[664] Toleranz (v. lat.), 1) im Allgemeinen so v.w. Duldung; bes. 2) die in Bezug auf religiöse u. kirchliche Gesinnungen u. Rechte Seitens einer öffentlichen, d.h. Staats- od. Kirchengewalt geübte Duldung. So lange der religiöse Glaube etwas rein Innerliches des einzelnen Individuums bleibt, entzieht derselbe sich ebenso, wie das Denken u. Fühlen überhaupt, jeder äußeren Beschränkung; die unbedingte Freiheit desselben ist eine Nothwendigkeit, weil kein Rechtsgesetz seine Gewalt soweit ausdehnen kann, um in dieser Hinsicht einen Zwang auszuüben. Anders gestaltet sich aber das Verhältniß, sobald die Individuen zu einem Bekenntniß zusammentreten u. eine ihrem Glauben entsprechende Übung beanspruchen. Indem der religiöse Glaube sich damit zur äußeren Erscheinung gestaltet, verfällt er unzweifelhaft dem Rechtsgebiete, u. es ist der Staat als die Personification des Volkswillens befugt darüber Regeln aufzustellen, in welchen Grenzen diese äußere Übung des religiösen Glaubens Statt zu finden habe. Der Staat hat hiernach einerseits das Recht, seinen Unterthanen zu gestatten sich in religiöse Gesellschaften zu vereinigen u. dabei, insofern mehre Religionsgesellschaften in Frage kommen, die Befugnisse derselben sowohl unter einander, als in ihren Beziehungen zum Staate zu bestimmen; anderntheils kommt ihm ebenso das Recht zu Religionsgesellschaften u. Religionsgenossen die Aufnahme zu verweigern, welche unsittliche od. staatsgefährliche Grundsätze aufstellen sollten. Je nachdem nun der Staat die Schranken, innerhalb deren er das Bekenntniß u. die Übung verschiedener Religionen in seinem Gebiete u. bei seinen Unterthanen zuläßt, enger zieht od. weiter steckt, ist seine T. eine größere od. geringere; abgesehen davon äußert sich dieselbe wesentlich verschieden, je nachdem dabei nur das individuelle Glaubensbekenntniß in Frage kommt od. die Stellung des Staates zu den Religionsgesellschaften als Corporationen in das Auge gefaßt wird. I. In Betreff des individuellen Glaubensbekenntnisses bildet den höchsten Grad der T. die vollständige Bekenntnißfreiheit, als der Grundsatz, daß Jeder im Staate seine Religion ungehindert bekennen u. für sich ausüben darf, ohne dadurch irgendwie gegenüber Andern im Genusse bürgerlicher u. politischer Rechte beschränkt zu sein; den stricten Gegensatz dazu bildet der Bekenntnißzwang, d.h. der Grundsatz, daß nur die Bekenner einer gewissen Religion im Staate zugelassen u. allen dieser Religion nicht anhängenden Individuen der Schutz des Staates versagt bleibt. Für beide extreme Richtungen weist die Geschichte Beispiele auf; es ist aber das Verdienst des Christenthums u. der neueren Philosophie, dem ersteren Grundsatz immer mehr zur Anerkennung verholfen zu haben. Der vorchristlichen Zeit war die Idee der Bekenntnißfreiheit an sich fremd. Sowohl in den asiatischen Theokratien, als bei den Griechen u. Römern trägt die Religion einen nationalen Charakter, die Gottesverehrung bildet einen Theil der staatlichen Organisation, es war daher der Cultus der nationalen Gottheiten nicht blos Bürgerpflicht, sondern auch Bedingung des Bürgerrechts u. damit Bedingung jeder rechtlichen Existenz im Staate, das Bekenntniß einer anderen Religion mußte als Verrath am Staate u. damit als das schwerste Ver brechen gelten. Erst dem Christenthum war es vorbehalten, der Welt die Idee der Bekenntnißfreiheit zu bringen. Als unmittelbar göttliche Offenbarung konnte dasselbe eine Herrschaft des Staates über die Religion, wie sie der antiken Staatsreligion zu Grunde lag, nicht mehr anerkennen; in der Auffassung der Religion als einer inneren Gewissens- u. Glaubenssache