Kochkunst

[219] Kochkunst, die Kunst, Speisen und Getränke schmackhaft, leichtverdaulich und nahrhaft zu bereiten. Die zweckmäßige Zubereitung der Speisen erfordert in oft unterschätztem Grad eine Berücksichtigung des chemischen Verhaltens der Nahrungsmittel beim Kochen und eine Kenntnis der Bedeutung der einzelnen Nahrungsstoffe für den Ernährungsprozeß. Das ungleiche Verhalten des Fleisches beim Aufsetzen mit kaltem oder heißem Wasser, die Unbrauchbarkeit harten Wassers zum Kochen der Hülsenfrüchte sind naheliegende Beispiele. Die neuere Zeit sucht daher auch, die Chemie für die K. nutzbar zu machen, und dies erscheint um so notwendiger, als jetzt auch neue Präparate, wie Fleischextrakt, Gewürzextrakte etc., in die Küche eindringen, manche Chemikalien, wie doppeltkohlensaures Natron, Weinstein, Salizylsäure etc., häufiger benutzt werden und mannigfache Maschinen und Apparate (z. B. der Dampfkochtopf) die alten einfachen Geräte mehr und mehr verdrängen. Eine gute Küche befördert: 1) die Volkswirtschaft durch Sparsamkeit bei der Zubereitung der Speisen, indem die wahre Kunst darin besteht, mit möglichst geringen Mitteln möglichst viel zu erreichen; 2) die öffentliche Gesundheit, weil schlechte Küche den Magen verdirbt, während eine gute Zubereitung die Speisen gesünder und nahrhafter macht, und 3) den ästhetischen Sinn, den gesellschaftlichen Verkehr und die Gastfreundschaft. Vgl. die Artikel »Kost« und »Küche«.

Geschichtliches. Zahlreiche Funde von Kohle in den ältesten menschlichen Niederlassungen, in den Höhlen Deutschlands, Frankreichs und Englands, im Löß des Rheintales u. a. O. neben den Gebeinen der Hyänen und des Mammuts weisen darauf hin, daß der Mensch in ältester Vorzeit bereits das Feuer gekannt und für seine Zwecke verwendet hat, zu einer Zeit schon, wo er noch nicht einmal verstand, ein Tongeschirr anzufertigen, eine Kunst, die sich bis in die Renntierzeit hinein verfolgen läßt. Es ist demnach sicher anzunehmen, daß man damals schon Methoden besaß, ohne Geschirr zu kochen. Nach Herodot war es bei den Skythen gebräuchlich, die Tiere im eignen Balg zu kochen, während bei der »Steinkocherei« in eine dicht gemachte, mit Wasser gefüllte Grube glühende Steine geworfen werden, die das Wasser zum Kochen bringen (vgl. Glühsteine). Außerdem hat man wohl in vorgeschichtlicher Zeit häufig auf dem vom Feuer erhitzten Boden das Fleisch in der Asche geröstet oder, auf einen Stock gespießt, direkt über dem Feuer gebraten. Die Sitte, in Gruben zu kochen, hat sich auch nach Einführung der Tongefäße noch längere Zeit erhalten.

Die K. verbreitete sich im Altertum von den asiatischen Ländern über Chios und Sizilien, über Griechenland und später über Italien. Obwohl die Griechen im allgemeinen einer einfachen Lebensweise huldigten, so riß doch auch bei ihnen, vorzüglich in Athen, mit dem überhandnehmenden Luxus zugleich der Aufwand bei den Tafelfreuden ein, und wie sehr zu deren Befriedigung die K. selbst beitragen mußte, erhellt aus der ziemlich vollständigen Aufzählung der ausgewählten Gerichte und der mannigfachen Küchengeräte, die Athenäos in seinen »Deipnosophisten« geliefert hat, sowie aus dem Umstand, daß man in Prosa und Poesie die Gegenstände einer seinen Tafel und die Regeln der K. abhandelte, wie dies von Archestratos von Gela (494 v. Chr.), dessen Werk von Quintus Ennius ins Lateinische übersetzt wurde, und andern geschah. Noch höher wurde der Luxus in Rom getrieben. Während des zweiten Punischen Krieges gab es Köche, die in den Städten auf dem Markt öffentlich ausstanden und sich dingen ließen. Besonders berühmt waren die sizilischen Köche. Viele Freigelassene verdankten der K. ihr Glück, und während früher der Kochsklave den niedrigsten Rang eingenommen hatte, rückte er nach und nach in die erste Stelle vor. Seit der Bekanntschaft mit der asiatischen Üppigkeit nahm aber der Hang zu kostbaren und ausländischen Tafelgenüssen so überhand, daß man für nötig hielt, Gesetze zur Beschränkung der Schmausereien zu erlassen, die freilich ohne besondere Wirkung blieben. Die Verschwendung eines Lucullus und Hortensius ist sprichwörtlich geworden. In der Kaiserzeit, unter Augustus und Tiberius, gab es Schulen und Lehrer der K., an deren Spitze Apicius stand. Der Kaiser Vitellius soll einmal in einer einzigen großen Schüssel, die über eine Million Sesterzien kostete, das Gehirn von Fasanen und Pfauen, die Zungen von Flamingos, die Milz und Leber der kostbarsten Seefische haben auftragen lassen. Im Mittelalter waren die Leistungen der K. nicht sehr erheblich: das Hauptgewicht wurde nicht auf gute Zubereitung, sondern auf Masse und Nahrhaftigkeit gelegt. Außer den Erträgnissen der Jagd und des Fischfanges, Hülsenfrüchten, eingesalzenen Fischen, gepökeltem und geräuchertem Fleisch aß man in der Hauptsache Rindfleisch, frisches Fleisch wurde überhaupt nur bei besondern Gelegenheiten auf den Tisch gebracht. Selbst für die Herren im Gefolge der Fürsten galt es als Leckerbissen. Wir lesen z. B. über die Seltenheit des Genusses[219] von frischem Fleisch in England zu dieser Zeit, daß Anna Boleyn zum Frühstück ein Pfund Speck und eine Kanne Bier verzehrte und die Hofdamen der Königin Elisabeth zur gleichen Mahlzeit Pökelfleisch, Brot und Bier erhielten.

Die Wiege unsrer modernen K. ist Italien. Dieses Land nahm im 16. Jahrh. auch in der K., die man künstlerisch-wissenschaftlich betrieb, unbestritten die erste Stelle ein. Katharina von Medici, die Mutter Karls IX., führte diese Kunst in Frankreich ein. Aber erst unter Ludwig XIV. gelangte sie auf den Gipfel der Vollkommenheit, und von dieser Zeit an wurde Frankreich in Sachen der K. als maßgebend anerkannt. Die Regentschaft und die Regierungszeit Ludwigs XV. übten auf die Entwickelung der K. den günstigsten Einfluß aus, während unter Ludwig XVI., der in der Hauptsache mehr ein Vielesser als ein Feinschmecker war, Stillstand eintrat. Durch die Zubereitung, die Anwendung von Würzen aller Art und wohlschmeckender Saucen etc. wurden die Nebendinge zur Hauptsache, so daß Goethe in einem Briefe (1779) mit Recht tadeln konnte, daß die Köche bei den Speisen einen Hautgout von allerlei anbringen, darüber Fisch wie Fleisch und das Gesottene wie das Gebratene schmeckt. In Frankreich führte die Revolution einen ganz enormen Rückschlag herbei; erst unter dem ersten Kaiserreich war ein Wiederaufblühen der K. zu bemerken, aber unter ganz wesentlich veränderten Verhältnissen. Es wurde teilweise mit den alten Traditionen der Überfeinerung gebrochen. Namentlich die raffinierten Täuschungskünste, in denen sonst die französischen Köche exzellierten, gab man auf, und es gilt jetzt in der K. der Grundsatz: jedes Fleischgericht muß sein eignes, natürliches Aroma, jedes Gemüse seinen natürlichen Geschmack, seine natürliche Färbung haben.

An dieser Entwickelung der K. haben nicht nur Köche und Köchinnen gearbeitet; in frühern Zeiten nahmen die großen Herren selbst ebenso wie auch Dichter und Philosophen tätigen Anteil an der Förderung dieser Kunst. Richelieu, Mazarin, der Connétable Montmorency erfanden neue Gerichte, die heute noch deren Namen führen, und der Philosoph Montaigne (1533–92) schrieb ein Buch über die Wissenschaft des EssensScience de la gueule«). Papst Pius V. ließ durch seinen Leibkoch Bartolomeo Scappi ein Kochbuch des Papstes publizieren (Venedig 1570), und Ludwig XIII. legte besondern Wert auf seinen Ruhm als Verfertiger feinerer Konfitüren. Unter Ludwig XIV. erfand Condé die berühmte, nach ihm benannte Bohnensuppe und der Minister Colbert die vortreffliche Sauce Colbert. Ebenso führte der Haushofmeister des Königs, Herr v. Béchamel, Marquis von Nointal, die weitgehendsten Verbesserungen in der Zubereitung der Speisen, namentlich der Fische, ein, erfand die heute noch als unübertroffen geltende sauce à la Béchamel und das vol-au-vent, um schließlich die Summe seiner Erfahrungen unter dem Pseudonym Le Bas in dem Buch »Sur l'art du cuisinier« niederzulegen. Ein 1655 in Paris erschienenes Buch: »Le pâtissier Elzepries«, ist heute noch von praktischem Werl und wurde 1867 in einer Auktion mit 1050 Frank bezahlt. So hoch wurde damals der durch die Küche erworbene Ruhm gestellt, daß ein namhafter Mißerfolg den Leibkoch des Königs, Vatel, zum Selbstmord treiben konnte (1671). Auch in Deutschland erschienen zu dieser Zeit die ersten nennenswerten Werke über die K., z. B. 1643 in Hamburg der Jugendspiegel von Christ. Actatius Hagerius Francommont Missn. (»Über die Art zu essen«) und 1655 das »New köstliche und nützliche Kochbuch der Fraw Anna Wecker«; endlich in Nürnberg 1702 »Der aus Parnasse ehemals entlaufenen vortrefflichen Köchin Gemerkzettel, woraus zu erlernen, wie man 1928 Speisen wohlschmeckend zubereiten solle«. Unter Ludwig XV. förderte namentlich der Sieur de la Varenne, Küchenmeister des Marquis d'Uxelles, die Weiterentwickelung dieser Kunst durch sein epochemachendes Werk »L'école des ragoûts« (1730). Gleichzeitig erschien in Nürnberg »Die in ihrer Kunst vortrefflich geübte Köchin, oder auserlesenes und vollständig vermehrtes Nürnbergisches Kochbuch« (1734). Selbst Friedrich d. Gr. wendete der Prüfung und Korrektur der täglichen Speisezettel Aufmerksamkeit zu, und sein Koch Noël, genannt der Saucenkünstler, war eine einflußreiche Person. Montier, der Leibkoch Ludwigs XV., hatte, um sich in seiner Kunst zu vervollkommnen, Medizin und Chemie studiert. Der Prinz von Soubise hat durch die Hammelkoteletten mehr Ruhm erworben als durch seine Feldherrntaten; wer Truthahn à la Régence oder pains à la d'Orléans ißt, denkt milder über den Regenten, ebenso über die Frau, wer filets à la Pompadour genießt. Zur Regierungszeit Ludwigs XVI. glänzen als Sterne erster Größe am Firmament der Küche die Marschälle von Richelieu und Duras, der Herzog von Lavallière, der Marquis von Brancas und Graf Tessé. Kaum waren die Schrecken der Revolution vorüber, so begann in Frankreich die eigentliche Blütezeit der K.; sie wurde sogar eine politische Macht. Der Anfang des 19. Jahrh. brachte zunächst einen Dichter, Berchoux (geb. 1775 in Saint-Symphorien-de-Lay, war Friedensrichter, kam 1800 nach Paris, starb 1838 in Mareigny), der ein didaktisches Gedicht: »La Gastronomie«, in der Hauptsache eine Übersetzung der Hauptstücke des Werkes von Quintus Ennius (s. oben), herausgab. Es entstanden damals zwei sich scharf bekämpfende