Waldeck-Pyrmont

[788] Waldeck-Pyrmont, Fürstenthum im nordwestlichen Deutschland, bestehend aus dem eigentlichen Fürstenthume W. (zwischen Westfalen u. Kurhessen gelegen) u. dem Fürstenthum Pyrmont (zwischen Preußen, Hannover, Braunschweig, Lippe-Detmold u. Lippe-Bückeburg), umfaßt 20.92 QM. mit (1861) 58,604 Ew., wovon 1,5 QM. mit 7015 Ew. auf Pyrmont kommen. Das eigentliche W. ist durchaus Berg- u. Hügelland, es bildet den Ostrand des rheinischen Schiefergebirges u. seine Berggruppen sind die Fortsetzung des Rothlager- u. Erzgebirges. Von den zu unterscheidenden drei Terrassen erhebt sich die westliche zu einer durchschnittlichen Höhe von 1400 Fuß u. hat als höchste Gipfel den Hegekopf (2603 Pariser Fuß hoch), Ettelsberg (2567 Fuß), den Hohen u. Kahlen Pön (2451 u. 2383 Fuß), Dommel (2270 Fuß) u.a.; der zweiten Terrasse, einem im Durchschnitt 1200 Fuß hohen wellenförmigen Plateau, gehört der Flachscamp bei Corbach von 1740 Fuß Höhe u. der 1461 Fuß hohe Stürn bei Freienhagen an; die dritte Terrasse, welche den östlichen Theil des Landes umfaßt, erreicht durchschnittlich eine Höhe von 1000 Fuß. Vorherrschende Gesteinsarten sind Grauwackenschiefer, Dolomit, bunter Sandstein, Muschelkalk etc. Die Flüsse Diemel (mit Twiste, Erpe) u. Eder (mit Mer, Werbe, Nette, Aar etc.) gehen zur Weser. Pyrmont besteht aus einem von den Wesergebirgen umschlossenen, von der Emmer durchströmten schönen, waldigen Thale (dem unteren[788] Fürstentum) u. aus der wellenförmigen Hochfläche des Mühlenberges (dem oberen Fürstenthume). Der Boden ist kaum mittelmäßig fruchtbar, doch in den Thälern der Flüsse, bes. der Aar u. Eder, ziemlich ergiebig; er bringt mehr Getreide als verbraucht wird, am meisten Roggen, außerdem viel Hafer, Kartoffeln u. Futtergewächse, Flachs, Raps, Rübsen etc. Es besteht die verbesserte Dreifelderwirthschaft, gewöhnlich mit neunjährigem Fruchtwechsel, die Obstbaumzucht liegt noch in den Anfängen; der Wald bedeckt 2/5 des Landes, besteht bes. aus Buchen u. liefert außer dem nöthigen Brenn- u. Nutzholz auch viele Waldbeeren (bes. Preiselbeeren). Aus dem Mineralreich findet sich wenig Eisen (bei Adorf u. Rhenegge), viel Lehm u. Thon, Sandsteine, Basalt, trefflicher Dachschiefer u. Kalkmergel; Mineralquellen sind die Eisensäuerlinge bei Wildungen u. die Bäder von Pyrmont. Das Klima ist im Allgemeinen rauh. Die Ew. wohnen in 14 Städten, 3 Marktflecken u. 103 Dörfern u. sind der Religion nach meist Evangelische (49,877), welche unter einem Consistorium stehen; die evangelisch-unirte Kirche (Union seit 1821 eingeführt) ist Landeskirche; die 1010 Katholiken stehen unter dem Bischof von Paderborn; außerdem gibt es 699 Juden. Die Hauptbeschäftigung der Ew. ist nächst dem Ackerbau die Viehzucht, bes. die Schaf- u. Schweinezucht (die waldeckischen Schinken u. Würste sind gesucht). Die Industrie ist bei der Abgeschlossenheit des Landes, wenigstens im eigentlichen W. nur unbedeutend u. beschränkt sich aus einige Fabriken in Tabak, Leder, Zucker, Thonöfen, Papier, Spiritus u. Liqueur; dagegen ist sie im Fürstenthum Pyrmont reger u. zählt da 11 Tabakfabriken, 3 Schirm u. Stockfabriken, eine Maschinenweberei, 6 Messerfabriken etc. Ausgefahren wird Getreide (bes. Roggen), Wolle, Sandsteinquadern, Waldbeeren. Von einer Eisenbahn wird das Land nicht berührt, wie es auch keinen schiffbaren Fluß hat; es gehört seit 1832 zum Deutschen Zollvereine. Das Postwesen ist durch Verträge von 1834 u. 1853 an Preußen abgetreten. Die früher vernachlässigte Volksbildung ist neuerdings durch wohlorganisirte Schulanstalten (neustes Gesetz vom 9. Juli 1855) gehoben worden. Alle Schulen stehen unter einer Oberschulbehörde. Außer den Elementarschulen bestehen ein Gymnasium zu Corbach, höhere Bürgerschulen in Arolsen (zugleich Realschule u. Progymnasium), Wildungen u. Pyrmont, höhere Töchterschule in Arolsen. Berühmte Waldecker sind der Bildhauer Rauch, der Maler W. Kaulbach, der Schriftsteller Ritter Bunsen u.A. Kranken- u. Armenanstalten, Vereine etc. sind das Armenarbeitshaus u. Landkrankenhaus in Arolsen, Waisenhaus in Wildungen, drei Hospitäler, vier Sparkassen, Creditverein in Arolsen (seit 1861), Missionsverein (seit 1842), Hauptverein der Gustav-Adolf-Stiftung (seit 1844), Das Land wird in die vier Kreise Twiste, Eisenberg, Eder u. Pyrmont getheilt. Residenzstadt ist Arolsen.

Die Verfassung des Landes war schon zu den Zeiten des Deutschen Reiches auf Mitwirkung eines landständischen Corpus gegründet, welchem auch einzelne (zuletzt 12) Städte angehörten. Im Jahre 1816 wurde im Einverständniß mit den Ständen eine neue Verfassungsurkunde, der sogen. Landesvertrag vom 19. April, errichtet, nach welchem die Repräsentation der Unterthanen durch die, Besitzer der bisher landtagsfähigen Rittergüter, durch die Vertreter von 13 Städten u. durch zehn auf Lebenszeit gewählte Repräsentanten des Bauernstandes, deren jedes Oberjustizamt zwei zu stellen hatte, gebildet wurde. Doch sollte eine allgemeine Landtagsversammlung nur in bes. wichtigen Fällen, z.B. bei Änderung der Verfassung od. Einführung einer neuen Steuerordnung, zusammentreten, während in allen andern Fällen eine von den drei Klassen der Repräsentanten aus ihrer Mitte gewählte Deputation, welche regelmäßig im Juni jeden Jahres zusammenkam, die ständischen Rechte unter Beihülfe eines schon seit 1705 vorkommenden Landsyndicus zu besorgen hatte. Im Jahre 1848 wurde mit Einstimmung der bisherigen Stande ein Gesetz erlassen, zufolge dessen 12 Abgeordnete zur Berathung einer neuen Verfassung gewählt wurden. Die neue Verfassung wurde unter dem 23. Mai 1849 errichtet u. in derselben die Vertretung des Volles durch 12 für das Fürstenthum W. u. drei für das Fürstenthum Pyrmont mittelst directer Wahl zu erwählende Abgeordnete festgesetzt. An Stelle dieser Verfassung ist aber, nachdem in Folge einer bei der Deutschen Bundesversammlung erhobenen Beschwerde des Prinzen Hermann von Waldeck durch Bundesbeschluß vom 7. Jan. 1852 die Regierung zur Abänderung dieser Verfassung aufgefordert worden war, eine nochmalige Revision dieser Verfassung im verfassungsmäßigen Wege eingetreten u. in Folge davon die jetzt geltende Verfassungsurkunde nebst Wahlgesetz vom 17. Aug. 1852 verkündet worden. Der Fürst vereinigt nach derselben in sich die gesammte Staatsgewalt, bei deren Ausübung er aber an die verfassungsmäßige Mitwirkung der Landesvertreter gebunden ist. Seine Person ist unverletzlich u. unverantwortlich; alle Regierungserlasse desselben bedürfen aber der Gegenzeichnung mindestens eines Mitgliedes der Staatsregierung. Der Sitz der Landesregierung darf nicht außer Landes verlegt werben. Die Regierung ist erblich im Mannesstamme des waldeckschen Fürstenhauses, einschließlich dessen gräflicher Linie, nach dem Rechte der Erstgeburt u. agnatischen Linealerbfolge (Pactum primogeniturae von 1685 u. 1687). Erlischt der Mannesstamm, so geht die Regierungsnachfolge auf die weibliche Linie über, wobei die Nähe der Verwandtschaft mit dem zuletzt regierenden Fürsten, bei gleichem Verwandtschaftsgrad aber das höhere Alter entscheidet u. nach dem Übergange wieder der Vorzug des Mannesstammes in der Primogeniturordnung eintritt. Über die inneren Verhältnisse des fürstlichen Hauses, namentlich über die den Mitgliedern des fürstlichen Hauses zu leistenden Apanagen, Mitgiften u. Witthümer, sowie die vormundschaftlichen Verhältnisse entscheidet ein Fürstliches Hausgesetz vom 22. April 1857. Der Fürst u. die übrigen Mitglieder der fürstlichen Familie werden danach mit dem 21., die Mitglieder der gräflichen Familie mit dem 25. Lebensjahre volljährig. Beim Antritt seiner Regierung hat der Fürst die Beobachtung der Verfassung mittelst Patentes eidlich anzugeloben. Bei Minderjährigkeit od. sonstiger dauernder Regierungsunfähigkeit des Fürsten tritt eine Regentschaft ein, welche zunächst der Gemahlin, demnächst der leiblichen Mutter u. väterlichen Großmutter des Fürsten, in deren Ermangelung aber dem der Regierungsfolge am nächsten stehenden volljährigen Agnaten gebührt. Als gesetzliche Vertretung der gesammten Staatsangehörigen[789] u. des ganzen Landes besteht ein für die Fürstenthümer W. u. Pyrmont gemeinsamer Landtag. Durch denselben werden zugleich die besondern Angelegenheiten des Fürstenthums W., jedoch ohne Hinzutritt der Abgeordneten für Pyrmont, behandelt; für die besondern Angelegenheiten von Pyrmont treten Abgeordnete dieses Fürstenthums daselbst zusammen (Landtagsordn, für Pyrmont vom 27. Juli 1854). Der gemeinsame Landtag besteht aus 12 Abgeordneten für W. u. 3 für Pyrmont, welche von den kreisweise in Wahlverbände zusammengelegten Ortsgemeinden gewählt werden. Jede Ortsgemeinde wählt regelmäßig zwei Wahlmänner, wenn sie aber mehr als 500 Einw. zählt, auf je 250 Ew. einen, u. wenn kein Gemeinderath besteht, überhaupt nur einen Wahlmann auf drei Jahre. Alle Wahlmänner eines Kreises bilden je einen Wahlkörper, welche dann in W. je vier, in Pyrmont drei Abgeordnete wählen. Der Landtag hat das Recht der Mitwirkung bei der Gesetzgebung, so daß Gesetze nur mit seiner Zustimmung erlassen, aufgehoben, geändert od. authentisch interpretirt werden können, das Recht der Steuerbewilligung u. Zustimmung zur Contrahirung neuer Landesschulden u. das Recht der Ministeranklage wegen mit böslicher Absicht od. hoher Fahrlässigkeit begangener Verfassungsverletzungen. Eine solche Anklage ist nach dem Gesetz vom 4. Juni 1850 bei dem obersten Gerichtshof zu erheben. Die Organisation der Regierungsbehörden ist durch mehre Verordnungen vom 11. Jan. 1849, 3. Oct 1851 u. 2. März 1853 geregelt. Die oberste Leitung ruht hiernach in der Regierung, welche in sechs Abtheilungen (fürstliches Haus u. auswärtige Angelegenheiten, Inneres, Justiz, Finanzen, Domänen u. Forsten, Militär) zerfällt. An der Spitze der Regierung steht ein Präsident, an der Spitze jeder Abtheilung ein Rath, welchem die nöthige Anzahl vortragender Räthe u. Assessoren mit hergehender Stimme beigegeben sind. Über die gesammten Staatsdienstverhältnisse besteht außerdem ein umfassendes Staatsdienstgesetz vom 9. Juli 1855. Die niedere Verwaltung ruht nach der Gemeindeordnung vom 16. Aug. 1855 zunächst in der Hand der Gemeinden, denen die Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten, wiewohl unter Oberaufsicht des Staates, zusteht. Die Gemeinden werden hierbei durch einen Gemeinderath als die beschließende u. einen Gemeindevorstand als die ausführende Behörde vertreten. Der erstere besteht aus 6–15 Mitgliedern u. wird in derselben Weise, wie die Landtagsabgeordneten gewählt; die Wahl des Gemeindevorstandes (ein Bürgermeister u. zwei Beigeordnete) erfolgt durch den Gemeinderath auf sechs Jahre, Die Ortsgemeinden sind in vier Kreisgemeinden (Korbach, Arolsen, Wildungen, Pyrmont) vereinigt (Kreisordnung vom 16. August 1855). Gegen alle Entscheidungen der Gemeindebehörden kann bei dem Kreisrathe, beziehentlich dem Kreisvorstände, weiterhin bei der Regierungsabtheilung des Innern u. schließlich bei der Gesammtregierung Recurs erhoben werden. Der Kreisvorstand wird aus den stimmberechtigten Bürgern des Kreises in der Art gebildet, daß die in den einzelnen Gemeinden durch den Gemeinderath ernannten Wahlmänner sechs Abgeordnete u. zwei Stellvertreter auf sechs Jahre wählen, von denen alle drei Jahre die Hälfte ausscheidet. Der Kreisrath gehört zu den Staatsdienern u. übt fast ausschließlich die gesammte Polizeiverwaltung. Die Gerichtsverfassung ist geregelt durch ein Gesetz vom 4. Juni 1850. Als Gericht erster Instanz besteht für jeden der vier Kreise ein aus einem Director u. zwei Richtern zusammengesetztes Kreisgericht. Jedem Kreisrichter ist ein besonderer District zugewiesen, in welchem er als Einzelrichter fungirt. Alle Bagatellsachen (bis 50 Thlr.), die freiwillige Gerichtsbarkeit, der Mandats- u. Arrestproceß u. das Vollstreckungsverfahren gehören zu seiner Competenz als solcher, ebenso die Instruction der Processe u. Concurse Alles Andere gehört vor das Gesammtkreisgericht In zweiter u. zumeist letzter Instanz entscheidet das aus einem Präsidenten, vier Rächen u. einem Assessor bestehende Obergericht zu Arolsen (bis 1858 in Korbach). Eine Abtheilung des Obergerichtes fungirt zugleich als Anklagekammer in Strafsachen. Der Assisenhof für schwurgerichtliche Fälle wird für jede einzelne Sitzung in der Art gebildet, daß der Vorsitzende des Obergerichts den Präsidenten aus den Mitgliedern des Obergerichts u. zwei Beisitzer aus der Zahl der Kreisrichter ernennt. Als Cassationshof u. oberster Gerichtshof in Civilsachen entscheidet ein Senat des königlich preußischen Obertribunals zu Berlin. Zur Entscheidung der Competenzconflicte zwischen Justiz u. Verwaltungsbehörden ist durch Gesetz vom 9. Mai 1854 ein besonderer, aus dem Vorsitzenden der Regierung, des Obergerichts u. des Consistoriums als ständigen u. zwei unständigen Mitgliedern gebildeter Gerichtshof angeordnet; die unständigen Mitglieder ernennt für jeden einzelnen Fall das Obergericht, resp. die Regierung. Als Grundlage für das Civilrecht gilt zum größten Theil noch das Gemeine Recht. Die Ablösungsgesetzgebung beruht vorzüglich auf den Gesetzen vom 7. u. 29. Juli, 4., 6. u. 20. Nov. 1848; hiernach sind alle auf dem Grund u. Boden haftenden Abgaben u. Leistungen für ablösbar erklärt u. es dürfen keine derartigen Lasten als unablösbar wieder auferlegt werden. Die Ablösung kann durch Baarzahlung od. durch Vermittlung einer zu dem Zwecke durch Gesetz vom 4. Nov. 1854 Landrentenbank geschehen. Auch alle Lehen sind durch Gesetz vom 17. Aug. 1848, mit Ausnahme derer, welche auf vier Augen stehen, der Allodification gegen Entschädigung unterworfen. Die Allgemeine deutsche Wechselordnung ist durch Gesetz vom 30. Mai 1849 eingeführt; unter demselben Tage erschien auch ein Gesetz über den Wechselproceß. Im Übrigen bildet für den Civilproceß auch jetzt noch das Gemeine Recht die Grundlage. An particulären Proceßgesetzen besteht namentlich eine Untergerichtsordnung von 1836; durch zwei Gesetze vom 19. August 1848 u. 10. Juni 1850 wurde sowohl für Bagatelle als erwachsene (Ordinär-) Sachen eine theilweise Öffentlichkeit u. Mündlichkeit der Verhandlung, Vernehmung der Zeugen in Gegenwart der Parteien etc. eingeführt u. das Vollstreckungsverfahren vereinfacht. Friedensgerichte, welche durch Gesetz vom 18. Aug. 1848 eingeführt worden sind u. deren für jeden Ort in der Regel eins besteht, sind zusammengesetzt aus einem Friedensrichter u. zwei bis vier Gehülfen, welche durch sämmtliche selbständige, Bewohner der Ortschaft auf die Dauer von drei Jahren erwählt werden. Geringere Streitfälle, Streitigkeiten zwischen Nachbarn, Verwandten etc. werden danach von den Justizbehörden erst dann angenommen, wenn der Kläger eine Bescheinigung[790] des Friedensrichters darüber vorlegt, daß die Sache vor ihm angebracht gewesen, eine Vereinigung aber nicht habe erzielt werden können. In andern Sachen kann jede Partei wenigstens die Anstellung eines Sühneversuchs durch das Friedensgericht verlangen. Für das Strafrecht erfolgte mit dem 1. October 1855 die Einführung eines neuen, in den meisten Bestimmungen mit dem königlich preußischen übereinstimmenden Strafgesetzbuches. Im Strafproceß erfolgte die Einführung des modernen Anklageprocesses mit öffentlichem u. mündlichem Verfahren u. unter theilweiser Mitwirkung von Geschwornen schon mit dem!. October 1850 durch ein Gesetz, welches ebenfalls größtentheils der preußischen Criminal-proceßordnung vom 3. Januar 1849 nachgebildet ist. Von neueren Polizeigesetzen ist ein Jagdpolizeigesetz, welches die eigene Ausübung der Jagd dem Grundeigenthümer nur auf Revieren von mindestens 100 zusammenhängenden Magdeburger Morgen gestattet u. sonst die Bildung gemeinschaftlicher u. alsdann zu verpachtender Jagdbezirke anordnet, sowie eine Forstordnung vom 21. Novbr. 1853, eine Feldpolizeiordnung vom 1. Octbr. 1855 u. die Errichtung einer Gendarmerie durch Gesetz vom 9. Febr. 1855 hervorzuheben. Hinsichtlich des Finanzwesens sind die Verhältnisse des Domanialwesens durch einen zwischen Regierung u. Standen unterm 16. Juli 1853 abgeschlossenen Receß geordnet, durch welchen insbesondere der im Jahre 1849 ausgesprochene Verzicht des fürstlichen Hauses auf die Eigenschaft des Domaniums als Familiengut zum Besten des Staates wiederum aufgehoben (vgl. W. Schumacher, Die Domänenfrage im Fürstenthum W., 1849), die Eigenthumsfrage aber, indem sowohl der Fürst, als das Land sich ihre diesfallsigen Rechte wahrten, in der Schwebe gelassen wurde. Die Verwaltung des Domanialvermögens wird danach, mit Ausnahme gewisser zur unmittelbaren Benutzung des fürstlichen Hauses vorbehaltenen Stücke, durch die Regierung, jedoch getrennt von der Finanzverwaltung des Landes u. für jedes Fürstenthum gesondert geführt. Das Verhältniß der Stände zur Domanialverwaltung ist dasselbe, wie zur Verwaltung der Staatsfinanzen. Veräußerungen u. Verpfändungen des Domanialvermögens bedürfen der Zustimmung der Stände, Einnahmen u. Ausgaben bilden Positionen des ordentlichen Budgets. Von den Einkünften des Domanialvermögens wird vorab der standesmäßige Unterhalt des Fürsten u. des fürstlichen Hauses einschließlich aller Apanagen etc. in der Weise bestritten, daß zunächst gewisse Naturalien zu diesem Behufe aus den Domanialbeständen entnommen werden, sodann aber der Fürst auch das Recht hat einen für sich u. seine Nachfolger ein für allemal bestimmten Baarbetrag (nach Erklärung vom 15. Novbr. 1853 bis zu 70,000 Thlrn. jährlich) zu beziehen. Ein etwaiger Reinüberschuß fällt, bis zu 10,000 Thlrn. dem Lande ganz zu, weitere Überschüsse werden zwischen Land u. Fürst getheilt. Die Landeseinnahmen fließen, abgesehen von dem Antheil an den Revenuen des Zollvereins, directer Weise bes. aus einer Grundsteuer, Klassen- u. Hundesteuer, indirecter Weise aus Kartenstempelgeldern, den Gerichtssporteln u. den Straßengeldern Die Grundsteuer gründet sich auf ein 1862 vollendetes neues Grundkataster. Kirchen-, Pfarrei- u. Schulgüter sind, so lange sie diesen Zwecken dienen, von der Grundsteuer befreit. Eine allgemeine Klassensteuer wurde für W. von Neuem 1841 eingeführt; für Pyrmont trat sie erst 1851 in das Leben. Das Schuldenwesen wurde durch Gesetz vom 14. Oct. 1854 neu geregelt. Sämmtliche kündbare Landes- u. Domanialpassivcapitalien werden dadurch in unkündbare verwandelt u. zu diesem Zwecke für 850,000 Thlr. 41/2 procentige Obligationen ausgegeben; außerdem wurden 350,000 Thlr. unverzinsliche Kassenscheine emittirt Die Domanialschulden betragen circa 600,000 Thlr. Nach dem Budget für 1865 betragen für das Fürstenthum W. die Einnahmen 442,401 Thlr. u. die Ausgaben 444,388 Thlr. u. für das Fürstenthum Pyrmont die Einnahmen 69,400 Thlr. u. die Ausgaben 69,747 Thlr. Die oberste kirchliche Behörde für die bei Weitem vorherrschende Evangelische Confession bildet das Consistorium, welches sich in ein engeres (ein weltlicher Vorsitzender u. zwei geistliche Räthe) u. ein weiteres, mit mehrern je zur Hälfte aus dem kirchlichen u. Bauernstande von dem Fürsten ernannten außerordentlichen Mitgliedern, theilt (Gesetz über die Organisation des Consistoriums vom 2. März 1853). Dem weiteren Consistorium competiren insbesondere die Angelegenheiten der kirchlichen Gesetzgebung u. Organisation, die Berufungen gegen die Entscheidungen des engern Consistoriums in Disciplinar- u. Emeritirungsfällen, u. die Vorschläge zur Besetzung der hohen geistlichen Stellen. Unter dem Consistorium stehen für die vier Kreise Superintendenten. An der Spitze jeder Kirchengemeinde steht nach der kirchlichen Gemeindeordnung vom 1. August 1857 ein von allen selbständigen, männlichen Gemeindemitgliedern aus sechs Jahre erwählter Kirchenvorstand. Die Besetzung der Pfarrstellen geschieht durch den Fürsten; der Gemeinde steht nur ein Recht der Einsprache unter Angabe von bestimmten Ablehnungsgründen zu, über welche, nach erfolgter Prüfung durch das Consistorium, der Fürst entscheidet. Katholische Gemeinden (zusammen circa 1010 Seelen) bestehen nur in Arolsen u. Eppe; beide gehören, zum Sprengel des Bischofs von Paderborn. Über die jüdischen Gemeinden mit ungefähr 700 Seelen (Gesetz vom 15. Juli 1833) führen die Kreisräthe die nächste Aufsicht. Das Schulwesen ist durch eine Schulordnung vom 9. Juli 1855 geordnet. Für die Volksschulen bestehen Orts- u. Kreisschulvorstände u. als Oberschulbehörde das fürstliche Consistorium. An höheren Lehranstalten besitzt das Land ein Gymnasium zu Korbach, mit welchem auch Realklassen verbunden sind, u. ein Progymnasium u. Realschule zu Arolsen. Wappen: ein schwarzer Stern in goldnem Mittelschilde, ein rothes Ankerkreuz in Silber (wegen Pyrmont), ein rothgekrönter Löwe in Silber (wegen Geroldseck), drei rothe Schilde u. drei schwarze gekrönte Adlerköpfe (wegen Rappoltstein u. Hoheneck); die Landesfarben sind weiß u. grün. Militär: das Bundescontingent besteht aus einem Bataillon von 866 Mann und gehört zur deutschen Reservedivision. 1862 hat W. mit Preußen eine Militärconvention abgeschlossen; nach derselben übernimmt Preußen unter Einführung seiner Verwaltungs- u. Verpflegungsreglements die vollständige Erhaltung des Waldeck'schen Contingents gegen eine Aversionalsumme von 48,000 Thlrn.; die Dienstzeit wurde von 11/2 auf 2 Jahre verlängert, die Anstellung der Offiziere geschieht durch Preußen, jedoch im Einverständniß mit dem Fürsten von W. [791] Münzen, Maße u. Gewichte: Von 1693 bis nach 1760 bestand der Leipziger od. 18 Guldenfuß, später rechnete man nach Thalern zu 36 Mariengroschen à 7 Pfennige in zwei Währungen, nämlich im 20 Gulden- od. Conventionsfuß, den Karolin zu 62/9 = 6 Thlr. 8 Mariengroschen u. im 22 Guldenfuße od. eigentlichen waldeckschen Gelde, den Karolin zu 6 Thlr. 24 Mariengroschen, so daß der Thaler = 28 Sgr. 7,636 Pf. werth war; später kam hierzu noch eine edictmäßige Kassenwährung, die einen 202/3 Guldenfuß bildete u. in welcher verordnungsmäßig seit 1818 die preußischen u. hessischen Courantsorten für voll genommen werden; bei allen drei Münzfüßen bestand die obige Rechnung des Thalers in 36 Mariengroschen à 7 Pf. fort, 1/3 Thlr. = 12, 1/6 Thlr. = 6, 1/12 Thlr. = 3 Mariengroschen, seit 1837 wurde aber factisch u. seit 1842 gesetzlich der 14-Thalerfuß eingeführt, welcher 1857 wiederum dem 30-Thalerfuß wich; der Thaler zerfällt in 30 Silbergroschen à 12 Pf. Im Fürstenthum Pyrmont rechnete man dagegen bis zur Einführung des 14 Thalerfußes nach Thalern zu 36 Mariengroschen à 8 Pfennigen im Werth des Conventionsfußes Wirklich geprägte Münzen: A) Frühere Ausprägung: a) in Gold Karolin u. Ducaten, letztere auch in 1/2 u. 1/4 Stücken nach dem Reichsfuß; b) in Silber: Laub- od. Palmthaler zu 1 Thlr. 20 Mariengroschen, Species, 2/3, 1/3, 1/4, 1/6, 1/9, (4 Mariengr. = 10 Kr.), 1/12, 1/18, 1/24, Thlr. im Conventionsfuß u. Mariengroschen; c) in Kupfer: früher 4, 3, 2 u. 1 Pfennig, später 1/2 Mariengroschen, 3 u. 1 Pfennig, B) Neueste Ausprägung seit 1842 resp. 1857: a) in Silber: Doppel-, Courant- u. 2/6 Thlr., als Scheidemünze 1 u. 1/2 Sgr.; b) in Kupfer: 3 u. 1 Pfennigstücke. Maße: Längenmaße: der früher waldecksche Fuß à 12 Zoll hatte 129, alte Pariser Linien, in neuester Zeit zu 132,96 Pariser Linien. Die Ruthe hat 16 Fuß. Das Feldmaß ist der Morgen von 120 Quadratruthen = 26,257 Ares, in neuster Zeit officiell eingeführt der Magdeburger Morgen à 180 rheinische Quadratruthen. Die Fruchtmaße sind, obgleich in neuster Zeit officiell der preußische Scheffel eingeführt ist, in jedem Amt des Fürstenthums verschieden; die Mütte hat vier Scheffel; in Arolsen hat der Scheffel für Roggen, Weizen, Gerste etc. 51,416 Liter, 100 Scheffel = 93,55 preußische Scheffel; der Haferscheffel aber 56,638, 100 Haferscheffel = 103,05 preußische Scheffel; im Amt Landau ist das Roggenmaß kleiner, noch kleiner im Amt Eisenberg, wo dagegen das Hafermaß größer als in Arolsen ist; Flüssigkeitsmaße: die Ohm hat 100 Maß zu 1,42822 Liter (3 Pfund Wasser), u. man rechnet sie der in Frankfurt a. M. gleich. Gewicht. Handelsgewicht: Das schwere Pfund zu 32 Loch wiegt 476,352 Grammes = 1,018475 preußische Pfund; das leichte Pfund hat 467,41 Grammes u. soll das alte Kölnische fein; Fleischgewicht hat das Pfund 34 Loth Kölnisches Gewicht, im Großhandel, beim Salz u. den Steuerämtern ist das preußische Gewicht gesetzlich; in neuster Zeit ist officiell das Zollgewicht (1 Pfd. – 500 Grammes) eingeführt. Medicinalgewicht ist das alte Nürnberger.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 18. Altenburg 1864, S. 788-792.
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