Braunschweig [1]

[353] Braunschweig (hierzu Karte »Braunschweig, Lippe und Waldeck«), zum Deutschen Reiche gehöriges Herzogtum im nördlichen Deutschland, zwischen 8°55'–11°27' östl. L. und 51°33'–53° nördl. Br. gelegen, wird fast ganz von Preußen, und zwar im N. und S. von der Provinz Hannover, im O. von der Provinz Sachsen, im W. von der Provinz Westfalen umschlossen und ist außerdem auf kurze Strecken von Anhalt (im SO.) und von Waldeck (im W.) begrenzt. Das Land besteht aus drei Hauptteilen und sechs kleinern, zum Teil weit zerstreuten Exklaven. Der größere (nördliche) Hauptteil umfaßt die Kreise B. (ohne Amt Thedinghausen), Wolfenbüttel (ohne Amt Harzburg) und Helmstedt (ohne Amt Katvörde), der westliche Teil die Kreise Gandersheim und Holzminden; die dritte Hauptmasse liegt im SO. und begreift den Kreis Blankenburg (das frühere Fürstentum Blankenburg nebst dem Stiftsamt Walkenried). Die sechs kleinern, in den preußischen Provinzen Hannover und Sachsen liegenden Exklaven sind die Ämter Thedinghausen, Harzburg (der frühere Zusammenhang dieses Amtsgerichtsbezirks mit dem Kreise Gandersheim wurde durch die Abtretung der Goslarschen Stadtforsten an das Königreich Preußen gelöst) und Katvörde, ferner die Gemeinden Bodenburg, Ölsburg und Ostharingen. Das frühere sogen. Kommunion-Harzgebiet ist 1874 unter Preußen und B. geteilt, jedoch fallen die Einkünfte aus den Berg- und Hüttenwerken etc. auch ferner zu 4/7 an Preußen und 3/7 an B.

Der nördliche Hauptteil des Herzogtums ist meistens welliges Hügelland und verläuft in das norddeutsche Flachland, und zwar in die Lüneburger Heide. Der südöstliche Teil ist das eigentliche Bergland des Harzes; hügelig, oft nur wellig, breitet sich der westliche über den Fuß des Harzes und des Solling aus. Man kann etwa 40 Proz. der Gesamtfläche zum Bergboden, 40 Proz. zum Hügel- und 20 Proz. zum Flachland rechnen. Der braunschweigische Anteil des Harzes, in welchen sich das Land mit Preußen und Anhalt teilt, umfaßt einschließlich der Vorberge etwa 900 qkm und liegt teils auf der nordwestlichen, teils auf der östlichen und südöstlichen Seite des Gebirges. Hier erheben sich, südlich vom Brocken, der Wurmberg (968 m hoch) und die Achtermannshöhe (926 m). Die bedeutendsten Höhenzüge des nördlichen Hauptteils sind der mit Buchen bestandene Elmwald, dessen höchste Kuppe 290 m erreicht, ferner der Fallstein (275 m), die Lichtenberge (264 m), die Asse (222 m) etc. Im westlichen Landesteil steigt das Wesergebirge mit dem Ith bis 390 m, mit dem Solling (der Ahrensberg) bis 474 m empor. B. gehört meist zum Stromgebiete der Weser, die das Herzogtum im Kreise Holzminden und im Amte Thedinghausen berührt, und in welche die Flüsse Leine, Innerste, Oker, Fuse, Aller und Eyther münden, während die Ohre, Bode, Zorge und Wieda der Elbe zufließen. Heilquellen finden sich zu Seesen, Gandersheim, Harzburg und bei Helmstedt (erdig-salinisch). Das Klima ist in den nördlichen Bezirken mild, in den gebirgigen südlichen Teilen im Winter rauh und kalt, im Herbst und Frühling feucht. Die mittlere Jahrestemperatur beträgt in der Stadt Braunschweig 9°.

[Areal und Bevölkerung.] Das Areal des Herzogtums umfaßt (1900) 3672,18 qkm (66,7 QM.), wovon 1882 qkm Äcker und Gärten, 436 qkm Wiesen und Weiden, 1095 qkm Forsten und 228 qkm sonstige Fläche. Die Zahl der Einwohner betrug 1900: 230,288 männliche und 234,045 weibliche Personen, zusammen 464,333 (gegen 260,365 im J. 1849, 311,764 im J. 1871, 349,367 im J. 1880, 403,773 im J. 1890 und 434,213 im J. 1895), die in 14 Städten (mit zusammen 214,985 Einw.) und in 443 Landgemeinden wohnen und sich auf die sechs Kreise des Herzogtums folgendermaßen verteilen: [353]

Tabelle

Nach der Staatsangehörigkeit befanden sich 1900 darunter 4476 Reichsausländer; nach dem religiösen Bekenntnis: 432,570 Lutheraner, 4406 Reformierte, 24,175 Katholiken, 1271 sonstige christliche Sektierer, 1824 Israeliten und 87 mit unbestimmter und fehlender Angabe; nach dem Familienstand: 265,323 Ledige, 170,854 Verheiratete, 27,274 Verwitwete und 882 Geschiedene. Bei 458,911 Personen war die Muttersprache deutsch, 105 sprachen daneben und 5317 ausschließlich eine fremde Sprache (davon 3530 polnisch). Die Zahl der bewohnten Gebäude betrug 48,304, die der Haushaltungen 104,665. Die Berufszählung vom 14. Juni 1895 ergab eine Gesamteinwohnerzahl von 435,731, davon entfallen:

Tabelle

Dabei wurden gezählt 190,400 (männliche und weibliche) Erwerbstätige, bez. Selbständige, 13,508 Dienende für häusliche Zwecke und 231,823 Angehörige. Was die Bewegung der Bevölkerung betrifft, so kamen im Durchschnitte der zehnjährigen Periode von 1891–1900 im Herzogtum jährlich 3710 Eheschließungen (8,5 auf Tausend der mittlern Bevölkerung), 15,349 Geburten (einschließlich der Totgebornen, 35,3 auf Tausend) und 9371 Sterbefälle (21,6 auf Tausend) vor, der jährliche Geburtsüberschuß betrug mithin 5978 (13,8 auf Tausend).

