Presse [2]

[284] Presse, der Inbegriff der durch den Druck veröffentlichten Geisteserzeugnisse, im engern Sinne diejenige geistige Produktion, die auf die öffentlichen Angelegenheiten Bezug hat. Über die periodische P. im besondern s. Zeitungen und Zeitschriften. Der Gebrauch der P. ist einerseits durch den Schutz des Urheberrechts (s. d.) im privatrechtlichen Interesse des Urhebers, anderseits durch die Preßgesetzgebung, insbes. durch die Preßpolizei, d. h. durch Rechtsregeln, die dem Mißbrauch der P. vorbeugend entgegenwirken und die Verfolgung von Preßvergehen sichern sollen, im öffentlichen Interesse beschränkt. Das Anwendungsgebiet des Preßrechts wird also durch den Begriff der Druckschrift (s. d.) bestimmt und begrenzt. Die Erfindung der Buchdruckerkunst gab der schriftlichen Meinungsäußerung die Möglichkeit größerer Verbreitung, nur durch die P. wurde die Reformation möglich, und in der P. erkannten gleich nach der Erfindung der Buchdruckerkunst die herrschenden Gewalten in Kirche und Staat ihren gefährlichsten Gegner. Als Verteidigungsmittel setzten sie ihm die präventive Zensur entgegen, indem sie die Vervielfältigung durch die P. von der vorgängigen Prüfung der Schriften und von der für jeden Fall einzuholenden polizeilichen Erlaubnis abhängig machten (Präventivsystem). In Deutschland führte zuerst Erzbischof Berthold von Mainz 1486 die vorgängige Zensur für seinen Sprengel ein. In Frankreich wurde die neu eingeführte Buchdruckerkunst anfänglich unter Ludwig XII. durch Steuerbefreiungen begünstigt, dann aber mit dem Aufkommen der hugenottischen Bewegung unter Franz I. gänzlich verboten. Später wurden schwere Leibesstrafen und selbst die Todesstrafe gegen denjenigen angedroht, der ein Buch ohne vorherige Autorisation drucken würde. In Deutschland fehlt es zwar an einer reichsgesetzlichen Vorschrift über die Anwendung der Präventivzensur, denn der Reichsabschied von 1570 und die Reichspolizeiordnung von 1577 bestimmten bloß, daß die Errichtung von Buchdruckereien nur tauglichen Personen gestattet werden solle, die auf die Beobachtung der Reichsgesetze über den Druck von Büchern vereidet worden seien. Tatsächlich aber war in allen deutschen Landen und in ganz Europa die Bücherzensur eingeführt, und auch die kirchlichen Gesetze verordneten, daß kein Buch ohne vorherige Zensur der geistlichen Obrigkeit gedruckt werden dürfe.[284] In England hatte auch die Revolution von 1642 nur die Folge, daß die Zensur von der Sternkammer auf das Parlament überging, das jährlich den Bücherzensor mit den erforderlichen Vollmachten ausstattete, obgleich schon Milton in der »Areopagitica« 1644 die gänzliche Aufhebung der Zensur, die Preßfreiheit, gefordert hatte. Erst nach der zweiten Revolution unter Wilhelm III. erlosch die Präventivzensur, indem jene Vollmachten 1694 nicht erneuert wurden. Die P. hatte jedoch noch im 18. Jahrh. in England gegen ein drückendes Repressivsystem zu kämpfen. Hierunter ist nämlich das auf die Bestrafung und nachträgliche Beseitigung des mit der P. verübten Mißbrauchs zu verstehen. In der Regierungszeit Georgs III. glänzen Wilkes, Horne, Tooke, Erskine u. a. als Vorkämpfer der unterdrückten Preßfreiheit, die endlich 1794 durch eine Parlamentsakte, nach der bei Preßvergehen nicht bloß die Tatfrage, sondern auch die Schuldfrage der Beurteilung der Geschwornen unterliegt, befestigt wurde. In den Vereinigten Staaten von Nordamerika ward 1790 durch einen Zusatzartikel zur Verfassung jede Beschränkung der Preßfreiheit untersagt. Auf dem Kontinent von Europa machte zuerst Kaiser Joseph II. den vorübergehenden Versuch, die Zensur zu beseitigen. In Frankreich wurde durch die Revolution ebenfalls vorübergehend die Preßfreiheit eingeführt, die aber unter Napoleon I. wieder der strengsten polizeilichen Überwachung der P. Platz machte. Erst die Verfassung von 1814 stellte im Artikel 8 dauernd den Grundsatz fest, daß die Preßgesetzgebung nur den Mißbrauch der Preßfreiheit unterdrücken solle.

