[516] Polen (das Königreich oder Zarthum).
Was unter diesem Namen als Überrest eines Reiches, das einmal weit über 13,000 ! M. mit 15 Mill. Einw. umfaßte und dessen Grenzen südl. an den Karpaten und dem Dniestr, östl. am Dniepr entlang und bei Smolensk vorüber jenseit der Düna sich hinzogen, westl. aber an Schlesien und Pommern hinab, westl. von Danzig die Ostsee erreichten, seit 1832 einen wesentlichen und einverleibten Theil des russ. Reiches ausmacht, ist ein Gebiet von 2330 ! M. mit 4,200,000 Einw. Im N. und W. ist dasselbe vom preuß. Staate, südl. vom Gebiete der freien Stadt Krakau und dem östr. Kaiserthum, östl. von Rußland umschlossen und bildet eine blos am südl. und südwestl. Rande von einigen Höhenzügen unterbrochene, zum Theil sandige und morastige Ebene. Gleichwol ist der Boden im Allgemeinen sehr fruchtbar und Getreide aller Art, sowie Hülsenfrüchte werden in Menge ausgeführt; desgleichen Hanf, Holz, Rindvieh, Honig und Wachs, Schweinsborsten und Schafwolle. Eine sehr dauerhafte Art Pferde, mancherlei Pelzthiere, dabei auch Bären und Wölfe, ferner etwas Eisen, Blei, Silber, Kupfer, Zink, Salz und Steinkohlen gehören zu den Landeserzeugnissen. Fabriken und Gewerbe werden von der Regierung sehr begünstigt und die ersten, welche meist von Ausländern angelegt sind, liefern vorzüglich Tuch und andere wollene Waaren, Leinwand, Baumwollen- und Seidenzeuche; auch die Tabacksfabrikation und die Branntweinbrennerei sind wichtig. Hauptfluß des Landes ist die Weichsel, in welche sich von O. her der Bug mit der Narew und dem Wieprz, von W. die Pilica und Bzura ergießen; die Warta geht nordwestl. nach Preußen über. Von den zahlreichen Landseen gehören der Duza- und Augustowersee und die wigrischen Seen, der See von Bielsk, der Muränen enthält, zu den bemerkenswerthern. Die Bevölkerung besteht meist aus Polen, einem slawischen und den Russen auch in der Sprache verwandten Stamme, der aber vor ihnen manche edlere Seite des Charakters voraus hat. Vaterlandsliebe, rasche Begeisterung für das Edle und Große, bewährte Tapferkeit sind dem zählreichen Adel eigen und Anstelligkeit und kriegerischer Muth mangelt auch dem unwissenden Bauer nicht. Aber jenen verleiten Leichtsinn, Eitelkeit und Sinnlichkeit häufig zu allen erdenklichen Fehlern, während unter gewöhnlichen Verhältnissen Trägheit, Unsauberkeit und Völlerei dem gemeinen Manne eigen sind, der freilich der Leibeigenschaft noch nicht lange ledig ist. Diesem steht übrigens ein großer Theil des armen Adels oder der Schlachtschizen sehr nahe, die als Besitzer oder Pachter kleiner Bauergüter selbst ihr Feld bestellen, oder den [516] Reichen als Verwalter, Aufseher und selbst als gemeine Diener dienen. Die Bauern sind persönlich frei und können Eigenthum erwerben, sind aber überall arm. Die Bürger genießen besondere Vorrechte und zu ihnen werden auch die Juden gezählt, deren 400,000 in P. leben und neben dem Handel hier bisher vorzüglich den Bier- und Branntweinschank, auch das Bäcker- und Fleischergewerbe betrieben. In welchem traurigen Zustande sie aber dabei in geistiger und sittlicher Beziehung sich vor kurzem noch befanden, hat Niemcewicz (s.d.) in dem Sittengemälde »Levi und Sara« (Deutsch, Berl. 1825) geschildert. Litthauer mit eigner Sprache, Rußniaken, Tataren, Zigeuner, Deutsche (10,000) helfen die Zahl der Einwohner vervollständigen, welche sich großentheils zur röm.-katholischen Kirche bekennen, die 1834 in P. 2204 Geistliche, 845 Mönche und 345 Nonnen zählte. Außerdem bestanden 40 evangelische und 7 reformirte Gemeinden und seit 1830 hat auch, namentlich durch russ. Einwanderer, der von der Regierung begünstigte russ.-griech. Cultus sehr an Ausdehnung gewonnen und jetzt ein Kloster und sechs Pfarrkirchen inne. Andere Glaubensbekenntnisse sind ebenfalls geduldet und in der öffentlichen Ausübung ihrer Gottesverehrung nicht behindert.
Die poln. Nationalität hat von jeher allem aufgedrungenen Fremden beharrlich widerstrebt und durch Festhalten an Sprache und Sitte, ja selbst durch eine noch keineswegs vergessene Nationaltracht auch äußerlich sich zu behaupten versucht. Sie besteht beim Landmann in einem bis auf die Knie herabreichenden, gewöhnlich blauen Rocke, an der Brust mit Borden und Quasten verziert, aus langen Beinkleidern und einer rothen oder orangefarbenen, viereckigen Mütze mit Pelzbesatz ohne Schirm. Die Frauen tragen über wollenen oder leinenen Unterkleidern eine blaue Kurtka oder Art von Kontusche und eine Mütze mit vielen Bändern oder Tücher um den Kopf. Ein Landmann aus der Gegend von Krakau (1), ein anderer von Proszowice (2) und eine Frau (3) aus Podgorze sind hier in ihrer von den Vornehmen sonst in ähnlicher Art, nur zierlicher und von kostbarern Stoffen getragenen Festkleidung abgebildet, bei der ein Paß, d.h. ein breiter und bunter oder sonst verzierter Gürtel nicht fehlen darf. Die Verfassung des Landes beruht seit Febr. 1832 auf einem vom russ. Kaiser einseitig ertheilten organischen Statut, wodurch P. in seinem Verhältnisse zum russ. Reiche den andern demselben nach und nach einverleibten Ländern fast völlig gleichgestellt wird, obgleich ihm darin noch eine abgesonderte Verwaltung, ein besonderes Civil- und Criminalgesetzbuch und das Bestehen der Privilegien und Gesetze seiner Städte und Gemeinden zugesichert ist. Allein die Krönung der Kaiser von Rußland als Könige von P. wird künftig in Moskau und mit der Kaiserkrönung zugleich vor sich gehen; P. muß zu dem Staatsaufwande des Reichs gleich jeder Provinz seinen Theil beitragen, ebenso seine militairpflichtige Mannschaft zum russ. Heere liefern, und die Stellen der Regierungs- und Justizbeamten und der höhern Geistlichkeit werden ohne Unterschied mit russ. Unterthanen besetzt und dabei auf die Kenntniß der russ. Sprache, für deren Verbreitung in P. amtlich gewirkt wird, besonderer Werth gelegt; doch werden Verwaltungs- und Justizsachen jetzt noch in poln. Sprache verhandelt. Als oberste Verwaltungsbehörde besteht ein Administrationsrath, in welchem der Statthalter von P. den Vorsitz führt. Für das Innere, die geistlichen Angelegenheiten und den Unterricht, für die Rechtspflege, die Finanzen und Rentkammer sind vier Regierungscommissionen in Thätigkeit; die städtische Verwaltung besorgen gewählte Behörden. Übrigens müssen alle Gesetzentwürfe und. das Budget dem kais. Staatsrathe vorgelegt und Gesetze und Decrete mit der Unterschrift des russ. Ministers versehen werden. Die Einrichtung von Provinzialständen mit berathender Stimme über das allgemeine Beste des Königreichs wurde besonderer Anordnung vorbehalten.
Die 1816 errichteten 8 Woiwodschaften heißen seit 1832 Gouvernements und zerfallen in 39 Kreise. Im Gouvernement Masovien liegt die Hauptstadt und ehemalige königl. Residenz Warschau (s.d.); das Städtchen Lowicz an der Bzura hat 3500 Einw.; in der Nähe von Dabrowiec [517] mit 1260 Einw. befinden sich Zinkhütten und ein Steinkohlenbergwerk. Das Gouvernement Krakau hat Kielce mit 5000 Einw. zum Hauptorte, wo der Sitz eines Bischofs, der Bergwerksdirection und einer Bergschule ist. Der Ort treibt ansehnlichen Handel mit Eisenwaaren, Mühlsteinen, Holz, Getreide und in der Nähe befinden sich mancherlei Bergwerke. Auf dem benachbarten 2000 F. hohen Katharinenberge, dem höchsten in P., liegt ein Bernhardinerkloster. Nowomiasto an der Weichsel hat 1100, Stawkow an der Biala 1500, Pilica 1800, Zarki 2300 Einw. Vom Gouvernement Sandomir ist Radom mit 1500 Einw. die Hauptstadt; bemerkenswerth sind Sandomir mit 3000 Einw., Szydlowiec mit 1800 Einw., Opoczno mit 1500, Konskie mit 3000 Einw. und Krzyz, eine Benedictinerabtei auf dem 1930 F. hohen Lysa oder Kahlenberge. Das Gouvernement Kalisch hat seinen Namen von der gleichnamigen an der Prosna in einem freundlichen Thale gelegenen Stadt mit 15,000 Einw.; als ansehnlichere Orte sind noch zu bemerken: Kolo an der Warta mit 2000 Einw.; Warta mit wichtigen Märkten und 1200 Einw.; Petrikau mit 2000 Einw., Wielun mit einer Piaristenanstalt und 2000 Einw. und Stadt und Kloster Czenstochau (s.d.). Im Gouvernement Lublin liegt die gleichnamige Stadt mit 12,000 Einw. von Seen und Morästen umgeben, der Sitz eines Bischofs und mehrer Klöster, sowie der Mittelpunkt eines durch drei jährliche Messen beförderten lebhaften Handels; sie zählte in früherer Zeit einmal 40,000 Einw. und war die Residenz mehrer poln. Könige. Leczno hat 1800, Pulawy (s. Czartoryiski) 3000, Chelm 2000, Bilgoray 1600, die Festung Zamosk 4800, Sczebrzeszyn 3000, Hrubrieszow, wie Tarnogrod 1700 Einw. Das Gouvernement Plock enthält die gleichnamige Hauptstadt mit 6500 Einw. und dem Sitz eines katholischen Bischofs; Dobrzyn an der Weichsel hat 1500, Sierps 2000, Pultusk am Narew 2000, Ostrolenka 1800 Einw., am Zusammenflusse von Bug und Weichsel liegt die neuerdings sehr verstärkte Festung Modlin. Der Hauptort vom Gouvernement Podlachien ist Siedlce mit 2200 Einw.; unter andern enthält es die Stadt Liwjee mit 1600, Biala mit 4800, Miedzyrzyce mit 1800, Radzyn mit 1200, Lukow mit 1500, Wlodawa und Terespol am Bug und den durch das Unglück Koszciusko's bekannten Ort Maciejowicze. Den nordöstl. Theil P.'s bildet das Gouvernement Augustowo mit dem Hauptorte Suwalky, welcher 3000 Einw. zählt, und den Orten Lomza am Narew mit 1100, Tykoczyn mit 2800, Szczuczin mit 1800 Einw., Raygrod am Elcksee, Augustowo, Lipsk, Kalwary mit 2700 meist armen., jüdischen, zum Theil auch tatar. Einwohnern und einem mohammedan. Bethause. Nowa Miasto an der Szczupa hat 2300 Einw.; Seyny hat ein als Wallfahrtsort berühmtes Dominikanerkloster; das Camaldulenserkloster Wygry, bei dem sich viele Einsiedeleien und ein Gymnasium befinden, ist jetzt der Sitz des Bischofs des gleichnamigen Sprengels.
Die älteste Geschichte P.'s beruht nur auf sagenhaften Nachrichten und von seinen frühesten Bewohnern, den Sarmaten (s.d.), denen ein anderer slaw. Stamm, die Lechen, gefolgt sein sollen, ist zu Ende des 6. Jahrh. nicht mehr die Rede, sondern die Bewohner der Gegenden an der Weichsel und weiter östl. heißen nun Slawen. Aus ihren südl. und östl. gelegenen frühern Wohnsitzen erst durch die Hunnen, dann von den Bulgaren vertrieben, ließen sie sich seit dem 5. Jahrh. in den großen Ebenen an der Weichsel nieder, von denen auch der spätere Name Polen, welcher Slawen der Ebene bedeutet, hergeleitet wird. Um die Mitte des 6. Jahrh. wird ein Herzog Lech erwähnt, dessen Nachfolger bis 700 geherrscht haben sollen; allein die darüber vorhandenen Nachrichten sind noch zweifelhafter, wie die von dem spätern Herzog Krakus, der als Erbauer von Krakau genannt wird. Im I. 842 wählten jedoch die Bewohner der Gegend zwischen Weichsel und Warta den ersten Piasten (s.d.) zu ihrem Fürsten, dessen Nachkommen hierauf bis 1370 über P. herrschten. Die Vermählung Mieczyslaw I. mit der böhm. Prinzessin Dombrowka hatte im letzten Viertel des 10. Jahrh. die Einführung des Christenthums zur Folge, und sein Nachfolger Boleslaw I. nahm im J. 1000 den königl. Titel an, mit welchem ihn Kaiser Otto III. bei Gelegenheit der Wallfahrt bekleidete, welche er nach Gnesen zu dem Leichnam des h. Adalbert (s.d.) unternahm. Mit ihren Nachbarn befanden sich übrigens die Polen häufig im Kriege, machten sich Böhmen, Mähren, Schlesien, die Lausitz, Preußen zinsbar, verloren aber auch solche Eroberungen schnell wieder unter unfähigen Fürsten, sowie durch Theilungen ihre Macht geschwächt wurde, der es bei der höchst mangelhaften innern Organisation des Landes überhaupt an einem festen Stützpunkte gebrach. Daß Herzog Konrad von Masovien den deutschen Orden gegen die heidnischen Preußen zu Hülfe rief, kostete P. den Besitz der Ostseeküste, welche für den Handel und als natürliche Grenze und Vertheidigungslinie unersetzlich war. Während Wladislaw IV., genannt der Ellenlange, unruhiger Regierung wurde zwar im Anfange des 14. Jahrh. Großpolen an der obern Weichsel mit Kleinpolen an der Warta für immer vereinigt, Krieg, Hungersnoth und Pest brachten aber nacheinander das Land in einen fürchterlichen Zustand der Verödung. Um Dem abzuhelfen, sicherte sich Kasimir III., der Große, nachdem er 1333 zur Regierung gelangte, zuerst den Frieden und arbeitete dann mit Erfolg an der Herstellung des Wohlstandes und der von zahllosen Wegelagerern bedrohten Sicherheit von Vermögen und Leben. Ihm dankt P. die ersten geschriebenen Gesetze und überhaupt die Begründung einer geordneten Verfassung; die untern Classen schützte er kräftig wider den Druck des Adels, der ihn dafür zwar den Bauernkönig nannte, was aber der großen Achtung keinen Eintrag that, welche er auch im Auslande genoß. Nur der Vorwurf wird ihm gemacht, daß ihn der Einfluß einer jüdischen Beischläferin verleitet habe, den für P.'s Wohlstand später so nachtheilig gewordenen Juden zu große Begünstigungen eingeräumt zu haben. Ohne Eroberer zu sein, ließ er günstige Gelegenheiten zur Vergrößerung des Reichs nicht unbenutzt und vereinigte Rothrußland (Halicz und Galizien), Volhynien, Brzesc, Bielsk und Chelm mit demselben, bewirkte auch die Anerkennung der Oberherrlichkeit P.'s über Masovien. Mit ihm erlosch 1370 der Mannsstamm der Piasten auf dem poln. Throne und sein Schwestersohn Ludwig, König von Ungarn, wurde, kraft vorher geschlossener Verträge, König von P., hatte sich aber bereits große Beschränkungen der königl. Macht zu Gunsten von Adel und Geistlichkeit gefallen lassen müssen. Die Unzufriedenheit über seine nachlässige Regierung und Bevorzugung der Ungarn veranlaßte mehrmals Unruhen, gleichwol[518] ward eine seiner Töchter, Hedwig, zu seiner Nachfolgerin gewählt und genöthigt, ihrem Verlobten, dem Herzoge Wilhelm von Östreich, zu entsagen und sich mit dem heidnischen Großfürsten von Lithauen, Jagello, 1386 zu vermählen, der vorher das Christenthum und den Namen Wladislaw V. annahm.
Die Vereinigung von Lithauen mit P. wurde dadurch vorbereitet und Hedwig die Stammmutter der Jagellonen, welche P. bis 1572 beherrschten und auf einige Zeit zum mächtigsten Reiche im östl. Europa machten. Die von Kasimir III. schon gestiftete Universität zu Krakau wurde 1401 von Wladislaus Jagello vollständig eingerichtet und erlangte im 16. Jahrh. ihre Blüte, das überhaupt als das goldene Zeitalter der poln. Literatur angesehen wird, und wo es der ungemein bildsamen poln. Sprache gelang, sich als allgemeine Schriftsprache geltend zu machen und das Lateinische zu verdrängen, welches bisher die Staatssprache und die der Gebildeten in P. gewesen war. Die Dichtkunst entwickelte sich zu unerwarteter Vollendung, die Wissenschaften und namentlich das griech. und röm. Alterthum wurden emsig bearbeitet, die Reformation der Kirche fand im Stillen raschen Eingang und veranlaßte mehre poln. Übersetzungen der Bibel und einzelner Theile derselben, auch gewährte der Reichstag zu Wilna 1573 den Protestanten, zu denen damals die Hälfte des Adels und ein großer Theil des Volkes gehörte, den Socinianern und nicht unirten Griechen gleiche Rechte mit den Katholiken. Das Ländergebiet P.'s ward unter den Jagellonen erweitert, indem der deutsche Orden nach dem sogenannten dreizehnjährigen Kriege im Frieden von Thorn 1466 Kulm und die Weichsel bis Elbing abtreten, auch die Schutzhoheit P.'s anerkennen mußte, zu dem Kurland 1561 als Lehn, sowie 1558 Liefland zu Lithauen kam, welches 1569 mit P. völlig verbunden wurde, sodaß die Reichstage beider Länder nun blos eine Versammlung bildeten. Allein die eigenthümliche Gestaltung derselben und die von ihr nach und nach den Königen besonders bei der Thronbesteigung abgedrungenen Vorrechte wurden zugleich die vorzügliche Quelle des spätern Unglücks von P. Der Adel allein, dem auch alle höhern weltlichen und geistlichen Ämter und Würden vorbehalten waren, vertrat die Nation und entzog der Krone nach und nach die wichtigsten Rechte, wie z.B. ihn zu Kriegsdiensten aufzubieten, Auflagen anzuordnen, Gesetze zu geben, das Münzrecht, ja die unter dem letzten Könige des Jagellonischen Mannsstammes, Sigismund II. August, 1548–72 eingeführten Pacta conventa gaben ihm die Befugniß, bei jeder Königswahl die königl. Gewalt noch mehr zu beschränken.
Nachdem Sigismund August ohne Erben gestorben war, wurde nach vielen Streitigkeiten Heinrich von Anjou, ein Bruder König Karl IX. von Frankreich, 1573 zum König von P. gewählt, das nun bis 1791 ein förmliches Wahlreich blieb. Kaum hatte Heinrich fünf Monate dort zugebracht, als ihn Karl IX. Tod zum Erben des franz. Thrones machte und er sofort P. heimlich für immer verließ, wo nun 1575 Stephan Bathori (s.d.) zu seinem Nachfolger gewählt wurde, dessen Regierung 1575–86 einen der glänzendsten Abschnitte in der neuern poln. Geschichte bildet, aber keine dauernden Früchte hatte. Ihm folgte nach heftigen Wahlstreitigkeiten der schwed. Prinz Johann Sigismund (1578–1632), dessen Mutter aus Jagellonischem Stamme und eine Schwester des Königs Sigismund II. August war, und nach ihm kamen seine Söhne: Wladislaw (1632–48) und Johann Kasimir (1648–68) zur Regierung. Während ihrer Herrschaft war P. fast in allen Kriegen mit Schweden, Russen und Türken unglücklich und die Souverainetät über Preußen ging an Brandenburg, Liefland an Schweden verloren. Im Innern nahm politische und religiöse Parteiung fortwährend zu; die Conföderationen (s.d.) wurden seit 1607 gesetzliches Vorrecht des Adels; der seit 1566 durch Stephan Hosiusz eingeführte Jesuitenorden fand besonders an Sigismund und den ihm vor seiner Thronbesteigung selbst angehörenden Kasimir Beförderer und verdrängte aus den ihm anvertrauten Bildungsanstalten den Geist freier Forschung und lebendiger Wissenschaft, an deren Stelle ein prunkendes Formenwesen und religiöse Beschränktheit traten. Unduldsamkeit fing an, fleißige Bürger (1658 die Arianer) aus dem Lande zu treiben, und das erste Mal geschah es unter Johann Kasimir's Regierung, daß ein zum Reichstage abgeordneter Landbote durch seine alleinige verneinende Stimme die Reichstagsverhandlungen nutzlos machte, welcher Misbrauch unter dem Namen liberum veto in kurzer Zeit zum verhängnißvollen Rechte wurde. Nur der Wille seiner Gemahlin, einer Tochter des Herzogs von Nevers, scheint Johann Kasimir bewogen zu haben, die Krone bis nach ihrem Tode zu tragen, dann aber legte er dieselbe nieder und starb 1672 als Abt von St.-Germain des Prez in Frankreich. Als die neue Königswahl bereits sechs Wochen gedauert hatte, setzte der niedere Adel endlich mit Gewalt die des zum Regenten ganz untauglichen Michael Wisniowiezki durch, der ein Abkömmling der alten Herzoge von Lithauen war und den über die Unruhen der Kosacken entstandenen Krieg mit den Türken durch einen schimpflichen Frieden beilegen wollte, welchen aber der Reichstag verwarf. Sein berühmter Nachfolger, Johann Sobieski (s.d.), 1674–96, suchte den Türken das Verlorene mit dem Schwerte abzuringen, nach seinem Ableben aber wurde die poln. Königswahl zu einer Quelle persönlichen Gewinnes vom Adel herabgewürdigt und die Krone dem reichsten Bewerber, dem um ihretwillen zur katholischen Kirche übergetretenen Kurfürsten Friedrich August I. von Sachsen, genannt der Starke und als König August II. (s.d.), zu Theil. Er behauptete sich mit wechselndem Glücke wider Karl XII. von Schweden und den Gegenkönig Stanislaus Lesczinsky, allein unter wachsender Zerrüttung im Innern P.'s, wo die von den Jesuiten genährte Verfolgung gegen die Dissidenten (s.d.) mit erneuter Heftigkeit anhob und endlich allen Nichtkatholischen das Bürgerrecht verweigert wurde. Sein Nachfolger in der Kurwürde ward 1733 als August III. auch in P. gewählt, unter Mitwirkung von Östreich und besonders Rußlands eingesetzt, welches die Gegenpartei des Stanislaus Lesczinsky mit den Waffen unterdrückte und Warschau im Oct. besetzte. Zwar zogen sich später die Russen wieder zurück, allein der russ. Einfluß war nun für immer begründet und P. hatte ihm nichts mehr zu verweigern. Bei August III. Tode (1763) veranlaßte Katharina II. Wille die Wahl des frühern poln. Gesandten am russ. Hofe und ihres ehemaligen Günstlings, Stanislaus August Poniatow sky, zum Könige, dem aber bei aller Bildung und Vaterlandsliebe die erfoderliche Charakterfestigkeit mangelte, um [519] mehr als Werkzeug Rußlands zu sein und von einem wankenden Throne aus die nothwendige Verbesserung der poln. Staatseinrichtung durchzusetzen. Was in dieser Beziehung unter Mitwirkung einiger patriotischer Männer geschah, fand auf den Reichstagen, sowie beim russ. Hofe lebhaften Widerspruch, und indem dieser vorgab, die Dissidenten, welche sich aus den östl. Provinzen P.'s um Schutz nach Petersburg wendeten, während die in den westl. bei Preußen Hülfe suchten, schirmen zu müssen, rückten 40,000 Russen' in P. ein. Hier hatten Adel und Städte eine Menge Conföderationen theils für die Dissidenten, theils wider den König gebildet, welche aber durch den russ. Gesandten Repnin bewogen wurden, sie zu einer Generalconföderation zu Radom zu vereinigen, welcher der König nun beitrat, und der russ. Gesandte vorschrieb, was den Dissidenten zu bewilligen sei. Zwei katholische Bischöfe, die freilich aus Fanatismus widersprachen, ließ er gefangen abführen, aber noch bevor im März 1768 der Reichstag geschlossen wurde, war im Städtchen Bar eine neue Conföderation wider die russ. Anmaßungen, leider auch gegen die Dissidenten begonnen worden, und der zwischen Rußland und der Pforte über die poln. Angelegenheiten ausbrechende Krieg schien die Pläne derselben zu begünstigen. Allein Rußland behielt die Oberhand und nachdem P. längere Zeit Schauplatz eines verheerenden Bürgerkriegs gewesen war, erklärten die benachbarten Mächte, Rußland, Östreich und Preußen die Nothwendigkeit, daß sie zur Sicherung ihrer Grenzen einige alte Ansprüche an poln. Provinzen geltend machen müßten und verfügten die vom Reichstage zu Warschau im Sept. 1773 nachträglich bestätigte erste Theilung von P., bei der Östreich Rothreußen mit einem Stück von Podolien und den zwischen den Karpaten gelegenen Theilen der Woiwodschaften Sandomir und Krakau, nebst den dort befindlichen Salzwerken von Wieliczka und Bochnia, zusammen 1280 ! M., Preußen die Woiwodschaften Marienburg, Kulm, Pomerellen, das Ermeland und einen Theil von Großpolen an der Netze mit Ausschluß von Danzig und Thorn, zusammen 631 ! M., Rußland die Woiwodschaften Mstislaw, Witepsk, Polozk und Liefland mit einem Theile der Woiwodschaft Minsk jenseit des Dnieprs, zusammen 1975 ! M. erhielt. Zugleich wurden Veränderungen in der Regierungsform getroffen und besonders an die Stelle des bisherigen, vom Könige ernannten Reichsrathes ein immerwährender und vom Adel gewählter Rath eingesetzt, in welchem fast lauter Anhänger der russ. Partei befördert wurden und der das königl. Ansehen von Neuem beschränkte.
Während der nun folgenden 15 Jahre des Friedens erholte und ermannte sich das gedemüthigte P. zu neuen Bestrebungen für seine Unabhängigkeit und die einsichtsvollsten Vaterlandsfreunde machten sich die Verbesserung der Staatsverfassung zur Aufgabe. England und das benachbarte Preußen gaben bestimmte Hoffnung auf Beistand wider russ. Eingriffe und daher trat P. seit 1788 der russ. Partei wieder offen entgegen. Der immerwährende Rath ward aufgehoben, das Heer vermehrt und an dem noch jährlich von den ausgewanderten Polen deshalb festlich begangenen 3. Mai 1791 unter allgemeinen Jubel jene neue Verfassung angenommen, welche P. zu einer erblichen Monarchie umgestaltete, das liberum veto und die Conföderationen aufhob, den Landmann unter den Schutz der Gesetze stellte und zwei Kammern: die Landbotenkammer aus Abgeordneten des Adels und der Städte, die der Senatoren aus Bischöfen, Woiwoden, Kastellanen und Ministern verordnete. Allein dieses Staatsgesetz, welches die Ursachen des frühern Unglücks von P. beseitigen sollte, ward von Seiten Rußlands nicht anerkannt, das den Gegnern desselben, welche im Mai 1792 die nach einem Städtchen in der Ukraine benannte Targowiczer Conföderation errichteten, ein Heer mit dem erklärten Zwecke zu Hülfe schickte, die Freiheit P.'s wider das mittels der neuen Constitution eingeführte Princip der Erblichkeit des Thrones schützen zu wollen. Vergebens suchten sich die von allen Mächten verlassenen Polen der Übermacht zu erwehren und dem in Grodno versammelten Reichs, tage ward endlich mit Gewalt die Bewilligung neuer Abtretungen an Rußland entrissen, ja wegen der an Preußen wurde sogar sein beharrliches Schweigen als Zustimmung betrachtet und endlich mußte noch die Ungültigkeitserklärung der Anordnungen jenes Reichstags erfolgen, welchem P. das Staatsgesetz vom 3. Mai verdankte. Bei dieser zweiten Theilung P.'s von 1793 nahm Rußland 4553 ! M., Preußen 1600 ! M. mit Danzig, Thorn und Czenstochau von dem nun auf 3800 ! M. verminderten Gebiete P.'s, welches die Russen nicht einmal verließen. Im März 1794 erhob sich jedoch P. unter Koszciuszko's (s.d.) Anführung heldenmüthig gegen seine Unterdrücker, ward aber nach einem kurzen, glänzenden Kampfe den vereinigten Waffen der Russen und Preußen unterworfen, und im Verein mit Östreich erfolgte im Oct. 1795 die Auflösung des poln. Reichs und dritte Theilung P.'s, welche von den drei theilenden Mächten erst im Jan. 1796 vollzogen wurde. Kurland und Lithauen waren jedoch vorher schon mit Rußland vereinigt worden, welches diesmal 2183 ! M., Preußen 697 und Östreich 834 ! M. auf seinen Antheil erhielt. Die Grenze des letztern, zu welchem Krakau gehörte, lief nördl. an der unterhalb Maciejowice in die Weichsel mündende Pilica hin, von da bis der Narewmündung gegenüber in gerader Linie an den Bug, dem sie dann bis in die Nähe seiner Quelle folgte. Warschau, von wo die Russen inzwischen das später erst getheilte Staatsarchiv und die öffentliche Zaluskische Bibliothek nach Petersburg gebracht hatten, kam mit den Gebieten nördl. der Pilica und des Bug bis Niemirow und westl. einer von diesem Orte bis Grodno gegenüber an den Niemen gezogenen Linie, die dann die fernere Grenze bildete, an Preußen, alles Übrige an Rußland. Der König Stanislaus August war schon 1795 auf russ. Befehl nach Grodno gegangen, wo er auch seine Entsagung auf den Thron unterzeichnete, von einem russ. Jahrgelde lebte und 1798 im Alter von 66 Jahren in Petersburg starb.
Viele Polen waren nach dem traurigen Ausgange des Aufstandes von 1798 vorzüglich nach Frankreich ausgewandert und der größte Theil derselben bildete dort eine poln. Legion, welche in Italien für die franz. Republik focht und deren tapferer Anführer Dombrowski (s.d.) im Kriege von 1806 gegen Preußen vom Kaiser Napoleon benutzt wurde, um die poln. Provinzen desselben zu den Waffen zu rufen, was den außerordentlichsten Erfolg hatte. Mit den siegenden Franzosen kam endlich die poln. Legion nach Warschau zurück, welches nun die Hauptstadt des in Folgt des Friedens zu Tilsit aus den preuß.-poln. Provinzen [520] gebildeten Herzogthums Warschau und dessen erbliches Oberhaupt der König Friedrich August von Sachsen wurde, welchen die Polen schon bei Ertheilung des Staatsgesetzes von 1791 zu ihrem erblichen Könige nach Stanislaus August's Tode gewählt hatten. Es wurde eine repräsentative Verfassung mit zwei Kammern und die franz. Gesetzgebung eingeführt, die Leibeigenschaft aufgehoben und eine poln. Armee aufgestellt, welche im J. 1809 mit großer Auszeichnung gegen Östreich focht, das im Frieden von Wien einen Theil von Galizien zurückgeben mußte. Das Herzogthum Warschau umfaßte jetzt gegen 2800 ! M. mit 31/2 Mill. Einw., mußte aber sein Bestehen mit außerordentlichen Leistungen an Frankreich bezahlen, für das auch die poln. Truppen in Spanien kämpften. Die Aussicht auf völlige Herstellung von P. ließ jedoch Alles ertragen und der Feldzug gegen Rußland schien 1812 diese Hoffnung verwirklichen zu sollen, gab P. aber durch seinen unglücklichen Ausgang abermals dem Willen seiner alten Gegner preis, während die poln. Armee den Franzosen folgte. Rußland übernahm inzwischen die Verwaltung des Herzogthums Warschau, das vom Congresse zu Wien nach Abtrennung von Krakau als freie Stadt und Zurückgabe eines Theils an Östreich und eines andern (des Großherzogthums Posen, Danzig, Thorn u.s.w.) an Preußen, als ein erbliches Königreich P., welches aber seine besondere Verwaltung haben sollte, in dem jetzigen Umfange mit Rußland vereinigt, sowie der Kaiser Alexander I. zum Souverain desselben erklärt wurde, von dessen damaligen Gesinnungen P. das Beste hoffte. Auch ertheilte er dem Lande schon 1815 die versprochene Constitution, welcher das poln. Staatsgesetz vom 3. Mai 1791 zum Grunde lag. Sie verordnete zwei Kammern, von denen die zweite aus 77 von den Provinzen abgeordneten Landboten und 51 Abgeordneten der Städte bestand, verbürgte Preßfreiheit, Verantwortlichkeit der Minister und Unabhängigkeit der Richter, begünstigte aber in vielen Dingen den Adel auf Kosten der Bürger und Bauern. P. hatte indessen sein besonderes Ministerium, ein Nationalheer von 50,000 M. und der General Jos. Zajonczek, gest. 1826, der ein Waffenbruder von Koszciuszko, dann in franz. Dienst und beim Heere des Herzogthums Warschau angestellt gewesen war und im russ. Feldzuge beim Übergang über die Beresina einen Schenkel verloren hatte, wurde zum Vicekönig, der Großfürst Konstantin Cäsarewitsch aber zum Oberbefehlshaber der Armee ernannt.
In den ersten Jahren gab die neue Verwaltung kaum Veranlassung zu Klagen, Gewerbe und Handel nahmen rasch zu und das Land erholte sich von seiner Erschöpfung. Allein die fortdauernde Anwesenheit einer russ. Besatzung, die mit Veränderung der Ansichten des Kaisers Alexander I. seit 1819 zunehmend eintretende Verkürzung des in der Verfassung Gewährten und eine eiserne Strenge, wodurch Rußland die Sicherheit seines Besitzes am besten zu verbürgen glaubte und die der launenhafte Wille des Großfürsten Konstantin doppelt empfinden ließ, beleidigten auf. das Tiefste das poln. Nationalgefühl, welches die Polen schon so oft jede politische Rücksicht hatte vergessen lassen. Es entstanden daher seit 1819 geheime Gesellschaften, welche zunächst die Erhaltung und Kräftigung der poln. Nationalität durch wissenschaftliche Bestrebungen, als nähern oder entferntern Zweck aber die Wiedervereinigung und Herstellung der Unabhängigkeit P.'s beabsichtigten und deshalb in Lithauen, Podolien, der Ukraine, sowie in Posen Verbindungen anknüpften. Die russ. geheime Policei machte deshalb zu verschiedenen Zeiten Entdeckungen, die auch schwere Folgen für die Verdächtigen nach sich zogen; allein die Verfolgung und Einkerkerung von anerkannten Patrioten vergrößerte den Haß gegen die Russen und den Wunsch nur noch mehr, sich ihrer drückenden Herrschaft zu entziehen. Daß 1825 Kaiser Nikolaus I. den russ. Thron bestieg, welchem der Cäsarewitsch Konstantin entsagt hatte, brachte für P. nur mit sich, daß der Letztere dort unumschränkter walten konnte. Auf dem 1830 versammelten Reichstage, dessen Verhandlungen aber längst nicht mehr öffentlich sein durften, liehen daher die Abgeordneten der allgemeinen Misstimmung Worte und wollten endlich sogar die Minister in Anklagestand setzen; allein noch ehe dieser Vorsatz verwirklicht werden konnte, wurde der Reichstag am 28. Jun. plötzlich geschlossen. Bei diesen zunehmend gespannten Verhältnissen zu Rußland mußte wol die franz. Julirevolution den lebhaftesten Anklang finden; gleichwol war trotz aller geheimen Verbindungen doch so wenig für einen bewaffneten Aufstand vorbereitet, daß der Winter herankam und auch dann P., wie die russ. Regierung durch den am 29. Nov. von einigen jungen Offizieren begonnenen Aufstand, an deren Spitze der nachmals bei der Erstürmung von Warschau in russ. Gefangenschaft gerathene und 1838 gestorbene Unterlieutenant Peter Wisocki stand, gleichmäßig überrascht wurden. Das Volk von Warschau und die poln. Truppen schlossen sich jedoch alsbald in Menge der Bewegung an und der Großfürst war am Morgen des 30. Nov. schon mit allen nicht in Gefangenschaft gerathenen oder getödteten Russen aus der Stadt getrieben und später ward ihm, gegen Entlassung der bei ihm verbliebenen Polen, freier Abzug aus dem Königreiche und die Freilassung der gefangenen Russen bewilligt. Der Wunsch der Armee und des Volkes rief den General Chlopicki (s.d.) an die Spitze des Heeres und am 1. Dec. wurde derselbe von der höchsten Behörde des Königreichs, dem inzwischen umgestalteten Verwaltungsrathe, aus dem die das öffentliche Vertrauen nicht besitzenden Mitglieder geschieden und durch andere (die Fürsten Adam Czartoryiski und Mich. Radziwill, Senator Kochanowski, Graf Ludwig Pac, I. U. Niemcewicz, Chlopicki, Leo Dembowski, Professor Lelewel und Landbote Malachowski) ersetzt worden waren, mit dem Oberbefehl bekleidet. Übrigens fertigte der Verwaltungsrath seine Beschlüsse immer noch im Namen des Kaisers und Königs aus, aber schon am 4. Dec. legte er die Verwaltung in die Hände einer provisorischen Regierung nieder, deren Mitglieder Fürst A. Czartoryiski, der Senator Kochanowski, Ludwig Pac, Leo Dembowski, Niemcewicz, Lelewel und Graf Ostrowski waren und die bis zur Versammlung des Reichstags dauern sollte. Doch Tags darauf ging bereits die oberste Gewalt an Chlopicki über, welcher sich, vor dem Beginnen der Exaltirten besorgt, eigenmächtig zum Dictator bis zur Eröffnung des Reichstages ernannte.
Das Land hatte sich unterdessen überall, nur die Bürgerlichen und die deutsche Bevölkerung mit Unlust, der Revolution angeschlossen und obwol Chlopicki damals nur auf [521] eine möglichst günstige Versöhnung mit Rußland hinarbeitete, sah er sich doch unwillkürlich zu Maßregeln im Geiste des Aufstandes genöthigt. Der am 18. Dec. zusammengetretene Reichstag betrachtete sich von der öffentlichen Meinung gezwungen, den Dictator zu bestätigen, obgleich er sich der Ausdehnung der Revolution auf die mit Rußland vereinigten poln. Provinzen widersetzte, setzte ihm aber einen Nationalrath und eine Reichstagsdeputation zur Seite. Die Beliebtheit Chlopicki's war jedoch schon im Sinken, als auf seine in Petersburg angeknüpften Unterhandlungen die Antwort erfolgte, daß P. sich vor allen Dingen wieder unterwerfen und gänzlich entwaffnen solle, für welchen Fall eine Amnestie verheißen wurde. Vergebens suchte er die Annahme derselben zu bewirken und legte dann am 18. Jan. 1831 seine Gewalt nach stürmischen Verhandlungen mit der Reichstagsdeputation nieder.
Das Bekanntwerden der russ. Foderungen machte nur die stille Überzeugung in den Vordergrund treten, daß die Entscheidung auf dem Schlachtfelde unvermeidlich geworden sei und man nahm die von Chlopicki nachlässig betriebenen Rüstungen nun eifriger vor. Patriotische Opfer lieferten zum Theil die Mittel und der neue Oberfeldherr Fürst Michael Radziwill sprach in seinem ersten Tagesbefehle aus, daß P.'s Hoffnungen auf dem Schwerte ruhten, der Reichstag aber erklärte am 25. Jan. das Haus Romanow für ewige Zeiten des poln. Thrones verlustig und setzte am 30 eine Nationalregierung (Fürst A. Czartoryiski als Präsident, V. Niemojowski, T. Morawski, St. Barzykowski und Lelewel) ein, nachdem die Proclamation des Grafen Diebitsch Sabalkanski, welcher die gegen P. zusammengezogene russ. Armee befehligte, den Anstiftern der Revolution Tod und Verbannung, allen Theilnehmern Verlust des Vermögens angedroht und damit von Neuem zum Äußersten gedrängt hatte. Am 5. Febr. rückte ein übermächtiges russ. Heer von 106 Bataillons, 135 Escadrons, 400 Kanonen und 11 Kosackenregimentern in P. ein und stand nach blutigen Kämpfen, in denen sich General Dwernicki (s.d.) bei Stoczek (14. Febr.) und Skrzynecki (s.d.) bei Dobre (17. Febr.) vorzüglich auszeichneten, am 19. in der Nähe von Praga, gegenüber von Warschau. Hier fanden am 19., 20. und 25. Febr. bei Grochow, Wawre und Praga eine Reihe der heldenmüthigsten Kämpfe der neuesten Zeit statt, in denen zwar das kleine Heer der Polen zuletzt genöthigt wurde, sich nach Warschau zurückzuziehen, allein durch welche des mächtigen Feindes Plan gegen diese Hauptstadt gänzlich vereitelt wurde. Bis zum 25. hatte Chlopicki unter Radziwill den Kampf geleitet, mußte aber an diesem Tage, und grade im entscheidenden Augenblick, verwundet das Schlachtfeld verlassen; am 26. aber wurde Skrzynecki zum Oberfeldherrn ernannt. Dieser behauptete sich bis zum 10. Aug., wo er vom Reichstage abgesetzt wurde, ohne selbst auf den wiederholten Befehl der Regierung eine Schlacht mit der russ. Hauptarmee zu wagen, die sogar nach dem Tode des Feldmarschalls Diebitsch (10. Jun.) eine Zeit lang ohne eigentlichen Oberbefehlshaber war, ehe der Feldmarschall Paskewitsch anlangte. Einzelnen russ. Corps brachte Skrzynecki zwar entschiedene Niederlagen bei, dagegen mislang sein Zug im Mai gegen die russ. Garden in den Woiwodschaften Augustowo und Plock und auf dem Rückzuge zwang ihn Diebitsch zu dem Kampfe bei Ostrolenka (26 Mai), welcher für die Polen große Verluste mit sich brachte und ihr Vertrauen zum Oberbefehlshaber sehr verminderte. Ein nach Volhynien unter Dwernicki abgeschicktes Corps fand dort keine Unterstützung und ward von russ. Übermacht nach tapferer Gegenwehr zur Niederlegung der Waffen auf östr. Gebiet genöthigt, daß aber die unter Chlapowski und Gielgud nach Lithauen gesendeten Truppen nichts ausrichteten, lag meist an der Unfähigkeit und niedrigen Gesinnung der Anführer, welche schon im Jul. auf preuß. Gebiet sich zurückzogen und entwaffnet wurden, während der mit ihnen gewesene, tapfere Dembinski (s.d.) seine Truppen ruhmvoll nach Warschau zurückführte.
Skrzynecki hatte im Jul. das russ. Heer unterhalb Warschau ungehindert auf das linke Weichselufer gehen lassen, wo es nun gegen Warschau anrückte, welches mit der größten Anstrengung der gesammten Bevölkerung befestigt wurde. Unthätig und eine günstige Gelegenheit zur Schlacht versäumend, ließ er die Russen herankommen, bis nur die Vertheidigung von Warschau noch übrig blieb. Falsche Hoffnung auf auswärtige Vermittelung mochte ihn zu solchem Zögern bewegen, das endlich seine Absetzung zur Folge hatte, worauf am 10. Aug. der erst am 4. aus Lithauen zurückgekommene Dembinski den Oberbefehl übernahm, welchen General Prondzynski beharrlich ablehnte. Näher und näher schloß der Feind Warschau ein, wo aber die wachsende Gefahr anstatt erhöhte Einigkeit und Hingebung unter den Häuptern und Volke zu veranlassen, vielmehr das unheimliche Treiben selbstsüchtiger Intriguanten und fanatischer Volksverführer am 15. Aug. zu verzweiflungsvoller Empörung steigerte, bei der die Gefängnisse erstürmt und mehre verhaftete Generale, sowie andere als Verräther bezeichnete Personen auf schauderhafte Weise ermordet wurden. Inmitten dieser Greuel erlangte der den vorhergegangenen Umtrieben nicht fremde, längst nach der Obergewalt strebende General Krukowiecki seine Absicht, indem er vom Reichstag mit erweiterten Vollmachten am 17. Aug. zum Präsidenten ernannt wurde. Gleich vom Anfange waren aber seine Maßregeln durchaus schwankend, und mochte er früher andere, wenn auch nicht weniger eigensüchtige Pläne gehegt haben, so dachte er doch jetzt bald nur daran, sich durch Beschleunigung der Unterwerfung P.'s dem russ. Hofe zu verbinden. Das poln. Heer, dessen Oberbefehl er dem hochbejahrten C. Malachowski ertheilte, war bereits am linken Weichselufer auf die Verschanzungen vor Warschau beschränkt, die, von blos 30,000 M. vertheidigt, am 6. und 7. Sept., nachdem eine Auffoderung zur Übergabe abgewiesen worden, mit einem Verluste von 11,000 M. von den Russen erstürmt wurden, deren Oberbefehlshaber selbst eine Verwundung davon trug. Verworrene Unterhandlungen noch während des Kampfes führten endlich, nachdem Krukowiecki am 7. Abends vom Reichstage abgesetzt worden, am 8. zu einer Übereinkunft wegen der Räumung von Warschau, in welcher die Russen die Abführung der Militairsachen, mit Ausnahme von Munition, auf 48 Stunden die ungehemmte Abreise von Personen zum poln. Heere und Sicherheit von Leben und Eigenthum bewilligten. Das poln. Heer und der Reichstag gingen nach Modlin und Plock, wohin auch der General Ramorino, welcher aus Warschau mit 18,000 M. auf das rechte Weichselufer geschickt worden war, um der Stadt Mundvorräthe zu verschaffen und [522] bei dem sich der Fürst Czartoryiski und viele vornehme Familien befanden, berufen wurde, der aber dem Befehle nicht gehorchte, und von den Russen gedrängt, schon am 16. Sept., wie am 25. das Corps des Generals Rozycki, auf östr. Gebiete die Waffen niederlegte. Bei der Hauptarmee hatte General Rybinski den Oberbefehl erhalten und in fruchtlosen Unterhandlungen mit den Russen, in Streitigkeiten zwischen Heer und Reichstag, der nach einigen Tagen den General Uminski an die Spitze der Armee stellen wollte, verging der September; der Regierungspräsident Niemojowski legte sein Amt nieder, viele Offiziere und Soldaten zerstreuten sich und am 5. Oct. ging auch Rybinski mit 15,000 M. und 95 Kanonen auf preuß. Gebiet und legte die Waffen nieder.
Jetzt war P., zu dessen Statthalter der mit dem Titel eines Fürsten von Warschau belohnte Feldmarschall Paskewitsch (s.d.) ernannt wurde, der kais. Strenge völlig Preis gegeben; die Offiziere der über die poln. Grenzen gegangenen Truppen wurden durch kais. Manifeste auf immer verbannt, die Nationalarmee wurde aufgelöst und die ehemaligen poln. Soldaten meist unter die russ. Armee vertheilt; die Universität Warschau ward aufgehoben, ihre Bibliotheken und Sammlungen wurden nach Petersburg gebracht, die Constitution zurückgenommen und ein organisches Statut an deren Stelle gesetzt. Viele Gefangene wurden nach Sibirien transportirt, eine große Anzahl poln. Waisen nach Rußland geschafft und in die Soldatenschulen vertheilt, selbst Diejenigen, welche sich wie Krukowiecki unterworfen hatten, mußten sich dennoch ins Innere von Rußland begeben. Die Güter der übrigen Theilnehmer am Aufstande wurden von der Regierung weggenommen und an russ. Offiziere verschenkt, zur Niederhaltung jeder Bewegung in Warschau aber dort eine starke Citadelle aufgeführt. Zugleich wurden die entschiedensten Maßregeln zur gänzlichen Verdrängung der poln. Nationalität genommen, wie Verbreitung der russ. Sprache und russ. Sitten, die Begünstigung der griech. Kirche und die Anstellung zahlreicher russ. Beamten. Überhaupt sucht man die Polen dahin zu bringen, daß sie nach stattgefundener Einverleibung in Rußland, von der sie jedoch nicht alle Vortheile genießen, eine völlige Verschmelzung selbst wünschen sollen. Indessen geschah Vieles, um den tief gesunkenen Wohlstand P.'s wieder zu heben, allein wie sehr dazu noch weitere Beihülfen nöthig sind, spricht die neueste kais. Bestimmung vom 1. Jun. 1839 aus, durch welche den Bauern, Colonisten und ackerbautreibenden Bürgern alle bis Ende 1838 nicht bezahlte Executionsstrafgelder und sämmtliche ihnen zu irgend einer Zeit gewährte Geldunterstützungen erlassen werden, weil sie durch Eintreibung derselben der Verarmung von Neuem preisgegeben werden würden. Über 5000 Polen haben theils freiwillig, theils als ausgeschlossen von der am 1. Nov. 1831 erlassenen Amnestie gezwungen, ihr Vaterland verlassen und sich meist zunächst nach Frankreich gewendet, überall aber, wohin diese Heimatlosen auf ihrem Wege durch Deutschland kamen, fanden sie die lebhafteste Theilnahme und Unterstützung. Sie repräsentiren in der Idee das poln. Volk, ja können nach einem vom 23. Jan. 1831 erlassenen Gesetze sogar den Reichstag im Auslande durch 33 Mitglieder aufleben lassen. Viele davon haben seitdem Dienste in der franz. Fremdenlegion genommen und in Algier und Spanien, den Tod gefunden. Einige Hundert wurden auch auf preuß. und östr. Schiffen, mit ihrer Zustimmung, nach Nordamerika gebracht. Auch Gelehrte, wie der ausgezeichnete Geschichtschreiber Lelewel, viele Schriftsteller und die berühmtesten der lebenden poln. Dichter, wie Niemcewicz und Mickiewicz (s.d.), um welche sich zahlreiche junge poln. Literaten gesammelt haben, befinden sich unter den Ausgewanderten, welche nun im Auslande die wissenschaftlichen und literarischen Bestrebungen fortsetzen, die seit der Regierung des Königs Stanislaus August mit erneuertem Vorwalten des nationalen Elementes verfolgt wurden, während der Unterdrückung selbst mit Kraft sich entwickelten und deren Mittelpunkt seit 1815 die jetzt ebenfalls aufgehobene und nach Kiew verlegte Universität Wilna mehr noch als Warschau war.
Brockhaus-1911: Polen · Noch ist Polen nicht verloren
DamenConvLex-1834: Maria Kasimire, Königin von Polen · Polen · Barbara Radzivill, Königin v. Polen · Hedwig, Königin von Polen
Meyers-1905: Polen [2] · Polen [3] · Russisch-Polen · Kongreß-Polen · Noch ist Polen nicht verloren · Polen [1]
Pierer-1857: Polen [3] · Wahltag in Polen · Polen [2] · Organisches Statut für Polen · Polen [1]
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