Sprache

[588] Sprache, 1) im weitern Sinne jede Art von Zeichen, durch welche irgend ein Vorgestelltes u. Gedachtes ausgedrückt u. auf eine verständliche Weise Anderen mitgetheilt wird. Zu diesen verschiedenen Formen der Zeichensprache (ital. Cenno) gehört z.B. die Augensprache, welche durch die Art u. die Richtung des Blicks, die Geberdensprache, welche durch gewisse Bewegungen der Glieder, vorzüglich der Hände, die Fingersprache, welche durch gewisse Bewegungen der Finger die eigenen Vorstellungen Anderen mitzutheilen sucht. Diese Arten der Zeichensprache beruhen entweder auf einer natürlichen Symbolik, deren sich vorzugsweise wenig gebildete od. sehr lebhafte Menschen entweder allein od. zur Verdeutlichung u. Verstärkung anderer Arten der Mittheilung bedienen, wie z.B. die Wilden u. die südlichen Völker Europas, namentlich die Italiener (vgl. A. de Ferto, La mimica degli antichi investigata nel gestire Neapolitano, Neapel 1832); od. sie beruhen auf einer conventionell u. willkürlich festgestellten Bedeutung gewisser Zeichen u. setzen dann die Wortsprache voraus, wie z.B. die Fingersprache der Gauner, die Blumensprache, die Bildersprache, welche durch bestimmte Bilder bestimmte Begriffe verbindet. Hierher gehört auch die S. der militärischen u. nautischen Signale u. der Versuch[588] des Franzosen Sudre Töne von Instrumenten als Mittel zur Verständigung mit Andern zu benutzen, eine Art musikalischer S., für welche er sogar Wörterbücher in verschiedenen S-n schrieb u. welche man nach Analogie der Telegraphie Telephonie (fernhin Tönen) genannt hat. 2) Im engern Sinne der Ausdruck u. die Mittheilung innerer geistiger Vorgänge durch articulirte Laute, also die Wortsprache. Diese ist wesentlich ein Eigenthum des Menschen, während die Thiersprache, d.h. die Art u. Weise, durch welche verschiedene Thierarten ihre inneren Zustände u. Begehrungen ausdrücken u. zum Theil auch einander mittheilen, nur aus unarticulirten Lauten besteht, u. die Bemühungen in ihnen bestimmte Wörter nachzuweisen (wie z.B. der Franzose Dupont 11 Worte aus der Tauben-, 11 aus der Hühner-, 33 aus der Hunde-, 14 aus der Katzen- u. 22 aus der Rindersprache entdeckt haben wollte; vgl. Wenzel, Neue Entdeckungen über die Thiersprache, Wien 1895), durchaus vergeblich sind. Wenn jedoch deshalb auch das Sprachvermögen, d.h. die Fähigkeit eine articulirte Wortsprache hervorzubringen u. sich derselben zur Mittheilung zu bedienen, eine den Menschen vor allen Geschöpfen der Erde auszeichnende Eigenschaft ist, so liegt doch in der Berufung auf dieses Vermögen noch keine Erklärung über das Wesen u. den Ursprung der S. Die Wortsprache hat das Eigenthümliche, daß sie nicht nur die Dinge od. eigentlich die Vorstellungen von den Dingen, sondern auch die Verhältnisse u. Beziehungen derselben bezeichnet; sie wird dadurch der Ausdruck nicht nur der sinnlichen Auffassung der uns umgebenden Außenwelt, sondern auch der mannigfaltigen Modificationen des Denkens, Fühlens u. Begehrens u. dadurch zugleich Ausdruck u. Spiegel des gesammten geistigen Lebens u. specifisches Mittel des Verkehrs unter den Menschen. Ihre Entstehung setzt daher ein zwiefaches System von Bedingungen voraus, die physiologischen, welche in der Organisation der Sprachorgane (des Kehlkopfs, der Mundhöhle, des Gaumens, der Zunge, der Zähne, der Lippen, der Nase) liegen, u. die psychischen, zu denen theils die innere Regsamkeit der Vorstellungen u. Begehrungen, theils die Fähigkeit gehört die körperlichen Sprachorgane absichtlich u. willkürlich in Thätigkeit zu setzen. Durch die Mannigfaltigkeit u. verschiedene Stärke der Bewegungen der Sprachorgane u. den verschiedenen Antheil, welchen die Lippen, die Zähne, der Gaumen etc. an der Hervorbringung einzelner bestimmter, von einander abgegrenzter, d.h. articulirter Laute haben, ist eine unermeßliche Mannigfaltigkeit derselben u. ihrer Verbindungen, Abstufungen u. Betonungen möglich, welche in den einzelnen S-n immer nur fragmentarisch benutzt werden, welche aber gleichwohl das sinnlich wahrnehmbare Material darbieten, welches die geistige Thätigkeit zur Wortsprache benutzt u. verarbeitet, u. welches daher die Untersuchungen der Physiologen ebenso wie die der Sprachforscher vielfach auf sich gezogen hat; vgl. W. v. Kempelen, Der Mechanismus der menschlichen S., Wien 1791: Chladni, Über die Hervorbringung der menschlichen Sprachlaute, in Gilberts Annalen der Physik, 1824; Rapp, Versuch einer Physiologie der S., Stuttg. u. Tüb. 1836–41; Heyse, System der Sprachlaute, in Höfer's Zeitschrift für die Wissenschaft der S., Greifsw. 1853, Bd. 4.

