1. Befehlen die Blinden, so wird sich viel zu tadeln finden.
Lat.: Caeci praescriptio. (Erasm., 125.)
2. Bis ein Blinder verstopft ein Fass, ist schon der ganze Boden nass.
3. Blinde tragen die Nase hoch.
4. Blinde und Lahme kommen zuletzt. – Henisch, 419.
Holl.: Kreupelen en blinden komen altijd achter. (Harrebomée, I, 62.)
5. Blinder thu' die Augen auf, Heirathen ist kein Pferdekauf.
6. Das sind die schlimmsten Blinden, die ein Ding nicht wollen finden.
7. Dem blinden geschihet nach seiner gewonheit. – Henisch, 420.
Er sieht auch am Tage nichts.
8. Dem Blinden hilft keine Brille.
9. Der blind gibt einen bösen wegweiser. – Henisch, 419.
10. Der Blind sihet bey Tag soviel als bey der Nacht. – Lehmann, 97, 17.
Er ist daher gar kein so schlechter Beobachter. Vgl. die Reise um die Welt von dem blinden Engländer James Holman, welche im Jahre 1834 in London erschien.
Dän.: Den blinde seer saa meget om natten som om dagen. (Prov. dan., 74.)
11. Der Blind sihet so viel als ein Maulwurff. – Lehmann, 96, 14.
Mit nichten: die Augen des Maulwurfs sind wol klein, aber sie leuchten ihm genug zu seiner Bergwerksarbeit.
12. Der Blinde hadert nicht mit dem Busche.
Die Neger in Surinam wollen damit sagen: der Abhängige muss schweigen können; der Arme muss nicht recht haben wollen.
13. Der Blinde hofirt auf dem Dache und glaubt, die Leute sehen ihn nicht. – Burckhardt, 447.
Von einem Pinsel, der glaubt, es bemerke niemand seine dummen Streiche, so offen er sie auch treibt.
14. Der Blinde isst die Fliegen im Spinate, wenn er auch noch so viel Ekel davor hat.
15. Der Blinde isst viel Mücken. – Eiselein, 82.
16. Der Blinde spottet des Hinkenden. – Simrock, 1140.
Frz.: La pelle se moque du forgeron. (Starschedel, 306.)
17. Der Blinde trägt den Lahmen.
Holl.: De blinde draagt den kreupele. (Harrebomée, I, 61.)
18. Der Blinde träumt stets, als wenn er sähe.
Denn dies ist's eben, was er wünscht.
19. Der Blinde wirft sich gern zum Führer auf. (Kassuben.)
20. Der Blinde wünscht nichts als ein paar gesunde Augen.
Dän.: Hvad kærer den blinde uden atat han ei kand see. (Prov. dan., 74.)
21. Der blinden leiter vnd blinde fallen beide in die gruben. – Henisch, 256.
22. Die Blinde hebt den Blinden. (Arab.)
23. Die Blinden sehen's, die Narren merken's. – Körte, 652.
24. Ein Blinder erschrickt vor keinem Spiegel. – Sprichwörtergarten, 498.
25. Ein blinder findt auch ein Hufeisen. – Lehmann, 96, 6; Blum, 510; Kirchhofer, 237.
Auch dem Einfältigen glückt es zuweilen; nur den Muth nicht verlieren.
Dän.: Blind-mand finder stundom en hestesko. (Prov. dan., 74.)
[401] Engl.: A blind man may perchance hit the mark.
Holl.: De blinde schiet wel een' vagel. (Harrebomée, I, 61.)
Lat.: Sors nulli negata est.
Ung.: Néha a vak is patkóra talál. (Gaal, 220.)
26. Ein Blinder folgt dem andern.
Luther in der Bulle vom Abendfressen des allerheiligsten Herrn, des Papstes.
27. Ein Blinder führt (stösst) den andern.
28. Ein Blinder fürchtet nichts für seine Augen.
29. Ein Blinder gäbe seine Greifen (Tasten) nicht um seines Freundes best Gesicht. – Eiselein, 83.
30. Ein Blinder hat auch wol einen Freund.
Holl.: Een blinde heeft wel eene kaars. (Harrebomée, I, 62.)
31. Ein Blinder hört den Klang, erkennt aber nicht den Gesang.
32. Ein Blinder ist der Blinden Führer. – Eiselein, 83.
33. Ein blinder kan nicht verblinden. – Henisch, 419.
Lat.: Coecus non potest excoecari. (Gaal, 219.)
34. Ein Blinder kann andern den Staar nicht heilen.
35. Ein Blinder kann nicht klären, was verworren.
Frz.: Ung aveugle bien ne sçauroit destouiller fil et bien mettre à droict. (Leroux, I, 136.)
36. Ein Blinder könnte es sehen.
Von dem, was sehr deutlich und klar ist.
Frz.: Un aveugle y mordrait, y pourrait mordre. (Starschedel, 28.)
37. Ein Blinder meint, alle Kühe seien schwarz.
38. Ein Blinder muss nicht von Farben reden.
Frz.: Un aveugle ne peut pas juger des couleurs. (Kritzinger, 45.)
39. Ein Blinder nennt den andern Glupoge1. – Bücking, 331.
1) Schieler.
40. Ein Blinder scheusst auch eine Krähe (Raben, Vogel). – Lehmann, II, 52, 56; Henisch, 420.
Holl.: Een blind man schiet somtijds wel een kraai. (Bohn I, 312.)
Lat.: Contingit et malis venatio. (Philippi, I, 92.)
41. Ein Blinder schilt den andern.
Engl.: The blind reproach the blind.
42. Ein Blinder schluckt manche Fliege (Mücke) mit hinunter. – Körte, 651.
43. Ein Blinder siehet so viel als der ander.
Dän.: Alle blinde ere enige derudi, at ingen seer solen; dog skinner solen, om end ingen af dem seer den. (Prov. dan., 74.)
44. Ein Blinder sieht auch auf dem Blocksberge nichts.
45. Ein Blinder sieht keine Himmelszeichen.
Tausende sehen die Zeichen der Zeit ebenso wenig.
46. Ein Blinder sieht nicht, wenn man ihn auch an die Laterne hängt.
47. Ein Blinder soll nicht sehen.
Keiner, bemerkt Lehmann, soll mehr wissen und verstehen, als in seinen Sack geht.
48. Ein Blinder spottet des Hinkenden. – Simrock, 1140.
49. Ein Blinder stösst überall an.
50. Ein Blinder weiset dem andern den Weg. – Simrock, 1142.
Ein Unwissender wirft sich zum Lehrer des andern auf.
Dän.: Blind leder ofte en anden blind. – En blind viiser den anden veyen. (Prov. dan., 73.)
Frz.: C'est un aveugle qui mène l'autre. (Starschedel, 29.)
51. Ein blinder weiss offt auch die griff auff der Lauten. – Lehmann, 96, 6.
Leistet oft ohne besondern Unterricht schon viel; betrachten wir aber die Leistungen der Blinden, welche aus unsern Instituten hervorgehen, so werden wir unser Staunen nicht bergen können.
52. Ein Blinder wird schwerlich einem Blinden den rechten Weg weisen. (Altröm.)
Wenn ein Einfältiger einen Gelehrten belehren und ein Schwachkopf einem Klugen guten Rath ertheilen will.
53. Eine Blinde schert eine Wahnsinnige. – Burckhardt, 420.
Wenn ein Geschäft durch unpassende Personen, die es verrichten, lächerlich wird.
54. Einem Blinden ist gut Schirmschläge machen. – Henisch, 420.
55. Einem Blinden schadet der Rauch nichts.
Ihn beisst manches nicht in die Augen, was den Sehenden Thränen auspresst.
56. Eines Blinden Weib braucht sich nicht zu schminken.
Engl.: For whom does the blind man's wife paint herself? – The blind man's wife needs no painting. (Bohn II, 3.)
Span.: La muger del ciego, ¿para quién se afeita? (Bohn I, 227.)
[402] 57. Er hat einmal drei Blinden was gegeben, aber sie können noch nicht sehen, was es ist.
Trefflicher Spott der Holsteiner auf die Mildthätigkeit eines Geizhalses.
58. Es findet auch yn ein blinder eyn huffeisen. – Tappius, 159a; Sailer, 113; Körte, 649; Eiselein, 83; Seybold, 533; Sutor, 277.
59. Es ist gut, mit Blinden im Langenspiess fechten. – Lehmann, II, 154, 133.
Span.: Palo de ciego, que saca polvo de debajo de agua. (Bohn I, 239.)
60. Es ist umsonst, dem Blinden ein Licht anzuzünden.
61. Es leitet kein Blinder den andern recht. – Henisch, 420.
62. Es sind keine schlimmern Blinden, als die nicht sehen wollen, und keine schlimmern Tauben, als die nicht hören wollen.
Frz.: Il n'est pire aveugle que celui qui ne veut pas voir, ni pire sourd que celui qui ne veut pas entendre. (Kritzinger, 45; Starschedel, 29.)
It.: Non vi è il maggior cieco di quello, che non ci vuol vedere. (Pazzaglia, 54.)
63. Frage nicht den Blinden, wo der rechte Weg zu finden. (Serb.)
64. Ich habe dem Blinden Essen gekocht, es hat ihm geschmeckt und er hat mir nicht ge dankt; wenn ich ihm seine Kleider wasche, die er nicht sehen kann, wird er mir dafür danken? (Surinam.)
Wer für das nicht dankbar ist, wovon er einsieht, dass es zu seinem Besten geschieht, der wird noch viel weniger für das dankbar sein, dessen Zweck er nicht begreift.
65. Lass keinen Blinden und Lahmen ins Haus kommen. – 2 Sam. 5, 8.
Wenn ein Unwürdiger von einer Ehre ausgeschlossen wird.
66. Man sagte zum Blinden: Das Oel ist theuer geworden, und er antwortete: Ich brauche keins. (Aegypt.)
67. Mit einem Blinden muss man nicht vom Glanze des Diamanten und mit einem Tauben nicht vom Schalle der Cymbel reden.
68. Nur ein Blinder kann im Walde nach Schatten suchen. – Altmann V.
69. Thi Blinj skaad an Kriak. (Nordfries.) – Firmenich, III, 3, 25.
70. Unter Blinden kann auch ein Buckliger König sein. – Simrock, 1138.
71. Unter Blinden verlernt man das Sehen.
72. Vnder den blinden ist der scheele künig. – Tappius, 152a; Lehmann, 96, 5.
Frz.: Au royaume des aveugles les borgnes sont rois. (Lendroy, 3; Starschedel, 28; Kritzinger, 45.)
Holl.: De scheele is een koning onder de blinden. (Harrebomée, I, 61.) – In het land der blinden is eén-oog koning. ( Harrebomée, I, 62.)
Lat.: Caecorum in patria luscus rex imperat omnis. (Apostol., 8; Binder II, 386.) – Inter caecos regnat strabus. (Erasm., 278; Seybold, 252; Binder I, 782; II, 1531; Philippi, I, 205; Faselius, 123; Wiegand, 808.)
73. Vnder den blinden ist ein eynäugiger (Schieler, Buckliger) ein künig. – Franck, I, 22a; Winckler, VI, 34; Sailer, 187; Simrock, 1137; Henisch, 420; Kirchhofer, 241; Lehmann, II, 792, 110; Gaal, 222; Körte, 646; Grimm, II, 124; Tunn., 32, 18.
Unter Unwissenden gilt der, welcher nur einige Kenntnisse hat, für sehr gelehrt. Unter Wenigbegabten kann schon der Mässigbegabte eine Rolle spielen. Unter Bettlern ist der ein Krösus, der nur etwas besitzt. Der Ehrgeiz bezieht sich stets auf die nächsten Umgebungen; im Dorfe gilt's Schulze zu werden; in einer Spiessbürgerwelt ist der lächerlichste Spiessbürger gross, sowie im Narrenhause die grössten Narren und in den Hospitälern die bedenklichsten Kranken die bedeutendste Rolle spielen. In den dreissiger Jahren wurde im Departement der Oise ein Knabe geboren, der nur ein Auge hatte. Der Courrier de l'Europe prophezeite ihm in Gemässheit des obigen Sprichworts das Portefeuille eines ersten Ministers von Frankreich.
Frz.: Au pays des aveugles croy, qui a un oeil y est roy. – Au royaume des aveugles les borgnes sont rois. (Leroux, I, 136.) – Parmi les aveugles le borne est roi.
[403] It.: Beato chi ha un occhio in terra de ciechi. (Pazzaglia, 54.)
Lat.: Inter pygmaeos non pudet esse brevem. – Monoculus inter caecos rex. (Philippi, I, 254.) – Nocte lucidus, interdiu inutilis. (Erasm., 17.)
74. Vor den Blinden schirmen heisst Spiegelfechten. – Grimm, II, 124.
75. Wan ein blinder vnbekante weg geht, so stosst er allenthalben an. – Lehmann, 96. 13.
Der unerfahrene Privatmann, bemerkt Lehmann, muss sich nicht in Regimentsgeschäfte einlassen.
76. Wann Blinde und Schele zusammenkommen, führen sie wunderbare streiche. – Lehmann, 96, 12.
77. Was ein Blinder fürs Licht gibt, ist alles umsonst. – Körte, 645.
78. Was einem Blinden schwarz ist, machen ihm zehn Maler nicht weiss.
79. Was hilft dem Blinden die Farbe?
Lat.: Quid miserum Thamyrin picta tabella juvat? (Ovid.) (Philippi, II, 130.)
80. Was hilft dem Blinden eine Brille?
It.: Al cieco nulla servono gl'occhiali. (Pazzaglia, 54.)
Lat.: Quid coeco cum speculo? (Seybold, 484.)
81. Was hilft es einem Blinden, wenn man ihm den Kronleuchter anzündet!
82. Was hilft's, dass man einem Blinden eine Fackel vorträgt!
83. Was sol eim blinden ein spiegel! – Franck, I, 18b; Körte, 650; Eiselein, 83; Simrock, 1148.
Dän.: Hvad skal en blind med speil, en død med prædiken, en ulærd med bøger, en daare med regiering, og en niding; med rigdom. (Prov. dan., 74.)
Holl.: Wat doet de blinde met den spiegel. (Harrebomée, I, 62.)
84. Was soll dem Blinden das Licht!
Holl.: De blinde heeft geen licht van doen. (Harrebomée, I, 61.)
85. Was weiss der Blinde von Farben?
It.: Il cieco non puol giudicar i colori. (Bohn I, 101.)
86. Wenn Blinde und Schele zusammenkommen, stösst einer den andern über den Haufen und einer heisst den andern einen blinden Schelm. – Simrock, 1145.
87. Wenn der Blinde den Lahmen trägt, kommen sie beide fort (fällt keiner in die Grube). – Sprichwörtergarten, 313; Hermann, III, 13; Henisch, 421; Körte, 647; Grimm, II, 124; Simrock, 1141.
Dän.: Naar den blinde bærer krøblingen, komme de begge frem. (Prov. dan., 74.)
Frz.: Quand l'aveugle porte la bannière, mal pour ceux qui marchent derrière. (Leroux, I, 286.)
88. Wenn du zu einem Blinden gehst, so schliesse deine Augen. (Türk.)
89. Wenn ein Blinder dem andern den Weg weiset (oder: den andern führt), so fallen sie beyde in die Gruben. – Matth. 15, 14; Luc. 6, 39; Schulze, 217; Simrock, 1143; Körte, 648; Henisch, 420; Lehmann, 96, 4.
Dän.: Naar en blind leder en anden, falde de begge i graven. (Prov. dan., 74.)
Holl.: Als de eene blinde den andere (de blinde den kreupele) leidt, valle ze beide in de gracht. (Harrebomée, I, 61.)
It.: Allorchè un cieco vuol guidar l'altro, cadono entrambi nella fossa. – Chi prende il cieco in guida, mal consigliasi. (Gaal, 221.) – Se un cieco guida l'altro, cascano ambidue nella fossa. (Pazzaglia, 54.)
Lat.: Coecus forte ducem coecum si nactus oberret, incidet in foveam pariter demersus uterque. (Sutor, 563.)
90. Wenn ein Blinder führt den andern, werden beide nicht weit wandern. – Gaal, 221.
91. Wenn sich der Blinde für blind hält, fängt er an zu sehen. – Sprichwörtergarten, 372; Scheidemünze, I, 3.
Selbsterkenntniss ist der Weg zur Weisheit.
92. Wer Blinde zu Führern hat, verliert sicherlich den Pfad.
Dän.: Hvo der lader sig lede af en blind, og raade af en galen, han fær ilde. – Tag hverken en blind leder, eller daarlig raadgiver; thi daarlige anslag ville ei lykkes altid. (Prov. dan., 74.)
93. Wer dem blinden Brillen, dem Tauben Lauten, oder Wein dem verehrt, der ihn nicht trinkt, hat sein Gaben übel angelegt.
Frz.: A l'aveugle ne duit peinture, couleur, miroir ne figure. (Leroux, I, 136.)
[404] 94. Wer vom Blinden lernet, der ist und bleibet blind. – Nass. Schulblatt, XIV, 5.
*95. Das kann ein Blinder sehen.
So deutlich klar, einleuchtend ist die Sache.
Frz.: Un aveugle y mordrait. (Lendroy, 92; Starschedel, 28.)
Holl.: Dat zou een blinde zonder bril niet kunnen onderscheiden. (Harrebomée, I, 61.) – Men ziet het met twee oogen wel, waar van het cene blind is, en het andere niet zien kan. (Harrebomée, II, 114.)
Lat.: Apparet etiam satis coeco. (Livius.) (Binder II, 202.) – Coecis hoc clarum est. (Quintilianus.) – Vel caeco apparent. (Erasm., 745; Seybold, 621; Faselius, 267; Wiegand, 937.)
*96. Das kann ein Blinder sehen und ein Ochs verstehen.
Holl.: Een blinde zou't wel zien, en een nar bemerken. (Harrebomée, I, 62.)
*97. Dat kann keen Blinder sehn. – Eichwald, 131.
*98. Dem Blinden einen Spiegel verkaufen. – Körte, 652.
Lat.: Caeco speculum vel picturae. (Bovill, I, 28.)
*99. Der eine blind leittet den andern. – Henisch, 419.
Lat.: Caecus caeco dux. (Erasm., 128; Seybold, 60; Buchler, 56; Binder I, 147; II, 388.)
*100. Die Blinden sehen zuweilen mehr als die Sehenden.
Saunderson, der blinde Mathematiker, unterschied durch seinen innern Sinn im Freien Tag und Nacht, ja heitern von umwölktem Himmel. Gambassi, der blindgeborene, plastische Künstler im Val d'Elsa, besass sogar den Instinct der Farben, die er niemals gesehen, also auch nicht im Gedächtniss behalten haben konnte. Clacklock, der blinde Dichter, bediente sich bestimmter folgerechter Wörter von Gegenständen, ohne von diesen correspondirende Ideen zu haben. Saunderson las trotz seiner Blindheit über Optik. (Vgl. die Abhandlung von A. Clemens: Von der stellvertretenden Thätigkeit der Sinne in Gutzkow's Unterhaltungen am häuslichen Herd, 1856, S. 617.)
Lat.: Caecus de coloribus disputat. (Philippi, I, 67.)
*101. Einem Blinden den Weg weisen.
It.: Ad un cieco mal può mostrarsi il camino.
*102. Einem Blinden eine Fackel vortragen.
*103. Er redet wie der Blinde von der Farbe. – Sandvoss, 129.
Dän.: En blind dømmer om farven. (Prov. dan., 74.)
Frz.: Il en juge comme un aveugle des couleurs. (Lendroy, 94.)
Holl.: Hij oordeelt erover als een blinde over de kleuren. – Hij spreekt daarvan, gelijk de blinde van de vanen. (Harrebomée, I, 62.)
*104. Es het e Bling es Rossise g'funge.
*105. Es ist ein Blinder ohne Stock.
Von einem sehr Armen, Bettel- oder Blutarmen.
Frz.: C'est un aveugle sans bâton. ( Starschedel, 28.)
*106. Es möcht's ein Blinder sehen. – Kirchhofer, 237.
*107. Es zeigt ein Blinder dem andern den Weg.
Frz.: C'est un aveugle qui mène l'autre. (Starschedel, 29.)
*108. He hett ins twê Blinde wat gebn, de könnt't noch ni sehn. – Eichwald, 132.
*109. He hett ok êns en poar Blinnen 'n Drîer gäben un se süken 'n hüt noch. (Strelitz.) – Firmenich, III, 72, 58.
*110. Wie der Blinde am Fenster. – Tendlau, 150.
zu20.
Auch die Türken sagen: Der Blinde hat keinen höhern Wunsch, als die Augen. (Weigel.)
Lat.: Organa visina (visina) sunt ceco plus dolitina (dolitina). (Reuterdahl, 672.)
Schwed.: Hwat kaare thaen blinde wtan sin öghon. (Reuterdahl, 672.)
zu25.
In Bedburg: 'Ne Bleng fengk ôch îns en Hofiser.
zu62.
Who is so blind as he, that will not see! (Gaal, 399.)
zu73.
»Wo man findt viel blinder geste, da ist der einäugig der beste.« – Die Rumänen: »Wer in der Blinden Land nur ein Auge zählt, der wird zum Kaiser sicherlich gewählt.« (Schuller, 24.)
Engl.: In the land of the blind one-eyed people are kings.
Schwed.: I de blindes rike är den enögde konung. (Marin, 17.)
zu89.
Böhm.: Když slepý slepého vodí oba v jámu upadnou. – Slepý slepého vůdce oba do jámy. (Čelakovský, 20.)
Kroat.: Kad slépec slepca vodi, v jamu obodva opadú. (Čelakovský, 20.)
Schwed.: När den ene blinde leder den andre, falla de bäda i gropen. (Marin, 21.)
Span.: Si el ciego guca al ciego, ambio van à peligro de caer en el hogo. (Don Quixote.)
zu93.
Frz.: A l'aveugle ne duit peinture, vouleur miroir ne figure. (Leroux, I, 136.)
zu95.
Bei Tunnicius (945): Dat süt wol ein blinde. (Vel caecus videat, qui nullo lumine gaudet.)
zu103.
Mit einem Blinden über Farben reden. »Als wenn von Farben redt ein Blind.« (Waldis, IV, 26.) – In Russland: Mit einer Hure von Keuschheit reden. (Altmann VI, 517.)
Lat.: De sole caecus judicat. (Binder II, 720; Novarin, 465.)
[1014] 111. De Blinde sitt et nich, der Domme versteit et nich, on de Dwatsche denkt, et mot so sön. (Königsberg.) – Frischbier, II, 388.
112. Dem Blinden ist gut vorschirmen.
Bei Tunnicius (240): Dem blinden is gut vôrschermen. (Non est difficile miseros illudere caecos.)
113. Der Blinde fragt nicht, wie theuer das Öl ist.
Die Armenier: Was kümmert's den Blinden, dass das Licht theurer wird. (Ausland 1871, 404a.)
114. Der Blinde singt nicht umsonst.
It.: Per niente l' orbo non canta. (Giani, 1200.)
115. Der Blinde sucht eine Nadel in der Scheune und der Lahme macht einen Korb, sie hinein zu werfen. – Sanders, 25.
Wenn völlig ungeeignete Kräfte sich zur Lösung einer Aufgabe verbunden haben, oder dafür verwandt werden. Eine ähnliche Redensart hat auch das folgende neugriechische Sprichwort: Der Blinde sieht eine Nadel, welche in die Streu gefallen ist; und der Taube sagt ihm, wo sie nach dem Schall hingefallen sein kann. (Sanders, 25a.)
116. Der Blinde tappt so lange bis er fällt.
In Warschau lautet ein jüdisch-deutsches Sprichwort: Bojden (Boden, Heuboden) Bojden, aus Bojden. Wird in Sachen gebraucht, die eine Zeit lang hinhalten, bis sie ein trauriges Ende nehmen. Das Bild ist von einem Blinden entnommen, der auf dem Heuboden so lange herumtappt, bis dieser seinen Füssen entschwindet und er dann zur Erde fällt.
117. Der Blinde will alles sehen, der Stotternde über alles reden und der am wenigsten Verstand hat, am meisten klug sprechen.
Böhm.: Breptavý nejvíc chce mluviti, kulhavý schoditi, slepý vidĕti, bezmlý dĕlati a blázen mudrovati. (Čelakovský, 70.)
118. Die Blinden bitten für die Einäugigen. – Opel, 396.
119. Ein Blinder, der eine Fackel trägt, leuchtet Andern, siehet sie aber selber nicht. – Harssdörffer, 584.
Von Einem, der viel weiss, sich aber selber nicht regieren kann.
120. Ein Blinder, so fürt sein gesellen, thut jhn mit sich in d' gruben fellen.
Lat.: Si caecus caecum conatur ducere secum, in foueam ductor cadit, atque deinde secutor. (Loci comm., 20.)
121. Einem Blinden ist ein hässlich Weib schön genug. – Pers. Rosenthal, 125.
122. Es sieht mancher Blinde mehr als ein Anderer mit zwei Augen. – Einfälle, 371.
123. Ne, seggt de Blinde, ök kann fer mim Oge nich linksch danze sehen. (Samland.) – Frischbier, I, 387.
124. Unter Blinden muss man die Augen schliessen. – Schlechta, 400.
125. Was will der Blinde im Bildersaal und der Taube im Concert.
Lat.: Cecus nil haurit aliquod surdaster vt audit. (Reuterdahl, 117.)
Schwed.: Döwer hörer nakath ok blindher seer inthoe. (Reuterdahl, 117.)
126. Wenn der Blinde den Lahmen trägt vnnd der Lahm dem Blinden den Weg zeigt, so kan ein gebrechlicher mit dem andern fortkommen. – Lehmann, 508, 74; Henisch, 1183, 46; Petri, II, 633.
127. Wenn ein Blinder einen stost, vnnd der es jhme wider thut, ist einem narren sehr ehnlich. – Lehmann, 590, 14.
128. Wer blind werden soll, dem muss man es an den Augen ansehen. – Fischer, Psalter 353, 2.
129. Wer durch das Land der Blinden geht, schliesse die Augen (oder: der mache ein Auge zu). – Schuller, 23.
130. Wer eine Blinde küsst, schaut ihr doch in die Augen.
Die Rumänen: »Die Blinde küsse gern; allein schau dennoch in die Augen ihr hinein.« (Schuller, 24.)
*131. Blinder, sist de Marjeborg nich. – Frischbier, I, 3465.
(S. ⇒ Marienburg, Nachtr.)
*132. Blinder, sperr' ⇒ oculos (s.d.). – Frischbier, II, 386.
[1015] *133. Blinger, sachst nich det Kränzke? (Oberland.) – Frischbier, I, 385.
Wenn man etwas Augenfälliges nicht wahrnimmt.
*134. Da schoss der Blinde eine Krähe.
Altfries.: De ar skuat de Blinj en kraek. (Hansen, 8.)
*135. Das kann der Blinde mit dem Stock fühlen. – Frischbier, I, 383.
*136. Einem Blinden das Auge austreten.
Unvorsichtiger Weise in Menschenkoth treten. In Wien: Du häst an Blind'n 's Auge austreten.
*137. Er ist vonn blinden beraubt worden, zwischen zwo kanten. (S. ⇒ Hund 1571.) – Franck, II, 23b.
Von einem, der nichts besitzt.
*138. Es fürt ein Blinder den andern. – Hauer, Liij.
*139. He gaf mal säwe Blinde, hedde se em gesehen, so hedde se em gedankt. (Danzig.) – Frischbier, I, 1072.
*140. He hebt wol eer drê Blinden wat gewen, un se könt noch nig seen, wat se kregen heft. – Schütze, I, 114.
Von einem Geizigen, der einmal drei Blinden etwas gab, sie konnten aber nicht sehen, was.
*141. Sie haben einen Blinden geschlagen.
Diese Redensart wird (nach Kreuz) gewöhnlich von herumziehenden Schauspielern, Gauklern und dergleichen gesagt, die keine Zuschauer gehabt, oder deren so wenig bekommen haben, dass sie ihnen ihr Geld wieder haben müssen herausgeben.
Frz.: Nous avons fait un four. (Kritzinger, 329a.)
*142. Zwei Blinde boxen mit einander.
Dän.: Der skerme ta blinde sammen. (Adabatarum more pugnant.) (Prov. dan., 74.)
Brockhaus-1911: Taubstumme Blinde
Herder-1854: Blinde, Blindenanstalten
Lueger-1904: Blinde Raa · Blinde Mine · Blinde Mauer
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Camilla und Maria, zwei Schwestern, die unteschiedlicher kaum sein könnten; eine begnadete Violinistin und eine hemdsärmelige Gärtnerin. Als Alfred sich in Maria verliebt, weist diese ihn ab weil sie weiß, dass Camilla ihn liebt. Die Kunst und das bürgerliche Leben. Ein Gegensatz, der Stifter zeit seines Schaffens begleitet, künstlerisch wie lebensweltlich, und in dieser Allegorie erneuten Ausdruck findet.
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Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
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