[560] Gymnasium (griech.), bei den alten Griechen der Ort (gymnásion), an dem die gymnastischen Übungen stattfanden (s. Gymnastik): Turnplatz und Turnhalle; heute: höhere Lehranstalt, in der die alten klassischen Sprachen gelehrt und Schüler für die Universität vorgebildet werden. Die Gymnasien der alten Griechen, lustige und schattige Plätze mit Vorrichtungen für Spiel, Lauf, Ringkampf etc., später meist auch mit Säulenhallen, Bädern und Räumen für gelehrte Unterhaltung (exedrae), hatten ihr Urbild in dem Dromos zu Sparta, fanden aber ihre höchste Ausbildung nach den Perserkriegen in Athen, wo damals drei große Gymnasien: Akademie, Lykeion und Kynosarges, bestanden. Sie waren Lieblingsaufenthalt und Bildungsstätte der Jünglinge (Epheben), die Ringschule (Palästra) wie Leitung der Pädagogen und Pädotriben (Turnlehrer) bereits hinter sich hatten und hier von Gymnasten unter Leitung eines Gymnasiarchen und Oberaufsicht des Sophronisten (Sittenmeisters) unterwiesen wurden. Die Gymnasien verbreiteten sich mit der griechischen Bildung in den Mittelmeerländern und galten als deren charakteristisches Merkmal. In Rom fanden sie keinen ebenso[560] allgemeinen Eingang. Altrömisch gesinnte Kreise nahmen Anstoß an der Nacktheit der Jünglinge und an der Roheit einzelner Übungen, besonders am Ringkampf und dem dabei unvermeidlichen Wälzen im Staube. Dennoch hielten reiche Leute bei ihren Stadtpalästen und ländlichen Villen mehr und mehr auch Gymnasien, und die Kaiser verbanden derartige Anstalten, besonders seit Nero, mit ihren großartigen Bädern (Thermen), in denen öffentliche Vorträge mit künstlerischen Darbietungen aller Art und gymnastischen Schaustücken wechselten. Von dem regsamen, auch geistigen Treiben, das sich in den griechischen Gymnasien neben dem Turnwesen entwickelte, gibt die Wirksamkeit des Sokrates, wie sie Platon und Xenophon schildern, und ebenso Lukian im »Anacharsis« lebendige Anschauung. Platon lehrte in der Akademie, Aristoteles im Lykeion, Antisthenes (Kyniker) im Kynosarges.
Hieran anknüpfend, nannten besonders die Humanisten des 15. und 16. Jahrh. ihre in erster Reihe der Pflege der alten Sprachen gewidmeten Schulen gern Gymnasien; diese Bezeichnung der gelehrten Schulen verdrängte allmählich in Deutschland die gleichbedeutenden Namen, die nun den bestimmtern Begriff von halbakademischen Anstalten (Lyzeum), von Anstalten mit Kosthäusern (Pädagogium, paidagogeion, im 16. Jahrh. meist Vorschule an einer Universität) oder von Bildungsstätten für Lehrer (Seminarium) annahmen, während die Bezeichnung lateinische oder gelehrte Schulen fast ganz abkam. Maßgebend zunächst für Preußen wurde der Erlaß des Ministers v. Schuckmann vom 12. Nov. 1812, der für alle unmittelbar zur Universität entlassenden Schulen die Bezeichnung G. amtlich einführte. Im Ausland ist diese minder gebräuchlich. Bei den romanischen Völkern bürgerte sich der mittelalterliche Name Kollegium (span. Colegio, ital. Collegio, franz. Collège etc.) durch die Schulsprache der Jesuiten ein; doch heißen in Frankreich die vollstängigen staatlichen Gymnasien Lycées, in Belgien Athénées; in Großbritannien findet sich neben der allgemeinern Benennung Grammar Schools (High Schools) oder Public Schools ebenfalls der Name Colleges, der aber hier wie besonders in Nordamerika auch einzelne Universitäten oder Universitätsinstitute und -Stiftungen bezeichnet.
