Altnordische Literatur

[372] Altnordische Literatur (Altnorwegisch-isländische Literatur), die Literatur der alten Norweger u. Isländer während des Mittelalters. Wenn auch die ihr angehörigen Denkmäler zum größeren Theil Isländer zum Verfasser haben, so ist doch zu beachten, daß die alte Literatur in Norwegen sehr ansehnliche Verluste erlitten hat u. daß sehr viele, besonders poetische Schriften, in Norwegen ihren Ursprung hatten u. erst in Island zur Aufzeichnung kamen. Auf Grund der nationalen Götter- u. Heldensage hatte sich in Norwegen bereits im 8. Jahrh. eine reiche epische Poesie entfaltet u. schon im 9. Jahrh. war hier die Kunst der Skalden zu hoher Ausbildung gediehen. Erst gegen Ende des 9. Jahrh. wurde Island entdeckt u. besiedelt, so daß das, was in Norwegen noch im Keim begriffen od. bereits gereist war, in die neue Heimath zur Weiterentwickelung od. Sicherung übergeführt werden konnte. Die Lieder u. Sagas erbten mündlich fort, bis man in der 2. Hälfte des 11. Jahrh. mit Einführung der lateinischen Schrift dieselben aufzuzeichnen begann. Dieser Zeitpunkt bildet den Anfang des Zeitraums von ungefähr 3 Jahrhunderten, welchen die A. L. umfaßt; das Ende fällt in das 14. Jahrhundert, als nach Untergang der politischen Freiheit Islands die literarische Thätigkeit nachließ. Es hat die letztere auf der Insel zwar nie ganz nachgelassen, doch hat dieselbe ein anderes Gepräge angenommen. A) In der Poesie zeigt sich ein ziemlich schroffer Gegensatz zwischen älterer einfacher u. späterer künstlicher Poesie: a) die Reste der ersteren liegen in der älteren Edda vor, die letztere wird durch die Skaldendichtung repräsentirt. Die Lieder der Edda (s.d.), in denen die gewaltige Kraft u. die kühne Größe der altheidnischen Zeit entgegentritt, gehören dem nationalen Epos, der altskandinavischen Götter- u. Heldensage an. In der Gestalt, wie sie in der Edda, durch Sämund den Weisen gesammelt, vorliegen, gehören sie zum größten Theil dem 8. Jahrh. an, wenn auch einige noch weiter hinauf reichen mögen. Die Völuspa u. Hindluliođ, welche Weissagungen über das Schicksal der Götter u. der Welt enthalten, ferner die Hymskviđa, Thrimskviđa u. das Harbardsliođ, welche von den Kämpfen Thors mit den Riesen berichten, gehören der Göttersage an; ebenso Vegtámskvida u. der Hrafnagaldr Odinn, welche von Odin u. Balder handeln. Der Heldensage gehören die Lieder von Völundr, von den beiden Helgen, sowie die Lieder von Sigurd, Brynhild u. Gudrun (zu denen im 11. Jahrhundert die Klage der Oddrun kam) aus dem Sagenkreis der Nibelungen, nebst den etwas jüngeren Liedern von Atli, dem Bruder Brynhilds (Atlamál u. Atlakviđa; vom Ort ihrer Abfassung im südlichen Norwegen grönländische Lieder genannt). Als das volksthümliche Epos, dem man noch das historische Biarkamâl wegen seiner Einfachheit anreihen kann, zu verklingen begann, bildete sich im 9. Jahrhundert b) die kunstmäßige Skaldenpoesie (s. Skalden) aus. Ihre Blüthe fällt in die Zeit von der Mitte bis zum Ende des 10. Jahrhunderts; bereits im 11. Jahrh. gerieth sie in Verfall, obwohl sie erst nach der Mitte des 13. Jahrh., als mit Hakon VI. die Begünstigung der Skalden als Hofdichter aufgehört hatte, gänzlich verstummte. Nur wenige ihrer Poesien sind vollständig aufgezeichnet worden; meistens hat man nur Bruchstücke, die in den prosaischen Erzählungen eingefügt sind. Es werden viele Namen von Skalden genannt, ein Verzeichniß gewährt das Skaldatal, welches sie nach den Königen, an deren Höfen sie lebten, ordnet. Sie nahmen ihren Stoff nur selten aus der Mythologie, wie die Reste zweier Skaldenlieder aus dem 9. u. 10. Jahrh., dem Höstlaung u. der Thorsdrapa (in der jüngeren Edda erhalten) bekunden; den Stoff bot ihnen die Geschichte, die Thaten der Fürsten u. Helden, die sie in ihren Drápas od. Lobliedern feierten. Die Mythologie wurde dann zur Einkleidung u. zum Schmuck verwendet. Mehrere Skalden werden noch in halbmythische Zeit gesetzt; die Reihe derselben beginnt man gewöhnlich mit Bragi, der noch vor Harald Harfagr gelebt haben soll. Das ihm zugeschriebene Krakumal od. die Lođbrokarkviđa, ein Gedicht auf den Tod Ragnar Lodbrok's, das zu den schönsten Resten der Skaldendichtung gehört, ist gegen den Ausgang des 10. Jahrh. zu setzen u. hat in späterer Zeit mehrfache Nachahmungen erfahren. In dem Anfang der historischen Zeit tritt das Skaldenthum schon ganz ausgebildet entgegen. Unter Harald Harfagr in der 2. Hälfte des 9. Jahrh. lebten u. A. Thiodolf von Hain, der Freund des Königs, u. Thorbjörn, sowie die Dichterin Jörunn. Der Glanzperiode gehören an: Eigill Skallagrimsson, der berühmteste aller isländischen Skalden unter Erich Blutaxt, dessen schönes Lobgedicht auf diesen König, Höfudlausn, vollständig erhalten ist; das Eiriksmal, von einem Unbekannten auf Erich Blutaxt (st. 950 od. 951) gedichtet; Eyvind, wegen der Macht seines Gesangs Skaldaspillr (d.i. Skaldenverderber) zubenannt der Verfasser des Hakonarmal auf den Fall Hakon's des Guten (st. 961) gedichtet. Die ganze Blüthe des Skaldenthums versammelte aber Hakon der Mächtige um sich. An seinem Hofe wirkten außer Eyvind noch Eilif Gudrunarson, der Isländer Einar Skalaglam, dessen Vellekla von Hakon mit einem goldenen Schild belohnt ward; Skapti Thoroddsson, Tindr Halkelsson u. A. Um dieselbe Zeit sangen auch die Isländer Halfred (st. um 1002) u. Gunnlaug Ormstunga (st. 1013). Mit Einführung des Christenthums sank die Dichtung allmählig, obgleich gerade Olaf der Heilige die Skalden hoch in Ehren hielt. Am berühmtesten an seinem Hofe war Thormod Kolbrunarskald u. neben diesem Ottar Sparti u. Sighvat Thordarson. Aus der Zeit Knut's ist Thorar Loftunga, aus der Magnus des Guten u. Harald's Hardradi (dieser war selbst Dichter) Arni Thordarson Jarlaskáld zu nennen. Etwas später lebte Markus Skeggjason (st. nach 1108), der eine Eiríksdrapa dichtete; von ihm od. dem Skalden Hallarstein rührt auch die Rekstefia, eine Drapa auf Olaf Tryggvason, her. Im 12. Jahrh. traten zwar noch viele Dichter auf, doch zeigen ihre Werke vom Sinken der Poesie. Am berühmtesten unter ihnen ist Einar Skulason (seit 1114 Hofdichter bei Sigurd), der Dichter der Olafs drapa hins helga. Im Anfang des 13. Jahrh. blühte einer der bedeutendsten Männer Islands Snorri Sturluson, welcher auch als Dichter in hohen Ehren stand. Seine beiden Neffen, Olaf Hvidaskald u. Sturla Thordarson der Weise (st. 1284), waren die letzten namhaften Skalden. Mit dem Untergange der Selbständigkeit Islands verfiel auch sehr bald die Literatur; der Einfluß, welchen mehr u. mehr die Priester u. Mönche gewonnen,[372] verwandelte auch die Poesie in eine vorherrschend c) geistliche. Namentlich scheint man viele Marienlieder gedichtet zu haben, deren noch viele übrig sind. Den größten Dichterruf erwarb sich in dieser Beziehung der Mönch Eystein Asgrimsson (st. 1361) mit seinem Hymnus Lilja auf die Dreieinigkeit u. Maria; noch lebte Loptr Guttormsson (st. 1432), der außer Marienliedern auch einen Hattalykill erotischen Inhalts dichtete. Die geistliche Dichtung dauerte auch nach der Reformation fort; die weltliche Dichtung aber wandte sich seit Ende des 14. Jahrh. fast ausschließlich d) der eigenthümlichen Dichtart der Rimur zu. Die Literatur der letzteren ist sehr reich, aber nur weniges aus ihr ist bis jetztgedruckt. In Verbindung mit dem altepischen Liede hatte sich bei den Isländern auch e) die gnomische Dichtung entwickelt. In die früheste Zeit sind das Hávamál (des Hohen, d.i. Odin's, Rede), das Fafnismál (im zweiten Sigurdsliede) u. das Rigsmál (über den Ursprung der Stände u. die Zaubersprüche der Runenlieder) zu setzen; auch das Getspeki (die Räthselweisheit Heidreks) ist viel älter als die Hervararsaga, in welcher es sich erhalten hat. Die Dichtungen Grougaldr u. das Solarljođ, welche Lebensregeln, jenes vom heidnischen, dieses vom christlichen Standpunkte aus enthalten, gehören in das 11. u. 12. Jahrh. Die eigenthümliche, ausschließlich gelehrte Richtung, welche die isländische Poesie durch die Skalden erhalten hatte, machte eine Anleitung zur Dichtkunst nothwendig, welche Snorri Sturluson im Anfange des 13. Jahrh. in der jüngeren Edda (s.d.) bot. f) Die Poetik der Isländer zeigt eine ziemlich hohe Entwickelung u. feste Durchbildung. Der äußeren Form nach unterscheidet man verschiedene Arten von Gedichten, die mit dem Gesammtnamen Kvaeđi zusammengefaßt werden. Für die alten volksthümlichen Lieder u. selbst noch für die älteren Skaldenlieder finden sich die Namen Kviđa, Mál. Ljóđ; der letztere kommt am seltensten vor, Kviđa gilt namentlich für die wirklich epischen Lieder. Diesen älteren Liedern (Fornkvaeđi) gegenüber stehen die späteren Ehrengedichte der Skalden (die Hrođr, Maerđ, Lof), deren man vorzüglich zwei Arten, die Flokkr (kürzere strophische Gedichte zum Lobe u. Danke, an Vornehme, selten an Könige gerichtet) u. Drápa (das eigentliche längere Ehrengedicht). Der Zaubergesang hieß Galđr, das Spottgedicht Niđ, das Klaglied Grátr, das Liebesgedicht Mansöngr; andere Bezeichnungen für kleinere Poesien sind Söng-, Visur, Stökur, Pula. Die Salmar (Psalmen) u. Rimur gehören der späteren Zeit an. Durchgehendes Gesetz in allen Dichtarten ist die Strophenabtheilung. Die regelmäßige Sprache besteht auch 8 Halbzeilen. Wie bei allen germanischen Völkern beruht auch in der isländischen Poesie der Versbau auf der Betonung; der Wechsel von Hebung u. Senkung gibt den Rhythmus. In der Regel kommen 2 Hebungen auf die Halbzeile, die Zahl der jeder Hebung folgenden Senkungen ist unbestimmt; der ersten Hebung kann ein Auftact (Málfylling) vorhergehen. Als sich ein anderes Element, der Reim, welcher ursprünglich nur zum Bande zwischen zwei Halbzeilen diente, in den Vordergrund drängte, gerieth die isländische Rhythmik bereits in Verfall. Der Reim ist dreierlei Art: Alliteration od. Stabreim (Aureim), die älteste Form; Assonanz (Sylbenreim, Mittelreim) u. Schlußreim (Endreim, Ausreim). Die Alliteration besteht darin, daß in jeder Langzeile gewöhnlich 3 höchstbetonte Sylben mit demselben Buchstaben (st, sk, sp gelten für einfach) beginnen; der dritte, der auf die erste Hebung der zweiten Halbzeile fällt, ist der Hauptstab (Höfuđstafr), die beiden anderen, auf beliebige Hebungen der ersten Halbzeile fallend, sind Nebenstaben od. Stützen (Studlar). Die Assonanz u. der Schlußreim werden beide Hending genannt; die erstere ist entweder voll od. halb, der letztere stumpf u. klingend. Die älteste Versart (nach dem Háttamal gibt es gegen 100 verschiedene) ist das Fornyrđalag, welches der älteren, bes. volksmäßigen Poesie eigen ist u. blos Alliteration zeigt. Die älteste u. üblichste Form desselben ist Starkađarlag, meist für die ruhigere epische Erzählung gewählt, während eine andere Art, Liođahattr, gern bei Reden gebraucht wird. Das Toglag, in welchem die Assononz, wenn auch noch ungeregelt, erscheint, bildet den Übergang zum Dróttkvaeđi, dem eigentlichen Vers der Skaldenpoesie, der in der Regel aus 6 gezählten Sylben besteht u. durch die Assonanzen festen Halt u. künstlichen Bau erhält. Die Stellung der letzteren in der Halbzeile, sowie das Verhältniß der beiden Halbzeilen zu einander, bedingt die verschiedenen Unterarten des Dróttkvaeđi. Ziemlich alt, aber zu Ehrengedichten nicht gebraucht u. mehr in volksmäßigen späteren Dichtungen verwendet, ist die dritte Hauptversart Rúnhenda, welche Alliteration u. Endreim hat, die zur Verbindung der beiden Halbzeilen dienen. Aus dieser entwickelte sich seit dem Reformationszeitalter die seitdem sehe beliebt u. volksthümlich gewordene Form der Rimur. In der Skaldenpoesie war eine große Freiheit in der Wortstellung erlaubt; ein anderes Hülfsmittel stand ihr in den zahlreichen Umschreibungen (z.B. Gumma Stjóri, d.i. der Menschen Steuerer, od. Skatna Dróttinn, d.i. der Krieger Herr, beider für Konung, König). Vgl. Olavsen, Om Nordens gamle Digtekonst, Kopenh. 1786); Rask, Die Verslehre der Isländer, deutsch von Mohnike, Berl. 1830. g) Das eigentliche Volkslied war sicherlich ebenfalls schon früh vorhanden, u. Spuren davon finden sich schon vor dem 13. Jahrh., doch scheint es sich erst später mit u. nach dem Verfall der Kunstpoesie reicher entfaltet zu haben. Von den erhaltenen Rimur gehen nur wenige über das 15. Jahrh. zurück. Dasselbe gilt auch von den norwegischen Volksliedern, die in der ältesten Gestalt, in der wir sie besitzen, dem 15. u. 16. Jahrh. angehören. Die norwegischen Volkslieder sind von Landstad (Norskke Folkkeviser, Christ. 1853) gesammelt worden; eine Sammlung u. Aufzeichnung der isländischen wird von der Isländischen Literaturgesellschaft betrieben. Hierher gehören auch die Volkslieder der Färöer (gesammelt von Lyngby, Randers 1822; von Hammershaimb, Kopenh. 1851–55, Hft. 1 - 2), auf denen ein isländischer Dialect gesprochen wird. B) Kein Volk Europas besitzt in seiner nationalen Sprache so frühzeitig eine reich entwickelte Prosa, als das entlegene Island; ebenso wenig kann eins der neueren europ. Völker zahlreichere u. ausführlichere, ja zum Theil zuverlässigere Quellen über a) seine Geschichte aufweisen. Letztere bilden die Saga's (Sögur), welche durch eine Fülle alter Lieder unterstützt nicht nur von den [373] Helden der Vorzeit, sondern auch von den Thaten u. Leben der Zeitgenossen berichten. Es geschieht dies in einer gewissen Form, wie sie für die Überlieferung durch das Gedächtniß u. den mündlichen Vortrag passend war. Ihre schriftliche Aufzeichnung begann erst im 11. Jahrh. Als im Laufe des 12. Jahrh. der überlieferte Reichthum erschöpft war, begann man seit Anfang des 13. Sagas für den Zweck des Lesens zu schreiben u. zu verfassen, sowie ältere Aufzeichnungen zu sammeln, zu sichten u. zu redigiren. Die auf diese Weise angebahnte Geschichtschreibung der Isländer gelangte im 13. Jahrh. zur höchsten Blüthe. Nachher aber erlosch das Interesse wieder; die historischen Erinnerungen verblieben den Volksliedern, während man für die Unterhaltung erdichtete, meist aus fremden Sprachen entlehnte Erzählungen verfaßte, die jedoch gleichfalls den Namen Sagas führen. Vgl. Müller, Ursprung u. Verfall der isländischen Historiographie, Kopenh. 