Fahrrad

[271] Fahrrad (hierzu Tafel »Fahrräder I u. II«), ein gewöhnlich aus zwei hintereinander laufenden Rädern bestehendes Fahrzeug zur Beförderung von Menschen und kleinen Lasten, das von einem auf demselben sitzenden Menschen durch Treten oder auch mit Zuhilfenahme eines Motors fortbewegt wird. Nach Art und Zahl der Räder unterscheidet man Hochrad und Niederrad, Zweirad (Bicycle) und Dreirad (Tricycle). In der Regel bezeichnet man heute kurzweg mit F. das zweiräderige Niederrad aus zwei gleichhohen Rädern. Jedes F. setzt sich der Hauptsache nach zusammen aus den Rädern, dem Rahmen oder Gestell, dem Getriebe oder Triebwerk[271] und der Lenk- oder Steuervorrichtung. Zur Erleichterung des Ganges laufen die rollenden Teile stets in Kugellagern. Das Gestell ist der großen Widerstandsfähigkeit wegen aus nahtlosen Stahlröhren von kreisrundem und ovalem Querschnitt zusammengesetzt. Die Verbindung der einzelnen Teile untereinander geschieht durch verstärkte Stücke (Muffen) mit Innenlötung. Die Felge besteht bei Bahnrennern meist aus amerikanischem Hickoryholz, bei Luxusrädern bisweilen aus Holz mit Aluminiumeinlage, am besten und häufigsten aus einfachem oder doppeltem endlosen Stahlstreifen von entsprechender Form zur Aufnahme der Gummireifen (Pneumatiks). Die Felge ist mit der Nabe, durch Speichen (meist 36) verbunden, die früher radial verliefen, jetzt aber tangential zur Nabe angeordnet sind, wodurch sie auf Zug beansprucht werden und ein Bruch ausgeschlossen ist. Das Getriebe besteht aus zwei ungleich großen, in einer Vertikalebene liegenden Zahnrädern, über die eine endlose Kette läuft. Das größere Zahnrad sitzt vorn auf der Trittkurbelachse, auf der auch die von den Füßen des Fahrers einer bewegten Pedale befestigt sind; ersteres überträgt die Bewegung mittels Kette auf das kleinere Zahnrad, das auf der Hinterradnabe sitzt, wodurch das Hinterrad in Drehung versetzt und das F. fortbewegt wird. Die Übertragung durch kettenlose Mechanismen ist weiter unten beschrieben. Die Kettenräder sowie die Ketten besitzen nach hier immer noch gebräuchlichen englischen Maßen ganzzöllige oder 1/2-, bez. 5/8zöllige Teilung; die heute wieder zur Vorherrschaft gelangten einfachen Rollenketten sind auf 1/2- oder 5/8zöllige Teilung gearbeitet. Das Material des Fahrrades pflegt (mit Ausnahme des Sattelleders, der Gummireifen, der Korkhandgriffe und bisweilen der Schmutzfänger) ausschließlich aus Stahl zu bestehen; Holz (Hickory für Lenkstange, Felgen und Rahmen, für letztern auch Bambus) wird nur selten verwendet, unterliegt auch leichter Brüchen und Witterungseinflüssen. Das Gesamtgewicht eines guten Tourenrades, das für jedes Terrain und jede Beanspruchung durch einen Fahrer von 75 kg ausreichend stabil ist, beträgt etwa 14–15 kg (Gesetz des Fünftels), für leichte Fahrer auf guten, ebenen Straßen und namentlich für die Rennbahn geht das Gewicht auf 11–12 und selbst auf 9–10 kg herab. Von den frühern Übertreibungen in der Gewichtsersparnis ist man abgekommen; das Corona-Rad Robls, des schnellsten Dauerfahrers der Welt, wiegt z. B. 13 kg.

Fig. 1 (Tafel I) zeigt ein leichtes Tourenrad der Corona-Fahrradwerke in Brandenburg a. H. gebrauchsfertig. Der Rahmen besteht aus dem Steuerkopf, dem untern und obern Rahmenrohr, dem Sattelstützrohr, den obern und untern Hinterradstreben mit ihren Endstücken, der Sattelstützklemme und dem Trittlagergehäuse. In der Sattelstützklemme ruht, festgezogen durch eine Klemmschraube, die Sattelstütze mit dem Sattel. Oben geht das drehbare Gabelrohr durch den Steuerkopf, unten mit den beiden Gabelscheiden verbunden durch den Gabelkopf, während oben in ihm die Lenkstange mit den beiden Handgriffen eingesenkt und befestigt ist. Die Drehung des Gabelrohres und damit die Lenkung des Rades geschieht in einem obern und einem untern Kugellager, über dem obern Lager ist der Laternenhalter durch die Zierdeckmutter befestigt. Durch das Gabelrohr, sonst auch häufig außerhalb des Steuerrohres, geht die Bremsstange (Innenbremse), die durch einen an der Lenkstange rechtsseitig angebrachten Hebel bedient wird. Aus der Achse, dem Nabengehäuse und den beiderseitigen Kugellagern nebst Konterringen setzt sich die Vorderradnabe zusammen, die mit der Felge nach allen Seiten durch (meist 36) Tangentspeichen nebst Nippels verbunden wird. Die an den Enden umgebogenen und verdickten Tangentspeichen werden durch Löcher in den Nabenkränzen gesteckt und mittels Gewinde und Nippels an der Felge gespannt. Durch die Löcher der etwas auseinander gezogenen elastischen Gabelscheide werden die Achsenenden des Vorderrades gesteckt, und dieses wird mit den Achsenmuttern festgehalten. Dieselbe Zusammensetzung wie beim Vorderrad findet am Hinterrad statt. Die Stelle der linken Achsenmutter vertritt dabei der Aufstieg. In das Trittlagergehäuse wird nun das (beim vorliegenden Rade besonders rationell in Kapselform gebaute) Tretkurbellager eingeführt und mittels Klemmschraube befestigt. Rechtsseitig wird das große Kettenrad durch Schrauben mit der Tretkurbel verbunden und diese mit Pedal auf der einen, die linke Kurbel mit Pedal auf der andern Achsenseite befestigt, worauf die Kette über die beiden Zahnräder, von denen das kleinere rechtsseitig auf der Hinterradnabe sitzt, gelegt und durch ein Schräubchen nebst Mutter geschlossen wird. Die Regulierung der Kette erfolgt durch die Kettenspanner.

