Vormundschaft

[689] Vormundschaft (Tutela), die rechtlich angeordnete Fürsorge u. Vertretung für eine Person, welche ihre rechtlichen Angelegenheiten selbst gehörig wahrzunehmen wegen persönlicher Eigenschaften nicht im Stande ist, durch eine andere Person, welche letztere Vormund (lat. Tutor, Curator, oberdeutsch Pfleger, Vogt, in Österreich u. Salzburg Gerhaber, altbaierisch Gewer, am Niederrhein Mombar) genannt wird. Zumeist tritt die V. als ein Surrogat für den durch die Unterwerfung unter die Väterliche Gewalt (s.d.) zugleich gewährten Schutz da ein, wo jener Familienschutz nicht besteht od. nicht ausreicht, u. die Pflicht die V., zu übernehmen trifft zunächst auch wieder die nächsten Verwandten, weshalb man die Lehre von[689] der V. gewöhnlich als einen Theil des Familienrechtes betrachtet, obschon neuere Rechtslehrer sie nur als einen Theil des Obligationenrechtes ansehen wollen. Das Recht der V., wie es dermalen besteht, hat sich in der Hauptsache auf dem Grund römischer Rechtsgrundsätze entwickelt; doch ist dasselbe auch durch germanische Rechtsanschauungen mehrfach modificirt worden. Bes. sind solche Modificationen durch die Beseitigung des Unterschiedes zwischen Tutela u. Cura (s. unten) u. durch die kräftigere Entwickelung des Institutes der Obervormundschaft (s. unten S. 693) herbeigeführt worden, welche das Römische Recht in sehr geringen Anfängen kennt. A) Die Gründe, wegen deren eine V. eintreten kann, sind: a) jugendliches Alter. Aus diesem Grunde sollen nach Römischem Recht Unmündige (Impuberes), d.h. Knaben bis zum vollendeten 18., Mädchen bis zum vollendeten 14. Lebensjahre, wenn sie nicht unter väterlicher Gewalt stehen, von Rechtswegen unter einer V. stehen (Tutela impuberum s. pupillorum), während mündige Minderjährige, d.i. Knaben u. Mädchen bis zum vollendeten 25. Lebensjahre nur in gewissen Handlungen des Beistandes eines Curators bedürfen u. in einigen Fällen ihnen dieser auch wider ihren Willen bestellt werden soll. Eine allgemeine Vorschrift, daß auch Minderjährige einen Vormund haben müßten, besteht daher im Römischen Recht nicht; auch innerlich aber stellt sich zwischen der Tutela impuberum u. Cura minoris nur ein wesentlicher Unterschied dadurch heraus, daß der Autor durch sein Vollwort (Auctoritas) die unvollkommene Handlungsfähigkeit des Impubes ergänzt, während bei dem Curator minoris nur von einer Zustimmung (Consensus) des Curators zu selbständig vorgenommenen Handlungen des Minderjährigen die Rede ist. Die Tutela endigte mit der Mündigkeit, u. als Curator trat für die Zeit der Minderjährigkeit nicht der gewesene Tutor, sondern ein Anderer ein. Die deutsche Reichsgesetzgebung (Reichspolizeiordnung von 1548), welcher in dieser Hinsicht alle späteren Landesgesetze gefolgt sind, hat jedoch diesen Unterschied gänzlich aufgehoben. Nach derselben sollen den Pupillen u. Minderjährigen jederzeit bis zu ihren vogtbaren od. mannbaren Jahren Vormünder u. Vorsteher gegeben werden. Hierdurch ist die römische Tutela u. Cura zu einer von der ersten Kindheit bis zur Volljährigkeit sich erstreckenden Altersvormundschaft verschmolzen worden, bei welcher die vormundschaftliche Vertretung m Rücksicht der Wirkung der Auctoritas des römischen Tutor, in Rücksicht der Form aber dem Consensus des Curators gleich steht. b) Mangel der Willensfähigkeit wegen geistiger Krankheit. Darauf beruht die V. über einen Furiosus, welche jedoch nur dann eintritt, wenn nicht ohnehin durch Altersvormundschaft für den Wahnsinnigen gesorgt ist. Verwandt damit ist c) unsinnige Verschwendung, welche die Cura prodigi erzeugt, s. Prodigus; d) Hinderung eigener genügender Fürsorge durch andauernde Schwäche u. Kränklichkeit od. körperliche Fehler, z.B. Stummheit, wegen deren die Betroffenen (preßhafte Personen, Personae debiles) auf ihren Wunsch einen Vormund erhalten können. Nicht unter den Begriff der V. gehören dagegen die Fälle, wo ohne unmittelbare Beziehung auf die Person für die Verwaltung gewisser Vermögensmassen ein Curator eingesetzt wird (Cura bonorum), wie z.B. bei entstandenem Concurs, über eine strittige Erbschaft u. dergl.

B) Die Bestellung als Vormund setzt auf Seite des Vormundes a) die besondere Fähigkeit zur Führung einer solchen voraus. Diese Fähigkeit kommt regelmäßig nur Personen männlichen Geschlechtes zu, welche nicht selbst noch einer V. bedürfen. Frauen sind davon ausgeschlossen; nur Müttern u. Großmüttern kann die V. über ihre Kinder u. Enkel übertragen werden, wenn sie auf die weiblichen Rechtswohlthaten verzichten u. so lange sie nicht eine andere Ehe eingehen. Außerdem sind absolut unfähig Bischöfe u. Mönche ohne Ausnahme, andere Geistliche nur mit der Ausnahme, daß ihnen die gesetzliche V. über die nächsten Anverwandten zu führen gestattet ist, Soldaten, sofern sie nicht durch das Testament eines Mitsoldaten zur V. berufen sind, Minderjährige, Wahnsinnige, gerichtlich erklärte Verschwender u. alle solche Personen, welche wegen Krankheit od. körperlicher Gebrechen zur Führung der V. untauglich sind. In dem letzteren Falle sprechen die Rechtsquellen von einer nothwendigen Entschuldigung (Excusatio necessaria) solcher Personen, d.h. es sind dieselben zwar an sich nicht schon ipso jure als ganz unfähig zu achten, dürfen aber von der Obrigkeit weder zur V. berufen, noch, wenn sie auf andere Weise berufen wären, zur Führung der V. zugelassen werden u. müssen, wenn der Mangel erst später eintritt, von derselben wieder entfernt werden. Außerdem sind manche Personen nur relativ unfähig, d.h. nur zur Führung gewisser V-en unfähig. Dazu gehört, wer durch ausdrückliches Verbot des Vaters od. der Mutter des Mündels ausgeschlossen ist, wer mit dessen Eltern in unversöhnter Feindschaft gelebt hat, wer sich zur V. drängt, u. Gläubiger u. Schuldner des Mündels, mit Ausnahme der Mutter u. Großmutter. Ist das Schuldverhältniß verschwiegen, so verliert der Gläubiger seine Forderung u. der Schuldner kann während der V. nicht befreit werden. Entsteht das Schuldverhältniß erst nach übernommener B., so soll dem Vormund ein zweiter Vormund beigesellt werden. b) Eine Berufung zur V. (Delation). Diese kann bei der Altersvormundschaft auf dreifache Weise erfolgen: aa) durch testamentarische Ernennung von Seiten des Vaters, durch dessen Tod der Mündel sui juris geworden ist (Tutela testamentaria). Die Ernennung kann im Testament selbst od. in einem Codicille geschehen; der Ernannte muß eine individuell bestimmte Person u. fähig sein zum Erben eingesetzt zu werden. Doch kann auch eine ungültige testamentarische Ernennung durch obrigkeitliche Bestätigung aufrecht erhalten werden bb) durch Rechtssatz (Tutela legitima), indem, wenn eine gültige testamentarische Ernennung nicht stattgefunden hat od. dieselbe beseitigt worden ist, die nächsten zur V. fähigen gesetzlichen Erben des Mündels dazu berufen werden. Nach älterem Römischen Recht waren die nächsten Agnaten, wie die nächsten gesetzlichen Erben, so auch die nächstberufenen Tutoren; im Justinianischen. Recht ist Beides auf die Cognaten übertragen. Ähnlich galt im Mittelalter als durch Gesetz unmittelbar bestimmter (geborener, rechter) Vormund der mit dem Unmündigen durch Männer am nächsten verwandte mündige Mann, der nächste Schwertmagen. Hatte der Unmündige keine Schwertmagen, so erhielt der nächste Verwandte von der Weiberseite (Spillmagen) die [690] Voigtei. cc) Durch obrigkeitliche (richterliche) Ernennung (Tutela dativa), welche dann eintritt, wenn weder testamentarisch, noch gesetzlich ein Vormund berufen, od. der Berufene von der V. ausgeschlossen od. entbunden worden ist, od. sonst das Bedürfniß eintritt für eine gewisse Zeit od. für gewisse Geschäfte statt des vorhandenen Vormundes einen anderen zu bestellen. Ein solcher Tutor heißt im Römischen Recht auch Tutor Atilianus nach einer Lex Atilia, (s.d.). Bei den anderen Arten der V., außer der Altersvormundschaft, z.B. der V. über Wahnsinnige, Verschwender etc., bildet die Bestellung durch die Obrigkeit die Regel. Zwar kann auch eine testamentarische Ernennung stattfinden, u. bei der Curatel über Wahnsinnige u. Verschwender kommt sogar schon in den Zwölf Tafeln auch eine gesetzliche Delation vor; allein immer bedarf eine solche Berufung doch noch der Ergänzung durch obrigkeitliche Bestätigung, u. es erfolgt diese in der Regel nur nach besonderer vorgängiger Prüfung, nur bei Ernennung durch das Testament des Vaters auch ohne solche. Die obervormundschaftliche Behörde hat dabei von Amtswegen darauf zu sehen, daß die der V. Bedürftigen nicht ohne Vormund bleiben. Zugleich ist aber den nächsten Intestaterben zur Pflicht gemacht der Obrigkeit eintretenden Falls von der Notwendigkeit der Bestellung eines Vormundes Kenntniß zu geben u. eine taugliche Person dazu in Vorschlag zu bringen (Petitio tutoris). Das Gesuch muß innerhalb eines Jahres gestellt werden; schuldvolle Versäumung zieht Ausschluß von der Erbschaft des Tuenden nach sich, wenn derselbe, ohne die Fähigkeit zur eigenen Errichtung eines Testamentes erlangt zu haben, verstorben ist. Die Übernahme einer rechtmäßig angetragenen V. ist eine Bürgerpflicht (Munus publicum), welcher man sich nicht willkürlich entziehen kann. Nur die Großmutter u. Mutter sind dazu berechtigt, ohne verpflichtet zu sein. Indessen stellen die Gesetze eine Reihe von Gründen (Excusationes voluntariae) auf, aus denen Jemand die Übernahme von V-en ablehnen kann. Derartige Excusationsgründe sind schon gemeinrechtlich: die Bekleidung eines obrigkeitlichen Amtes, die Verwaltung der Angelegenheiten des Regenten od. Fiscus, Abwesenheit im Dienste des Staates bis nach Ablauf eines Jahres nach erfolgter Rückkehr, öffentliche Lehrämter, ärztlicher Beruf, die Sorge für drei, vier od. fünf Kinder, je nachdem der Betroffene in Rom, Italien od. den Provinzen wohnte, die bereits obhabende Besorgung von drei andern V-en, Unkunde des Lesens u. Schreibens, 70jähriges Alter, Armuth, Verschiedenheit des Wohnortes etc.; landesgesetzlich sind diese Entschuldigunsgründe bald vermehrt, bald vermindert. Der Übernahme einer testamentarischen V. kann sich jedoch, auch wer einen gesetzlichen Befreiungsgrund für sich hat, nicht mehr entziehen, wenn von ihm ein ihm vom Testator hinterlassenes Vermächtniß angenommen od. dem Testator schon bei seinen Lebzeiten das Versprechen geleistet worden ist die V. zu übernehmen (Tutela pactitia). c) Jeder Vormund muß nach reichsgesetzlicher Vorschrift in die Verwaltung der V. förmlich eingesetzt werden. Dies geschieht durch ein gerichtliches Decret (Tutorium od. Curatorium), welches dem Vormund zu seiner Legitimation zugefertigt wird. Außerdem erfolgt noch eine besondere Verpflichtung mittelst Eides od. Handgelöbnisses. Jeder Vormund soll auch vor dem Antritt der V. Bürgen stellen od. eine Kaution leisten; doch hat die Unmöglichkeit unter dieser Bedingung immer Vormünder zu erhalten von dieser Vorbedingung vielfach abgehen lassen, u. es sind dafür particular rechtlich andere Sicherungsmittel eingeführt worden, z.B. daß alle Documente, welche sich auf das Vermögen des Mündels beziehen, gerichtlich deponirt werden müssen. Hiernächst hat der Vormund ein Vermögensverzeichniß (Inventarium) aufzustellen, welches die Grundlage für die Vormundschaftsverwaltung bildet. Die Verantwortlichkeit des Vormundes beginnt jedoch schon, sobald er nur von seiner Berufung zur V. Kenntniß erlangt hat. Er muß daher auch die obrigkeitliche Verpflichtung selbst betreiben u. haftet für etwaige Nachtheile, welche dem Mündel durch verschuldete Zögerung erwachsen sind.

C) Die Rechtsverhältnisse während bestehender V. beziehen sich a) auf die Fürsorge für die Person des Mündels. Ohne sich selbst der persönlichen Pflege unterziehen zu müssen, muß der Vormund doch für Beaufsichtigung, den Unterhalt u. die Erziehung des Mündels, auch z.B. bei Wahnsinnigen für dessen Heilung, besorgt sein. Zwar kann darüber auch die Obervormundschaft, unter Zuziehung der nächsten Angehörigen des Mündels u. mit Rücksicht auf, etwaige Bestimmungen der Eltern, Anordnungen treffen; auch hat vor allen die Mutter, selbst wenn sie nicht Vormünderin ist, Anspruch auf Erziehung des Kindes. Allein der Vormund hat nicht blos für den Vollzug solcher Anordnungen zu wirken, sondern auch insbesondere die bezüglichen Kosten aus dem Mündelvermögen zu bestreiten u. überall Rath u. Beistand zu leisten. Überdies hat er den persönlichen Rechtsstand des Mündels zu wahren u. nötigenfalls gerichtlich geltend zu machen, wenn dem Mündel Stand, eheliche Geburt etc. bestritten werden sollte. Bei Verheirathungen des Mündels ist der Consens des Vormundes erforderlich. b) In Betreff der Mitwirkung bei Rechtsgeschäften der Mündel nahm der Vormund früher eine verschiedene Stellung ein, je nachdem er Tutor od. Curator war. Der Impubes, welcher unter Tutela stand, konnte nach Römischem Recht nur unter Auctoritas des Tutors handeln, u. diese mußte unmittelbar bei der Handlung des Mündels selbst von dem persönlich gegenwärtigen Tutor mündlich, unbedingt u. freiwillig erklärt werden. Der mündige Minderjährige dagegen, welcher nur einen Curator hatte, war an sich handlungsfähig, u. der bei einigen Rechtsgeschäften, wie z.B. Proceßführung, Bestellung einer Dos od. Donatio propter nuptias, vorgeschriebene Consens konnte in jeder Weise, vorher od. nachher, erklärt werden. In der heutigen Praxis wird dieser formelle Unterschied nicht mehr beobachtet; es gilt als allgemeine Regel, daß die unter V. stehenden Personen ohne vormundschaftliche Zustimmung, welche aber dann in jeder Weise erklärt werden kann, kein sie verpflichtendes od. sonst ihre Rechte schmälerndes Rechtsgeschäft vornehmen können. Nur solche Personen, welche freiwillig unter V. stehen u. daher auch deren Aufhebung im Ganzen durch ihren Willen herbeiführen können, sind dadurch in ihrer Handlungsfähigkeit nicht beschränkt u. können demnach sowohl ohne, als mit Zustimmung des Vormundes giltig verfügen. c) Die Verwaltung des Mündelvermögens[691] hat der Vormund in der Weise zu führen, daß er überall die Rechte u. den Vortheil des Mündels so wahren soll, als wenn es seine eigene Angelegenheit wäre. Er haftet daher in der Regel für die sogenannte Diligentia in concreto (vgl. Culpa, S. 575), für omnis culpa aber, wenn er zur Verwaltung sich zugedrängt hat. Vor Allem liegt ihm ob für die Erhaltung des vorhandenen Vermögens Sorge zu tragen. Zu diesem Zwecke hat er das Nöthige zur Unterhaltung der Sachen anzuordnen, kostspielige od. dem Verderben ausgesetzte Sachen zu veräußern, drückende Schulden nach Möglichkeit zu bezahlen, unsichere Forderungen beizutreiben. Zu nothwendigen Ausgaben, namentlich für Erziehung u. Unterhalt des Mündels, kann jedoch auch das Vermögen in seinem Capitalbestand angegriffen werden. Ohne gerade verpflichtet zu sein eine besondere Erwerbthätigteit für den Mündel zu entwickeln, muß der Vormund aber auch auf mögliche Vermehrung des Vermögens bedacht sein, soweit es eine gewöhnliche zweckmäßige Verwaltung mit sich bringt. Aus diesem Grunde hat der Vormund unverzinsliche Forderungen einzuziehen u. verfügbares Geld entweder zum Ankauf von Grundstücken zu verwenden od. sonst verzinslich anzulegen, wozu ihm ein sogenanntes Laxamentum temporis von sechs Monaten nach Antritt der Vormundschaft u. von zwei Monaten für die später einlaufenden Gelder verstattet ist. Nach Verlauf dieser Frist muß der Vormund landesübliche Zinsen vergüten, wenn er nicht die Unmöglichkeit sicherer Anlage des Geldes darthut; hat er inzwischen das Geld in eigenen Nutzen verwendet, so muß er die höchsten Zinsen gewähren. Freiwillige Veräußerungen von Mündelgütern, unter denen hier alle Minderungen des Mündelvermögens, selbst Zahlungen an Schuldner, mitbegriffen werden, darf der Vormund gemeinrechtlich nur aus Anlaß eines dringenden Bedürfnisses u. auf Grund eines nach vorgängiger Erörterung dies Bedürfniß anerkennenden u. daher die Veräußerung billigenden Decretes vornehmen. Ausgenommen von diesem Veräußerungsverbot sind nur geringfügige, unbrauchbare od. zur Aufbewahrung nicht geeignete Sachen, Früchte u. die Einnahmen jährlicher, nicht über zwei Jahre rückständiger Einkünfte, auch mäßige Liberalitäten, welche der Anstand erfordert u. welche der Mündel dereinst nicht ohne Verletzung der Billigkeit bestreiten könnte. Verstößt aber die Veräußerung wider das Verbot, so ist dieselbe nichtig, u. der Mündel kann, wenn er nicht vorziehen sollte den Vormund deshalb in Anspruch zu nehmen, sein Recht geltend machen, als wenn die Veräußerung gar nicht vorgekommen wäre. Er kann daher auf die Rückgabe des veräußerten Gegenstandes selbst klagen, wenn derselbe noch vorhanden ist, u. der Beklagte hat dann den Beweis des ertheilten Decretes zu führen, wenn er sich dawider schützen will. Abgesehen von diesem Decret hat aber der Beklagte auch noch eine Einrede, soweit etwa der klagende Mündel sich auf seine Kosten bereichern will, ferner wenn der Mündel die Veräußerung durch Eid bestärkt od. nach erreichter Volljährigkeit ratihabirt hat, u. wenn nach eingetretener Volljährigkeit fünf Jahre vergangen sind, ohne daß die Veräußerung angefochten worden war. d) Sind Mehrere als Mitvormünder (Contutores od. Concuratores) für eine u. dieselbe V. bestellt worden, so vertheilt sich die Verpflichtung derselben nach dem Verhältnis, in welchem sie zu einander stehen. Die Verwaltung kann einem od. mehrern vorzugsweise übertragen sein; alsdann heißen diese Vormünder Tutores gerentes, die andern Tutores honorarii. Die letzteren haben solchenfalls nur die Pflicht der Aufsicht über die ersteren, wegen deren Vernachlässigung sie allerdings ebenfalls verantwortlich werden können. Die Verwaltung kann aber auch ungetheilt übertragen sein, so daß jeder vollständig die Verwaltung hat; dann haftet auch jeder vollständig u. hat das Recht dem andern eine Verwaltungshandlung zu verbieten. Endlich ist der Fall denkbar, daß die Verwaltung auch getheilt sein kann, so daß jedem Vormund sein besonderer Verwaltungszweig angewiesen ist; alsdann ist jeder einzelne nur bezüglich seines Verwaltungszweiges als Tutor gerens verantwortlich, bezüglich der Verwaltungszweige der andern gilt er nur als Tutor honorarius, vorausgesetzt daß nicht etwa die Theilung der Verwaltung nur durch eine Privatübereinkunft der Vormünder herbeigeführt worden ist. e) Zur Geltendmachung der aus der vormundschaftlichen Verwaltung hervorgehenden Rechte u. Verbindlichkeiten sind zwei Hauptklagen gegeben: aa) die Actio tutelae directa, welche nach Beendigung der V. dem Mündel u. dessen Erben gegen den Vormund od. dessen Erben zusteht. Sie ist auf gehörige Rechnungslegung über die ganze Verwaltung, auf Herausgabe dessen, was der Vormund noch vom Vermögen des Mündels in Händen hat, u. auf Ersatz der etwa culposer Weise zugefügten Nachtheile gerichtet. Wegen Arglist od. grober Nachlässigkeit kann der Kläger für den Beweis seines Schadens zum Schätzungseid zugelassen werden. Die Erben des Vormunds haften nur wegen Dolus u. Culpa lata ihres Erblassers, insofern der Proceß nicht bereits gegen den Vormund selbst begonnen war, aber auch wegen eigener grober Verschuldung, wenn sie sich noch der Verwaltung unterzogen od. von ihrem. Erblasser angefangene Geschäfte zu vollenden verabsäumt haben. bb) Die Actio tutelae contraria, welche dem Vormund u. dessen Erben gegen den Mündel u. dessen Erben auf Ersatz der zum Zwecke der vormundschaftlichen Verwaltung angemessener Weise gemachten Auslagen u. auf Befreiung von den dieserhalb eingegangenen Verbindlichkeiten, unter Umständen auch auf Gewähr eines Salairs für die gehabte Mühewaltung, als Entschädigung für den dadurch entgangenen anderweiten Verdienst zusteht. Nach älteren deutschen Statuten hatte der Vormund zuweilen sogar das Recht des vollen Nießbrauches am Mündelvermögen, gegen die Verpflichtung den Mündel daraus zu unterhalten u. zu erziehen (Tutela fructuaria). Außer dem Vormund selbst u. seinen Erben können aber auch diejenigen verhaftlich gemacht u. subsidiarisch mit derselben Klage belangt weiden, welche für den Vormund Bürgschaft leisteten, ferner welche vor Gericht bei der bezüglichen Erörterung die Tüchtigkeit u. Zuverlässigkeit des Vormundes bezeugt haben (die sogenannte Affirmatores), nach diesen auch diejenigen, welche den Vormund direct vorgeschlagen haben, sei es vermöge ihrer Petitionspflicht (Postulatores), od. vermöge einer Amtspflicht (Nominatores), od. aus freiem Willen. Gleichergestalt ist verhaftlich, wer, ohne Vormund zu sein, sich der vormundschaftlichen Verwaltung unterzieht (Protutor s. Tutor falsus). Derselbe steht zu dem Mündel in[692] einem gleichen obligatorischen Verhältnis, wie ein wahrer Vormund, es findet daher zwischen beiden u. ihren Rechtsnachfolgern die Actio protutelae directa u. contraria nach den nämlichen Grundsätzen statt, wie die Actio tutelae. Nur hat der Protutor keine Verwaltungsbefugniß u. ist deshalb auch nicht in gleicher Weise, wie der wahre Vormund, wegen Unterlassungen verantwortlich.

D) Die Beendigung der V. tritt ein, wenn das Bedürfniß derselben, wegfällt. Sie endigt daher von selbst durch den Tod des Mündels, durch dessen Unterwerfung unter eine Väterliche Gewalt (Arrogation), die Altersvormundschaft insbesondere noch durch die Volljährigkeit des Mündels u. nach Deutschem Rechte durch Verheirathung der Mündelin, indem alsdann der Ehemann als ehelicher Vormund eintritt, die Curatel über einen Wahnsinnigen durch dessen Genesung, die über einen Verschwender durch dessen Besserung, die über andere hülfsbedürftige Personen, wenn ihre Hülfsbedürftigkeit aufhört, die nur für eine einzelne Angelegenheit angeordnete V. durch vollständige Erledigung des dem Vormund aufgetragenen Geschäftes. Bei Wahnsinnigen u. Verschwendern wird jedoch heutzutage immer noch eine obrigkeitliche Aufhebung des Decretes, welches jene Person unter V. setzte, erfordert. Es kann die V. aber auch blos in der Person des Vormundes beendigt werden, ohne daß der Mündel deshalb frei von der V. wird, indem dann ein neuer Vormund an die Stelle des früheren tritt. Dies geschieht durch den Tod des Vormundes, durch eintretende Unfähigkeit desselben (s. oben), durch Geltendmachung einer der Excusationsgründe, welche dem Vormund die Niederlegung der V. gestatten u. von dem Richter Billigung erlangen, so wie durch Entsetzung desselben, sei es weil er durch Untreue od. grobe Fahrlässigkeit des Amtes sich unwürdig gemacht hat, od. weil aus anderen Gründen seine Beibehaltung im Interesse des Mündels bedenklich erscheint. Das Recht auf eine Remotion anzutragen steht Jedem zu, selbst Frauen, welche dem Bevormundeten verwandt od. verschwägert sind; außerdem hat die Obrigkeit auch das Recht zu einem Einschreiten von Amtswegen. Die Entsetzung selbst erfolgt nach vorgängiger Prüfung durch ein richterliches Decret; der Vormund, welcher wegen begangener Untreue abgesetzt wird, unterliegt nach Befinden auch den öffentlichen Strafen der Unterschlagung (s.d.) u. der Infamie.

E) Über die einzelnen Vormünder steht die Obervormundschaft als eine beaufsichtigende u. berathende Behörde. Die Ausbildung derselben in ihrer heutigen Gestalt ist für Deutschland bes. auf die particularrechtlichen Vormundschaftsordnungen zurückzuführen, welche vom 16. Jahrh. an zahlreich erschienen sind u. in denen sich römische u. deutsche Rechtsansichten verbunden finden. Schon früher aber findet sich, daß dem Könige als Schutzherrn über alle wehrlosen freien Leute, welche keine Familie hatten, ein Schutzrecht für die Unmündigen zugeschrieben wurde. Dies Schutzrecht führte, als später das Römische Recht eindrang, zunächst zur Einräumung einer Aussicht über die Vormünder. Seit Ausbildung der Landeshoheit betrachtete man dieselbe als einen unmittelbaren Ausstuß der oberaufsehenden Staatsgewalt u. gab mit der Entwickelung der letzteren auch der mit der Obervormundschaft verbundenen Attribution nach u. nach eine immer größere Ausdehnung. Die Geschäfte der Obervormundschaft sind hiernach in der Regel dem Gerichte erster Instanz übertragen, bei welchem der zu Bevormundende zugleich seinen ordentlichen Gerichtsstand hat. In manchen Ländern sind aber hierzu auch eigene Vormundschaftsbehörden bestellt, welche dann die Bezeichnung Oberpflegämter, Waisengerichte, Tutelarräthe, Pupillencollegien führen. Dabei findet auch noch ein Instanzenverhältniß statt, indem die oberen Landesbehörden (Obergerichte, Appellationsgerichte) wieder eine Oberaufsicht über die Verwaltung der Obervormundschaft bei den Unterbehörden führen, wozu namentlich Vormundschaftstabellen eingerichtet sind, welche jährlich an die oberen Landesbehörden einzusenden sind u. in denen für jede V. ihr unter besonderer Nummer der Stand des Vermögens, dessen Anlage u. etwaige Veränderungen angegeben werden müssen. Die Obervormundschaft äußert sich bes. in der Pflicht für taugliche Vormünder zu sorgen, nur als fähig Erkannte zu bestätigen, auf gehörige Sicherstellung u. auf ordentliche Inventarisirung des Vermögens zu dringen, die in der Regel jährlich abzulegenden Vormundschaftsrechnungen zu prüfen, in allen wichtigen Fällen auf Anfrage des Vormundes nach den Gesetzen u. nur im Interesse der Mündel zu entscheiden, bei Ertheilung der Veräußerungsdecrete möglichste Sorgfalt anzuwenden u. beständige Aufsicht über die Verwaltung des Vormundes zu halten. Nach manchen Gesetzen wird die Obervormundschaft dabei durch einen aus den nächsten Verwandten des Mündels gebildeten Familienrath (s.d.) unterstützt. Bei Nachlässigkeit der Obervormundschaft steht dem Mündel wegen Ersatzes des dadurch geursachten Schadens auch wider die Obervormundschaft eine subsidiarische Klage zu. Ist die Obervormundschaftsbehörde ein Collegium, so haftet zunächst das mit der Sache betraute Mitglied, eventuell aber auch die übrigen. Gegen die höheren Landesbehörden, welche nur die Oberaufsicht über die unteren Vormundschaftsbehörden haben, kann die Klage nicht gerichtet werden, insofern nicht nachgewiesen werden kann, daß nur durch ihre Schuld der Schaden entstanden ist. Über die sonst bei Frauen allgemein übliche Geschlechtsvormundschaft s.d. Vgl. Wiesner, Vormundschaftsrecht, Halle 1785; Junghans, Versuch eines Unterrichts in Vormundschaftssachen, Lpz. 1787; Stein, Über V. u. Curatelen, Stuttg. 1824; Rudorff, Das Recht der B., Berl. 1832–34, 3 Bde.; Zöpfl, Vergleichung der römischen Tutel u. Cura mit der deutschen B., Bamb. 1828; Kraut. Die V. nach den Grundsätzen des deutschen Rechts, Gott. 1835 u. 1847, 2 Bde.; Happel, Unterricht für Vormünder mit Rücksicht auf Hessen-Kassel, Marb. 1793; Martini. Die Vormundschaftslehre nach Mecklenburgischen Statuten, Rost. 1802; Forchhammer, Die Lehre von der V. nach den holsteinischen Rechten, Tondern 1834; Züricher Vormundschaftsgesetz vom 21. Brachm. 1841, herausgeg. von Bluntschli, Zürich 1841; Rive, Geschichte der deutschen V., Braunschweig 1862.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 18. Altenburg 1864, S. 689-693.
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