1813; Desselben, Sagabibliothek, ebd. 1817–20, 3 Bde.; Möbius, Über die isländischen Sagas, Lpz. 1853. Die Sagas theilen sich in Bezug auf ihre Glaubwürdigkeit in historische u. sagenhafte. Die letzteren entlehnen ihre. Stoffe theils der allgemeinen deutschen Heldensage, wie die Völsunga-Saga u. die Nornagest-Saga, theils der eigenthümlich nordischen, wie die schöne Frithjofs-Saga (deutsch von Mohnike, Strals. 1830) u. die Hervarar-Saga (Kopenh. 1785 u. 1847). Eine vollständige Sammlung dieser Klasse von Sagas führt den Titel: Fornaldar Sögur Norđrlanda (Kopenh. 1829f.; dän. von Rafn, ebd. 1829f.). Die historischen Sagas behandeln theils die Geschichte Norwegens u. Islands, theils die anderer nordischer Länder. Die Geschichte Norwegens vom 9.–13. Jahrh. beruht auf den Fornmanna-Sögur (Kopenh, 1828–37, 12 Bde., dazu lateinische u. dänische Übersetzung, jede in 12 Bdn.). Sehr zahlreich unter denselben sind die Königs-Sagas, z.B. die von Olaf dem Heiligen (herausgeg. von Keyser u. Unger, Christ. 1848; eine andere von Snorri Sturluson, herausgeg. von Munch u. Unger, ebd. 1853); auf Olaf Tryggvason (von Oddr, herausgeg von Munch, ebd. 1853), von Sverrir, von Hakon Hakonarson (verfaßt von Sturla Thordarson), die Fagrskinna (d.i. Schönleder, nach dem Einbande der Handschriften, Christ. 1847) etc. Die Sagas, die sich auf Island beziehen (gesammelt in den Islendinga Sögur, Kopenh. 1829f., 2 Bde.; neue Bearbeitung mit krit. Apparat, ebd. 1843–47, Bd. 1 u. 2) behandelte dieselbe theils im Allgemeinen, wie das Islendingabok u. ausführlichere Landnamabok von Ari dem Weisen (s.d.), dem ältesten Prosaisten der Isländer, theils in Familiengeschichten, wie die Vatnsdaelasaga (herausgeg. von Werlauff, Kopenh. 1812), die Eyrbyggia-Saga (herausgeg. von Thorkelin, ebd. 1787), die Laxdacia-Saga (ebd. 1827), die Sturlunga-Saga etc.; theils in Biographien einzelner hervorragender Persönlichkeiten, z.B. die Viga-Glums-Saga (der Abfassungszeit nach vielleicht die älteste isländische Saga), die Sagas von Kormak (Kopenh. 1832), von den Skalden Gunnlaug Ormstunga (ebd. 1775) u. Egil (ebd. 1809), die Nials-Saga (isländisch, ebd. 1772; lateinisch ebd. 1809). An letztere Gruppe lehnen sich die Biographien isländischer Bischöfe in meist legendarischer Form, wie von Paul Johnsson (st. 1211), Arni (st. 1298), Thorlak (st. 1193) etc. Die Sammlung der Biskupa Sogur (Kopenh. 1856, Bd. 1) beginnt mit der Kristni-Saga, welche die Geschichte der Einführung des Christenthums auf Island 981–1000 erzählt. Der Geschichte Dänemarks gehören die Knytlinga-Saga u. die Jomsvikkinga-Saga (herausgeg. von Hammarskiöld, Stockh. 1815), der Schwedens die Saga von Ingvar Viđsorla (herausgegeben von Brocmann, Stockh. 1762), der Rußlands die Eymunds-Saga (Kopenh. 1833) an. Die von Island aus bevölkerten Länder, wie die Orkneyinseln u. die Färöer haben ihre eigenen Sagas, die Orkneyinga-Saga (herausgeg. von Jonas Jonäus, Kopenh. 1786) u. die Faereyinga-Saga (herausgeg. von Rafn, Kopenh. 1832; deutsch von Rafn u. Mohnike, Kopenh. 