Die Gymnasien der Humanisten waren nur selten ganz neue Anstalten; die meisten entstanden durch Umbildung aus Dom- und Klosterschulen oder aus städtischen lateinischen Parochial- und Ratsschulen, den Heimstätten der sieben freien Künste. Manche ihrer ersten Leiter (wie Alexander Hegius, gest. 1498; s. d.) gingen aus dem Kreise der niederländischen Hieronymianer oder Brüder des gemeinsamen Lebens hervor. Man kehrte zu den bessern lateinischen Schriftstellern des goldenen Zeitalters zurück, namentlich zu Cicero, und erstrebte klassische Reinheit der Latinität in Wort und Schrift; das Griechische, diesseit der Alpen bis dahin beinahe unbekannt, und bald auch die Anfangsgründe des Hebräischen wurden, jenes durch Hegius, dieses besonders durch Reuchlin, eingeführt; auch tu der sachlichen Bildung galten die Alten damals noch unangefochten als Meister. An der Spitze der Bewegung standen bald nach 1500 Johannes Reuchlin (14551522) aus Pforzheim und Desiderius Erasmus (Geert Geerts, 14661536) aus Rotterdam (s. beide). Zur vollen Kraft gelangte jedoch der Umschwung im gelehrten Schulwesen erst durch den Anschluß der jüngern Humanisten an die Reformation. Luthers erklärte Wertschätzung der Sprachen als der Scheide, in der das Schwert des Geistes steckt (Brief an die Ratsherren deutscher Städte, 1524), und des Pommern Johann Bugenhagen (s. d.) ordnende Tätigkeit in einer Reihe vornehmer norddeutscher Städte waren hierbei von wesentlichem Einfluß. Vor allem aber gab beider Freund Philipp Melanchthon schon von seinem Jünglingsalter an als praeceptor Germaniae den deutschen Gymnasien Gesetze und drückte ihnen für Menschenalter durch seinen Schulplan von 1528 (im Visitationsbüchlein) und eine Anzahl Lehrbücher seines Geistes Stempel auf. Unter seinen Freunden und Schülern, den praktischen Schulmännern Joachim Camerarius (150074) in Nürnberg und Leipzig, Valentin Friedland von Trotzendorf (14901556) in Goldberg und Liegnitz, Johannes Sturm (150789) in Straßburg, Michael Neander (152595) in Ilfeld, Hieronymus Wolf (151680) in Nürnberg, Mühlhausen, Augsburg u. a., stand das deutsche humanistische G. bis über die Mitte des 16. Jahrh. hinaus in Blüte, deren volle Entfaltung jedoch die Verworrenheit der politischen Lage Deutschlands und die Engherzigkeit des theologischen Parteitreibens hinderte. Aneignung der altklassischen Bildung nach Inhalt und Form und im Dienste des christlichen, meist des reformatorisch-evangelischen Geistes (docta atque eloquens pietas) war das Ideal der Schulmänner und Gelehrten. Aber schon wenige Jahrzehnte später war das Vertrauen zu dem einseitig gelehrten G. erschüttert. Der strenge Ausschluß der Muttersprache von der Jugendbildung und die Beschränkung auf das Wissensgebiet der Alten wirkten drückend, je mehr die Keime eigner neuer wissenschaftlicher Forschung erstarkten. Während im humanistischen Kreise selbst das vordem so frische Leben erstarrte, erhob sich, durch ausländische Einflüsse gestärkt (Rabelais, Montaigne, Bacon), bald nach 1600 lebhafter Widerspruch gegen den Verbalismus. Die neue Richtung des pädagogischen Realismus trat auf den Schauplatz. Sie fand begabte Wortführer in Wolfgang Ratichius (Ratke, 15711635) und Joh. Amos Comenius (15911671). Aber beide waren glücklicher in der Kritik und in der Aufstellung einiger wichtiger pädagogischer Grundsätze (Ausgehen von der Anschauung, Pflege der Muttersprache, naturgemäßer, methodischer Fortschritt etc.) als in der praktischen Ausführung ihrer Ansichten. Die Grundform des humanistischen Gymnasiums blieb bestehen, wenn auch allmählich eine bescheidene Pflege des Deutschen, hier und da das Französische und mancherlei Realistisches eindrangen und dafür das Griechische zurücktrat.
Als Abart des humanistischen Gymnasiums darf das Kollegium der Jesuiten bezeichnet werden, indem sich deren »Ratio atque institutio studiorum« (1599) in wesentlichen Grundzügen an die Schulordnung von J. Sturm in Straßburg anschloß. Schon die Namen der sechs Klassen ihrer studia inferiora, d. h. des Gymnasiums, zeigen diese Art an; sie heißen, von unten begonnen: Principia, Rudimentum, Grammatica, Syntaxis, Poetica oder Humanitas, Rhetorica und sind mit Ausnahme der zweijährigen Rhetorik auf je ein Jahr berechnet. Auch bei den Jesuiten tritt das Griechische hinter dem Lateinischen zurück, und die »Erudition«, das Wissen von der äußern Welt, beschränkt sich der Hauptsache nach auf eine nach dem kirchlichen Zweck der Gesellschaft getroffene, begrenzte Auswahl aus Geschichte, Staatsleben und Wissenschaft des Altertums. Auch die Vorliebe[561] für Schulkomödien teilten die Jesuiten mit den Humanisten. Nur wurden nicht mehr Stücke von Terenz, Gespräche Lukians oder deren Bearbeitungen, sondern zumeist religiöse und moralische Allegorien etc. aufgeführt.
Als eigentümliche Mischform zwischen Schule und Universität sind hier noch die besonders im 17. Jahrh. aufkommenden akademischen Gymnasien (Gymnasia illustria od. dgl.) zu nennen. Kleinere Territorialherren oder Freie Städte (Straßburg, Nürnberg, Bremen, Hamburg etc.) suchten durch solche Anstalten ihren Landeskindern den Besuch auswärtiger Akademien zu ersparen oder wenigstens zu verkürzen und die Jugend der Nachbargebiete anzulocken. Zu dauernder Blüte hat es indes keine dieser Anstalten gebracht. Einige wurden später wirkliche Universitäten (Straßburg, Altdorf, Herbore etc.), die meisten sanken auf die Stufe einfacher G. oder Stadtschulen zurück.
Neues Leben kam dem protestantischen G. aus dem nach dem großen Krieg erwachenden Streben der Wiedererhebung und besonders der tiefern religiösen Erregung des pietistischen Kreises, dessen Häupter, Ph. J. Spener und besonders A. H. Francke, warme Freunde der Schule waren. Da auf der einen Seite die alten Sprachen der höhern Berufsstudien wegen unentbehrlich blieben, auf der andern Seite der Pietismus, hierin zusammentreffend mit Leibniz, Thomasius u. a., das wirkliche Leben und seine Ansprüche gegenüber der kühlen Gelehrsamkeit begünstigte, erwachte zuerst in diesem Kreis klareres Bewußtsein von der Berechtigung einer zwiefachen höhern Jugendbildung, der humanistischen, auf die alten Sprachen begründeten für diejenigen, die sich einer gelehrten Laufbahn widmen wollen, und der realistischen für Adel und Bürgerstand, deren Lebensaufgabe mehr unmittelbar im Leben der Gegenwart liegt. Man errichtete an den Gymnasien Bürgerklassen für die, welche »unlateinisch« oder wenigstens »ungriechisch« bleiben, d. h. nicht studieren wollten, und bald auch gesonderte Realschulen, wie die von Chr. Semler in Halle (gest. 1740) und von J. J. Hecker (170768, s. d.) in Berlin. Einem ähnlichen Bedürfnis für die adlige Jugend sollten die nach einzelnen ältern Mustern in jener Zeit aufkommenden Ritterakademien abhelfen. Bei aller Verschiedenheit der Realschulen und der Ritterakademien standen beide doch als moderne Bildungsanstalten dem altklassischen G. gegenüber. Übrigens sind die wenigen bis heute erhaltenen Ritterakademien später dem G. wieder angenähert oder, wie in Preußen, geradezu Gymnasien geworden.
Mit der Entstehung besonderer Realschulen (s. d.) war vom G. die Gefahr einer Entfernung von dem im 16. Jahrh. gelegten Grund abgewendet. Aber schon war ein gewisser Abfall von den Grundsätzen des Humanismus eingetreten, das Griechische sehr zurückgedrängt, oft ganz auf den Urtext des Neuen Testaments, und selbst im Lateinischen die klassische Lektüre vielfach zugunsten moderner Kompendien oder theologischer Lehr- und Bekenntnisschriften eingeschränkt. Gründliche, aber maßvolle Reform geschah dem gegenüber besonders durch den Vorgang J. M. Gesners (gest. 1761), der das Griechische wieder zu Ehren brachte, aber daneben auch dem Deutschen warme Liebe entgegentrug und die Bedürfnisse solcher Schüler würdigte, die nicht der gelehrten Laufbahn folgen wollten, sowie seiner Nachfolger in Leipzig (J. A. Ernesti, gest. 1781) und Göttingen (Chr. G. Heyne, gest. 1812). Sehr zugute kam dem deutschen G. die tiefere Erfassung des klassischen Altertums durch J. J. Winckelmann, Lessing, Goethe, Schiller und besonders Herders kulturhistorische Universalität und Humanität. Dagegen blieb es dem philanthropisch-utilitarischen Zeitgeiste des ausgehenden 18. Jahrh. gegenüber spröde und hat selbst dem bleibenden Guten, das aus dieser Bewegung Pestalozzi und seine Jünger entwickelten, nur zögernd sich erschlossen. Richtige Wertschätzung der körperlichen Erziehung, umfangreichere Berücksichtigung auch der Realien, Ausgehen von Anschauung und Erfahrung, freundlicheres Eingehen auf das Leben und Empfinden der Jugend hat man allmählich doch auch am G. den Philanthropen, methodisches Ausgehen von der Anschauung und vom konkreten Leben Pestalozzi und demnächst Herbart und seiner Schule abgelernt. Dagegen verschärfte anderseits F. A. Wolf durch die selbständige Gestaltung und Vertiefung der klassischen Philologie und die damit verbundene Lösung des höhern Lehrerstandes vom theologischen Studium und Beruf den Gegensatz zwischen Humanismus und Realismus, G. und Realschule, der das 19. Jahrh. erfüllte und in seinen Ausläufern noch überdauert. Der Versuch, G. und Realschule wieder zu verschmelzen zur höhern Einheitsschule (s. d.), mußte scheitern. Zunehmenden, aber bis jetzt immer noch bescheidenen Erfolg hatte dagegen im letzten Jahrzehnt das Programm der sogen. Reformschulen (s. d.), gemäß dem G. und den Realanstalten als gleichberechtigte Aste aus einem gemeinsamen Stamme hervorwachsen, was naturgemäß nur durch den Beginn mit einer beiden gemeinsamen, d. h. neuern, Fremdsprache (Französisch) und Versparung von Latein und Griechisch auf Mittel- und Oberklassen zu erkaufen ist. Das alte G. und seine unbedingten Vorkämpfer (Deutscher Gymnasialverein seit 1890) mußten sich das Anerkenntnis voller Gleichberechtigung dieser Reformgymnasien und wesentlicher Gleichberechtigung für das Universitätsstudium auch der realistischen Vollanstalten (Realgymnasien, Oberrealschulen) noch eben vor Ablauf des 19. Jahrh. gefallen lassen. Ob damit dem G. zugunsten der Realanstalten erheblicher Abbruch geschehen wird, kann erst die Zukunft lehren. Bisher scheint es nicht so. Die vorwiegende Wertschätzung gerade des gymnasialen Bildungsganges für die leitenden Berufsstände der Nation wurzelt doch tiefer als in dem (nunmehr kaum noch nennenswerten) Vorzuge betreffs der sogen. Berechtigungen für künftige Staatsprüfungen oder in geselliger Gewohnheit und Tradition.
Nach dieser allgemeinen Übersicht nur noch wenige einzelne Data aus der neuern Geschichte des Gymnasiums in Deutschland und Österreich.
Während die Gymnasien der katholischen Gebiete im 18. Jahrh. vorwiegend den Typus der Jesuitenkollegien aufwiesen, waltete im evangelischen Deutschland neben der wenig modernisierten humanistischen Lateinschule Kursachsens (Fürstenschulen, Thomasschule zu Leipzig etc.) und Württembergs (Klosterschulen, seit 1804: Seminare) besonders das in Preußen bevorzugte Hallesche System (sogen. Fachsystem) vor, bis die philanthropischen Ideen in den letzten Jahrzehnten vor 1800 mannigfache Versuche der Anpassung an die Ansprüche der Gegenwart herbeiführten. Mehr und mehr trat Preußen auch im höhern Schulwesen an die Spitze der Nation. Maßgebend dafür war besonders das Wirken des Ministers v. Zedlitz (bis 1787, gest. 1791). Der erste Anlauf zu strengerer Regelung der Verhältnisse an den preußischen Gymnasien geschah von dem soeben (1787) eingesetzten Oberschulkollegium durch Erlaß einer Instruktion[562] über die Prüfung der zur Universität übergehenden Schüler (Reife- oder Maturitätsprüfung) vom 23. Dez. 1788. An ihre Stelle trat 25. Juni 1812 eine neue Instruktion und, nachdem 1832 eine entsprechende Instruktion für höhere Bürger- und Realschulen erschienen war, 4. Juni 1834 ein neues Reglement, das mit einigen Änderungen vom 12. Jan. 1856 bis zum Erlaß der Prüfungsordnung vom 27. Moi 1382 (vgl. Reifeprüfung) bestanden hat, die ihrerseits rascher der Ordnung der Reifeprüfung vom 6. Jan. 1892, wie diese der jetzt geltenden vom 27. Okt. 1901 hat weichen müssen. Eine den ganzen Betrieb der Gymnasien regelnde Unterrichtsverfassung ward seit 1810 von Süvern (s. d.) bearbeitet, dann von F. A. Wolf begutachtet und trat 1816 in Kraft. Sie stellte betreffs der alten Sprachen einseitig hohe Ansprüche, enthielt aber sonst viel Treffliches. So führte sie allgemein das Klassensystem ein und damit das Amt der Klassenlehrer oder Ordinarien, während bis dahin nach dem Halleschen Fachsystem derselbe Schüler bei den einzelnen Fachlehrern in verschiedenen Klassen sitzen konnte. Die Verfassung wurde 24. Okt. 1837 unter dem Eindruck des Lorinserschen Streites über die gesundheitsgefährlichen Einflüsse der Schulen abgelöst durch den »Normalplan«, der mit geringen Änderungen vom 7. Jan. 1856 bis zum 31. März 1882 gegolten hat. Durch den Normalplan von 1837 wurde das Turnen, seit 1820 verboten, wieder eingeführt. Inzwischen war auch für den Nachweis geeigneter Vorbildung der Gymnasiallehrer gesorgt. Die wissenschaftlichen Deputationen in Berlin, Königsberg und Breslau für diese Prüfungen waren schon 4. Dez. 1809 eingesetzt und das erste Reglement 12. Juli 1810 erlassen worden. An Stelle der genannten Deputationen traten 19. Dez. 1816 die mit jeder Universität verbundenen wissenschaftlichen Prüfungskommissionen, deren Tätigkeit eine besondere Prüfungsordnung (erneuert 12. Dez. 1866,5. Febr. 1889,12. Sept. 1898) regelt. Nach abgelegter Prüfung hat der angehende Gymnasiallehrer seit 1826 vor der Anstellung ein Probejahr durchzumachen, dem nach der »Ordnung der praktischen Ausbildung der Kandidaten des höhern Lehramtes« vom 15. März 1890 jetzt noch ein ausschließlich der praktisch pädagogischen Schulung gewidmetes Seminarjahr vorausgeht.
Seit 1837 besteht das preußische G. aus sechs aufsteigenden Klassen, deren drei untere einjährigen, drei obere zweijährigen Lehrgang haben. Die Klassen werden lateinisch benannt (von unten auf: Sexta, Quinta, Quarta, Tertia, Sekunda, Prima). Da jedoch die drei obern Klassen in je zwei Fahrgänge (Unter- und Obertertia etc.) gegliedert sind und für gewisse Unterrichtszweige die Trennung beider Jahrgänge sogar on allen Anstalten geboten ist, hat das G. eigentlich neun einjährige Klassen, die um so mehr einzeln gezählt werden sollten, da anderseits, auch amtlich, obere (I. und Ober II.), mittlere (Unter II., III.) und untere Klassen unterschieden werden und einer der praktisch wichtigsten Abschnitte des Gymnasialbesuchs, die Erlangung der wissenschaftlichen Reise für den einjährigfreiwilligen Heerdienst, mitten in die Sekunda fällt. Der Lehrplan der preußischen Gymnasien ist seit 1882 unter dem Eindruck lebhafter literarischer und parlamentarischer Debatten dreimal umgestaltet worden. 31. März 1882, 6. Jan. 1892,29. Mai 1901. Den beiden letzterlassenen Lehrplänen gingen Vorberatungen einberufener Vertrauensmänner aus verschiedenen Berufskreisen in Berlin voran: Dezemberkonferenz 1890, Junikonferenz 1900 Wesentliche Gleichberechtigung der realistischen Vollanstalten (Realgymnasien und Oberrealschulen; s. d.) mit dem G. begründete für Preußen der königliche Erlaß vom 26. Nov. 1900. Es folgen hier zunächst die Lehrpläne der preußischen Gymnasien noch deren Festsetzung in den Fahren 1856, 1882, 1892 u. 1901.
Hierzu kommen noch je 3 Stunden Turnen und für die befähigten Schüler 2 Stunden Gesang. Fakultativ findet auch in den höhern Klassen Zeichenunterricht statt in je 2 Stunden wöchentlich; desgleichen Hebräisch oder Englisch in 2 Stunden. Der Unterricht in Deutsch und Lateinisch soll in den drei untern Klassen tunlichst von demselben Lehrer erteilt werden.[563]
Dazu kommen: 1) als verbindlich je 3 Stunden Turnen durch alle Klassen und je 2 Stunden Singen für die Schüler der Klassen VI und V. Einzelbefreiungen finden nur auf Grund ärztlicher Zeugnisse und in der Regel nur auf ein halbes Jahr statt. Die für Singen beanlagten Schüler von IV an aufwärts sind zur Teilnahme am Chorsingen verpflichtet; 2) als wahlfrei von Unter II ab je 2 Stunden Zeichnen; von Ober II ab je 2 Stunden Englisch und je 2 Stunden Hebräisch (Meldung verpflichtet für ein halbes Jahr). Für Schüler mit schlechter Handschrift in IV und III ist besonderer Schreibunterricht einzurichten. Abweichung vom vorstehenden Lehrplan ist dahingehend zulässig, daß in den drei obern Klassen (Ober II, Unter und Ober I) an Stelle des verbindlichen Unterrichts im Französischen solcher Unterricht im Englischen mit ie 3 Stunden tritt, Französisch aber wahlfreier Lehrgegenstand mit je 2 Stunden wird.