Der Raddurchmesser des Niederrades ist vorherrschend 71 cm; bei Damenrädern häufig, bei Motorrädern fast stets 65 cm. Aus der Zeit der Allein- und Vorherrschaft des (meist 50–56 zölligen) englischen Hochrades hat sich die Unsitte erhalten, auch beim heutigen Niederrade die Länge des Durchmessers in Zollen auszudrücken (71 cm = 28 Zoll, 65 cm = 26 Zoll). Beim Hochrad war die sogen. Entfaltung, d. h. der bei einer Pedalumdrehung zurückgelegte Weg, gleich dem Radumfang. Beim Niederrad wird das Verhältnis zwischen dem Radumfang und dem bei einer vollen Pedalumdrehung zurückgelegten Wege noch bedeutend vergrößert durch die Übersetzung, d. h. das Verhältnis zwischen den Umdrehungszahlen der Trittachse und des Hinterrades. Bei dem Kettenrad beträgt z. B. der von einem F. mit vorn 20, hinten 8 Zähnen, bei einem Durchmesser von 71 cm, auf eine Pedalumdrehung zurückgelegte Weg in Zentimetern 71 × 20/8 × π = 5,58 m. Der substituierte Durchmesser in englischen Zollen wäre 28 × 20/8 = 70 Zoll, d.h. die Maschine würde in der Zeiteinheit denselben Weg zurücklegen wie ein 70zölliges Hochrad, das es in der Praxis natürlich nicht gab. Die Übersetzung der Kettenlosen ergibt sich, wenn man die Radien der beiden Kegelräder der Achsen mit a und d und diejenigen der Welle mit b und c bezeichnet, für ein 28zölliges Rad aus der Formel 28 × a/b × c/d.

Die mehrsitzigen Niederräder verschwinden allmählich aus dem Gebrauch. Die Drei-, Vier-, Fünf- und Sechssitzer dienten ohnehin (außer auf der Rennbahn als Schrittmachermaschinen) überwiegend zu Reklamezwecken, dagegen war der Zweisitzer oder das Tandem einige Zeit sowohl als Herrenmaschine wie für gemischte Paare (meist saß die Dame vorn) ziemlich beliebt.

Dagegen hat sich das Damenrad (Tafel I, Fig. 2, Corona-Damenrad) dauernd behauptet, wenn auch das Radfahren der Damen (vielfach Modesache) nicht mehr die aufsteigende Linie zeigt, wie in der zweiten Hälfte der 1890er Jahre. Obwohl das Herrenrad leichtern und stabilern Rahmenbau hat, so haben sich[272] doch nur relativ wenige Damen entschließen können, das Hosenkostüm (Bloomers, rational-dress) anzulegen. Der fußfreie, rings geschlossene Rock bedingt aber einen abweichenden Rahmenbau des Damenrades. Das obere horizontale Rohr fällt fort, und das untere wird dafür verdoppelt und entweder einfach oder doppelt geschweift. Das Hinterrad wird zum Schutz gegen das Verfangen der Kleider zu beiden Seiten mit einer Verschnürung und das Ketten- und Zahnradgetriebe mit einem Drahtgeflecht oder (eleganter) mit einem durchsichtigen Zelluloidkasten versehen, der bei kettenlosen Rädern, wo das Getriebe ohnehin verdeckt ist, wegfällt (Fig. 4, kettenloses Gritzner-Damenrad).

An kettenlosen Rädern (Acatène, Chainless, Fig. 3 u. 4 der Tafel I) erfolgt der Antrieb mit Kegelzahnrädern nach dem Vorgange der amerikanischen Columbia und der französischen Acatène Métropole (zu Ende der 1890er Jahre); sie erlangen eine stetig wachsende Verbreitung. Trotz ihres etwas größern Gewichts und etwas starreren Trittes haben sie einige beachtenswerte Vorzüge, hauptsächlich die Unempfindlichkeit des stets geschützt in Fett laufenden Getriebes gegenüber Schmutz, Regen und Staub, dessen äußerst geringe Abnutzung bei schärfster Beanspruchung, da die Zähne außen glashart, innen aber (gegen Bruch) weich sind, und schließlich ein eleganteres Aussehen, das um so leichter zu erhalten ist, da bei ihnen die Reinigung nur wenige Minuten in Anspruch nimmt. Wiewohl als Luxusräder geltend, sind die Kettenlosen doch gerade auch als Strapaziermaschinen vorzüglich geeignet, z. B. als Gepäckdreiräder. Als solche benutzt sie die österreichische Post, als Zweiräder die österreichische Heeresverwaltung. Die Kettenlose hat im übrigen denselben Bau wie die Kettenmaschine bis auf das Getriebe. Dieses besteht aus je zwei im Eingriff stehenden konischen Zahnrädern am Trittlager und an der Hinterradnabe, die durch eine in Kugellagern laufende Welle miteinander verbunden sind. Das auf der Trittachse sitzende Hauptantriebsrad ist entweder auf deren Mitte oder rechtsseitig befestigt, in ersterm Fall erteilt es dem im Eingriff stehenden zweiten Rad und dadurch der Welle eine rechtsseitige, im andern eine linksseitige Drehung, und je nachdem ist von den hintern beiden Zahnrädern das auf der Nabe sitzende vor oder hinter dem zweiten Zahnrade der Welle gelagert. Die bewegliche Welle selbst dreht sich entweder außen um die feste Achse, als welche die rechtsseitige untere Hinterradstrebe dient, oder (und das ist die häufigere und praktischere Form) innerhalb derselben. Fig. 2 der Tafel II zeigt ein bloßgelegtes Getriebe eines Göricke-Rades (Mittelantrieb).

Eine der wichtigsten (um 1899 von England herübergekommene und gegenwärtig dort an fast allen Rädern angebrachte) Neuerungen ist der Freilauf (free wheel, roue libre). Er ermöglicht, während der Fahrt nach Belieben das ganze Getriebe, unabhängig von der Schwungkraft der weiterrollenden Maschine, samt den Pedalen und den darauf ruhenden Füßen in Stillstand zu setzen und ebenso nach Belieben wieder weiterzutreten. Bei Gefällen kann deshalb ein Mitgehen der Füße ganz unterbleiben, bei günstigem Wind in der Ebene genügt es, wenige Teitte zu machen und dann die Maschine ein größeres Stück rollen zu lassen, bis ein paar neue Tritte nötig sind. Diese Befreiung der Beine von dem gewöhnlichen Kreislaufe der Pedale ist eine erhebliche Kraftersparnis und eine bedeutende Annehmlichkeit. Fig. 3 (Tafel II) zeigt einen zur Hälfte bloßgelegten Freilauf der Neckarsulmer Fahrradwerke. Der Zahnkranz des kleinen Kettenrades nimmt bei der normalen Bewegung nach vorn mittels Walzen die Nabe mit; wird das Getriebe angehalten, so werden die Walzen nach hinten, nach dem breitesten Teile ihrer schiefen Ebenen zu, gedrückt, und die Verbindung zwischen Kettenrad und Nabe ist aufgehoben, letztere kann sich also unabhängig vorwärts drehen. Die hinter den Walzen befindlichen Federchen dienen zum Vordrücken der erstern, die sonst in ihren Einbettungen verharren würden. Da bei dem einfachen Freilaufe das Gegentreten, zum Zwecke der Hemmung, ausgeschlossen ist, so verlangen die damit ausgerüsteten Maschinen ganz besonders wirksame Bremsen (s. unten, S. 275). Am häufigsten ist die gleich in Verbindung mit dem Freilauf auftretende Naben-Innenbremse. Bei dieser spielt das Getriebe unter dem Gegentritt nicht leer nach hinten, sondern der kleine Kettenradkranz drückt (bei den Neckarsulmer Werken) durch ein System von schiefen Ebenen eine Stahlscheibe gegen eine zweite, die rechts davon auf der Nabe sitzt, wodurch schon bei leichtem Gegentritt die Maschine auch auf den steilsten Gefällen vollständig gezügelt wird. Bei der Schweinfurter Freilaufnabe von Fichtel u. Sachs wird gleichfalls durch schiefe Ebenen ein Kegel in das als Hohlkegel erweiterte Nabengehäuse nach links hineingepreßt. Die beiden genannten deutschen Fabrikate sind den besten englischen mindestens ebenbürtig.

Während der Freilauf eine Kraftersparnis durch Ausruhen an geeigneten Stellen ohne Fahrtunterbrechung bezweckt, will man durch die während der Fahrt veränderliche Übersetzung nach Belieben mit gleicher Zahl der Pedalumdrehungen in der Zeiteinheit einen größern oder kleinern Weg zurücklegen, je nachdem die große oder die kleine Übersetzung im Eingriff steht. Der bekannteste und im Ausland vielbegehrte Typ ist das Variant free wheel der Neckarsulmer Fahrradwerke, die den Mechanismus in dem den meisten Raum bietenden Trittlager unterbringen, wodurch die Einzelteile in großen und besonders widerstandsfähigen Dimensionen ausgeführt werden können. Durch ein vom Sattel aus leicht zu bedienendes Hebelgestänge wird eine in der Mitte des Trittlagers befindliche achtkantige Klauenkuppelung entweder mit dem direkt auf der Achse sitzenden linksseitigen oder mit dem im Lagergehäuse fest eingeschraubten rechtsseitigen Kuppelungsteil in Eingriff gebracht. Im erstern Fall ist der Antrieb direkt, und die große Übersetzung tritt in Funktion, im zweiten aber wickelt sich innerhalb eines rechtsseitigen Gehäuses vermittelst dreier Planetenrädchen eine sinnreiche Zahnradübersetzung ab, die im Schlußeffekt dem großen Kettenrad eine um etwa 35 Proz. gegenüber der Achsenbewegung reduzierte Drehung erteilt, wodurch bei jeder Pedalumdrehung natürlich auch der Weg um den gleichen Bruchteil verkürzt wird. Die Fig. 1 (Tafel II) ohne das große Kettenrad zeigt die Kuppelung außer Eingriff, also auf Freilauf stehend. Mit dem Variant free wheel wird die Freilaufbremsnabe aufs vorteilhafteste verbunden. Die Wanderer-Fahrradwerke (Chemnitz) verlegen die auswechselbare Übersetzung in die Hinterradnabe und verwenden das gleiche System auch bei kettenlosen Maschinen mit Freilauf und Rücktritt- (jedoch nicht Nabeninnen-) Bremse. Fig. 6 (Tafel II) gibt die Ansicht einer geöffneten Wanderernabe, deren Mechanismus trotz seiner kleinen Dimensionen eine außerordentliche Widerstandskraft besitzt. Als Tourenmaschine hat das doppeltübersetzte Rad einen hohen Wert, weil der Fahrer normalerweise die hohe Übersetzung[273] benutzen und bei Steigungen und starkem Gegenwind die niedrige einschalten, nach Belieben auch den Freilauf funktionieren lassen kann. Nur muß der vielfach auftretende Fehler vermieden werden, die kleine Übersetzung schneller treten zu wollen als vorher die große, sonst bringt man sich selbst um die Wohltat dieses Systems.

Die Schwierigkeit, welche Steigungen und Gegenwind auch bei den vollendetsten durch Menschenkraft betriebenen Fahrrädern bereiten, haben die Konstruktion von (Benzin-) Motorrädern zur Folge gehabt. Abgesehen von Daimlers erstem zweiräderigen Fahrzeug (das als Ausgangspunkt des heutigen Automobilwagens anzusehen ist; 1883) ist das Hildebrand u. Wolfmüllersche Motorzweirad (um 1894) als das erste dieser Gattung zu betrachten. Die ersten brauchbaren Maschinen kamen jedoch gegen Ende der 1890er Jahre aus Frankreich, namentlich das Motordreirad von de Dion u. Bouton, Puteaux-Paris, und das am Vorderrad angetriebene Motorzweirad von Werner Frères, Paris. Ersteres ist zurzeit fast völlig aus dem Gebrauch gekommen, das Motorzweirad dagegen steht im Beginn eines großen Aufschwunges, und fast alle größern Fahrradfabriken widmen sich seinem Bau. Es ist ein der Raumbeanspruchung der Maschinerie, der großen Schnelligkeit und dem größern Gewicht Rechnung tragendes besonders stark gebautes Zweirad, dessen Motor von den meisten Fabrikanten vertikal vor dem Trittlager eingebaut wird, während darüber der Behälter für Benzin, Zylinderöl und Batterie (Trockenelemente oder Akkumulatoren) nebst Funkeninduktor angebracht ist. Zahlreiche Fabriken verwenden auch die Zündung durch magnetelektrischen Apparat, der dann in nächster Nähe des Motors montiert wird. Dieser besteht aus einem gußeisernen Zylinder, der luftdicht nach oben durch einen Deckel, nach unten durch ein Schwungrad-, bez. Kurbelgehäuse abgeschlossen ist, und in dessen Innerm ein Kolben die Kraft der Explosionen aufnimmt und mittels Bleuelstange auf die Motorachse fortpflanzt. Diese überträgt die Bewegung durch einen flachen oder keilförmigen oder gedrehten Riemen auf eine an den Speichen oder an der Felge des Hinterrades befestigte Riemenfelge und setzt so die ganze Maschine in Gang, bei der das übliche Zweiradgetriebe nur zum Antreten und allenfalls zur Unterstützung des Motors auf steilen Steigungen dient. Statt der Riemenübertragung findet neuerdings auch die Übertragung durch Kette (Humber, Bruneau), durch Stirnräder (Knaap) oder Gelenkwellen, sogen. Cardans, mit Kugelrädern vielfache Anwendung.

Die Kraft des Motors ist abhängig von dem Druck infolge der Explosion, dem innern Zylinderdurchmesser und dem Kolbenwege. Ein Motor von 66 mm Durchmesser und 70 mm Hub entwickelt z. B. bei dem üblichen Druck und voller Tourenzahl von 2000 in der Minute etwa 13/4 Pferdestärke (power, Pferdekraft), ein solcher von 70 mm Bohrung und 75 mm Hub etwa 21/4 Pferdestärken etc. Das in unsrer Abbildung (Tafel II, Fig. 8) enthaltene Neckarsulmer Motorrad entwickelt 23/4 Pferdestärken und ist imstande, auch die längsten Alpenpässe zu überschreiten, während es in der Ebene 60 km und mehr zu entfalten vermag. Für touristische und Verkehrszwecke genügt jedoch eine Maschine von 13/4 Pferdestärke vollauf, da man damit eine Geschwindigkeit von 40 km erreichen und Steigungen von 10 Proz. ohne Pedalhilfe nehmen kann. Die Kühlung dieser kleinen Motoren erfolgt, im Gegensatz zu den stationären und den Wagenmotoren, fast immer durch den Luftstrom, dem mittels eines Systems von Kühlrippen eine möglichst große Oberfläche geboten wird, selten wird teilweise Wasserkühlung am Zylinderdeckel über der Explosionskammer, noch seltener ganze Wasserkühlung angewendet und dann nur bei schweren (Transport-) Rädern mit geringer Geschwindigkeit. Bisweilen wird die Luftkühlung durch einen Ventilator verstärkt. Einzelne Werke (Cyklon, Progreß) lagern den Motor auch oberhalb des Vorderrades, und dieser Typ scheint geeignet namentlich für Damenräder, wo der offene Rahmen keinen Platz für den Antriebsapparat läßt, und wo doch nur kleine Motoren und geringere Geschwindigkeiten in Frage kommen. Die renommiertesten deutschen Zweiradmotoren werden von der Aachener Stahlwarenfabrik (Fafnir-Motor) und von den Neckarsulmer Fahrradwerken (Tafel II, Fig. 8) gebaut und sind den besten ausländischen ebenbürtig. In Frankreich genießt der Dion-Motor, in Belgien der Minerva- und der F. N.- Motor (Fabrique Nationale d'Armes de Guerre, Herstal-Lüttich), in der Schweiz der Zürich-Lüthi-(Zedel-) Motor den besten Ruf. Die Zuverlässigkeit und Schnelligkeit dieser Maschinen hat sich unter anderm bei der infolge der zahlreichen Unglücksfälle schon in Bordeaux abgebrochenen Fernfahrt Paris-Madrid 1903 gezeigt, wo das siegende dreipferdige Werner-Rad die 570 km in 8 Std. 55 Min. zurücklegte. In ebenem oder leicht hügeligem Terrain kann ein starkes Motorrad auch ein leichtes Anhänge- oder Vorspannwägelchen mit einer Person noch gut mitnehmen, wie sie von Mathesius u. Komp. in Gautsch-Leipzig gebaut werden.

Während das Zweirad in seinen mannigfachen Konstruktionen sich die Welt erobert hat, ist das Dreirad als Sport- und Tourenmaschine fast vollständig verschwunden, spielt dagegen als Transportvehikel in großen Städten eine große Rolle. Auch als Invalidenfahrzeug (Spezialität von Louis Krause, Leipzig-Gohlis) für Personen, die des Gebrauchs eines oder beider Füße beraubt sind, hat das Dreirad eine entsprechend beschränkte Verbreitung. Konstruktiv lehnt es sich völlig an das Zweirad an, eigentümlich ist ihm, wenigstens bei den besten Exemplaren, die geteilte lange Hinterachse, deren beide Stücke in einem Zahnradgetriebe, dem sogen. Differentialwerk, zusammentreffen, das ihnen beiden und damit den Hinterrädern nötigenfalls verschiedene Geschwindigkeiten gestattet, so daß jede Kurve sicher befahren werden kann. Wo die Hinterachse nicht zugleich Antriebsachse ist, also bei den Dreirädern, die ein Räderpaar vorn haben und hinten wie ein Zweirad angetrieben werden, fällt das Differentialwerk natürlich weg, da die Vorderräder alsdann, um ihre Achse drehbar, nicht mit ihr gekuppelt sind.

Als Bereifung hat der Pneumatik (Preßluftreifen) seine Vorgänger, den Vollgummireifen und den Kissenreifen sowie die spätern Wespennest- und andre antipneumatische Systeme, völlig verdrängt. Man unterscheidet das Einkammersystem mit dem amerikanischen Schlauchreifen, der zugleich als Luftbehälter und Laufgummi dient und in die Holzfelge eingekittet ist, sehr leicht im Gewicht, aber schwer zu reparieren und nur für die Rennbahn geeignet, und das Zweikammersystem, bei dem ein in sich geschlossener innerer Schlauch, die eigentliche Luftkammer, und ein zu dessen Einkleidung und Schutz dienender Mantel zu unterscheiden ist (Tafel II, Fig. 5). Letzterer hat an beiden Seiten Wülste, die sich bei luftleerem Zustand des Reisens leicht unter den Vorsprüngen[274] (Ohren) der Felge hervorziehen lassen, bei vollem Reisen jedoch hineinpressen und eine automatische Befestigung bilden. Der Mantel hat innen eine mehrfache, wenig nachgiebige Gewebeschicht, um der Ausdehnung des Schlauches Schranken zu setzen, außen eine Gummischicht, die in der Lauffläche zum Schutze gegen spitze Fremdkörper bedeutend verstärkt ist. Diese äußere Gummilage besitzt zum Schutze gegen das Ausgleiten meist Längsriefen verschiedener Form. Die Füllung des Schlauches geschieht mittels Luftpumpe durch ein Ventil, das sich nach jedem Pumpenstoß automatisch wieder abdichtet. Die bekanntesten Ventile sind das Dunlopventil (Tafel II, Fig. 4 a u. b) und das Rückschlag- oder Gloriaventil. Die Verletzungen, die ein Entweichen der Luft zur Folge haben, sind meist so geringfügig, daß sie schnell durch Aufkleben eines Stückchens Gummi auf die betreffende Stelle des abgenommenen oder auch nur teilweise herausgezogenen Schlauches geheilt werden; auch treten sie verhältnismäßig so selten ein, daß sie gegen die sonstigen Annehmlichkeiten des Luftreifens nicht in Betracht kommen. Zur Auffindung unbekannter verletzter Schlauchstellen dient die Wasserprobe. Der Pneumatik ist in seinem Gesamtdurchmesser an Tourenmaschinen meist 11/2-15/8, für schwerere Fahrer 13/4 Zoll, an Motorrädern 2 Zoll stark, wobei die Materialstärke mit den steigenden Dimensionen mehr als verhältnismäßig zunimmt. Bei dem Dunlopsystem geschieht die Befestigung in der Felge statt durch Gummiwülste durch Drahteinlagen.

Von Zubehörteilen, die teils durch die eigne Sicherheit des Fahrers, teils durch allgemeine polizeiliche Vorschriften erfordert werden, ist der wichtigste die Bremse. Verwerflich ist die sogen. Polizeibremse, ein federnder Stahlstreifen, der in der Nähe des Vorder- oder Hinterrades befestigt ist und durch einen vom Pedal entfernten Fuß betätigt wird. Für gewöhnliche Fälle genügt die verbreitete Handhebelbremse, die meist auf den Vorderreifen, seltener auf die Vorderfelge selbst wirkt. Am besten sind die Naneninnenbremsen (s. vorn bei Freilauf) und die Hinterradfelgenbremsen, unter denen das Carloni-, das Terrot- und das Bowdensystem besonders genannt seien. Von Laternen hat die Acetylenlampe durch ihre Lichtfülle immer mehr Verbreitung gefunden, und die heutigen besten Systeme funktionieren ebenso ökonomisch und zuverlässiger (namentlich stoßsicherer) als die Öl-, Petroleum- und Kerzenlaternen. Die einfachste und zuverlässigste Konstruktion ist diejenige mit Schlauchleitung, wie sie 1896 zuerst von den Oberrheinischen Metallwerken in Mannheim (Schmitt-Laterne, Tafel II, Fig. 7) eingeführt worden ist. Sie besitzt überdies einen leicht stellbaren und auswechselbaren Brenner und durchgehende Reinigungsnadel gegen Verstopfung der Tropfröhre. Von sonstigen Zubehörteilen seien genannt: Kotschützer (am besten aus Blech, sonst auch aus Holz oder Stoff), Glocke (im starken Verkehr als Läuferglocke empfehlenswert), Fußhalter gegen das Gleiten der Füße vom Pedal (zum Schutze der Schuhe mit Leder zu umwickeln) und Gepäckträger (am vorteilhaftesten als rechtwinkliges Drahtgestell am Steuerkopf über dem Vorderrad zu befestigen). Die beste Emaillierung ist die schwarze, während die farbigen mindere Hitzegrade im Trockenofen vertragen und darum leicht abspringen.

Hygienisches, Geschichte.

Nach dem englischen Arzt Herschell ist rationelles Radfahren eine Form von Vergnügen, die wohl am meisten zur Förderung der Gesundheit beiträgt, in unmäßiger Weise oder unter ungünstigen Bedingungen betrieben, ist es eins der gefährlichsten. Zu gedeihlichem Radfahren ist eine rationell gebaute Maschine unerläßliche Vorbedingung. Der Sattel darf keine Druckbeschwerden verursachen, die in extremen Fällen eine Entzündung der Vorsteherdrüse (Prostatitis) oder der hintern Harnröhre zur Folge haben können, die Lenkstange darf nicht so tief sein, daß Atmung, Blutkreislauf und Verdauung beeinträchtigt werden, sondern muß einen leicht geneigten, fast aufrechten Sitz gestatten. Handgriffe und Sattel sollen in horizontaler Ebene liegen, Ferner darf die Übersetzung nicht zu groß sein. Über 77 Zoll (6 m Entfaltung) im Flachland und 65 Zoll (5 m Entfaltung) in gebirgigen Gegenden sollte man nicht hinausgehen, für Damenräder können diese Grenzen um 20 Proz. herabgesetzt werden. Durchaus empfehlenswert ist der Freilauf, jedoch nur in Verbindung mit der Nabeninnenbremse oder einer kräftigen Felgenbremse. Auch die Systeme mit Doppelübersetzung und Freilauf haben sich glänzend bewährt, sowohl an Kettenmaschinen als an Kettenlosen, weil sie in hohem Maß eine rationelle Krafteinteilung begünstigen. Rationelles Fahren befördert, als automatische Bauchmassage, die Darmperistaltik und damit die Verdauung; durch die erhöhte Sauerstoffzufuhr wird der gesamte Stoffwechsel günstig beeinflußt; die Nerven erfahren eine wohltuende Ablenkung durch den schnell wechselnden Reiz der landschaftlichen Szenerie. Deshalb haben auch Gehirnarbeiter dem F. enthusiastische Neigung bekundet. Aber kein andrer Sport zeigt auch so leicht in hygienischer Hinsicht die schädliche Kehrseite wie das Radfahren, denn bei ihm stellt sich eigentümlicherweise das Gefühl der Ermüdung, ja der völligen Erschöpfung, erst dann ein, wenn die innern Organe schon an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit angelangt sind. Am schnellsten tritt eine Überlastung des Herzens ein, namentlich bei den forcierten Bergfahrten oder bei anhaltender Fahrt gegen den Wind; der Puls steigt dann rasch auf 150 Schläge, es sind aber auch 200 und 250 Schläge in der Minute beobachtet worden. Die Folge einer solchen, rechtzeitig fast nie zum Bewußtsein kommenden Überanstrengung kann sofortiger Tod durch Herzlähmung oder durch Zerreißung des Herzens oder einer Arterie sein (namentlich bei vorhandener Sklerose, also meist in reifern Jahren)., Solche Fälle sind natürlich selten, aber die häufige Überanstrengung hat oft auch beim gesunden Herzen Hypertrophie, Klappenfehler und andre Herzkrankheiten zur Folge, wie z. B. viele der besten Rennfahrer wegen Herzschwäche vom Militärdienst befreit wurden. Ebenso kann ein dem Fahrer vielleicht gar nicht bekannter Fehler an der Lunge bei Überanstrengung die Ursache eines Blutsturzes werden. Bei Emphysem verbietet sich das Radfahren durch die Atemnot wohl von selbst, es wird dagegen empfohlen bei Schwindsucht im Anfangsstadium, natürlich mäßig und in staubfreier Luft. Auch bei Erkrankungen der Niere wäre das Radfahren verderblich, weil es die Produktion von Harnsäure begünstigt. Starke Anstrengungen haben schon bei gesunder Niere Eiweißharnen zur Folge, das allerdings im Ruhezustand schnell nachläßt. Bei Neurasthenie leistet das Radfahren gute Dienste, wenn es nicht gerade im Gewühl der schlüpfrigen Großstadtstraßen gepflegt wird; hier wäre die Wirkung nur eine schädliche. Für Leute mit Leisten-, Schenkel- und Nabelbruch hält Fressel das Radfahren für erlaubt, sofern sie Bruchband tragen[275] und jede Anstrengung vermeiden. Jedenfalls tut der Sportlustige gut, zuvor sich von seinem Arzt genau untersuchen zu lassen; das gilt namentlich auch für Kinder und für die reifere Jugend, die durch die naive Freude an der Schnelligkeit und am Wettstreit mit Kameraden am leichtesten zu Exzessen verführt wird. Als außerordentlich gesundheitsschädlich ist das Treten der schweren und schwerbepackten Transportdreiräder, noch dazu meist durch junge, unreife Leute, zu bezeichnen, und ärztliche Fachkenner haben deshalb, wenn nicht ein Verbot, so doch eine sanitätspolizeiliche Überwachung gefordert. Das immer mehr vordringende Motorfahrzeug wird auch hier Wandel schaffen helfen. Für die Ernährung des Radfahrers sind vielfach spezielle Vorschriften gemacht worden; das beste ist jedoch, auch auf größern Radtouren von der gewohnten Lebensweise nicht allzusehr abzuweichen. Schwer verdauliche Speisen sind zu meiden, ebenso reichlicher Alkoholgenuß, als Anregungsmittel bei leichter Ermüdung dient am besten Bouillon, und es ist Mitnahme von Fleischextrakt zu empfehlen, am bequemsten in Kapselform, in der es sich auch für Hochtouristen bewährt hat. Bei starker Ermüdung oder gar Erschöpfung ist dagegen jedes künstliche Erregungsmittel zu unterlassen und einzig Ruhe geboten; namentlich in der Mittagshitze nach dem Essen sollte eine mehrstündige Siesta gehalten werden. Die Kleidung (auch bei Damen) darf keinen beengenden Druck ausüben, sie muß durchlässig sein, zugleich aber auch eine zu rasche Wärmeabgabe verhindern. Beim Motorradfahren, wo die Eigenbewegung fehlt, während das Tempo doppelt so schnell ist, muß die Kleidung auch in Sommertagen warm und gut schließend sein, am besten aus Leder, während die Augen gegen Wind und Fremdkörper durch eine Brille zu schützen sind. Für Tempo und Tagesleistung, die beim Motorrad wesentlich von der Kraft der Maschine abhängen, lassen sich beim gewöhnlichen F. auch vom hygienischen Standpunkt aus nur schwer Normen angeben, weil subjektives Können, Übung, Terrain, Windrichtung und Übersetzung die kompliziertesten Voraussetzungen schaffen. Erste Autoritäten empfehlen 12–15 km in der Stunde, was ungefähr dem Kraftverbrauch eines normal ausschreitenden Fußgängers entspricht, 80–100 km als Tagesleistung werden auch auf mehrwöchigen Touren in günstigem Terrain von einem gefunden Menschen ohne Schaden gemacht, in einzelnen Fällen auch 120–150 km; darüber sollte man nicht gehen.

Diese Zahlen werden natürlich durch sportliche Leistungen der Berufsfahrer weit in den Schatten gestellt, namentlich auf Rennbahnen. Diese sind ellipsenähnlich geformt, mit zwei Langseiten und zwei am äußersten Rande 4–5 m hohen Kurven (zur Kompensation der Zentrifugalkraft), mit Zementbelag versehen und 400 (Breslau), 500 (Friedenau, Leipzig) und selbst 666 m (Pariser Prinzenparkbahn) lang, bei einer Breite von 6–12 m. Auf diesen Bahnen kämpfen über kurze Strecken, in »Fliegerrennen«, die Fahrer ohne Führung, und der Sieg wird meist erst durch einen kurzen, erbitterten Endkampf (Endspurt, Finish) von 100–200 m entschieden. Dagegen fahren die »Steher« hinter sehr starken, 10–14pferdigen ein- oder doppelsitzigen, mit Windfang versehenen Motorzweirädern, von Anfang in schärfster Gangart los, und es sind auf diese Weise in der Stunde schon 87,39 km gefahren worden. Ohne diese Führung der Schrittmacher würden die Fahrer wenig mehr als die Hälfte dieser enormen Schnelligkeit erreichen. In 24 Stunden wurden vor einigen Jahren 1020,977 km gefahren, doch sind diese langen Rennen jetzt überlebt, nachdem bis vor wenigen Jahren noch in Amerika und z. T. in Frankreich der Unfug der drei- und selbst sechstägigen Rennen grassiert hatte. Straßenrennen sind z. T. nur noch in Frankreich an der Tagesordnung (Paris-Rouen, Paris-Roubaix und namentlich das klassische Bordeaux-Paris, seit 1891); in Deutschland hatte die Fernfahrt Wien-Berlin 1893 (580 km in ca. 31 Stunden) hervorragend zur Ausbreitung des Radfahrens beigetragen, weil sie zuerst weite Kreise von der Leistungsfähigkeit des Zweirades und namentlich des Pneumatiks überzeugte; es folgten Mailand-München 1894 und Basel-Kleve 1895; seitdem ist das Interesse an Straßendauerfahrten ziemlich erloschen, ebenso wie in Großbritannien an der klassischen Fernfahrt Land's End-John o Groats. Auf der Strecke Bordeaux-Paris wurde die beste Zeit 1899 erzielt (591 km in 16 St. 35 Min. 47 Sek.) infolge der Führung durch Automobilwagen; ohne diese, mit Führung durch mehrsitzige Fahrräder, wurden durchschnittlich etwa 21 Stunden gebraucht.

Als Sportmaschine hat das F. in den letzten Jahren ganz bedeutend an Verbreitung eingebüßt. Nicht nur daß die launische Mode es wieder fallen gelassen hat, auch die Sportbegeisterung seiner Jünger in den 1880er und 1890er Jahren ist erheblich abgeflaut. Die Pioniere von damals sind älter und bequemer geworden, und sie bevorzugen, soweit sie den Fahrsport überhaupt fortsetzen, den Motorwagen oder das billigere Motorrad, das zurzeit nicht mehr kostet wie ein englisches Hochrad von 1884 oder ein Pneumatik-Niederrad von 1891, und wem F. einen sehr großen Teil seines Besitzstandes völlig rauben wird. Sportleute, Touristen, Landärzte, Reisende etc. bedienen sich seiner in rasch steigender Zahl, und das einfache F. kann sich in diesen Kreisen nur durch seine Billigkeit noch leidlich behaupten. Dagegen ist es in ausgedehntestem Maße, durch die billige Massenfabrikation, die riesige Konkurrenz und das enorme Angebot gebrauchter Maschinen, Gemeingut der minder bemittelten Bevölkerung geworden, und es gibt kaum einen Berufszweig, der es sich nicht dienstbar gemacht hätte. Hierdurch ist es auch ein wichtiger sozialpolitischer Faktor geworden, weil es, von der Hygiene des unmittelbaren Gebrauchs abgesehen, dem Arbeiter, Handwerker etc. ermöglicht, entfernte Arbeitsgelegenheiten wahrzunehmen, gesünder und billiger zu wohnen und so Zeit und Geld zu sparen. Deshalb sind auch alle Einschränkungen und Verbote, die um einzelner wilder Fahrer willen erlassen werden, als kurzsichtige Sozialpolitik zu bedauern. Wie im Dienste des einzelnen, so hat sich auch das F. im Dienste der Behörde seit Jahren bewährt. Namentlich die Post- und Telegraphenboten in den Großstädten sind zum großen Teil mit Rädern ausgerüstet, und es wäre zu wünschen, daß auch die Landbriefträger allgemein damit versehen würden. Die Feuerwehr benutzt vielfach das schnelle und behende Vehikel, um es dem Löschzug vorauszusenden. Wie in allen Ländern, so hat auch im Deutschen Reiche die Heeresverwaltung, namentlich unter dem Einfluß der Distanzfahrt Wien-Berlin 1893, dem F. ein weitgehendes praktisches Interesse entgegengebracht, das sich neuerdings auch auf die Motorräder erstreckt (s. Militärfahrrad).

Entsprechend dem mehr wirtschaftlichen als sportlischen Zwecke des heutigen Fahrrades suchen auch die Radfahrerverbände ihren Mitgliedern möglichst[276] viele wirtschaftliche Vorteile zu verschaffen, wie kostenlose Haftpflichtversicherung, Ausstellung von Grenzkarten zum zollfreien Eintritt in Nachbarländer, freie Zustellung von Fachzeitungen, kostenlosen Rechtsschutz in Fällen von prinzipieller Wichtigkeit, ermäßigte Preise für Landkarten und Schriften sowie für Unfallversicherungen, Beisteuer für Radfahrerwege etc. Die Aufwendungen für sportliche Leistungen von Mita liedern (Ehrenpreise und Medaillen für Rennen, Preistouren etc.) treten dafür in den Hintergrund oder fallen ganz fort. Die bedeutendsten Verbände sind: 1) Deutscher Radfahrerbund mit etwa 40,000 Mitgliedern (Geschäftsstelle in Essen a. R.), dessen Hauptverbreitungsgebiet Nord- und Mitteldeutschland ist; 2) Allgemeine Radfahrerunion (Sitz in Straßburg i. E.), vorwiegend in Süddeutschland, 17,000 Mitglieder; 3) Deutscher Touring Club München, 3000 Mitglieder; 4) Sächsischer Radfahrerbund, 1300 Mitglieder. Eine Anzahl von meist kleinern Verbänden und Vereinen, darunter auch der 9000 Mitglieder starke Arbeiter-Radfahrverband »Solidarität«, bilden das Kartell deutscher und österreichischer Rad- und Motorfahrerverbände. Die wiederholt (1898 und 1903) zutage getretenen Bestrebungen, eine Verschmelzung der größern Verbände, namentlich von Bund und Union, deren Ziele jetzt dieselben sind, seit der Bund sich vom Rennwesen zurückgezogen hat, herbeizuführen, was dem Ansehen des Radfahrens und dem Einfluß bei Behörden, Presse und Publikum nur förderlich sein würde, sind leider seit dem November 1903 als endgültig gescheitert zu betrachten.

Die Geschichte des Fahrrades knüpft gewöhnlich an die mechanisch betriebenen vierräderigen Wagen des Nürnberger Zirkelschmiedes Johann Hautsch und des um die gleiche Zeit in Alsdorf bei Nürnberg lebenden Uhrmachers Stephan Farfler (beide um die Mitte des 17. Jahrh.) an; richtiger scheint es jedoch, die Geschichte des Zweirades an die ersten zweiräderigen Laufmaschinen anzuknüpfen. Die ersten derartigen Maschinen (aus der Mitte des 18. Jahrh. von unbekannten Erfindern stammend und im Germanischen Museum zu Nürnberg aufbewahrt) haben jedenfalls dem als Vater der Radelei geltenden badischen Oberforstmeister v. Drais von Sauerbronn zum Modell gedient. Sein 1817 in Mannheim zuerst vorgeführtes Laufrad geriet in Vergessenheit, bis Michaux es mit Pedalen versah und auf der Pariser Weltausstellung von 1867 vorführte. Der von Michaux 1855 angebrachte Pedalantrieb soll freilich schon vorher von dem Schweinfurter Fischer erfunden worden sein, so daß Deutschland in jeder Hinsicht den Ruhm der Priorität hätte. Die wenig komfortabeln und deshalb boneshaker (»Knochenschüttler«) genannten Michauxschen Fahrzeuge vermochten jedoch keine Anhänger zu gewinnen, und der Krieg von 1870/71 brachte die Erfinderlust in beiden Ländern zum Stillstand. Dafür trat England in den Wettkampf und riß für die nächsten anderthalb Jahrzehnte das faktische Monopol des Fahrradbaues an sich; dort entstanden die Stahlspeichen, Kugellager, Vollgummireifen etc., kurz die Typen des Hochrades und des Dreirades. Die Gefährlichkeit des erstern hatte die Erfindung der »Sicherheitsfahrräder« zur Folge, erst des Cangaroo, Star, Extraordinary, Facile etc., die sich nicht bewährten, und weiterhin 1884 des Rovers durch Starley u. Sutton in Coventry, der dem Rade zur Weltherrschaft verhalf, besonders als die Erfindung der Luftreifen durch den schottischen Tierarzt Dunloo 1885 auch die an den kleinen Rädern sehr störend empfundenen Erschütterungen auf ein Minimum beschränkte. Als weitere Verbesserungen des Niederrades sind die Konstruktionen des Freilaufs, der veränderlichen Übersetzung und der Kettenlosen zu betrachten.

Vgl. Schiefferdecker, Das Radfahren und seine Hygiene (Stuttg. 1900); Koehlich, Handbuch des gesamten Radfahrwesens (in »Meyers Volksbüchern«, Leipz. 1901); Smutny, Anleitung zur Behandlung des Fahrrades (2. Aufl., Graz 1897); Vogel, Das Motorzweirad und seine Behandlung (Berl. 1902); Bertz, Philosophie des Fahrrades (Dresd. 1900); Schiefferdecker, Indikationen und Kontraindikationen des Radfahrens (Leipz. 1901); Karten von Mittelbach (Leipz.), Liebenow-Ravenstein (Frankf. a. M.), Thomas, Krauß (Leipz.); Zeitschriften: »Rad-Welt« (Berlin; namentlich Rennwesen), »Deutsche Radfahrer-Zeitung« (Essen a. R.; amtliches Organ des Deutschen Radfahrerbundes), »Radtourist und Automobilist« (amtliches Organ der Allgemeinen Radfahrerunion), »Ostdeutsche Radfahrer-Zeitung« (Breslau), »Radmarkt« (Bielefeld), »Automobilwelt« (Berlin), »Das Motorrad« (Breslau).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 271-277.
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