In Deutschland hatte die Bundesakte von 1815 im Artikel 18 gleichförmige Verfügungen über die Preßfreiheit zugesichert. Statt dessen wurde infolge der Karlsbader Konferenzen durch den Bundesbeschluß vom 20. Sept. 1819 die vorgängige Zensur eingeführt, und auf Grund dieses Beschlusses sah sich Baden genötigt, die 1832 eingeführte Preßfreiheit wieder aufzuheben. Infolge der geheimen Konferenzen von 1834 wurden sogar die sämtlichen Verlagsartikel einzelner Buchhandlungen sowie die sämtlichen Werke einzelner Schriftsteller (Heine, Gutzkow, Laube etc.) einschließlich der künftig erscheinenden durch die Bundesbeschlüsse von 1835 und 1845 verboten. In Preußen wurde 1843 durch Einsetzung des Oberzensurgerichts der Versuch gemacht, die Präventivzensur unter die Kontrolle einer richterlichen Instanz zu stellen. Die beschränkenden Bestimmungen der Bundesbeschlüsse wurden jedoch 1848 aufgehoben, und die Zensur hörte damit in allen deutschen Staaten auf; in Preußen wurde sie durch Artikel 27 der Verfassungsurkunde ausdrücklich ausgeschlossen. Die seitdem in den einzelnen deutschen Staaten erlassenen Preßgesetze (unter denen das preußische Preßgesetz vom 12. Mai 1851 und das bayrische Preßedikt vom 4. Juni 1848 zu erwähnen sind) behielten gleichwohl eine Anzahl tief eingreifender Beschränkungen der Preßfreiheit bei.

Durch die deutsche Reichsverfassung (Art. 4, Nr. 16) wurden die Bestimmungen über die P. der Reichsgesetzgebung unterworfen, und die bisherigen Landesgesetze wurden durch das Reichsgesetz über die P. vom 9. Mai 1874 überall außer Kraft gesetzt, mit Ausnahme von Elsaß-Lothringen, wo vorerst die ältere französische Preßgesetzgebung in Kraft verblieben ist. Das Reichspreßgesetz hat den größten Teil der polizeilichen Präventivmaßregeln gegen die P. beseitigt, insbes. die Konzessionsentziehung (§ 4), den Zeitungsstempel, die Inseratensteuer (§ 30) und die Kautionsleistung. Schon durch die Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869 war die Konzessionserteilung für die Preßgewerbe in Wegfall gekommen. Nach der Gewerbeordnung (§ 14) besteht für die Drucker, Buchhändler, Zeitungsverkäufer, Bücherverleiher etc. nur noch die Verpflichtung, bei Eröffnung ihres Gewerbebetriebs das Lokal desselben sowie jede spätere Veränderung desselben der Polizeibehörde anzuzeigen. Für Elsaß-Lothringen ist die Konzessionspflichtigkeit des Preßgewerbes auch nach Einführung der deutschen Gewerbeordnung (Reichsgesetz vom 27. Febr. 1888) beibehalten worden, jedoch sind dort durch Gesetz vom 27. Febr. 1898 die gesamten reichsrechtlichen Vorschriften über die P. mit einzelnen Abänderungen (Kautionszwang für Eigentümer periodischer Zeitschriften, Hausierverbot für staatssittlichkeits- und religionsgefährliche Druckschriften, Möglichkeit nichtdeutsche Druckschriften zu verbieten) eingeführt worden. Kolporteure bedürfen nach § 56 der Gewerbeordnung eines amtlich genehmigten Verzeichnisses der Druckschriften, die sie verbreiten wollen. Eine Entziehung der Befugnis zum Betrieb irgend eines Preßgewerbes oder sonst zur Herausgabe oder zum Vertrieb von Druckschriften darf nach § 4 des Preßgesetzes weder im administrativen noch im richterlichen Wege stattfinden. Die polizeilichen Vorschriften des Preßgesetzes beschränken sich für die Druckschriften im allgemeinen auf die Bestimmung, daß auf jeder Druckschrift der Name und Wohnort des Druckers, bei den für den Buchhandel bestimmten Schriften auch der des Verlegers (beim Selbstverlag der des Verfassers oder Herausgebers) genannt sein muß. Von dieser Vorschrift sind nur ausgenommen: Formulare, Preiszettel, Visitenkarten, Stimmzettel u. dgl. zum materiellen Gebrauch, nicht zur Gedankenmitteilung bestimmte Drucksachen (§ 6). Umfassendere Vorschriften sind in bezug auf die periodischen Druckschriften getroffen, d. h. diejenigen Zeitungen und Zeitschriften, die in monatlichen oder kürzern, wenn auch unregelmäßigen Zwischenräumen erscheinen. Jedes Stück einer solchen Zeitschrift muß den Namen und Wohnort des verantwortlichen Redakteurs enthalten (§ 7). Als solcher darf nur eine verfügungsfähige, im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte befindliche Person benannt werden, die im Deutschen Reich ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat (§ 8). Von jedem Stück muß, sobald die Austeilung beginnt, ein Pflichtexemplar (s. Freiexemplar) gegen Bescheinigung an die Polizeibehörde des Ausgabeortes unentgeltlich abgeliefert werden, ausgenommen die Zeitschriften, die ausschließlich den Zwecken der Wissenschaft, der Kunst, des Gewerbes oder der Industrie dienen (§ 9). Amtliche Bekanntmachungen der Behörden müssen gegen Bezahlung der üblichen Einrückungsgebühren aufgenommen werden (s. Publikationszwang). Berichtigungen der in einer periodischen Druckschrift mitgeteilten Tatsachen müssen auf Verlangen der beteiligten Behörde oder Privatperson ohne Einschaltungen und Weglassungen aufgenommen werden, soweit sie sich auf tatsächliche Angaben beschränken (s. Berichtigungspflicht). Die Aufnahme erfolgt kostenfrei, soweit nicht die Entgegnung den Raum der berichtigten Mitteilung überschreitet, darüber hinaus gegen die üblichen Einrückungsgebühren (§ 10 f.). Anklageschriften dürfen durch die P. nicht eher veröffentlicht werden, bis diese in öffentlicher Verhandlung kundgegeben sind. Öffentliche Sammlungen zur Aufbringung erkannter Geldstrafen durch die P. sind verboten (§ 16 f.).[285]

Die Preßdelikte (Preßvergehen) fallen unter den weitern Begriff der rechtswidrigen öffentlichen Gedankenäußerung; sie erhalten innerhalb dieser Gruppe die besondere Stellung durch das angewandte Mittel: die verbreitete Druckschrift. Öffentliche Aufforderung zum Ungehorsam gegen Gesetze des Staates, zu strafbaren Handlungen verschiedenster Art, Aufreizung zum Klassenkampf, Beleidigung, Gotteslästerung, Verrat von Staatsgeheimnissen etc. gehören hierher. Verschieden von diesen Fällen des strafbaren Mißbrauchs der Preßfreiheit sind die Vergehen gegen die Ordnung der P. (Preßpolizeivergehen), die in dem Preßgesetz selbst mit Strafe bedroht sind.

Die Verantwortlichkeit für die durch die P. begangenen strafbaren Handlungen bestimmt sich nach den allgemeinen Strafgesetzen. Die Preßgesetzgebung hat jedoch ergänzende und verschärfende Bestimmungen hinzugefügt. Das belgische Preßgesetz von 1831 führte in dieser Hinsicht zuerst das System der stufenweisen Verantwortlichkeit ein, nach dem der Verfasser, der Redakteur oder der Verleger, der Drucker und der Verbreiter verfolgt werden können, jedoch immer nur einer der Beteiligten, und zwar in der angegebenen Reihenfolge. Kann der zuerst Angegriffene seinen Vormann im Bereich der inländischen Gerichtsbarkeit nachweisen, so fällt die gegen jenen gerichtete Verfolgung fort. Kann oder will er dagegen diesen Nachweis nicht führen, so trifft ihn die Strafe des Täters auch ohne den Nachweis der eignen Verschuldung. Dieses System hatte in der frühern deutschen Preßgesetzgebung, insbes. in der preußischen Verordnung vom 30. Juni 1849 sowie in Baden, Württemberg etc., ebenfalls Anwendung gefunden. Es erscheint jedoch bedenklich, weil es eine Strafe eintreten läßt, ohne daß der Beweis der Schuld erbracht ist. Das deutsche Preßgesetz hat deshalb nach dem Vorgang des preußischen Preßgesetzes dieses System der stufenweisen Verantwortlichkeit verlassen. Nur der verantwortliche Redakteur einer periodischen Druckschrift wird nach § 20 des Reichspreßgesetzes auch ohne den besondern Beweis seiner Schuld als Täter bestraft, sofern nicht durch besondere Umstände die Annahme seiner Täterschaft ausgeschlossen wird. Eine Umgehung des Gesetzes kann freilich insofern bewirkt werden, als nicht der wirkliche Redakteur, sondern ein Strohmann (Sitzredakteur) auf den Druckexemplaren als verantwortlicher Redakteur bezeichnet wird. Um solchem Mißbrauch einigermaßen zu begegnen, bedroht § 18 des Preßgesetzes den Verleger einer periodischen Druckschrift mit Geldbuße bis zu 1000 Mk. oder Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten, wenn er wissentlich geschehen läßt, daß auf der Druckschrift eine Person fälschlich als Redakteur bezeichnet wird. Dennoch ist nicht nur der Begriff des verantwortlichen Redakteurs, sondern die preßgesetzliche Verantwortlichkeit überhaupt außerordentlich bestritten. Das Reichsgericht steht nach längerm Schwanken nunmehr auf dem Standpunkt, daß als verantwortlicher Redakteur im Sinne des § 7 des Preßgesetzes nur derjenige angesehen werden kann, der tatsächlich die Redaktionsgeschäfte besorgt. Ebenso kann der Inhaber eines Druckerei- und Verlagsgeschäfts sich von der Verpflichtung zur Beobachtung der Ordnungsvorschriften des Preßgesetzes dadurch befreien und seine strafrechtliche Verantwortlichkeit für die Nichterfüllung dieser Verpflichtung beseitigen, daß er sich in bezug auf beide Geschäfte von einem Dritten vertreten läßt. Die Bestellung eines Vertreters kann aber die bezeichneten Rechtswirkungen nur dann haben, wenn die Stellvertretung eine vollständige in der Weise ist, daß infolge derselben die gesamte Geschäftsleitung ihrem vollen Umfange nach mit allen hieran geknüpften Rechten und Pflichten unter Ausscheidung des Vertretenen auf den Vertreter übergeht.

Dem Verleger, dem Drucker und dem gewerbsmäßigen Verbreiter und in erster Linie dem verantwortlichen Redakteur, der die Vermutung der wissentlichen Veröffentlichung widerlegt hat, gegenüber stellt das Reichspreßgesetz (§ 21) die Vermutung einer fahrlässigen Handlungsweise in bezug auf die Veröffentlichung des strafbaren Inhalts auf und bedroht dieselben, falls sie nicht als Täter oder Teilnehmer nach den allgemeinen Strafgesetzen zu bestrafen sind, mit einer außerordentlichen Strafe bis zu 1000 Mk. oder mit Hast oder Festungshaft oder Gefängnis bis zu einem Jahr. Von dieser außerordentlichen Strafe kann der Angeschuldigte sich befreien, wenn er die Anwendung pflichtmäßiger Sorgfalt oder Umstände nachweist, die diese Anwendung unmöglich gemacht haben. Die Bestrafung bleibt ferner auch dann ausgeschlossen, wenn er den Verfasser oder einen der in der Reihenfolge des § 21 vor ihm Benannten im Bereich der deutschen Gerichtsbarkeit nachweist. Für diese außerordentliche Bestrafung ist also das System der stufenweisen Verantwortlichkeit in der Weise angenommen, daß neben dem Täter des Preßdelikts nur eine der mitwirkenden Personen (Redakteur, Verleger, Drucker und Verbreiter) und nur in der angegebenen Reihenfolge belangt werden kann.

Mit der Bestrafung des Täters verbindet sich nach § 40 des Strafgesetzbuches die Vernichtung der noch nicht in den Privatgebrauch übergegangenen Exemplare der strafbaren Druckschrift, wobei zugleich die zur Herstellung bestimmten Platten und Formen unbrauchbar zu machen sind. Eine vorläufige Beschlagnahme kann sowohl durch das für die Untersuchung zuständige Gericht als auch durch die Polizeibehörden verfügt werden. Die Beschlagnahme von Druckschriften ohne richterliche Anordnung findet jedoch nur statt bei gewissen Übertretungen des Preßgesetzes (§ 6, 7, 14 und 15) sowie wenn der Inhalt der Druckschrift den Tatbestand einer der in den § 85, 95, 111, 130 und 184 des Strafgesetzbuches mit Strafe bedrohten Handlungen begründet. Die Bestätigung der vorläufigen Beschlagnahme muß von der Staatsanwaltschaft binnen 24 Stunden bei dem zuständigen Gericht beantragt und von dem Gericht binnen fernern 24 Stunden erlassen werden. Die Beschlagnahme tritt außer Kraft, wenn nicht binnen fünf Tagen der bestätigende Gerichtsbeschluß der anordnenden Behörde zugegangen ist. Eine Beschwerde gegen die Freigebung findet nicht statt. Die Beschlagnahme muß ferner wieder aufgehoben werden, wenn nicht binnen zwei Wochen nach der Bestätigung die Strafverfolgung in der Hauptsache eingeleitet worden ist.

Die Verjährung der Strafverfolgung wegen derjenigen Verbrechen und Vergehen, die durch die Verbreitung von Druckschriften strafbaren Inhalts begangen werden, sowie der im Preßgesetz mit Strafe bedrohten Vergehen gegen die Ordnung der P. tritt nach § 22 binnen sechs Monaten ein, die von dem Tag der ersten Verbreitung gerechnet werden (wogegen die Strafverfolgung wegen der Verbreitung des Nachdrucks nach § 50 des Gesetzes über das Urheberrecht vom 19. Juni 1901 binnen drei Jahren vom Tag der ersten Verbreitung verjährt). Die Kompetenz der Schwurgerichte ist auf die mit höhern Strafen bedrohten Verbrechen beschränkt. Die 1848[286] von der Nationalversammlung in Frankfurt beschlofsenen Grundrechte enthielten dagegen den Satz, daß über alle Preßvergehen, die von Amts wegen verfolgt werden, die Schwurgerichte entscheiden sollen. Auch bei der zweiten Lesung des Preßgesetzes und der deutschen Strafprozeßordnung wurde ein gleichlautender Beschluß vom Reichstag gefaßt. Derselbe scheiterte jedoch an dem Widerspruch der Regierungen, die nur so viel zugestanden, daß in dem Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz, § 6, die Beibehaltung der Kompetenz der Schwurgerichte für Preßvergehen in denjenigen Ländern (Bayern, Württemberg, Baden und Oldenburg), wo dieselbe durch die Landesgesetzgebung begründet ist, ausgesprochen wurde. Jene Forderung ist seitdem oft, aber ohne Erfolg wiederholt worden. Auch die Beseitigung des Zeugniszwanges ist nicht gelungen. Zugunsten des Redakteurs, des Verlegers, des Druckers und des Hilfspersonals der P. wollte nämlich der Reichstag seinerzeit eine Ausnahme von der allgemeinen Zeugnispflicht für solche Untersuchungen einführen, in denen der Redakteur einer periodischen Druckschrift wegen einer darin abgedruckten Zuschrift strafrechtlich verfolgt werden könnte. Dies scheiterte jedoch ebenfalls an dem Widerspruch der Bundesregierungen, und bis heute haben die diesbezüglichen Bemühungen der P. zu keiner Aufhebung des Zeugniszwanges geführt. Wahrheitsgetreue Berichte über die Verhandlungen eines Landtags oder einer Kammer eines zum Deutschen Reiche gehörigen Staates und insbes. über Verhandlungen in den öffentlichen Sitzungen des Reichstags bleiben übrigens von jeder Verantwortlichkeit frei. Bezüglich des Gerichtsstandes der begangenen Tat bei Preßvergehen s. Ambulanter Gerichtsstand.

In Österreich beruht das Preßrecht auf dem Preßgesetz vom 17. Dez. 1862 und den Novellen vom 15. Okt. 1868 und 9. Juli 1894 (Aufhebung des Kautionszwanges). Die Preßfreiheit ist im Artikel 13 des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dez. 1867 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger gewährleistet. Doch ist nach Aufhebung des Kautionswesens und des Zeitungs- und Kalenderstempels (Gesetz vom 27. Dez. 1899) die Möglichkeit der administrativen Entziehung der Befugnis zum selbständigen Betrieb des Preßgewerbes (§ 3 des Preßgesetzes vom 17. Dez. 1862) immer noch beibehalten. Die vorläufige Beschlagnahme von Druckschriften, die gegen die Vorschriften des Preßgesetzes ausgegeben oder verbreitet werden, oder die ihres Inhalts wegen im öffentlichen Interesse zu verfolgen sind, kann von der Sicherheitsbehörde unmittelbar oder auf Veranlassung des Staatsanwalts erfolgen. Letzterer hat alsdann binnen drei Tagen bei dem zuständigen Gericht um die Bestätigung der Beschlagnahme nachzusuchen, und das Gericht hat binnen weitern drei Tagen die Bestätigung oder die Aufhebung der Beschlagnahme auszusprechen. Innerhalb acht Tagen nach erfolgter Bestätigung hat der Staatsanwalt entweder den Antrag auf gerichtliche Voruntersuchung zu stellen oder seine Anklageschrift zu überreichen, oder aber das sogen. objektive Verfahren einzuleiten. Letzteres ist eine oft erörterte und fast ebensooft getadelte Eigentümlichkeit des österreichischen Rechtes. Der Staatsanwalt kann nämlich bei Preßdelikten anstatt die Anklage gegen eine bestimmte Person als den Täter zu richten, von dem Gericht nur den Ausspruch begehren, daß der Inhalt einer Druckschrift eine strafbare Handlung begründe, und daß daher jene Druckschrift nicht weiter verbreitet werden dürfe. Der hierbei Beteiligte, der sich durch eine dem entsprechende Entscheidung verletzt fühlt, hat jedoch das Recht des Einspruchs gegen ein solches Erkenntnis. Wahrheitsgetreue Mitteilungen öffentlicher Verhandlungen des Reichsrats und der Landtage können nicht den Gegenstand strafrechtlicher Verfolgung bilden. 1902 hat die österreichische Regierung einen Preßgesetzentwurf eingebracht, dessen Hauptänderung gegenüber dem bisherigen Preßgesetz in Freigebung der Kolportage periodischer Druckschriften, Aufhebung des Verbots der Weiterverbreitung, Einschränkung des objektiven Verfahrens und der nichtrichterlichen Beschlagnahme, genauer gesetzlicher Regelung des Berichtigungsverfahrens und Regelung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit ähnlich der des deutschen Preßgesetzes besteht. Zum Gesetz ist der Entwurf bis jetzt (Ende 1906) noch nicht geworden.

In Frankreich ist ein sehr freisinniges Preßgesetz 29. Juli 1881 erlassen, das namentlich die wichtige Bestimmung enthält, daß der Gerant (verantwortliche Redakteur) einer Zeitung neben dem Verfasser in strafrechtlicher Hinsicht haftbar ist, während Drucker und Verbreiter nur wegen Handlungen, die mit ihrem Gewerbe nicht in Verbindung stehen, in Anspruch genommen werden können. Die Preßdelikte, ausgenommen die Beleidigung und Verleumdung von Privatpersonen durch die P., gehören vor die Schwurgerichte. Nachdem die jüngsten politischen Ereignisse in Rußland das bis dahin streng gehandhabte Zensurgesetz vom 6. April 1865 de facto beseitigt haben, ist die Türkei gegenwärtig das einzige Kulturland, in dem der Zensurzwang noch herrscht. In der Schweiz ist die Preßfreiheit durch die Verfassung vom 19. Mai 1874 (Art. 55) gewährleistet. Auch in der Schweiz und ebenso in Schweden, Ungarn und Italien (Gesetz vom 26. März 1848) gehören die Preßvergehen vor die Schwurgerichte. In Spanien dagegen (Preßgesetz vom 26. Juli 1883) bestehen für Preßdelikte besondere Gerichtshöfe. In Holland ist volle Preßfreiheit gewährleistet, indem dort ebenso wie in den Vereinigten Staaten von Nordamerika Preßvergehen lediglich nach den allgemeinen Strafnormen zu beurteilen sind. Nur gegen die Verbreitung unsittlicher Schriften besteht in Nordamerika eine Akte vom 3. März 1873. Vgl. die Kommentare zum deutschen Reichspreßgesetz von Schwarze (4. Aufl., bearbeitet von Appelius, Erlang. 1903) und Delius (Hannov. 1895); Textausgabe mit Anmerkungen von Born (Berl. 1900); ferner Berner, Lehrbuch des deutschen Preßrechts (Leipz. 1876); Liszt, Das deutsche Reichspreßrecht (Berl. 1880); Klöppel, Das Reichspreßrecht (Leipz. 1894); Honigmann, Die Verantwortlichkeit des Redakteurs (Bresl. 1885); R. Löning, Die strafrechtliche Haftung des verantwortlichen Redakteurs (Jena 1889); Oetker, Dasselbe (Stuttg. 1893); Grüttesin, Die Täterschaft des verantwortlichen Redakteurs (Berl. 1895); Liszt, Lehrbuch des österreichischen Preßrechts (Leipz. 1878); Barbier, Code expliqué de la presse (Par. 1887, 2 Bde.); Paterson, Liberty of the press (Lond. 1880); Ghirelli, Comento alla legge di stampa (2. Aufl., Neap. 1883); Le Poittevin, Traité de la presse (Par. 1903); Gasca, Diritti e doveri della stampa (Tur. 1905).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 284-287.
Lizenz:
Faksimiles:
284 | 285 | 286 | 287
Kategorien:

Buchempfehlung

Aischylos

Die Orestie. Agamemnon / Die Grabspenderinnen / Die Eumeniden

Die Orestie. Agamemnon / Die Grabspenderinnen / Die Eumeniden

Der aus Troja zurückgekehrte Agamemnon wird ermordet. Seine Gattin hat ihn mit seinem Vetter betrogen. Orestes, Sohn des Agamemnon, nimmt blutige Rache an den Mördern seines Vaters. Die Orestie, die Aischylos kurz vor seinem Tod abschloss, ist die einzige vollständig erhaltene Tragödientrilogie und damit einzigartiger Beleg übergreifender dramaturgischer Einheit im griechischen Drama.

114 Seiten, 4.30 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon