Adel [3]

[99] Adel (von adhal, das Geschlecht, die Herkunft, zusammenhängend mit êthel, Erbgut), bevorzugter Stand, der sich in allen europäischen Ländern, mit Ausnahme von Norwegen und der Türkei, vorfindet. Der deutsche A. war in der germanischen Urzeit ein Geburtsstand, vor den Freien durch höheres Wergeld (s. d.) ausgezeichnet. Er setzte sich zusammen aus den Mitgliedern derjenigen Geschlechter, aus denen man die Könige, die Fürsten, die Priester zu nehmen pflegte. Im fränkischen Reiche war neben dem altgermanischen, durch die Geburt begründeten Geschlechtsadel der fränkische, auf der Ehre des Kriegsdienstes beruhende Dienstadel, der sich aus den königlichen Beamten, den Bischöfen und Großgrundbesitzern bildete. Im Laufe des Mittelalters verschmolzen Geschlechts- und Dienstadel zu einem Stande, dem freien Ritterstande. Die Zugehörigkeit zu diesem Stande setzte außer der edlen Abstammung den Besitz einer adligen Grundherrschaft sowie ritterliche Heeresfolge voraus. Eine bevorzugte Stellung innerhalb des Standes nahmen die Fürsten und Grafen ein. Aus dem freien Ritterstand entwickelte sich der später sogen. hohe A. (s. Reichsritterschaft). Dagegen ging der sogen. niedere A. aus dem Stande der unfreien Ritter, der Ministerialen oder Dienstmannen hervor. Die Ministerialen waren Dienstleute des Königs und der Großen, die ausschließlich im Hofdienst, als Reisige oder als höhere Aufsichtsbeamte Verwendung fanden. Jeder Ministeriale, der ein gewisses Alter erreicht hatte[99] konnte die Belehnung mit einem Benefizium verlangen. Hierdurch wurde die Annäherung des unfreien Ritterstandes an den freien Ritterstand gefördert. In ihrer Eigenschaft als Ritter traten die Ministerialen trotz ihrer Unfreiheit unmittelbar hinter den Stand der freien Ritter (»Herren«) und gingen schließlich in ihm auf, nachdem sich im 13. und 14. Jahrh. ihre Unfreiheit verloren hatte. Aus belehnten Eigenleuten hatte sich ein freier Lehnsadel entwickelt (vgl. Schröder, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, § 42). Nur in der Unterscheidung der »Edlen« und ded »Lehnsadels« innerhalb dieses einheitlichen Standes lebte der frühere Unterschied von freien und unfreien Rittern noch fort. Die Ritterschaft, ursprünglich ein Gemisch von Geburts- und Berufsstand, wurde allmählich von dem Erfordernis »ritterlicher Lebensweise« unabhängig und so zu einem Geburtsstande. Ritter war nicht nur derjenige, dem die »Schwertleite« erteilt war, sondern auch derjenige, der durch königliches Diplom oder durch Promotion bei einer juristischen Fakultät die Eigenschaft eines Ritters erworben hatte. In späterer Zeit trat eine Scheidung zwischen hohem und niederm A. ein. Zum hohen A. gehörte, wer die Reichsstandschaft besaß, d.h. Sitz und Stimme (sessionem et votum) auf den Reichstagen hatte. Die Reichsstandschaft konnte, sofern sie sich nicht auf unvordenklichen Besitz stützte, nur durch kaiserliche Verleihung erworben werden. Dem Kaiser verblieb dies Recht bis zur Auflösung des Reiches. Dagegen war die Ausübung der das Wesen der Reichsstandschaft ausmachenden Rechte seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrh. außer von dem Erwerb fürstenmäßiger oder gräflicher Reichsgüter sowie der Einlassung zu einer standeswürdigen Steuer in einem bestimmten Kreis auch von der Einwilligung des Kurfürstenkollegiums, des Reichsfürstenrates, der Grafenbank, d.h. von dem Konsens des Reichstags, abhängig. Der niedere A., der keine Reichsstandschaft besaß, schied sich in den Reichs- und Landesadel. Die Mitglieder des Reichsadels waren im Besitze der landesherrlichen Gewalt und hatten als Reichsunmittelbare den persönlichen Gerichtsstand vor den höchsten Reichsgerichten sowie das Recht der Autonomie (s. d.). Der Landesadel war nicht reichsunmittelbar, vielmehr der Landeshoheit unterworfen.