Vorherrschende Religion ist die evangelisch-lutherische (s. oben); daneben bestehen eine reformierte und sieben katholische Gemeinden, welch letztere zum Bistum Hildesheim gehören und unter Aufsicht des Dechanten in Braunschweig stehen, sowie eine Baptistengemeinde. Die Juden haben fünf Synagogen mit einem Landesrabbinat zu Braunschweig. Die evangelisch-lutherische Kirche umfaßt 231 (183 Dörfer mit regelmäßigem Gottesdienst ohne Pfarre) Pfarrbezirke mit 332 Kirchen (dazu 3 im Bau befindliche), 69 Kapellen und 26 Betsälen. Durch Gesetz vom 31. Mai 1871 ist die Synodalverfassung eingeführt und tritt die aus 32 Abgeordneten (14 geistlichen und 18 weltlichen) bestehende Landessynode alle vier Jahre zu ordentlicher Versammlung zusammen. Während der Zwischenzeit fungiert ein aus fünf Mitgliedern bestehender Ausschuß. Die Zustimmung der Synode ist zum Erlaß von Kirchengesetzen und zur Erhebung von Kirchensteuern erforderlich. Die spezielle Leitung und Beaufsichtigung der kirchlichen und Gemeindeschulangelegenheiten untersteht dem Konsistorium zu Wolfenbüttel, dem als geistliche Verwaltungsorgane 6 General- und 28 Spezialsuperintendenturen untergeordnet sind. Die reformierte Kirchengemeinde zu Braunschweig steht unter der Leitung eines Presbyteriums, das an den Synodalversammlungen der konföderierten reformierten Kirchen Niedersachsens teilnimmt. Die Leitung und Beaufsichtigung der höhern Unterrichtsanstalten (Gymnasien etc.) ist der durch Gesetz vom 25. April 1876 errichteten Oberschulkommission übertragen. Als Landesuniversität gilt Göttingen, wo die Unterstützungsfonds der 1809 aufgehobenen Universität Helmstedt angelegt sind. Andre Lehranstalten sind: die Technische Hochschule zu Braunschweig (s.d., S. 360), 6 Gymnasien, ein Realgymnasium, ein Predigerseminar (zu Wolfenbüttel), 2 Schullehrerseminare und Präparandenanstalten, 2 Lehrerinnenseminare, eine städtische Oberrealschule (in Braunschweig), 3 Realprogymnasien, eine Baugewerkschule (Holzminden), die landwirtschaftliche Schule Marienberg und Haushaltungsschule für Töchter bäuerlicher Besitzer zu Helmstedt, 4 höhere Mädchenschulen, 48 städtische, ca. 400 Landschulen und verschiedene Privatlehranstalten. Ferner sind hervorzuheben die Fachschulen für Zuckerindustrie und die Drogistenakademie in Braunschweig. Eine der herrlichsten wissenschaftlichen Sammlungen Deutschlands ist die berühmte Landesbibliothek in Wolfenbüttel (s.d.). Unter den Kunstschätzen ist das herzogliche Museum in der Stadt Braunschweig (s.d., S. 360) mit vorzüglicher Gemäldegalerie und andern kunst- und naturhistorischen Sammlungen von Bedeutung. B. besitzt eine Landesirrenanstalt zu Königslutter, eine Idiotenanstalt zu Neu-Erkerode, Blindeninstitut, Blindenasyl und Taubstummenanstalt, ferner eine Diakonissenanstalt (Marienstift) mit Kranken- und Siechenhaus, ein Krankenhaus der Schwestern vom Roten Kreuz, ein Landeskrankenhaus mit Entbindungsanstalt und ein Militärlazarett, sämtlich in der Stadt B., neu eingerichtete städtische Krankenhäuser zu Braunschweig, Wolfenbüttel, Holzminden und Blankenburg, ein Kreiskrankenhaus Marienberg in Helmstedt, eine Anstalt für skrofulöse Kinder in Harzburg, eine Lungenheilstätte (Albrechts- und Marienheim) bei Stiege im Harz und eine Erziehungsanstalt für verwahrloste Kinder in Bevern (Wilhelmsstift). Landesstrafanstalten befinden sich in Wolfenbüttel (Zellengefängnis) und in Braunschweig.

[Produkte und Erwerbsquellen.] Je nach der Bodenbeschaffenheit sind diese verschieden. Im fruchtbaren Flach- und Hügelland steht der Ackerbau in höchster Blüte, auf dem Harz dagegen sowie in dem Amte Thedinghausen tritt die Viehzucht in den Vordergrund. Die Zahl der Wirtschaften mit landwirtschaftlichem Betrieb ist bei der Berufsstatistik von 1895 zu überhaupt 58,041 mit 224,225 Hektar Gesamtfläche ermittelt. Nach der Größe des landwirtschaftlich nutzbaren Areals unterschieden, befanden sich darunter:

