Konsul [2]

[432] Konsul (lat.), der von einem Staate zur Wahrung der Interessen seiner Angehörigen und seines Handels insbes. in einem fremden Lande und an einem fremden Handelsplatz bestellte Beamte. Der K. und die Behörde, die er repräsentiert (das Konsulat), haben vorwiegend, aber nicht ausschließlich handelspolitischen Charakter. Von den Gesandten unterscheiden[432] sich die Konsuln durch ihre mehr beamtliche als diplomatische Stellung und namentlich dadurch, daß der Gesandte der auswärtigen Staatsregierung gegenüber mehr die politischen Interessen seines Staates, der K. mehr die Handelsinteressen seines Staates und der Angehörigen desselben im Ausland wahrzunehmen hat. Das Konsulatswesen entwickelte sich zuerst namentlich in den Mittelmeergebieten und zwar dadurch, daß dort die Vorsteher von Handelsfaktoreien von ihren Landsleuten zur Schlichtung von Streitigkeiten und zur Wahrung sonstiger Interessen vielfach in Anspruch genommen wurden. Man bestellte sodann in der Folgezeit derartige Vertreter der Handelsinteressen von Staatsangehörigen im Auslande von Staats wegen, und regelmäßig wurden hiermit Kaufleute betraut. Erst im 19. Jahrh. ist man nach dem Vorgang Frankreichs dazu übergegangen, berufsmäßige Vertreter der Handelsinteressen (Berufskonsuln) anzustellen. Das deutsche Konsulatswesen blieb dabei hinter England, Frankreich und Nordamerika erheblich zurück. Die Zersplitterung Deutschlands äußerte sich auf diesem Gebiet in der empfindlichsten Weise. Die Hansestädte, die zwar ein erhebliches Interesse daran hatten, im Ausland gut vertreten zu sein, besaßen nicht die nötigen Mittel, um ein Konsularwesen nach französischem Muster einzurichten, und Preußen zeigte fast nur für die Levante Interesse. Für die geschäftsmäßige Tüchtigkeit der konsularischen Vertreter wurde nur wenig gesorgt. Erst mit der Gründung des Norddeutschen Bundes trat in dieser Hinsicht ein vollständiger Umschwung ein, und die Ausbildung des deutschen Konsulatswesens ist eine der größten Errungenschaften der neuen Reichseinheit.

Organisation des Konsulatswesens.

(Hierzu Textbeilage: »Die deutschen Konsulate im Ausland«.)

Die Konsuln in den christlichen Staaten haben keinen diplomatischen Charakter und nicht die Vorrechte der Gesandten, in den nichtchristlichen Staaten dagegen eine jener der Gesandten ähnliche Stellung. Man unterscheidet zwei Arten: Handelskonsuln (Wahlkonsuln, Konsuln im Ehrenamt, consules electi), meist Kaufleute, die häufig dem Staat, in dem sie residieren, als Untertanen angehören, und Fachkonsuln (Berufskonsuln, consules missi), wirkliche Beamte desjenigen Staates, der sie aussendet. Letztere sind zu ihrem Berufe besonders ausgebildet und vorbereitet, auch durch eine ausreichende Besoldung der Notwendigkeit eines andern Gewerbebetriebs überhoben, während die Handelskonsuln nur gelegentlich gewisse Gebühren beziehen. Dem Range nach unterscheidet man Generalkonsuln, denen die Oberleitung der zu einem größern Bezirk gehörigen Konsulate und Vizekonsulate zusteht, Konsuln an wichtigen Handelsplätzen, Vizekonsuln an minder wichtigen Plätzen und Konsularagenten, Privatbevollmächtigte der Konsuln, zu deren Ernennung die absendende Regierung ihre Zustimmung gegeben hat, ohne daß ihnen eine selbständige Ausübung der konsularischen Rechte zukommt. Zur Leitung der Bureaugeschäfte ist einem Generalkonsul oder einem wichtigern Konsulat zuweilen ein Kanzler beigeordnet; auch ist dem K. das nötige Hilfspersonal an Sekretären, Dolmetschen etc. beigegeben. Die Berufskonsuln müssen entweder juristische Bildung besitzen, oder eine besondere Prüfung (deutsches Prüfungsreglement vom 28. Febr. 1873) bestanden haben. Das deutsche Konsularwesen ist durch das nunmehrige Reichsgesetz vom 8. Nov. 1867, betreffend die Organisation der Bundeskonsulate sowie die Amtsrechte und Pflichten der Bundeskonsuln, geordnet, nachdem schon die Verfassung des Norddeutschen Bundes die nachmals in die Reichsverfassung (Art. 56) übergegangene Bestimmung getroffen hatte, daß das gesamte Konsulatswesen unter der Aussicht des Bundespräsidiums (des Kaisers) stehe, der die (Reichs-) Konsuln nach Vernehmung des Ausschusses des Bundesrats für Handel und Verkehr anstellt. Neue Landeskonsulate sollten nicht mehr errichtet werden; auch sind inzwischen die deutschen Landeskonsulate im Ausland beseitigt und nur noch Reichskonsulate dortselbst vorhanden. Dagegen haben die Einzelstaaten noch das Recht, Konsuln fremder Staaten bei sich zuzulassen. Innerhalb des fremden Staates kann der K. seine amtliche Tätigkeit erst nach Erteilung des Exequatur (s. d.), auch Plazet, in der Türkei Berat genannt, beginnen. In manchen Ländern üben die Konsulate (Jurisdiktionskonsulate) über die Angehörigen ihres heimischen Staates und dessen Schutzgenossen (s. d.) auch eine besondere Gerichtsbarkeit (Konsulargerichtsbarkeit, Konsularjurisdiktion) aus. Dies geschah zuerst in der Türkei, woselbst den Konsuln christlicher Staaten durch besondere Verträge (Kapitulationen) eine Gerichtsbarkeit eingeräumt ward (s. unten: 7). Die deutsche Konsulargerichtsbarkeit ist durch Reichsgesetz vom 7. April 1901 neu geregelt. Neben verschiedenen Verordnungen und Spezialgesetzen, insbes. dem Gesetz über das Gebührenwesen bei den deutschen Konsulaten vom 1. Juli 1872 (mit Abänderungsgesetz vom 5. Juni 1895), sind ferner die hierauf bezüglichen Staatsverträge (Konsularverträge sowie die Handels-, Schiffahrts- und Niederlassungsverträge) von Wichtigkeit. Ein vollständiges gegenseitiges Konsularkartell besteht mit Österreich-Ungarn gemäß den Bestimmungen des Handelsvertrags vom 6. Dez. 1891.

[Amtsgeschäfte der deutschen Konsuln.] Nach dem deutschen Konsulatsgesetz sind die (Bundes-, nunmehr:) Reichskonsuln berufen, das Interesse des Reiches, namentlich in bezug auf Handel, Verkehr und Schifffahrt, tunlichst zu schützen und zu fördern (ihre Jahresberichte werden im »Deutschen Handelsarchiv« abgedruckt), die Beobachtung der Staatsverträge zu überwachen und den Angehörigen der Bundesstaaten sowie andrer befreundeter Staaten in deren Angelegenheiten Rat und Beistand zu erteilen. Die Konsuln, die dem Reichskanzler und den im Land ihrer Residenz bestehenden Reichsgesandtschaften unterstellt sind, haben im einzelnen namentlich folgende Funktionen auszuüben:

1) Der K. hat über die in seinem Amtsbezirk wohnhaften und zu diesem Zweck bei ihm angemeldeten Deutschen eine Matrikel zu führen. Der Eintrag in dieselbe wendet den Verlust der Staats- und Reichsangehörigkeit (s. d.) ab.

2) Die Konsuln sind Polizei-, insbes. Schifffahrtspolizeibehörden. Sie haben das Recht. Pässe auszustellen und die von ausländischen Behörden für Reisen in das deutsche Reichsgebiet ausgestellten Pässe zu visieren. Solange deutsche Handelsschiffe sich in ihrem Amtsbezirk befinden, üben die Konsuln über diese die Polizeigewalt aus; sie sorgen für die Wiederergreifung desertierter Mannschaften, überwachen die Beobachtung der hinsichtlich der Führung der Reichsflagge bestehenden Vorschriften und sind als Seemannsämter mit der An- und Abmusterung der Schiffsleute sowie auch der übrigen Funktionen der Seemannsämter, z. B. Aufnahme von Verklarungen,[433] Mitwirkung bei der Aufmachung der Dispache in den Fällen der großen Haverei und bei der Eingehung von Bodmereigeschäften, betraut. Schiffsleute, die auf See oder im Ausland ein Verbrechen begingen, haben sie der inländischen Strafgerichtsbarkeit zu überliefern.

3) Die Konsuln haben Deutsche, die im Ausland hilfsbedürftig wurden, zu unterstützen, nötigenfalls für ihre Rückbeförderung in die Heimat zu sorgen. Doch soll nur in Fällen wirklicher und unverschuldeter Not Unterstützung gegeben und der Betrag derselben von etwaigen alimentationspflichtigen Verwandten bald wieder beigezogen werden.

4) Die Konsulate sind Standesämter, doch ist hierzu ein besonderer Auftrag des Reichskanzlers erforderlich (Reichsgesetz vom 4. Mai 1870). Von den Beurkundungen der Geburts- und Sterbefälle auf See haben sie Abschriften entgegenzunehmen (Personenstandsgesetz vom 6. Febr. 1875).

5) Der K. ist Organ der freiwilligen Gerichtsbarkeit und Notariatsbeamter. Die Konsuln können Urkunden mit der Beweiskraft öffentlicher Urkunden ausfertigen und beglaubigen, auch Urkunden fremder Behörden legalisieren und Notariatsakte aufnehmen. Sie fungieren als Nachlaßbeamte in Ansehung der Hinterlassenschaft von Reichsangehörigen, die in ihrem Bezirk versterben.

6) Der K. ist Hilfsorgan der Justizbehörden; er kann Zustellungen bewirken, kraft besonderer Ermächtigung des Reichskanzlers Zeugen verhören und Eide abnehmen und mit Genehmigung des Aufenthaltsstaates Zwangsvollstreckungen vornehmen. Die Konsuln haben Vergleiche zu vermitteln und auf Anrufen als Schiedsrichter zu fungieren.

7) Konsulargerichtsbarkeit in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten wie in Strafsachen kann ein K. nur mit besonderer Ermächtigung des Reichskanzlers nach Maßgabe des Reichsgesetzes vom 7. April 1900, in Kraft getreten 1. Jan. 1901, ausüben. Als Konsulargerichte fungieren a) der K. als Einzelrichter, b) das Konsulargericht als Kollegialbehörde, bestehend aus dem K. als Vorsitzenden und zwei Beisitzern in Zivil-, vier in Strafsachen, c) das Reichsgericht in Leipzig. Als Einzelrichter, dem Amtsrichter entsprechend, ist der K. überall da zuständig, wo nach dem deutschen Gerichtsverfassungsgesetz, nach den Prozeßordnungen und nach der Konkursordnung das Amtsgericht zu entscheiden hat, ferner für die durch Reichsgesetze oder in Preußen geltenden allgemeinen Landesgesetze den Amtsgerichten übertragene Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Das Konsulargericht entscheidet als Kollegium in allen Strafsachen, die vor die Schöffengerichte gehören, und in allen Sachen, für die im Inlande das Landgericht zuständig sein würde. Schwurgerichtssachen dürfen vor den Konsulargerichten nicht verhandelt werden. Dieselben sind durch den K. nur zu instruieren und sodann an die inländischen Gerichte abzugeben. Vor das Reichsgericht als konsulargerichtliche Instanz gehören Hoch- und Landesverratssachen; dasselbe ist zugleich für die Konsulargerichtsbarkeit die Rechtsmittelinstanz. Das Verfahren richtet sich nach den Vorschriften der Zivil- und Strafprozeßordnung, entsprechend den für die Amtsgerichte und für die Strafkammer geltenden Grundsätzen. Was das materielle Recht (Konsularrecht) anbetrifft, so kommen für das bürgerliche Recht die einschlägigen Reichsgesetze und die sonstigen in Preußen in Kraft stehenden allgemeinen Gesetze in Betracht. Für Übertragung des Eigentums an Grundstücken in Konsulargerichtsbezirken genügt, soweit nicht für diese Grundstücke ein Grundbuch angelegt ist, wie dies für die deutschen Niederlassungen in Tiëntsin und Hankeou durch Verordnung vom 25. Okt. 1900 geschah, die Beobachtung der Form, die den von der dortigen Staatsgewalt erlassenen Vorschriften entspricht. Innerhalb Rumäniens, Serbiens und Bulgariens gilt das gleiche auch für die Form eines andern dort geschlossenen Rechtsgeschäfts, auch einer Ehe, während sonst die Formen des Bürgerlichen Gesetzbuchs, bez. für die Ehe die Form des Reichsgesetzes über Eheschließung im Ausland vom 4. Mai 1870 (K. als Standesbeamter) gelten. Als gesetzlicher Zinssatz gilt nicht der des Bürgerlichen oder des Handelsgesetzbuches, sondern ein den landesüblichen Vertragszinsen entsprechender, jedoch höchstens 10 Proz. (kaiserliche Verordnung zur Einführung des Konsulargerichtsbarkeitsgesetzes vom 25. Okt. 1900). Im Strafrecht finden die dem Strafrecht angehörenden Vorschriften der Reichsgesetze Anwendung. Nicht das deutsche Strafrecht, sondern das des Landes des Konsularbezirks wird vom K. und Konsulargericht angewendet, wenn dies durch Herkommen oder Staatsvertrag bestimmt ist. Polizeiverordnungen kann der K. mit einer Strafgrenze bis zu 1000 Mk. erlassen. Dies Konsularrecht gilt nunmehr für die deutschen Schutzgebiete auch als Kolonialrecht (s. d.). Eine Mitwirkung der Staatsanwaltschaft findet nur in Ehe- und Entmündigungssachen und im Aufgebotsverfahren zum Zwecke der Todeserklärung, nicht aber in Strafsachen statt; in jenen Fällen werden ihre Obliegenheiten durch einen achtbaren Gerichtseingesessenen, womöglich durch einen Rechtsanwalt, wahrgenommen. Rechtsanwalte bei den Konsulargerichten werden vom K. widerruflich zugelassen. Die Beisitzer der Konsulargerichte sowie zwei Stellvertreter werden alljährlich im voraus aus den achtbaren Gerichtseingesessenen des Bezirks oder aus sonst achtbaren Einwohnern ernannt. Der deutschen Konsulargerichtsbarkeit unterliegen a) Deutsche, soweit sie nicht im Lande des Konsularbezirks nach Völkerrecht Exterritorialität genießen (z. B. Gesandte), b) Schutzgenossen (s. d.). Den Deutschen stehen gleich Handelsgesellschaften und juristische Personen, die im Reichs- oder einem Schutzgebiet ihren Sitz haben, juristische Personen auch, wenn ihnen von deutscher Seite die Rechtsfähigkeit verliehen ist. Das gleiche gilt von offenen Handelsgesellschaften und Kommanditgesellschaften mit Sitz im Konsulargerichtsbezirk, wenn die persönlich haftenden Gesellschafter sämtlich Deutsche sind. Die Gebiete, in denen deutschen Konsuln Konsulargerichtsbarkeit zukommt, sind durch Herkommen oder Staatsverträge bestimmt; es sind dies China, Korea, Borneo, Siam, Persien, Samoa-Tonga (soweit nicht jetzt deutsch), Maskat, Sansibar, Madagaskar, die Türkei, Marokko, Bulgarien, Rumänien, Serbien. Für Serbien ist teilweise auf die Konsulargerichtsbarkeit Verzicht geleistet, ganz für Tunis, Bosnien und die Herzegowina. In Ägypten ist die Konsulargerichtsbarkeit durch die Einsetzung internationaler Gerichte (tribunaux mixtes) erheblich beschränkt (s. Internationale Gerichte). Die strafrichterliche Zuständigkeit der Konsuln in Ägypten wurde durch Vereinbarung der Mächte 1901 eingeschränkt. Sie ist für strafbare Handlungen, deren Tatbestand einen Konkurs oder eine Zahlungseinstellung zur Voraussetzung hat, außer Übung gesetzt, sofern der Schuldner ein Kaufmann oder eine Handelsgesellschaft ist und der Schuldner oder einer der Gläubiger der deutschen [434] Konsulargerichtsbarkeit nicht untersteht. Die in den Konsulargerichtsbezirken geltenden Vorschriften können auch auf Gebiete für anwendbar erklärt werden, die keiner Staatsgewalt unterworfen sind (Interessensphären, Hinterland). An Stelle des Konsuls können hier andre Beamte mit Ausübung der Gerichtsbarkeit betraut werden (Konsulargerichtsbarkeitsgesetz, § 77). Vgl. Zorn, Die Konsulargesetzgebung des Deutschen Reiches (2. Aufl., Berl. 1901); v. König, Handbuch des deutschen Konsularwesens (6. Ausg., das. 1902); Martens, Das deutsche Konsular- und Kolonialrecht (Abriß, Leipz. 1904); Lippmann, Die Konsularjurisdiktion im Orient (Berl. 1898); Hübler, Die Magistraturen des völkerrechtlichen Verkehrs (Gesandtschafts- und Konsularrecht, das. 1900); Malfatti di Monte Tretto, Handbuch des österreichisch-ungarischen Konsularwesens (2. Aufl., Wien 1904, 2 Bde.); Joel, Consuls' manual and shipowners' guide (Lond. 1879). Ein amtliches »Verzeichnis der kaiserlich deutschen Konsulate« und ein solches der Konsuln im Deutschen Reich wird alljährlich vom Auswärtigen Amt in Berlin herausgegeben.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 432-435.
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