Gartenbau

[346] Gartenbau, die gärtnerische Tätigkeit in ihrem ganzen Umfang, die sich vielfach mit Land- und Forstwirtschaft berührt, aber durch den verhältnismäßigen Kleinbetrieb, durch die intensivste Bearbeitung des Bodens mit Handgeräten (Spatenkultur), durch die große Mannigfaltigkeit der kultivierten Pflanzen, die z. T. unter künstlichem Schutze herangezogen oder in letzterm dauernd erhalten werden müssen, sowie durch die oft vorwiegende Berücksichtigung ästhetischer Zwecke charakterisiert ist. Praktische Zwecke verfolgt der G. im Obst-, Gemüse-, Samenbau und in der Anzucht von Zierpflanzen aller Art (Kunst- und Handelsgärtnerei), wissenschaftliche Zwecke in den botanischen und dendrologischen Gärten; er wird zur Gartenkunst (s. d., bildende, schöne Gartenkunst), wenn er sich mit der Anlage und Unterhaltung von Schmuckgärten und Schmuckplätzen, Parken etc. beschäftigt. Der G., der durch Gartenbauschulen, Gartenbauvereine, Ausstellungen und eine reiche Gartenliteratur gefördert wird, steht in allen zivilisierten Ländern auf hoher Stufe.

G. ist schon in vorgeschichtlicher Zeit getrieben worden, das beweisen die Felsengräber in Beni Hassan (Ägypten), in denen Abbildungen von Gärten gefunden wurden, auch der in Tell el Amarna in Mittelägypten von Lepsius gefundene Plan eines Gartens des dortigen Königs, der zu Anfang des 16. Jahrh. v. Chr. gelebt haben mag. Die Gärten waren regelmäßig angelegt und hatten eine Bewässerung durch sehr zweckentsprechende Wasserleitungen. An Kulturpflanzen waren vorhanden: die Sykomore (Ficus Sycomorus), die Dumpalme (Hyphaene thebaica) und Dattelpalme (Phoenix dactylifera). In den Pyramiden sind Blätter und Samen gefunden worden von folgenden Gartenpflanzen: Pfefferminze (Mentha piperita), Rosmarin, Jasmin (Jasminum Sambac), Chrysanthemum coronarium, Safflor (Carthamus tinctorius), Leontodon coronopifolium, Acacia nilotica und Sesbania aegyptiaca, eine Kornblume (Centaurea depressa) und ein Weidenröschen, Nymphaea Lotus, N. coerulea, ein Rittersporn (Delphinium orientale), Klatschmohn (Papaver Rhoeas), Alcea ficifolia, die Myrte (Myrtus communis), der Sellerie (Apium graveolens), die Weinrebe, ein Gurkengewächs, Citrullus vulgaris und Mimusops Schimperi, Feigen (Ficus Sycomorus und F. Carica), Cordia Myxa, der Granatapfel und der Apfel, dann Wein, Orangen, Gurke (Cucumis Chate), Melone (C. Melo) und Flaschenkürbis (Lagenaria vulgaris). Die alten Inder hatten gut bewässerte und regelmäßig angelegte Gärten, in denen für jede Pflanzenart eine besondere Abteilung bestimmt war. Über den G. der semitischen Volksstämme wissen wir, daß Salomo (993–953) ein großer Gartenfreund war. Er zog zu Nutz- und Heilzwecken Gewächse aller Art »von der Zeder bis auf den Ysop«, ferner besonders auch aus Indien eingeführte Gewürzkräuter. Der ältere Kyros (gest. 529) förderte Obst- und Gartenbau durch weise Gesetze und durch Schulgärten bei den Anstalten, in denen die Kinder des Adels erzogen wurden. In Griechenland waren die