Die Untersuchung der Art nun, wie dieser durch die körperlichen Organe dargebotene Apparat zum Mittel des Ausdrucks eines Vorgestellten u. Gedachten wird, fällt zusammen mit der Untersuchung über den Ursprung der S. Man hat in dieser Beziehung früher oft die Ansicht gehabt, entweder daß die S. eine willkürliche Erfindung der Menschen sei, ohne jedoch zu bedenken, daß jede willkürliche Feststellung der Bedeutung der Sprachlaute die Mittheilung durch die S. voraussetzt; od. daß die S. ein unmittelbares Geschenk Gottes an die Menschen u. alle S-n von der des einen ersten Menschenpaares ausgegangen sei, u. da unter dem frühern Einfluß der gelehrten Theologie auf die Sprachwissenschaft die Hebräische S. als die S. Gottes u. der ersten Menschen angenommen wurde, so sahe man von diesem Standpunkt die Hebräische S. als die Ursprache an u. leitete die Verschiedenheit der S-n im Anschluß an die mosaische Erzählung von der Sprachverirrung beim Babylonischen Thurmbau ab (vgl. Süßmilch Beweis, daß der Ursprung der menschlichen S. göttlich sei, Berl. 1766). Beide jetzt allgemein aufgegebenen Meinungen beruhen, abgesehen von allen andern Gründen, welche gegen sie sprechen, auf der unhaltbaren Voraussetzung, daß es erst ein fertiges Vorstellen u. Denken gebe, zu welchem dann die S. entweder in willkürlicher od. in äußerlicher Weise hinzukomme. So vieles jedoch auch rücksichtlich des Ursprungs der S. dunkel u. räthselhaft ist, so hat man doch ein Recht zu der Annahme, daß die Nothwendigkeit ihrer Entstehung in der organisch-psychischen Natur des Menschen ausreichend begründet ist, u. daß ihre Entstehung u. Fortbildung mit der Entstehung u. Ausbildung des Vorstellungskreises in einer fortwährenden Wechselwirkung steht. Die ersten Anfänge des Sprechens müssen in den unwillkürlichen Lauten u. Lautverbindungen gesucht werden, welche durch äußere Wahrnehmungen od. innere Zustände dem Menschen abgelockt od. abgezwungen werden. Dadurch nun, daß der gehörte Laut sich mit der Vorstellung dessen, was ihn veranlaßt hat, im Bewußtsein verknüpft u. vermöge der psychischen Reproduction die erneuerte Anschauung der Sache den Laut, der wiedergehörte Laut das Bild der Sache innerlich wieder hervorruft, wird der Laut zunächst für den Sprechenden selbst ein Zeichen dessen, was ihn veranlaßt hat; er bekommt eine Bedeutung u. diese Bedeutung wird auch Andern verständlich, wenn auch bei ihnen der Laut u. die Vorstellung dessen, was ihn veranlaßt, zu einer geistigen Einheit verschmilzt. Die S. entsteht also mit dem Denken; zugleich wird aber das Vorgestellte u. Gedachte fixirt, indem es durch das Wort bezeichnet wird; die Gestaltung des Vorstellungsinhalts ist auf das innigste verknüpft mit den sprachlichen Zeichen; der Proceß der Sprachbereicherung u. Sprachentwickelung geht dem Proceß der Gedankenbereicherung u. Gedankenentwickelung parallel, u. deshalb ist die S. nicht blos Ausdruck, sondern auch Beförderungsmittel des geistigen Lebens, sowie anderseits eine fertige S. eine Schranke des letztern werden kann, indem sie es in den von ihr vorgezeichneten Bahnen festhält. Besondere Schwierigkeiten macht hierbei die Nachweisung des Ursprungs derjenigen Bestandtheile u. Formen der S., welche nicht Dinge, sondern Verhältnisse u. Beziehungen der Dinge u. Gedanken bezeichnen, wie sie sich in unserer S. durch die Verschiedenheit[589] der Redetheile (Substantivum, Adjectivum, Verbum etc.), sowie durch die Beziehungen der Wörter u. deren Zusammenhang mit den Präpositionen u. Conjunctionen zu erkennen geben. Diese Modificationen des ursprünglichen Sprachstoffs bezeichnen eine Gliederung des Vorstellungskreises, welche sich aus der Auffassung der Außenwelt u. der inneren geistigen Thätigkeit zusammensetzt u. welche in der S. einen Ausdruck sucht, aber bei weitem nicht immer vollständig u. in derselben Art u. Weise findet. Gerade in der Verschiedenheit der Bezeichnungen dieser Verhältnisse verrathen sich die auffallendsten Unterschiede des Sprachbaues, u. obgleich die natürlichen u. nothwendigen Verhältnisse des Vorstellens in jeder S. irgend einen Ausdruck gewinnen müssen, wenn sie überhaupt Mittel der Gedankenbezeichnung u. der Gedankenmittheilung sein soll, so liegen doch in der Art u. Weise, so wie in der größeren od. geringeren Vollständigkeit, Feinheit u. Geschmeidigkeit, mit welcher verschiedene S-n dies thun, sehr charakteristische Unterschiede, auf welche die Sprachforschung die Classification der S-n mitgegründet hat (s. unten). Vgl. Monboddo, Über den Ursprung der S., aus dem Englischen von E. A. Schmidt, 1781; I. G. von Horier, Preisschrift über den Ursprung der S., 2. Ausg. Berl. 1789; Bergier, Eléments primitifs des langues, n. A. von Proudhon 1837 (dabei Proudhons Essai d'une grammaire générale); I. Grimm, Über den Ursprung der S., Berl. 1851, 4. A. 1858; E. Renan, De l'origine du langage, Par. 1848, 2 A. 1858; H. Steinthal, Der Ursprung der S. im Zusammenhange mit den letzten Fragen des Wissens, Berl. 1852, 2. A. 1858; Derselbe, Grammatik, Logik u. Psychologie, ebd. 1855; I. Kelle, Gedanken über den Ursprung der S., in Herrigs Archiv 1856; Lazarus, Geist u. S., in dessen Leben der Seele, ebd. 1857, Bd. 2; K. Hermann, Philosophische Grammatik, Lpz. 1858; Hornay, Ursprung u. Entwickelung der S., Berl. 1858.

Die Entstehung der S., die Zeit der eigentlichen Sprachschöpfung, fällt durchaus in eine vorhistorische Periode, u. die allmälige Umbildung u. Ausbildung derselben hat eine Geschichte, welche bei den höher entwickelten S-n wahrscheinlich ebenso nach Jahrtausenden zählt, wie die geologische Bildung der Erdrinde. Die überaus große Verschiedenheit der S-n bietet somit eine Masse von Thatsachen dar, über deren Eigenthümlichkeit die Einsicht, wie S. überhaupt auf natürlichem Wege habe entstehen können, keinen Aufschluß gibt, u. deshalb liegt allen philosophischen u. psychologischen Erörterungen über die S. die Gefahr nahe sich ins Unbestimmte u. Vage zu verlieren, wenn sie nicht in der genaueren Kenntniß der concreten S-n ihre Beziehungs- u. Haltepunkte suchen. Obgleich daher die Verschiedenheit der S-n, noch ganz abgesehen von dem Inhalte der in ihnen niedergelegten Schriftdenkmale, für die Forschung zum mindesten dasselbe Interesse hat, als die Mannigfaltigkeit der thierischen u. pflanzlichen Organismen, so hat das Sprachstudium u. die Sprachenkunde (Linguistik) doch erst in den letzten 50 Jahren eine feste Grundlage, so wie eine größere Ausbreitung u. Vertiefung gewonnen, sich aber auch in dieser Zeit verhältnißmäßig sehr rasch als vergleichende Sprachenkunde od. Sprachwissenschaft, d.h. als die Wissenschaft von den durch Vergleichung mehrer S-n erkennbaren Gesetzen der Sprachbildung, zu dem Range einer selbständigen Wissenschaft erhoben u. zugleich über den Zusammenhang der verschiedenen Stämme des Menschengeschlechts (Ethnographie u. Urgeschichte) vielfach Licht verbreitet. Die oben erwähnte Ansicht, daß die S. ein unmittelbares Geschenk Gottes an die Menschen u. deshalb die Hebräische S. die Ursprache sei (obwohl es auch nicht an wunderlichen Versuchen gefehlt hat, anderen S-n, wie dem Chinesischen, Griechischen, Lateinischen, wohl auch dem Schwedischen, Holländischen od. Polnischen diese Ehre zuzuwenden), machte lange Zeit die unbefangene Forschung in dieser Beziehung unmöglich. Seitdem jedoch seit dem 16. Jahrh. durch Reisende, wie z.B. durch Pigafetta, dem Gefährten Magellans, Sprachproben von Volksstämmen bekannt wurden, welche sich durchaus mit dem Hebräischen nicht in Verbindung setzen lassen wollten, begann sich der Gesichtskreis zu erweitern; Megiser's Thesaurus polyglottus (1608) enthielt eine, wenn auch ganz planlose Zusammenstellung von Wörtern aus verschiedenen S-n, u. Leibnitz, welchen etymologische Forschungen interessirten, machte auf die Dienste aufmerksam, welche die Missionarien in dieser Beziehung leisten könnten. Zwar kamen phantasiereiche Köpfe, wie Court de Gebelin in seinem Werke Le monde primitif analysé (Par. 1773–84), auf den Versuch, eine Ursprache als gemeinsame Mutter aller S-n nachzuweisen, zurück, ein Versuch, welcher selbst noch viel später, z.B. in Xylander, Das Sprachgeschlecht der Titanen (Frankf. 1837), wiederholt worden ist; dadurch wurden jedoch die Bemühungen für eine reichere empirische Kenntniß der verschiedenen S-n nicht aufgehalten. Neben den Wörtersammlungen fing man an Übersetzungen des Vaterunsers zusammenzustellen, u. die Kaiserin Katharina II. von Rußland veranlaßte eine, die in den europäischen u. einer Anzahl asiatischer S-n vorkommenden Benennungen der Theile des menschlichen Körpers, der Nahrungsmittel, der Thiere, Pflanzen u. anderer naheliegender Gegenstände enthaltende Wörtersammlung, welche P. S. Pallas unter dem Titel Slowar s. Linguarum totius orbis vocabularia comparativa (Petersb. 1787–89, 2 Bde.) herausgab (Auszug daraus von E. G. Arndt, herausgeg. von I. L. Klüber, Frkf. 1827). In Werken, wie Adelungs Mithridates od. Allgemeine Sprachkunde (fortgesetzt von Vater, Berl. 1806, 4 Bde.), den unter dem Titel Tripartitum (Wien 1820) herausgegebenen sprachvergleichenden Tabellen, Klaproths (s.d.) Asia polyglotta (Par. 1823), A. Balbi's Atlas ethnographique (ebd. 1826), Vater's Vergleichungstafeln der Grammatik europäischer u. asiatischer S-n (Halle 1822) etc., wurde allmälig ein reiches Material niedergelegt, welches sich durch die Mittheilungen der Reisenden in den verschiedenen Erdtheilen u. durch die Übersetzungen der Bibel in eine sehr große Zahl von S-n immerfort vermehrte. Die Benutzung dieses Materials für die Untersuchung der innern Geschichte, des Baues u. der Verwandtschaft der S-n, sowie für die Ableitung der darin erkennbaren Gesetze der Sprachbildung ist wesentlich ein Werk deutschen Fleißes u. deutschen Scharfsinns, u. es sind namentlich Wilh. von Humboldt, Franz Bopp u. Jac. Grimm (s.d. a.), von denen jener an der Kawisprache, diese an dem Indogermanischen Sprachstamm u. insbesondere an den Germanischen S-n die Methode für die historische u. vergleichende Sprachforschung gelehrt, eine große [590] Anzahl durchgreifender Gesetze entdeckt u. dem Sprachstudium die Bedeutung einer weitgreifenden u. selbständigen Wissenschaft verschafft haben, an deren Fortbildung jetzt rüstig fortgearbeitet wird Vgl. Vater, Literatur der Grammatiken, Lexika u. Wörtersammlungen aller S-n der Erde, 2. Ausg. von Jülg, Berl. 1847; W. von Humboldt, Über die Kawisprache, ebd. 1836–40, 3 Bde.; Franz Bopp, Vergleichende Grammatik des Sanskrit, Zend, Griech., Latein. etc., ebd. 1833, 5 Abth., 2. Ausg. ebd. 1856 f.; Pott, Etymologische Forschungen, Lemgo 1833–36, 2 Bde., 2. A. 1859 ff., 3 Bde.; A. Schleicher, Compendium der vergleichenden Grammatik des Indogermanischen Sprachstamms, Weim. 1861–62, 2 Bde.; Max Müller, Lectures on the science of language, Lond. 1862 (deutsch von C. Böttger, Lpz. 1863).

Die Gesammtheit der durch Ähnlichkeit des Wortschatzes u. des Sprachbaues unter einander verwandten S-n nennt man einen Sprachstamm u. unterscheidet demnach z.B. den Indogermanischen, Semitischen, Altaischen Sprachstamm etc. Die S., von welcher nachweislich eine andere abstammt, heißt die Sprachmutter od. Stammsprache, die abstammende die Tochtersprache; die, welche unter einander in dem Verhältniß einer gemeinsamen Abstammung von derselben Stammsprache stehen, Schwestersprachen. Die sogen. Romanischen S-n, z.B. das Französische, Italienische, Spanische, sind unter einander Schwestersprachen, im Verhältniß zum Lateinischen als ihrer Sprachmutter aber dessen Töchtersprachen. Sind die Abweichungen zu gering, um für eine wirkliche Verschiedenheit der S. gehalten zu werden, so bezeichnet man sie als Mundarten od. Dialekte, u. diese bilden nicht selten die vermittelnden Glieder zwischen verschiedenen S-n, so z.B. das Plattdeutsche zwischen dem Hochdeutschen u. dem Englischen einer- u. dem Holländischen andererseits; der piemontesische Dialekt zwischen dem Italienischen u. Französischen. In Frankreich nennt man solche Dialekte Patois, namentlich in der Gestalt, wie sie von Landleuten u. in den Provinzen gesprochen werden. S-n, in deren Wortschatz viele fremde Elemente eingedrungen sind, heißen Mischsprachen, so die Neugriechische u. die Negersprache in Amerika u. den Colonien. Doch pflegt man S-n von Culturvölkern nicht so zu nennen, wenn dieselben die fremden Elemente zur völligen Fügung unter die Bildungsgesetze ihrer S. gebracht haben, wie die Engländer die aufgenommenen französischen Wörter. Eine Geheimsprache ist eine solche, welche nur für gewisse Begriffe besondere Bezeichnungen hat, welche blos den Eingeweiheten bekannt sind, übrigens aber die landesüblichen Formen hat, wie selbst die Gaunersprache (s.d.). Rücksichtlich des inneren Baues der S-n hat die neuere Sprachforschung als einen wesentlichen Unterschied den zwischen isolirenden (beisetzenden), agglutinirenden (anfügenden) u. flectirenden (anbildenden) S-n hervorgehoben. Er beruht auf der Verschiedenheit der Art u. Weise, in welcher eine S. alles das bezeichnet, was Beziehungen u. Verhältnisse der Vorstellungen ausdrückt, also auf der verschiedenartigen Beziehung des Formalen zu dem stofflichen Bestandtheile der S. Die isolirenden S-n stellen Stoff- u. Formwörter einfach, gleichsam starr u. unvermittelt neben einander, die agglutinirenden fügen sie an einander, die flectirenden nehmen die Bezeichnung des formalen Elements in das Stoffwort selbst durch eine Veränderung des letzteren auf. Um z.B. die Form der Mehrheit auszudrücken, beugen (flectiren) die letzteren das Wort, z.B. im Deutschen: Baum, Bäume, während die isolirenden diesen Plural durch Baum-Vielheit, die agglutinirenden durch Baum viel ausdrücken. Innerhalb der flectirenden S-n unterscheidet man die synthetischen u. analytischen. Die synthetischen S-n, wie z.B. das Sanskrit, das Griechische u. Lateinische, bezeichnen mit ihren Biegungslauten u. Flexionen die grammatischen Verhältnisse durch wirkliche Wortformen; die analytischen S-n, wie z.B. die Romanischen S-n, lösen diese Wortformen in ihre Bestandtheile auf u. bedienen sich zur Bezeichnung der formalen Verhältnisse der Hülfszeitwörter, der Artikel etc. Zu den flectirenden S-n gehören zwei große Sprachstämme, der Indogermanische u. der Semitische; zu den isolirenden gehören die hinterindischen S-n (Birmanisch u. Siamesisch), das Tibetanische, Chinesische u. die S. der Halbinsel Korea; die agglutinirenden S-n sind die zahlreichsten, zu ihnen gehört der ganze Tatarische Sprachstamm, die S-n der Kaukasischen Völker, die des nordöstlichen Asiens, die des südlichen Vorderindiens (Dekanische S-n), endlich die S-n der Inseln des Indischen Meeres u. Polynesiens (Malaiische S-n). Über die zu den wichtigsten Sprachstämmen gehörigen S-n vgl. Indogermanischer, Malaiischer, Semitischer Sprachstamm etc. Die S-n Afrikas u. die überaus mannigfaltigen S-n der Amerikanischen Stämme sind noch nicht sattsam im Einzelnen durchforscht, doch sind bereits die S-n der Völker Südafrikas vom Äquator bis zur Capcolonie einem Sprachstamme (Congo-Kaffrischer Sprachstamm) zugewiesen worden, dessen Eigenthümlichkeit in einer Art Alliteralismus der einzelnen Satztheile besteht (s.u. Kaffrische Sprache); während die S-n der ureinwohnenden Rothen Race in Amerika ein weitgehender Polysynthetismus in den Formen kennzeichnet (s. Amerikanische Sprachen). Vgl. Kennedy, Researches into the origin and affinity of the principal languages of Asia and Europe, Lond. 1828; A. Steinthal, Charakteristik der hauptsächlichsten Typen des Sprachbaues, 2. Bearbeitung seiner Classification der S-n, Berl. 1862; A. Schleicher, Die S-n Europas in systematischer Übersicht, Bonn 1850.

Eine S., welche das Mittel des gegenwärtigen lebendigen Verkehrs eines Volkes od. Stamms ist, nennt man eine lebende, im Gegensatze zu einer abgestorbenen od. todten, welche nur noch in Schriftdenkmalen vorhanden ist. In so fern eine lebende S. zugleich Product u. Merkmal der Volksthümlichkeit ist, heißt sie Vol ks- od. Nationalsprache; den Gegensatz der Volkssprache od. S. des Volks, d.i. der der großen Masse des Volks zugänglichen u. geläufigen S., bildet bisweilen die Büchersprache od. S. der Gelehrten, d.i. die in der Literatur u. dem gelehrten Verkehre eingeführte. Die S. des Volks umschließt, wenn man die der Ausdrucksweise der niederen Stände oft anklebende Plumpheit u. Rohheit abrechnet, auch die sogenannte Conversations- od. Umgangssprache als die des gebildeten Verkehrs. Gelehrte S. nennt man auch die, deren Kenntniß entweder nur durch gelehrte Studien erworben werden kann, od. welche, wie früher die Lateinische, vorzugsweise als Mittel des Verkehrs unter den Gelehrten[591] benutzt werden. Leid gegenüber steht die Muttersprache, als die S. des gemeinen Lebens, welche jeder Volksangehörige ohne gelehrten Unterricht durch den Gebrauch lernt. Alte u. neue S-n bezeichnen den Unterschied der Zeit, in welcher eine S. im Gebrauche war od. noch ist; vorzugsweise werden alte u. zugleich klassische S-n die Griechische u. Lateinische genannt. Kunstsprache, (Technische S.) nennt man den Inbegriff der Ausdrücke, durch welche die einer Wissenschaft eigenthümilchen Begriffe od. die besonderen Gegenstände, Instrumente, Arbeiten etc. einer bestimmten Kunst bezeichnet werden, s. Terminologie, Terminus technicus.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 16. Altenburg 1863, S. 588-592.
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