Anhalt

[527] Anhalt (s. Karte »Provinz Sachsen«), zum Deutschen Reiche gehöriges Herzogtum, 1863 durch Vereinigung der Herzogtümer A.-Dessau-Köthen und A.-Bernburg gebildet (s. unten, Geschichte), umfaßt sämtliche seit 1603 getrennt gewesene anhaltische Lande. Diese liegen im norddeutschen Tiefland und auf dem Unterharz und zerfallen in zwei Hauptteile, einen östlichen und einen westlichen, welche durch die preußische Provinz Sachsen voneinander getrennt werden; dazu kommen noch fünf kleine, von preußischen Landen umschlossene Enklaven: Alsleben, Mühlingen, Dornburg, Gödnitz und Tilkerode-Abberode. Der östliche, größere Hauptteil ist von den preußischen Regierungsbezirken Potsdam, Magdeburg und Merseburg umschlossen; die beiden letztern umgeben auch den westlichen, kleinern Teil (das sogen. Oberherzogtum oder Ballenstedt), und nur etwa 7,5 km lang bildet das Herzogtum Braunschweig (Kreis Blankenburg) die Grenze. Der größte Teil des Landes ist Flachland, nur der südwestlichste ist gebirgig durch den Unterharz, dessen höchste Kuppe hier, der Ramberg (Viktorshöhe), 582 m Höhe erreicht. Vom Unterharz senkt sich das Land nach der Saale hin; jenseit dieses Flusses bildet es bis zur Elbe eine zum Teil wellenförmige Ebene. Vom rechten Elbufer an beginnt ein meist sandiges, stark bewaldetes Flachland, nur hier und da durch moorige und fette Niederungen und den Höhenzug des Fläming unterbrochen. Der größte Teil des Ganzen, von Ballenstedt bis an die Mulde und Elbe, hat vortrefflichen Ackerboden; weniger fruchtbar, jedoch gras- und holzreich ist der Landstrich nördlich von der Elbe; auf dem Harz lohnt der Boden nur an einigen Stellen den Ackerbau. Die Elbe, als Hauptfluß, durchströmt den östlichen Teil des Landes von O. nach W. und nimmt hier unterhalb Roßlau die von S. kommende Mulde auf. Die Saale, bereits schiffbar, geht in nördlicher Richtung durch den westlichen Strich des östlichen Teiles und nimmt rechts die Fuhne (Landgraben), links die Wipper mit der Eine und die Bode mit der Selke auf. Selke und Eine bewässern den westlichen Teil. Das Klima ist mild, nur in dem gebirgigsten Teil etwas rauh.

[Bevölkerung.] Der Flächeninhalt des Herzogtums beträgt 2299,4 qkm (41 QM.), die Bevölkerung nach der Zählung vom 1. Dez. 1900: 316,085 Einw., die überwiegend zum obersächsischen Stamm gehören. Nach der Verteilung derselben auf die fünf Kreise und der Vergleichung mit der Zählung von 1895 ergeben sich folgende Ziffern:

Tabelle

Die Volksdichtigkeit beträgt 137,5 Seelen auf 1 qkm. Dem Geschlecht nach kamen 1900: 1036 weibliche Personen auf 1000 männliche. Die natürliche Bevölkerungsvermehrung betrug 1900 bei 10,778 Geburten und 6466 Todesfällen 4312 Seelen. Die Zahl der Auswanderer belief sich 1901 auf 42 Personen. Von den Städten haben vier (Dessau, Bernburg, Köthen und Zerbst) eine Einwohnerzahl von mehr als 10,000. Die Bevölkerung bekennt sich mit Ausnahme von 11,699 Katholiken und 1605 Juden zum protestantischen, und zwar (durch Gesetz vom 29. Jan. 1880 ist die Union auch im köthenschen Landesteil vollzogen) zum evangelischen Glauben. Oberste Kirchenbehörde ist das Konsistorium in Dessau, dem die fünf Superintendenten in den fünf Kreishauptstädten unterstellt sind. In Gemeinschaft mit dem Kirchenregiment sorgt die Landessynode für die Bedürfnisse der Landeskirche (laut Gesetz vom 14. Dez. 1878 und 24. März 1879). Sie wird zusammengesetzt aus 20 in den fünf Kreisen gewählten Mitgliedern, nämlich 10 geistlichen und 10 weltlichen, aus 9 aus der Zahl der angesehenen und kirchlich verdienten Männer der evangelischen Landeskirche zu wählenden Abgeordneten, aus den 5 Kreissuperintendenten und aus 5 vom Landesherrn zu ernennenden Mitgliedern; die Synodalperiode dauert 6 Jahre. Die Landessynode tritt auf Berufung des Landesherrn alle 3 Jahre zu ordentlichen Versammlungen zusammen; zu außerordentlichen Versammlungen kann sie nach Bedürfnis jederzeit einberufen werden. Die Katholiken stehen seit 1868 unter dem Bischof von Paderborn. An höhern und gehobenen Schulen sind vorhanden: 4 Gymnasien, 2 Realgymnasien, ein Progymnasium, ein Realprogymnasium, eine Realschule, 13 Mittelschulen, 4 höhere Töchterschulen, ein Schullehrerseminar und 2 Lehrerinnenseminare. Außerdem hat das Land eine höhere technische Lehranstalt und eine Baugewerkschule.

[Erwerbszweige.] Von der Gesamtfläche entfielen 1893 auf Acker und Gärten 60,7 Proz., Wiesen 7,2, Weiden 1,5, Wald 24,8 Proz. Die Hauptprodukte sind: Getreide (namentlich Weizen), Obst und Gemüse, Hülsenfrüchte, Zuckerrüben, Kartoffeln, Tabak, Flachs, Ölfrüchte, Hopfen und andre Kultur- u. Handelspflanzen sowie Holz. Die Landwirtschaft wird mit großer Sorgfalt betrieben, namentlich auf den zahlreichen herzoglichen und landesfiskalischen Domänen, deren Areal zu einem Drittel des Landes berechnet wird, und den großen Rittergütern. Die Viehzucht ist sehr ansehnlich; schönes Rindvieh wird namentlich in den Niederungen an der Elbe und nördlich von derselben gezogen. 1900 waren vorhanden: 19,509 Pferde, 67,703 Rinder, 86,231 Schafe, 103,664 [527] Schweine und 30,887 Ziegen. Außer Wild liefert das Tierreich Fische, namentlich Lachse, Weise, Störe und Neunaugen, endlich Honig in Menge. Der Bergbau auf silber- und kupferhaltige Erze im Harz hat aufgehört, es werden dort nur noch Erze verhüttet, die namentlich aus Amerika eingeführt werden. Reich ist das Land an Braunkohlen, deren Abbau 1900 auf 10 Gruben stattfand und eine Produktion von 1,347,458 Ton. im Werte von 3,9 Mill. Mk. erzielte. Der östliche Teil des Landes liefert außerdem Gips, Mergel, Bau- und Mühlsteine, namentlich aber Abraumsalze und Steinsalz. Das herzogliche Salzbergwerk Leopoldshall und die Deutschen Solvaywerke bei Roschwitz und Plömnitz förderten 1900: 271,889 Ton. Steinsalz, 225,328 T. Kainit, 373,894 T. andre Kalisalze, 239 T. Bittersalze, 15 T. Boracit. Berühmte Eisenquellen hat Alexisbad (s. d.).

Die gewerbliche Industrie ist namentlich in den Industriezweigen, die mit der Landwirtschaft in Verbindung stehen, bedeutend. 24 Rübenzuckerfabriken verarbeiteten 1900/1901: 6,6 Mill. dz Rüben und gewannen 795,333 dz Rohzucker sowie 144,637 dz raffinierten und Konsumzucker. 69 Brauereien lieferten 1900: 507,766 hl Bier, und 64 Brennereien produzierten 1899: 38,803 hl reinen Alkohol. Der Tabakbau ist gegen früher erheblich zurückgegangen; 1900 wurden auf 70,5 Hektar 130,6 T. Tabakblätter gewonnen. Die Hütten- und Hammerwerkindustrie blüht im Selketal, wo die Silber- oder Viktor-Friedrichshütte mit Vitriolsiederei und der Eisenhüttenort Mägdesprung liegen. Die chemische Industrie auf Verarbeitung der bei Leopoldshall und Solvayhall gewonnenen Abraumsalze (Carnallit und Kainit) lieferte 1900: 57,606 Ton. Chlorkalium, 9459 T. Glaubersalz etc. Andre Industrieerzeugnisse sind Gold- und Silberwaren, Fayence, Chemikalien; auch Wollspinnereien und Wollwebereien, Maschinen- und Papierfabriken mit nicht unbedeutender Produktion sind vorhanden. Der Handel ist beträchtlich, namentlich mit den Rohprodukten des Landes (Getreide, Vieh, Holz, Wolle etc.), aber nicht minder mit Zucker und Spiritus; ferner mit Mehl und Kleie, Strohpapier, Garn, Tuch und Eisenwaren. Eingeführt werden vorzugsweise Roheisen, Farbhölzer, Guano, Schiefer, Kohlen, Materialwaren, Palmöl, Trau etc. Ter Handel wird durch die schiffbaren Flüsse Elbe (an der seit 1859 der Hafen Wallwitzhafen bei Dessau besteht) und Saale, durch die guten Landstraßen und die Eisenbahnen, die das Land durchkreuzen (Gesamtlänge 288 km), wesentlich unterstützt und konzentriert sich in Dessau, Bernburg, Koswig, Zerbst und Köthen. Zur Förderung des Handels dienen unter anderm die Handelskammer und die Landesbank (in Dessau); zur Leitung des Zoll- und Steuerwesens besteht für das ganze Land eine Zolldirektion (Sitz in Magdeburg).

[Verfassung und Verwaltung.] Das Herzogtum ist nach der Landschafts- und Geschäftsordnung für das gesamte A. vom 17. Sept. 1859 eine konstitutionelle, im Mannesstamm nach dem Rechte der Erstgeburt erbliche Monarchie. Der Herzog (gegenwärtig Friedrich, seit 22. Mai 1871) führt den Titel Hoheit, vereinigt in sich die Exekutivgewalt; die legislative teilt er mit den Ständen. Der Landtag wird aus 36 Vertretern gebildet, von denen 2 der Herzog für die Dauer der Landschaftsperiode ernennt, 8 von den meistbesteuerten Grundbesitzern, 2 von den meistbesteuerten Handel- und Gewerbtreibenden, 14 von den übrigen Wahlberechtigten der Städte und 10 von den übrigen Wahlberechtigten des platten Landes gewählt werden. Wahlrecht und Wahlfähigkeit hängen von der Vollendung des 25. Lebensjahres ab; die Grundbesitzer müssen wenigstens 63 Mk. Grundsteuerzahlen, die Handel- und Gewerbtreibenden mit einem Einkommen von mindestens 18,000 Mk. zur Einkommensteuer veranlagt sein, um das Wahlrecht in den Abteilungen der Meistbesteuerten ausüben zu können. Die Wahl ist geheim und für die Abgeordneten der Städte und des platten Landes indirekt. Die Landtagsperiode dauert sechs Jahre. Die Gemeinden haben Selbstverwaltung.

Oberste Behörde des Herzogtums ist das Staatsministerium, dessen sämtliche Departements unter Einem Staatsminister vereinigt sind, und dem die Finanzdirektion, die Abteilung des Innern, die Abteilung für das Schulwesen, das Konsistorium und das Statistische Bureau, sämtlich zu Dessau, unterstellt sind. Als Immediatbehörde besteht neben dem Staatsministerium die Staatsschuldenverwaltung, deren Mitglieder zur Hälfte der Herzog, zur Hälfte der Landtag ernennt. Eine früher in Köthen bestehende Generalkommission ist aufgelöst, ihre Geschäfte sind durch Staatsvertrag vom 1. Jan. 1875 an die Generalkommission in Merseburg übergegangen. Von der Regierung hängen ab die Kreisdirektionen, unter deren Aussicht die Ortspolizei durch die Amtsvorsteher besorgt wird; nur die Ortspolizeiverwaltungen zu Dessau, Köthen, Zerbst und Bernburg stehen unmittelbar unter der Regierung. Für die Rechtspflege bestehen elf Amtsgerichte und das Landgericht zu Dessau (s. Textbeilage »Gerichtsorganisation im Deutschen Reich« bei Art. »Gericht«), in zweiter, bez. dritter Instanz entscheiden das Oberlandesgericht zu Naumburg und das Reichsgericht in Leipzig. Die Finanzen des Herzogtums befinden sich in vorzüglichem Zustande. Während 1861 die Einnahmen der beiden Herzogtümer A.-Dessau-Köthen und A.-Bernburg 3,083,078 Tlr. betrugen, denen 3,077,313 Tlr. Ausgaben gegenüberstanden, ergab das Budget für 1901/2 für Einnahme und Ausgabe 16,150,000 Mk. Hauptposten sind:

Tabelle

Die für das Reich vereinnahmten Steuern betragen 12,380,300 Mk., davon Rübenzuckersteuer 9,110,100 Mk. Die Staatsschuld belief sich 30. Juni 1900 auf 1,267,500 Mk., während die Aktiva 9,211,839 Mk. betrugen, mithin ein Überschuß von 7,944,339 Mk. Die Matrikularbeiträge sind für 1901/2 auf 3,206,302 Mk. festgesetzt. – Im Militärwesen ist A. bereits seit 1867 ganz mit Preußen verschmolzen. Nach der Konvention vom 28. Juni d. J. wurde aus dem Kontingent von A. das anhaltische Infanterieregiment Nr. 93 gebildet, welches der 7. Division des 4. Armeekorps zugeteilt ist. Das Landeswappen (s. Tafel »Wappen I«, Fig. 11) ist ein zweimal gespaltener und dreimal quergeteilter Schild und enthält somit zwölf Felder, von denen das zweite der zweiten Reihe das anhaltische Stammwappen bildet. Dasselbe ist gespalten und enthält in der vordern silbernen Hälfte einen aus der Teilungslinie hervorgehenden halben roten Adler (Brandenburg), die hintere Hälfte des Mittelschildes ist von Schwarz und Gold zehnmal[528] quergestreift mit einem schrägrechts darüber gezogenen grünen Rautenkranz (Sachsen). Die Landesfarben sind Rot, Grün und Weiß (gewöhnlich aber nur Grün und Weiß); die Militärkokarden nur Grün. Als Orden bestehen der Hausorden Albrechts des Bären, 18. Nov. 1836 gestiftet (s. Tafel »Orden I«, Fig. 8), und der Verdienstorden für Kunst und Wissenschaft (seit 1873). Hauptstadt des Herzogtums ist Dessau. S. auch Karte »Reichstagswahlen«.

Geschichte.

Ahnherr des anhaltischen oder askanischen Fürstenhauses ist Graf Adalbert von Ballenstedt, der als Abkömmling einer Schwester des Markgrafen Gero von seiner Mutter ansehnliche Allodien zwischen Elbe und Saale (s. Askanien) erbte. Sein Urenkel Otto nannte sich zuerst Graf von Askanien und besaß außer Ballenstedt und Aschersleben einen Teil der Billungschen Allodialbesitzungen. Ottos Sohn Albrecht der Bär (1123–70), seit 1134 Markgraf von Brandenburg, erwarb die Grafschaft Plötzkau und unterwarf die am rechten Elbufer im Zerbstischen wohnenden Slawen. Während Albrechts ältester Sohn, Otto, die brandenburgische Linie (erloschen 1320) begründete, gingen die anhaltischen Gebiete auf den jüngern Sohn, Bernhard (1170–1212), über, der 1180 mit dem Herzogtum Sachsen belehnt wurde. Dessen älterer Sohn, Albrecht, erbte Sachsen, dessen Herzogshaus sich später in die Linien Sachsen-Wittenberg (bis 1422) und Sachsen-Lauenburg (bis 1689) spaltete; der jüngere Sohn, Heinrich I. (1212–44), erbte die anhaltischen Lande und ward 1218 erster Fürst von A. Seine Söhne, Heinrich II., Bernhard I. (1252–86) und Siegfried I., begründeten 1244 durch Teilung die Ascherslebensche, die ältere Bernburger und die ältere Zerbster Linie. Die Ascherslebensche Linie erlosch 1315 mit Otto II., und ihre Besitzungen fielen an Bernhard II. (1286–1324) von der Bernburger Linie; doch ging Aschersleben selbst unter Bernhard 111. (1324–48) an das Bistum Halberstadt verloren. Die Bernburger Linie erlosch mit Bernhard VI. 1468. Die Zerbster Linie, von Siegfried I. (1252–98) begründet, erwarb die Stadt Zerbst und 1370 die Grafschaft Lindau, vermochte ihren Anspruch auf die Mark Brandenburg nach dem Erlöschen der dortigen Askanier (1320) nicht geltend zu machen und teilte sich 1396 in die Siegmundsche Linie, die das rechte Elbufer (Zerbst), und die Albrechtsche Linie, die das linke Elbufer (Köthen) erhielt. Die Enkel Albrechts III., des Stifters der letztern, Magnus I. und Adolf V., traten 1508 in den geistlichen Stand und überließen ihr Gebiet der Siegmundschen Linie, die Siegmund I. (1396–1405) begründet hatte. Dessen Sohn Georg I. (1405–74) hatte sich 1422 vergeblich bemüht, beim Tode des letzten askanischen Kurfürsten von Sachsen-Wittenberg das Land dem anhaltischen Hause zu erhalten, erbte aber 1468 die Besitzungen der ältern Bernburger Linie. Georg I. nahm 1473 eine neue Teilung der Lande vor. Von seinen Söhnen begründeten Waldemar VI. die ältere Köthensche, Ernst die ältere Dessauer Linie. Waldemars VI. Sohn Wolfgang (1508–62; gest. 1566) erwarb 1508 einen Teil der Zerbster Lande der Albrechtschen Linie, führte 1522 die Reformation ein und ward 1547 nach der Schlacht bei Mühlberg vom Kaiser geächtet. Seine Lande wurden dem kaiserlichen Höfling Siegmund von Ladrona verliehen, von diesem an Heinrich von Reuß für 32,000 Tlr. verkauft und für diese Summe 1552 nach dem Passauer Vertrag von Wolfgang zurückerworben, aber, da Wolfgang kinderlos war, 1562 an die Dessauer Linie abgetreten. Diese, von Ernst I. (1473–1516) gestiftet, erwarb einen Teil von Zerbst und Harzgerode, spaltete sich aber, als Ernsts Söhne, Johann II., Georg III. und Joachim, die anfangs gemeinschaftlich regiert und 1534 die Reformation eingeführt hatten, 1546 teilten, in die Linien Zerbst, Plötzkau und Dessau. Johanns II. (gest. 1551) Söhne, Karl, Joachim Ernst und Bernhard VII., erbten den Besitz ihres Vaters, dann den ihrer Oheime Georg III. (gest. 1553) und Joachim (gest. 1561). Da Karl 1561 und Bernhard VII. 1570 kinderlos starben, so vereinigte Joachim Ernst 1570 die gesamten anhaltischen Lande, für die er 1572 mit Zustimmung der Stände die anhaltische Landesordnung erließ.

Nach dem Tode Joachim Ernsts (1586) regierten seine Söhne gemeinschaftlich und führten 1596 die reformierte Lehre ein, teilten aber das Land von neuem 17. Juni 1603, so daß Johann Georg I. Dessau, Christian I. Bernburg, August Plötzkau, Rudolf Zerbst, Ludwig Köthen erhielt. 1635 schlossen sie den Senioratsrezeß, wonach der Älteste die Gesamtangelegenheiten des fürstlichen Hauses besorgen, bei wichtigen Dingen aber in einer Zusammenkunft aller Fürsten die Mehrheit der Stimmen entscheiden und der Senior den Beschluß ausführen sollte. 1689 ging Lauenburg verloren. 1806 erwarb Bernburg vom Kaiser Franz II. den Herzogs titel, 1807 nahmen auch die Fürsten von Dessau und Köthen den Herzogstitel an; am 18. April 1807 traten die Fürsten des Gesamthauses A. dem Rheinbund und 18. Juni 1815 dem Deutschen Bunde bei. Durch die Vereinigung des größten Teiles von Sachsen mit Preußen fast ganz von preußischem Gebiet umschlossen, ward A. 1828 Glied des preußischen Zollvereins.

Die 1603 von Ludwig gestiftete jüngere Linie A.-Köthen erlosch 1665 mit Wilhelm Ludwig; ihr Besitz fiel an August von Plötzkaus Sohn Lebrecht, der den Namen Fürst von A.-Köthen annahm; doch beschlossen die anhaltischen Fürsten 1665, daß fortan beim Erlöschen einer Linie die übrigen sich zu gleichen Teilen in ihr Land teilen sollten. Dieser Fall trat 1793 ein, als die jüngere Linie A.-Zerbst, die 1644 wieder das lutherische Bekenntnis eingeführt und 1667 Jever geerbt hatte, mit Fürst Friedrich August, dem jüngern Bruder der russischen Kaiserin Katharina II., erlosch: Jever fiel an Katharina, während das anhaltische Gebiet 1797 unter die Linien A.-Dessau, A.-Bernburg und A.-Köthen geteilt wurde. In A.-Köthen folgte auf Lebrecht 1669 dessen Bruder Emanuel, diesem sein nachgeborner Sohn Emanuel Lebrecht und diesem 1704 sein älterer Sohn Leopold, dann der jüngere, August Ludwig (1728–55), dessen Sohn und Nachfolger Karl Georg Lebrecht als kaiserlicher Feldmarschall 1789 bei Semlin gegen die Türken fiel. Sein Sohn August Christian Friedrich, seit 1807 Herzog, suchte, Napoleon verehrend, in seinem Ländchen alles nach französischem Muster einzurichten: er teilte es in zwei Departements, bildete einen Staatsrat und führte den Code Napoléon ein. Seine Soldatenspielerei und Jagdleidenschaft stürzten das Land in Schulden, die sich unter seinem Neffen und Nachfolger, Herzog Ludwig (1812–18), auf 2 Mill. Tlr. steigerten, so daß unter Vermittelung Sachsens die Stände die Finanzverwaltung übernahmen. Nach des kinderlosen Ludwig Tode fiel das Herzogtum an Ferdinand, den ältern Sohn von Karl Georg Lebrechts jüngerm Bruder Friedrich Erdmann, der 1765 durch Schenkung die Herrschaft Pleß in Oberschlesien erhalten hatte. [529] Ferdinand trat Pleß seinem jüngern Bruder Heinrich ab, ward 1825 nebst seiner Gemahlin, einer Gräfin von Brandenburg, Tochter Friedrich Wilhelms II. von Preußen, in Paris katholisch und führte die Barmherzigen Brüder und die Jesuiten in Köthen ein. Ihm folgte 1830 sein Bruder Heinrich, der Pleß seinem jüngern Bruder Ludwig gab, es aber, als dieser 1841 kinderlos gestorben war, dem nächsten Fideikommißerben, dem Grafen Hochberg, 1846 gegen eine lebenslängliche Rente von 30,000 Tlr. abtrat. Die Schulden waren inzwischen bis 1845 auf 4,323,249 Tlr. angewachsen, so daß sich die Agnaten und Preußen der Sache annahmen und einen preußischen Beamten, v. Goßler, als Minister einsetzten. Mit Herzog Heinrich starb 23. Nov. 1847 die Linie A.-Köthen aus, und ihr Land fiel auf Grund eines zwischen den Linien A.-Dessau und A.-Bernburg geschlossenen Vertrags an A.-Dessau.

Die jüngere Linie A.-Bernburg ward 1603 von Fürst Christian I. (gest. 1630) gestiftet. Seine Söhne Christian II. und Friedrich teilten 1635 das Land; hierbei stiftete Friedrich die Linie Harzgerode (erloschen 1709 mit seinem Sohne Wilhelm, worauf Harzgerode an Bernburg zurückfiel). Christians II. Nachfolger, Viktor Amadeus (1670–1718), führte 1677 die Primogenitur ein. Einen nach seinem Tod entstandenen Streit schlichtete der Kaiser dahin, daß Karl Friedrich Harzgerode, sein Bruder Lebrecht außer einer Abfindungssumme Hoym und andre Güter empfing. So stiftete Lebrecht eine Nebenlinie, die 1707 die Grafschaften Schaumburg und Holzappel im Nassauischen erbte und sich danach A.-Bernburg-Schaumburg-Hoym nannte; nach ihrem Erlöschen (1812) fielen ihre anhaltischen Besitzungen an die Hauptlinie Bernburg zurück. In dieser folgte auf Karl Friedrich (1718–21) dessen Sohn Viktor Friedrich (1721–65), diesem sein Sohn Friedrich Albrecht (1765–96). Dessen Sohn Alexius Friedrich Christian (1796–1834) erwarb 1797 den dritten Teil der Zerbstischen Lande, ward 1807 Herzog und erhielt 1812 Hoym zurück. Während der Herrschaft des geistesschwachen Alexander Karl (1834–63) führte ein Konferenzrat die Regierung, der 1848 mit einer neu einberufenen Ständeversammlung eine konstitutionelle Verfassung vereinbarte, die der Herzog verwarf. Der Landtag rief im November das Einschreiten des Reichsverwesers an und wollte dem Herzog von A.-Dessau die Regentschaft übertragen. Indes der von seiner tatkräftigen Gemahlin, Friederike von Glücksburg, geleitete Herzog ließ durch Minister v. Krosigk den Landtag 14. Dez. auflösen und eine Verfassung oktroyieren, die ein neuer Landtag genehmigen sollte. Bei den Wahlen kam es im März 1849 zu Bernburg u.a. O. zu Aufruhr, so daß der Belagerungszustand verhängt und preußische Truppen herbeigerufen wurden, die fünf Monate im Lande blieben. Darauf wurde die Verfassung 1850 vom Landtag angenommen und mit einem neuen Wahlgesetz und einer Gemeinde- und Kreisordnung 15. Mai veröffentlicht. Der 1851 neu ernannte Minister v. Schätzell setzte die Wahl eines konservativen Landtags und die Revision der Verfassung in konservativem Sinne durch und ließ 1855 die Herzogin zur Mitregent in ernennen. Da indes mit Alexander Karl die Linie A.-Bernburg erlöschen mußte, wurde Köthen 1853 an Dessau überlassen, und 1856 wurde dem bernburgischen Landtag eine neue Verfassung für ganz A. vorgelegt, die am 17. Sept. 1859 ins Leben trat. Als Herzog Alexander Karl 19. Ang. 1863 starb, ward A.-Bernburg mit A.-Dessau vereinigt.

Die jüngere Linie A.-Dessau ward 1603 von Johann Georg I. gestiftet, nach dessen Tode (1618) seine Söhne Johann Kasimir und Georg Aribert 1632 das Land teilten; Georg Aribert erhielt Radegast, Kleutsch und Wörlitz, die nach seinem Tode 1643 an Dessau zurückfielen. Hier folgte auf Johann Kasimir 1660 sein Sohn Johann Georg II., kurbrandenburgischer Feldmarschall, diesem 1693, zunächst bis 1698 unter Vormundschaft, Fürst Leopold I., als preußischer General unter dem Namen »der alte Dessauer« berühmt; durch seine Mutter erbte er 1702 viel aus dem oranischen Nachlaß. Sein ältester Sohn, Wilhelm Gustav (gest. 1737), hatte sich 1726 heimlich mit der Dessauer Kaufmannstochter Johanne Sophie Herre vermählt, und seine Söhne, die Grafen von Anhalt, wurden von der Erbfolge ausgeschlossen; das Grafengeschlecht erlosch 1823. Auf Leopold I. folgte 1747 sein jüngerer Sohn, Leopold II. Maximilian (preußischer General, wie sein Bruder Moritz), auf Leopold II. 1751 sein Sohn Leopold III. Friedrich Franz (1751–1817), bis 1758 unter der Vormundschaft seines Oheims, des Fürsten Dietrich. Leopold III. erwarb 1797 ein Drittel des Zerbst er Lan des und nahm 1807 den Herzogstitel an. Ihm folgte 1817 sein Sohn Leopold Friedrich (1817–71). 1848 regte sich auch in Dessau das Volk; große Freiheiten gewährte die Verfassung vom 29. Okt. 1848. Schon 1849 erfolgte unter preußischem Einfluß eine Reaktion; preußisches Militär rückte ein, und da der Landtag keiner Revision der Verfassung zustimmte, wurde die 1848er Verfassung 4. Nov. 1851 aufgehoben und der Landschaft 1852 eine für ganz A. bestimmte konstitutionelle Verfassung vorgelegt, die am 17. Sept. 1859 veröffentlicht wurde. Inzwischen war 22. Mai A.-Köthen mit Dessau vereinigt worden, und 19. Aug. 1863 fiel ihm auch Bernburg zu. Am 30. Aug. 1863 wurden die anhaltischen Lande zum Herzogtum A. vereinigt; 26. Nov. wurde der erste Landtag des vereinigten Herzogtums eröffnet. Mit Preußen durch eine Militärkonvention verbunden, stand A. 1866 auf dessen Seite; am 18. Ang. trat es dem Nord deutschen Bunde bei. Sein Kontingent wurde durch die Konvention vom 4. Febr. 1867 in das 93. preußische Infanterieregiment verwandelt. Im Innern veran laßte die Domänenfrage längern Streit. Der Herzog wünschte statt der Zivilliste (295,000 Tlr.) die Domänen als Privateigentum des herzoglichen Hauses zu erhalten, wogegen er einen Teil der Landesschulden übernehmen und jährlich eine bestimmte Summe zur Bestreitung der Staatsausgaben bezahlen wollte. Erst im Juni 1869 erlangte der Minister v. Larisch vom Landtage das Zugeständnis, daß der Herzog statt der Zivilliste einen Teil der Domänen mit einem Reinertrag von 350,000 Tlr. erhalten solle. Nach dem Tode des Herzogs Leopold Friedrich 22. Mai 1871 folgte sein Sohn Friedrich; 1872 wurde das Domanialvermögen zwischen Herzog und Land geteilt und ein neues Wahlgesetz für den Landtag veröffentlicht. Die Finanzen Anhalts gestalteten sich günstig, besonders seit dem Erwerb des Salzbergwerks Leopoldshall.

Vgl. Beckmann, Historia des Fürstentums A. (Zerbst 1710, 7 Bde.); Lentz, Becmanus enucleatus, etc. (Köthen u. Dessau 1757); Stenzel, Handbuch der anhaltischen Geschichte (Dessau 1820); Lindner, Geschichte und Beschreibung des Landes A. (das. 1833); G. Krause, Urkunden, Aktenstücke und Briefe zur Geschichte der anhaltischen Lande und ihrer Fürsten unter dem Druck des Dreißigjährigen Krieges (Leipz. 1861–66, 5 Bde.); v. Heinemann, Codex diplomaticus[530]

Anhaltinus (Dessau 1867–83, 6 Bde.); »Mitteilungen des Vereins für anhaltische Geschichts- und Altertumskunde« (1875 ff.); Büttner Pfänner zu Thal, Anhalts Bau- und Kunstdenkmäler (Dessau 1896); Knoke, Anhaltische Geschichte (das. 1893, Bd. 1).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 527-531.
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