Tabelle

Von den gesamten Ackerländereien waren 1900 bestellt: mit Getreide und Hülsenfrüchten 61,7 Proz., mit Hackfrüchten und Gemüse 27,4 (darunter Zuckerrüben allein 16 und Kartoffeln 10), mit Futterpflanzen 6,1 Proz. Der Ernteertrag der hauptsächlichsten Fruchtarten betrug 1901 in Tonnen à 1000 kg: Weizen 46,205, Roggen 59,737, Gerste 17,295, Hafer 91,287, Kartoffeln 318,878, Wiesenheu 109,982, Zuckerrüben 969,285. Ausgedehnter Gartenbau findet sich vorzugsweise bei den Städten B. und Wolfenbüttel. Von Bedeutung ist der ebenfalls hier betriebene Anbau des Spargels und andrer Gemüse zur Konservenfabrikation. Obst gedeiht fast überall, und der größte Teil der Staats- und Kommunalstraßen ist mit Obstanpflanzungen versehen. Die Zahl der Obstbäume[354] betrug 1900: 1,357,663 (Apfelbäume 508,611, Birnbäume 160,832, Pflaumenbäume 565,471, Kirschbäume 122,749). Von dem landwirtschaftlich benutzten Areal fallen in den Besitz von Privaten 75 Proz., von Korporationen 14, des Staates 11 Proz. Die hypothekarische Belastung der vorwiegend landwirtschaftlichen Grundstücke, 36,410 Besitzungen von insgesamt 201,264 Hektar im durchschnittlichen Werte von 836 Mill. Mk. (einschließlich Gebäudewert), betrug 1897: 215,3 Mill. Mk., d. h. 26 Proz. des Wertes. Zur Förderung der Landwirtschaft bestehen ein landwirtschaftlicher Zentral- und 22 Amtsvereine. Von den Forsten befinden sich im Besitz des Staates 80,386 Hektar, von Gemeinden, Stiftungen und Genossenschaften 19,756 Hektar und von Privaten 9332 Hektar. Als Hochwald werden bewirtschaftet: 54,511 Hektar Laubholz und 42,697 Hektar Nadelholz, während 17,266 Hektar größtenteils als Mittel- und Niederwald betrieben werden. Von Bedeutung sind eine forstliche Versuchs- und eine Forsteinrichtungsanstalt in Braunschweig. Der Viehbestand des Landes belief sich nach der Zählung vom 1. Dez. 1900 auf 33,379 Pferde, 123,633 Stück Rindvieh, 137,504 Schafe, 181,450 Schweine, 54,071 Ziegen, 89 Esel, 10,386 Bienenstöcke. Gegen 1883 hat sich die Zahl der Schafe sehr vermindert, die der andern Gattungen aber vermehrt. Die Pferdezucht hebt sich dank den Bemühungen des Landes-Pferdezuchtvereins immer mehr. Im Amte Thedinghausen wird vor allem die hannoversche Rasse, in den übrigen Landesteilen, mit Ausnahme des Harzes, die schwere belgische Rasse gezüchtet. Für Verbesserung der Pferdezucht besteht ein Landgestüt in der Stadt B. mit 42 Zuchthengsten, in Harzburg ein berühmtes Gestüt der herzoglichen Hofhaltung zur Züchtung hochedler Rasse- und Rennpferde; daneben bestehen noch einige Privatgestüte.

Der Bergbau steht besonders im Harz in hoher Blüte. Die Ausbeute betrug 1901: 1,437,314 Ton. Braunkohle, 58,281 T. Asphalt, 226,485 T. Eisenerze und 635 T. Bleierze. Der Gesamtwert am Ursprungsort berechnete sich zu 8,219,620 Mk. An Steinsalz wurden 58,214, an Kainit 83,003, an andern Kalisalzen 124,968 T. mit einem Gesamtwert von 3,622,254 Mk. gewonnen. An Kochsalz wurden 17,878 T. und an Chlorkalium 23,971 T. produziert. Bedeutende Steinbrüche befinden sich im Kreise Helmstedt (Velpke) und bei Königslutter, ferner im Amt Lutter am Barenberg; berühmt sind die großen Brüche von Buntsandstein des Solling im Kreis Holzminden und der Granit im Okertal. Vorzügliches Material für den Chausseebau und zu Pflasterungen liefern die Gabbrosteinbrüche im Radautal bei Harzburg und die Diabassteinbrüche bei Neuwerk. Seit 1891 ist das umfangreiche Kalibergwerk Thiederhall bei Thiede im Betrieb, seit 1902 auch das zur Hälfte dem Staate gehörige Kaliwerk Asse. Ferner werden gewonnen: Kalk, Gips, Marmor, Alabaster, Töpferton, Farben, Porzellan- und Pfeifenerde, Koprolithen etc. Die Hüttenwerke produzierten 1901: 31,577 T. Roheisen, 5124 T. Blockblei, 1580 T. Kupfer, 11,286 kg Silber, 85 kg Gold, 19,290 T. englische Schwefelsäure und 6148 T. Kupfer-, Eisen- und Zinkvitriol. Die Arbeiterzahl der Berg- und Hüttenwerke belief sich auf 6306 Köpfe. Mit Ausnahme der im gemeinschaftlichen Staatsbesitz mit Preußen befindlichen Werke am Rammelsberg bei Goslar und in Oker werden sämtliche Gruben und Hütten von Privaten betrieben. Andre, z. T. bedeutende Industriezweige sind: Zucker-, Zichorien-, Tabak-, Papier-, Seifen-, Strohhut-, Maschinen-, Wagen- und Salmiakfabrikation, Bereitung von Chemikalien (in Braunschweig und Schöningen), Vanillin- (in Holzminden), Holzstoff- (zur Papierbereitung), Pulver- und Zündhölzerfabrikation am Harz, Fabrikation von Nähmaschinen, feuerfesten Geldschränken, Fortepianos, von Konserven (in Braunschweig und Wolfenbüttel), Holzwaren (am Harz), Zement, Asphalt, Glas, Porzellan (zu Fürstenberg), mechanische Flachs-, Hede- und Jutespinnerei (in Braunschweig, Wolfenbüttel u. Vechelde), bedeutende Bierbrauerei (in Braunschweig: Mumme) und Wurstfabrikation. Die Zahl der Rübenzuckerfabriken beträgt 32, die 1900/1901: 896,431 T. Rüben verarbeiteten und 120,906 T. Rohzucker und 22,737 T. Melasse produzierten. Es bestanden 30 Brennereien, die 17,165 hl reinen Alkohol erzeugten, und 61 Brauereien, die 644,000 hl (davon 618,000 hl untergäriges) Bier produzierten.

Als Zentralorgane gewerblicher Interessen bestehen die Handelskammer und Handwerkskammer in der Stadt B. Der Handel ist sehr lebhaft, besonders in den Städten B., Wolfenbüttel, Helmstedt, Holzminden und Blankenburg. In Braunschweig finden alljährlich zwei, allerdings jetzt ziemlich bedeutungslose Messen statt (s. Braunschweig, S. 360). Die wichtigsten Ausfuhrartikel des Landes sind: Jutegespinste, Garn, Asphalt, Erdfarben, rote Tonerde, Kanalsteine, Kalk, Zement, Zichorie, Zucker, Bier, Konserven, Holz und Holzwaren, Klaviere, Maschinen für Zuckerfabriken und Mühlenindustrie, Nähmaschinen, Eisen u. Eisenwaren, Sollinger Sandsteine, chemische Fabrikate, Chlorkalium, Würste, Honigkuchen etc. Auch der Transit- und Speditionshandel ist groß und einträglich. An Kunststraßen waren Ende 1900: 2795 km (davon 743 km Staatsstraßen) vorhanden. Die Eisenbahnen, früher sämtlich im Besitz des Staates, sind 1870 durch Verkauf in Privatbesitz übergegangen und 1884 von der preußischen Regierung käuflich erworben. Die Gesamtlänge der Bahnen auf braunschweigischem Gebiet einschließlich der Privateisenbahnen betrug Ende 1900: 346 km Staatshaupt-, 57 km Staatsneben- und 111 km Privatbahnen, insgesamt 514 km Eisenbahnen. Nach dem ursprünglichen Kaufvertrag erfolgt als Teil des Kaufgeldes (bis 1934) die Zahlung einer Jahresannuität von 2,625,000 Mk. an die braunschweigische Regierung. Zur Förderung des Handels dienen außerdem: eine Reichsbankstelle (Umsatz 1901: 984,539,300 Mk.), die Braunschweigische Bank (Umsatz 1,155,712,875 Mk.) mit dem Rechte der Notenausgabe, die Braunschweigische Kreditanstalt, die Braunschweigisch-Hannoversche Hypothekenbank, eine herzogliche Leihhausanstalt (mit fünf Zweiganstalten in den übrigen Kreisstädten), sämtlich in der Stadt B. Zum Zweck der hypothekarischen Beleihung von Landgütern besteht ein Ritterschaftlicher Kreditverein mit dem Sitz in Wolfenbüttel. Eine staatliche Landes-Brandversicherungsanstalt dient zur ausschließlichen Versicherung von Gebäuden gegen Feuersgefahr.

[Staatsverfassung und Verwaltung.] Die Staatsverfassung ist konstitutionell-monarchisch und beruht auf dem mehrfach abgeänderten Landesgrundgesetz vom 12. Okt. 1832. Der Thron wird vererbt in dem Gesamthaus B.-Lüneburg nach der Linealerbfolge und dem Rechte der Erstgeburt und zwar in dem Mannesstamm; erlischt dieser, so geht die Regierung auf die weibliche Linie über. Der Landesfürst wird mit vollendetem 18. Lebensjahr volljährig; er führt den Titel Herzog zu B. und Lüneburg. Mit[355] dem am 18. Okt. 1884 erfolgten Ableben des Herzogs Wilhelm, des letzten Sprosses der ältern Linie B.-Wolfenbüttel, war der in dem Gesetz vom 16. Febr. 1879, die provisorische Ordnung der Regierungsverhältnisse bei einer Thronerledigung betreffend, vorgesehene Fall, daß der erbberechtigte Thronfolger (Herzog Ernst August von Cumberland) am sofortigen Regierungsantritt verhindert sein sollte, infolge des Bundesratsbeschlusses vom 2. Juli 1885 eingetreten. Die Regierung wurde zunächst auf Grund jenes Gesetzes und im Einverständnis mit den deutschen Bundesregierungen provisorisch durch einen Regentschaftsrat geführt, worauf auf Vorschlag desselben die Landesversammlung 21. Okt. 1885 einstimmig den Prinzen Albrecht von Preußen zum Regenten erwählte. Der Prinz nahm die Wahl an und übernahm 2. Nov. die Regierung (s. unten).

Die »Stände des Herzogtums« bilden die Vertretung der Bevölkerung. Diese »gesamte Landschaft« übt ihre verfassungsmäßige Wirksamkeit entweder in der alle zwei Jahre zu berufenden Landes-(Stände-) Versammlung oder in der Zwischenzeit durch den aus sieben ihrer Mitglieder bestehenden Landesausschuß aus. Die Landesversammlung besteht aus 48 Abgeordneten, von denen durch indirekte Wahl je 15 von den Stadt- und Landgemeinden, durch direkte Wahl dagegen 2 von den evangelischen Geistlichen, 4 von den Großgrundbesitzern, 3 von den höchstbesteuerten Gewerbtreibenden, 4 von den wissenschaftlichen Berufsständen und 5 von den höchstbesteuerten Einkommensteuerpflichtigen gewählt werden. Für die durch Vorwahl zu Wahlmännern der Stadt- und Landgemeinden Gewählten sowie für alle Wahlberechtigten der besondern Wahlkörper besteht ein durch Ordnungsstrafen gesicherter Wahlzwang. Die Wahlperioden dauern vier Jahre. Die Landesversammlung hat das Recht der Steuerverwilligung, der Zustimmung zu den Gesetzen, des legislatorischen Vorschlags, der Anklage der Minister wegen Verfassungsverletzung, der Annahme von Bittschriften und Beschwerden und des Vortrags derselben beim Landesherrn. Die oberste Verwaltungsbehörde ist das mit drei stimmführenden Mitgliedern besetzte Staatsministerium, neben dem eine aus den Ministern, den Vorständen der höhern Behörden und vom Landesherrn hierzu besonders ernannten Mitgliedern zusammengesetzte Ministerialkommission als Staatsrat die Gesetzentwürfe und sonstige wichtige Gegenstände begutachtet, während ein aus höhern Justiz- und Verwaltungsbeamten zusammengesetzter Gerichtshof die zwischen diesen beiden Kollegien entstehenden Kompetenzstreitigkeiten entscheidet. Als Mittelbehörde besteht für die Finanzen die herzogliche Kammer zur Verwaltung des sogen. Kammerguts mit drei abgesonderten Direktionen für die Domänengüter, Forsten und Bergwerke; zur Verwaltung der Steuern ist die Steuerdirektion mit zwei Abteilungen, dem Steuerkollegium für die direkten und der Zoll- und Steuerdirektion für die indirekten Abgaben, bestellt. Das herzogliche Finanzkollegium verwaltet das Landeskredit- und Finanzwesen, beaufsichtigt das Rechnungs- und Kassenwesen und übt die allgemeine Finanzkontrolle und die Aufsicht über die Landeslotterie (jährlich zwei Ziehungen in je 6 Klassen) aus. Einer Abteilung desselben für Leihhaussachen unterstehen die Leihhaus- und öffentlichen Sparkassen des Landes. Die Baudirektion bildet die Zentralbehörde für das gesamte öffentliche Bauwesen; die Oberschulkommission führt die Aufsicht über das höhere, das Konsistorium über das Gemeindeschulwesen. – Die innere Verwaltung und Landespolizei wird durch sechs Kreisdirektionen in Braunschweig, Wolfenbüttel, Helmstedt, Blankenburg, Gandersheim und Holzminden sowie durch die Polizeidirektion in Braunschweig besorgt. Lokalverwaltungsbehörden sind nach der Gemeindeordnung vom 18. Juni 1892 die Magistrate der Städte und für die Landgemeinden die Gemeindevorsteher. Durch die Kreisordnung vom 5. Juni 1871 ist das Land für die weitern Zwecke der Selbstverwaltung in acht mit Korporationsrechten versehene Kreiskommunalverbände eingeteilt, und zwar besteht der Kreis B. aus drei Kommunalverbänden (Stadt B., Riddagshausen-Vechelde und Thedinghausen), wogegen die übrigen fünf Kreise je einen Kommunalverband bilden. Den Kreiskommunalverbänden sind von seiten des Staates Dotationen im Gesamtbetrag von 15 Mill. Mk. überwiesen. Verwaltungsstreitsachen werden von einem aus fünf Mitgliedern zusammengesetzten Verwaltungsgerichtshof entschieden. Den Zwecken der Arbeiterversicherung dient eine Landesversicherungsanstalt und ein Schiedsgericht in der Stadt B. – Für das Herzogtum besteht ein Oberlandesgericht in Braunschweig, dem ein Landgericht (zu Braunschweig) mit 24 Amtsgerichten untergeordnet ist (s. Textbeilage »Gerichtsorganisation« bei Art. »Gericht«).

Nach dem Staatshaushaltsplane für 1902. 1904 belaufen sich für zusammen zwei Jahre die Einnahmen und Ausgaben je auf 32,388,000 Mk. Die Hauptposten sind:

Tabelle

Neben dem Staatshaushaltsetat besteht noch der Etat des vereinigten Kloster- und Studienfonds, dessen Erträgnisse (1902–1904: 2,841,200 Mk.) nebst einem Staatszuschuß lediglich zu Kirchen- und Schulzwecken verwendet werden. Die Zivilliste (jährlich 1,125,322 Mk.) erscheint nicht in dem Staatshaushaltsetat, sondern wird aus den Einkünften des Kammerguts bestritten. Der Etat der Kammerkasse für 1902–1904 enthielt an Einnahmen 6,908,819 Mk., an Ausgaben 3,609,353 Mk. (darunter an die Hofstaatskasse 2,250,645 Mk.). Die öffentliche Schuld belief sich 1902 auf: 1) Landesschuld 27,016,343 Mk. sowie nominell 10 Mill. Tlr. in 20-Talerlosen und 1,287,000 Tlr. in 31/2 proz. Obligationen, die in Annuitäten von 1,219,740 Mk. bis 1924 getilgt werden, und 2) Kammerschuld 693,219 Mk.; wogegen an Aktivkapitalien vorhanden sind: 1) beim Staatshaushalt 18,293,950 Mk. und die Eisenbahnannuität, 2) beim Kammerkapitalfonds 1,659,196 Mk. und 3) beim Klosterkapitalfonds 20,760,801 Mk. nebst 32,000 Tlr. Gold und 215,688 Tlr. Konventionsmünze.[356]

[Militär, Wappen, Orden etc.] Nach der am 9./18. März 1886 mit Preußen abgeschlossenen Militärkonvention hat B. auf die Stellung eines selbständigen Militärkontingents verzichtet. Die dasselbe vordem bildenden Truppenteile sind danach unmittelbare Bestandteile des königlich preußischen Heeres geworden. Die einzelnen, dem 10. Armeekorps zugehörigen Truppenteile führen die Bezeichnung: braunschweigisches Infanterieregiment Nr. 92, braunschweigisches Husarenregiment Nr. 17 und 2. (braunschweigische) Batterie des Feldartillerieregiments Nr. 46. Der Landesregent steht zu den Truppen in dem Verhältnis eines kommandierenden Generals. Eine Auflösung der Konvention kann erst zwei Jahre nach erfolgter Kündigung stattfinden. Mit Ausnahme eines Bataillons des hannöverschen Infanterieregiments Nr. 165, das in Blankenburg, und der 1. Abteilung nebst Stab des Feldartillerieregiments Nr. 46, die in Wolfenbüttel kaserniert ist, befinden sich die Truppenteile in der Stadt B. in Garnison. Daselbst haben auch die beiden Landwehrbezirkskommandos B. I und B. II ihren Sitz. Das Herzogtum sendet zum Reichstag drei Abgeordnete (s. Karte »Reichstagswahlen«) und ist im Bundesrat mit zwei Stimmen vertreten. Das einfache Wappen (s. Tafel »Wappen I«, Fig. 6) ist ein springendes silbernes Pferd in rotem Felde (das alte Zeichen Niedersachsens). Das kleine Wappen zeigt einen gespaltenen Schild, vorn in Rot zwei goldene Leoparden übereinander (Braunschweig), hinten in Gold einen blauen Löwen (Lüneburg), das Feld mit roten Herzen bestreut. Um den Schild ein rotes Band mit der Inschrift: »Immota fides«, unten ein blaues Band: »Nec aspera terrent«. Als Schildhalter dienen zwei herzoglich gekrönte goldene Löwen. Landesfarben sind Hellblau und Gelb. Orden: seit 1834 der Heinrichs des Löwen in vier und seit 1877 in fünf Klassen (s. Tafel »Orden I«, Fig. 9), dazu noch zwei Klassen Verdienstkreuze. Außerdem mehrere Medaillen.

Geschichte.

Das heutige Herzogtum B. war ein Teil jener welfischen Allodien in Sachsen, die Heinrich der Löwe bei seinem Sturz 1181 behielt. Seine Söhne Heinrich, Otto und Wilhelm teilten sie sich 1203, wobei Otto (Kaiser Otto IV.) B. erhielt; nach dessen kinderlosem Tode (1218) bestritt Kaiser Friedrich II., dem Heinrichs Töchter ihr Erbrecht verkauft hatten, dem Sohne Wilhelms, Otto dem Kinde, das Erbe, bis er 1235 aus B. und Lüneburg ein Herzogtum schuf und Otto als Reichsfürsten damit belehnte. Dessen Söhne Albrecht und Johann teilten das Herzogtum 1267 so, daß Albrecht d. Gr. die Lande B., Kalenberg und Göttingen, Johann Lüneburg mit den Städten Hannover und Celle erhielt; die Stadt B. blieb gemeinschaftlicher Besitz. Albrecht begründete die ältere braunschweigische, Johann die ältere lüneburgische Linie, die mit Johanns Enkel Wilhelm (mit dem langen Bein) 1369 schon wieder erlosch. Die ältere braunschweigische Linie teilte sich nach Albrechts Tode (1279) wieder in die drei Linien Grubenhagen, Göttingen und Wolfenbüttel. Die erste, Grubenhagen, von Albrechts Sohn Heinrich gegründet, bestand bis 1596; ihr gehörten Herzog Philipp I. an, der 1534 die Reformation einführte und dem Schmalkaldischen Bunde beitrat, und Herzog Ernst, der in der Schlacht bei Mühlberg gefangen wurde. Die von Albrecht dem Feisten gestiftete Linie Göttingen erhielt 1292 nach seines Bruders Wilhelm kinderlosem Tode (1292) auch Wolfenbüttel, das aber schon unter seinem Sohne Magnus 1345 ein besonderes Herzogtum wurde, und erlosch 1463 mit Otto dem Einäugigen (Cocles). Die Linie Wolfenbüttel, 1267 von Albrechts d. Gr. drittem Sohn, Wilhelm, und nach dessen Tode (1292) von Herzog Magnus I. 1345 neu gestiftet, erhielt unter Magnus II. »mit der Kette« (Torquatus) 1369 auch Lüneburg, doch mußten dies die Söhne Magnus' II. erst den Herzögen von Sachsen-Lauenburg 1388 im Kampf abgewinnen (Lüneburger Erbfolgekrieg). Nachdem Friedrich auf der Rückkehr von der Frankfurter Fürstenversammlung, die König Wenzel absetzte, 1400 bei Fritzlar vom Grafen von Waldeck erschlagen worden, teilten seine Brüder Bernhard und Heinrich 1409 so, daß ersterer B., letzterer Lüneburg bekam; doch zwangen Heinrichs Söhne 1428 ihren Oheim Bernhard, Lüneburg, von dem auch Kalenberg abgetrennt wurde, gegen B. einzutauschen. So ward Bernhard Stifter der mittlern Linie B.-Lüneburg, Heinrich der mittlern Linie B.

Die mittlere Linie B. hatte bis 1634 Bestand. Schon Heinrichs (gest. 1416) Söhne Wilhelm I. (der Siegreiche) und Heinrich (der Friedfertige) teilten 1432 das Land: ersterer bekam Kalenberg, letzterer Wolfenbüttel. Wilhelm I. erbte 1463 Göttingen und 1473 nach seines Bruders Tod auch Wolfenbüttel. Sein Sohn Wilhelm II. übertrug noch bei Lebzeiten 1495 die Wolfenbütteler Lande seinem Sohn Heinrich, die kalenberg-göttingischen seinem Sohn Erich I. Die kalenbergische Linie erlosch schon 1584 mit dessen Sohn Erich II., der, protestantisch erzogen, 1546 katholisch wurde, den Schmalkaldischen Bund und dann auch Moritz von Sachsen bekämpfen half und 1584 ohne Erben starb. Die kalenbergischen Lande fielen nun an die Linie Wolfenbüttel, in der auf Heinrich den ältern 1514 sein ältester Sohn, Heinrich der jüngere, folgte, der 1535 das Erstgeburtsrecht einführte und als Hauptvertreter des Katholizismus in Norddeutschland im Schmalkaldischen Krieg 1542–1547 aus seinem Lande vertrieben war. Sein Sohn Julius (1568–89) führte die Reformation durch und gründete die Universität Helmstedt. Er erbte 1584 Kalenberg-Göttingen, sein Sohn Heinrich Julius (1589–1613), seit 1566 Bischof von Halberstadt und als dramatischer Dichter bekannt, 1596 die Besitzungen der Linie Grubenhagen. Sein jüngerer Sohn ist Christian der jüngere (s.d.). Mit dem ältern, Friedrich Ulrich, der 1617 auf kaiserlichen Befehl Grubenhagen an Lüneburg abtreten mußte, erlosch 1634 die mittlere Linie B.; Kalenberg fiel an die neue Linie B.-Lüneburg, Wolfenbüttel an B.-Danne(n)berg.

In der mittlern Linie B.-Lüneburg regierten nach des Stifters Bernhard I. Tode (1434) dessen Söhne Otto der Hinkende und Friedrich der Fromme gemeinschaftlich, nach Ottos Tode (1446) Friedrich allein. Dieser trat 1457 seine Lande an seine Söhne Bernhard II. und Otto II. (den Siegreichen) ab, übernahm aber nach deren baldigem Tode (1471) die Regierung für seinen minderjährigen Enkel Heinrich den mittlern, Ottos Sohn, und starb 1478. Heinrich der mittlere, seit 1486 selbständig, wurde wegen Teilnahme an der Hildesheimer Stiftsfehde (s.d.) 1521 geächtet und floh nach Frankreich; 1527 kehrte er zurück, wurde 1530 von der Acht befreit und starb 1532. Seine Lande hatte er schon 1520 seinen Söhnen überlassen, von denen der älteste, Otto, sich 1527 mit Harburg begnügte und die Linie B.-Harburg stiftete, die mit dem letzten von seinen Enkeln 1642 erlosch. Der jüngste Sohn, Franz, gründete 1539 die Linie B.-Gifhorn, die schon 1549 mit ihm ausstarb. Der[357] mittelste Sohn, Ernst der Bekenner, der den Hauptteil der lüneburgischen Lande bekam und in Celle residierte, unterschrieb die Augsburgische Konfession und trat dem Schmalkaldischen Bunde bei. Nach seinem Tode (1546) regierten seine Söhne Franz Otto, Heinrich und Wilhelm gemeinschaftlich; nach Franz Ottos Tode (1559) teilten Heinrich und Wilhelm durch Vertrag vom 10. Sept. 1569. Der jüngere Bruder, Wilhelm, erhielt Lüneburg und wurde Stifter der neuen Linie B.-Lüneburg, die später den Namen Hannover (s.d.) annahm. Der ältere Bruder, Heinrich, begnügte sich 1569 mit den Ämtern Danneberg, Lüchow, Hitzacker und Scharnebeck und nannte seine Linie B.-Lüneburg-Danneberg; ihm folgte 1598 sein ältester Sohn, Julius Ernst, diesem 1636 der jüngere Bruder, August, der 1635 schon Wolfenbüttel von der mittlern Linie B. geerbt hatte; seitdem hieß die ältere Linie des welfischen Hauses die neue Linie B.-Wolfenbüttel. August hinterließ 1666 drei Söhne, Rudolf August, Anton Ulrich und Ferdinand Albrecht. Ferdinand Albrecht erhielt Bevern und stiftete die (nicht souveräne) Linie B.-Bevern, die als besondere Linie 1809 erlosch. In B.-Wolfenbüttel folgte Rudolf August, der die danne(n)bergischen Ämter an B.-Lüneburg abtrat und sich 1671 die Stadt B. unterwarf, nach seinem Tode (1704) sein Bruder und (seit 1685) Mitregent, Anton Ulrich. Als dieser 1714 starb, erhielt sein älterer Sohn, August Wilhelm, Wolfenbüttel, der jüngere, Ludwig Rudolf, Blankenburg und nach August Wilhelms kinderlosem Tode (1731) auch dessen Land. Da auch Ludwig Rudolf 1735 ohne Söhne starb, so folgte nun Ferdinand Albrecht II. von der Bevernschen Linie, der Sohn ihres Stifters, und in demselben Jahre schon dessen ältester Sohn, Karl (1735–80). Dieser verlegte 1753 seine Residenz nach B. und stiftete das Collegium Carolinum. Im Siebenjährigen Kriege kämpften 6000 Mann braunschweigische Truppen im englisch-hannöverschen Heere gegen Frankreich, weswegen B. 1757 und 1761 von den Franzosen arg heimgesucht wurde. Dazu belastete Karl durch seine Prunksucht das Land mit einer Schuldenmasse von fast 12 Mill. Tlr., die er durch Vermietung seiner Truppen an England (1776 für den Krieg in Amerika) zu mindern suchte. Unter seinem Nachfolger Karl Wilhelm Ferdinand (1780–1806) wurden die Finanzen geregelt und der Wohlstand des Landes gehoben. Da Herzog Karl 1806 die Führung der preußischen Armee übernahm, ward B. in die Katastrophe Preußens verwickelt; der Herzog, bei Auerstedt tödlich verwundet, mußte flüchten und starb zu Ottensen bei Hamburg 10. Nov. 1806; ihm folgte sein Sohn Friedrich Wilhelm, der 1805 Öls geerbt hatte.

Nach dem Tilsiter Frieden (1807) wurde das Herzogtum B. mit dem neugegründeten Königreich Westfalen vereinigt; ein Versuch des Herzogs Friedrich Wilhelm, 1809 durch einen Bund mit Österreich sein Land wiederzugewinnen, scheiterte, worauf er sich mit seiner schwarzen Schar nach England durchschlug. Erst 6. Nov. 1813 nahm er vom Herzogtum Besitz und wurde mit Jubel empfangen. Nach seinem Heldentod bei Quatrebras (16. Juni 1815) folgte ihm sein unmündiger Sohn Karl (geb. 1804): sein Vormund, der Prinz-Regent von England, beauftragte den Grafen Münster mit der Regierung, dessen rechte Hand der Geheimrat v. Schmidt-Phiseldeck war. 1820 erhielt das Land eine neue landständische Verfassung. Herzog Karl trat 1823 selbst die Regierung an, herrschte aber, namentlich seit der Verjagung Schmidt-Phiseldecks (1826), willkürlich, fing aus Haß gegen seinen ehemaligen Vormund und den Grafen Münster einen heftigen Streit mit Hannover an, verletzte wiederholt die Verfassung und erbitterte besonders den Adel. Da alle Beschwerden fruchtlos blieben, brach 7. Sept. 1830 in B. ein Aufstand aus; das Residenzschloß wurde dabei in Brand gesteckt, und der Herzog floh. Sein Bruder Wilhelm übernahm 27. Sept. die Regierung vorläufig, 20. April 1831 endgültig, als Herzog Karl von den Agnaten für regierungsunfähig erklärt worden war. Er vereinbarte 12. Okt. 1832 mit den Landständen ein neues Staatsgrundgesetz, das den Interessen des Landes aufs beste entsprach. Es folgten nun zahlreiche für das Land wohltätige Reformen auf dem Gebiete der Rechtspflege, der Stadt- und Gemeindeverwaltung, der Agrargesetzgebung, des Steuerwesens etc. Die Seele der Regierung war 1830–56 der Staatsminister Frhr. v. Schleinitz. Das Verkehrswesen erfuhr kräftige Förderung (die 1838 eröffnete Strecke B.-Wolfenbüttel war die erste Staatsbahn in Deutschland). 1844 trat B. dem Zollverein bei, 1849 schloß es eine Militärkonvention mit Preußen ab.

Beim Ausbruch der Krisis 1866 blieb B. anfangs neutral, schloß sich aber 6. Juli an Preußen an und setzte seine Truppen in Marschbereitschaft, doch nahmen diese an den kriegerischen Aktionen nicht mehr teil. Das Bündnis mit Preußen und der Eintritt Braunschweigs in den Norddeutschen Bund, in dessen Heer die braunschweigische Infanterie das 92., die Husaren das 17. Regiment im 10. Armeekorps mit Beibehaltung ihrer alten historischen Uniform bildeten, wurden vom Landtag genehmigt. Allmählich trat in dem engen Verhältnisse des Herzogs zu Preußen eine Erkaltung ein, so daß er es unterließ, eine Militärkonvention mit Preußen zu schließen. Im Kriege von 1870/71 nahmen die braunschweigischen Truppen teil an den Kämpfen um Metz, bei Orléans und Le Mans; hinterher wurde das 92. Infanterieregiment nach Metz verlegt.

Bei dem hohen Alter des unvermählten kinderlosen Herzogs drängte seit 1866 die Frage der Erbfolge zur baldigen Entscheidung. Mit Herzog Wilhelm erlosch die ältere Linie B., nach den Hausgesetzen wie nach der Landesverfassung mußte dann B. an die jüngere (hannoversche) Linie des Welfenhauses fallen, der das Land im Erbhuldigungseide sich bereits verpflichtet hatte. Da aber die politischen Verhältnisse zweifelhaft machten, ob der berechtigte Thronfolger die Regierung werde antreten können, so wurde zwischen Regierung und Landesversammlung das Regentschaftsgesetz vom 16. Febr. 1879 vereinbart, wonach für den Fall der Behinderung des Thronerben ein Regentschaftsrat aus den drei stimmführenden Mitgliedern des Staatsministeriums und den Präsidenten des Landtags und des Oberlandesgerichts gebildet, nach Verlauf eines Jahres aber bei Fortdauer jener Behinderung ein Regent gewählt werden sollte. Als dann Herzog Wilhelm 18. Okt. 1884 in Sibyllenort starb, trat der Regentschaftsrat zusammen und übernahm im Einverständnis mit der Reichsregierung die Verwaltung des Landes. Das Haupt der hannöverschen Linie, der Herzog von Cumberland, ergriff zwar durch Patent vom 18. Okt. 1884 von dem Herzogtum Besitz und zeigte dies den deutschen Fürsten mit dem Bemerken an, daß er die deutsche Reichsverfassung anerkennen wolle; doch wurden das Patent und der Befehl des Herzogs, sich mit ihm in Beziehung zu setzen, vom braunschweigischen Ministerium[358] unbeachtet gelassen. Nur das Privatvermögen des verstorbenen Herzogs erhielt Cumberland mit Ausnahme des schlesischen Allodialbesitzes mit Sibyllenort, der dem Könige von Sachsen vermacht war, während die dortigen Lehen (Fürstentum Öls) an die Krone Preußen zurückfielen. – Da der Bundesrat 2. Juli 1885 beschloß, daß die Regierung des Herzogs von Cumberland in B. bei seinem Verhältnisse zum Bundesstaat Preußen »mit den Grundprinzipien der Bundesverträge und der Reichsverfassung nicht vereinbar sei« und die braunschweigische Landesversammlung dem zustimmte, so wurde auf Vorschlag des Regentschaftsrates 21. Okt. 1885 einstimmig Prinz Albrecht von Preußen zum Regenten von B. gewählt. Dieser schloß 1886 eine Militärkonvention mit Preußen, wodurch die braunschweigischen Truppen in die preußische Armee eingereiht wurden; das 92. Regiment kehrte wieder nach B. zurück.

Im Jahre 1899 wurde das Landtagswahlrecht neu geregelt. Die Landesversammlung besteht danach aus 48 Abgeordneten, von denen 30 durch allgemeine indirekte Wahl nach dem Dreiklassensystem (15 von den Stadt-, 15 von den Landgemeinden) und 18 von den Berufsständen (Geistlichen, Gewerbtreibenden, Großgrundbesitzern, wissenschaftlichen Berufsständen und höchstbesteuerten Einkommensteuerpflichtigen) gewählt werden. Das Gesetz wurde 9. März vom Landtag angenommen und gleichzeitig eine Steuerreform beschlossen. Ein neues Regentschaftsgesetz ist Ende 1902 nach manchen Widersprüchen von welfenfreundlicher Seite (Landgerichtspräsident Dedekind) rechtskräftig geworden. Neu ist darin festgestellt, daß die Regentschaft mit dem Wechsel in der Person des erbberechtigten Thronfolgers nicht erlischt. Das Gesetz ist dem Landesgrundgesetz von 1832 einverleibt worden.

Vgl. Guthe, Die Lande B. und Hannover (2. Aufl., Hannov. 1887); Knoll u. Bode, Heimatskunde des Herzogtums B. (2. Aufl., Braunschw. 1891); Knoll, Topographie des Herzogtums B. (das. 1897); »Beiträge zur Statistik des Herzogtums B.« (das. 1874ff.); R. Andree, Braunschweiger Volkskunde (2. Aufl., das. 1901); Bürstenbinder, Die Landwirtschaft des Herzogtums B. (das. 1882); Rhamm, Die Verfassungsgesetze des Herzogtums B. (das. 1900); »Die Bau- und Kunstdenkmäler des Herzogtums B.« (Wolfenb. 1896ff.); »Braunschweigs Baudenkmäler« (3 Serien Lichtdrucke, mit Text von Uhde, Braunschw. 1895–96); Sudendorf, Urkundenbuch zur Geschichte der Herzöge von B. und Lüneburg (Hannov. 1859–83, 11 Bde.); Havemann, Geschichte der Lande B. und Lüneburg (Götting. 1853–57, 3 Bde.); Schaumann, Handbuch der Geschichte der Lande Hannover und B. (Hannov. 1864); v. Heinemann, Geschichte von B. und Hannover (Gotha 1882–92, 3 Bde.); Köcher, Geschichte von B. und Hannover 1648–1714 (Leipz. 1884 u. 1895, 2 Bde.); Görges, Vaterländische Geschichte und Denkwürdigkeiten (2. Aufl., Braunschw. 1880–81, 2 Bde.); Hänselmann, Werkstücke, gesammelte Studien und Vorträge zur braunschweigischen Geschichte (Wolfenb. 1887, 2 Bde.); Beste, Geschichte der braunschweigischen Landeskirche (das. 1889); Koldewey, Geschichte des Schulwesens im Herzogtum B. (Braunschw. 1891); »Braunschweigisches Magazin« (seit 1895); »Braunschweigische Bibliographie« (zur Landeskunde, das. 1897); Blasius, Die anthropologische Literatur Braunschweigs und der Nachbargebiete (das. 1900). Seit 1901 besteht ein Geschichtsverein für das Herzogtum B., der seit 1902 ein »Jahrbuch« herausgibt.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1905, S. 353-359.
Lizenz:
Faksimiles:
353 | 354 | 355 | 356 | 357 | 358 | 359
Kategorien:

Buchempfehlung

Wieland, Christoph Martin

Musarion. Ein Gedicht in drei Buechern

Musarion. Ein Gedicht in drei Buechern

Nachdem Musarion sich mit ihrem Freund Phanias gestrittet hat, flüchtet sich dieser in sinnenfeindliche Meditation und hängt zwei radikalen philosophischen Lehrern an. Musarion provoziert eine Diskussion zwischen den Philosophen, die in einer Prügelei mündet und Phanias erkennen lässt, dass die beiden »nicht ganz so weise als ihr System sind.«

52 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon