Island

[51] Island, eine zu Dänemark gehörige Insel im nördlichen Atlantischen Ozean, liegt zwischen 63°23'–66°32' nördl. Br. und 13°31'–24°29' westl. L., ist 965 km von Norwegen und 360 km von Grönland entfernt. Ihre Ausdehnung beträgt von N. nach S 356 km, von W. nach O. 490 km, mit einem Flächeninhalt von 104,785 qkm (1903 QM.). Vgl. die Karte auf S. 52.

[Physische Verhältnisse.] Die Küsten sind sehr unregelmäßig und enthalten zahlreiche, z. T. tief einschneidende Buchten, namentlich an der West- und Nordseite, unter denen gegen W. Faxasjördur und Breidifjördur, gegen N. Skagafjördur und Eyjafjördur hervorzuheben sind. Die zahlreichen Fjorde an der Ostküste sind kleiner; an der Südküste finden sich beinahe keine Fjorde. Das Innere von I. ist zu 3/4 Gebirgsland, zu 1/4 Flachland. Die Küste ist an vielen Stellen 4–7 km weit flach, und einzelne schmale Zungen des Flachlandes erstrecken sich 70–110 km tief in das Innere. Nur im SW. (bei Skálholt) ist das Flachland einigermaßen groß. Sonst sind die Küsten auch klippig und steigen bis 650 m auf. Die Hauptmasse der Insel kann man als ein Hochplateau ansehen, das fast durchgängig eine Mittelhöhe von 650–980 m behauptet. Auf diesem Plateau erheben sich, teils inselartig, teils in längern Zügen, höhere Berge (die sogen. Jöklar, Einzahl Jökull, »Gletscherberge«), die mit ewigem Schnee bedeckt, von Gletschern umgeben sind und sich gewöhnlich in allmählichem Abfall gegen ihre Basis senken. Die jetzigen Gletscher Islands übertreffen an Ausdehnung die der Schweiz bei weitem. Besonders die Mitte bedecken ungeheure Gletscher; der größte derselben, der Vatnajökull, nimmt allein 8810 qkm (160 QM.) ein. Das Innere dieser Eiswüste ist noch fast ganz unbekannt. Nach Winkler sind vier Hauptgebirgszüge zu unterscheiden, die mehr oder weniger alle vulkanischer Natur sind. Der südliche beginnt im W. mit dem Hekla und schließt mit der schon genannten Gletscherwüste des Vatnajökull; an seinem Südende erhebt sich der Öräfajökull, der höchste Punkt der Insel, zu 1959 m. Dieses südliche Gebirge ist ganz vulkanisch; es enthält sechs tätige Vulkane, darunter den 1557 m hohen Hekla (s. d.); ferner den Eyjafjallajökull (1705 m hoch) und die Vulkane im Tal Varmárdalur, südwestlich vom Skaptárjökull (der westlichste Teil des Vatnajökulls). Der westliche Gebirgszug erhebt sich westlich von Reykjavík und zieht nach ONO. weiter, in der mittlern Region vulkanisch. Der nördliche Gebirgszug erreicht nur in einigen Gipfeln den ewigen Schnee und zeigt nur geringe vulkanische Tätigkeit. Die östliche Vulkangruppe liegt im NO., in der Nähe des Sees Mývatn, wo sich mehrere Krater befinden, darunter der Leirhnúkur. Außer den genannten vier Gebirgszügen gibt es noch kleinere isolierte Gruppen; so erhebt sich am äußersten Ende der südwestlichen Halbinsel Snäfellsnes der Snäfellsjökull zu 1437 m. Man zählt im ganzen 29 Vulkane auf I., von denen jedoch nur 7 regelmäßige Eruptionen gezeigt haben.

