Bismarck [4]

[908] Bismarck, 1) Otto Eduard Leopold, Fürst von, Herzog von Lauenburg, der erste Kanzler des neuen Deutschen Reiches (hierzu Tafel »Bismarck-Bildnisse«), geb. 1. April 1815 in Schönhausen, gest. 30. Juli 1898 in Friedrichsruh. Sein Vater Ferdinand v. B. (geb. 13. Nov. 1771, gest. 22. Nov. 1845), preußischer Rittmeister, bewirtschaftete seine Güter Schönhausen, Kniephof, Külz und Jarchelin in Pommern, vermählte sich 1806 mit Wilhelmine Luise, der geistig bedeutenden Tochter des Kabinettsrats Mencken (geb. 24. Febr. 1790, gest. 1. Jan. 1839), welcher Ehe sechs Kinder entsprossen, von denen B. das vierte war. B. besuchte 1821–27 die Plamannsche Erziehungsanstalt, 1827–30 das Friedrich Wilhelms-Gymnasium, 1830–32 das Graue Kloster in Berlin und bezog Ostern 1832 die Universität Göttingen. Er bestand Ostern 1835 das Auskultatorexamen, arbeitete am Berliner Stadtgericht, wurde aber, 1836 zur Verwaltung übergehend, nach Aachen versetzt. Nachdem er die zweite Prüfung abgelegt, war er 1837 als Referendar bei der Potsdamer Regierung beschäftigt, trat Ostern 1838 bei dem Gardejägerbataillon als Einjährig-Freiwilliger ein, ließ sich aber im Herbst zum 2. Jägerbataillon nach Greifswald versetzen, um zugleich in Eldena Landwirtschaft zu studieren; denn da sich sein Vater nach dem Tode der Mutter nach Schönhausen zurückzog, sollte er mit seinem Bruder Bernhard gemeinschaftlich die Verwaltung der etwas in Verfall geratenen und verschuldeten pommerschen Güter übernehmen. Als der Vater starb, erhielt B. Kniephof und das sehr verkleinerte Gut Schönhausen, wo er fortan lebte und zum Deichhauptmann und zum Abgeordneten im sächsischen Provinziallandtag gewählt wurde. In dieser letztern Eigenschaft ward er auch 1847 Mitglied des Vereinigten Landtags, wo er die landläufigen liberalen Ansichten und Forderungen entschieden bekämpfte, die unabhängige Stellung des Königtums und die Freiwilligkeit seiner Zugeständnisse betonte, sich gegen die Zulassung von Juden zu öffentlichen Ämtern erklärte. Den Ruf eines ultrakonservativen Junkers befestigte er noch durch sein Auftreten im April 1848, wo er, die Niederlage des preußischen [908] Königtums und der bisher herrschenden Stände beklagend, gegen die vom Landtag beschlossene Dankadresse stimmte und auch sonst sein Mißbehagen nicht verbarg. Er war Mitarbeiter der »Kreuzzeitung« und erstrebte, 1849 in das Abgeordnetenhaus gewählt, die Bildung einer starken königstreuen Partei. Die Wiederherstellung eines kräftigen preußischen Königtums betrachtete er als Vorbedingung für die Lösung der deutschen Frage und hielt bis dahin ein Einvernehmen mit Österreich für nötig. Er bekämpfte daher die Radowitzsche Unionspolitik im Erfurter Parlament und verteidigte 3. Dez. 1850 in der preußischen Zweiten Kammer sogar die Olmützer Übereinkunft.

König Friedrich Wilhelm IV. ernannte ihn im Mai 1851 zum Legationsrat bei der Bundestagsgesandtschaft in Frankfurt a. M. und 18. Aug. zum Bundestagsgesandten. Hier lernte B. die Kläglichkeit und Unverbesserlichkeit des Deutschen Bundes kennen und sah ein, daß Preußen bei den Mittel- und Kleinstaaten nie auf aufrichtige Freundschaft rechnen könne, daß es seine deutschen Bundesgenossen aber auch nicht zu fürchten habe. 1859 schien ihm der Augenblick gekommen, um Preußen von der Bevormundung Österreichs zu befreien, aber das neue Ministerium Hohenzollern-Schleinitz wollte sich den Bundespflichten nicht ohne weiteres entziehen: B. ward 5. März 1859 von Frankfurt abberufen und als Gesandter nach Petersburg versetzt. In Petersburg blieb B. drei Jahre, beobachtete aber die Entwickelung der Dinge in Preußen und Deutschland mit scharfem Blick und überreichte 1861 in Baden-Baden dem König Wilhelm I. eine Denkschrift über die deutsche Verfassungsfrage. Doch erst nachdem B. 24. Mai 1862 zum Gesandten in Paris ernannt worden war, wurde er im September von Biarritz nach Berlin berufen und 24. Sept. 1862 als Staatsminister mit dem interimistischen Vorsitz im Ministerium beauftragt.

B. übernahm die Aufgabe, die Reorganisation des Heeres gegenüber dem auf sein Budgetrecht pochenden Abgeordnetenhause zu sichern, und hoffte sein Ziel durch Hinweis auf die Notwendigkeit eines starken preußischen Heeres zu erreichen. Indessen die »Blut- und Eisenpolitik« (s. Blut und Eisen) begegnete spöttischem Mißtrauen. Man sah in B. nur den beschränkten Junker von 1848 und das gefügige Werkzeug der Reaktion, welche die konstitutionelle Verfassung vernichten und im Bunde mit Österreich Deutschland knechten wolle. Die überwiegende Mehrheit des Hauses konnte sich ein Preußen, das für Deutschlands Einheit kämpfen würde, unmöglich vorstellen und wollte daher von der Anerkennung der Heeresorganisation nichts wissen. B., 8. Okt. zum Ministerpräsidenten und Minister des Auswärtigen ernannt, verzichtete auf jeden weitern Versöhnungsversuch und regierte ohne Budget, indem er auf Überwindung des Widerstandes dadurch hoffte, daß er die angekündigte deutsche Politik ohne Unterstützung der Volksvertretung verwirklichte. Dem Abgeordnetenhaus, das nach Bismarcks Ansicht durch einseitiges Festhalten an seiner Auffassung den Konflikt heraufbeschworen hatte, trat er fortan rücksichtslos offen entgegen. Parlamentarische Streitpunkte, so über die von B. bestrittene Ausdehnung der Disziplinargewalt des Präsidenten auf die Minister, erweiterten die Kluft zwischen dem Ministerium und dem Abgeordnetenhaus; kurz, überall gab es eine Spannung.

Inzwischen hatte B. die Lösung der deutschen Frage in Angriff genommen. Bereiis im Januar 1863 teilte er Österreich mit, daß es entweder die Leitung der deutschen Angelegenheiten mit Preußen freundschaftlich teilen, oder eines offenen Bruches gewärtig sein müsse. Österreichs Versuch, die deutsche Frage auf dem Frankfurter Fürstenkongreß (August 1863) in seinem Sinne zu lösen, vereitelte B. dadurch, daß König Wilhelm fernblieb, während er 15. Sept. als positiven Vorschlag seinerseits die Berufung einer deutschen Volksvertretung in Aussicht stellte. Daß es ihm gelingen würde, die getäuschten Hoffnungen von 1849 zu erfüllen, glaubte niemand, ebensowenig fand B. bei den Liberalen Verständnis für seine schleswig-holsteinische Politik 1863–64. Als der Wiener Friede und die Zurückdrängung des Augustenburgers zeigten, daß B. Preußens Machtstellung vortrefflich gewahrt habe, erneuerte die Vertagung des Konfliktes mit Österreich durch den Gasteiner Vertrag, den B., der Friedensliebe des Königs nachgebend, schloß und wofür er 15. Sept. 1865 zum Grafen erhoben wurde, wiederum das Mißtrauen gegen seine auswärtige Politik, und der Verfassungskampf brach 1866 mit verschärfter Heftigkeit aus. Indes täuschte dieser innere Zwist Österreich und die Mittelstaaten über Preußens Streitkraft; auch Napoleon III. blieb im Entscheidungskampf wohl nur deswegen neutral, weil ihm Preußens Niederlage gewiß schien. Einen Bundesgenossen gewann B. 8. April 1866 in Italien. Im Volke fand seine Politik heftige Anfeindung, und 7. Mai 1866 machte ein Student Cohen, ein Stiefsohn K. Blinds, in Berlin ein erfolgloses Attentat auf B. Nur mit Mühe konnte er den König zum Kriege mit Österreich bestimmen, aber alle Vermittelungsversuche, die B. nicht hindern konnte, scheiterten an der Hartnäckigkeit der Gegner, die an den Ernst Preußens nicht glauben mochten. Am 9. April legte B. dem Bundestag den Antrag auf Berufung eines deutschen Parlaments vor, am 10. Juni die Grundzüge einer neuen Bundesverfassung. Die Annahme des österreichischen Antrags auf Mobilisierung der nichtpreußischen Bundeskorps gegen Preußen wegen Verletzung des Bundesrechts in Holstein beantwortete B. 14. Juni mit der Erklärung des Austritts aus dem Bund. Am Krieg nahm B. im Gefolge des Königs teil, und nach dem Siege setzte er gegen den König und dessen militärische Umgebung den Abschluß des Waffenstillstandes, die Integrität des österreichischen Gebietes (außer Venetien) sowie die Schonung der süddeutschen Staaten durch, rundete das preußische Gebiet durch die Annexion Schleswig-Holsteius, Hannovers, Kurhessens, Nassaus und Frankfurls ab und begründete zugleich Preußens Vormachtstellung m Norddeutschland. Auch den Paragraphen über die Volksabstimmung in Schleswig im Prager Frieden gestand er auf Verlangen Frankreichs zu. Dagegen wies er dessen Kompensationsforderungen von Rheingebiet entschieden zurück und verband die süddeutschen Staaten durch geheime Schutz- und Trutzbündnisse mit Norddeutschland.

Die Neuwahlen zum preußischen Abgeordnetenhaus 3. Juli 1866 vermehrten die Anhänger der Regierung, und die militärischen und diplomatischen Erfolge wandelten die Volksmeinung so vollständig, daß sich B. durch Nachsuchung der Indemnitätsbewilligung für die budgetlose Verwaltung 1862–66 mit der Volksvertretung aussöhnen konnte. Fortan fand er in der bisher oppositionellen nationalliberalen Partei eine wirksame Unterstützung. Von der ihm bewilligten Dotation kaufte er die Blumenthalsche Herrschaft Varzin in Hinterpommern an. Bei der Beratung der Verfassung des Norddeutschen Bundes erwarb[909] er sich durch Entgegenkommen gegen die kleinern Staaten das Vertrauen der Fürsten und verteidigte ihre Bestimmungen im konstituierenden Reichstag 1867 mit großem Eifer und meist mit Erfolg, namentlich das allgemeine direkte Wahlrecht für den Reichstag und die alleinige Verantwortlichkeit des Bundeskanzlers. Der Welt gab er in der Luxemburger Frage 1867 einen unzweideutigen Beweis seiner Friedfertigkeit. Wohl sah er den Krieg mit Frankreich voraus, das ihn fortwährend mit Anträgen eines Bündnisses (s. Deutsch-französischer Krieg) und gemeinschaftlicher Annexionen behelligte. So schob er den Kampf hinaus, bis die französischen Politiker endlich die spanische Thronkandidatur zum Vorwand einer Kriegserklärung nahmen, sich dadurch als Angreifer ins Unrecht setzten und sich ihrer Verbündeten beraubten. B. begleitete wieder den König in den Krieg und leitete die auswärtige Politik vom Hauptquartier aus. Zur rechten Zeit verkündete er in den Rundschreiben vom 13. und 16. Sept. die Absicht, Deutschland gegen künftige französische Angriffe durch Verlegung der schutzlosen süddeutschen Grenze nach Westen und den Besitz der eroberten Rhein- und Moselfestungen zu sichern. Fremde Einmischung in die Friedensverhandlungen wehrte er ab: Deutschland habe den Krieg allein ausgekämpft und wolle allein Frieden schließen. Die Verträge über den Eintritt der süddeutschen Staaten in das Deutsche Reich brachte er in Versailles zum Abschluß, indem er Bayern beträchtliche Sonderzugeständnisse machte. Den Frieden von Frankfurt a. M. 10. Mai 1871 schloß er persönlich ab. Mit der Errichtung des Deutschen Reiches ward er zum Reichskanzler ernannt, 21. März 1871 in den in Primogenitur erblichen Fürstenstand erhoben und erhielt eine große Domäne in Lauenburg mit dem Sachsenwald.

Nach dem deutsch-französischen Kriege beschäftigte B. vornehmlich der sogen. Kulturkampf (s. d.), den er mit der ganzen ihm eigentümlichen Kraft ausfocht, sobald die Zentrumspartei ihn durch Mobilmachung aller reichsfeindlichen Elemente unter klerikaler Fahne eröffnet hatte. In den ersten Jahren trat er im Landtag mit mehreren bedeutenden Reden für die Sicherung des Staates gegen die päpstliche Anmaßung ein und zog sich dadurch die heftigsten Angriffe seitens der Ultramontanen zu; 13. Juli 1874 machte sogar der fanatisierte Böttchergeselle Kullmann (s. d.) in Kissingen einen Mordanfall auf ihn. Die Last der Geschäfte und die unaufhörlichen Anfeindungen auch von frühern Parteigenossen, besonders seit dem Fall Arnim (s. d. 7), erschütterten seine Gesundheit so, daß er sich 21. Nov. 1872 bis 10. Nov. 1873 vom preußischen Ministerpräsidium entbinden und 1878 eine geregelte Stellvertretung einsetzen ließ. Wiederholt bat er um seine Entlassung, die der König aber nicht bewilligte; seine Aufenthalte in Varzin und Friedrichsruh zur Erholung dehnten sich daher oft auf mehrere Monate aus; im Sommer gebrauchte er meist in Kissingen die Kur. Sein unermüdlicher Geist schuf sich immer neue Aufgaben zur Verwirklichung seines Zieles, der Macht und Größe seines Vaterlandes, so das Reichseisenbahnprojekt, nach dessen Scheitern er den Ankauf der Bahnen in Preußen durch den Staat durchsetzte, und 1879 die neue Zoll- und Wirtschaftspolitik, in deren weiterer Verfolgung er mit den Nationalliberalen brach, worauf er, um die Ultramontanen zu gewinnen, den Kulturkampf aufhören ließ. An die neue Zollgesetzgebung, welche die Einnahmen des Reiches steigerte und manche Zweige der Industrie hob, schlossen sich soziale Reformen, die den Arbeiterstand durch Befriedigung seiner berechtigt erscheinenden Forderungen vor dem Einfluß der Sozialdemokratie bewahren sollten. Hierbei stieß B. auf den Widerstand der Liberalen, förderte nun deren Schwächung und Spaltung, konnte aber keine konservative Mehrheit im Reichstage zustande bringen und mußte sich wegen der schroff oppositionellen Haltung der Fortschrittspartei auf das Zentrum stützen und diesem manche Zugeständnisse machen. Nur mit Mühe und nach langen Verhandlungen wurden das Krankenkassen-, das Unfallversicherungs- und das Alters- und Invalidenversicherungsgesetz im Reichstag angenommen, das Tabakmonopol aber abgelehnt und bloß eine hohe Branntweinsteuer bewilligt.

In der auswärtigen Politik bildete sein Ziel die Erhaltung des Friedens; seine Bemühungen während des russisch-türkischen Krieges wurden dadurch anerkannt, daß Berlin 1878 zum Sitz des Friedenskongresses (s. Berliner Kongreß) und B. zum Präsidenten desselben erwählt wurde. Von Rußland wendete er sich mehr und mehr ab und Österreich zu, mit dem er im September 1879 ein 1883 erneuertes Schutzbündnis schloß. Italien trat ihm bei, so daß der Dreibund (s. d.) zum Schutz des europäischen Friedens entstand. Gestützt auf das gute Verhältnis des Deutschen Reiches zu den Kontinentalmächten, unternahm B. 1884 den Erwerb deutscher Kolonien; den Widerstand Englands wußte er mit großer diplomatischer Kunst zu bewältigen, und seine Reichstagsreden 1885 über seine auswärtige und Kolonialpolitik fanden im Volk einen mächtigen Widerhall. Sein 70. Geburtstag wurde daher 1. April 1885 unter glänzenden Ovationen aus allen Teilen Deutschlands und allen Schichten der Bevölkerung gefeiert. Aus den Erträgen der »Bismarckspende« (2,750,000 Mk.) wurde dem Reichskanzler das 1830 der Familie verloren gegangene Hauptgut Schönhausen geschenkt; den Überschuß (1,230,000 Mk.) bestimmte B. zu einer »Schönhausen-Stiftung«, aus der Kandidaten des höhern Lehramts Stipendien von 1000 Mk. erhalten. Einen glänzenden Sieg trug B. 1887 nach der Auflösung des Reichstags wegen Ablehnung des sogen. Septennats (s. d.) bei den Neuwahlen (21. Febr.) davon. Die konservativ-nationalliberale Mehrheit bewilligte nach der Rede vom 6. Febr. 1888, wo B. das Wort sprach: »Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt«, alle Forderungen für die erhöhte Wehrkraft des Reiches.

Nach dem Tode Kaiser Wilhelms I. (9. März 1888) blieb B. unter Kaiser Friedrich III. im Amt; auch Wilhelm II. schien anfangs ganz in Bismarcks Bahnen zu wandeln. Doch bald trat ein Zwiespalt sowohl über die Haltung gegen Rußland und England wie über die innere Politik ein. Der Kaiser ließ das Sozialistengesetz fallen und berief die internationale Konferenz über den Arbeiterschutz. Aus Anlaß einer Meinungsverschiedenheit über die Rechte des preußischen Ministerpräsidenten reichte B. 18. März seine wiederholt geforderte Entlassung ein und erhielt sie 20. März 1890 unter Ernennung zum Herzog von Lauenburg und Generalobersten der Kavallerie. Nur schwer fügte sich B. in die wohlverdiente Muße zu Friedrichsruh; er ließ sich 1891 in den Reichstag wählen, erschien aber nie im Haus. In der Presse und in Gesprächen mit zahlreichen Besuchern bekämpfte er die Politik des »neuen Kurses«. Die Spannung zwischen ihm und den leitenden Kreisen in Berlin erreichte ihren Höhepunkt durch die schroffe Haltung seines Nachfolgers [910] Caprivi, als B. aus Anlaß der Vermählung seines Sohnes Herbert 1892 in Wien weilte. Die Meinung des Volkes darüber wurde aber ebenso offenbar durch die stürmischen Huldigungen, die man B. in Dresden, München, Kissingen, Jena u. a. O. darbrachte. Nachdem Kaiser Wilhelm schon 20. Sept. 1893 dem in Kissingen erkrankten Fürsten telegraphisch seine Teilnahme ausgesprochen, lud er ihn im Januar 1894 zu seinem Geburtstag nach Berlin. B. kam, ward fürstlich empfangen, und das Volk jubelte über die Aussöhnung. Bismarcks 80 Geburtstag veranlaßte wieder lebhafte Kundgebungen, welche die von der Reichstagsmehrheit 23. März verweigerte Beglückwünschung noch steigerte; 26. März brachte der Kaiser, der über den Beschluß des Reichstags seine tiefste Entrüstung aussprach, seine Glückwünsche persönlich dar. Eine Beeinträchtigung der guten Beziehungen zwischen B. und dem Kaiser brachte die Mitteilung der »Hamburger Nachrichten« vom 24. Okt. 1836, daß 1887–90 ein geheimes Abkommen zwischen Rußland und Deutschland bestanden habe, der sogen. Rückversicherungsvertrag, wonach jede der beiden Mächte eine wohlwollende Neutralität beobachten solle, wenn die andre, ohne provoziert zu haben, angegriffen werde. Erst dadurch, daß Caprivi diesen Vertrag nicht erneuert habe, sei Rußland zu einem so engen Anschluß an Frankreich, wie er sich beim Besuch des Zarenpaars daselbst zeigte, gezwungen worden; und B. machte die deutsche Politik für alle sich etwa künftig für Deutschland aus diesem Bündnis ergebenden Unannehmlichkeiten verantwortlich. Auch diese Mißstimmung ging vorüber; und wenn auch bei der Enthüllung des Nationaldenkmals für Kaiser Wilhelm I., 22. März 1897, Bismarcks offiziell überhaupt nicht gedacht wurde, so bot doch der Kaiser unmittelbar nach Bismarcks Tode die Beisetzung in der Fürstengruft des neuen Donis zu Berlin an. Aber die Familie erfüllte des Toten Wunsch, im Parke von Friedrichsruh zu ruhen; nach Vollendung des neuen Mausoleums wurde er dort 16. März 1899 beigesetzt.

Bismarcks militärische Laufbahn veranschaulicht folgende Zusammenstellung:


25. 3. 1838 Einjährig-Freiwilliger im Gardejäger-Bataillon, – 10. 1838 zur 2. Jägerabteilung versetzt,

28. 3. 1839 zur Reserve entlassen,

12. 8. 1841 Sekondleutnant der Landwehrinfanterie,

14. 8. 1842 von der Infanterie zur Kavallerie versetzt,

13. 4. 1850 zur Kavallerie des 1. Bat. 26. Landwehrregiments,

29. 4. 1852 zum 7. schweren Landwehr-Reiterregiment versetzt,

18. 11. 1854 zum Premierleutnant befördert,

28. 10. 1859 den Charakter als Rittmeister,

18. 10. 1861 den Charakter als Major verliehen,

20. 9. 1866 unter Beförderung zum Generalmajor zum Chef des 7. schweren Landwehr-Reiterregiments ernannt,

18. 10. 1868 zum Chef des 1. Magdeburgischen Landwehrregiments Nr. 26 ernannt und à la suite des Magdeburgischen Kürassierregiments Nr. 7 gestellt,

18. 1. 1871 zum Generalleutnant befördert,

1. 9. 1873 die Auszeichnung verliehen, daß das Fort Nr. 6. von Straßburg den Namen »Fort Bismarck« erhält,

22. 3. 1876 zum General der Kavallerie befördert,

16. 8. 1888 infolge veränderter Landwehreinteilung das Verhältnis als Chef des Landwehrregiments Nr. 26 gelöst und fortan à la suite des 2. Garde-Landwehrregiments zu führen,

20. 3. 1890 zum Generalobersten der Kavallerie mit dem Range eines Generallfeldmarschalls befördert,

26. 1. 1894 unter Belassung à la suite des 2. Garde-Landwehrregiments zum Chef des Kürassierregiments v. Seydlitz (Magdeburgisches) Nr. 7 ernannt.


Vermählt war B. seit 28. Juli 1847 mit Johanne, geb. von Puttkamer (geb. 11. April 1824, gest. 27. Nov. 1894 in Varzin). Aus dieser Ehe entsprossen drei Kinder: Gräfin Marie, geb. 21. Aug. 1848, ist seit 1878 vermählt mit Graf Kuno Rantzau (s. d.); seine beiden Söhne sind Herbert (s. B. 2) und Wilhelm (s. B. 3). Das Wappen des Fürsten (s. die Abbildung): Im blauen Schild ein goldenes, mit drei silbernen Eichenblättern in den Winkeln bestecktes Kleeblatt, bei der Erhebung in den Grafenstand 1865 vermehrt durch zwei Schildhalter, den preußischen und den brandenburgischen Adler, und das Spruchband mit dem Wahlspruch »In trinitate robur«, bei der Erhebung in den Fürstenstand 1871 durch neue Ehrenstücke (beim preußischen Adler die Standarte mit dem Wappen von Lothringen, beim brandenburgischen die Standarte mit dem Wappen von Elsaß).

Wappen des Fürsten von Bismarck.
Wappen des Fürsten von Bismarck.

Bismarcks volkstümliche Gestalt ist in zahlreichen und teilweise künstlerisch bedeutenden Bildnissen festgehalten worden: die bekanntesten sind die von A. v. Werner, Lenbach und Allers. Eine Sammlung von 90 Originalphotographien Bismarcks veröffentlichte Graf Yorck von WartenburgBismarcks äußere Erscheinung«, Berl. 1900); vgl. beifolgende Tafel »Bismarck-Bildnisse«. Mehrere plastische Darstellungen hat Begas geschaffen. Die Zahl der B. errichteten Denkmäler ist sehr groß; das vor dem Reichstagsgebäude errichtete Denkmal (von R. Begas) s. Tafel »Berliner Denkmäler I«, Fig. 2. Eine eigenartige Ehrung regte die deutsche Studentenschaft an: nach dem von W. Kreis in Dresden geschaffenen Muster sollen an möglichst vielen Orten Bismarcksäulen errichtet werden, auf deren obern Plattformen an Bismarcks Geburtstag und bei sonstigen vaterländischen Festen Freudenfeuer abgebrannt werden. Von den geplanten 150 Säulen waren bis Oktober 1902 schon 91 vollendet und eingeweiht, 24 im Bau begriffen. Die Gesamtzahl aller bekannten Standbilder, Gedenksteine, Obelisken, Säulen, Türme etc. betrug 309. Am 4. Febr. 1899 wurde zur Sammlung des auf B. bezüglichen Stoffes die Errichtung eines Bismarck-Archivs aus freiwilligen Beiträgen beschlossen. Zuerst war Leipzig als Sitz dafür in Aussicht genommen, später Stendal.

Wenn B. auch nicht als Schriftsteller hervorgetreten ist, so sind doch die aus seiner amtlichen Tätigkeit herausgewachsenen Schriftstücke nicht nur als Quellen für die Zeitgeschichte, sondern auch als Literaturdenkmäler des persönlichen Stiles wegen von Bedeutung. [911] Briefe und Berichte aus der frühesten Zeit seiner diplomatischen Tätigkeit gab Poschinger in »Preußen im Bundestag 1851–1859« (2. Aufl., Leipz. 1882 bis 1885, 4 Bde.) heraus; andre Staatsschriften neben Reden und sonstigen Kundgebungen enthält Hahn, Fürst B., sein politisches Leben und Wirken (Berl. 1878–91, 5 Bde.). Aus dem »Briefwechsel des Generals L. v. Gerlach mit dem Bundestagsgesandten v. B.« (3. Aufl., Berl. 1893) gab Horst Kohl die von B. herrührenden 125 Briefe (das. 1896) neu heraus. Ferner erschienen »Bismarckbriefe 1844–1870« (8. Aufl., Bielef. 1899) und »Politische Briefe aus den Jahren 1849–1899« (2. Aufl., Berl. 1890, 3 Tle.). »Fürst Bismarcks Briefe an seine Braut und Gattin« veröffentlichte sein Sohn Herbert (Stuttg. 1900). – Bismarcks Reden erschienen zuerst in einer französischen Sammlung (Berl. 1870–89, 15 Bde.), es folgten verschiedene kleinere Sammlungen, die aber nach dem Erscheinen der von H. Kohl besorgten historisch-kritischen Gesamtausgabe: »Die politischen Reden des Fürsten Bismarck« (Stuttg. 1892–94, 12 Bde.) veraltet sind. Ergänzungen dazu bieten die von Poschinger herausgegebenen »Ansprachen des Fürsten B. 1849–1894« (2. Aufl., Stuttg. 1895) und desselben »Fürst B., neue Tischgespräche und Interviews« (das. 1895–99, 2 Bde.). – Bald nach Bismarcks Tod erschienen die »Gedanken und Erinnerungen« (Stuttg. 1898, 2 Bde.), die Lothar Bucher 1890–92 teils nach mündlichen Mitteilungen, teils nach Diktat Bismarcks niedergeschrieben und B. selbst durchgesehen, geändert und ergänzt hat. Von Politikern äußerten sich zur Berichtigung von Einzelheiten darin bald danach Bamberger (s. d. 3) und Diest-Daber (s. d.); als Historiker beschäftigten sich mit ihrer Glaubwürdigkeit Q. Kaemmel (Leipz. 1899) sowie M. Lenz und E. Marcks (beide Berl. 1899). H. Kohl verfaßte den »Wegweiser durch Bismarcks Gedanken und Erinnerungen« (Leipz. 1899) und 1900 ein Register dazu. Als »Anhang zu den. Gedanken und Erinnerungen'« gab derselbe Briefe, die B. 1852–87 mit Kaiser Wilhelm I. gewechselt hat, heraus (Bd. 1, Stuttg. 1901); im 2. Bande (das. 1901) folgten Briefe Bismarcks an verschiedene Personen 1848–88.

Die Literatur über B. ist schon bei seinen Lebzeiten, noch mehr nach seinem Tod ins Ungemessene angeschwollen. Über die bis 1895 erschienenen Bücher gibt die recht nützliche Bibliographie von Paul Schulze und Otto Koller: »B.-Literatur« (Leipz. 1896) Auskunft. Die unmittelbar nach Bismarcks Tod erschienene Literatur, besonders die »Tagebuchblätter« von Moritz Busch (s. d.), kritisierte Marcks im April- und Maiheft der »Deutschen Rundschau« 1899. Den Versuch, den Stoff möglichst vollständig zu bringen, machte das »Bismarck-Jahrbuch« (Berl. 1894–96 u. Stuttg. 1897–99, 6 Bde.). Die vollständigste Sammlung aller für B. wichtigen Ereignisse bietet Kohl in »Fürst B., Regesten zu einer wissenschaftlichen Biographie« (Leipz. 1891–92, 2 Bde.). Eine Darstellung versuchte noch bei Bismarcks Lebzeiten H. Blum, Fürst B. und seine Zeit (Münch. 1894–1895, 6 Bde.; Anhangs- und Registerband 1898). Nach Bismarcks Tod erschien: Heyck, Bismarck (Bielef. 1898); Kreutzer, Otto v. B., sein Leben und sein Werk (Leipz. 1900, 2 Bde.); Klein-Hattingen, B. und seine Welt 1815–1871 (Verl. 1902, Bd 1); Lenz, Geschichte Bismarcks (Leipz. 1902). Nur mit dem Exkanzler befassen sich Penzler, Fürst B. nach seiner Entlassung (Leipz. 1897–98, 7 Bde.); Liman, Fürst B. nach seiner Entlassung (das. 1901). Sehr groß ist die Zahl derer, die persönliche Erinnerungen an B. mitgeteilt haben (Hans Blum, W. v. Bülow, v. Wilmowski, Sidney Whitman). Auch wird bereits damit begonnen, Bismarcks Persönlichkeit zu zergliedern und dadurch dem Verständnis näher zu bringen; es seien hier genannt: Brodnitz, Bismarcks nationalökonomische Anschauungen (Jena 1902), Zeitlin, Fürst Bismarcks sozial-, wirtschafts- und steuerpolitische Anschauungen (Leipz. 1902), und v. Roëll und Epstein, Bismarcks Staatsrecht (Berl. 1903).

Auch die außerdeutsche Literatur hat zahlreiche Werke über B. aufzuweisen. Von solchen in französischer Sprache seien genannt: Vilbort, L'œuvre de M. de B. 1863–1866 (Par. 1869; deutsch, Berl. 1870); Ed. Simon, Histoire du prince de B. 1847–1887 (das. 1887; deutsch, Berl. 1888), und Charles Andler, Le prince de B. (Par. 1899); in englischer Sprache sind von Belang: Charles Lowe, Prince B., historical biography (Lond. 1885 u. ö.; deutsch, Leipz. 1894), und Stearns, The life of Prince Otto v. B. (Philad. 1900); in italienischer Sprache G. Negri, B., saggio storico (1884).

2) Herbert, Fürst, geb. 28. Dez. 1849 in Berlin, ältester Sohn des vorigen, studierte die Rechte, wurde 1870 bei Mars-la-Tour schwer verwundet und trat Ende 1873 in den Dienst des Auswärtigen Amtes. Bei den Gesandtschaften in Dresden und München und dazwischen mehrfach beim Reichskanzler beschäftigt, wirkke B. bei den Gesandtschaften in Bern und Wien, diente dann aber 1877–81 seinem Vater unmittelbar, ward 1882 Botschaftsrat in London, Anfang 1884 in Petersburg, Juli 1884 Gesandter im Haag, kam aber Ende 1884 ins Auswärtige Amt und ward Mai 1885 Unterstaatssekretär. B. wurde 1884 zum Reichstagsabgeordneten gewählt; doch erlosch sein Mandat mit seiner Ernennung zum Staatssekretär im Auswärtigen Amte 18. Mai 1886. Er blieb in dieser Stellung bis zur Entlassung seines Vaters 1890 und gehört seit 1893 wieder dem Reichstag an. Seit 21. Juni 1892 ist er mit der Gräfin Margarete Hoyos vermählt. Nach dem Tode des Vaters (30. Juli 1898) erbte er den fürstlichen Titel (der Titel eines »Herzogs von Lauenburg« war dem Altreichskanzler nur persönlich verliehen). Seine »Politischen Reden 1878–1898« gab Penzler (Leipz. 1899) mit einer biographischen Einleitung von Poschinger heraus.

3) Wilhelm, Graf, zweiter Sohn von B. 1), geb. 1. Aug. 1852 in Frankfurt a. M., gest. 30. Mai 1901 in Varzin, studierte in Bonn, machte den Krieg 1870/71 als Ordonnanzoffizier des Generals v. Manteuffel mit und trat dann in den Justizdienst. 1879 wurde er Hilfsarbeiter in der Reichskanzlei, dann Landrat des Kreises Hanau, 1889 Regierungspräsident in Hannover und März 1895 Oberpräsident von Ostpreußen. 1878–81 war B. Mitglied des Reichstags und 1882–85 Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses. Seit 1885 war er mit seiner Cousine Sibylla v. Arnim-Kröchlendorff vermählt und hinterließ aus dieser Che drei Töchter und einen Sohn, Wilhelm Nikolaus. Vgl. Penzler, Graf Wilhelm B. (Verl. 1902).[912]

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1905, S. 1.
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