Privilegien, Titulaturen etc. des deutschen Adels.

Von den einstmaligen staats-, kirchen- und privatrechtlichen Privilegien des Adels sind, abgesehen von der dem hohen A. ausschließlich zukommenden Reichsstandschaft, hervorzuheben: die Schriftsässigkeit, d.h. das Recht, nicht vor einem Gericht unterer Instanz Recht zu nehmen; Steuer-, Zoll- und Militärfreiheit; Vorrecht auf gewisse Ämter, z. B. beim Reichskammergericht; Siegelmäßigkeit, d.h. das Recht, einer Urkunde durch Beidrückung des adligen Siegels die Wirkung einer öffentlichen Urkunde beizulegen; Kirchenpatronat und Patrimonialgerichtsbarkeit, sofern der Adlige begütert war; in Österreich für Ritter und Herren die Fähigkeit, landtäflige Güter zu erwerben und die mit diesen Gütern verbundenen sogen. Dominikalrechte (z. B. das Jagdrecht) auszuüben; Befreiung vom kirchlichen Aufgebot; Autonomie, d.h. das Recht, in gewissem Umfange nicht nur für die eignen Nachkommen und Erben, sondern auch für Dritte verbindliche Normen über Familienangelegenheiten festzustellen; ein ausschließliches Recht auf den Geschlechtsnamen und das Geschlechtswappen; die ausschließliche Fähigkeit zum Erwerb von Lehen und Errichtung von Familienfideikommissen; das Recht der Landstandschaft; Ehrenvorrang vor den Bürgerlichen (vgl. die Prädikate weiter unten und Titel). Bei einigen dieser Rechte wurde noch gefordert, daß der Adlige eine bestimmte Anzahl von Ahnen (s. d.) aufweisen konnte.

Die Rheinbundesakte und die Verfassungen der neuentstandenen Staaten verringerten allenthalben die Vorrechte des Adels oder hoben sie, wie in Westfalen, auf. So kommt es, daß wirkliche Vorrechte heutzutage nur dem hohen A. zustehen. Dieser hohe A. umfaßt die Familienangehörigen der souveränen Fürstenhäuser und der mediatisierten Familien, die früher im Besitze reichsunmittelbarer Territorien waren und Reichsstandschaft hatten. In Ansehung der letztern war in der deutschen Bundesakte vom 8. Juni 1815 bestimmt, daß auch die Mediatisierten künftig zu dem hohen A. in Deutschland gerechnet würden, und daß ihnen das Recht der Ebenbürtigkeit (s. d.) mit den regierenden Häusern bleiben sollte. Ferner sollten die Mediatisierten und ihre Familien die privilegierteste Untertanenklasse, namentlich in Ansehung der Besteuerung, bilden; ihre noch bestehenden Familienverträge sollten aufrecht erhalten werden, und es sollte ihnen auch fortan die Befugnis zustehen, über ihre Güter und Familienverhältnisse autonomische Anordnungen zu treffen. Endlich sollte dem hohen A. ein privilegierter Gerichtsstand, die Befreiung von aller Militärpflichtigkeit, die Ausübung der Gerichtsbarkeit in erster und, wo die Besitzungen groß genug, auch in zweiter Instanz, die Forstgerichtsbarkeit, Ortspolizei und Aussicht in Kirchen- und Schulsachen zustehen. Allein diese Rechte sind in den Einzelverfassungen sehr beschnitten und nur das Recht der erblichen Mitgliedschaft in der Ersten Kammer ist den Mediatisierten in allen Staaten mit Zweikammersystem erhalten worden. Der privilegierte Gerichtsstand und die eigne Gerichtsbarkeit (wenigstens in streitigen Rechtssachen) sind durch die deutschen oder österreichischen Justizgesetze vollständig beseitigt. Dagegen ist die Befreiung von der Militärdienstpflicht im Reichswehrgesetz aufrecht erhalten. Hinsichtlich der Autonomie (s. d.) des hohen Adels bestimmt Art. 58 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch, daß in Ansehung der Familienverhältnisse und der Güter der vormals reichsständischen und seit 1806 mittelbar gewordenen Häuser sowie der ihnen diesbezüglich durch Beschluß der vormaligen deutschen Bundesversammlung oder vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches durch Landesgesetz gleichgestellten Häuser die Vorschriften der Landesgesetze und nach deren Maßgabe die Vorschriften der Hausverfassungen unberührt bleiben, und daß das Gleiche auch zu gunsten des vormaligen Reichsadels und derjenigen Familien des landsässigen Adels gilt, die vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches dem vormaligen Reichsadel durch Landesgesetz gleichgestellt worden sind. Dagegen hat der niedere A. heutzutage, abgesehen davon, daß in einzelnen Staaten, wie z. B. in Bayern, nur Adlige ein Fideikommiß (s. d.) besitzen können, keine besondern Rechte mehr.