Ureinwohner dem Waldkultus ergeben; spätere Einwanderer aus dem Norden, wie aus Ägypten und Kleinasien lichteten die Wälder, führten zahlreiche Nutzpflanzen ein und sorgten auch für die im Süden überall höchst wichtige künstliche Bewässerung. Aus der »Odyssee« kennen wir die Insel Ithaka als einen zusammenhängenden Obst- (und wohl auch Gemüse) garten. In Griechenlands klassischer Zeit (5. Jahrh. v. Chr.) gingen Feld- und Gartenbau zurück; immerhin muß man aus gelegentlichen Erwähnungen in der Literatur schließen, daß die Anzucht von Blumen zu Kränzen etc. damals doch sehr entwickelt gewesen ist. Die alten Römer hatten von den Luxusgärten getrennte Obst- und Gemüsegärten; bei ihnen wurden Blumen in ungeheuren Massen zu Dekorationszwecken verwendet (Rosen und Veilchen), so daß wir eigne Großkulturen davon annehmen müssen. Von einer berufsmäßigen Ausübung des Gartenbaues im Altertum wissen wir nur wenig. Jeder große Haushalt hatte wohl seine Gartensklaven; es bedurfte ja in jenen südlichen Ländern auch nicht vieler fachmännischer Kunstgriffe. Eingehende Unterweisungen finden wir bei Cato, Cicero und Plinius. Nach dem Fall des römischen Reiches lag der feinere Landbau jahrhundertelang danieder und kam erst um das 8.–12. Jahrh. wieder in Aufnahme, als zahlreiche Klöster entstanden, die neben der Pflege aller Wissenschaften das Studium der Nutz- und Heilpflanzen aufnahmen. Die Klöster erhielten als Geschenk reichen Grundbesitz, den sie bald auf das beste bewirtschafteten. Man gründete die ersten botanischen Gärten, die bald als Sammelpunkte alles Neuen von großer Bedeutung wurden. Der G. Mitteleuropas kannte im Anfang seiner Geschichte nur das rein Nützliche. Die erste bedeutendere Urkunde über den deutschen G. finden wir in der berühmten Wirtschaftsordnung für die kaiserlichen Hausgüter Karls d. Gr., in dem »Capitulare de villis«. Der Kaiser förderte aus persönlicher Neigung und in Erkenntnis seiner volkswirtschaftlichen Bedeutung den G., wohl auch angeregt durch die freundschaftlichen Beziehungen zu dem Kalifen Harun al Raschid, dem er die Einführung einer Menge neuer Gemüse und Früchte verdankte. Zu dem eisernen Bestand der Gärten zählten damals, neben 23 Gemüsepflanzenarten, nach der vorerwähnten Anweisung unter anderm auch die Rose und die weiße Lilie, beide zweifellos auch ihrer vermeintlichen[346] heilkräftigen Eigenschaften wegen. Im 16. Jahrh. wurden besonders gezogen: Märzveilchen, Goldlack, Nachtviole, Schwertlilie, römische Kamille, Mohn, Ringelblume, Minze, Rainfarn, Eberraute, Salbei, Bohnenkraut, Rosmarin, Thymian, Basilikum, Lavendel u. a. Die nichteuropäischen Gewächse entstammten bis dahin ausschließlich dem Orient. Außer den Nutz- und Heilpflanzen zog man damals auch eine große Zahl veredelter Kulturformen von deutschen Feldblumen in den Gärten, z. B. gefüllte Varietäten von Anemone nemorosa, Melandryum album, Convallaria Polygonatum, Caltha palustris u. a. Damals zog man schon den Hahnenkamm, Fuchsschwanz, Nelken rein zur Zierde.

Gegen Ende des 16. Jahrh. begann eine große Liebhaberei für die Zwiebelgewächse: Tulpen, Hyazinthen, Schwertlilien, Kaiserkronen und Lilien; in Holland entstand um 1637 die manchem Blumenfreund verhängnisvoll gewordene Tulipomanie (Tulpenschwindel). Gegen Ende des 17. Jahrh. legte man in Erfurt den Grund zu dem heute in höchster Blüte stehenden Samenhandel, indem man durch Ausnutzung der vorzüglich geeigneten Lage und Regelung der Bewässerung eine Grundlage zunächst für einen einträglichen Gemüsebau, speziell Brunnenkresse- und Blumenkohlkultur schuf, an die sich dann bald die Gemüse- und Blumensamenzucht für alle Welt anschloß. Von größter Bedeutung ist namentlich die Levkojenkultur geworden. Um 1700 bildeten Ranunkeln und Anemonen, Tuberosen, Geranien und Pelargonien vom Kap, Kapuzinerkresse und die Balsamine den Stolz des Gartenfreundes. 1730 hatte die Liebhaberei für die edlen Gartennelken es auf 300 Sorten gebracht. Um die Mitte des 18. Jahrh. wurden allgemeiner Gewächshausbauten eingerichtet, meist Orangerien; natürlich wurde damit auch der Kreis der kultivierbaren Gewächse erweitert. Damals brachte man schon Kaffeebaum und Ananas zum Fruchttragen, und die Königin der Nacht (Cereus grandiflorus) zum Blühen. Ende des 18. Jahrh. führten die Engländer als Zeugen ihres großen und weitverstreuten Kolonialbesitzes viele neue Pflanzen ein, die in den Händen der Gärtner rasch vervollkommt wurden: 1788 die erste Fuchsia (F. coccinea), kurz vorher die Camellia, Azalea und die Hortensia aus Japan, die Dahlia (Georgine) aus Mexiko. Von 1825 etwa bis 1840 entstanden schöne Sortimente von Scharlachpelargonien und Fuchsien. Das jetzt bei uns so beliebte Chrysanthemum indicum war schon Ende des 18. Jahrh. einmal eingeführt, aber nur in unansehnlichen Formen. Die jetzigen großblumigen Formen sind in Europa erst etwa seit den 60er Jahren des 19. Jahrh. bekannt.

Aus dem heute so gestaltenreichen Geschlecht der Rose kultivierte man bis Ende des 18. Jahrh. fast nur zahlreiche Formen der Rosa gallica, der Zentifolie oder Provinzrose, die Moschus-, die Moosrose und einige andre Kultursorten von europäischen Wildrosen. Die unvergleichliche Mannigfaltigkeit in Farbe, Duft, besonders aber auch in der Form, datiert erst seit der Einführung der Teerose (Rosa fragrans) um 1820 und der andern zur Gruppe der »indischen« Rosen gerechneten Arten, die allerdings den neu entstehenden Rassen auch eine hohe Winterempfindlichkeit vererbten. Die Rosenanzucht für den Handel hat in der Neuzeit riesige Dimensionen angenommen; früher Spezialität der Moselgegenden, ist diese Kultur jetzt besonders hoch auch in der Umgegend von Dresden und Berlin entwickelt. Für die rein ästhetische Seite des Gartenbaues sorgt die Blumen- und Pflanzenzucht, die in sogen. Kunst- und Handelsgärtnereien betrieben wird. »Kunstgärtnerei« ist ein alter Titel für Gärtnereien mit Einrichtungen zur künstlichen Erzeugung sommerlicher Klimabedingungen in kalter Jahreszeit, also mit Gewächshäusern.

Um die Mitte des 19. Jahrh. standen Gärtnereien, die alle Zweige des Gartenbaues pflegten und für sämtlichen Bedarf des Garten- und Pflanzenfreundes sorgten, überall in hoher Blüte. Jetzt spezialisieren sich alle Gärtnereien mehr und mehr, indem sie sich auf Massenkultur einzelner Gewächse werfen, die sie mit Hilfe gewisser regelmäßig erscheinender Offertenblätter und vermittelst der hochentwickelten Verkehrseinrichtungen rasch an den Bedarfsort versenden können. Der Züchter tritt heute meist nicht mehr in direkten Verkehr mit dem Publikum; letzteres erhält die fertige Pflanze aus der Hand des Händlers, der meist auch die Blumenbinderei betreibt. Der gärtnerische Handel ist seitdem international geworden. Deutschland hat den größten Samenbau (Erfurt, Quedlinburg etc.). Außerdem zieht es für den Weltmarkt Azaleen, Kamellien, Rosen, Eriken, Flieder, alles für den Winterflor; ferner Palmen, Araukarien, Dracänen und andre Blattpflanzen; von krautartigen Gewächsen kurzer Lebensdauer: Cyclamen, Primeln, Chrysanthemum, Begonien etc. Hauptproduktionszentren sind Dresden, Leipzig, Hamburg. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts hat die Kultur der Maiblume riesige Dimensionen angenommen, weil sie in keinem andern Lande so gedeihen will. Von Deutschland aus werden mit Millionen Maiblumenkeimen versorgt: Rußland, England, Amerika; Hauptplätze dafür sind: Dresden, Hamburg, überhaupt Holstein, Drossen, Magdeburg, Berlin. England und Belgien (Gent) nehmen in den feinern Warmhauskulturen den ersten Rang ein; letzteres auch in Azaleen, Rhododendron, Lorbeeren, Palmen u. Araukarien. England benutzt seine weitverzweigten Handelsbeziehungen, um die Einfuhr seltener Warmhauspflanzen, Blumenzwiebeln aus Japan und besonders tropischer Orchideen stark zu betreiben Sein Klima erlaubt eine hohe Entwickelung der Rhododendron- und Koniferenkulturen, ohne daß sich daraus eine Ausfuhr ergeben hätte. Holland ist noch heute groß in der Massenanzucht der Blumenzwiebeln für alle Welk; außerdem liefert es für Westeuropa und Amerika Koniferen, Rhododendron und andre immergrüne Gewächse. Frankreich hat einen hoch entwickelten vielseitigen G. je nach dem sehr abweichenden Klima der einzelnen Landesteile. Hervorragend ist seine Produktion seinen Obstes und Gemüses, ebenso die Massenkultur von Blumen an der Riviera. Die Rosenkultur und edle Obstbaumzucht sind dort noch immer sehr bedeutend, wenn auch für Deutschland nicht mehr so wichtig als früher. In Nancy arbeitet mit unvergleichlichen Erfolgen eine Firma (Lemoine) auf dem Gebiete der Neuheitenzüchtung durch Kreuzung und beschenkt die Gartenwelt alljährlich mit höchst wertvollen Kulturvarietäten der Hauptmarkt- und Handelspflanzen. – Eine reiche Fundgrube für den Gärtner wie für den Botaniker ist immer noch Japan, dem wir schon sv viel verdanken (Azalea, Camellia, Chrysanthemum, Koniferen) und dessen G. auf einer von uns wohl kaum erreichbaren Höhe steht. China birgt für uns noch eine große Menge wertvoller Pflanzen, besonders Gehölze, wie jede Expedition in das Waldgebiet des Innern beweist. Ebenso haben wir immer noch viel Wertvolles aus den Gebirgsländern des[347] westlichen Nordamerika zu erwarten. Der Geschäftsbetrieb im gärtnerischen Großhandel verteilt sich entsprechend dem Fertigwerden der verschiedenen Artikel auf verschiedene Jahreszeiten; Baumschulen: Frühjahr und Herbst, Blumenzwiebeln: August bis September; Knospenpflanzen für Wintertreiberei (Kamellien, Azaleen, Rhododendron, Eriken, Rosen, Flieder, Maiblumen etc.) August bis Oktober.

Eine bedeutende Entwickelung erreichten in den letzten Jahrzehnten in der Nähe aller Großstädte Gärtnereien, die für die stark entwickelte Blumenbinderei den Bedarf liefern durch entsprechende Massenkulturen von Schnittblumen und Schnittgrün. Scharfe Konkurrenz macht ihnen die gleichzeitig gewachsene Einfuhr abgeschnittener Blumen aus Italien, Frankreich und Holland. Für den gleichen Zweck entstanden umfangreiche Blütenstauden-, Dahlien- (Georginen-) und Chrysanthemumkulturen und mustergültige Cyclamen- und Nelkenzüchtereien. Neu, aber rasch und gut emporgediehen sind einige Orchideengärtnereien für den Blumenschnitt. Im Deutschen Reiche gibt es nach der Gewerbestatistik von 1895: 27,944 Handelsgärtnereien, die insgesamt ca. 75,000 Personen beschäftigten. Sie decken aber nirgends den vollen Bedarf an den Gartenprodukten, so daß z. B. 1898 eine Einfuhr im Werte von etwa 150 Mill. Mk. nötig war; davon waren allerdings ziemlich 21 Mill. Mk. an Österreich, die Schweiz und Nordamerika für Obst allein zu zahlen.

Der Aufschwung, den einzelne Zweige des Gartenbaues in gewissen Gegenden genommen haben, hängt eng zusammen mit bestimmten Klima-, gelegentlich auch mit lokalen Bodenverhältnissen. Die bestimmenden Faktoren, welche die Pflanzengeographie zur Ausstellung auch für unsre Zwecke brauchbarer Klimaprovinzen benutzt, sind: 1) Dauer und Heftigkeit der Frostperiode; 2) das Durchschnittsdatum, bei dem die zum Austreiben der Gewächse nötigen Temperaturen erreicht werden, und die Dauer dieser Periode; 3) die Wärmesumme der sommerlichen Temperaturen während der Vegetationszeit; 4) die Regenwahrscheinlichkeit während derselben und 5) die durchschnittliche Niederschlagsmenge des ganzen Jahres. Außerdem sprechen noch mit bei der Entwickelung gärtnerischer Betriebe: die Bevölkerungsdichtigkeit, die Nähe volkreicher Städte, die Entwickelung der Verkehrsmittel etc.

Der G. ermöglicht ungleich höhere Erträge vom Boden als Land- und Forstwirtschaft, er erfordert aber auch höhern Aufwand an Kapital für Bodenerwerb, intelligentere Arbeitshilfskräfte, Kultureinrichtungen (Baulichkeiten, Bewässerungsgelegenheiten), verschiedene Kulturerden und Dungmittel, unter Umständen Heizmaterialien, teures und sehr mannigfaltiges Saat- und Pflanzenmaterial etc. Der G. treibt eine außerordentlich artenreiche und vielgestaltige Pflanzenvermehrung, auf geschlechtlichem und ungeschlechtlichem Wege (s. Vermehrung) zur kontinuierlichen Forterhaltung gewisser Rassen und Züchtungsformen. Er bedarf daher eines vielseitig fachwissenschaftlich gebildeten Personals. Die gärtnerische Praxis, die sich überall mit den interessantesten Kapiteln der Pflanzenphysiologie zu berühren scheint, ist seit langen Zeiten rein empirisch entwickelt und operiert heute noch mit wissenschaftlich unerklärten Tatsachen. Auf dem Gebiete der Rassenzüchtung und Fixierung gewisser Variationserscheinungen ist der G. seit alten Zeiten mit außerordentlichem Glück tätig, ohne allerdings die Entstehung bestimmter Variationen, welche die ungeheure Sortenzahl der Gartengewächse bedingen, beeinflussen zu können. Alle Eigenschaften, welche die in Masse gezüchteten Gartensorten erhaltenswert erscheinen lassen, sind, soweit sie nicht aus der Kreuzung verschiedener Pflanzen hervorgegangen sind, infolge besonderer Kultureinflüsse spontan entstandene Abänderungen, die nur durch strenge Zuchtwahl erhalten werden (vgl. Gartenpflanzen und Zierpflanzen). Großen Aufwand erfordert besonders die Kultur exotischer Gewächse, denen man seit den letzten hundert Jahren ein immer wachsendes Interesse zuwendet und für die gewaltige Bauten errichtet werden (Palmenhäuser). In den letzten 30 Jahren haben die Großstädte begonnen, der Entwickelung des städtischen Gartenwesens größere Aufmerksamkeit zuzuwenden mit Rücksicht auf den hohen ästhetischen und hygienischen Wert von Anpflanzungen in den Städten (vgl. Gartenkunst).

Infolge der Vielgestaltigkeit, in welcher der G. öffentlich auftritt, ist es im gewerblichen Leben oft schwer, die ihm zukommende Stellung im Rahmen der modernen Gewerbegesetzgebung klar zu bezeichnen, woraus viel Unzuträglichkeiten entstehen. Der einfache G., soweit er sich vorwiegend mit der Produktion und dem Verkauf selbsterzogener gärtnerischer Erzeugnisse befaßt, ist ohne Zweifel ein Teil der Landwirtschaft; bei Streitigkeiten sind also weder das Gewerbegericht noch die Handwerkskammer zuständig. Die Handelsgärtnereien betreiben aber sehr oft eine Art Veredlungsverfahren, indem sie junge Pflanzen ankaufen und für den Markt fertig kultivieren, in solchen Fällen gewinnt der Betrieb leicht den Anschein eines Handelsgewerbes. Die Schwierigkeit der Abgrenzung dieser Begriffe läßt leider sehr viel Streitfragen offen. Der Pflanzenhändler ohne eigne Produktion sowie die Blumenbinderei und die hierbei verwendeten Hilfskräfte unterstehen zweifellos dem Handelsgewerbe.

Der neuerlich bemerkbare Zustrom junger Leute aus den gebildeteren Klassen zum Berufe des Gärtners rührt z. T. von der allgemeinen Auffassung her, daß die Beschäftigungen im G. gesundheitszuträglich seien. Das ist aber keineswegs der Fall. Baumschul-, Landschaftsgärtnerei, Freilandblumengärtnerei, Samenzucht und Gemüsegärtnerei gelten als gesund, sofern Durchnässung vermieden oder doch auf Wechsel der nassen Kleidung gehalten wird, die Kunst- und Handelsgärtnerei aber mit ihren Gewächshäusern, die den Gärtner häufigen Temperaturunterschieden von 25–50° aussetzt, veranlaßt Erkältungen. Dazu kommt schlechte Luft in den Häusern, in denen Blumenzwiebeln angetrieben werden (durch Fäulnis schlechter Zwiebeln), auch der intensive Geruch mancher Blumen. Folgen sind Appetitlosigkeit, Nachlassen der Widerstandsfähigkeit. Beim Samenverlesen entwickelt sich viel Staub. 50 Proz. der Sterbefälle bei der Gärtnerkrankenkasse, die nur gesunde Leute aufnimmt, kamen 1896 auf Lungenleiden, so daß die Kasse warnte, schwächliche junge Leute der Gärtnerei zuzuführen. Sehr nachteilig wirken auch die im allgemeinen unzureichenden Wohnverhältnisse. Die Gärtnerei hat sehr viele Selbstmorde. Als Ursachen werden angegeben schlechte Behandlung und Verdienstlosigkeit im Winter. Ebenso verlassen sehr viele Gärtner ihren Beruf, um Unterkunft in einem andern zu suchen. Vgl. Schulz, Zur Hygiene des Gärtnergewerbes (Separatabdruck aus der »Medizinischen Reform«, Berl. 1902). – Die Bestrebungen, den Beruf auch jungen Mädchen besserer Stände zu öffnen, können nur beschränkte Aussicht[348] haben; sie sind zu begrüßen in den Zweigen des Faches, wo ein sein gebildeter künstlerischer Geschmack und besondere Handfertigkeit erforderlich sind, wie in der Binderei und im Samengeschäft; selbstverständlich auch in allen rein wirtschaftlichen Betrieben des Obst- und Gemüsebaues, soweit diese den Ansprüchen gebildeter Arbeiterinnen noch Genüge bieten können.

Von alters her haben die botanischen Gärten (s.d.), die zumeist im Anschluß an eine Universität entstanden, Großes für den G. geleistet. In ihnen wird zunächst das Studium der auch für den G. notwendigen Pflanzenkunde durch einen eisernen Bestand lebender und getrockneter Pflanzen ermöglicht. Sie unterhalten zu dem Zweck einen die Erde umspannenden Tauschverkehr für Samen und Pflanzen unter sich, der auch dem Handelsgartenbau oft von großem Nutzen ist. Außerdem liefern sie Gelegenheit und Material zu physiologischen Studien, die dem praktischen G. eine wissenschaftliche Grundlage zu geben berufen sind. Zu dem Zweck erhalten sie neuerdings auch oft die Ausrüstung zu einer pflanzenphysiologischen Versuchsstation mit gärtnerischen Zielen. Solche Versuchsstationen (Experiment stations), die auch der Landwirtschaft dienen, sind namentlich in Nordamerika zahlreich begründet worden. Es handelt sich da neben rein wissenschaftlichen Fragen vorzugsweise um Einführung wissenschaftlich begründeter Methoden in die gärtnerische Düngepraxis; ferner um Erforschung der Krankheiten der Kulturgewächse u. a. Die botanischen Gärten geben außerdem vielfach den Kunstakademien und Kunstgewerbeschulen Gelegenheit zu Studien; sie liefern Pflanzen und Samen an die neuerdings für den Schulunterricht angelegten Schulgärten und suchen auch vielfach auf die Blumen- und Pflanzenliebhaberei des Publikums befruchtend einzuwirken. Über Gartenbauschulen, Gartenbauvereine und -Ausstellungen s. die besondern Artikel.

Vgl. Schmidlin, Gartenbuch (4. Aufl. von Nietner u. Rümpler, Berl. 1892); Christ, Gartenbuch (13. Aufl. von Lucas, Stuttg. 1903); Wredow, Gartenfreund (19. Aufl. von Gaerdt, Berl. 1901); Jühlke, Gartenbuch für Damen (4. Aufl., das. 1889); Vilmorin, Illustrierte Blumengärtnerei (3. Aufl. von Voß, das. 1896); W. Hampel, Gartenbuch für jedermann (2. Aufl., das. 1895); Böttner, Gartenbuch für Anfänger (6. Aufl., Frankf. a. O. 1904); Herrmann, Der landwirtschaftliche G. (Bonn 1883); Voß, Grundzüge der Gartenkultur (Berl. 1894); Courtin, Der deutsche Haus- u. Nutzgarten (2. Aufl., Stuttg. 1874); Wörmann, Der Garteningenieur (Berl. 1860–74, 9 Tle.); W. Hampel, Moderne Teppichgärtnerei (6. Aufl., das. 1901); über gärtnerisches Planzeichnen die Schriften von Eichler (2. Aufl., das. 1892), Burmester (2. Aufl., Braunschw. 1900) und Encke (Berl. 1898); Rümpler, Gartenbaulexikon (3. Aufl. von Wittmack, das. 1902); de Terra, Internationales Gartenbau-Adreßbuch (6 Aufl., das. 1902); »Gartenbau-Bibliothek« (hrsg. von U. Dammer, das. 1899ff.). – Zeitschriften: »Gardeners Chronicle« (Lond.); »Revue horticole« (Par.); Möllers »Deutsche Gärtnerzeitung« (Erfurt, seit 1886); »Gartenflora« (Berl., seit 1852); »Gartenwelt« (Leipz., seit 1896); »Allgemeine Gärtnerbörse« (Gera, seit 1888); »Berliner Gärtnerbörse« (Berl., seit 1884); »Der praktische Ratgeber« (Frankf. a. O., seit 1886); »Der Handelsgärtner« (Leipz., seit 1899). Weitere Literatur, auch über die Geschichte des Gartenbaues, s. Gartenkunst.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 346-349.
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