[478] Verjährung (Praescriptio), jede Veränderung in den rechtlichen Befugnissen od. Verhältnissen, welche hauptsächlich als die gesetzliche Folge der eine Zeit lang fortgesetzten Ausübung od. Nichtausübung eines Rechtes anzusehen ist. Das allgemeine Erforderniß aller V. ist hiernach der Zeitablauf. Eine bestimmte Frist ist dabei nicht erforderlich, namentlich nicht eine blos nach Jahren sich berechnende, da oft schon auch einige Monate zur Hervorbringung der Wirkungen einer V. genügen. Im Übrigen erstreckt sich die Anwendung der V. auf die verschiedensten Rechtsinstitute, u. es erklärt sich wohl auch hieraus, daß den Römern ein alle Verjährungsarten umfassender Ausdruck mangelte. Der Ausdruck Usucapio bezeichnet hauptsächlich nur die durch fortgesetzten Besitz hervorgebrachte Erwerbung des Eigenthumes; der Ausdruck Praescriptio wird bei den classischen römischen Juristen zunächst für etwas ganz Anderes, nämlich für eine der processualischen Formula vorgesetzte Clausel, wie sie neben anderen Fällen angewendet wurde, wenn es sich in einem Proceß um den Einwand der V. handelte, gebraucht; erst in den canonischen Rechtsquellen wird derselbe in ähnlicher Weise, wie der deutsche Ausdruck V. gebraucht. Als hauptsächliche Arten der V. sind zu unterscheiden: a) die erwerbende (P. aquisitiva) u. b) die aufhebende, erlöschende V. (P. exstinctiva). Die erwerbende V. begreift sowohl die Fälle, in denen durch die V. ein vorher noch nicht da gewesenes Recht entsteht (P. constitutiva), als auch diejenigen, in welchen dadurch blos ein Recht des Einen auf den Anderen übertragen wird (P. translativa). Die aufhebende V. zeigt sich entweder als reines Entziehen eines Rechtes (wofür in den deutschen Rechtsbüchern der Ausdruck Verschweigung gebraucht wird); od. als Befreiung einer Sache von einer darauf haftenden Last, z.B. einer Servitut; od. auch als Befestigung eines bisher stattgefündenen Zustandes, namentlich eines Besitzes, indem die zur Anfechtung dieses Zustandes[478] dienenden Rechtsmittel erlöschen. Je nachdem ferner die Veränderung in den rechtlichen Verhältnissen entweder blos als Folge der Nichtausübung eines Rechtes od. der unterlassenen Geltendmachung eines solchen eintritt, od. zugleich einen Besitz von Seiten dessen, welchem die V. zu Gute kommen soll, voraussetzt, ist die V. eine V. durch Rechtsversäumniß od. durch fortgesetzten Besitz. Endlich wird noch eine V von bestimmter Dauer (P. definita) u. eine V. von unbestimmter Dauer (unvordenkliche V., P. indefinita s. immermoralis) unterschieden.
Im Einzelnen findet I. die erwerbende V bes. statt: A) bei dem Eigenthum in der Form der Ersitzung (Usucapio). Im älteren Römischen Recht entstand diese V. durch rechtmäßig u. in gutem Glauben erworbenen Besitz von einem Jahr bei beweglichen, von zwei Jahren bei unbeweglichen Sachen, u. zwar als civilrechtliche Erwerbsart des sogenannten quiritarischen Eigenthumes, also unanwendbar auf Sachen, welche dessen nicht fähig waren, namentlich auf Provinzialgrundstücke. Neben dieser civilrechtlichen Usucapio kam später eine Art indirecter Ersitzung auf, durch rechtmäßig u. in gutem Glauben erworbenen Besitz von 10 od. 20 Jahren (Longi temporis possessio), wornach der Besitzer zunächst durch eine Exceptio od. Praescriptio longi temporis gegen die Eigenthumsklage geschützt wurde, dann aber auch, wenn er nachher den Besitz verloren, als Kläger auf jenen Besitz sich berufen u. so den Erfolg des Eigenthumserwerbes gewinnen konnte. Abweichend von der Usucapio fand diese Erwerbsart auch bei Provinzialgrundstücken Anwendung. Als drittes Institut kam zu diesen beiden verwandten Instituten endlich noch die V. der Eigenthumsklage durch 30- od. 40jährigen Besitz hinzu (s. unten), die sogen, Praescriptio longissimi temporis. Justinian änderte hieran soviel, daß er zunächst mit der Longi temporis praescriptio, u. unter der Voraussetzung guten Glaubens auch mit der P. longissimi temporis, die Wirkung eines vollständigen directen Eigenthumserwerbs verband, sodann die zweijährige Usucapion italischer Grundstücke aufhob u. eine Ersitzung unbeweglicher Sachen nur noch durch 10- od. 20jährigen, 30- od. 40jährigen Besitz gestattete, die Ersitzungszeit für bewegliche Sachen aber auf drei Jahre erweiterte u. im Übrigen die Grundsätze der älteren Usucapio auf die Longi temporis praescriptio übertrug. Für das neuere Römische u. Gemeine Recht hat man darnach bezüglich der Ersitzung des Eigentumes zwei Arten der erwerbenden V. zu unterscheiden: a) die ordentliche Ersitzung (Usucapio ordinaria). Die Erfordernisse derselben sind: aa) Besitz einer eigenthumsfähigen Sache; bb) eine Justa causa possessionis, d.h. der Besitz muß auf einem Erwerbsgründe beruhen, welcher an sich wohl geeignet wäre das Eigenthum zu verschaffen, u. nur wegen eines im besonderen Falle entgegenstehenden Hindernisses den Eigenthumserwerb nicht zur Folge hatte. Diesen Erwerbsgrund (Justus titulus usucapionis) hat der Erwerber im Falle der Bestreitung nachzuweisen. Indessen ist auch die irrthümliche Annahme des Vorhandenseins eines solchen Erwerbsgrundes (sogen. Titulus putativus) hinreichend; cc) guter Glaube des Besitzerwerbes (Bona fides), d.h. derselbe darf keine Kenntniß der Umstände haben, wegen welcher sein Erwerb als ein materiell unrechtlicher erscheint. Nach Römischem Recht wird dieser gute Glaube nur bei der Besitzerwerbung erfordert, nach Canonischem Rechte, welches auch dem heutigen Gemeinen Rechte zu Grunde liegt, während der ganzen Ersitzungszeit. Derselbe darf übrigens auch nicht die Ersitzungsfähigkeit der Sache betreffen u. muß auf einem entschuldbaren Irrthum beruhen. Den Beweis des guten Glaubens hat nicht der Ersitzende zu führen, sondern der Gegner muß beweisen, daß jenem das Unrechte seines Erwerbes bekannt gewesen sei. dd) Der Besitz muß bei beweglichen Sachen 3 Jahre, bei unbeweglichen 10 od. 20 Jahre dauern, je nach dem Besitzer u. Eigentümer in derselben Provinz haben (inter praesentes, jetzt demselben Obergerichtsbezirk) od. nicht (inter absentes). Der Ersitzende kann aber, wenn er den Besitz durch abgeleiteten Erwerb erlangt hat, den Ersitzungsbesitz seiner Vorgänger dem seinigen hinzurechnen (Accessio possessionis), wenn der Besitz ohne Unterbrechung von dem einen auf den anderen übergegangen u. derselbe bei dem Vorgänger bereits zur Ersitzung geeignet war. Ebenso tritt der Erbe rücksichtlich der vom Erblasser bereits angefangenen u. bis zum Tode fortgesetzten Ersitzung vollständig in dessen Stelle ein. ee) Manche Sachen sind durch besondere Rechtsvorschrift von der Ersitzung ausgenommen. Dazu gehören namentlich aus subjectiven Gründen Sachen des Staates (Res fiscales, z. B, auch Hoheitsrechte), des Regenten (Res dominicae), der Minderjährigen, der Städte, u. unbewegliche Sachen der Kirchen u. Milden Stiftungen; aus objectiven schon nach einer Bestimmung der Zwölf Tafeln entwendete bewegliche Sachen (Res furtivae), Sachen, welche gewaltthätig in Besitz genommen wurden (Res vi possessae), Sachen, welche von einem Besitzer im bösen Glauben ohne Wissen des Eigenthümers veräußert worden sind, Sachen, welche ein Beamter seiner Amtspflicht zuwider als Geschenk od. unter anderem Rechtstitel erworben hat, u. Sachen, deren Veräußerung als gesetzlich verbotene nichtig ist, wie Dotalgrundstücke, Sachen Bevormundeter, welche nicht ohne obrigkeitliches Decret veräußert werden dürfen, Sachen, welche zu den Bona adventitia Kinder gehören, deren Veräußerung dem Vater untersagt ist (s.u. Väterliche Gewalt), u. vermachte Sachen, welche der Erbe, des Vermächtnisses bewußt, veräußert. Die Ersitzung wird unterbrochen, so daß der bisherige Besitz nicht mehr nützt, durch Unterbrechung des Besitzes (Usurpatio); von selbst tritt dieselbe ein, wenn die Sache eigentumsunfähig wird od. der Besitzer in bösen Glauben kommt. In anderen Fällen gelangt die Ersitzung nur zu einem Stillstand (Pr. dormit). Ein solcher tritt ein, wenn nach Beginn der Ersitzung die Sache in das Eigenthum einer Person, gegen welche die ordentliche Ersitzung nicht stattfindet, übergegangen od. in eine Lage gekommen ist, wodurch die Anstellung der Eigenthumsklage einstweilen rechtlich od. factisch verhindert wird, wie z.B. durch Kriegsereignisse, b) Die außerordentliche Ersitzung (Usucapio extraordinaria). Dieselbe wird durch ununterbrochenen 30- od. 40jährigen Eigenthumsbesitz vollendet, vorausgesetzt nach Römischem Rechte, daß der Besitzer in gutem Glauben zu besitzen angefangen habe, nach Canonischem Rechte, daß er auch später während der Verjährungszeit nicht in bösen Glauben versetzt worden sei. Die übrigen Voraussetzungen bestimmen sich[479] lediglich nach den Erfordernissen der V. der Eigenthumsklage (s. unten), so daß, sofern nur diese vorhanden sind, selbst die der ordentlichen Ersitzung entzogenen Sachen auf diese Weise ersessen werden können. Das Deutsche Recht kannte ursprünglich keinen Eigenthumserwerb durch Ersitzung; insofern dieser Erwerb dennoch auch in dem neueren Recht aufgenommen worden ist, beruht er daher in den Grundprincipien überall auf Römischem Recht. Indessen wurden mehrfache Modificationen dadurch herbeigeführt, daß man die römischen Ersitzungsarten mit der Bestimmung der mittelalterlichen Rechtsbücher u. Statuten in Verbindung setzte, daß nach Ablauf einer Frist von 1 Jahr 6 Wochen 3 Tagen seit der gerichtlichen Übertragung od. Erwerbung eines Grundstückes die Ansprüche Dritter auf das letztere erloschen u. dem Erwerber die rechte Gewere kraft eigenen Rechtes erworben sein sollten, welche Vorschrift dann auch in mannigfacher Anwendung auf bewegliche Habe ausgedehnt wurde. Unter Benutzung dieser erlöschenden Verjährungsart entstand namentlich in den Ländern Sächsischen Rechtes durch Gerichtsgebrauch die Modification, daß für den Erwerb beweglicher Habe der Ablauf von Jahr u. Tag, von Grundstücken aber der Ablauf von 31 Jahren 6 Wochen u. 3 Tagen als Zeitmaß der ordentlichen Ersitzung bestimmt wurde. B) Dienstbarkeiten (Servituten), sowohl persönliche, als Grunddienstbarkeiten, werden durch Longi temporis quasi possessio erworben, d.h. dadurch, daß sie 10 Jahre inter praesentes od. 20 Jahre inter absentes weder gewaltsam noch heimlich, noch bittweise als Recht ausgeübt wurden (s.u. Servitut). Weiteres ist dazu nach Römischem Rechte nicht erforderlich, namentlich nicht, daß der Verjährende auch einen Rechtsgrund des Besitzerwerbes, od. daß er denselben mit Vorwissen des wahren Eigenthümers ausgeübt habe, zu beweisen hätte; nur wird nach heutigem Rechte die Ersitzung auch hier alsdann ausgeschlossen, wenn erwiesen wird, daß die Ausübung der Dienstbarkeit nicht in gutem Glauben stattgefunden habe. C) Bei der Emphyteusis u. Superficies (s.d.) bildet die V. keine Art der Errichtung des Rechtes, dagegen kann das schon bestehende emphyteutische od. superficiarische Recht durch ordentliche od. außerordentliche Ersitzung, deren Voraussetzungen sich nach den Regeln der Eigenthumsersitzung bestimmen, von Einem auf den Anderen übertragen werden. D) Bezüglich der Lehen besteht ebenfalls eine ordentliche u. außerordentliche V., von denen die erstere dann stattfindet, wenn eine lehnsfähige Person die Zeit der ordentlichen Eigenthumsverjährung hindurch auf den Grund eines an sich zur Erwerbung des Lehns geeigneten Titels u. in gutem Glauben eine Sache als Lehen besessen u. die im Lehnsverhältnisse liegenden Vasallenrechte u. Verbindlichkeiten einem bestimmten lehnsfähigen Dritten gegenüber ausgeübt u. erfüllt, auch der Letztere andererseits die Stellung als Lehnsherr während jener Zeit tatsächlich anerkannt hat; die letztere aber in den Fällen eintritt, in denen wegen besonderer Gründe eine ordentliche Ersitzung ausgeschlossen ist. Dagegen findet E) bezüglich der Reallasten (s.d.) gemeinrechtlich so wenig, als bezüglich des Pfandrechtes u. der blos persönlichen Verbindlichkeiten (Obligationen) eine erwerbende ordentliche od. außerordentliche V. statt. Nur haben mehrfach Landesgesetze, bezüglich der Reallasten bes. da, wo dieselben nach Analogie der Servituten behandelt werden od. überhaupt als Regel angenommen ist, daß alle dinglichen Rechte durch V. in einer gewissen Zeit begründet werden können, sich auch für die Gestattung einer solchen erwerbenden V. ausgesprochen.
II. Die erlöschende V (P. exstinctiva) findet ihre Anwendung hauptsächlich A) im Privatrecht bei der Klagenverjährung, worunter man die Aufhebung der Wirksamkeit einer Klage in Folge lange versäumter Anstellung versteht. Das ältere Römische Civilrecht kannte keine V. der Klagrechte; dagegen wurden die erst durch das Prätorische Recht eingeführten Klagen größtentheils nur auf einen Annus utilis, d.h. die Zeit eines Jahres, seitdem die Möglichkeit gegeben war sie anzustellen, eingeschränkt, so daß nach Ablauf dieses Jahres dann der Klage eine Annua exceptio entgegenstand; den Ädilitischen Klagen (s.d.) waren zum Theil noch kürzere Fristen gesetzt. Diese Klagen hießen daher Actionis temporales s. temporariae. Später wurde auch bei einigen Civilklagen eine bestimmte Zeitbeschränkung angenommen, u. namentlich bei der Eigenthumsklage u. andern dinglichen Klagen die Longi temporis praescriptio mit einer Zeitfrist von 10 Jahren inter praesentes. 20 Jahren inter absentes eingeführt. Erst Kaiser Theodosius II. stellte aber als durchgreifende Regel auf, daß alle nicht auf kürzere Zeitfristen eingeschränkte Klagen durch den Ablauf von 30 Jahren ausgeschlossen sein sollen, u. diese Regel ist danach (nur modificirt durch einige spätere Constitutionen, wonach in verschiedenen Fällen noch eine kürzere Verjährungsfrist von 40 Jahren stattfindet) auch in das Justinianeische u. heutige Gemeine Recht übergegangen. Alle Klagen sind hiernach eigentlich Actiones temporales geworden; dennoch werden diejenigen, welche blos einer V. von 30 od. mehr Jahren unterliegen, auch jetzt noch als Actiones perpetuae bezeichnet. Die Verjährungszeit beginnt mit dem Tage, an welchem zuerst ein Rechtsanspruch als ein klagbarer gegen einen bestimmten Gegner besteht, also die Möglichkeit zu klagen gegeben ist (Actio nata); somit bei dinglichen Klagen, wenn zuerst der Gegner durch Beeinträchtigung des Rechts zur Klage Anlaß gibt, z.B. bei der Eigenthumsklage, wenn derselbe zuerst, nicht mit dem Willen u. im Namen des Eigenthümers selbst, die Sache in Besitz hat; bei persönlichen Klagen mit dem Tage, an welchem die Verbindlichkeit dergestalt begründet ist, daß gegen den die Erfüllung weigernden Schuldner sofort geklagt werden kann. Daher verjährt die Klage auf wiederkehrende Leistungen, z.B. jährliche Renten, für jede einzelne Leistung erst von dem Tage ihrer Fälligkeit an. Doch ist, wenn die Hauptschuld einmal verjährt ist, die Klage auch in Ansehung aller rückständigen Zinsen durch die V. ausgeschlossen. Die Vollendung der Verjährungszeit tritt mit dem Ablauf des letzten Kalendertags derselben ein. Abweichend von der sonstigen Regel, daß die Verjährungszeit eine 30jährige ist, verjähren erst in 40 Jahren a) die Pfandklage gegen den Pfandschuldner selbst u. dessen Erben; b) die Klagen der Kirchen u. Milden Stiftungen, welche, wenn sie Andern zustünden, schon in 10, 20 od. 30 Jahren verjähren würden. Den Klagen der Römischen Kirche hat die Praxis des Mittelalters u. das Canonische [480] Recht sogar eine Dauer von 100 Jahren gegeben. Auf eine kürzere Verjährungszeit sind eingeschränkt: die Klagen aus fiscalischen Rechten, welche in der Regel schon nach 20 Jahren, rücksichtlich des Anspruchs auf einen erblosen Nachlaß schon in 4 Jahren, rücksichtlich der Strafgelder schon in 5 Jahren verjähren; die prätorischen Pönalklagen u. die sogenannten Popularklagen (s.u. Actio), welche schon in einem Jahre verjähren; endlich eine ganze Reihe einzelner verschiedener Klagen, wie z.B. eine Menge Interdicte, welche ebenfalls meist schon in einem Jahre, die Pflichttheilsklage, welche in 5 Jahren verjährt, etc. Neuere Landesgesetze haben sehr oft diese Verjährungsfristen bedeutend herabgesetzt, namentlich ist dies bezüglich der Klagrechte aus solchen Forderungen geschehen, welche dem täglichen Verkehr angehören, wie z.B. der Forderungen von Handwerkern, Kaufleuten etc., hinsichtlich deren die Verjährungszeit oft auf nur 3 od. 4 Jahre herabgesetzt worden ist. Nicht eingerechnet wird bei der Berechnung der Verjährungszeit die Zeit, wo die Klage einem Unmündigen od. Minderjährigen (in letzterem Falle jedoch nur bei V-en unter 30 Jahren) zusteht, ferner wo sie zu den Adventitien eines Hauskindes gehört, die Zeit eines Schisma bei Klagen der Römischen Kirche, eines völligen Gerichtsstillstandes (Justitium), od. wo gewisse rechtliche Hindernisse, wie z.B. eine Deliberations- od. Inventarisirungsfrist eines Erben, eine dem Schuldner ertheilte Stundungsfrist, die Einfügung der zu vindicirenden Materialien in ein Gebäude, der Anstellung der Klage entgegenstehen. Auch diese Zeiten werden ähnlich, wie bei der erwerbenden V., als Zeiten der ruhenden V. (P. dormiens) bezeichnet. Unwissenheit der Klagberechtigten hindert die Klagverjährung ebensowenig, wie eine Mala fides des zu Belangenden. Unterbrochen, so daß die schon abgelaufene Zeit nichts mehr gilt u. nur eine neue Verjährungszeit wieder anfangen kann, wird die V. durch Anstellung einer Klage bei einem competenten Gericht od. auch durch Erhebung derselben vor einem erwählten Schiedsrichter; für die angestellte, aber nicht durchgeführte Klage tritt eine neue V. von 40 Jahren (V. der Litispendenz) ein, welche sich von der Vornahme der letzten Proceßhandlung an berechnet; unter Umständen, wo die wirkliche Anstellung der Klage nicht thunlich ist, durch eine bei der Obrigkeit od. außergerichtlich vor drei Zeugen erhobene Protestation; durch jede Anerkennung des klagbaren Rechtsanspruches von Seiten des Beklagten, z.B. durch Abschlagszahlung, Zinsbezahlung, Pfandbestellung u. dgl.; durch Wegfall der die Klage veranlassenden Verletzung, z.B. bei Klagen gegen den Besitzer durch Verlust des Besitzes. Die Wirkung der Klagenverjährung ist die Hervorbringung einer Einrede zum Schütze des Beklagten; das Recht selbst, welches der Klage zu Grunde liegt, wird dadurch unmittelbar nicht aufgehoben. Doch sind hierüber, namentlich bezüglich der aus persönlichen Verbindlichkeiten hervorgehenden Forderungsrechte, die Ansichten sehr verschieden, indem Manche allerdings annehmen, daß die Obligation durch den Eintritt der V. entweder vollständig, od. doch wenigstens so, daß sie nun nicht mehr zur Compensation gegen später entstandene Forderungen des Schuldners zur Aufhebung gelange; während Andere die Forderung als Obligatio naturalis bestehen lassen. Damit hängt auch die Frage zusammen, ob die V. auch einen Einfluß auf die Einreden habe. Die Meisten verneinen dies, da das Vorbringen der Einreden durch die Anstellung der Klage bedingt ist u. nicht von dem Berechtigten abhängt; Andere halten dagegen die Einreden mit dem Eintritt der V. so gut für verloren, wie das Klagrecht. B) Die Restitutionswohlthat (s.u. In integrum restitutio) geht durch eine Verjährungsfrist von 4 Jahren verloren, C) Bei den Servituten findet sich eine Anwendung der erlöschenden V. in dem Verluste derselben durch Nichtausübung, welche sich 10 Jahre, od. bei den sogen. Servitutes discontinuae (s.u. Servitut) u. inter absentes 20 Jahre hindurch fortgesetzt hat, u. bei den Servitutes praedorium urbanorum überdies mit einer Usucapio libertatis, d.h. dem Besitze der dienenden Sache als einer freien, während jener Zeit verbunden gewesen sein muß. D) Eine Aufhebung der Reallasten durch V. findet, abgesehen von dem Falle der Nichtleistung seit unvordenklicher Zeit (s. unten), nicht Statt; dagegen hat die Berufung auf die V. der Klage die gewöhnliche Wirkung, daß sowohl das Klagrecht für den einzelnen Fall, als auch das Klagrecht überhaupt erlöschen kann, wenn die Klage seit 30 Jahren nicht angestellt wurde u. in dieser Zeit keine Leistung erfolgte. Manche nehmen indessen auch eine Erlöschung der Reallasten durch V. nach den gewöhnlichen Regeln der Servitutenverjährung an. E) Im Wechselrecht (s.u. Wechsel) tritt eine Erlöschung der Wechselschuld durch V. ein, wenn der wechselmäßige Anspruch gegen die aus dem Wechsel Verpflichteten nicht in einer gewissen Zeit geltend gemacht wird. Nach der allgemeinen Deutschen Wechselordnung ist die Verjährungszeit des Anspruchs gegen Acceptanten u. Aussteller eigener Wechsel 3 Jahre vom Verfalltag an, des Anspruchs gegen den Aussteller u. die übrigen Vormänner je nach der größern od. geringern Entfernung des Zahlungsortes 3, 6, 18 Monate vom Tage des erhobenen Protestes, des Anspruchs des Indossanten gegen den Aussteller je nach der Entfernung 3, 6, 18 Monate vom Tage der vom Indossanten ohne Klage geschehenen Zahlung, außerdem vom Tage der ihm geschehenen Behändigung der Klage od. Ladung. Ist die Wechselverjährung eingetreten, so haften dem Wechselinhaber der Trassant u. Acceptant, nicht aber auch der Indossant, noch auf so weit, als sie sich mit dessen Schaden bereicherten. Ob der verjährte Wechsel sonst noch als gewöhnlicher Schuldschein eine Bedeutung hat, ist nach den Umständen zu beurtheilen. F) Die Criminalverjährung (P. criminalis, V. der Verbrechen), d.h. die Aufhebung der rechtlichen Folgen eines Verbrechens, tritt mit dem Ablauf einer gewissen Zeit seit Verübung des Verbrechens ein. Dieselbe bildete sich zunächst im Römischen Rechte nach der Analogie des Civilrechts aus, indem man die öffentliche Anklage (Accusatio) in gleicher Weise, wie die Civilklage (Actio) erlöschen ließ u. ihre Statthaftigkeit ist sowohl von dem älteren, als auch dem neueren Gerichtsgebrauch anerkannt worden. Dieselbe besteht aber in drei verschiedenen Richtungen: a) als V. der Strafe (V. des Verbrechens im engeren Sinne), wonach das Verbrechen nach Ablauf der Verjährungsfrist als solches für getilgt angesehen wird. Diese V. beginnt gemeinrechtlich bei vollendetem Verbrechen mit dem Augenblick, wo dasselbe gesetzlich vollendet erscheint, bei blos[481] versuchter mit dem Augenblick der letzten. Versuchshandlung. Neuere Gesetzgebungen (z.B. Österreich) lassen den Anfang aber erst dann eintreten, wenn der Thäter auch keinen Nutzen mehr von dem Verbrechen in Händen, auch keine neuen Verbrechen begangen u. sich nicht geflüchtet hat. Die Verjährungszeit selbst ist gemeinrechtlich regelmäßig auf 20 Jahre, bei Unzuchtsvergehen aber auf 5 Jahre gesetzt, das Parricidium u. die Apostasie aber sind für unverjährbar erklärt. In den neueren Gesetzgebungen sind die Verjährungsfristen meist nach der Schwere der Verbrechen abgestuft. Für die mit Todesstrafe od. lebenslänglichem Zuchthaus bedrohten Verbrechen schließen einige Gesetze, z.B. Österreich, Sachsen, Hannover etc. die V. ganz aus, andere setzen einen Zeitraum von 20, Preußen von 30 Jahren fest. Für eine zweite Klasse, welche entweder alle mit Peinlichen Strafen bedrohten od. von Amtswegen zu verfolgenden Verbrechen umfaßt, ist dann eine Verjährungsfrist von 10 od. 15 Jahren angenommen; für eine dritte, in welche dann bald alle bloßen Vergehen u. Übertretungen, bald die blos mit Arbeitshaus- od. Gefängnißstrafe bedrohten, bald die nur auf Anzeige od. Privatanklage verfolgten andern Verbrechen gestellt sind, ein Verjährungszeitraum von nur 5, 3, 2 od. auch nur 1 Jahr bestimmt. Die V. wird durch jede Handlung unterbrochen, wodurch der Verbrecher als solcher gerichtlich verfolgt wird. Nach dem Eintritt einer solchen Unterbrechung gilt der bisher abgelaufene Theil der V. als aufgehoben; wird aber das Verfahren eingestellt, so beginnt die V. mit dem Tage der letzten gerichtlichen Handlung von Neuem; b) als V. der bereits erkannten Strafe. Hiervon weiß das Gemeine Recht Nichts, u. auch die neueren Strafgesetzbücher von Preußen, Österreich, Baiern, Hannover, Hessen-Darmstadt u. Nassau kennen eine solche V. nicht; wohl aber ist diese Art der Criminalverjährung mehren anderen neueren Legislationen bekannt, in welche sie aus dem Französischen Recht übergegangen ist. Die V. beginnt hier mit dem Augenblick, wo das Urtheil verkündigt od. die Strafe eingestellt wurde, beziehentlich der Verurtheilte sich derselben entzogen hat. Die Verjährungsfrist richtet sich im Allgemeinen nach den Fristen über die Verbrechensverjährung; doch haben manche Gesetzgebungen hierbei auch eine etwas längere Frist, z.B. 25 statt 20 Jahre, angenommen. Unterbrochen wird diese Art der V. durch Erneuerung des Strafvollzuges, namentlich Festnehmung des Verbrechers zu diesem Zwecke, auch nach einigen Gesetzen schon durch Verübung eines neuen Verbrechens; c) als V. der Rückfälligkeit welche darin besteht, daß nach Ablauf der Verjährungsfrist für eine erkannte od. theilweis erlittene Strafe ein neues Verbrechen nicht als Rückfall (s.d.) behandelt werden kann. Die Gesetze, welche nur nach vollzogener Strafe das neue Verbrechen als Rückfall gelten lassen, lassen diese B, mit, dem Augenblick beginnen, wo der Strafvollzug beendigt wurde; diejenigen dagegen, nach denen schon die Verkündigung des Urtheils genügt, um das neue Verbrechen zum Rückfall zu erheben, schließenden Rückfall auch schon da aus, wo die erkannte Strafe für das frühere Verbrechen verjährt ist. Die Zeitfristen sind dabei nach den meisten Gesetzen die allgemeinen Verjährungsfristen; einzelne Gesetze, z.B. Österreich, Baiern u. Hannover, lassen aber eine V. der Rückfälligkeit gar nicht zu.
III. Immemorialverjährung od. V. durch unvordenkliche Zeit ist der Rechtssatz, daß, wenn ein Recht so lange ausgeübt worden ist, daß der Anfang dieser Ausübung über Menschengedenken hinausliegt, dann angenommen wird, es sei dies Recht irgend wann u. wie, gleichviel ob durch besondere Verleihung od. auf andere Art, rechtsgültig erworben worden. Die Unvordenklichkeit der Rechtsausübung ersetzt also den sonst erforderlichen Beweis des Rechtserwerbes. Diese unvordenkliche V. kommt schon im Römischen Rechte unter dem Namen Vetustas in einzelnen Anwendungen vor, namentlich bei Gemeindewegen, Schutzanstalten gegen das Regenwasser u. bei Wasserleitungen; noch ausgebreiteter findet sich dieselbe im Canonischen Recht u. in vielen Reichsgesetzen, u. zwar immer hauptsächlich in solchen Fällen u. in Bezug auf solche Gerechtsame angewendet, welche einen mehr od. minder publicistischen Charakter an sich tragen. Daher erachten auch viele Rechtslehrer die Anwendbarkeit des Rechtssatzes in rein privatrechtlichen Verhältnissen für ausgeschlossen u. beschränken dieselbe auf solche Rechtsverhältnisse, bei denen sich ein Zusammenhang mit dem öffentlichen Rechte erkennen läßt. Um den Begriff der Unvordenklichkeit eines thatsächlichen Zustandes zu erfüllen, wird vorausgesetzt, daß Niemand, weder aus eigener Wahrnehmung, noch aus Mittheilung der Vorfahren, über den Anfang desselben Auskunft zu geben vermöge. Zum Beweise derselben dient vorzüglich die Aussage von Zeugen, deren Erinnerung ein ganzes Menschenalter, d.i. wenigstens 40 Jahre, umfaßt, wodurch bezeugt wird, nicht nur, daß während dieser Zeit der gegenwärtige Zustand immer vorhanden gewesen sei sondern auch, daß sie von ältern Personen niemals eine andere Kunde vernommen haben. Es können jedoch auch Urkunden zum Beweise dienen, welche eine gleiche Wahrnehmung bekunden. Die Wirkung solcher Beweisführung wird aber zerstört, wenn ein unrechtmäßiger Anfang des gegenwärtig noch fortdauernden Zustandes in irgend einer frühern Zeit bewiesen wird. Von den neueren Gesetzbüchern hat das Französische Gesetzbuch die unvordenkliche V. ganz abgeschafft. Auch das Preußische Landrecht hat sie nicht aufgenommen, dagegen aber in einigen Fällen, in welchen sie nach Gemeinem Rechte gelten würde, V-en von bestimmter, nur ungewöhnlich langer Dauer, z.B. für die Steuerfreiheit einen Besitz von 50 Jahren, für den Erweis des Adels Bestehen desselben im Jahre 1740 od. fortdauernde Ausübung der Adelsrechte während 44 Jahren vorgeschrieben. Vgl. über V. überhaupt: Estor, Entwurf der Lehre von der römischen Usucapion u. der langwierigen Ersitzung, Marb. 1756: Rave, Principia universiae doctrinae de praescriptionibus zuletzt Halle 1790; Thibaut, Über Besitz u. V., Jena 1802; Dabelow, Über die V., Halle 1805 ff.. 2 Bde.; Kori, Theorie der V. nach Gemeinen u. Sächsischen Rechten, Lpz. 1811; Unterholzner, Die Lehre von der V. durch fortgesetzten Besitz, Bresl. 1815, u. Dessen ausführliche Entwickelung der gesammten Verjährungslehre aus dene Gemeinen in Deutschland geltenden Rechten, Lpz. 1828, 2 Bde., neu bearbeitet von Schirmer, 1858; Reinhardt, Die Usucapio u. Praescriptio des Römischen Rechts, Stuttg. 1832; Hameaux, Die Usucapio u. Longi temporis praescriptio, 1835; Stiezing, Das Wesen von Bona fides u. Justus titulus in der Römischen Usucapionslehre, Heidelb. 1853; Engau,[482] Von der V. in peinlichen Fällen, 6. Aufl. Jena 1772; Gründler, Systematische Entwicklung der Lehre von der V. der Strafen, Halle 1796; Paysen, Über V in peinlichen Sachen, Altona 1811; Buchta, Der unvordenkliche Besitz, Heidelb. 1841; Friedländer, Die Lehre von der unvordenklichen Zeit, ebd. 1843.
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