Die Stufenleiter der üblichen Prädikate (Titulaturen) ist zur Zeit folgende: Der einfache Edelmann bis zum Freiherrn aufwärts erhält das Prädikat »Hochwohlgeboren«, der Graf »Hochgeboren«; die Häupter der standesherrlichen Grafen familien erhielten durch Beschluß der deutschen Bundesversammlung vom 13. Febr. 1829 das Prädikat »Erlaucht«; die Häupter der vormals reichsständischen, jetzt standesherrlichen fürstlichen Familien erhielten durch Beschluß[100] der Bundesversammlung vom 13. Aug. 1825 den Titel »Durchlaucht«; im Bereich der österreichisch-ungarischen Monarchie führen die sämtlichen Mitglieder solcher Familien, soweit in ihnen die Fürstenwürde für alle Deszendenten erblich ist, das Prädikat »Durchlaucht«. Die Häupter der übrigen fürstlichen Familien können den Titel »Durchlaucht« nur dann führen, wenn er ausdrücklich verliehen ist. Viele solcher Titularfürsten haben nur das Prädikat »Erlaucht«. Hinsichtlich der erbfolgenden Söhne bestehen keine festen Regeln; so führt z. B. der älteste Sohn des Fürsten Bismarck die Grafenwürde und den Titel »Hochgeboren«, der älteste Sohn, resp. Erbfolger des Fürsten Hatzfeld-Wildenburg die Titel »Prinz« und »Fürstliche Gnaden«.

Anläßlich der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist streitig geworden, ob das Adelsprädikat zum Familiennamen im Sinne dieses Gesetzbuches gehört oder nicht. Wer z. B. an Kindes Statt angenommen wird, erhält nach § 1758 den Familiennamen des Annehmenden. Die richtige, von Staudinger und Sohm vertretene Ansicht (gegen v. Bülow, Krückmann, Opet, Planck, Rehbein) geht dahin, daß das letztere zutrifft. Nimmt Herr v. Müller jemand an, so heißt der Angenommene nur Müller. Der A. ist ein Titel, ein Prädikat, und darum etwas Öffentlichrechtliches, der Name etwas Privatrechtliches. Am Adelsrecht hat das Bürgerliche Gesetzbuch also nichts geändert. Untersagt der Mann nach der Ehescheidung seiner allein für schuldig erklärten Frau die Fortführung seines Namens (§ 1577), so verliert sie auch das Adelsprädikat, aber nicht, weil es mit dem Namen ein Ganzes bildet, sondern weil die Frau durch diese Untersagung aus der Familie, die diesen Titel hat, ausscheidet. Die Ausführungsgesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuch von Braunschweig, Hessen, Lübeck und den beiden Mecklenburg bestimmen ausdrücklich, daß das Recht zur Führung des Adels ebenso privatrechtlich geschützt sein soll, wie § 12 des Bürgerlichen Gesetzbuches das Recht zum Gebrauch eines Namens gegen Mißbrauch oder Bestreitung schützt. Daß durch Ehelichkeitserklärung oder Annahme an Kindes Statt der A. nur unter Hinzutritt landesherrlicher Bestätigung erworben werden kann, schreiben ausdrücklich die mecklenburgischen Ausführungsgesetze zum Bürgerlichen Gesetzbuch und das Hessens vor. Das lippische Ausführungsgesetz verlangt Genehmigung des Landesherrn nur für Übertragung des Adels durch Annahme an Kindes Statt.

Die verschiedenen Klassen des niedern Adels.

Wie im vormaligen Deutschen Reiche gibt es auch jetzt noch verschiedene Klassen des niedern Adels, jedoch ohne besondere praktische Bedeutung. In Österreich gibt es z. B. noch die sechs alten Klassen des Reiches: Titulargrafen, Reichsfreiherren oder Barone, Edle oder Bannerherren, Ritter, Edle von, auf oder zu, endlich Adlige mit dem Prädikat »von«. Das Aufrücken in eine höhere Adelsklasse und der Erwerb des Adels überhaupt von seiten eines Bürgerlichen erfolgen durch Verleihung des Adels oder einer höhern Klasse durch einen Landesherrn. Der A., der sich auf eine solche Verleihung gründet, heißt Briefadel; die darüber ausgestellte Urkunde heißt Adelsdiplom oder Adelsbrief (s. d.). In Deutschland kommen seit Kaiser Karl IV. Verleihungen des niedern und des hohen Adels vor, und das Recht dazu gehörte vormals zu den Reservatrechten des Kaisers, d.h. zu den Rechten, die sich der Kaiser in allen deutschen Landen vorbehalten hatte. Übrigens hatten oder behaupteten viele Fürsten das Nobilitationsrecht (Recht, den A. zu verleihen). Endlich erhielten seit dem Anfang des 17. Jahrh. viele kleinere Fürsten und selbst Familien des niedern Adels, z. B. die Grafen von Schönborn, das Nobilitationsrecht auf Grund eines kaiserlichen Privilegiums, des Palatinats oder der Komitive (s. Pfalzgraf).

Gegenwärtig steht das Recht, den A. zu verleihen, jedem souveränen Fürsten zu; doch bedarf der Untertan der Genehmigung seines Landesherrn, um den ihm von einem fremden Herrscher verliehenen A. führen zu können. In Bayern, Württemberg und Österreich werden nur die immatrikulierten Geschlechter (s. Adelsmatrikel) als adlig anerkannt. Der A. wird bald als ein auf die ehelichen Nachkommen übergehendes Recht erteilt (Geburts- oder Erbadel), bald nur an die Person des Beliehenen geknüpft (Personenadel). An diesen letzten schließt sich der Verdienstadel an, d.h. ein Individual- oder persönlicher A., der von selbst mit einer Würde oder einem Amte verknüpft ist. Zur Zeit des alten Deutschen Reiches hatten die Bischöfe und Erzbischöfe einen solchen persönlichen und zwar hohen A., während die Würde eines Doktors der Rechte die meisten Rechte des niedern Adels gab. Das Reichskammergericht in Wetzlar behauptete einen Anspruch auf den erblichen A. für jeden nichtadligen Inhaber einer Kammergerichts-Beisitzerstelle. Auch gegenwärtig kommt in einzelnen deutschen Staaten ein niederer Verdienstadel vor, z. B. in Österreich bei langgedienten Offizieren. In Bayern gewährt der Besitz des Militär-Max Joseph-Ordens und des Zivilverdienstordens der bayrischen Krone und in Württemberg die Verleihung des Kronenordens den persönlichen A., und in Preußen pflegt den bürgerlichen Rittern des Schwarzen Adlerordens ein Adelsdiplom verliehen zu werden. Eine andre Art, den A. zu erwerben, ist die Verjährung. Zu dem Verjährungsadel zählen solche Familien, die nach einem unvordenklichen (ca. 100jährigen) unbestrittenen, wenn auch unberechtigten Gebrauch des Adelsprädikats die Adelsqualität erlangt haben.

Stellung des Adels im Auslande.

In Frankreich trat der Unterschied zwischen hohem und niederm A. nicht so scharf hervor wie in Deutschland; doch rechnete man die Princes, Ducs, Marquis, auch einige Comtes und Vicomtes zum hohen, die übrigen Edelleute zum niedern A. Zum niedern A. gehörte auch die sogen. noblesse de la robe (die Mitglieder der hohen Gerichtshöfe und Parlamente). Die Revolution hob den Erbadel 1790 auf; Napoleon I. führte ihn 1806 und 1808 wieder ein; nach der Februarrevolution sprach die provisorische Regierung durch Dekret vom 29. Febr. 1848 die Abschaffung aller frühern Adelstitel aus. Seitdem ist der A. nicht förmlich restituiert worden. Vgl. de Mailhol, Dictionnaire historique et héraldique de la noblesse française (Par. 1395–97, 2 Bde.).