I. ist wesentlich aus vulkanischen Gesteinen und zwar hauptsächlich aus Basalt und basaltischen Tuffen und Konglomeraten miocänen Alters, untergeordnet auch aus Trachyt (Liparit) sowie jüngern Laven und Aschen aufgebaut. Der Basalt und die Laven bedecken in fast horizontal sich ausbreitenden Strömen und Decken im Innern von I. oft völlig nackte Felder (Hraun) von ungeheuren Dimensionen und einem über alle Beschreibung öden Charakter. Mit den Lavafeldern wechseln sogen. H eidar (Einz. Heidi), d. h. Hochebenen mit sanften Wellenhügeln, die eine dünne Rasendecke tragen, und die diesen verwandten »Hälse« (Hálsar, Einz. Háls), weniger hoch gelegene, aus Steinbänken, Schuttflächen und Sumpfstellen bestehende Ebenen. Den vulkanischen Gesteinen sind an einzelnen Stellen miocäne Sedimente und Braunkohlen eingebettet. Eine Beziehung zu den vulkanischen Kräften der Insel zeigen die warmen, stehenden Gewässer (Laugar) und die heißen, sprudelnden [51] Quellen (Hverar), die sich auf I. in so großer Menge finden wie in wenigen Gegenden der Erde. Die heißen Springquellen werfen Wasserstrahlen aus unter Erschütterung des Bodens, teils beständig, teils zeitweilig aussetzend. Fast alle setzen an ihrer Mündung Massen von Kieselsinter oder-Tuff an und bauen so die allmählich sich erhöhenden, flach kegelförmigen Hügel, aus deren Mittelpunkt sie hervorbrechen, selbst auf. Die berühmtesten dieser zahlreichen, über die ganze Insel verbreiteten Quellen sind die beiden Geiser (s. d.). Schwefelquellen kommen besonders häufig an der Nordküste vor, Schlammvulkane in Menge um den Mývatn.

Die in großer Menge von den Bergen strömenden Bäche und Flüsse sind meist kurz, haben aber eine gewaltige Wassermasse und bilden herrliche Wasserfälle. Die meisten dieser Gebirgsflüsse führen ein kristallhelles Wasser; die von Gletschern kommenden haben ein milchweißes, mitunter auch braungelbes Aussehen. Der bedeutendste Fluß der Insel ist die Thjórsá, die am Arnarfellsjökull entspringt und, westlich am Hekla vorbeifließend, nach 200 km langem Lauf an der Südwestküste mündet. Sonst sind bemerkenswert in der Südhälfte: Hvítá, in seinem untern Lauf Ölfusá genannt, Markarfljót, die berüchtigten Gletscherflüsse Skeidará und die beiden Jökulsá; im nordöstlichen I. Lagarfljôt; an der Nordseite Jökulsá u. a. Unter den Seen Islands (Vatn, Mehrz. Vötn) sind die größten der Thingvallavatn, Thórisvatn und Hvítárvatn im S. und der Mývatn (»Mückensee«) im N.

Karte von Island.
Karte von Island.

Das Klima Islands hat entschieden ozeanisches Gepräge: kühle Sommer und milde Winter. Reykjavík hat eine jährliche Mitteltemperatur von 3,8° (Februar -3,1°, Juli 11,8°), Berufjord (Ostküste) von 2,7° (März -2,0°, Juli 8,3°). Das Maximum im Sommer ist 26°, das Minimum im Winter -30°. Auf den Bergen herrscht Polarklima. Angetriebene Eismassen kühlen die Luft stark ab; so hatte Stykkisholm 1866 ein Februarmittel von -10,7° (normal -2,6°). In der Ebene ist weniger die Kälte unbequem als Feuchtigkeit, Nebel und heftige Stürme. In den mit vulkanischem Sand bedeckten Ebenen rast der Mistur, ein Wirbelwind, der Nebel und Staub bringt und nicht selten das Leben der Reisenden gefährdet. In Reykjavik sind die herrschenden Winde die aus N. und O.;der Niederschlag fällt meist im Herbst und Winter und beträgt an der Südküste über 100 cm, an der Nordküste 40 cm. Schneefall tritt zu allen Jahreszeiten auf. Gewitter kommen meist nur im Winter vor und sind auch dann selten. Der längste Tag währt 20–21 Stunden, der kürzeste 4; vom Mai bis September gibt es fast gar keine Nacht, besonders auf der Nordseite.

Von Mineralien findet sich auf I. am Eskifjördur an der Ostküste wasserheller Doppelspat zusammen mit Zeolithen in einem Basaltmandelstein. Außerdem liefert I. Chalcedone, Schwefel und den sogen. Surturbrand, eine Art Braunkohle, eingelagert in basaltischem Tuff.

In seiner Vegetation gehört I. zum arktischen Gebiet, nur der südliche Teil ist entschieden subarktisch. In den niedern Küstenstrichen besteht die Gesamtzahl an Gefäßpflanzen fast zu drei Viertel aus Arten der nord- und mitteleuropäischen Ebenen, das Hochland und die Nordküste dagegen zeigen mindestens zwei Drittel arktische Arten, von denen nur wenige in Skandinavien fehlen. Wald ist durch schlechte Wirtschaft sehr zurückgegangen und jetzt nur noch spärlich vorhanden; er besteht fast lediglich aus Birken (Betula pubescens var. carpatica), die meist strauchig bleiben.[52] Der Hauptreichtum besteht in den Wiesenflächen. Von den 344 isländischen Gefäßpflanzenarten fehlen 123 in Grönland, wogegen nur 5 in dem weiter entfernten Skandinavien vermißt werden. Diese Übereinstimmung weist auf eine vormalige Landverbindung von I. über die Färöerinseln mit Skandinavien hin.

Die Tierwelt ist arm an Arten. Man zählt nur wenige Säugetiere, darunter den Polarfuchs und eine nur in I. vorkommende Maus. Renntiere, die 1770 eingeführt wurden, haben sich stark vermehrt und ziehen in großen Herden, unangetastet und ungenutzt, durch die Ebenen des Innern. Seehunde sind an den Küsten zahlreich. Eidergänse halten sich an vielen Orten in großen Scharen auf; Schneehühner, Brachvögel, Schneeeulen, Bachstelzen, Schneeammern und Zaunschlüpfer, Schnepfen und schön gefiederte Enten sind nicht selten. Reptilien finden sich nicht auf I. Von Wichtigkeit ist der Fischfang, der 27 Proz. der Bevölkerung ernährt, aber hier auch von Holländern, Franzosen und Engländern betrieben wird. Von Seefischen werden Dorsche, Schellfische und Hellbutten überall gefangen, und an der Ostküste besteht eine nicht unbedeutende Heringsfischerei; selbst eine Art Haifische (Hákarl, Mehrz. Hákarlar) kommt nicht selten vor, an einigen Küsten auch Walfische. Im süßen Wasser findet man nur Lachse und Forellen. Der größte Teil der Bevölkerung lebt von der Viehzucht. Das wichtigste Haustier ist das Schaf, das ein vortreffliches Fleisch und gute Wolle liefert; 1896 schätzte man die Zahl der Schafe auf 842,000. Weniger zahlreich ist das Rindvieh (etwa 24,000 Stück). Dagegen ist die Pferdezucht bedeutend (1896: 43,000). Die isländischen Pferde gehören zu einer kleinen, aber flüchtigen, sicher gehenden und sehr anspruchslosen Bergrasse und sind, da es nur Reitwege gibt, für die Bewohner unentbehrlich. Schweine trifft man nur ausnahmsweise, dagegen viele Hunde. Nationalspeise der Isländer ist Skyr, d. h. ausgepreßte dicke Milch. Außerdem besteht das Essen auf I. gewöhnlich aus Schaffleisch, Fischen, aus Vögeln, Eiern, zu flachen Kuchen geformtem Brot von Roggen, Butter und Milch. Endlich wird ziemlich viel Branntwein und Kaffee getrunken.

[Bevölkerung.] Die Zahl der Bewohner Islands betrug 1703: 50,444,1769: 46,201,1786 nur 38,142,1801: 47,240 und 1901: 78,489 Seelen, so daß gegenwärtig, wenn man nur den bewohnbaren Teil der Insel (42,068 qkm) rechnet, noch nicht zwei Menschen auf dem Quadratkilometer wohnen. Die Ursachen dieser geringen Dichtigkeit der Bevölkerung sind hauptsächlich in den natürlichen Verhältnissen zu suchen. Die Isländer sind germanischen Stammes, gehören zur skandinavischen Familie und haben noch ihre eigentümliche Nationalität in völliger Reinheit bewahrt. Ihre Sprache ist noch heute die eingeführte alte norwegische, die man die isländische nennt, und besitzt eine alte, reiche und eigenartig bedeutende Literatur sowie eine Fülle von Sagen (s. Nordische Sprache und Literatur). Landschulen gibt es nicht, aber die Eltern unterrichten selbst ihre Kinder. Eine gelehrte Schule besteht in Reykjavik und eine Realschule in Akreyri. In Reykjavik befindet sich außerdem eine theologische und eine medizinische Lehranstalt. Auch erscheinen mehrere Zeitungen. Von Holz erbaute und wohnlicher eingerichtete Häuser findet man nur in Reykjavík und in den Städten und Handelsplätzen. Auf dem Lande dagegen sind die Häuser durchgängig von Erde und Steinen gebaut. Alle Häuser sind mit Grastorf gedeckt.

Die Industrie Islands ist natürlich gering. Der Hausfleiß liefert grobes Wollzeug (Vadmál), Strümpfe und Handschuhe, die aber schlecht gearbeitet sind. Auch das Handwerk ist nicht bedeutend (s. Tafel »Nordische Kultur II«). Der Handel, bis 1786 ein königliches Monopol und bis 1854 dänischen Untertanen vorbehalten, ist jetzt freigegeben. Reykjavík hat zwei Notenbanken, die 1885 errichtete Landesbank und die 1903 gegründete Privatbank »Islands Bank«. Hauptgegenstände der Ausfuhr sind: getrocknete Fische, Wolle, Tran, Salzfleisch, Talg, Federn, Eiderdaunen, Schneehühner, Fuchspelze, Pferde etc. Die Einfuhr besteht in Korn und Mehl, Kolonialwaren, Holz, Steinkohlen, Eisen, Tabak, Spirituosen und allerlei Fabrikaten. Der Wert der Einfuhr beläuft sich auf ca. 10,4 Mill., der der Ausfuhr auf 10,1 Mill. Mk. I. hat nur vier Städte (Reykjavík, Akreyri, Isafjördr und Seydisfjördur). An mehreren Buchten haben Kaufleute ihre Faktoreien und Häuser errichtet, welche Orte dann Handelsplätze genannt werden. Eine regelmäßige Dampfschiffsverbindung Islands mit Kopenhagen findet an bestimmten Tagen statt. Seit 1873 ist auch ein reguläres Postwesen auf der Insel eingeführt. Als besondere Maße dienen zuweilen der Favn zu 3 Alen = 171,19 cm, für Getreide die Tönde zu 136 dänischen Pott = 131,39 Lit., für Flüssigkeiten der Kutting zu 5 Pott = 4,83 L.

Verwaltung. Der höchste Beamte ist jetzt (Gesetz vom 3. Okt. 1903) der Minister für I., der in Reykjavík wohnt und sich nach Kopenhagen begibt, wenn er dem König im Staatsrat Gesetze und wichtige Regierungsakte vorlegen soll. Die Stellen des Landshöfdings und der beiden Amtmänner sind aufgehoben. Der Minister ist dem Althing verantwortlich. I. wird in vier Ämter geteilt: Süd-, West-, Ost- und Nordamt. Diese zerfallen in 18 Sýslur (Einz. Sýsla, Distrikte) und diese in Hreppar (Einz. Hreppur, Gemeinden). In kirchlicher Hinsicht bildet I. ein Bistum (Reykjavík). Das Isländische ist Kirchen-, Schul- und Rechtssprache, und der größte Teil der Beamten besteht aus eingebornen Isländern. Die Insel hat seit 1874 wieder ihre eigne gesetzgebende Versammlung (Althing), die sich alle zwei Jahre in Reykjavík versammelt und seit 1903 aus zwei Kammern besteht (s. unten, Geschichte). Der Staatsvoranschlag für die zweijährige Finanzperiode 1904/05 beziffert die Einnahme auf 1,668,000 Kronen, darunter Zuschuß aus der Staatskasse des Königreichs 120,000 Kronen, die Ausgabe auf 2,069,000 Kronen. Wesentliche Einnahmen sind die Einfuhrzölle von Spiritus, Tabak, Kaffee und Zucker und Ausfuhrzölle von Fischen und Tran. Militär wird auf I. nicht gehalten.