1833). Eine große Anzahl solcher Sagas, sowie die Poesien der Skalden, dienten dem Snorri Sturluson (s.d.) als Quellen für seine Heimskringla, eine nordische Geschichte, die er in der ersten Hälfte des 13. Jahrh. zusammenstellte. Seit dem 13. Jahrh. wurden der isländischen Literatur auch viele romantische Sagen des übrigen, namentlich des südlichen Europa zugeführt, die Übersetzer waren meist Geistliche, die im Auslande studirt hatten; der größte Theil derselben entstand auf Veranlassung der norwegischen Könige des 13. Jahrh. So gibt es Sagas von der Magelone, Melusine, Percival, Karl dem Großen, von Jarlman u. Herman; ferner die Samsonar Saga fagra, Saga om Flores ok Blankiflor etc. Die Barlaams ok Josaphats Saga (herausgeg. von Unger, Christ. 1851) soll um 1200 vom Könige Hakon selbst bearbeitet sein. Im 13. Jahrh. entstanden die Breta Sögur (Bearbeitung des Werks von Gottfried von Monmouth), Merlin's Weissagungen, die Saga of Tristam ok Isoddi, sowie die Alexander-Saga (herausgeg. von Unger, Christ. 1848), eine Übersetzung der Alexandreïs des Gualter del Castillione. Am berühmtesten ist die Vilkina-Saga (herausgeg. von Unger, Christ. 1851), eine Zusammenhäufung deutscher Heldensagen. In Beziehung zu dem Sagenkreis des Dietrich von Bern steht die abenteuerliche Blomsturvalla-Saga (herausgeg. von Möbius, Lpz. 1856). Der Thätigkeit der Geistlichen verdankt die spätere Isländische Literatur auch die Einführung von mancherlei Legenden u. einzelner allgemeiner Weltchroniken. Von Wichtigkeit sind auch b) die Rechtsbücher der Isländer. Die ältesten Gesetze waren die des Ulsilot, der sie um 928 aus Norwegen auf die Insel brachte. Wenn auch von den Gesetzen manches in Runen aufgezeichnet gewesen sein mag, wurden sie doch in der Hauptsache im Gedächtnisse aufbewahrt, weshalb die genaue Gesetzeskunde in hohem Ansehen stand u. schon im 10. Jahrh. Gegenstand des Unterrichts war. Durch den Lagmann Bergthor Hrafnsson wurden die schon bedeutend modificirten Gesetze Ulfilot's 1117–18 wenigstens zum Theil aufgezeichnet, worauf dessen Nachfolger Gudmund Thorgeirsson 1123–35 eine Revision derselben unternahm. Das letztere Gesetzbuch, das den Namen Grâgâs (d.i. Graugans) erhielt (herausgeg. von Schlegel, Kopenh. 1830, 2 Bde.; isländisch u. dänisch von Finsen, ebd. 1850–56), blieb gültig, bis Island seine Selbständigkeit verlor (1261). Hierauf ließ der norwegische König Hakon Gamli durch Thorward Thorarsson u. Sturla Thordarsson ein neues Gesetzbuch ausarbeiten, das Hákonarbók,[374] das aber wegen seiner Strenge vom Volke den Namen Járnsíđa (d.i. Eisenseite) erhielt (isländisch u. lateinisch von Sveinbjörnsson, Kopenh. 1847) u. im Auftrag des Königs Magnus 1281 von Jon Einarsson umgearbeitet wurde. Letzteres Gesetzbuch führt nach dem Bearbeiter den Namen Jónsbók. Das erste Kirchenrecht (Kristinrettr) ward un; 1123 unter Sämund's Mitwirkung von den Bischöfen Ketil u. Thorlak abgefaßt (herausgeg. von Thorkelin, Kopenh. 1776); es blieb in Kraft, bis unter König Magnus 1275 ein neues, vom Bischof Arni Thorlakson verfaßtes (herausgeg. von Thorkelin, Kopenh. 1777) an seine Stelle trat. Eine Sammlung aller isländischen Gesetze, soweit sie noch Geltung haben, wurde von O. Stephensen u. I. Sigurdsson (Lagasafn handi Islandi, Kopenh. 1853–56, 6 Bde.) begonnen. In Norwegen nahm König Magnus Lagbötir (d.i. der Gesetzverbesserer) 1267 in sein Gula- thingslang (Kopenh. 1817) die alten Rechte, deren ältestes aus dem 10. Jahrh. von Hakon dem Guten stammte, auf, wie er denn auch in der Hirdskra Satzungen über das Verhältniß der Hofmänner zum Könige zusammenstellte. Sämmtliche altnorwegischen Gesetze wurden in der Sammlung Norges gamle Love, Christ. 1846–49, 3 Bde.) herausgegeben. Obgleich auch andere Wissenschaften bei den Isländern Pflege fanden, so haben sie doch auf diesem Gebiete keine bedeutenden literarischen Denkmäler hinterlassen. Merkwürdig sind c) die Rimbegia (herausgeg. von Stephan Björnson, Kopenh. 1780), eine Sammlung über kirchliche Zeitrechnung, von allerlei Geographischem, Astronomischem, sowie von Annalen, u. Konungskuggsjá, d.i. Königsspiegel (herausgeg. von Halfdan Einersen, Soröe 1768; von Munch, Keyser u. Unger, Christ. 1848), in der Hauptsache Lebensregeln für den höfischen Umgang u. den König selbst enthaltend. Bemerkenswerth ist noch Stjórn, eine Paraphrase der historischen Bücher des A. T. aus dem Anfang des 14. Jahrh. (herausgeg. von Unger, Christ. 1853–56, 3 Hfte). d) Das Studium der altnordischen Literatur fand seine erste Pflege im 17. Jahrh. bei den Isländern selbst, die aber bald an den Dänen, später auch an den Schweden thätige Mitarbeiter fanden. Während jedoch in Schweden, nachdem hier Peringskjöld, Varelius, Reenhjelm u. A. Beachtenswerthes geleistet, diese Studien seit Anfang des 18. Jahrh. in den Hintergrund getreten sind, arbeiteten in Dänemark Gelehrte, wie O. Worm, Bartholin, Rask, P. E. Müller, Thorlacius, Werlauff, Rafn in Verein mit Isländern, wie Arne Magnussen, Torfäus, Olavsen, Finn Magnusen, Sveinbjörn Egilsson, Sigurdson, Gislason bis auf die Gegenwart herab mit entschiedenstem Erfolg. Mittelpunkt der altnordischen Studien ist Kopenhagen, wo sich reiche Handschriftensammlungen befinden u. für nordische Alterthumswissenschaft, namentlich für Herausgabe altnordischer Bücher, gegenwärtig vier Gesellschaften wirken. Diese sind: die Arna-Magnäanische Commission, gestiftet 1772; die Isländische Literaturgesellschaft, seit 1816; die Königliche Gesellschaft der Alterthumswissenschaft, gestiftet 1825; Det nordlsike Literatursamfund, gestiftet 1847. Die Aufmerksamkeit des letzteren Vereins ist namentlich auf die Herstellung billiger, mit Übersetzungen u. Erklärungen versehener Ausgaben gerichtet. Seit etwa einem Decennium haben sich auch die Norweger die Bearbeitung ihrer alten einheimischen Literatur in hohem Grade angelegen sein lassen; vor Allem ist hier Munch u. neben ihm Keyser, Unger u. Lange zu nennen. In Deutschland ward zwar schon um die Mitte des 18. Jahrh. auf Veranlassung der erwachten Liebe für das Volksthümliche in der Poesie der Blick auch auf die verwandte Literatur der alten Skandinavier gelenkt, doch gelangte man zu keinem gründlichen Studium derselben. So verdienstlich auch für ihre Zeit die Arbeiten von Schlözer u. Rühs, bes. aber von Gräter waren, so ermangelten doch dieselben mehr od- weniger eines festen Grundes. Erst seitdem durch Jak. Grimm die Wissenschaft der germanischen Sprachforschung geschaffen worden ist, haben Gelehrte, wie die Gebrüder Grimm, Lachmann, Mohnike, Wachter, Dietrich, Weinhold, Möbius die altnordische Sprache u. Literatur in den Kreis der german. Philologie gezogen. Die übrigen Völker Europas haben nichts von Erheblichkeit geleistet. Vgl. Halfdan Einar, Sciagraphia historiae litteraiae islandicae, Kopenh. 1777; Köppen, Literarische Einleitung in die nordische Mythologie, Berl. 1837; Dietrich, Altnordisches Lesebuch (Lpz. 1843, mit kurzer Literaturgeschichte); Möbius, Catalogus librorum islandicorum et norvegicorum. Lpz. 1856.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 1. Altenburg 1857, S. 372-375.
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