Tortur

[704] Tortur (TorturaTormentum, Folter, Peinliche Frage), die Hauptunterart der sonst im Criminalprocesse allgemein angewendeten Peinlichkeit, d.i. der Androhung (Territio) od. Zusügung (Tortura) körperlicher Schmerzen, um wahrheitgemäße Aussagen von dem Gepeinigten zu erhalten. Die Territion geschah blos durch mündliche Drohung u. Vorzeigung der Marterinstrumente (Territio verbalis), od. durch Anlegung des Marterkittinstrumente ohne Schmerzen in der Marterkammer, einem gewöhnlich finstern, abgelegnen Behältniß, wo die T. executirt wurde, u. bei nächtlicher Weile (Territio realis), s. Territion. Bei der wirklichen T. hieß der Gemarterte Tortus, die Handlung Torquiren, Torturiren. Nur auf Erkenntniß der Criminalbehörde, wozu mindestens ein halber, aber höchstens bei der Territion ausreichender Beweis neben klarer Eruirung des Thatbestandes u. ein solches Verbrechen erfordert wurde, dessen Strafe im Verhältnisse zu der Peinlichkeit stand. Darnach richtete sich auch der Grad der Peinlichkeit. In den meisten Ländern hatte die T. drei Grade: die Daumenschrauben u. Schnüren; die Leiter; das Feuer. In anderen gab es noch weitere Grade. Das Urtheil wurde nur so weit eröffnet, daß der Inquisit die Art der T. nicht erfuhr. Der Inquisit konnte sich gegen deren Anwendung vertheidigen lassen (Defensio pro avertenda tortura). I. Als Torturinstrumente (Folter-, Marterinstrumente, Tormenta) waren A) die gebräuchlichsten: a) die Daumenschrauben (Daumenstöcke, Daumeneisen) (Pollicum compressio), ein eisernes Schraubenzeug, welches auf das zweite Gelenk gesetzt, zu Erhöhung des Schmerzes öfter gelüstet u. nach u. nach damit gequetscht wurde. Das Anlegen bezeichnete den gelindesten, das Angreifen damit den höchsten Grad derselben. b) Das Schnüren (Leine Fidiculae, Funiculi), schwache Schnüre, welche hart über dem Handgelenke angelegt, angeschleift u., sollte nur der Anfang damit gemacht werden, das Fleisch der zusammengebundenen Arme geknippen, war aber das Schnüren mit völliger Bande erkannt, vom Gelenke bis zum Ellenbogen drei Ringel od. Reisen durch Hin- u. Herziehen der Schnüre gesägt wurden. c) Die Leiter (eigentliche Folter, Expansio in scala); eine gewöhnliche feste Leiter, an ihrem oberen Ende ein vierräderiger Kloben od. Flaschenzug, durch welchen an einem Haken der, mit den Schenkeln an der Leiter befestigte Inquisit so ausgedehnt wurde, daß entweder die, auf dem Rücken zusammengebundenen Hände verkehrt über den Kopf gezogen, od. daß der Oberkörper durch einen Strick unterhalb der Arme hinausgetrieben wurde. Häufig wurden an die Füße Gewichte gehängt. Verschärfung der Leiter waren: aa) die Beinfolter (Beinschrauben, Beinstiefeln, Beinstöcke, Stiefel, Spaniche Stiefel, Crurum compressio, Caligae hispanicae, Pedicae ferreae), oft auch als ein besonderer Grad der T. allein angewendet; oft nenntman auch das doppelte spanische Fußband im Großen Daumenschrauben, zwischen welchen Wade u. Schienbein, die Beine frei in der Schwebe hängend, zusammengequetscht u. dabei der Schmerz mittelst öfteren Lüftens u. Wiederzusammenschraubens, vorzüglich mittelst Klopfens an die Beinschraube mit dem Schlüssel (Spanner, Dreher, Folterhammer), zur Unerträglichkeit gesteigert wurde. Wahrscheinlich waren damit verwandt die, schon früher außer Übung gekommenen stacheligen Schuhe (stacheligen Bünden, Braunschweigischen Stiefel). bb) Der Gespickte Hase, eine mit Zacken versehene, hinter dem Rücken des Inquisiten an den Leiterbäumen so angebrachte Rolle, daß dieser bei dem Aufziehen u. Herunterlassen von den Zacken gestochen wurde; bes. im Herzogthume Magdeburg üblich. d) Das Feuer, angezündete Schwefelfaden, od. in Schwefel eingetauchte u. angezündete Federkielen (Schwefelfedern) vorzüglich auf des Inquisiten Rücken geworfen. Eben so wurde det Pechknäuel angewendet, ein 1/2 Elle langes, mit Hanf umwundenes, in Pech getauchtes u. angezündetes Stück Holz; desgleichen das Pechpflaster, angezündet dem Gemarterten auf den Leib geklebt. Höhere Grade waren, daß der Angeschuldigte mit bloßen Füßen über glühende Kohlen weggehen mußte, od. daß die Füße mit Fett od. Öl bestrichen, od. ihm mit Fett beschmierte Schuhe od. Stiefeln angezogen u. seine Füße über brennendes Feuer gehalten wurden. e) Das Haarseil od. Pferd, wobei man dem Inquisiten mit einem, zwei Finger starken, an jedem Ende mit einem Knebel zum Anfassen versehenen Seile von Pferdehaaren, das Fleisch an Armen u. Beinen durch Hin- u. Herziehen zerrieb. f) Kienstöcke, spitzige Zwecken von Kienholz unter die Nägel geschlagen u. angezündet. Statt der Leiter kam bei Hexen u. Zauberern zuweilen in Anwendung: g) der Spanische Bock (Mecklenburgisches Instrument, obgleich es in Mecklenburg nicht gebräuchlich war), den Daumenschrauben ähnlich, worein die Daumen u. großen Fußzehen zusammen, je kreuzweise eingeschraubt, dem Inquisiten Stäbe zwischen den Armen durchgesteckt u. durch Schnuren an den Schrauben die Hände zu den Füßen gezogen wurden. Auch gab man dem Unglücklichen zuweilen noch salziges Getränk (Hexentrank) in einem geheizten Zimmer ein. h) Die Bamberger Folter (Tormentum bam bergense), zu Bamberg um 1730 erfunden, von da in mehren andern Landen, z.B. 1733 in Erfurt, angenommen, bestand darin, daß der (entkleidete) Inquisit, auf einem hölzernen Bocke sitzend, an Händen u. Füßen geknebelt, auf den gekrümmten Rücken mit einer ledernen, mit spitzigen Knoten versehenen Peitsche so viele Hiebe erhielt, bis er bekannte. Gestand er am ersten Tage nicht, so wurde, nach Anwendung einer bestimmten Salbe, die Procedur wiederholt; vgl. Henne,De usu et abusu tormenti Bambergensis, Erf. 1764.

B) Die frühere Zeit ist in der Aufstellung solcher Martern noch viel erfinderischer gewesen; so findet sich: a) das Folterroß (Folterpferd, Marterholz, Eculus, Equuleus, Lignum tortorium, Stipes noxalis, Crux), bei den Römern eine hölzerne Maschine, nach Einigen in Gestalt eines Pferdes, nach And. ein schneckenförmiges Schaffot, wodurch der daran mittelst der Fidiculae[704] , bes. Schmerzen erregende Schnüre, od. Riemen, od. Häkchen, festgebundene Mensch ausgedehnt u. mit Fleisch- u. Klauenzangen (Ungulae), worin eiserne Nägel waren, die Haut u. Stücken Fleisch von den Rippen abgerissen wurden. b) Der Eiserne Handschuh (Chirotheca ferrea) mit spitzigen Haken. c) Bei den Atheniensern, außer dem Folterrad, womit die Verbrecher ausgedehnt wurden, noch mehre Marterinstrumente. d) Die Wasserfolter (T. aq uae), durch Eingießen von, manchmal mit beißenden Substanzen, z.B. Meerrettig, Essig, Kalk etc. geschwängertem Wasser in die Nase, od. bei zugehaltener Nase in den Mund. e) Die Hungerfolter (T. famis); f) die Durstfolter (T. sitis), wobei der Inquisit gesalzene Speisen erhielt; g) die Wachfolter (T. vigiliae vel insomniae), alle drei durch ihre Namen charakterisirt. h) Tortura cum scarabaeo vel mure, mittelst Ansetzung beißender Käfer, z.B. Schröter, Feuerwürmer etc., od. einer Maus unter einem eisernen u. heiß gemachten Gefäß auf den Nabel des nackt aufgebundenen Inquisiten. i) Die Ziegensolter(T. cum capra), durch Bestreichen der zuweilen noch dazu aufgeschnittenen Fußsohlen mit Salz, welches hungerige Ziegen ablecken mußten, wodurch die Fußsohle bis auf die Knochen verwundet wurden. k) Die Salzfolter (T. ex sale et linteo), Eindrücken eines in Salzwasser getauchten Tuches in den Schlund. l) Die Striegelfolter, durch Striegeln des Körpers des Inquisiten. m) Die Strickfolter (T. funis vel chordae, Regina tormentorum), wo der Inquisit mit, auf den Rücken gebundenen Händen in die Höhe gezogen wurde u. so in der Schwebe bängen mußte, wobei man ihn sogar schwenkte, mit dem Stricke zuckte, an die Füße Lasten hängte, ihn mit Wasser beschüttete u. dies anfrieren ließ, ihn an die Erde legte u. mit Einem Male wieder in dies Höhe riß; bes. bis ins 17. Jahrh. in Italien gewöhnlich. n) Die Knöchelfolter (T. taxillorum, in Italien la Stanghetta), heftiges Zusammendrücken der Knöchel, bes. an den Füßen, durch ein eisernes Instrument. o) Die Fingerpresse (T. sibilorum, früher von anderer Art Digitale), ein hölzernes, aus sechs Pfählchen, welche zwischen u. um die Finger gesteckt wurden, bestehendes Instrument. nach dessen Anlegung die Maschine mit einem starken Strick zusammen gezogen wurde. p) Die Handschraube, womit die Hand ein- u. festgeschraubt wurde. q) Die Ruthenfolter (T. cum virga et ferula), Hauen des Inquisiten mit Ruthen, bis er gestand (selbst früher in Deutschland bei Kindern gebräuchlich), wobei in manchen Ländern die Schamtheile zusammengeschnürt u. mit Ruthen gehauen wurden. r) Die Fußzehenfolter, Ausdehnen der großen Zehen des festgebundenen Inquisiten durch, an erstere gehängte Gewichte od. eine Winde, wobei auch an manchen Orten der ganze Körper zwischen zwei Breter so eng eingespannt wurde, daß er beim Ziehen der Fußzehen nicht nachgeben konnte. s) Die Pommerische Mütze (Pommerischer Kranz), Haarseile, Kopf- u. Stirnbänder mit Knoten u. eisernen, gleich den Beinstiefeln ausgefeilten Kettengliedern, um die Stirne gewunden u. durch einen Knebel scharf angezogen. t) Der Lüneburgische (stachelige) Stuhl (stachelige Wiege), ein mit spitzigen Nägeln überall versehener Stuhl, auf welchen der Inquisit aufgedrückt wurde, od. ein Großvaterstuhl mit so, wie ein gespickter Hase ausgekerbten, hölzernen Stacheln, so daß der entkleidete Inquisit weder sitzen, noch stehen, noch liegen konnte, ohne die Stacheln zu fühlen. u) Der Halskragen, woran der Inquisit so in die Höhe gezogen wurde, daß er nur mit den Fußzehen auffußen konnte. v) Der Manheimer Bock (Manheimer Bank, Eculeus manhemensis), wahrscheinlich verwandt mit dem mecklenburgischen Instrumente u. der Bam bergischen Folter; w) brennende Eisen, brennendes Blech (bes. bei den Römern in der Christenverfolgung üblich), brennendes Pulver, brennende Eier, welche letzteren dem Inquisiten in die Höhle unter den Armen gelegt wurden; x) Spanische Kappe, Dänischer Mantel, Englische Jungfrau etc. y) Die Kugel, ein kugelförmiges Werkzeug, worein der Inquisit gesteckt u. so hin u. her gekegelt wurde. Sonst sollen in Rußland die Inquisiten mit, auf den Rücken gefesselten Händen in die Höhe gebunden u. an die Füße ein Balken befestigt worden sein, auf welchen der Scharfrichter sprang u. dadurch den Körper ausdehnte, während unter dem Inquisiten Feuer angezündet wurde. Auch soll den Inquisiten, nach abgeschorenen Haaren, kaltes Wasser auf den Kopf bis zum Geständniß getröpft worden sein. In England wurde erst unter Georg III. die Todtenpresse abgeschafft; die Angeschuldigten wurden dabei in einer niedrigen, dunklen Kammer nackt auf den bloßen Fußboden gelegt, auf der Brust ein Gewicht von Eisen, so schwer wie sie es nur ertragen konnten, u. erhielten den ersten Tag drei Bissen des schlechtesten Brodes, den zweiten drei Schlucke des nächsten stehenden Wassers bei der Gefängniß chüre, bis sie starben od. antworteten. Chinesische Richter sollen die T. bewirken durch Zusammenpressen der Finger zwischen Stöcken, bis erstere aus den Gelenken gehen, u. der Füße in gleiche Maße durch zusammengebundene Breter, welche zu Erhöhung der Schmerzen mit dem Marterhammer angeschlagen werden. In Siam wird der Kopf des Inquistten zwischen. wel Stücken Holz mittelst starker Schrauben so gekennet, daß das Blut aus den Augen u. Ohren spritzt. Für die Hände bedient man sich eines Instrumentes mit fünf Stacheln, welche in die Gelenke od. unter die Nägel der Finger gebohrt werden.

II. Die Ausübung der T. geschah nicht an Feiertagen, nicht wenn der Inquisit eben gegessen hatte, sondern gegen Morgen od. in der Nacht; die Zeit wurde dem Inquisiten möglichst geheim gehalten, er jedoch an manchen Orten vorher vom Prediger besucht u. zum Geständniß ermahnt. Die Handlung erfolgte in der Marterkam ner in Gegenwart des Richters, zweier Schöppen, des Gerichtsschreibers, welcher über Alles ein genaues Protokoll zu führen hatte, u. häufig eines Geistlichen. Sie begann mit Ermahnungen zum Geständniß u. mit Vorhaltung der Torturalfragen, im Urtbel wörtlich anzugebende Fragen, welche übrigens nicht suggestiv (s.d.) sein durften u. welche dem Inquisiten, wenn er während der T. das Zeichen gab, daß er gestehen wolle, vorgelegt wurden. Räumte er sie nicht ein, so folgten heftige Drohungen des Scharfrichters, welcher sämmtliche, auch die ungewöhnlichsten Marterinstrumente auslegte u. durch Darstellung der Anwendung der letzteren den Inquisiten zu schrecken suchte. Dieser wurde entkleidet u. ihm der Marterkittel, ein Schurz von grober [705] Leinwand, welcher bei den Mannspersonen um den Unterleib, bei den Weibspersonen auch über der Brust zugebunden wurde, angelegt, mit Stricken (Banden) auf die Leiter, od. wo dazu eine Bank (Marterbank, Folterbank [fr. Chevalet]), gebraucht wurde, auf diese angebunden, ihm die Arme auf dem Rücken durch eine Leitersprosse hindurch zusammengefesselt u. so an ihm, wenn mehre zu foltern waren, an demjenigen zuerst, welchen man wegen Alters, Schwachheit, Geschlechtes zuerst zum Bekenntniß zu bringen hoffte, die Marter vom untersten Grade an, bis wie weit sie erkannt war, successive vollstreckt. Ein einziger Grad durfte nicht über eine Viertelstunde, alle Grade zusammen durften nicht über eine Stunde dauern. Sagte der Inquisit, od. gab das Zeichen, daß er bekennen wollte, so mußte er frei zu Beantwortung der Torturatsragen vor das Gericht gestellt werden; gestand er nicht wirklich, so wurde die Marter fortgesetzt. Häufig konnte der Inquisit während der T. nicht sprechen, weil ihm zur Verhütung des heftigen Schreiens die Pfeife, ein mit einem Luftloche versehener Knebel, welcher durch, an dessen Enden befindlichen Bindfaden um den Kopf festgebunden wurde, od. die Birn in den Mund gegeben wurde, ein auf Art der Vesperschlösser (s.d.) eingerichtetes Schloß in Form einer Birn, welches man durch eine Schraube beliebig ausdehnen konnte, damit es nicht aus dem Munde fiel od. gegeben werden konnte. Die Beantwortung der Torturatsragen (Urgicht) mußte, wo mögich, nicht in der Marterkammer, sondern in einem anderen Zimmer, ganz entfernt von allen Schrecken geschehen. Auch hatte die Urgicht noch keinen rechtlichen Glauben, bevor sie nach der peinlichen Gerichtsordnung, zum wenigsten über den anderen, od. mehre Tage vor besetztem Criminalgerichte vom Inquisiten, frei von Marter u. Furcht, bestätigt worden war. Sah man, daß der Gefolterte nicht zu einem Bekenntniß zu bringen war, u. die T. hatte ungefähr eine Stunde gedauert, od. gewann es den Anschein, daß das Leben des Gefolterten in Gefahr komme, so wurde davon abgelassen u. das darauf ergehende Urtheil war dann die sogenannte Absolutio ab instantia (Entbindung von der Instanz), s.u. Absolution.

III. Die Erfindung der T. als Inquisitionsmittel weist bei allen Völkern auf die Zeiten hin, in denen noch der Unterschied zwischen Freien u. Sklaven stattfand. Da sich mit der Entwickelung des Strafverfahrens mehr u. mehr zeigte, daß auch die Zulassung der Unfreien vor den Gerichtsschranken nicht zu entbehren sei, so entschloß man sich zunächst in Griechenland, dann auch in Rom auch Sklaven als Zeugen zuzulassen. Dazu konnte in Griechenland Einer entweder seine eigenen Sklaven hergeben od. den Gegner auffordern die seinigen zu stellen (Paraklesis), wobei ein Contract wegen des etwa zu erleidenden Schadens der Sklaven gemacht wurde. Diejenigen, welche nun die T. leiteten u. den etwaigen an dem Gefolterten verursachten Schaden ermittelten, hießen Basanistä. Die Basanisten nahmen die erfolgten Aussagen zu Protokoll, welches sie dann dem Gericht zustellten, od. entschieden auch als Diätetä sogleich selbst nach den Aussagen. Zuweilen wurde die T. auch von öffentlichen, dazu bes. bestimmten Sklaven executirt. Ursprünglich durfte gegen Freie die T. nicht angewendet werden, aber als die T. als ein sehr zweckmäßiges Mittel der Wahrheitserforschung erschien, ging man auch zur Folterung von Zeugen aus dem freien Stande über, sofern sie einer niederen Klasse angehörten. Zunächst geschah dies bei Majestätsverbrechen, später wandte man die T. überhaupt bei allen verdächtigen Zeugen an u. nahm nur öffentliche Beamte u. Soldaten davon aus. Endlich ging man soweit, auch bezüglich leugnender Angeklagter zur T. zu greifen u. ein vollständiges Foltersystem auszubilden. Das Canonische Recht enthält zwar keine ausdrückliche Billigung der T., trat aber auch nicht dagegen auf. In den neueren germanischen Staaten drang die T. mit dem Römischen Rechte ein, nachdem vorher wenigstens unter Freien die Ordalien (s.d.) als ein ähnliches Wahrheitserforschungsmittel in Übung gewesen waren. Durch das Anknüpfen an die Ordalien gewann die T. aber nunmehr bald eine weite Verbreitung. Der damit getriebene Mißbrauch veranlaßte hauptsächlich im 16. Jahrh. den Wunsch nach einer neuen Strafgesetzgebung. Das Verdienst für Deutschland in dieser Hinsicht eine Besserung herbeigeführt zu haben, gebührt bes. dem Freiherrn Johann von Schwarzenberg (s.d. 3), welcher zuerst in der von ihm veranlaßten Bambergensis u. Carolina (s.u. Halsgerichtsordnung) der Bestimmung Geltung verschaffte, daß die T. nur unter der Voraussetzung zur Anwendung gebracht werden dürfe, daß die Untersuchung bereits so viel Beweis ergeben habe, daß eine Wahrscheinlichkeit der Verübung des Verbrechens u. der Schuld des Angeklagten daraus zu entnehmen sei. Zu diesem Zwecke wurden bes. die allgemeinen u. besonderen Anzeigungen aufgezählt, welche einen hinreichenden Verdacht zu begründen vermochten. Freilich hatten diese Bestimmungen nun auch die Folge, daß ein Verdächtiger, wenn er nicht von vornherein gestand, bei dem Vorhandensein der angegebenen Indicien nicht mehr so leicht der T. entging. Doch fand die Unschuld immer jetzt darin einen kräftigeren Schutz, daß der Anlegung der Folter immer erst ein förmliches Erkenntniß auf diese vorangehen mußte u. daß dagegen eine Vertheidigung, wie die sonstigen gewöhnlichen Rechtsmittel, zulässig war. Neue Angriffe wider die Rechtmäßigkeit der T. erhoben sich aber, als im 17. u. 18. Jahrh. die Humanitätsbestrebungen sich auch der unglücklichen Angeklagten annahmen, bes. die Bemühungen von Thomasius in seiner Schrift: De tortura e foris Christianorum proscribenda, Halle 1705), Beccaria (s.d.) u. Sonnenfels, in Frankreich Voltaire, in Spanien Lardizabal brachten die Überzeugung zum Siege, daß die T. nur eine Barbarei u. ein völlig unzweckmäßiges Mittel der Wahrheitserforschung sei. Seitdem ist, wenn auch Anfangs nur langsam, die T. in allen civilisirten Staaten abgeschafft worden. Den Anfang machte Preußen 1740 mit theilweiser u. 1754 völliger Abschaffung; ihm folgten in Deutschland dann zunächst Baden 1767, jedoch mit Ausnahmen, welche zum Theil bis in das 19. Jahrh fortdauerten, ebenso Mecklenburg durch Constitution von 1769, Sachsen durch Instruction vom 2. Dec. 1770, Österreich durch Rescript von 1776, Schwedisch Pommern durch Verordnung vom 12. Nov. 1785, Württemberg durch Verordnung vom 23. April 1806, Baiern durch Generalverordnung vom 7. Juli 1807, Hannover am 25. März 1822. In vielen dieser Länder war die T. auch schon vor der gesetzlichen Aufhebung nach Gerichtsgebrauch außer Anwendung gesetzt worden. Außerhalb Deutschlands[706] erfolgte die Aufhebung der T. in Schweden 1772, in Dänemark unterm 21. Dec. 1770, in Frankreich die Question préparatoire (Territion) durch Decret vom 24. Aug. 1780 u. die Haupttortur durch Decret vom 9. Oct. 1789, in Rußland durch Ukas vom 27. Sept. 1801. Einen Ersatz erfand man aber in mehren Ländern in der Einführung sogenannter Ungehorsamsstrafen, welche für Verweigerung der Antwort od. sonstige Ungebührlichkeiten, wie Lügen, Widersprüche etc. erkannt werden durften u. in körperlicher Züchtigung, Hungerkost, Dunkelarrest etc. bestanden. Die neueste Zeit hat indessen auch über diese Zwangsmaßregeln in der Voruntersuchung allgemein den Stab gebrochen; bes. enthalten die seit 1848 ergangenen Strasproceßordnungen allgemein den Grundsatz, daß es jedem Angeklagten völlig freisteht, ob u. in welcher Weise er sich durch Zugestehen od. Ableugnen vertheidigen will. Nur wenn ein Angeklagter bei der Vernehmung die dem Gerichte schuldige Achtung verletzt, kann ihn, wie jeden Anderen, disciplinare Bestrafung treffen. Im uneigentlichen Sinne spricht man wohl auch zuweilen von einer psychischen T. u. versteht darunter die Einwirkungen auf den Angeklagten, welche durch eine kräftige, energische Ansprache, Vorhalt der Unwahrscheinlichkeiten in seinen Aussagen u. der nachtheiligen Beurtheilung, welcher er sich bei Fällung des Erkenntnisses aussetzt, angewendet werden, um ihn zu einem offenen Geständniß zu bewegen. Indem dieselben aber nur mit den Mitteln der Überredung wirken, gelten sie als ebenso erlaubt, als die Auferlegung eines Reinigungseides (s.u. Eid), bei welchem der Angeklagte auch nur genöthigt ist, durch eine eidliche Bekräftigung seine Angaben zu erhärten.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 17. Altenburg 1863, S. 704-707.
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