In Italien bildete sich der A. ähnlich wie in Deutschland aus. Der A. geht nebst dem ungeteilten Pairiegut nur auf den ältesten Sohn über. Es gibt dort eine Menge kleiner Parzellen, deren Besitzer gewöhnlich den Titel Conte (Graf) oder Marchese (Marquis) führen. Größere Grundbesitzer sind im Neapolitanischen die Duchi und Principi. Im ehemaligen Kirchenstaat ist eine besondere Adelsklasse durch die Einverleibung von Geschlechtern in die Munizipalität entstanden. Außerdem wurde der A. dadurch erteilt, daß der Papst einem Besitztum den Rang[101] einer Baronie etc. beilegte oder einen nicht auf den Besitz, sondern die Familie gegründeten Adelstitel mittels Breve erteilte. Erworben wurde der A. mit Genehmigung des Landesherrn durch den Kauf eines Gutes, mit dem ein Titel verbunden ist. Mißbräuchlich wurde die Zahl der Conti durch die Vererbung des ehemals rein persönlichen Titels der Conti palatini sehr erweitert. Der persönliche A. war mit gewissen Ämtern und Würden verbunden, z. B. mit der Prälatur, den höhern Militärgraden, den obersten Stellen bei den Regierungsbehörden, mit der Ordensritterschaft. Ein Kardinal teilte seinem eignen Geschlecht den A. mit.

In Spanien gibt es hohen und niedern A. Jenen bilden die Granden (früher Ricos Hombres, d.h. reiche Leute), deren es drei Klassen gab, jede mit besondern Prärogativen, die aber unter der Herrschaft des Konstitutionalismus sämtlich beseitigt worden sind, und die sogen. Titulados (Betitelte), als Duques, Marqueses, Condes, Vicecondes und Barones, die alle mit Grundbesitz ausgestattet sein müssen, der Majorat (mayorazgo) ist. Der niedere A. besteht aus den Hidalgos (eigentlich Hijosdalgo, d.h. Söhne von etwas), deren Zahl sehr groß ist, da sich jeder für einen Hidalgo ausgeben darf, der kein bürgerliches Gewerbe treibt (vgl. Hidalgo). Nach der Restauration wurde 1875 das königliche Recht wiederhergestellt, Grandezas de España und Adelstitel zu verleihen. – Ähnlich sind die Adelsverhältnisse in Portugal, wo die Fidalgos die unterste Adelsklasse bilden.