Der Lehrplan des Gymnasiums schließt gleichzeitig denjenigen des Progymnasiums, d. h. eines Gymnasiums ohne Prima und Obersekunda (vor 1892 nur ohne Prima), in sich. Wie diese Tabellen zeigen, ist der Unterricht in den beiden alten Sprachen neuerdings nicht unwesentlich beschnitten worden: von 128 (1856) auf 117 (1882), 98 (1892), 104 (1901). Dies konnte selbstverständlich nur geschehen bei entsprechender Herabsetzung der Lehrziele. Es wird gegenwärtig nicht mehr sichere eigne Handhabung der (namentlich lateinischen) Sprache (lateinischer Aufsatz!) erstrebt, sondern auf sicherer Grundlage grammatischer Schulung gewonnenes Verständnis der bedeutendsten klassischen Schriften und dadurch Einführung in Geistes- und Kulturleben des Altertums. Dadurch sind alle schriftlichen Übungen als Mittel zum Zweck in die zweite Reihe gestellt und erheblich eingeschränkt.
In allen Hauptsachen kann dieser Hergang in Preußen als typisch für das deutsche G. überhaupt gelten. Da im Deutschen Reich die preußische Heerverfassung allgemein angenommen worden war, mußte folgerecht auch in den höhern Lehranstalten so weit Einheit hergestellt werden, daß das Recht zum einjährigen Dienst etc. überall von gleichen Voraussetzungen abhängig gemacht werden konnte. Auf einer Konferenz von Bevollmächtigten der deutschen Bundesstaaten in Dresden 1872 wurden daher gemeinsame Grundzüge vereinbart und die darauf gegründete Übereinkunft 1874 erlassen. Die Reichsschulkommission (s. d.) wacht darüber, daß diese Grundsätze überall gleichmäßig beachtet werden. Dies schließt jedoch eine gewisse Mannigfaltigkeit nicht aus. In Süddeutschland zählt man z. B. noch immer die Klassen (I. bis IX.) von unten nach oben. In Bayern hießen bis 1891 die Gymnasien amtlich Studienanstalten (bestehend aus Lateinschule u. Obergymnasium). Württemberg und Bremen hatten bis 1903 zehnjährigen Lehrgang im G., jenes bezeichnete bis ebendahin die unvollständigen Gymnasien (Progymnasien) als Lyzeen etc. Zum Vergleich hier die
In Österreich (Zisleithanien) zählte man 1892 gegenüber 33 Realgymnasien und 79 Real-, bez. Oberrealschulen 139 Vollgymnasien und 21 alleinstehende Untergymnasien; 1900: 201 Gymnasien (und Realgymnasien) mit 62,107 und 97 Realschulen mit 28,867 Schülern. 1854 wurden unter dem Ministerium des Grafen Leo Thun die Gynmasien nach dem Lehrplan von Bonitz und Exner neu eingerichtet uno dadurch den deutschen ebenbürtig. Jedoch ist der Kursus dort auf acht Jahre und Klassenstufen beschränkt. Überarbeitet und mit ausführlichen Instruktionen versehen wurde der Lehrplan unter dem Minister Conrad von Eybesfeld 1884. Stundenverteilung wie folgt:
[564] In Preußen gab es im April 1890 im ganzen 268 Gymnasien, denen 90 Realgymnasien und 10 Oberrealschulen gegenüberstanden, während auf 44 Progymnasien 18 Realschulen, 84 Realprogymnasien und 22 höhere Bürgerschulen kamen; 1903 dagegen 303 Gymnasien neben 80 Realgymnasien, 40 Oberrealschulen, 52 Progymnasien, 20 Realprogymnasien, 141 Realschulen. Im ganzen Deutschen Reiche gestaltet sich das Verhältnis der entsprechenden Zahlen 1903 so: 466 Gymnasien gegen 122 Realgymnasien und 64 Oberrealschulen; 100 Progymnasien gegen 48 Realprogymnasien und 303 Realschulen. Die Zahl der Schüler in den Gymnasien und Progymnasien Preußens betrug 1902: 95,441 gegen 71,729 in sämtlichen höhern Realanstalten. Diese Zahlen beweisen, daß das G. im ganzen noch die vorwaltende Form der höhern Schulen ist. Unter 58 Reformschulen, die vorzugsweise dem sogen. Frankfurter Lehrplan folgten (davon 45 in Preußen), waren 1903 Gymnasien oder mit gymnasialen Zweigen verbunden: 10 (davon 8 in Preußen); vollendet und bereits zur Reifeprüfung gelangt darunter bis 1904 nur 2 (Frankfurt a. M. und Hannover).
Mädchengymnasien (s. d.) und entsprechende, auf die obern Klassen beschränkte Gymnasialkurse gab es 1903 in Deutschland 16, von denen jedoch 9 dem Lehrplan der Realgymnasien folgten.
Zur Ergänzung des Vorstehenden s. Höhere Lehranstalten, Realschulen, Realgymnasium, Humanismus etc. Vgl. Wiese, Das höhere Schulwesen in Preußen (Berl. 186474, 3 Bde.) und Verordnungen und Gesetze (3. Aufl. von Kübler, das. 188688); Beier, Die höhern Schulen in Preußen und ihre Lehrer (2. Aufl., Halle 1902; Ergänzungsheft 1904); Schmids »Enzyklopädie des gesamten Unterrichts- und Erziehungswesens« (2. Aufl., Leipz. 1876 ff.); Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts (2. Aufl., das. 1896); v. Raumer, Geschichte der Pädagogik (6. Aufl., Gütersloh 189098, 4 Bde.; Bd. 5 von Lotholz 1896); Bender, Geschichte des Gelehrtenschulwesens in Deutschland seit der Reformation, und Schmid, Das neuzeitliche nationale G. (in Schmids Geschichte der Erziehung, Bd. V, 1, Stuttg. 1901); Thaulow, Gymnasialpädagogik (Kiel 1858); Nägelsbach, Gymnasialpädagogik (3. Aufl. von Autenrieth, Erlang. 1879); Roth, Gymnasialpädagogik (2. Aufl., Stuttg. 1874); K. Schmidt, Gymnasialpädagogik (Köthen 1857); Hirzel, Vorlesungen über Gymnasialpädagogik (Tübing. 1876); Schrader, Erziehungs- und Unterrichtslehre für Gymnasien und Realschulen (2. Ausg. der 5. Aufl., Berl. 1893) und Die Verfassung der höhern Schulen (3. Aufl., das. 1889); Baumeister, Handbuch der Erziehungs- und Unterrichtslehre (mit andern, Münch. 189498, 4 Bde.; einzelne Teile wiederholt aufgelegt); Messer, Die Reformbewegung auf dem Gebiet des preußischen Gymnasialwesens von 18821901 (Leipz. 1901); Lexis, Das Unterrichtswesen im Deutschen Reich, Bd. 2 (Berl. 1904); »Statistisches Jahrbuch der höhern Schulen Deutschlands etc.« (Leipz.). Zeitschriften: »Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen« (Berl., seit 1859; amtlich); »Jahrbücher für Philologie und Pädagogik« (Leipz., seit 1826); »Zeitschrift für das Gymnasialwesen« (Berl., seit 1847); »Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien« (Wien, seit 1850); »Blätter für das bayrische Gymnasialwesen« (Münch., seit 1865); »Pädagogisches Archiv« (Stettin, seit 1859); »Das humanistische G.« (Organ des Gymnasialvereins; Heidelb., seit 1890); »Monatsschrift für höhere Schulen« (Berl., seit 1902); »Deutsche Schulgesetzsammlung« (das., seit 1872) etc.
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