrichts für Priester, Weissagefrauen u. Hausväter, welche die Loose warfen, bildete. Die Vorstellung von der Bedeutung u. Macht der R. ging so weit, daß man sie gewissermaßen mit der Idee od. dem eigentlich Lebendigen in den betreffenden Dingen gleichsetzte u. glaubte, man könne auf das innerste Wesen der Dinge selbst einwirken, wenn man auf die R. wirke. Die R. wurden daher nicht nur bei Loosung u. Weissagung, sondern auch den damit in Zusammenhang stehenden Handlungen des Opfers u. des Zaubers unentbehrlich; man betrachtete sie als Schutzmittel gegen allerlei drohende Gefahren u. Übel, sowie als Hülfsmittel um zu allem erhofften od. gewünschten Heil zu gelangen. Die alten Skandinavier unterschieden in letzter Beziehung vielerlei Arten von R., wie Brimrunen (d.i. Seerunen), zur Sicherung der Schiffe; Biargrunen, Hülfsrunen bes. für Gebärende; Limrunen, zur Heilung der Wunden; Mâlrunen etc. Die Wissenschaft von den R. gewann eine bedeutende, an das systematische streifende Ausbildung; doch sind von derselben nur trümmerhafte Andeutungen auf uns gekommen.

Da die lautliche Geltung der R. feststand, konnten dieselben auch von vornherein zur wirklichen Schrift verwendet werden. Der wirkliche Schriftgebrauch der R. muß schon vor dem 4. Jahrh. n. Chr. in Aufnahme gewesen sein. Die älteste Runenreihe (Futhork od. Fudark, nach den 6 ersten Zeichen so genannt), enthielt 15 Zeichen:

Runen

Diese Zeichen erfuhren eine zweifache Fortbildung, die eine bei den Normannen in Dänemark, Norwegen u. Schweden, die andere bei den Gothen, Angeln u. Angelsachsen. Die alten Skandinavier fügten zuerst das Zeichen Runen (Namens yr) hinzu, welches zugleich für ein von einem dunkeln Vocallaute begleitetes auslautendes r, so wie für die später entstandenen Vocale galt; dann gaben sie (aber erst im 11. Jahrh.) den Zeichen für k, i, t, b durch einen eingefügten Punkt die abgeleitete Geltung von g, e, d, p (punktirte, gestochene R.) u. nahmen endlich noch einige wenige Zeichen von beschränkter Geltung für untergeordnete Laute (c, x, æ, œ) auf. Viel entwickelter gestaltete sich das Runenalphabet bes. bei den Angelsachsen, indem sie aus den alten Zeichen durch leichte Änderung, Hinweglassung od. Hinzufügung einzelner Striche, neue Zeichen für verwandte Laute bildeten, z.B. aus b ein p, aus u ein v; aus dem ä ein â u. ein ô. In dieser Weise hatten sie bereits in ihrer Heimath vor Eroberung Englands ihr Alphabet auf 24 Zeichen gebracht, so daß sie Buchstaben besaßen für die Laute: f, u, th, o, r, k, g, v, h, n, i, ge (j), co, p, s, t, b, e, m, l, gg (ng, Nasal), d, ê (œ); nach der Eroberung kamen hierzu nun noch als weitere, auf ähnliche Weise formirte, besonders benannte Zeichen, die Vocale â, ä, y u. ea, sowie einige andere Buchstaben untergeordneter Geltung (cv, st u. dgl.). Von den Runenzeichen anderer germanischen Völker ist nichts auf uns gekommen. Im eigentlichen Deutschland waren R. erweislich seit ältester Zeit in Gebrauch, doch wissen wir nichts über ihre Beschaffenheit; denn die sogen. Markomannischen R., welche Rhabanus Maurus im 9. Jahrh. zuerst erwähnt, sind wahrscheinlich eine erst in jener Zeit auf gelehrtem Wege entstandene u. folglich gar nicht für den praktischen Gebrauch bestimmte Umsetzung angelsächsischer R. Mit Einführung des Christenthums geriethen die R. in den Hintergrund, wurden jedoch nicht allerwärts auf gleiche Weise verdrängt. Die Gothen erhielten im 4. Jahrh. durch Ulfilas ein ganz neues Alphabet, indem er ein Runenalphabet von 25 Zeichen mit dem griechischen Alphabet in der Art vermittelte, daß er die Gestalt der beiderseitigen Buchstaben, wo es irgend anging, verschmolz, u. wo dieses unthunlich war, bald das griechische, bald das runische Zeichen eintreten ließ. Vgl. Kirchboff, Das gothische Runenalphabet, Berl. 1851, 2. Aufl. 1854; Zacher, Das gothische Alphabet Vulfilas u. das Runenalphabet, Lpz. 1855. Bei den westlichen u. nördlichen Germanen, deren Bekehrung von Rom aus erfolgte, trat in Folge dessen auch das lateinische Alphabet unmittelbar an die Stelle des runischen; bei den Angelsachsen u. Skandinaviern wurden nur einzelne Runenzeichen für Laute, welche im lateinischen Alphabete nicht vertreten waren (z.B. O), beibehalten.

Obgleich seit dem Bekanntwerden der lateinischen Schrift bei den germanischen Völkern gewiß auch noch die R. als Buchstabenschrift zur Anwendung kamen, so geschah dieses doch nie u. nirgends in ausgedehnterer Weise. Außer ihrer Einritzung auf Waffen, Trinkhörner, Ringe u. dgl., wobei sie ihre alte religiöse Geltung behielten, bediente man sich ihrer meist nur zu kürzeren Inschriften auf Holz u. Metall, sowie auf Stein (häufiger jedoch erst seit dem 9. Jahrh.); geschrieben aber mit Tinte u. Feder [⇐455][456⇒] auf Pergament od. gar zum Niederschreiben von Büchern wurden sie nur sehr selten benutzt. Für Inschriften erhielten sie sich z.B. auf Denk- u. Grabsteinen (Runensteine), auf Glocken, Taufsteinen etc. noch Jahrhunderte lang in Gebrauch; die Zahl der Denkmäler dieser Art, welche man aufgefunden hat, beträgt weit über 3000, von denen die meisten auf Skandinavien, bes. auf Schweden kommen, gesammelt von Liljegren, Run-Urkunder, Stockh. 1833. Dieselben ergeben bis jetzt drei Hauptarten des Runenalphabetes, welche jedoch unter sich wiederum sehr nahe verwandt sind. Die älteste Form ist A) die anglische od. altangelsächsische; Hauptdenkmale für dieselbe bleiben der goldene Bracteat im Museum zu Stockholm, mit einem vollständigen Alphabete von 24 Buchstaben; die Inschrift auf dem Tondernschen Horn (s.d.) u. die Inschrift eines in Bukarest gefundenen Ringes, welche wenigstens Dietrich (De inscriptionibus duabus runicis ad Gothorum gentem relatis, Marb. 1861) zu den Angelschen R. rechnet. B) Das altnordische Runenalphabet, durch zahllose Inschriften auf Holzstäben (Kalender, Briefe u. dgl.) u. Steinen belegt. Eine vollständige Sammlung der schwedischen Denkmäler hat Dybeck in Svenska Run-Urkunder (Stockh. 1855 ff.) begonnen. C) Die eigentlich angelsächsischen R. Obgleich die alten Franken auch R. gehabt haben (Venantius Fortunatus im 6. Jahrh. erwähnt ausdrücklich eine hölzerne Runentafel), so ist doch kein sicheres Denkmal vorhanden, denn die 1854 von Lenormant publicirten, angeblich auf einem Kirchhofe (der Kapelle des St. Eligius im französischen Departement Eure, Bezirk Bernay, Canton Beaumont-le-Roger) mitten unter lateinischen aufgefundenen runischen Inschriften des 6. Jahrh. beruhen auf einer Mystification. Die Sammlung u. Erklärung der Runendenkmäler erfolgte zuerst in Dänemark u. Schweden, so von Magnus Celsius, Specimen lexici runici, Kopenh. 1650, Fol.; Olaf Worm, Literatura runica, ebd. 1661, Fol.; Warel, Runographia, Ups. 1676; J. Erichsen, Bibliotheca runica, Greifsw. 1766; Ihre, De runarum patria, origine et occasu, Ups. 1770; Brynjulfsen, Periculum runologicum, Kopenh. 1823; Liljegren, Runlära, Stockh. 1832. Das wissenschaftliche Verständniß der Runenschrift beginnt mit W. Grimm, Über deutsche R., Gött. 1821, u. Zur Literatur der R., Wien 1828; seitdem wurde die Runenlehre gefördert durch verschiedene Arbeiten des Isländers Finn Magnusen, des Engländers Kemble, des Dänen Worsaae, der Skandinavier Bredsdorff, Munch (Kortfattet fremstilling af den seldste Nordiske Runeskrift, Christ. 1848) u. Rafn, bes. durch R. von Liliencron u. Müllenhoff, Zur Runenlehre, Halle 1852; J. Lauth, Das Germanische Runenfudark, 1857. 2) (Runot), die epischen Volkslieder der Finnen, s. Finnische Sprache u. Literatur. [⇐456]

Quelle: Pierer's Universal-Lexikon, Band 14. Altenburg 1862, S. 454-456.
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[789⇒] Runen (von runa, Geheimniß), die Schriftzeichen der alten Germanen, von den phönicisch-griech. abgeleitet, ursprünglich 15, wurden in Skandinavien sowie von den Gothen und Angelsachsen weiter ausgebildet (Ulfilas braucht in seiner Bibelübersetzung 25 Buchstaben). Die R. scheinen indessen im alten Germanien nicht zum eigentlichen Schriftgebrauche, sondern hauptsächlich als heilige Zeichen bei Weissagungen gedient zu haben. Sie bestanden aus einzelnen Strichen, welche auf einem senkrechten Grundstrich (Stab) gewöhnlich in schiefer Richtung geführt sind; ihre Namen fangen mit dem Laute an, den sie bezeichnen (Is d.h. Eis = i). Ihr Gebrauch wurde bei der Einführung des Christenthums durch das latein. Alphabet verdrängt; am reichsten an R. denkmälern ist Skandinavien, dann England u. Norddeutschland. [⇐789]

Quelle: Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1856, Band 4, S. 789.
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[767⇒] Runen sind Schriftzeichen der alten nord. und german. Völkerschaften, deren Entstehung von Manchen in eine weit über Chr. Geb. hinausreichende Zeit versetzt, und z.B. von der Buchstabenschrift der im höchsten Alterthum zur See die Küsten des baltischen Meeres besuchende Phönizier hergeleitet wird, während Andere sie als eine viel spätere Erfindung ansehen. In Schweden und Dänemark besonders hat man zahlreiche Grab- und Denkmäler (Runensteine) mit solchen Zeichen gefunden, welche auch als Zaubercharaktere in Stäbe von Weidenholz geschnitten wurden (die davon Runenstäbe hießen) und mittels der man Wunderdinge verrichten zu können meinte. Die vorhandenen Handschriften mit Runen sind alle jünger als die mit gewöhnlicher Schrift, und gehen nicht über das I. 1200 n. Chr. zurück. [⇐767]

Quelle: Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 767.
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[6⇒] Runen. So heißen die Schriftzeichen eines bei den altgermanischen und scandinavischen Völkerschaften üblichen Alphabetes, welche auf hölzerne Stäbe geschnitten, und auch auf Steine eingegraben wurden. Häufig bedienten sich die Priester und Wahrsager, [⇐6][7⇒] so wie die weisen Frauen (Alrunen) derselben zu Sortilegien, und rhabdomantischem Zauber, und das Geheimnißvolle dieser uralten höchst einfachen Schrift und ihres Gebrauches scheint sich noch in dem Wort raunen (heimlich zuflüstern) erhalten zu haben, wie wir es in der Bezeichnung jener weisen Alraunen und in der magischen Alraunwurzel, der Mandragora, wiederfinden. Davon, daß die Schrift auf Stäbe eingeschnitten wurde, rührt noch unser Wort Buchstabe her.

–ch– [⇐7]

Quelle: Damen Conversations Lexikon, Band 9. [o.O.] 1837, S. 6-7.
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[353⇒] Runen. So nennt man theils die Buchstabenschrift, womit gewisse Nordische Denkmähler bezeichnet sind, theils diese Denkmähler selbst; richtiger heißen die letztern Runsteine. Zwei Fragen haben die Geschichtforscher beschäftigt. Die erste betrifft das Alter, die zweite den Ursprung der Runen. Ohne Zweifel geht Verelius in seiner Runographia, Upfal, 1675, zu weit, wenn er aus den Schichten von Gartenerde, womit die Runsteine überwachsen sind, auf ein Alter schließt, das kurz nach der Sündfluth fällt. Eben so übertrieben ist die Meinung des Joh. Giöransson, welcher (im J. 1750) 1173 in Holz geschnittne Runsteine bekannt machte, von denen er einige 2000 Jahre vor Christi Geburt hinaussetzt. Die Kritik findet jetzt in den Runsteinen weder Sodom, noch Tyr, noch den Magog; aber sie ist doch genöthigt, ihnen ein sehr hohes Alterthum zuzugestehn. Es ist gewiß, daß die Runen lange vor der Einführung des Christenthums, im 9. Jahrhunderte schon, in Scandinavien, Schweden, Dänemark, Grönland bekannt waren, obwohl Saro Grammaticus in seiner Dänischen Geschichte ums Jahr 1180 zuerst der Nordischen Runen als alter Monumente, aus denen er geschöpft habe, Erwähnung thut. Man findet Runsteine auf Feldern und Wiesen, andere, die zu Kirchmauern und Cenotaphien verbraucht sind, woraus man auf ihre große Menge schließen kann. Auf den Wendischen Götzenbildern findet man Inschriften mit Runen. Da gewiß lange Zeit dazu gehörte, ehe man schreiben und die Schriftart verschönern lernte, so kann man sie wohl in das 5te – 6te Jahrhundert setzen, um so mehr, da der Geist der Sprache, in welcher die Runschriften abgefaßt sind, mit der Sprache des 9ten Jahrhunderts verglichen ein sehr hohes Alterthum ankündigt. Aber sie waren keinesweges dem Norden eigenthümlich, indem sich in England und selbst in Spanien häufig Runsteine gefunden haben, wo die Menge der Steinschneider und die Liebe zur Dichtkunst dazu beitrugen sie zu vervielfältigen. Dieß führt uns auf die 2te Frage, über den Ursprung der Runen. Es scheint ausgemacht, daß sie [⇐353][354⇒] nicht im Norden entstanden, sondern ein entstelltes Römisches Alphabet sind, dessen sich zuerst Deutsche Völker bedienten. Obwohl Tacitus sagt, daß Othin (in dem Zeitalter Pompejʼs) die Sprache und Dichtkunst im Norden eingeführt hätte, so läßt sich doch daraus auf die Einführung der Schreibkunst, welche ein viel höherer Schwung des menschlichen Geistes ist, kein Schluß machen. Wären die Runen Nordischen Ursprungs, so müßten sie doch alle Töne der Sprache dieser Völker bezeichnen, wozu sie keinesweges hinreichen. Das Ostgothische Alphabet des Ulphilas, welches mit den Runen nichts gemein hat, war zu jenem Zwecke weit geschickter. – Die Ostgothen widersetzten sich noch der Amalasuentha, als sie den jungen König Athalarich in der Schreibekunst wollte unterrichten lassen; und in der Folge erst nahm diese Nation allgemein das Alphabet des Ulphilas an. – Wenn Venantius Fortunatus, ein Röm. Dichter aus dem 5ten Jahrhundert, die Runen (Runa Barbara) erwähnt, so kann er wohl nicht die Schrift der Scandinavier oder der Gothen verstehen, die sich keiner Runen, sondern der Schrift des Ulphilas bedienten. Die Runenschrift hat großentheils eine auffallende Aehnlichkeit mit dem Römischen Alphabete: aber sie ist sehr arm, besteht nur aus 16 Zeichen; sie kennt den Unterschied zwischen b und p, d und t, g und k, u und w nicht, welcher der Sprache der Nordischen Völker wesentlich ist. Sie ist also ein entstelltes Römisches Alphabet, welches Deutsche Völker von ihren Nachbarn entlehnt hatten. Kein andres Volk der Welt als Deutsche konnten sich mit 16 Charakteren begnügen, da nur Deutsche Völker, wie noch jetzt die Obersachsen, b und p, d und t, g und k, i und ü in der Aussprache verwechseln. Auch waren nach Rhabanus Zeugniß Runen unter vielen Deutschen Völkern z. B. den Marcomannen. gemein. – Aber, fragt man, warum finden sich Runsteine in Schweden, Norwegen, nicht in Deutschland? Hierauf antwortet Schlözer: a) die Deutschen kannten überhaupt die Grabsteine nicht, b) die cultivirten Deutschen Stämme, z. B. die Franken, bedienten sich zu Aufschriften des Römischen Alphabets, wie man aus Childerichʼs Ringe, der in dessen Grabe gefunden worden, ersieht; auch die Schweden vertauschten im 11. Jahrhundert die ungestalte Runenschrift gegen das Römische Alphabet, [⇐354][355⇒] wie die spätern Denkmähler beweisen. – Uebrigens ist die Runenschrift ganz eckig und mißfällig. Jede Rune hat eine Basis, Staf genannt; daher Runstaba, ein Buchstabe.

Die wichtigsten Schriften über die Runen sind: Ol Warmii Litteratura Runica. (Copenh. 1663, 4.) Ihre de Runarum in Suecia antiquitate. Upsal, 1769. – Ihre de R. origine et patria, Ups. 1770. Erichson bibl. Runica, 1766. Schlözer Einleitung in die Nordische Geschichte, S. 572. Runische Inschriften aus dem Norden sind von Wogen und Masch, die in Spanien gefundnen Runsteine aber von Velasquez gesammelt und herausgegeben worden. [⇐355]

Quelle: Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 4. Amsterdam 1809, S. 353-355.
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[1214⇒] Die Rune, plur. die -n, ein aus den nordischen, besonders der Schwedischen Sprache angenommenes Wort, diejenigen geradlinigen Buchstaben zu bezeichnen, deren sich die ältesten nordischen Völker bedieneten, ehe sie in den spätern Zeiten die Lateinischen Figuren annahmen. Die ältern Schweden, Dänen, Norweger und Isländer schrieben mit Runen. Daher die Runenschrift eine aus Runen bestehende Schrift. Der Runenstab, ein Stab, in welchem solche Runen eingeschnitten sind, der den ältern Schweden statt eines Kalenders dienete, und noch in einigen Provinzen unter dem gemeinen Manne üblich ist.

Anm. Schwed. Runa. Die meisten, auch besten Sprachforscher, z.B. Ihre, sind bey Ableitung dieses Wortes auf das auch im Deutschen übliche raunen, murmeln, flistern, und in engerer Bedeutung, geheimnißvolle, zauberische Formeln hermurmeln gefallen, und erklären die Runen durch geheimnißvolle Zeichen, Zauberzeichen. Allein bey 1 Raunen ist schon bemerkt worden daß es aller überwiegenden Wahrscheinlichkeit nach von raunen, runen, schneiden, abstamme. In den alten Zeiten der Einfalt, wo Leibesstärke alles galt, war des Schreibens sehr wenig, und wo man ja eine Schrift gebrauchte, so schnitt man die Buchstaben welche doch nur wenigen bekannt waren, in hölzerne Tafeln oder Stäbe, und ein solcher mit Buchstaben beschnittener Stab hieß ein Runstab. Auch die gesittetsten Völker kannten in der Kindheit ihres Geistes und ihrer Wissenschaften keine andere Art zu schreiben. Von unsern alten Deutschen finden sich gleichfalls Spuren davon. Fortunatus, ein Schriftsteller des sechsten Jahrh. gedenket ihrer, und bey dem Kero, unserm ältesten Schriftsteller, kommt das Wort Runstaba von einem Sendschreiben vor, d.i. eigentlich von einem mit Schrift beschnittenen Stabe; woraus denn erhellet, daß auch unsere Vorfahren in den ältesten Zeiten eine Art von Runen gehabt haben, die aber mit ihrem Nahmen sehr bald verloren gegangen, als man aufhörte, wenige Worte mit plumpern geradlinigen Zügen auf Holz oder Stein zu schneiden. S. u. Raunen, Runse und Buchstab. [⇐1214]

Quelle: Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 1214.
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