Anglikanische Kirche

[494] Anglikanische Kirche (Englisch-bischöfliche Kirche od. Episkopalkirche), die protestantische Staatskirche in England u. Irland, heißt auch, zum Unterschied von den in Schottland herrschenden Presbyterianern, die Hochkirche. A) Geschichte. Zur Zeit der Reformation in Deutschland zerfiel König Heinrich VIII. von England mit dem Papste, der in eine Scheidung von seiner Gemahlin, Katharina von Aragonien, nicht willigen wollte, nannte sich Oberhaupt der englischen Kirche (1534) u. löste so das schon früher, namentlich durch die Abschaffung der Annaten (1532) etwas gelockerte Band, welches England an Rom knüpfte. Die Bischöfe wurden beibehalten u. die Lehre blieb unverändert, aber Heiligenbilder u. Reliquien wurden abgeschafft, die Kirchengüter wurden eingezogen u. die Klöster nach u. nach aufgehoben; bis 1540 war die A. K. so eingerichtet. Unter Heinrichs Sohne, Eduard VI., trat Th. Cranmer, Erzbischof v. Canterbury, freier hervor; fremde protestantische, bes. reformirte Theologen wurden gerufen u. 1549 Liturgie u. Lehrbegriff verbessert, auch ein Glaubensbekenntniß von ihm u. Bischof Ridley in 42 Artikeln entworfen, worin die noch übrigen specifisch katholischen Lehren von der Tradition, Messe, Transsubstantiation, Fegefeuer, Heiligenanrufung, Bilderverehrung abgeschafft wurde. Nach Eduards Tode (1553) verdammte die eifrige katholische Königin Maria die 42 Artikel als ketzerisch, aber unter Elisabeth (1558) ward die Reformation in England vollendet; sie ließ die 42 Artikel 1562 durch eine Versammlung von Theologen revidiren, Einiges wurde verändert u. so entstanden die 39 Artikel der A. K., welche noch 1562 von einer Synode in London bestätigt, im Parlament unterzeichnet u. 1571 zu einem Theile der Grundverfassung erhoben wurden, u. so gelten sie noch jetzt. Die A. K. hielt sich unter den geheimen Ankämpfen der katholisch gesinnten Stuarte, gründete sich fester unter der Revolution Cromwells u. erhob sich vollends zur herrschenden unter Karl II., durch die Uniformitätsacte 1662, eine Verordnung des Parlaments, daß alle Geistliche mit den Satzungen der bischöflichen Kirche übereinstimmen sollten, in deren Folge 2000 Prediger, welche diesem Gebote sich nicht fügen wollten, ihre Stellen niederlegen mußten; aufgehoben unter Wilhelm III. 1689 durch das Toleranzedict u. 1673 durch die Testacte, eine Verordnung des Parlaments, welche gegen die heimlich katholischen Bestrebungen Karls II. einen Testeid, d.i. einen Probeeid, von Allen forderte, die ein bedeutendes öffentliches Amt erhalten od. Parlamentsmitglieder werden wollten, u. gebot u. a. zu schwören, daß man die Brodverwandlungslehre u. die Anbetung der Heiligen verwerfe, u. entfernte mithin die Katholiken u. Alle, die ihn zu schwören sich weigern, von diesen Posten. Sie wurde 1817 für die Offiziere, 1828 vom Parlament überhaupt aufgehoben u. durch letztere Kundgebung die Katholiken emancipirt. Die A. K. ist eine politische mit aristokratischen Elementen vermischte Hierarchie, die auf der einen Seite die Oberhoheit des Staates über die Kirche anerkennt, auf der anderen Seite aber auch für die Kirche, wenigstens theilweise, das Recht an der Leitung des Staates in Anspruch nimmt. In neuester Zeit sind auch in der A. K. zwei Parteien in den Vordergrund getreten; die streng Hochkirchlichen, deren Sitz in Oxford ist u. die das katholische Element der bischöflichen Kirche repräsentiren, u. die dem Protestantismus näher stehende Evangelische Partei (Evangelical party) von Laien u. Theologen, deren Interessen die Universität Cambridge sich zuneigte, u. die den zeitgemäßen Reformen auf dem Gebiete der Kirche, bes. auch durch die Synodalthätigkeit (Convocation), die 1851 im Parlament zur Sprache kam, das Wort redete, zu denen die Staatsregierung in Verbindung mit der Kirche die Hand bot. Neben den Erleichterungen, welche den Dissenters zu Theil wurden (s. unten) suchte man durch die. bereits früher von Robert Peel entworfene, 1836 durch John Russel eingebrachte Kirchenreformbill zu wirken, durch welche zwar die Verhältnisse der Geistlichkeit der A. K. nicht alterirt, wohl aber die Einkünfte derselben unter die Glieder des Clerus auf eine der Billigkeit entsprechende Weise vertheilt wurden, womit man zugleich der sogenannten Cumulation, d. h. der Verleihung mehrerer Pfründen an eine Person, vorbeugen wollte. Auch die Verwandlung u. Ablösung der Zehnten in England u. Wales wurde durch gesetzliche Bestimmungen von 1836 u. 1840 angebahnt, die Verwendung der überflüssigen Einnahmen der Kathedral- u. Collegiatkirchen u. ihrer Capitel so geordnet, daß man Präbenden u. Canonicate aufhob u. deren Revenüen zur Verbesserung der Vicare, zur Gründung neuer Kirchen u. Pfarreien u. zur Errichtung einer Anzahl neuer Bisthümer, theils in den Colonien, theils im Mutterlande selbst bestimmt. Übrigens wurden die strengen Gesetze über die Sonntagsfeier aufrecht erhalten. Dagegen bewahrte die Staatskirche ihren exclusiven Charakter gegen alle nichtchristlichen Elemente, u. Israeliten wurde der Eintritt ins Parlament beharrlich versagt. Dagegen konnte sich die Staatskirche der Richtung der neuesten Zeit zur Toleranz gegen die Dissenters nicht entziehen. Zu den Dissenters (s.d.) rechnet man im weiteren Sinne alle Bewohner Englands u. Irlands, die nicht zur Hochkirche gehören, mit Einschluß der Römisch-Katholischen (11 Mill. Dissenters kommen auf 14 Mill. Bischöfliche), u. im engern Sinne alle sich nicht zur Staatskirche bekennenden protestantischen Secten (der protestantische Dissent verhält sich wie 1 zu 5). Nächst der Aufhebung der Testacte 1828, woraus 1829[494] die Emancipation der Katholiken hervorging (s. oben) erhielten durch neuere Gesetze (1836 u. 1837) die Dissenters größere Rechte in Bezug auf Taufen u. Trauungen, indem die Staatskirche auf ihre Berechtigung, allein gültige Trauungen zu vollziehen verzichtete. Auch die Socinianer u. Unitarier, die zeither von manchen Begünstigungen der Toleranzacte ausgeschlossen waren, erhielten größere Freiheiten, u. während sie vormals ihr Kirchengut verloren u. selbst nach dem Ausspruch der Gerichte ihrer Gotteshäuser beraubt wurden, so ordnete 1844 eine Bill, betreffend die Bethäuser der Dissenters (Chapels-Bill) die Sache dahin, daß in allen Fällen, wo eine 25jährige Präscription des Genusses erweislich ist, der ungestörte Besitz gesichert bleibt. Aber von der Zahlung der Kirchensteuer an die staatskirchliche Gemeinde wurden die Dissenters nicht entbunden, da man in der Kirchensteuer ein Eigenthum der Kirche erblickt, das nicht angetastet werden darf. Unter den neuern Secten u. Parteien sind bes. zu erwähnen: die Puseyten (s.d.), welche die katholische Richtung in der englischen Kirche repräsentiren; die Irvingianer (s.d.), die Socialisten (s. u. Communismus), welche, durch Owen organisirt, in den Fabrikorten sich zu verbreiten wußten. Welche Concessionen u. Vortheile die Römisch-katholische Kirche der A. K. in Irland (Ablösung der Zehnten, Maynothbill etc.), u. in den andern Theilen der großen britischen Monarchie abgewonnen hat, bes. durch den Eifer Wisemanns, s. u. Römisch-katholische Kirche. Für Schulen hat die A. K. wenig gethan (s. u. Schule); von den theologischen Wissenschaften wurden auf den noch ganz nach alten u. veralteten Principien ruhenden Universitäten nur Exegese u. kirchenhistorische Studien mit Erfolg betrieben. Auf dem praktischen Felde ist dagegen in Großbritannien, sowohl von der Staatskirche als auch von den Dissenters, in neuester Zeit viel geleistet worden, bes. im äußeren u. inneren Missionswesen, Bibelverbreitung, Mäßigkeitsvereinen, Straßenpredigten, Rücksicht auf Gefangene u. entlassene Sträflinge, Diakonissenanstalten etc. B) Lehre u. Verfassung. Die Lehre der englischen Kirche ist protestantisch, mehr reformirt als lutherisch, sie setzt die Prädestination (in milderer Fassung als die Calvinische Lehre) in den verborgenen, unabänderlichen Rathschluß Gottes, zufolge dessen er die in Christo Erwählten von der Verdammniß befreit u. selig macht, u. hält es in der Lehre vom Abendmahl mit Calvin. Die symbolischen Bücher der A. K. sind: a) die 39 Artikel des Glaubens, s. oben; b) das Buch der Homilien, eine Postille, die jetzt nicht mehr zum Vorlesen in den Kirchen gebraucht, aber wie die Artikel von jedem Geistlichen unterschrieben wird; c) das allgemeine Gebet- u. Ritualbuch (Common Prayer Book), eine vollständige Kirchenagende, hat seit 1662 zuerst symbolisches Ansehen; s. Common Prayer Book; d) das Buch der Kirchengesetze, Verordnungen u. Synodalacten, seit 1604 gesetzkräftig. Die darin angeordnete Kirchenverfassung macht, wie die katholische u. griechische, die in ununterbrochener Folge von den Aposteln bis jetzt fortgepflanzte Weihe der Bischöfe zum Hauptmerkmal der wahren Kirche u. schreibt daher den englischen Bischöfen außerordentliche Geistesgaben zu, welche sie den Geistlichen durch die Ordination mittheilen (weshalb die A. K. auch die Episkopal- od. bischöfliche Kirche heißt). Die Priesterweihe drückt einen unauslöschlichen Charakter auf u. macht zu allen Kirchenämtern u. Pfründen, außer zu den, eine besondere Consecration erfordernden Bisthümern, ohne Examen, tüchtig; doch muß ihr wenigstens 6 Monate die Weihe zum Diakonat mit einem Examen vorangehen, welches sehr leicht ist. Diakonen können nur Hülfsprediger werden; erst die Priesterweihe macht sie zu wahlfähigen Pfarrern (Parsons). An der Spitze der A. K. steht der König (od. die Königin, wenn eine solche regiert). Er ernennt die Erzbischöfe u. Bischöfe, von denen wieder, wie auch von den Universitäten u. von Patronen, die Besetzung der andern geistlichen Stellen abhängt. Den höchsten Rang haben die Erzbischöfe von Canterbury (Primas von ganz England u. erstes Parlamentsmitglied, hat 17 Bisthümer unter sich u. den Rang nach den königlichen Prinzen, krönt den König) u. der von York, auch Primas von England (er hat 4 Bisthümer unter sich u. den Rang nach dem Lordkanzler; krönt die Königin). Die Erzbischöfe halten geistliche Obergerichtshöfe, an welche von den bischöflichen appellirt werden kann, consecriren die Bischöfe, ertheilen Dispensationen von Kirchengesetzen u. gehn im Range den Herzögen vor. Der geistliche Obergerichtshof (Court of Arches, Gewölbegericht), der Prärogativhof, welcher Testamente bestätigt u. vollzieht, der Audienzhof, zu persönlichem Anbringen an den Erzbischof, u. der Court of peculiars, zur Aufsicht über die von der bischöflichen Inspection eximirten Pfarrer, sind die unter dem Erzbischof von Canterbury stehenden Behörden. Die Bischöfe (die 1000 bis 10,000 Pf. Einkünfte haben) u. nach ihnen die Dechanten u. Archidechanten bilden die hohe Geistlichkeit. Der Bischof, od. statt dessen ein Archidechant, verrichtet die Ordination der Geistlichen u. die Confirmation der Kinder (oft mehrere Tausend auf einmal) u. soll aller 3 Jahre seinen Sprengel bereisen. Die niedere Geistlichkeit bilden die Pfarrer, Rectoren, Vicare u. Curaten. Die Rectoren sind noch gut besoldet, lassen aber ihre Stellen durch Vicare u. Curaten verwalten, die nur 30–50 Pf. St. Gehalt haben. Ein Mantel, ein langer vorn geschlossener Rock u. ein kleiner Kragen od. Überschlag sind die Amtskleidung der Geistlichen. Sonst bestanden auch noch nach der Reformation die Convocationen (s.d.) der englischen Geistlichkeit. Da die Universitäten für die Vorbereitung zum Predigtamte gar nichts u. für das theologische Studium wenig thun, Patronatspfarren meist erkauft, königliche u. Stiftspfründen fast nur nach Connexion verliehen werden, so steht der englische Clerus in theologischer Gelehrsamkeit u. praktischer Amtstüchtigkeit dem protestantischen anderer Länder nach; Bildung gibt ihm das in England allgemeine Studium der alten Klassiker; die Käuflichkeit der Manuscripte von Predigten überhebt aber die Trägeren der Nothwendigkeit, selbst Homileten zu sein. Eine längere Liturgie aus dem Common Prayer Book, meist aus Gebeten u. Anreden der Geistlichen u. Antworten der Gemeinde bestehend, u. dann die Predigt, welche gewöhnlich, ohne Declamation, gelesen wird, machen den Gottesdienst aus, wobei eine feierliche Stille herrscht. Die Kirchen sind sehr einfach. Gegen Osten steht ein weiß bedeckter Tisch, über welchen[495] 2 Tafeln von Stein od. hartem Holze hängen, auf denen die 10 Gebote u. die 3 Artikel des christlichen Glaubens stehn; in der Mitte ist die Kanzel; die Orgeln sind meist groß u. schön. Die Sonntagsfeier wird sehr streng gehalten. Auch in Irland ist die A. K., im stärksten Mißverhältniß zur Bevölkerung, die herrschende Kirche; die Geistlichkeit der A. K., an ihrer Spitze 4 Erzbischöfe u. 18 Bischöfe, zieht von den Irländern hohe Besoldungen u. Zehnten, zum Theil ganz ohne Gelegenheit, etwas dafür zu thun, da die meisten Gemeinden katholisch sind. In Schottland hat sie wenig Gemeinden, die unter 2 Bischöfen stehn u. von den Presbyterianern als Dissenters behandelt werden. Die Glieder der A. K. in den Colonien u. im Auslande stehn unter dem Bischof von London; doch haben OIndien, in Calcutta, u. WIndien, in Jamaica, eigne Bischöfe erhalten. Auch die bischöfliche Kirche in NAmerika stand sonst unter dem Bischof von London, aber seit der Unabhängigkeitserklärung ist sie getrennt u. durch eine Convention in Richmond 1785 etwas anders gestaltet. Die Abwesenheit der Geistlichen von ihren Pfarreien u. die Verbindung mehrerer Pfründen in einer Person, wie dies in England häufig ist, wurde untersagt u. auf einer Versammlung in Philadelphia 1785 Einiges im Common Prayer Book geändert. Die Bischöfe, von denen die 3 ersten in England geweiht wurden, werden von den zusammentretenden Pfarrern u. Laien gewählt. Alle kirchlichen Angelegenheiten werden in der alle 3 Wochen Statt findenden Zusammenkunft angeordnet, sie besteht aus dem Oberhaus, den Bischöfen, u. dem Unterhaus, den Abgeordneten des Presbyteriums.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 1. Altenburg 1857, S. 494-496.
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