In England wird die Gesamtheit des britischen hohen Adels, die Peerschaft, mit dem Namen Lords oder auch Barone bezeichnet, weil jeder, auch der Herzog, Lord oder Baron ist. Der Titel »Baron« kam mit den Normannen (1066) nach England und bezeichnete damals einen Kronvasallen. Der Titel Viscount (Vice-Comes) ist seit Heinrich VI. (1440) als Adelsbezeichnung gebräuchlich. Die Würde des Grafen (Earl) war ursprünglich an den Besitz eines gewissen Landstriches geknüpft; aber schon unter König Johann sind die Grafen nichts als die erste Klasse der Barone, ohne Grafenamt, ohne Grafschaft, wenn auch mit großem Grundbesitz. Seit mehreren Jahrhunderten wurden die Grafen durch Urkunden (letters patent) ernannt, indem die Krone den Titel von einem Landbesitz, Dorf oder Familiennamen hernahm. Der Name Markgraf (Marquess, Marchio) bezeichnete eigentlich einen Grafen, der an den Grenzen (von Schottland und Wales) befehligte; seit 1386 war er bloßer Ehrentitel. Marquisate wurden durch Urkunden erteilt. Die herzogliche Würde hat Eduard III. eingeführt, der 1337 seinen ältesten Sohn, den Schwarzen Prinzen, zum Duke (Herzog) von Cornwall ernannte. Als Rechte des hohen Adels sind hervorzuheben: Die Peers sind vom Arrest wegen Schulden frei und können im Zivilprozeß, z. B. wegen Nichterscheinens vor Gericht, nicht für gesetzlos erklärt werden. Die Durchsuchung und Verhaftung eines Peers ist nur beschränkt zulässig. Sie werden bei Kriminalverbrechen nur von Standesgleichen abgeurteilt, als Geschworne geben sie ihre Aussprüche (verdict) nicht auf Eid, sondern auf ihr Ehrenwort. Schmähungen gegen einen Peer werden besonders geahndet. Er ist als erblicher Rat des Königs befugt, vom König zum Vortrag Gehör zu verlangen. Er verliert seinen A. nur durch Verurteilung zum bürgerlichen Tod (attainder) oder Aussterben. Der Rang der einzelnen Peers derselben Klasse richtet sich in der Regel nach dem Alter. Der Erzbischof von Canterbury steht als Lord-Primas von ganz England an der Spitze der Peers. Das wichtigste Privilegium für alle Lords von England aber ist der erbliche Sitz im Oberhaus. Außer den erblichen Lords gibt es noch Lords durch gewisse Ämter; die Erzbischöfe und Bischöfe sind Lords ihrem geistlichen Amte nach und sitzen wie der Lord-Kanzler im Oberhaus. Auch die höchsten Richter, der erste Beamte mehrerer Städte u.a. führen den Titel Lord. Als niedern A. kann man die Gentry gelten lassen, wenigstens ihre erste Klasse, die Baronets, deren Standeswürde forterbt, während sie bei allen andern nur persönlich ist. Die Baronets setzen ihrem Namen das Wort Sir, das immer mit dem Taufnamen und häufig mit diesem allein, aber niemals mit dem Familiennamen allein verbunden wird, den Namen ihrer Frauen das Wort Lady vor und führen ein Wappen. Die Würde wurde von Jakob I. und Karl I. eingeführt und wird jetzt auch ausgezeichneten Gelehrten, Militärs etc. von der Krone verliehen. Nicht erblich ist die Würde der Knights oder Ritter. Die wahrscheinlich von Eduard I. geschaffene Würde des Knight Banneret, die nur auf dem Schlachtfelde verliehen wurde, stand der aller andern Knights voran; sie ist aber schon seit langer Zeit nicht mehr verliehen worden. Auch die Knights führen das Wort Sir vor dem Taufnamen und ihre Frauen den Titel Lady. Die nächste Würde, Esquire, gebührt heutzutage von Rechts wegen nur den Abkömmlingen adliger Familien, die ein Wappen führen, aber keinen Titel haben, ferner gewissen höhern Hofbeamten oder Offizieren vom Hauptmann aufwärts, den Doktoren der Rechte und der Medizin, den Mitgliedern der Royal Academy u.a.; faktisch führt diesen Titel aber jeder Gentleman (s. Esquire).

In Holland wie in Belgien gibt es zwar einen Adelstand, der sich in Grafen, Barone und Ritter teilt, der aber ohne politische Bedeutung ist.

In der Schweiz, wo zur Zeit der Befreiung von der österreichischen Herrschaft ein A. ganz in deutscher Weise bestand, gestaltete er sich später in ein Patriziat um, das, aus reichen Bürgerfamilien sich bildend, in einzelnen Kantonen eine aristokratische Regierungsform begründete, während in andern die demokratische Verfassung unangetastet blieb.

In Dänemark, wo jetzt kaum 200 Adelsgeschlechter leben, sind alle mit dem A. verbundenen Vorrechte durch das Grundgesetz vom 5. Juni 1849 aufgehoben worden.

In Schweden, wo die Zahl der Adelsgeschlechter noch etwa 800 beträgt, hat der A. durch die Einführung des Zweikammersystems (1866) den politischen Einfluß, den er bis dahin als einer der vier Stände des Ständereichstags ausübte, teilweise eingebüßt, dagegen durch bürgerliche Heiraten sowie rege Beteiligung an kommerziellen, bez. industriellen Unternehmungen neuerdings an Wohlstand beträchtlich zugenommen. Seit 1866 ist der jedes dritte Jahr (zuletzt 1902) zusammentretende »Adelstag«, der die Verwaltung adliger Stiftungen etc. zu beaufsichtigen hat, die gesetzmäßige Vertretung des Adels. In Norwegen ward die Abschaffung des Adels durch das Grundgesetz vom 4. Nov. 1814 vorbereitet und 1821 durch Storthingsbeschluß endgültig bekräftigt.

In Polen war der A. seinem Ursprunge nach reiner Kriegsadel. Daher bestand hier früher kein Unterschied zwischen hohem und niederm A. Fürsten- und Grafentitel waren von auswärtigen Dynastien verliehen und begründeten durchaus keine Vorrechte. Die Adligen heißen Szlachcicen.[102]

In Rußland war der A. ursprünglich an Grundbesitz geknüpft. Knjäse und Bojaren bildeten den hohen, die übrigen Adligen den niedern A. Peter d. Gr. beseitigte diesen alten A. durch Einführung von Rangklassen, wodurch alle Standesvorzüge lediglich mit kaiserlichen Dienstverhältnissen verbunden wurden. Die niedern Rangklassen geben nur persönlichen, die höhern erblichen A. Letzterer wird erworben durch Verleihung von seiten des Kaisers, durch Beförderung zum Offiziersrang im Militär- und zur achten Klasse im Zivildienst und durch Dekoration mit einem russischen Orden. Persönlichen A. haben sonstige Zivilbeamte von Offiziersrang.

In Ungarn unterschied man früher zwischen Magnaten und gewöhnlichem A. Während jene persönlich auf dem Reichstag erschienen, war dieser durch Abgeordnete vertreten. Ihre frühern Vorrechte sind jetzt im wesentlichen aufgehoben. Der titulierte A. ist in Ungarn sehr spät eingeführt worden (herczeg = Fürst, gróf, báró). Der neuernannte A. wurde häufig mit Lehnsgütern versehen, von denen er einen Zunamen erhielt; außerdem existiert noch ein geringerer Briefadel ohne Grundbesitz.

Sind nun auch nach dem Vorstehenden die Vorrechte des Adels allenthalben beschränkt und vermindert worden, so hat er doch auch noch heutzutage eine nicht geringe Bedeutung, die namentlich darauf beruht, daß ihm (in Deutschland freilich nur dem hohen A.) eine bevorzugte Stellung in der Volksvertretung eingeräumt ist, daß die höhern Hofchargen eine Prärogative des Adels sind, und daß er sich fast überall im Besitze der höchsten Staats- und Militärämter zu behaupten gewußt hat. Aber ebenso gewiß ist es, daß die Ausschließung der Bürgerlichen vom Hofdienst, von den höchsten Staatsämtern und von den höhern Offiziersstellen sowie die mit dem Geist und der Bildung unsrer Zeit nicht vereinbaren adligen Vorurteile die Hauptursachen einer gewissen Abneigung gegen den A. sind, die man zuweilen bei den übrigen Ständen findet, und die 1848 so scharf hervortrat, daß man fast überall auf eine gänzliche Aufhebung des Adels drang, die in den sogen. deutschen Grundrechten auch wirklich ausgesprochen wurde. Während die einen den A. als einen notwendigen Vermittler zwischen Fürst und Volk auch noch unsrer Zeit empfehlen, sprechen die andern das Gegenteil aus. Doch hai man neuerdings wiederholt auch in Deutschland das Fortbestehen des Adels als wünschenswert bezeichnet, weil ein durch Reichtum und angesehene Stellung von der Regierung unabhängiger Stand den politischen Interessen des Volkes besonders zu dienen berufen und befähigt sei, was freilich von einem bloßen Hof- und Dienstadel nicht zu erwarten steht.

Vgl. v. Strantz, Geschichte des deutschen Adels (2. Aufl., Waldenb. 1851, 3 Bde.); Liebe, Der Grund adel und die neuen Verfassungen (Braunschw. 1844); v. Maurer, Über das Wesen des ältesten Adels der deutschen Stämme (Münch. 1846); Gneist, A. und Ritterschaft in England (Berl. 1853); Heffter, Die Sonderrechte der souveränen und der mediatisierten Häuser in Deutschland (das. 1871); Grünhuts »Zeitschrift für Privat- und öffentliches Recht«, Bd. 5 u. 6 (Aufsätze von Mejer, Beseler und Gierke über den hohen A. und die Geschlechtsgenossenschaft); Rose, Der A. Deutschlands und seine Stellung im Deutschen Reich (Berl. 1883); G. Meyer, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts (5. Aufl., Leipz. 1892) und die Gothaischen »Genealogischen Taschenbücher«, darunter das »Taschenbuch der adligen Häuser« (seit 1900).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 99-103.
Lizenz:
Faksimiles:
99 | 100 | 101 | 102 | 103
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten

Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten

Anders als in seinen früheren, naturalistischen Stücken, widmet sich Schnitzler in seinem einsamen Weg dem sozialpsychologischen Problem menschlicher Kommunikation. Die Schicksale der Familie des Kunstprofessors Wegrat, des alten Malers Julian Fichtner und des sterbenskranken Dichters Stephan von Sala sind in Wien um 1900 tragisch miteinander verwoben und enden schließlich alle in der Einsamkeit.

70 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon