Schiller [3]

[184] Schiller, 1) Julius, geb. zu Augsburg im 16. Jahrh.; wurde Augustinermönch u. trieb Astronomie. Der neuen Ausgabe von Bayers Uranometria nova 1627 fügte er einen Anhang: Coelum stellatum christianum bei, worin er die der Mythologie entlehnten Namen der Sternbilder durch biblische Namen ersetzte, so legte er den 12 Bildern des Thierkreises die Namen der 12 Apostel unter. 2) Johann Kaspar, Sohn eines Dorfbäckers, geb. 1723 zu Bitterfeld im Württembergischen, widmete sich der Chirurgie, war 1745 im Österreichischen Erbfolgekrieg mit einem baierischen Husarenregiment als Feldscheerer in den Niederlanden, verheirathete sich 1749 mit Elisabeth Dorothea Kodweis, der Tochter eines Gastwirthes u. Holzinspectors, wurde 1757 Adjutant u. Fähnrich beim württembergischen Regiment Prinz Louis u. 1759 Lieutenant beim Romannschen Infanterieregiment, lebte in den folgenden Jahren in Ludwigsburg u. Kannstatt u. seit 1763 als Werbeoffizier in Schwäbisch-Gemünd u. Lorch u. seit 1766 wieder in Ludwigsburg; 1775 wurde er mit Hauptmannscharakter Aufseher der fürstlichen Gärten des Lustschlosses Solitude u. st. 1796. Er schr.: Betrachtungen über landwirthschaftliche Dinge in dem Großherzogthum Württemberg, Stuttg. 1767–69, 4 St.; Die Baumzucht im Großen, Neustrelitz 1795, u. Aufl. Gießen 1806. 3) Joh. Christoph Friedrich, Sohn des Vorigen, war geboren zu Marbach im Württembergischen den 10. Novbr. 1759. (Wenn in dem Kirchenbuche zu Marbach der 11. Novbr. eingetragen ist, so ist das entweder ein Schreibfehler od. bezieht sich statt des Geburtstages auf den Tag der Taufe). Er blieb der einzige Sohn seiner Eltern unter sechs Geschwistern, von denen zwei kurz nach der Geburt starben. Sein erster Jugendlehrer war seit 1763 in Lorch der Pastor Phil. Ulr. Moser, dessen Namen er in seinem ersten dramatischen Werke, den Räubern, ein Denkmal gesetzt hat; seit 1756 besuchte er die Lateinische Schule in Ludwigsburg, wohin seine Eltern gezogen waren, um sich auf das Studium der Theologie vorzubereiten. Im Jahr 1770 errichtete der Herzog Karl Eugen auf der Solitude das Militärwaisenhaus, eine Erziehungsanstalt, namentlich für ärmere Soldatensöhne, deren Plan u. Einrichtung er bald erweiterte, indem er sie 1772 zur Akademie erhob u. 1775 als Militärakademie nach Stuttgart verlegte; 1781 wurde sie unter dem Namen der Hohen Karlsschule vom Kaiser Joseph II. zur Universität für drei Facultäten erhoben. Die Einrichtung der Akademie war für die damalige Zeit großartig; es herrschte in ihr eine strenge militärische Ordnung mit etwas Pedanterei u. Ostentation vermischt, aber kein illiberaler Geist; die Lehrer waren zum Theil vortrefflich u. ihr Verhältniß zu den Zöglingen sehr gut. S. wurde 17. Jan. 1773 in die Akademie aufgenommen u. wollte die Rechte studiren; er zeichnete sich bald aus. Als im Jahr 1775 an der Akademie Lehrstühle der Medicin gegründet wurden, gab er das Rechtsstudium auf u. meldete sich mit unter den sieben Zöglingen, welche sich der Medicin widmen wollten. Trotz dieser Wahl der Medicin als seines künftigen Berufes waren aber schon jetzt Philosophie u. Poesie die eigentlichen Mittelpunkte seines geistigen Lebens; Klopstocks Messias u. Gerstenbergs Ugolino erregten in ihm den Gedanken eines Epos u. eines Drama, dessen Gegenstand Moses u. die Verfolgungen der Christen sein sollten; u. die geistige Aufregung, welche Goethe's Werther u. Götz von Berlichingen, Lessings Dramen, die Schriften Rousseau's, die erste Bekanntschaft mit Shakespeare (in der sehr unvollkommenen Übersetzung von Eschenburg), überhaupt der kräftige, wenn auch trübe u. wilde Wogenschlag der damaligen Sturm- u. Drangperiode hervorbrachte, weckte S-s dichterischen Genius zu selbständigen Productionen. Nach mehren, von ihm selbst später verrichteten dramatischen Versuchen (Der Student von Nassau u. Cosmo von Medici) u. neben einer Anzahl lyrischer Gedichte, welche er zum größten Theil 1782 in der sogenannten Sibirischen Anthologie (Anthologie, gedruckt in Tobolsko, 1782, u. Aufl. Stuttg. 1798, wieder herausgeg. von Bülow, Heidelb. 1850) sammelte, begann er 1777 die Räuber, zu denen ihm eine 1775 im Schwäbischen Mercur erschienene Erzählung die äußere Veranlassung gab. Er ließ sie jedoch wieder liegen, um zunächst seinen medicinischen Cursus zu vollenden; eine zu dem letzteren Zwecke geschriebene Abhandlung Philosophie der Physiologie wurde von den medicinischen Professoren der Akademie für. zum Drucke ungeeignet erklärt, u. erst eine zweite: Über den Zusammenhang der thierischen u. geistigen Natur des Menschen zum Drucke zugelassen. (Eine in Stuttgart 1859 erschienene Geschichte Württembergs bis zum Jahr 1740 von Friedr. Schiller ist eine von S. für die Herzogin Francisca auf deren Wunsch gefertigte Bearbeitung der Vorträge des Professors Balth. Haug über Württembergische Geschichte). Dem aufstrebenden Genius S-s war schon vor Vollendung seiner medicinischen Prüfung die Militärakademie allmälig zu eng geworden; aber er vertauschte doch nur eine ihm nicht zusagende Lebenslage mit einer anderen ähnlichen, als er 1781 als Regimentsmedicus ohne Porteépée mit 18 Gulden Reichswährung monatlichem Gehalt beim Regiment General Augé angestellt wurde. Die medicinische Praxis hatte wenig[184] Anziehendes für ihn u. die militärischen Subordinationsverhältnisse waren ihm lästig u. drückend. Unterdessen waren die Räuber fertig geworden, u. da S. keinen Verleger dafür finden konnte, wurden sie auf seine eigenen Kosten 1781 in Manheim (angeblich Frankfurt u. Leipzig) gedruckt u. am 13. Jan. 1782 durch Dalbergs Vermittelung in Manheim aufgeführt Ihre Wirkung war gewaltig; die großartige, wenn auch noch ungebändigte Kraft, welche sich in Anlage u. Ausführung des Stückes zu erkennen gab, riß um so mehr hin, je mehr die Tendenz des Stückes der gegen das Bestehende, wenn auch nur theoretisch gerichteten Stimmung des Zeitalters einen poetisch gesteigerten Ausdruck gab. Der Herzog, welchem die Richtung des Stückes bedenklich sein mochte, war doch nicht unempfänglich gegen den Ruhm eines Zöglings seiner Akademie u. schwieg Anfangs; aber die Klage mehrer in Graubündten lebender Deutschen, daß durch eine Stelle des Stückes die Republik Graubündten beleidigt sei, brachte ihn auf, u. es wurde S. verboten etwas Anderes als medicinische Schriften drucken zu lassen u. ihm aufgegeben sich aller Verbindungen mit dem Auslande zu enthalten. Gleichwohl reiste er im Mai 1782 heimlich nach Manheim, um eine zweite Aufführung der Räuber zu sehen; dies wurde dem Herzog zugetragen u. S. wegen Übertretung der militärischen Disciplin mit 14 Tagen Arrest bestraft. Hierdurch wurde ihm seine Lage vollends unerträglich; schon trug er sich mit den Entwürfen zu der Verschwörung des Fiesco u. zu Kabale u. Liebe; gerechter Stolz auf das, was er geleistet hatte, Zuversicht auf das, was er leisten könne, Unmuth über die Fesseln, welche ihm seine untergeordnete Stellung auferlegte, endlich die Hoffnung, am Theater in Manheim eine ihm angemessene Stellung zu finden, ließen in ihm den Entschluß zu einer heimlichen Flucht aus Stuttgart entstehen, welchen er mit Hülfe seines Freundes Andreas Streicher am 18. Sept. 1782 ausführte (vgl. Andreas Streicher, S-s Flucht von Stuttgart u. Aufenthalt in Manheim 1782–85, Stuttg. 1836). Nachdem er unter sehr bedrängten Verhältnissen einige Monate in Frankfurt, Oggersheim u. Manheim gelebt hatte, fand er eine Zufluchtsstätte in Bauerbach bei Meiningen, einem Gute der Frau von Wolzogen, mit deren Söhnen er sich auf der Militärakademie in Stuttgart befreundet hatte. Hier lebte er bis zum Juni 1783 u. ging dann als Theaterdichter nach Manheim, wo er trotz eines achtmonatlichen Wechselfiebers, während dessen er durch den Gebrauch zu starker Dosen China vielleicht den ersten Grund zu seiner späteren Kränklichkeit legte, die Verschwörung des Fiesco (zuerst Manheim 1783) für das Theater umarbeitete u. das bürgerliche Trauerspiel Kabale u. Liebe (zuerst Manh. 1784) vollendete. Obgleich die Anschauung des Bühnenwesens, welche er an dem damals unter Dalbergs Leitung stehenden, nach idealen Zwecken strebenden Manheimer Theater gewann, u. der Umgang mit dramatischen Künstlern, wie Boek, Iffland, Beil, Karoline Ziegler u.a., für ihn belehrend u. anregend waren, so löste er doch sein Verhältniß zum Manheimer Theater im November 1784, um sich einer ganz unabhängigen schriftstellerischen Thätigkeit, zunächst durch Herausgabe einer Zeitschrift (der Rheinischen Thalia, welche er im November 1784 ankündigte), zu widmen. Anfang December reiste er mit Empfehlungsbriefen Dalbergs nach Darmstadt, um sich dem Herzog Karl August von Weimar, welcher sich damals bei seinem Schwiegervater, dem Landgrafen Ludwig von Hessen, aufhielt, vorzustellen. Hier las er den ersten Act des Don Carlos vor u. wurde von Karl August zum Sachsen-Weimarischen Rath ernannt. Dieses Prädicat (einige Jahre später erhielt er vom Herzog von Sachsen-Meiningen den Titel eines Hofraths) war damals für ihn in Beziehung auf seine äußere Stellung nicht ohne Wichtigkeit. Mancherlei Unannehmlichkeiten, der Mangel anderer äußerer Subsistenzmittel, als welche ihm sein Journal verschaffte, wohl auch der innere Zwiespalt, in welchen ihn eine leidenschaftliche Neigung zu Frau Charlotte von Kalb verfolgte, veranlaßten ihn im April 1785 zur Übersiedelung nach Leipzig, wo er an Körner u. Huber, welche ihm seine Werke zu Freunden gemacht hatten, einen Anhalt zu finden hoffte u. namentlich an dem Ersteren wirklich fand. Den Sommer 1785 verlebte er in dem Dorfe Gohlis bei Leipzig (wo er das Lied an die Freude dichtete); im September ging er nach Dresden u. verlebte die nächsten zwei Jahre in der unmittelbaren Nähe Körners u. seiner Familie abwechselnd in Dresden, Loschwitz u. Tharand. Eine Aufforderung Schröders sich der Hamburger Bühne, wo sein 1787 erschienener Don Carlos am 30. Aug. 1787 zuerst aufgeführt wurde, zu widmen, lehnte er ab; vielmehr veranlaßten ihn seine Beziehungen zu Frau von Kalb u. der Wunsch den geistigen Größen Weimars näher zu treten, im Juli 1787 nach Weimar zu reisen. Goethe war damals in Italien; von den Kreisen des Weimarischen Hofes fühlte sich S. zunächst nicht sehr angezogen; bei Herder u. Wieland fand er freundliche Aufnahme. Die nähere Bekanntschaft mit der, der Wolzogenschen Familie verwandten, in Rudolstadt wohnenden Frau von Lengefeld u. deren beiden Töchtern, Karoline u. Charlotte, wurde für ihn der Grund, aus welchem er im Mai 1788 erst nach Volkstädt bei Rudolstadt u. dann nach Rudolstadt selbst übersiedelte. Hier traf er am 18. Juni 1788 zuerst mit Goethe zusammen, welchen er schon früher bei einem Besuche Goethe's auf der Militärakademie in Stuttgart gesehen hatte. Aus dieser Zeit stammen die Gedichte Die Götter Griechenlands u. Die Künstler; auch beschäftigte ihn der Plan zu einem Epos, dessen Held Friedrich der Große sein sollte; später hatte er den ebenfalls nicht ausgeführten Plan Gustav Adolf zum Helden eines Epos zu machen. Seit dem Jahr 1788 war in Weimar der Plan ihn durch eine Anstellung an der Universität in Jena zu fesseln, namentlich durch Goethe u. den Geheimen Rath Voigt, betrieben worden; seine Ernennung zum außerordentlichen Professor der Geschichte zunächst ohne Gehalt erfolgte im März 1789; seine Antrittsvorlesung in Jena über das Thema: Was heißt u. zu welchem Ende studirt man Universalgeschichte? hielt er am 26. Mai 1789 (vgl. Kuhlmey, S-s Eintritt in Weimar, Berl. 1855). Durch eine Gehaltsertheilung von 200 Thlrn. wurde es ihm möglich am 22. Febr. 1790 Charlotte von Lengefeld als seine Gattin heimzuführen. Das häusliche Glück, welches er in der Verbindung mit derselben fand, steigerte seine Arbeitslust, welche sich jetzt hauptsächlich historischen Studien zuwendete; die Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande war zum Theil schon früher in Wielands Mercur erschienen; jetzt schrieb er die Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs (zuerst im Taschenkalender für Damen 1790–93),[185] von welcher in kurzer Zeit 7000 Exemplare abgesetzt wurden; außerdem übernahm er die Redaction einer Sammlung historischer Memoiren. Aber schon im December 1790 erkrankte er bei einem Besuche in Erfurt bei Dalberg an einer Brustkrankheit, welche ihn im Januar 1791 an den Rand des Grabes brachte u. den Grund zu seinem frühen Tode legte. Während seiner Krankheit las er Kants Kritik der Urtheilskraft u. wurde dadurch auf philosophische Studien geführt. Die Art, wie Kant das Wesen des Schönen u. des Sittlichen in Begriffen gefaßt hatte, regte ihn an die Grundgedanken Kants selbstthätig zu verarbeiten u. eigenthümlich zu entwickeln; so entstanden in den zunächst folgenden Jahren seine philosophischen u. ästhetischen Aufsätzen. Abhandlungen (Über Anmuth u. Würde, 1792; Über den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen, 1792; Über das Pathetische; Über das Erhabene; Über die tragische Kunst, 1792; Über die ästhetische Erziehung des Menschen, 1795; Über die nothwendigen Grenzen beim Gebrauche schöner Formen, 1795; Über naive u. sentimentalische Dichtung, 1795 u. 1796). Die in ihnen niedergelegten Untersuchungen sind nicht nur für die spätere Ästhetik von maßgebendem Einfluß gewesen, sondern sie trugen auch wesentlich bei den Maßstab, welchen er an seine eigenen poetischen Schöpfungen legte, zu erhöhen u. zu reinigen. Von dem ökonomischen Drucke, welchen die Unterbrechung seiner Arbeiten durch seine Krankheit zur Folge hatte, wurde er im December 1791 dadurch befreit, daß der Herzog von Augustenburg u. der Minister Schimmelmann (also nicht, wie man so häufig meint, zwei Dänen, sondern zwei Deutsche) ihm für drei Jahre jährlich ein Jahrgeld von 1000 Thlrn. zusicherten. Dadurch wurde es ihm möglich im August 1793 eine Reise in seine schwäbische Heimath zu machen u. seine Eltern wiederzusehen. Der Herzog Karl Eugen störte seinen Aufenthalt nicht, nahm aber auch keine Notiz von ihm. Nach seiner Rückkehr im Mai 1794 übte der Umgang mit Wilhelm von Humboldt u. die nun beginnende Freundschaft mit Goethe den wohlthätigsten Einfluß auf ihn. Zu der Höhe u. Reinheit des Kunstideals, welche für Goethe's harmonische Natur fast ein ungesuchter, durch die Anschauung der antiken Kunst gesicherter u. bereicherter Besitz war, hatte sich S. erst allmälig, zum Theil mit Hülfe der philosophischen Reflexion emporgearbeitet; jetzt erkannten beide sich gegenseitig als ebenbürtige, sich gegenseitig ergänzende Größen, u. so begann in dem Verkehr mit Goethe, welchen S. zu neuen poetischen Schöpfungen anregte, für S. die reichste Periode der poetischen Production, während welcher er seine größeren Meisterwerke in rascher Folge hervorbrachte. Zwar eine neue Zeitschrift, Die Horen, welche er seit 1794, nachdem 1793 die Neue Thalia eingegangen war, in der Aussicht auf Goethe's u. der besten deutschen Schriftsteller Mitwirkung unternommen hatte, entsprach Anfangs weder seinen eigenen, noch den Erwartungen des Publicumsz aber schon 1796 brachte der Musenalmanach eine Reihe der gedankenreichsten u. vollendetsten lyrischen Gedichte S-s, z.B. den Spaziergang u. das Lied von der Glocke; 1797 erschienen ebendaselbst neben den ersten Balladen S-s die Xenien (s.d.u. Goethe). Den Mittelpunkt seiner poetischen Thätigkeit bildete aber seit 1796 der Wallenstein, ein dramatischer Stoff, auf welchen ihn die Geschichte des Dreißigjährigen Krieges 1791 geführt u. welchem er sich schon seit 1794 zugewendet hatte. Drei Jahre widmete er ihm vorzugsweise mit immer gesteigerten Anforderungen an sich selbst u. mit erhöhtem Bewußtsein über die Bedingungen u. die Zwecke des dramatischen Kunstwerkes, u. im Jahr 1799 war die große dramatische Trilogie, welche zu den ersten dramatischen Meisterwerken aller Zeiten gehört, vollendet. Ihr glänzender Erfolg bestimmte ihn auf der nunmehr betretenen Bahn fortzuschreiten; im Jahr 1800 folgte Maria Stuart, 1801 die Jungfrau von Orleans. Unterdessen war S., um Goethe u. der Weimarischen Bühne unmittelbar nahe zu sein, im December 1799 nach Weimar übergesiedelt. Im Jahr 1803 erschien die Braut von Messina, im Jahr 1804 Wilhelm Tell; außerdem bearbeitete er Shakespeare's Macbeth, Gozzi's Turandot, Racine's Phädra u. die französischen Lustspiele Der Neffe als Onkel u. Der Parasit für die Bühne. Daß der König von Preußen ihn bei seinem Aufenthalt in Berlin im Jahr 1804 unter dem Anerbieten eines Jahrgehaltes von 3000 Thlrn. in Berlin zu fesseln gesucht habe, ist ungegründet; er haben zwar durch Iffland u. den Minister von Beyme derartige Verhandlungen stattgefunden, aber der Großherzog von Weimar gab S. eine Gehaltszulage von 400 Thlrn., u. als S. eventuell in Berlin 2000 Thlr. jährlich forderte, erhielt er darauf keine Antwort, wenigstens hat sich in seinem Nachlasse keine gefunden. Schon hatte er wieder eine neue Tragödie, Der falsche Demetrius, begonnen als er im Juli 1804 in Jena, wohin er sich wegen der bevorstehenden Entbindung seine Gattin begeben hatte, erkrankte; im October war er so weit genesen, daß er nach Weimar zurückkehren u. die Huldigung der Künste zur Feier der Ankunft der Großfürstin Maria Paulowna dichten konnte; auch führte er unter fortwährenden Leiden noch in 26 Tagen die Bearbeitung der Phädra aus; aber der Keim des Todes lag in ihm, u. so unterlag er einem neuen Anfall seines Leidens am 9. Mai 1805. Seine irdischen Überreste wurden zuerst in dem sogenannten Kassengewölbe der Jacobskirche in Weimar beigesetzt; 21 Jahre später wurde durch die Bemühungen des Bürgermeisters K. Leber. Schwabe beim Aufräumen des Gewölbes sein Schädel unter den anderen, welche im Gewölbe waren, mit Hülfe einer gypsernen Leichenmaske aufgefunden u. indem Postament von Danneckers Kolossalbüste, welche der Großherzog von S-s Erben gekauft hatte, seine Gebeine aber in einem Interimssarge aufbewahrt; 1827 ordnete der Großherzog an, daß Schädel u. Gebeine in der fürstlichen Familiengruft beigesetzt wurden.

S. war nicht nur einer der größten dichterischen Genien, sondern auch ein sittlich reiner u. erhabener Charakter u. in beiderlei Beziehung ist er mit Recht einer der Lieblinge der deutschen Nation. Fast in fortwährendem Kampfe mit ungünstigen äußeren Verhältnissen u. während eines funfzehnjährigen Siechthums wurde er niemals in dem Streben nach den höchsten Zielen müde u. schlaff; die Schwierigkeiten, mit welchen er zu kämpfen hatte, waren für ihn immerfort nur der Sporn zu größeren Anstrengungen u. höheren Leistungen gewesen. Die Culturbestrebungen, welche die zweite Hälfte des 18. Jahrh. durchdringen, fanden in ihm einen ihrer edelsten u. beredtesten Vertreter, einen Propheten der Gerechtigkeit, des [186] Muthes, der Unabhängigkeit sittlicher Überzeugungen, der religiösen u. politischen Freiheit. So hat er für die Ideale, welche ihn selbst beseelen, durch die Macht künstlerisch vollendeter Darstellung das Herz des deutschen Volkes empfänglich gemacht u. erwärmt u. bildet neben Goethe einen der Höhepunkte unserer classischen Literaturperiode. Die Würdigung seiner lyrischen u. dramatischen Schöpfungen ist für die Lieraturgeschichte eine der dankbarsten Aufgaben geworden; seine ästhetischen u. philosophischen Abhandlungen sind durch die Eigenthümlichkeit, welche sein poetischer Genius u. seine sittliche Individualität der Lehre Kants aufprägte, neben Lessings Arbeiten die Grundlage der späteren Kunstphilosophie geworden (vgl. Kuno Fischer, S. als Philosoph, Frankf. 1858), u. selbst die deutsche Geschichtsschreibung, wenn auch seine historischen Schriften den strengsten Forderungen der Geschichtsforschung nicht durchaus genügen, befreite er von den Fesseln der bloßen Fachgelehrsamkeit, indem er ihr durch die Wahl seiner Gegenstände, durch den freien Blick auf das innere Triebwerk der Ereignisse, durch die plastische Schilderung bedeutender Charaktere u. Ereignisse u. durch die hinreißende Meisterschaft der Darstellung ein allgemein menschliches Interesse u. eine lebendige Beziehung zu der Theilnahme des Lesers gab. Den von den Jüngern der Romantischen Schule angeregten u. eine Zeitlang genährten Streit, wer größer sei, S. od. Goethe, hat das allgemeine Gefühl des Volkes längst entschieden; mit neidlosem Adel der Gesinnung ehrten u. liebten die beiden großen Männer sich gegenseitig u. so stehen sie beide nicht blos in der Dioskurengruppe in Weimar, sondern in dem Herzen der Nation vereinigt.

Das Interesse an S. hat eben so eine Schillerliteratur hervorgerufen, wie es eine Goetheliteratur gibt. Abgesehen von den zahlreichen Abdrücken u. Ausgaben einzelner Werke S-s erschien, nachdem er selbst seine Gedichte u. seine Kleinen prosaischen Schriften (Jena 1792–1802, 4 Bde.) gesammelt hatte, eine Gesammtausgabe zuerst Stuttg. u. Tüb. 1818–20, 18 Bde.; dann (außer den Nachdrucken), ebd. 1834, 1 Bd., 1836, 12 Bde. mit Stahlstichen, 1838, 12 Bde., 1844, 10 Bde., 1847, 12 Bde. Der Text dieser Ausgaben ist vielfach verwahrlost, vgl. Joach. Meyer, Beiträge zur Feststellung, Verbesserung u. Vermehrung des Schillerschen Textes, Nürnb. 1858. Die neueste Ausgabe der Werke, Stuttg. u. Tüb. 1862, 12 Bde., ist von Joach. Meyer revidirt. Ergänzungen zu den Werken enthalten: H. Döring, Nachlese zu S-s sämmtlichen Werken, Zeitz 1834; E. Boas, Nachträge zu S-s sämmtlichen Werken, Stuttg. 1839, 3 Bde.; K. Hoffmeister; Nachlese zu S-s Werken u. Variantensammlung, ebd. 1840, 4 Bde. Zahlreiche Übersetzungen seiner Werke sind mehrfach in allen gebildeten Sprachen Europas erschienen; seine ersten dramatischen Werke waren sehr bald ins Französische übersetzt worden, u. hierin lag die Veranlassung, daß er 1792 von der Französischen Nationalversammlung unter der Bezeichnung eines Mr. Gillé zum Bürger der Französischen Republik ernannt wurde; das von Danton unterzeichnete Ernennungsdecret kam erst 1798 in seine Hände. Zu seinen Werken gehören gewissermaßen auch die zahlreichen auf ihn sich beziehenden Briefsammlungen: S-s Briefe an Dalberg, Karlsr. 1819; Briefwechsel zwischen S.u. Goethe, von Letzterem herausgegeben, Stuttg. 1828, 6 Bde., 2. vollständigere Ausg. 1856, 2 Bde.; Briefwechsel zwischen S.u. Wilh. von Humboldt, mit einer Vorerinnerung des Letzteren über S-s Geistesentwickelung, Stuttg. 1830; Auserlesene Briefe in den Jahren 1781–1805, herausgeg. von Heinr. Döring, Zeitz 1835, 3 Bde.; S-s u. Fichte's Briefwechsel, herausgeg. v. H. Fichte, Berl. 1847; S-s Briefwechsel mit Körner, ebd. 1847, 4 Bde., 2. Ausg. Lpz. 1859; als Einleitung dazu von Herm. Marggraff, S-s u. Körners Freundschaftsbund, ebd. 1859; Briefe von S-s Gattin an einen vertrauten Freund (Knebel), herausgeg. von Düntzer, ebd. 1856; S-s Briefe, Berl. 1854–57, 2 Bde.; S-s Denkwürdigkeiten u. Bekenntnisse über sein Leben, geordnet von Diezmann, Lpz. 1854, 2. A. ebd. 1862. Biographien S-s: Carlyle, The life of Fr. S., comprehending an examination of his works, Lond. 1825, 2. A. 1845 (deutsch Frankf. 1830); Karol von Wolzogen (S-s Schwägerin), S-s Leben aus den Erinnerungen der Familie etc., Stuttg. 1850, 2 Bde., u. Aufl. 1851; Fr. Hoffmeister, S-s Leben, Geistesentwickelung u. Werke, Stuttg. 1837–1842, 3 Bde.; Derselbe, S-s Leben, für den weiteren Kreis seiner Leser, ergänzt von Viehoff, ebd. 1846; G. Schwab, Urkunden über S.u. seine Familie, ebd. 1840; Derselbe, S-s Leben, ebd. 1844, 3 Abthl.; E. Boas, S-s Jugendjahre, Hannov. 1858; Emil Palleske, S-s Leben u. Werke, Berl. 1858, 2 Bde., 2. Aufl. ebd. 1859; Diezmann, Goethe- u. Schillermuseum, Lpz. 1858; Fr. v. S-s Beziehungen zu Eltern, Geschwistern etc., aus den Familienpapieren mitgetheilt, Stuttg. 1859; Joh. Scherr, S.u. seine Zeit, Lpz. 1859, 3. A. ebd. 1862; Julian Schmidt, S.u. seine Zeitgenossen, ebd. 1859; K. Twesten, S. im Verhältniß zur Wissenschaft, Berl. 1862; K. Tomaschek, S. in seinem Verhältnisse zur Wissenschaft, Wien 1862; S.u. Lotte, (von Frau v. Gleichen-Rußwurm), Stuttg. 1855; Charl von S.u. ihre Freunde, ebd. 1860, 2 Bde.; vgl. auch Hinrichs, S-s Dichtungen nach ihren historischen Beziehungen, Lpz. 1837–39, 2 Thle.; Kuno Fischer, S. als Komiker, ebd. 1861. Das dankbare Andenken an S. hat seit einer längeren Reihe von Jahren an mehren Orten besondere Schillervereine ins Dasein gerufen; der Stuttgarter Schillerverein hat die Sorge für S-s Geburtshaus in Marbach übernommen u. das bronzene Standbild S-s von Thorwaldsen in Stuttgart setzen lassen; der Leipziger hat, abgesehen von den jährlichen Festfeiern, S-s Wohnhaus in Gohlis angekauft u. darin eine Schillerbibliothek angelegt. Verschieden davon ist die in Dresden entstandene Schillerstiftung, eine Gesellschaft, welche ihrem Zwecke der Unterstützung bedürftiger u. verdienter deutscher Schriftsteller, bes. solcher, welche sich poetischer Formen bedient haben, durch den Namen S-s eine besondere Weihe zu geben beabsichtigte. Sie besteht aus einer Hauptstiftung u. affiliirten Zweigstiftungen (im Jahr 1860 waren deren 19), war schon im Jahr 1860 von der großherzoglich sächsischen u. königlich baierischen Regierung als moralische Person anerkannt u. besaß im Jahr 1860, außer 300,000 Thlrn. von den Überschüssen der hauptsächlich durch die Bemühungen des Majors von Serre im Jahr 1859 veranstalteten deutschen Nationallotterie, für welche 660,000 Loose abgesetzt worden waren, ein eigenes Vermögen von 70,000 Thlrn. Der Sitz ihrer Verwaltung ist jetzt in Weimar. Die hundertjährige Wiederkehr des Geburtstages[187] S-s wurde als Schillerfest nicht nur fast in allen Städten Deutschlands, in den größeren, namentlich in Stuttgart, Hamburg, Leipzig, Berlin u.a., in großartiger Weise, sondern auch in fast allen Hauptstädten Europa's, ja selbst in Nordamerika u. Australien, wo deutsche Colonien sich befinden, festlich begangen. Die Zahl der bei dieser Gelegenheit erschienenen Festreden, Festspiele, Festbeschreibungen etc. beträgt weit über hundert: vgl. die Sammelschrift von Tropus, Schillerdenkmal, Berl. 1860; bes. hervorzuheben sind: Jak Grimm, Rede auf S., Berl. 1859; Fr. Vischer, Rede in der Peterskirche zu Zürich, Zürich 1859; Kuno Fischer, Akademische Festrede, Lpz. 1859; Schweizer Rütli- u. Schillerfeier, Festalbum, Aarau 1860; B. Endrulat, Das Schillerfest in Hamburg, Hamb. 1860. Zwei Jahre vorher war die Doppelstatue S-s u. Goethe's von Rietschel am hundertjährigen Geburtstage Karl Augusts in Weimar am 3. Sept. 1857 feierlich enthüllt worden; auch in Berlin gebt man damit um die Standbilder Lessings, Goethe's u. S-s in einer Gruppe vereinigt ausführen zu lassen.

Über die Glieder der Familie S-s ist Folgendes zu bemerken: S-s Schwester, Christophine, geb. 5. Sept. 1757, verheirathete sich 1786 mit S-s Freund, dem Hofrath Wilh. Friedr. Herm. Reinwald in Meiningen, wurde 1815 Wittwe u. st. 31. Aug. 1847. S-s ältester Sohn, Karl Friedr. Ludw. Freiherr von S., geb. 14. Sept. 1793, wurde 1845 in den Freiherrnstand erhoben u. st. 21. Juni 1857 als württembergischer Oberforstmeister in Ludwigsburg, er war vermählt mit Luise geb. Locher; dessen Sohn, Friedr. Ludw. Ernst Freiherr von S., geb. 28. Dec. 1826 zu Reichenberg, steht in österreichischen Militärdiensten u. ist seit 1856 mit Mathilde geb. von Alberti vermählt. S-s zweiter Sohn, Ernst Friedr. Wilh. von S., geb. 11. Juli 1796, st. am 12. Mai 1841 als preußischer Appellationsgerichtsrath in Bilich bei Bonn. S-s erste Tochter, Karoline Henriette Luise, geb. 12. Octbr. 1799, verheirathete sich 1828 mit dem Bergrath Junot u. st. 4. Jan. 1846; S-s zweite Tochter, Luise Henr. Emilie, geb. 26. Juli 1804, verheirathete sich 1828 mit dem Freiherrn Heinr. Adalb. von Gleichen-Rußwurm u. lebt in Würzburg.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 15. Altenburg 1862, S. 184-188.
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