[Geschichte.] Schon gegen Ende des 8. Jahrh. von Irländern entdeckt, aber erst um 850 von dem Norweger Naddod wieder aufgefunden, dann von dem Schweden Gardar umsegelt und von dem Normannen Floke besucht, der die Insel wegen des an den Küsten angehäuften Treibeises I. (Eisland) nannte, ward I. 874 ständiger Wohnsitz des norwegischen Edlen Ingolfr Arnarson. Der Ort seiner Ansiedelung war Reykjavík. Rasch folgten andre Einwanderer nach, zumeist norwegischen Stammes, aber auch einige dänische, schwedische und keltische Männer. 930 wurde durch Ulfljot für den isländischen Freistaat nach norwegischem Muster eine gemeinsame Landschaftsverfassung entworfen, als Vertretung aller Landsgemeinden ein Althing mit richterlichen und gesetzgebenden Befugnissen eingerichtet, das zur Mittsommerszeit jährlich in Thingvellir (Dingstätte) zusammentreten[53] sollte, und den Goden, die bisher auch die politischen und juridischen Leiter ihrer Tempelgemeinden gewesen waren, im Althing ein Vorsitzender übergeordnet, 965 I. in 4 Distrikte, 13 Thinge und 39 Godorde eingeteilt, 1000 nach längerm Wirken verschiedener Missionare, besonders Tangbrands, durch Althingsbeschluß das Christentum eingeführt. 1056 erhielt I. in Isleifr seinen ersten Bischof (Sitz in Skálholt), und 1106 entstand in Holar (Holum) ein zweites Stift. Mit beiden Bistümern waren Schulen und Klöster verbunden. Auch in dem von Isländern entdeckten und kolonisierten Grönland machte das Christentum schnelle Fortschritte, während auf der stark bevölkerten Insel selbst Handel, Landwirtschaft und Volksbildung, dank der vorzüglichen Rechtsverfassung, damals in hoher Blüte standen. Erst seit Ende des 12. Jahrh. ward durch die Entstehung eines Hochadels und die Zustände innerhalb der einheimischen Kirche, die 1104–52 unter dem Erzstift Lund, dann unter dem Erzbistum Drontheim stand, namentlich aber durch innere Streitigkeiten zwischen einzelnen Großen (s. Snorri Sturluson) die Kraft des Freistaates allmählich geschwächt, so daß es schließlich (1262) dem norwegischen König Hakon dem Alten (s. Hakon 5) und seinem Nachfolger Magnus Lagaböte gelang, I. mit Norwegen zu vereinigen. 1280 erhielt I. ein neues, im wesentlichen noch heute gültiges Gesetzbuch. Schon 1380, als I. mit Norwegen an Dänemark fiel, war es dem Verfall nahe. Vollends vernichtet ward der frühere Wohlstand im 15. Jahrh. durch Erdbeben, wiederholte Vulkanausbrüche, schwere Steuerauflagen, fiskalische Übergriffe seitens der dänischen Statthalter u. eine Seuche, die 1402–04 zwei Drittel der Bevölkerung hinraffte. Die gewaltsame Einführung der Reformation durch Christian III. (s. Christian 10) vollzog sich nicht ohne Widerstand. Auch im 17. und 18. Jahrh. hatte I. schwer zu leiden. 1627 und 1687 ward es von algierischen Seeräubern, 1707 von einer verheerenden Blatternepidemie, 1784 und 1785 von schweren Hungersnöten, 1698, 1724 und 1783 von furchtbaren Vulkanausbrüchen heimgesucht. Da überdies der Handel 1602–1786 zugunsten der dänischen Kaufleute monopolisiert war, mußten die Bewohner die fortan nicht mehr einträgliche Viehzucht mit dem unsichern Fischfang vertauschen, was eine immer größere Verarmung zur Folge hatte. Die Regierung von Kopenhagen aus war faktisch eine ganz absolute, obwohl das Althing erst 1800 förmlich aufgehoben ward. Während des dänisch-englischen Krieges 1807–14, wo I. sich selber überlassen blieb, machte der dänische Abenteurer I. Jürgensen (s. d.) sich 1809 zum König von I., geriet aber schon im Sommer d. I. in englische Gefangenschaft. 1810 für ein England befreundetes Land erklärt, wurde I. 1814 wieder mit Dänemark vereinigt. Seitdem machte sich in I. eine immer stärkere Selbständigkeitsbewegung bemerkbar, an deren Spitze Ión Sigurdsson (s. d.) trat. Die Wiederherstellung des Althings (1843) als einer Provinzialversammlung mit beratender Stimme bei allen speziell isländischen Gesetzgebungsfragen, ein 1851 in Reykjavík dänischerseits einer »Nationalversammlung« vorgelegter isländischer Verfassungsentwurf, die völlige Freigabe des Handels (1854) sowie andre Reformmaßregeln genügten dem isländischen Volke nicht. Es forderte vielmehr, I. solle als ein selbständiger Staat nur die Erbfolge mit Dänemark gemeinsam, im übrigen aber eine eigne Regierung in Reykjavík haben und unabhängig von Dänemark durch das Althing sein Gesetzgebungs- und Steuerbewilligungsrecht ausüben. Nach langen Kämpfen wurde ein Teil dieser Forderungen vom dänischen Reichstag und von Christian IX. (s. Christian 16) bewilligt: am 2. Jan. 1871 durch ein Gesetz, das die finanzielle Stellung Islands zu Dänemark ordnete, und 5. Jan. 1874 durch Einführung einer neuen Verfassung. die dem aus 36 (6 vom König, 30 vom Volke gewählten) Mitgliedern bestehenden Althing das Gesetzgebungs- und Steuerbewilligungsrecht in innern Angelegenheiten sowie die Kontrolle über die im Namen des Königs durch einen verantwortlichen Minister für I. ausgeübte Verwaltung verlieh. Am 1. Aug. 1874 feierte I. in Gegenwart des Königs die 1000jährige Jubelfeier der ersten Kolonisation. Obwohl der Wohlstand der Insel, trotz eines furchtbaren Erdbebens (26. Aug. bis 5. Sept. 1896), unter dem Schutz der neuen Verfassung stetig zunahm, waren die Isländer doch mit den erlangten Zugestängnissen noch nicht zufrieden. Seit 1885 wurden von den home-rulers im Althing unter Führung Prof. W. Gudmundssons wiederholt erhebliche Verfassungsänderungen angenommen, die jedoch die dänische Regierung meistens verwarf. Erst der Sturz der konservativen Parteiherrschaft in Dänemark (s. d., S. 488) führte einen Umschwung herbei. Anfang Januar 1902 berief der König das Althing auf den 27. Juli zu einer außerordentlichen Tagung, um zwischen einem vom Althing 1901 nach den Vorschlägen Gudmundssons genehmigten Verfassungsentwurf und einer vom dänischen Kabinett Deuntzer ausgearbeiteten, noch radikalern Verfassungsreform zu wählen. Ende August 1902 genehmigten beide Kammern des Althings die dänische Vorlage, wonach künftig der Minister für I., der bis dahin stets mit dem dänischen Justizminister identisch war und demnach in Kopenhagen seinen Sitz hatte, Isländer und in Reykjavik wohnhaft sein, das Althing jedes zweite Jahr zusammentreten, 40 (darunter 6 vom König ernannte) Abgeordnete zählen und in ein Oberhaus und Unterhaus mit 14, bez. 26 Mitgliedern zerfallen, das Wahlrecht eine Ausdehnung erfahren sollte etc. Dieser Beschluß ward von dem im Spätfrühling 1903 neugewählten Althing Ende Juli mit allen gegen eine Stimme endgültig angenommen. Am 25. Sept. erhielt I. eine besondere Nationalbank mit der Berechtigung zur Papiergeldemission. An die Spitze der neuen isländischen Selbstverwaltung trat 1. Febr. 1904 der bisherige Stadthauptmann von Isafjord, Hannes Hafstein, als erster eingeborner Minister für I.

[Literatur.] Sartorius v. Waltershausen, Physikalisch-geographische Skizze von I. (Götting. 1847) und Geologischer Atlas von I. (das. 1853); Schleißner, I., undersögt fra et lägevidenskabligt Synspunkt (Kopenh. 1849); Ebel, Geographische Naturkunde von I. (Königsb. 1850); Winkler, I., seine Bewohner, Landesbildung und vulkanische Natur (Braunschw. 1861) und I., der Bau seiner Gebirge und dessen geologische Bedeutung (Münch. 1863); Preyer u. Zirkel, Reise nach I. im Sommer 1860 (Leipz. 1862); Paijkull, En sommar på I. (Stockh. 1866); Burton, Ultima Thule, or a summer in Iceland (Lond. 1875, 2 Bde.); Kaalund, Bidrag tilen historisk-topografisk Beskrivelse af 1. (Kopenh. 1877–82, 2 Bde.); Coles, Summer travelling in Iceland (Lond. 1882); Lock, Guide to Iceland (Charlton 1882); Thoroddsen, Islands Beskrivelse (Christian. 1883); Keilhack, Reisebilder aus I. (Gera 1885); Poestion, I., das Land und seine Bewohner (Wien 1885); Labonne, L'Islande et l'archipel des [54] Faeroer (Par. 1888); Baumgartner, I. und die Faröer (3. Aufl., Freiburg 1902); Collingwood und Stefánsson, A pilgrimage to the Sagasteads of Iceland (Kopenh. 1899); B. Kahle, Ein Sommer auf I. (Berl. 1899); Jäger, Die nordische Atlantis. I. und Färöer (Wien 1904). – Karten: Olsen und Gunlaugson (in 4 Blättern, 1: 480,000,1845; reduziert auf 1: 960,000,1849; neue Ausg. 1866); Thoroddsen, Geological map of Iceland, 1: 600,000 (2 Blätter, Kopenh. 1901)

Zur Geschichte, Kulturgeschichte etc.: Finn Johannson, Historia ecclesiastica Islandiae (Kopenh. 1772 bis 1878, 4 Bde.; Fortsetzung von P. Peterson, das. 1841); »Diplomatarium islandicum« (Kopenh. u. Reykjavík 1857 ff., bisher 6 Bde.); K. v. Maurer, Die Entstehung des isländischen Staates und seiner Verfassung (Münch. 1852), I. von seiner ersten Entdeckung bis zum Untergang des Freistaats (das. 1874) und Zur politischen Geschichte Islands (Leipz. 1880); Schweitzer, I., Land und Leute, Geschichte, Literatur und Sprache (das. 1885); G. Storm, Islandske Annaler indtil 1578 (Christian. 1888); Finsen, Om den oprindelige Ordning af nogle af den islandske Fristats Institutioner (Kopenh. 1888); Baasch, Die Islandfahrt der Deutschen, namentlich der Hamburger, vom 15.–17. Jahrhundert (Hamb. 1889); Walt. Gudmundsson, Privatböligen på I. i Sagatiden samt delvis i det övrige Norden (Kopenh. 1889); D. Fabricius, I. und Grönland zu Anfang des 17. Jahrhunderts (hrsg. von K. Tannen, Brem. 1890); A. Geffroy, L'Islande avant le christianisme (Par. 1896); Thoroddsen, Geschichte der isländischen Geographie (isländisch, Reykjavík 1892 ff., bisher 3 Bde.; deutsch von Gebhardt, Leipz. 1897–1898, Bd. 1 u. 2); D. Bruun, Fortidsminder og Nutidshjem paa I. (Kopenh. 1897); E. D. Schönfeld, Das Pferd im Dienste des Isländers zur Sagazeit (Jena 1900) und Der isländische Bauernhof zur Sagazeit (Straßb. 1902); O. Schumann, Islands Siedelungsgeschichte während der Landnámatid (Leipz. 1900); Gudmundsson, Islands Kultur ved Aarhundredskiftet (Kopenh. 1902) und Die Fortschritte Islands im 19. Jahrhundert (deutsch, Kattowitz 1902); »Mimir, Icelandic Institutions etc.« (Kopenh. 1903).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 51-55.
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