Metz [2]

[722] Metz (hierzu der Stadtplan mit Registerblatt und »Karte der Umgebung von Metz«), Hauptstadt des deutschen Bezirks Lothringen, Stadtkreis und Festung ersten Ranges, liegt am Einfluß der Seille in die Mosel, 180 m ü. M., und hat ein altertümliches Aussehen. Straßen, Plätze und Tore führen neben den französischen durchweg auch deutsche Namen. Von den letztern sind hervorzuheben: das Prinz Friedrich Karl-, früher Römertor (Porte Serpenoise) im S., das Theobalds-, Mazellen- und Deutsche Tor im O. und das Diedenhofener und Französische Tor im W. Von den Plätzen sind bemerkenswert: der Kaiser Wilhelm-Platz am Römertor, neben demselben die mit Blumenanlagen geschmückte Esplanade mit der Reiterstatue Kaiser Wilhelms I., den Denkmälern des Prinzen Friedrich Karl und des Marschalls Ney und prächtiger Aussicht auf das Moseltal; der Paradeplatz zwischen der Kathedrale und dem Stadthaus, mit dem Standbilde des Marschalls Fabert; der Ludwigsplatz mit mittelalterlicher Arkadenreihe; der Theaterplatz mit schönem Brunnen; der große bedeckte Markt zwischen Dom- u. Kammerplatz dient als Gemüse-, Obst-, Blumen-, Fisch- und Fleischmarkt. M. hat 4 evang. Kirchen (darunter die gotische Garnisonkirche mit 97 m hohem Turm), 9 kath. Kirchen, von denen die im 13. Jahrh. begonnene, im Anfang des 16. Jahrh. vollendete, im Innern imposante Kathedrale (vgl. Heppe, Der Dom zu M., 1901) und die St. Vinzenzkirche mit schönen gotischen Türmen das meiste Interesse in Anspruch nehmen, und eine Synagoge.

Wappen von Metz.
Wappen von Metz.

Von den weltlichen Gebäuden sind hervorzuheben: der Justizpalast an der Esplanade, das Gebäude des Bezirkspräsidiums, das Stadthaus, Theater, der bischöfliche Palast, das Arsenal, das neue Generalkommando etc. Die Mosel fließt in mehreren Armen an M. vorüber, von denen der westliche der Hauptarm ist. 14 Brücken führen über diese und die Seille. Auf der Insel Chambière ist ein Friedhof mit einem Denkmal für die 1870 hier begrabenen 7200 Franzosen. Die Hauptplätze und Hauptstraßen der Stadt haben elektrische Beleuchtung. Die Zahl der Bewohner beläuft sich (1905) mit der Garnison (Infanterieregimenter Nr. 67, 98, 130, 131, 145 u. 174, sowie Nr. 4 u. 8 von der bayrischen Armee, 2 Dragonerregimenter Nr. 9 u. 13, 2 Feldartillerieregimenter Nr. 33 u. 34 und 1 Abteilung Feldartillerie Nr. 70, 2 Fußartillerieregimenter Nr. 8 u. 12 und 2 Bataillone bayrische Fußartillerie Nr. 2, 2 Pionierbataillone Nr. 16 u. 20 und 1 Maschinengewehrabteilung Nr. 11, insgesamt etwa 900 Offiziere und 24,000 Mann) auf 60,791 Seelen, darunter 17,452 Evangelische, 41,805 Katholiken und 1466 Juden. Industrie und Handel hatten seit der deutschen Besitznahme an Wichtigkeit verloren, haben sich jetzt aber wieder gehoben. Einen Ruf haben die Fabriken für Lederwaren, die Gerbereien, Sattlereien und die Schuhfabrikation. Ferner sind zu nennen Fabriken für Waffen, Nadeln, grobe Tuche, Hüte, künstliche Blumen etc. Große Eisenwerke befinden sich in mehreren Orten des Landkreises M. Der Handel, unterstützt durch eine Handelskammer, eine Reichsbankstelle (Umsatz 1904: 2250,5 Mill. Mk.) und eine Filiale der Luxemburger Bank, erstreckt sich vorwiegend auf Wein, Branntwein, Likör, Bier, eingemachte Früchte, Leder, Kurzwaren, Bauholz, Möbel, Steine, Kalk etc. Den Verkehr in der Stadt vermittelt eine elektrische Straßenbahn, die auch Verbindung mit den wichtigsten Orten der Umgegend herstellt. Für den Eisenbahnverkehr ist die Stadt Knotenpunkt der Linien Stieringen-Novéant (-Nancy), M.-Großhettingen (-Luxemburg), M.-Amanweiler (-Verdun) und M.-Château-Salins. An Bildungs- und andern Anstalten besitzt M. ein Lyzeum (Gymnasium), eine Oberrealschule, eine Domschule, ein Priester- und ein Schullehrerseminar, eine Taubstummenanstalt, eine[722] Kriegsschule (vgl. v. Webern, Die Kriegsschule M., 1897), eine landwirtschaftliche Winterschule, eine Musik- u. eine Zeichenschule, eine Stadtbibliothek, ein städtisches Museum (Altertümer, Gemälde etc.), das Museum Migette (Gemälde), mehrere gelehrte Gesellschaften und Vereine, ein Franziskanerkloster etc. Von Behörden haben dort ihren Sitz: das Bezirkspräsidium, die Kreisdirektion für den Landkreis M., ein Landgericht, ein Hauptzollamt, eine Oberpostdirektion, eine Oberförsterei, ein Bergrevier, ein katholischer Bischof, ein reformiertes und ein israelitisches Konsistorium etc.; ferner: das Generalkommando des 16. Armeekorps, der 33. und 34. Division, der 66., 67., 68. und 8. (bayrischen) Infanterie-, der 33. u. 34. Kavallerie- und der 33. u. 34. Feldartilleriebrigade, des Kommandos der Pioniere des 16. Armeekorps, der 3. Fußartilleriebrigade und der 6. Festungsinspektion. Die städtischen Behörden zählen 5 Magistrats- und 33 Gemeinderatsmitglieder. In der Umgegend interessieren vorzugsweise die ausgedehnten Befestigungen; über die Schlachtfelder und die darauf errichteten Kriegerdenkmäler s. unten (S. 725).

M. ist immer eine bedeutende Festung gewesen. An die Stelle der Mauerbefestigung trat 1550 die Wallbefestung, der 1562 die Zitadelle hinzugefügt wurde. Vauban baute nach 1674 die Werke vollständig um; 1728–31 entstanden das Moselfort auf der West- und das Fort Bellecroix auf der Ostseite. Aus der Abtragung eines Teils der Zitadelle ward 1791 die Esplanade geschaffen. Nach 1815 gerieten die Werke in Verfall, wurden aber 1830–45 wiederhergestellt. Napoleon III. begann 1867 mit dem Bau der vier detachierten Forts: Fort St.-Quentin, nicht groß, aber wichtig durch seine die ganze Umgegend beherrschende Lage auf einem 360 m hohen, das Moseltal um fast 200 m überragenden Berg, und Fort Plappeville auf der linken, Fort Queuleu und Fort St.-Julien auf der rechten Moselseite. Seit der deutschen Besitznahme sind diese Werke außerordentlich verstärkt und vermehrt worden, so daß M. gegenwärtig zu den stärksten Festungen Europas zählt. Sämtliche Werke tragen deutsche Namen: Feste Prinz Friedrich Karl (früher Fort St.-Quentin), Fort Manstein (Westfort St.-Quentin), Fort K. Alvensleben (Plappeville), Fort Kameke im W. von der Mosel, Fort Prinz August von Württemberg (St.-Privat) im S. zwischen Mosel und Seille, Fort Goeben (Queuleu) im SO., Fort Zastrow (Les Bordes) im O., Fort Manteuffel (St.-Julien) im NO., in der Moselebene Fort Hindersin (St.-Eloi), endlich, unmittelbar mit der Stadtbefestigung zusammenhängend, Fort Steinmetz (Bellecroix) auf der Ostseite und Fort Voigts-Rhetz (Moselfort) auf der Westseite der Stadt. Die äußern neuen Forts, unter denen Fort Goeben das größte ist, liegen in einer Entfernung von 3300–5000 m von der Kathedrale. Hinzugekommen sind in neuerer Zeit noch mehrere neue Anlagen in weiterer Entfernung von M., so: das Fort Graf Haeseler und die Festen Kaiserin, Kronprinz und Lothringen. Die Niederlegung der Stadtumwallung zwischen Mosel, Prinz Friedrich Karl-, Theobalds- und dem Deutschen Tor ist erfolgt. Die Umgegend von M. (le pays Messin) ist sehr fruchtbar, baut schönes Obst (besonders Mirabellen), vorzügliche Gemüse und auf beiden Moselufern, vornehmlich am Fuß des Mont St.-Quentin, ziemlich viel Wein. Zum Landgerichtsbezirk M. gehören die 13 Amtsgerichte zu Ars a. M., Bolchen, Busendorf, Château-Salins, Delme, Diedenhofen, Dieuze, Hayingen, M., Remilly, Rombach, Sierck und Vic.

[Geschichte.] M. ist das alte Divodurum (d. h. »Götterburg«) der Gallier im Gebiete der Mediomatriker, auch Mediomatrica genannt, woraus Metä, Metis, Mattä und M. entstanden ist. In der Mitte des 5. Jahrh. durch die Hunnen unter Attila zerstört, kam es an das fränkische Reich- und ward bald die Hauptstadt von Austrasien; Ludwig der Fromme fand in der Abtei St. Arnulf seine Grabstätte. 843 kam M. an Lothar I. und nach dem Tode von dessen Sohn Lothar 11. im Vertrag zu Mersen 870 an das ostfränkische (Deutsche) Reich. Zunächst dem Bischof untertan, der den Burggrafen ernannte, erwarb die Stadt zu Beginn des 13. Jahrh. die Burggrafenrechte und wurde Reichsstadt, legte auch trotz der gemischten Bevölkerung auf die Zugehörigkeit zum Reiche hohen Wert. Karl IV. verkündete hier auf dem Reichstag 1356 die vorher zu Nürnberg beratene Goldene Bulle. 1444 ward die Stadt von den Franzosen belagert, jedoch nicht erobert. 1543 versuchte ein Teil der Bürgerschaft mit Hilfe Farels die Reformation in M. durchzuführen, aber der Widerstand des Kardinals von Lothringen und das Verbot evangelischer Predigt durch den Kaiser verhinderten das Gelingen. Die katholische Partei im Rat und die hohe Geistlichkeit erleichterten 1552 die Besetzung der Stadt durch die Franzosen unter Montmorency, die im Einverständnis mit den protestantischen Reichsfürsten handelten; doch war die Mehrzahl der Bürger mit dem Wechsel der Herrschaft unzufrieden, und viele Deutsche wanderten aus. Am 18. April 1552 zog König Heinrich II. in M. ein; Herzog Franz von Guise, vom König mit der Verteidigung beauftragt, hielt dann vom 19. Okt. 1552 bis 1. Jan 1553 der Belagerung durch Karl V. tapfer stand. Die Stadt verlor zugleich ihre Selbstverwaltung, und der Bischof setzte die Behörden ein. Ludwig XIII. machte 1633 M. zum Sitz eines Parlaments, an das sich seit 1679 die berüchtigte »Reunionskammer« anschloß. Im Westfälischen Frieden (1648) erhielt Frankreich die volle Souveränität über M., Toul und Verdun, aber die alte Größe der Stadt war dahin. Die Einwohnerzahl sank 1552 bis 1698 von 60,000 auf 22,000; viele Hugenotten verließen M. und siedelten sich zum großen Teil in Frankfurt a. O. an; erst im 19. Jahrh. gewann M. wieder eine besondere Wichtigkeit. Mehrere Belagerungen und Einschließungen, so auch 1814 und 1815, hielt es aus, ohne sich zu ergeben. Im deutsch-französischen Krieg 1870 ward M. das Hauptquartier der französischen Rheinarmee und nach deren Niederlage von den Deutschen eingeschlossen. Die Stadt, 29. Okt. 1870 (s. unten) von den deutschen Truppen besetzt, kam im Frankfurter Frieden endgültig an Deutschland. Von den französischen Einwohnern wanderten viele aus, dagegen viele Altdeutsche ein, so daß deren Zahl bald die altgesessene Bürgerschaft überwog und sie 1886 bei den Gemeinderatswahlen die Mehrheit (19 Stimmen von 32) erhielten, die sie zwar nach einigen Jahren wieder verloren, aber 1902 ging eine Kompromißliste durch, nach der beide Parteien gleiche Stimmenzahl erhielten. Vgl. »Histoire générale de M. par les Bénédictins« (Metz 1769–91, 6 Bde.); Davilly, Antiquités Mediomatriciennes (das. 1823); Coster, Geschichte der Stadt und Festung M. (Trier 1871); Westphal, Geschichte der Stadt M. (Metz 1875–77, 3 Bde.); Albers, Geschichte der Stadt M. (das. 1902); Kraus, Kunst und Altertum in Elsaß-Lothringen, Bd. 3 (Straßb. 1886–88); Lokalführer von Lang, Fischer, Albers; »Technischer Führer durch M.« (Metz 1893); Weiteres s. Lothringen.[723]

Schlachten um und Belagerung von Metz 1810

(Hierzu Karte »Die Schlachten um Metz etc.« mit Deckblatt: Kriegerdenkmäler auf den Schlachtfeldern um Metz.)

Trotz seiner bedeutenden alten Festungswerke vor einer Beschießung durch die neuern Geschütze nicht gesichert, war M. seit 1867 in aller Eile mit großen detachierten Forts auf den dominierenden Höhen zu beiden Seiten der Mosel versehen worden. Obwohl nur in Erde ausgeführt, machten die Forts von St.-Julien, Queuleu, St.-Quentin und Plappeville die Beschießung der eigentlichen Festung unmöglich; doch waren die zur Verbindung beider Ufer nördlich und südlich im Tal begonnenen Forts St.-Eloi und St.-Privat 1870 noch nicht vollendet, auch die übrigen nicht völlig armiert. M. wurde wegen seiner günstigen Lage und der großen Ausdehnung des Platzes bei Beginn des Krieges zum großen Hauptquartier und Depot der Rheinarmee ausersehen, und Ende Juli 1870 begab sich auch Kaiser Napoleon III. dahin. Als die Siege der Deutschen 6. Aug. jede Aussicht auf offensive Kriegführung zerstörten, wurde die ganze Rheinarmee (Garde, 2., 3., 4. und 6. Korps) auf dem rechten Moselufer bei M. zusammengezogen, da man an der Französischen Nied eine Schlacht annehmen wollte. Doch gab Bazaine, der am 12. Aug. den Oberbefehl übernahm, diese Absicht wieder auf und beschloß, über Verdun nach Châlons abzumarschieren, um dort die ganze französische Armee zu der Entscheidungsschlacht zu vereinigen. Am 13. Aug. ward dies befohlen, am 14. begann das Defilieren der Armee durch die beengende Festung und über die Moselbrücken. Der von den Unterbefehlshabern des 1. und 7. preußischen Korps improvisierte Angriff auf die abziehenden Franzosen 14. Aug., der zu der Schlacht von Colombey-Nouilly (s. d.) führte, sowie mangelhafte Veranstaltungen und fehlende Leitung verzögerten aber den Abmarsch der Rheinarmee aus M. auf die beiden nach Verdun führenden Straßen so sehr, daß selbst am 15. nur geringe Entfernungen zurückgelegt wurden und die Spitzen bereits bei Conflans mit der deutschen Reiterei zusammentrafen. Napoleon selbst erreichte am 16. noch Verdun, aber bereits am Vormittag wurde der Vortrab des linken Flügels, das 2. Korps, im Lager bei Vionville überrascht, und es entspann sich die Schlacht von Vionville-Mars la Tour (s. d.). Bazaine beging den Fehler, daß er, die Schwäche des Gegners nicht kennend, ihm nicht mit seiner großen Übermacht eine entscheidende Niederlage beibrachte, ließ sich aber auch von der falschen Anschauung bestimmen, daß der Feind ihn von M. abdrängen wolle, und daß er vor allem die Verbindung mit diesem Platz festhalten müsse. Nachdem er durch unruhiges Ablösen in der Schlacht alle seine Korps geschwächt, seine Munition verbraucht und doch den Abmarsch nach Châlons nicht erzwungen hatte, ging er am 17. unter die Wälle von M. zurück, verzichtete darauf, sich mit Mac Mahon zu vereinigen, und entschied dadurch bereits die Trennung der französischen Armee. Er faßte jetzt den Plan, gestützt auf die Festung und durch die in ihr aufgestapelten Vorräte für lange Zeit gegen Mangel gesichert, in seiner beinahe unangreifbaren Stellung auszuharren und hierdurch überlegene Kräfte der deutschen Armee vor M. festzuhalten, bis ein Friede oder eine sonstige Wendung ihn aus seiner Isolierung erlösen würde. Die Schlacht bei Gravelotte (s. d.) war daher wesentlich eine Verteidigungsschlacht und fiel für ihn deswegen nicht ungünstig aus; einen Versuch, nach Westen durchzubrechen, machte er gar nicht. Die Deutschen mußten nun die erkämpfte Trennung der beiden französischen Heere zu einer bleibenden machen, versuchten deshalb keine strenge Umschließung von M., sondern begnügten, sich, im Westen und Norden, wo ein Angriff Bazaines zum Zweck seiner Befreiung zu gewärtigen war, genügende Streitkräfte bereitzustellen und im Süden und Osten bloß einen dünnen, teilweise aus Kavallerie gebildeten Kordon zu ziehen. Die Untätigkeit Bazaines rechtfertigte diese Kühnheit, denn die ersten Tage nach der Schlacht bei Gravelotte tat er nichts, um die Widerstandskraft des einschließenden Ringes zu prüfen. Erst als er am 29. und 30. von Mac Mahons Marsch nach der Maas zur Vereinigung mit der Rheinarmee erfuhr, befahl Bazaine am 30. die Konzentration der Armee beim Fort St.-Julien zur Ausführung des Durchbruchs nach Diedenhofen. Die Schlacht bei Noisseville (s. d.) 31. Aug. und 1. Sept. vereitelte Bazaines Absicht. Wäre sie gelungen, hätte er doch kaum den gewünschten Erfolg gehabt, denn Prinz Friedrich Karl war bereit, sich ihm bei Diedenhofen mit drei Korps in den Weg zu stellen, und überdies wurde Mac Mahons Armee an demselben 1. Sept. bei Sedan vernichtet. Nur nach Südosten hätte Bazaine durchbrechen, der deutschen Armee durch Zerstörung ihrer Verbindungslinien schaden und den Kern für eine neue Armee bilden können.

Die Schlacht bei Noisseville und die Kapitulation von Sedan bewogen das deutsche Oberkommando, eine eigentliche Einschließung von M. ins Werk zu setzen. Die Zernierungsarmee bestand aus der unter dem Befehl des Prinzen Friedrich Karl vereinigten ersten und zweiten Armee. Das 1. und 7. Korps standen rechts der Mosel, das 2. im Moseltal südlich von M., das 8., 9., 3. und 10. auf dem linken Ufer, die Division Kummer im Tal nördlich von M. Trotz vorzüglichster Vorbereitung und Berechnung aller Möglichkeiten brachten es die Raumverhältnisse mit sich, daß gegen jeden Teil der Zernierung von M. aus ein Stoß geführt werden konnte, der eine Zeitlang den entgegenstehenden Kräften an Zahl überlegen blieb. Jedoch beschränkten sich die Franzosen auf kleine Vorpostengefechte, Kanonaden der Forts und andre unbedeutende Demonstrationen, da Bazaine auf baldigen Frieden rechnete. Erst Ende September wurden einige größere Ausfälle unternommen, um die Armee zu beschäftigen und Proviant zu erbeuten, ein Durchbruchsversuch aber nicht wieder gemacht. Die bedeutendsten und zugleich die letzten Unternehmungen solcher Art waren die Angriffe auf die Stellung der Division Kummer 2. und 7. Okt. Der erste Ausfall richtete sich gegen Ladonchamps, Ste. – Agathe, St.-Remy und Bellevue: die Deutschen wurden aus der äußersten Linie, aus Ladonchamps und Ste. – Agathe, vertrieben, behaupteten aber die befestigte zweite Linie und warfen schließlich die Franzosen vollständig zurück. Am 7. Okt. nachmittags gegen 2 Uhr wandten sich am linken Moselufer französische Infanteriekolonnen mit 2–3 Batterien gegen Bellevue, St.-Remy, Grandes-Tapes und Petites-Tapes und warfen die Vorposten der Division Kummer zurück, aber von zwei Seiten kamen die 38. und 9. Infanteriebrigade zu Hilfe und nötigten den Feind zum Rückzug; bei Einbruch der Dämmerung waren sämtliche Positionen wieder gewonnen.

Die Lage der eingeschlossenen Armee, die bis zum 7. Okt. 2100 Offiziere und 40,000 Mann an Toten und Verwundeten verloren hatte, ward unter dem Einfluß moralischen und physischen Leidens mit jedem[724] Tag trauriger. Die Monate September und Oktober brachten viel Regen und machten die Biwaks außerhalb der Stadt unbehaglich und ungesund; der Mangel an Lebensmitteln ward immer fühlbarer, Pferdefleisch war zuletzt außer dem Brote, das täglich in Rationen von 500 g und schon Anfang Oktober nur von 300 und 250 g ausgegeben wurde, fast die einzige Speise. Der Bestand an Kranken wuchs täglich, die Kavallerie war nicht mehr beritten, die Artillerie zum größten Teil nicht mehr bespannt. An die Möglichkeit eines Durchbruchs war gar nicht mehr zu denken. Auch die deutsche Armee litt außerordentlich durch das lange Stilliegen bei der nassen Witterung; im Oktober wurden selbst mit Schwächung der Zernierungslinie weiter rückwärts gelegene Kantonnements bezogen. Die Rinderpest erschwerte die Verpflegung, und Typhus und Ruhr schwächten die Truppe. Indes Ausdauer und Sorgsamkeit überwanden alle Schwierigkeiten. Am 10. Okt. rief Bazaine einen französischen Kriegsrat zusammen, der sich für Anknüpfung von Unterhandlungen mit dem Feind entschied. Bazaine versuchte zunächst mit der preußischen Regierung direkt zu verhandeln und sandte den General Boyer nach Versailles; dieser forderte freien Abzug der Armee von M. mit Waffen und Kriegsgerät unter der Verpflichtung, daß sie während des Krieges nicht mehr gegen Deutschland diene. Er dachte dabei an die Wiederherstellung des Kaisertums durch seine Armee. Allein die Kaiserin Eugenie weigerte sich, als Boyer sie in Chislehurst aufsuchte, den Verhandlungen beizutreten, und Bazaine wurde vom deutschen Hauptquartier auf rein militärische Verhandlungen mit dem Prinzen Friedrich Karl verwiesen. Am 25. Okt. schickte er nach einem neuen Kriegsrat den General Changarnier nach Corny zum Prinzen Friedrich Karl, der aber einfach auf Übergabe der Armee und Festung bestand. Die Lebensmittel waren völlig erschöpft, ein weiterer Kampf hoffnungslos, und so entschloß sich der Marschall Bazaine zur Kapitulation. Über sie ward auf dem Schloß Frescaty zwischen den Generalen Jarras und Stiehle verhandelt; am 27. Okt. wurde sie abgeschlossen. Armee und Festung wurden dem Feind mit sämtlichem Kriegsmaterial und allen Ehrenzeichen überliefert. Die Armee, 3 Marschälle, 4000 Offiziere und 173,000 Mann (darunter 20,000 Verwundete und Kranke und auch die Nationalgarde), ward kriegsgefangen, ein Material im Werte von 80 Mill. Frank, 800 Geschütze, das Material für 85 Batterien, 66 Mitrailleusen, 300,000 Gewehre, gewaltige Massen von Säbeln, Kürassen etc., 2000 Militärfuhrwerke, an Ehrenzeichen 53 Adler und Fahnen, auch die wertvolle Bibliothek der Artillerieschule Kriegsbeute. Die Zernierungsarmee hatte diesen beispiellosen Erfolg mit einem Gesamtverlust von 102 Offizieren und 5000 Mann erkauft, die auf dem Schlachtfeld oder in den Lazaretten gestorben waren. Am 29. Okt. vormittags besetzten die deutschen Truppen die Forts; der Ausmarsch der Armee, die schon vorher ihre Waffen abgelegt hatte, dauerte unter strömendem Regen bis zum späten Abend. Aus den Biwaks wurden sodann die Franzosen nach und nach in die Kriegsgefangenschaft nach Deutschland abgeführt.

Die Kapitulation von M. machte die erste und zweite deutsche Armee für den Schutz der Zernierung von Paris verfügbar und befreite die dortige Armee aus einer seit der Bildung der französischen Loirearmee bedenklichen Lage; insofern hat sie die Kapitulation von Paris zur Folge gehabt und den Krieg entschieden. Bei der französischen Nation erregte sie daher auch die größte Bestürzung und den höchsten Zorn. Gambetta erließ eine leidenschaftliche Proklamation, in der er Bazaine ganz offen des Verrats beschuldigte. Die Erbitterung gegen den »homme de M.« war um so größer, als man, von aller Verbindung mit ihm abgeschnitten, ganz überspannte Hoffnungen auf seinen fortgesetzten Widerstand gesetzt hatte; eine Flut von Büchern und Broschüren ehemaliger Verteidiger von M. häufte auf ihn alle Schuld an dem unglücklichen Ausgang, und Bazaine mußte sich daher 1873 einem Kriegsgericht stellen, das ihn wegen der Übergabe von M. verurteilte. Wie fehlerhaft auch sein Verhalten Mitte August war, so ist doch nicht zu leugnen, daß er die Festung eine längere Zeit hielt, als es bei der Mangelhaftigkeit der Außenforts einer bloßen Besatzung möglich gewesen wäre. Daß M. deutsch bleiben würde, hatte schon die Proklamation des Prinzen Friedrich Karl vom 27. Okt. 1870 verkündet. Trotz aller Bemühungen Thiers', der sogar Luxemburg kaufen und gegen M. austauschen wollte, wurde es im Frankfurter Frieden 10. Mai 1871 an Deutschland abgetreten. Vgl. »Der deutsch-französische Krieg 1870/71«, redigiert von dem Großen Generalstab (Berl. 1872 ff.); »Les guerres de 1870–1871. Les opérations autour de M.« (franz. Generalstab, Par. 1903–04, 2 Bde.), dazu v. Schmid, Das französische Generalstabswerk über den Krieg 1870/71, Heft 4 s. (Leipz. 1904 f.); Bazaine, L'armée du Rhin (1871) und Episodes de la guerre de 1870 et le blocus de M. (Madr. 1883); Hérisson, La légende de M. (Par. 1888; deutsch, Berl. 1888), und weitere Schriften von Deligny, Coffiniéres de Nordeck, Fay, Jarras, Erb u. a.; v. Fircks, Die Verteidigung von M. im Jahr 1870 (2. Aufl., Berl. 1893, 3 Tle.); v. d. Goltz, Die Operationen der zweiten Armee bis zur Kapitulation von M. (das. 1874); Paulus, Die Zernierung von M. (das. 1875); v. Scherff, Die Zernierung von M. und die Schlacht von Noisseville (das. 1876); Liebach, Taktische Wanderungen über die Schlachtfelder um M. (2. Aufl., das. 1902); Führer über die Schlachtfelder von Bußler (3. Aufl., Metz 1900) und Geibel (das. 1898); Taubert, Die Schlachtfelder von M. (Bilder und Karten, Berl. 1902); Schwabenland, Karte der Kriegerdenkmäler auf den Schlachtfeldern um M. (5. Aufl., Metz 1905), auf der 83 Denkmäler verzeichnet sind (darunter 7 französische), und zwar 19 auf den Schlachtfeldern von Colombey-Noisseville, 25 auf denen von Vionville-Mars la Tour und 39 um Gravelotte-St. Privat; vgl. das Deckblatt zur beifolgenden Karte.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 13. Leipzig 1908, S. 722-725.
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