lag von selbst die Loslösung von dem äußeren staatlichen Organismus in der Aufforderung Christi nur mit geistigen Mitteln der Wahrheit zum Siege zu verhelfen, aber zugleich das Gebot keinen Gewissenszwang zu üben. Je mehr indessen das Christenthum u. bes. die orthodoxe Kirche in ihrem Siege über das Heidenthum u. die häretischen Secten sich befestigte, um so weniger hielt man an diesen Sätzen fest. Ausgehend davon, daß die äußere Zugehörigkeit zur Katholischen Kirche Bedingung der Seligkeit sei, rechtfertigte man den Zwang zum katholischen Bekenntniß mit der Sorge für das ewige Wohl u. erhob denselben, namentlich nach der Autorität des heil. Augustin, nicht blos zum Princip der Kirche, sondern auch zum Staatsprincip. Namentlich das morgenländische, völlig absolute Kaiserthum huldigte bald diesem Princip in ausgedehntester Weise, die Häresie wurde nicht blos unter die gemeinen Verbrechen aufgenommen, sondern auch mit den härtesten Strafen u. bürgerlichen Nachtheilen bedroht. Noch Schlimmeres trat mit dem seit dem 7. Jahrh. sich im Morgenland verbreitenden Islam ein, da dieser, schon im Princip jeder T. feind, vielmehr unter der Fahne des Propheten den heiligen Krieg gegen alle Ungläubigen predigte. Aber auch im Abendland griffen dieselben Principien des Bekenntnißzwangs tiefe Wurzel. Auch hier wurde die Aufrechterhaltung des wahren Glaubens nicht blos als die hauptsächlichste Pflicht der Kirche, sondern auch als Pflicht der nach den Ansichten des Mittelalters überhaupt mit ihr auf das Engste verschwisterten Staatsgewalt, namentlich des Deutschen Kaisers als des obersten Schirmherrn der Kirche, betrachtet u. danach der Bekenntnißzwang auch in der staatlichen Rechtssphäre mit dem härtesten Rigorismus fast das ganze Mittelalter hindurch festgehalten. Selbst die Reformatoren vermochten sich von diesen Principien nicht ohne Weiteres loszusagen, denn nicht sowohl Anerkennung der Bekenntnißfreiheit, als die Anerkennung der Wahrheit des Evangeliums in der von ihnen vertretenen Reinheit bildete den Zielpunkt ihres Ankämpfens wider die bestehenden Zustände, u. daher findet sich, daß selbst von den zwei protestantischen Confessionen, welche sich bildeten, eine jede die andere als eine verdammliche, unchristliche Lehre betrachtete u. mit allen geistlichen, wie weltlichen Gewaltmitteln zu unterdrücken suchte. Auch am Schlusse der Reformation nahmen deshalb fast alle Staaten, wenn schon, je nachdem der Gang der Ereignisse die eine od. andere der christlichen Religionsparteien zur Herrschaft gebracht hatte, in verschiedener Weise, gegen abweichende Bekenntnisse eine durchaus unduldsame Stellung ein. In Italien u. Spanien behauptete die Katholische Kirche mit Hülfe der Inquisition ihre bisherige Exclusivität im vollsten Umfange. In Frankreich wurde zwar von Heinrich IV. zum Schutze der Anhänger der Reformirten Kirche 1598 das Edict von Nantes erlassen, allein von Ludwig XIV. 1685 wieder aufgehoben u.[664] die Verfolgung der Protestanten von Neuem mit aller Heftigkeit begonnen. Andererseits richteten sich in England, wo der Protestantismus siegreich geblieben war u. Königin Elisabeth 1559 die Episcopalkirche zur Staatskirche erhoben hatte, die Staatsgesetze mit gleicher Strenge gegen die Papisten u. stellten gegen diese, wie gegen alle Andersgläubigen, die Strafen der Häresie auf. Auch die Toleranzacte (s.d.) von 1689, welche die dissentirenden Protestanten von diesen Strafen befreite, nahm noch die Katholiken ausdrücklich aus. Ebenso wurde in Schweden 1593 die Lutherische Kirche zur alleinherrschenden erklärt u. die Anhänger des Katholicismus gänzlich verbannt. Nur im Deutschen Reiche brachte zunächst der Augsburger Religionsfriede von 1555 u. dann der Westfälische Friede von 1648 einigermaßen tolerantere Bestimmungen zu Wege, indem sie wenigstens das Princip der Parität zwischen den katholischen u. evangelischen Reichsständen zur Geltung brachten, während der Rechtszustand für alle anderen Bekenntnisse ein dem Grundsatze der Bekenntnißfreiheit durchaus ungünstiger verblieb, namentlich für die Juden (s.d.), welche sowohl von dem Genuß aller politischen Rechte, als auch der freien Übung ihrer Religion, die ihnen höchstens gegen hohe Abgaben u. unter den wesentlichsten Beschränkungen, oft nur auf Zeit, erlaubt wurde, ausgeschlossen blieben. Erst seit der Mitte des 18. Jahrh. gelang es der fortgeschrittenen Humanität das Princip der Bekenntnißfreiheit zur völligen Geltung zu bringen. Als Vorkämpferin dafür trat, freilich unter gleichzeitiger Proclamirung eines völligen religiösen Indifferentismus u. selbst des Atheismus, die französische Philosophie auf. Ihr folgten bald deutsche Philosophen, u. die Staatsgesetzgebung selbst bemächtigte sich des Gedankens um so rascher, je mehr sich der Staat von der Kirche emancipirte u. zugleich die Politik die großen Nachtheile erkennen ließ, welche dem öffentlichen Wohl aus der Verfolgungssucht früherer Zeiten entstanden waren. Der neubegründete Staatenverband der Nordamerikanischen Colonien war der erste, in welchem die T. ihren vollständigsten Sieg errang; dann führten Holland u. mehre deutsche Territorien, bes. Preußen, die T. der religiösen Ansichten in die Staatsgesetzgebung ein. In letzterem Staate verkündete Friedrich II. schon beim Antritt seiner Regierung vollkommene Glaubens- u. Gewissensfreiheit; sie wurde wiederholt 1794 in dem Allgemeinen Preußischen Landrecht als die Grundlage aller Beziehungen des Staates zur Religion dereinzelnen Bürger sanctionirt. Nach Friedrichs Vorbild erließ auch Kaiser Joseph II. 1787 ein sehr freisinniges Toleranzedict für die Österreichischen Lande, welches indessen bald wieder durch entgegengesetzte sehr harte Verordnungen verdrängt wurde. Einen neuen Anstoß gab die Französische Revolution, indem sie nicht blos in Frankreich, sondern auch in anderen Ländern, welche sich demselben im Rheinbund anschlossen od. demselben unterworfen wurden, der Gleichheit der Rechte, unbeschadet des verschiedenen Religionsbekenntnisses, u. der Gestattung der individuellen Bekenntnißfreiheit mehr u. mehr Eingang verschaffte. Auch die Deutsche Bundesacte von 1815 sprach in Art. 16 den Grundsatz aus, daß die Verschiedenheit der christlichen Religionsparteien in den Ländern u. Gebieten des Deutschen Bundes keinen Unterschied in dem Genusse der bürgerlichen u. politischen Rechte begründen kann, u. dehnte somit die Gleichstellung der im Westfälischen Frieden anerkannten drei christlichen Religionsparteien (der katholischen, lutherischen u. reformirten) auf alle deutschen Staaten aus, während sie es hinsichtlich der anderen christlichen Secten den Einzelstaaten überließ, wie viel Rechte sie denselben einräumen wollten, u. den Juden nur die bereits eingeräumten Rechte bestätigte. Indessen ist seitdem in fast allen Verfassungen der deutschen Einzelstaaten wirklich der Grundsatz voller Gewissens- u. Bekenntnißfreiheit, mit dem Anspruch auf gleichen Genuß aller bürgerlichen u. öffentlichen Rechte, bezüglich deren nurhier u. da die Nichtchristen noch insofern zurückgesetzt sind, als ihnen der Zutritt zu öffentlichen Ämtern verwehrt ist, zur vollsten Anerkennung gelangt. Insbesondere hat auch Österreich dies Princip in seinem neuesten Protestantengesetz vom 8. April 1861 vollständig angenommen, wie sehr sich auch Tyrol dagegen gewehrt hat. In gleicher Weise ist diese Anerkennung auch in fast allen anderen Staaten Europas zur Geltung gelangt. Namentlich wurden in England die Katholiken durch die Emancipationsbill von 1829 von den noch bestandenen Beschränkungen befreit u. die Bildung protestantischer Secten neben der Episcopalkirche, wenn schon mit einigen Vorbedingungen, freigegeben. Auch in Schweden herrscht jetzt Bekenntnißfreiheit. Nur der katholische Süden (Portugal, Spanien, Kirchenstaat) ist bei der früheren Intoleranz stehen geblieben.
Das Princip der Bekenntnißfreiheit, wie es hiernach in den meisten neueren Verfassungen sich anerkannt findet, äußert sich namentlich in folgenden Sätzen: a) Niemand darf gegen seine persönliche Überzeugung zu einem bestimmten religiösen Bekenntniß od. zu Handlungen gezwungen werden, welche nur einem bestimmten religiösen Bekenntniß entsprechen. Dieses Zwanges hat sich der Staat eben so sehr selbst zu enthalten, als darüber zu wachen, daß derselbe nicht von anderer Seite, z.B. von einer Kirchengewalt, ausgeübt werde. Die letztere darf wohl die Mitglieder ihrer Kirchengemeinschaft zur Beobachtung der religiösen Vorschriften anhalten, allein es soll ihr nicht verstattet sein ihre Glaubensregeln mit äußerem Zwange geltend zu machen, noch viel weniger soll der Staat zu einem derartigen Zwange mitwirken, am wenigsten ist es zulässig das abweichende Bekenntniß eines Individuums unter bürgerliche Strafgesetze zu stellen. Das Verbrechen der Häresie ist aus den neueren Strafgesetzgebungen gänzlich verschwunden. b) Niemandem wird um seines religiösen Bekenntnisses willen der Staatsschutz od. die bürgerliche (privatrechtliche) Rechtsfähigkeit entzogen. Die Bekenner aller Religionen sind der Rechtsfähigkeit im Allgemeinen u. dam it bes. der Fähigkeit zum Erwerb von Immobilien, einer Erbschaft, zur Begründung eines Hausstandes, Ausübung eines Gewerbes etc. gleich fähig. Eine Abweichung tritt nur insofern ein, als Rechtsverhältnisse in Frage kommen, bei denen die religiösen Grundsätze selbst eine nothwendige Grundlage bilden, wie z.B. die Ehe, obschon mehre Gesetzgebungen durch die Einführung der Civilehe sich auch in dieser Beziehung über die bisherigen Schranken hinweggesetzt haben. Aber auch für das Gebiet des öffentlichen Rechtes ist der Grundsatz ungeschmälerter Rechtsfähigkeit bereits fast überall zur Anerkennung durchgedrungen. Nur in Betreff der Bekleidung obrigkeitlicher Ämter[665] hat sich in mehren Staaten der Grundsatz erhalten, daß für diese das Bekenntniß einer der christlichen Confessionen Vorbedingung sei, während andere, wie Frankreich, Holland, Belgien, auch in dieser Hinsicht keinen Unterschied mehr machen. c) Auch der Austritt aus einer religiösen Gemeinschaft u. der Übertritt in eine andere steht dem Staatsbürger völlig frei u. zieht weder eine criminelle Bestrafung, noch bürgerliche Nachtheile nach sich. Nur beschränkt sich diese Gestattung dadurch, daß der Staat für einen derartigen Übertritt eine gewisse Reife des Bewußtseins verlangen u. daher auch den Übertritt so lange versagen kann, als diese Reise noch nicht eingetreten ist. Daher ist es keine Verletzung der T., daß Eltern gehalten sind ihre Kinder zunächst in der Religion erziehen zu lassen, welcher sie selbst angehören. d) Niemandem darf die Hausandacht, d.i. die häusliche Gottesverehrung im Kreise seiner Familie, untersagt werden, ja jeder Staatsbürger hat das Recht in dieser häuslichen Andacht geschützt zu werden, in so fern dieselbe sich in den Schranken der allgemeinen bürgerlichen Ordnung u. der allgemeinen Polizeigesetze hält. Eigentlich schließt die einfache Hausandacht in der Regel das Recht auf Zuziehung eines eigenen Religionsdieners aus; doch haben manche Staaten auch diese in die Rechte der individuellen Bekenntnißfreiheit aufgenommen. e) Auf keinen Fall kann die T. selbst hinsichtlich der individuellen Bekenntnißfreiheit soweit ausgedehnt werden, daß Jedermann dadurch ein Recht erhielte seinem religiösen Glauben eine äußere Form zu geben, durch welche die von dem Staate anerkannten kirchlichen Anstalten beschimpft u. verletzt werden. Daher unterstehen Äußerungen, welche geeignet sind die Würde u. das Ansehen anerkannter Religionsgemeinschaften herabzusetzen, ohne Schmälerung der T., dem Strafgesetz. Dagegen verstößt es gegen die Idee der T., daß es als sträflich erachtet wird, wenn ein Individuum od. eine Religionsgemeinschaft für ihr Bekenntniß durch Verbreitung wissenschaftlicher od. auch populär belehrender Schriften nur Propaganda zu machen sucht, wie es nach den Gesetzen z.B. Spaniens u. Portugals der Fall ist. f) Ebenso wenig darf das Bekenntniß eine Form annehmen, welche die öffentliche Wohlfahrt schädigt u. gemeingefährlich erscheint. Öffentliche Unehrbarkeit, wie wenn etwa Jemand die Polygamie einführen wollte, od. ein directer Angriff gegen die Grundlagen des öffentlichen Rechtszustandes u. der Sittlichkeit, wie z.B. die Verläugnung der Heiligkeit des Eides, bilden nicht mehr individuelle Freiheit, sondern unerlaubte Ausschreitungen der Bekenntnißfreiheit, gegen welche der Staat um seiner eigenen Existenz willen einzuschreiten berechtigt bleibt.
II. Die T. gegen Religionsgesellschaften als solche äußert sich in den Grundsätzen, welche ein Staat in Betreff der Zulassung verschiedener Religionsgesellschaften, bes. der Bildung neuer neben den bereits bestehenden, befolgt. Diese Grundsätze lassen sich im Allgemeinen auf drei Abstufungen zurückführen. Der Staat kann zunächst a) eine bestimmte Kirche als Staatskirche aufstellen, so daß diese als die allein berechtigte erscheint u. alle andern Religionsgemeinschaften von dem Rechtsschutze ausgeschlossen bleiben; b) es wird nur eine Kirche für die herrschende erklärt; neben derselben verstattet die Staatsgewalt zwar noch das Bestehen anderer Religionsgemeinschaften, aber nur aus Gnade, so daß die Zulassung derselben nur widerruflich erscheint, der Staat daher denselben auch keinerlei positive Unterstützung gewährt; c) der Staat erkennt keine Kirche als die herrschende an, sondern betrachtet die verschiedenen Religionsgemeinschaften als unter sich gleichberechtigt nach dem Grundsatz der Parität. Auch in dieser Hinsicht ist die Entwickelung der Ansichten im Ganzen den nämlichen Gang gegangen, wie in Betreff der individuellen Bekenntnißfreiheit. Sowohl im Alterthum, als im Mittelalter, wo der Staat bald die Religion, bald die Religion die staatlichen Gewalten ganz beherrschte, gab es nur Staatskirchen, u. damit war jede T. in Betreff anderer Religionsgemeinschaften von selbst ausgeschlossen. Auch die ersten christlichen Staaten waren nur katholisch od. arianisch, dann griechischod. römisch-katholisch, u. seit der Reformation wieder entschieden katholisch od. protestantisch. Erst der Religionsfrieden von 1555 brachte für Deutschland, das Edict von Nantes 1598 für Frankreich den Fortschritt, daß neben den herrschenden Kirchengewalten einigermaßen eine T. hinsichtlich anderer Religionsgemeinschaften ein trat u. mindestens den bereits vorhandenen eine geduldete Stellung im Staate eingeräumt wurde. Indem man von da den Staat als eine besondere, sittliche Ordnung erkannte, kam man nothwendig darauf, daß die Zwecke des Staates von denen der Kirche zu sondern u. daß nicht die Aufrechterhaltung einer bestimmten Confession allein durch die Aufgabe des Staates geboten sei, sondern daß es den Zwecken des Staates genüge, wenn nur im Allgemeinen die Grundlagen der Sittlichkeit, wie sie das Christenthum darbietet, von den verschiedenen Religionsgemeinschaften gewahrt u. dabei die Garantien für ein friedliches Nebeneinanderbestehen derselben gegeben würden. Auf dieser Bahn ist die T. bes. seit der Mitte des 18. Jahrh. vorwärts geschritten. Einen großen Einfluß auf diese Entwickelung hat neben der europäischen, bes. französischen Wissenschaft, das Beispiel der Nordamerikanischen Union gehabt, in welcher sogar die völlige Indifferenz des Staates gegen alle Religionsgesellschaften zum Princip erhoben u. 1791 als Staatsgrundsatz proclamirt wurde, daß der Congreß nie ein Gesetz geben dürfe, wodurch eine Religion zur herrschenden erklärt od. die freie Ausübung einer anderen verboten werde. Denn wenn auch in Europa dies Princip in dieser Schärfe bisher noch keine Anwendung gefunden hat, vielmehr die Verbindung des Staates mit den von Alters her anerkannten Kirchen trotz der Sonderung beider Gebiete in so weit erhalten geblieben ist, daß jeder Staat eine Landeskirche (meist diejenige, welcher der Herrscher angehört od. welche die meisten Anhänger zählt) anerkennt, so haben doch auch die meisten Staaten Europas den Grundsatz angenommen, daß die ihnen zustehende Kirchenhoheit (s.d.) nach dem Princip christlicher Parität auszuüben, d.h. alle Religionsgemeinschaften als solche zuzulassen u. ihnen die eigene Verwaltung ihrer Angelegenheiten zu gestatten sei, insofern eine Prüfung ihres Bekenntnisses ergibt, daß dasselbe nicht mit den allgemeinen Staatsgesetzen in Widerspruch tritt u. die Grundsätze christlicher Moral, zu denen die Landeskirchen aller europäischen Staaten, mit Ausnahme der Türkei, sich bekennen, nicht verletzt. Dies einfach christlich-paritätische Princip ist bes. in den Deutschen Staaten jetzt allgemein anerkannt, ebenso in Frankreich seit 1830, Holland, Belgien u. der[666] Schweizerischen Eidgenossenschaft u. selbst in dem neuen Königreich Italien. Dagegen bekennen Rußland u. Griechenland ausschließlich die Griechische, Spanien, Portugal u. der Kirchenstaat die Römisch-Katholische, Schweden u. Norwegen die Evangelisch-Lutherische, England die Hochkirche noch in der Weise ausschließlich, daß die anderen Religionsgesellschaften nur als geduldet erscheinen. Doch neigt sich auch England in neuerer Zeit dem Princip christlicher Parität zu.
Als Consequenzen aus diesem modernen Staatsprincip der T. gegen alle christliche Kirchen u. Religionssecten ergeben sich: a) Der Staat betrachtet sich unabhängig von den Dogmen, den Satzungen u. der Disciplin einer bestimmten Kirche; er steht außerhalb der Kirche, wenn dies auch nicht ausschließt, daß der Staat im Allgemeinen als christlicher Staat die Vorschriften des Christenthums zur Richtschnur seiner Gesetzgebung u. seines Verhaltens nimmt, ja daß er sogar mittelbar dabei mehr der einen od. anderen confessionellen Richtung einen Einfluß verstattet. Jedenfalls räumt aber der Staat keiner kirchlichen Autorität danach das Recht ein auf die Übung der öffentlichen Functionen von Seiten der Fürsten, Staatsbeamten etc. irgend eine Beschränkung od. Disciplin auszuüben. b) Bei der Zulassung der einzelen Religionsgemeinschaften entscheiden nur die Gründe des öffentlichen Rechtes u. der gemeinen Wohlfahrt, nicht die Rücksichten auf eine bestimmte Kirche. Mit Ausnahme der oben erwähnten Länder gibt es keine Staatskirche in dem Sinne mehr, daß der Staat die Interessen nur einer Kirche verträte u. alle anderen Religionsgemeinschaften als derselben feindlich principiell von seinem Schutze ausschlösse. Wohl aber bestehen in allen europäischen Staaten, welche im Übrigen der christlichen Parität huldigen, noch Landes- od. Nationalkirchen, mit denen der Staat in Anbetracht ihrer historischen Entwickelung u. ihrer nationalen Bedeutung eine mehr od. weniger enge Verbindung unterhält, während er in Beziehung auf die anderen mehr negativ sich verhält, indem er ihnen uicht seinen Schutz versagt, im Übrigen aber sie auch nicht bes. in ihren Zwecken unterstützt. In größeren Staaten, in denen die Confessionen ziemlich gleich getheilt sind, gibt es auch wohl mehre Kirchen, welche als Landeskirchen anerkannt sind; welche Kirche aber als solche Landeskirche zu betrachten sei, entscheidet immer der Staat selbst. Bei den anderen Kirchen (Dissidenzkirchen) können übrigens je nach dem Grade ihrer Ausbildung u. ihres Umfanges verschiedene Abstufungen stattfinden. Diese zeigen sich namentlich darin, ob den Dissidentenkirchen die Stellung eigentlicher Corporationen mit corporativen Rechten od. nur die Stellung von Privatgesellschaften eingeräumt wird. In der Regel wird für das Erstere vorausgesetzt, daß die Gemeinschaft bereits einen gewissen Grad der Ausbildung erlangt habe, welcher die Garantien für ein längeres Bestehen in sich schließt. Auch darin weichen die Staatsgesetze vielfach von einander ab, daß die einen für die Versammlungen der Sectirer die Einholung einer vorherigen Erlaubniß des Staates verlangen, während andere derartige Vereinigungen an sich erlauben u. nur die Vorbehaltung der Auflösung für den Fall machen, daß das öffentliche Interesse sich dabei als verletzt herausstellen sollte. c) Der Schutz des Staates wird allen einmal zugelassenen Religionsgemeinschaften in der Weise zu Theil, daß der Staat dieselben gegen widerrechtliche Angriffe u. strafbare Beleidigungen vertheidigt u. ihre religiösen Acte, soweit sie auf das bürgerliche Recht von Einfluß sind, anerkennt. Andererseits bleibt d) jedoch dem Staate das Recht gewahrt über alle Kirchen in gleicher Weise die Aufsicht in der Weise zu üben, daß keine Verletzung od. Gefährdung der Staats- u. Rechtsordnung von Seiten der Religionsgemeinschaft od. deren Glaubensgenossen geübt werde. Von der T. kann daher nicht verlangt werden, daß sie den verschiedenen Kirchen u. Secten gestatte Einrichtungen zu treffen, welche mit den allgemeinen Staatsgesetzen nicht zu vereinigen sind, u. mit ungebundener Freiheit zu schalten. Die Staatsgewalt wird immer verlangen können, daß ihr nach den Grundsätzen der Kirchenhoheit in Betreff des Cultus u. der religiösen Gebräuche, der Lehre u. kirchlichen Erziehung, sowie des kirchlichen Vermögens die Möglichkeit einer Controle verbleibe, u. daß auch die organischen Einrichtungen mit den Grundsätzen nationaler Wohlfahrt in Einklang bleiben. In letzter Beziehung ist daher der Vorbehalt des sogen. Placet regium (s.d.) bei Besetzung kirchlicher Ämter, die Beaufsichtigung von Concilien od. Synoden durch weltliche Commissäre, sowie die in mehren Staaten angenommene Vorschrift, nach welcher die Gründung. von Klöstern u. die Einführung kirchlicher Orden eine besondere Erlaubniß seitens der Staatsgewalt voraussetzt od. grundgesetzlich ganz versagt ist, kein Verstoß gegen das Princip christlicher Patität u. T. 3) Sonst in Baiern ein obrigkeitliches Attest, welches Einem, welcher Urfehde geschworen hatte, mitgegeben wurde, damit er im Ausland geduldet werde; 4) (Münzw.), so v.w. Remedium 3).
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