Richtungen, die klassische und die romantische Schule. Als Vertreter der erstern gilt Beauvilliers' »L'art du cuisinier« (1814, grundlegendes Werk), der letztern M. A. Carême (s. d.), der, wie auch Montmireil, als der historische Koch des Wiener Kongresses zu nennen ist. Der Herzog-Kanzler Cambacérès, von der Ansicht ausgehend, daß man zum großen Teil durch die Tafel regiere, und daß also ein Staatsmann, der keinen guten Tisch führe, überhaupt keine diplomatischen Erfolge erringen könne, beherrschte mit seinem Küchenchef Benaud einen Teil Europas. Auf gleichen Bahnen wandelte Talleyrand mit seiner berühmten Küchenbrigade (Véry etc.). Über den Parteien aber thronte als allseitig anerkannte Autorität Alexander Balthasar Laurent (s. Grimod de la Reynière). Diese gute Zeit hielt auch nach der Restauration an, denn Ludwig XVIII. war zugleich Feinschmecker und Vielesser (vgl. Bard, Le cuisinier royal, 1815). In Deutschland war man in dieser Zeit auch in bezug auf die Küche ganz unter französischer Herrschaft; selbst ein Kant gehörte zu den Gourmands und pflegte sich eingehend über das Essen und dessen Zubereitung zu unterhalten. Erst Königs »Geist der K.« (deutsche Ausg. von Rumohr, 1822; 2. Aufl., Stuttg. 1832) brachte den deutschen Namen auf diesem Gebiet wieder zu Ehren. Freilich wurde dieser bald wieder verdunkelt durch Brillat-Savarins weltberühmtes, bisher unerreichtes Buch »La physiologie du goût« (1825; deutsch von K. Vogt, 5. Aufl., Braunschw. 1888). Hiermit gelangte die Entwickelung der K. zu einem vorläufigen Abschluß. Die spätern Werke, unter denen die »Gastrosophie« des Barons Vaerst (Leipz. 1851)[220] und »Das Menü« von E. v. Malortie (3. Aufl., Hannov. 1887, 2 Bde.) besonders hervorzuheben sind, bauen sich in der Hauptsache auf den Resultaten der klassischen Periode auf. Ganz originell ist das »Grand dictionnaire de cuisine« von Alex. Dumas dem Ältern (Par. 1873). – Von Kochbüchern im eigentlichen Sinne des Wortes sind zu erwähnen: die von Rottenhöfer, Gouffé, Blüher, Henriette Davidis, Wilhelmine v. Sydow, Gräfin Münster (Lady Saint-Clair: »Dainty dishes«, deutsch: »Gute Küche«, 3. Aufl., Berl. 1877), Scheibler, Allestein, Gleim, Kurth, Straßer, Prato (süddeutsche Küche), Lößnitzer, Dubois und BernardLa cuisine classique«, 10. Aufl., Par. 1900, 2 Bde.; »La cuisine de tous les pays«, 5. Aufl.); das »Universallexikon der K.« (7. Aufl., Leipz. 1901, 2 Bde.); Escoffier, »Der Kochkunstführer. Handbuch der modernen Küche« (deutsche Ausg., Frankf. a. M. 1904); für die israelitische Küche Kochbücher von Hertz, Cleef, Kauders, Wolf u. a. Kochbücher für besondere Diät s. Diätetik, Vegetarier etc. Vgl. auch Naumann, Systematik der K. (3. Aufl., Dresd. 1900); Kudriaffsky, Die historische Küche (Wien 1878); Habs u. Rosner, Appetit-Lexikon (2. Aufl., Wien 1894); Eckardt, Wörterbuch der Küche und Tafel (das. 1886); Lößnitzer, Verdeutschungswörterbuch der Fachsprache der K. und Küche (2. Aufl., Berl. 1903); Mantegazza, Physiologie des Genusses (deutsch, das. 1891); Ofellus jun., Philosophie des Magens in Sprüchen aus alter und neuer Zeit (Leipz. 1886). Weiteres bei Artikel »Gastronomie«. Ein Verzeichnis der neuern Literatur gibt Malorties »Menü«, Bd. 1, S. 273 ff. Berühmte Sammlungen von Kochbüchern sind die von Th. Drexel in Frankfurt a. M. (1213 Nummern; Katalog von Georg, Hannov. 1888), Auguste Michel in Schiltigheim bei Straßburg i. E. Zeitschrift: »Kochkunst« (Frankf. a. M., seit 1899).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 219-221.
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