Universitäten

[923] Universitäten (lat., »Gesamtheiten«), wissenschaftliche Hochschulen (Hohe Schulen), Akademien (s. d.), soweit diese den Unterricht von schulmäßig vorgebildeten Studenten bezwecken und ihre Tätigkeit auf den gesamten Umfang der Wissenschaften ausdehnen. Universitas bedeutete ursprünglich die »Körperschaft« (Zunft) der Lehrer und Schüler (u. magistrorum et scholarium); allmählich wurden die Anstalten selbst (sonst: studium, studium generale) U. genannt und dieser Name auf den die Gesamtheit der Wissenschaften (universitas litterarum) umfassenden Lehrplan gedeutet.

Die abendländischen U. entstanden im spätern Mittelalter; doch haben ältere Vorbilder mehr oder weniger eingewirkt. So die großen Lehranstalten des spätern Altertums: das von Ptolomäos Philadelphos um 280 v. Chr. gegründete Museion in Alexandria, die Philosophenschule in Athen, als »Athenäum« durch Kaiser Hadrian um 135 n. Chr. neu begründet und organisiert, und die Athenäen (s. Athenäum) in Rom (135), Lugdunum (Lyon), Nemausus (Nîmes), Konstantinopel (424). Ferner die arabischen Medresen (s. d.) des frühern Mittelalters in Cordoba, Toledo, Syrakus, Bagdad, Damaskus. Unmittelbar schlossen die ersten U. sich an Kloster- und Domschulen an, unter denen seit dem 8. und 9. Jahrh. einzelne, wie z. B. Tours, St. Gallen, Fulda, Lüttich, Paris, als scholae publicae von auswärts zahlreiche Schüler anlockten. Demgemäß lehnen die U. bis ins 15. Jahrh. fast ausschließlich als kirchliche Anstalten sich einem Domkapitel, Kollegiatstift u. dgl. an. Die ersten U., nach heutigem Sprachgebrauch einzelne Fakultäten, entstanden während des 11. Jahrh. in Italien, so die Rechtsschulen in Ravenna, Bologna (Bononia) und Padua und die medizinische Schule in Salerno. Festere korporative Verfassung als klerikale Hochschule errang zuerst die Universität in Paris, die seit dem 12. Jahrh. die Führung auf dem Gebiete der Theologie und Philosophie übernahm. Paris wurde das Vorbild für fast alle abendländischen U., besonders die englischen, unter denen Oxford durch Auswanderung aus Paris unter der Königin Blanka von Kastilien (1226–36) mindestens erst zu höherer Bedeutung gelangte, und die deutschen. Eine mit staatlichen und kirchlichen Privilegien ausgestattete Körperschaft bildeten freilich schon früher die Juristen in Bologna (Authentica Friedrich Barbarossas: »Habita«, 1155). Mehr und mehr beanspruchten die Päpste die unmittelbare Schutzherrschaft über die neuen Anstalten und dehnten den besondern klerikalen Gerichtsstand auch auf die weltlichen Universitätsgenossen aus. – Unter Magistern und Scholaren taten sich früh sogen. Nationen zusammen. In Italien unterschied man wohl: Citramontani und Ultramontani. In Paris bildeten sich die (zuerst 1249 amtlich anerkannten) vier Nationen: Gallikaner (zu denen auch Italiener, Spanier, Griechen und Morgenländer hielten), Pikarden, Normannen und Engländer (welche die Deutschen und übrigen Nordländer mit umfaßten). Ihre Vorsteher (Prokuratoren) wählten den Rektor der Universität. Papst Honorius machte 1219 die Wählbarkeit zum Lehramt abhängig von der Lizenz des Bischofs oder des zuständigen Scholastikus (Dom- oder Stiftsherrn). Allmählich entstanden jedoch zunftartige Verbände unter den Lehrern (magistri, Meistern) der Theologie, der Rechtswissenschaft und der Medizin, die als geschlossene Kollegien zuerst 1231 von Gregor IX. in Paris anerkannt und ordines oder facultates, Fakultäten, genannt wurden. Gegen die Einteilung in Fakultäten trat allmählich der Unterschied der Nationen zurück. Etwas später nahm das Kollegium der Artisten, d. h. der Lehrer der sieben »freien Künste«, die Verfassung einer vierten Fakultät an. Aufgabe dieser Fakultät, der jetzigen philosophischen, war jedoch früher fast nur Vorbildung für das Studium einer der höhern Fachwissenschaften. Ihre Lehrer waren nicht selten Scholaren einer der obern Fakultäten. – Vorrecht der Fakultäten ward bald die Verleihung akademischer Grade. In Paris waren drei Hauptgrade, die der Bakkalarien (Bakkalaureen), Lizentiaten und Magister (Meister; Doktoren). Die Bakkalarien wurden von den einzelnen Magistern ernannt; der Grad eines Lizentiaten wurde nach Prüfung durch die Fakultätsmeister seitens der Kanzler oder Bischöfe erteilt, die aber zuletzt nur ihr rein formelles Plazet dazu gaben. In Deutschland ernannten (promovierten, kreierten) die drei alten oder obern Fakultäten Doktoren, die der freien Künste Magister. Die Promotionen fanden unter festlichem Gepränge statt; als Zeichen der Würde erhielt der Promotus den Doktorhut. – Ein wichtiges Institut waren die Kollegien oder Kollegiaturen, kirchliche Anstalten, worin arme Studierende umsonst Unterhalt und Lehre fanden. Eins der ersten Universitätskollegien war die berühmte Pariser Sorbonne (um 1250; s. d.). Private Unternehmen ähnlicher Art, die Bursen (bursae, davon: bursarii, bursici, Burschen; auch regentiae oder contubernia), waren vorzugsweise in Deutschland verbreitet (s. Kollegium). – Neben dem festern Kern jener Bursen und Kollegien bevölkerten die U. des Mittelalters die sogen. fahrenden Schüler (s. Vaganten). In ihrem Kreis erwuchsen die rohen Anfänge der studentischen Sitten, die teilweise bis heute sich erhalten haben; so die Gewalt der ältern Studenten (Bacchanten, Burschen) über die jüngern (Schützen, Füchse).

Nach Deutschland übertrug das Universitätswesen der französisch gebildete Kaiser Karl IV. durch Gründung der Universität Prag 1347 (vier Nationen: Böhmen, Polen, Bayern, Sachsen). Bis zum Anfang der Reformation folgten mit päpstlicher und kaiserlicher Genehmigung: Wien (1365), Heidelberg (1386), Köln (1388), Erfurt (1392), Leipzig 1(1409), Rostock (1419,1432), Löwen (1426), Greifswald (1456), Freiburg i. Br. (1460), Basel (1460), Ingolstadt (1472), Trier (1473), Mainz (1476), Tübingen (1477), Wittenberg (1502) und Frankfurt a. O. (1506). Die kräftigere Entwickelung des Landesfürstentums im 15. Jahrh. und die humanistische Bewegung halfen die Bande lockern, welche die Hochschulen an kirchliche Autoritäten knüpften. Das Reformationsjahrhundert brachte eine Reihe neuer U., die ausgesprochen lutherischen oder calvinischen Charakter hatten, so: Marburg (1527), Königsberg (1547), Jena (1558), Helmstedt (1575), Gießen (1607), Rinteln (1612), Straßburg (1621). Eine eigentümliche Mittelform zwischen U. und sogen. lateinischen Schulen (Gymnasien) bildeten in jener Zeit die akademischen Gymnasien oder gymnasia illustria, die von Freien Städten (Straßburg 1537, Danzig 1556; Altdorf-Nürnberg 1578, Bremen 1584, Hamburg 1610) und kleinern Landesherren (Neustadt a. H. 1578, Herborn[923] 1584, Beuthen a. O. 1604, Hanau 1607, Liugen 1698 u. a.) begründet wurden, um dem Auswandern der Landeskinder vorzubeugen. Mehrere dieser akademischen Gymnasien, wie Straßburg (1621), Altdorf (1623), Herborn (1654), wurden später wirkliche U. Während im protestantischen Norden die U. im allmählichen Übergang Staatsanstalten mit einer gewissen korporativen Selbständigkeit wurden, blieben die neuen jesuitischen U., wie Dillingen (1554, jesuitisch 1564), Würzburg (1582), Graz (1586), Paderborn (1616), Salzburg (1623), Bamberg (1648), Innsbruck (1672), Breslau (1702), nach deren Muster auch ältere katholische U. umgestaltet wurden, wesentlich dem ältern Typus treu. – Auf den protestantischen U. beginnt in dieser Periode die eigentliche Geschichte des deutschen Burschentums und seiner Auswüchse, des Pennalismus (s. d.) und des studentischen Duells (der sogen. Mensur). Aus den alten Nationalkollegien wurden die Landsmannschaften, studentische Gesellschaften, die für Ehrensachen, Festlichkeiten etc. sich selbst Gesetze gaben (s. Komment) und durch ihr geschlossenes Auftreten auch die übrigen Studenten (Finken, Kamele, Wilde, Obskuranten) beherrschten (s. Studentenverbindungen), so daß deren viele vorzogen, den Landsmannschaften als außerordentliche Mitglieder (Konkneipanten, Renoncen) beizutreten. – Ebenso fällt in diese Zeit (von 1500–1650) die Gestaltung des heutigen akademischen Lehrkörpers. In ihm bilden die ordentlichen Professoren (professores publici ordinarii) als vollberechtigte Mitglieder der vier Fakultäten den akademischen (großen) Senat (sonst auch: concilium, consistorium academicum). Aus ihrer Mitte wählen im jährlichen (früher auch halbjährlichen) Wechsel die ordentlichen Professoren der einzelnen Fakultäten (ordines) die vier Dekane und sämtliche ordentliche Professoren den Rector magnificus (Anrede: »Magnifizenz«), der an einigen U. auch Prorektor heißt, indem der Landesherr oder ein andrer Fürst als Rector magnificentissimus gilt. Außerhalb des Senats stehen die außerordentlichen Professoren (Professores publici extraordinarii), die meist kleinere Gehalte vom Staat beziehen, und die Privatdozenten (privatim docentes), die nur die Erlaubnis (veniam docendi), nicht die amtliche Pflicht zu lehren haben. Der Senat, dem der Staat außer dem Kurator (Aufsichtsbeamten) noch einen ständigen Universitätsrichter (Universitätsrat) oder Syndikus beigibt, übt seine Rechte, abgesehen von den Plenarsitzungen, entweder durch den Rektor und die Dekane oder auch durch einzelne Ausschüsse. Rektor und Dekane bilden, meist mit einigen gewählten Beisitzern, den engern oder kleinern Senat. Ehedem hatten die U. auch durchweg eignen Gerichtsstand; im Deutschen Reich bis zur Gerichtsverfassung von 1879. – Von der allgemeinen Erschlaffung des geistigen Lebens in Deutschland und den Nachwehen des Dreißigjährigen Krieges blieben auch die U. nicht verschont. Sie machte sich in ihnen durch geistlose Pedanterie und starre Gelehrsamkeit neben leidenschaftlicher Rechthaberei namentlich bei den theologischen Fakultäten geltend (rabies theologorum, Melanchthon). Unter den Männern, die gegen Ende des 17. Jahrh. diese Übelstände bekämpften, sind Erhard Weigel in Jena, G. W. Leibniz und vor allen Chr. Thomasius (s. d.) hervorzuheben. Durch Thomasius ward Halle (1694) gleich von der Gründung an die Heimat der akademischen Neuerer. Im Gegensatz gegen die scholastische Orthodoxie der ältern U. trafen dort die Pietisten der theologischen Fakultät mit ihm zusammen. Thomasius hielt zuerst Vorlesungen in deutscher Sprache, auch erschien unter seiner Leitung in Halle die erste kritische akademische Zeitschrift. Unter den ältern U. hatte Helmstedt sich am freiesten von den Gebrechen der Zeit erhalten, dem aber im folgenden Jahrhundert in der Universität Göttingen (1734 gegründet, 1737 eingeweiht) eine siegreiche Nebenbuhlerin erwuchs. Göttingen schwang sich durch reiche Ausstattung und verständige, zeitgemäße Einrichtung bald zur ersten Stelle unter den deutschen U. auf; hier wurde zuerst eine Akademie (Sozietät) der Wissenschaften, wie sie nach Leibniz' Angaben bereits in Berlin (1700) gegründet worden, mit der Universität verbunden (1752 durch den verdienten Stifter der Universität Göttingen, Gerlach Adolf von Münchhausen, und Albrecht v. Haller). Diesem Zeitraum verdanken ferner noch Herborn (1654), Duisburg (1655), Kiel (1665), Erlangen (1743) und Münster (1780) ihre Gründung.

Unter den Studenten entstanden im Laufe des 18. Jahrh. neben den Landsmannschaften sogen. Orden, die im philanthropischen Geschmack der Zeit Freundschaft und Beglückung der Menschheit als ihr Ziel aufstellten. Da sie von den Freimaurern und andern geheimen Gesellschaften allerlei heimliche Symbolik entlehnten und im Geist Rousseaus für die Freiheit schwärmten, erschienen sie bald der Staatsgewalt gefährlich. Besondern Ruf erwarb der 1746 in Jena begründete Moselbund (Mosellaner), der 1771 mit der Landsmannschaft der Oberrheiner zum Amizistenorden verschmolz. Die strengen Verbote, die zumal infolge Rechtsgutachtens des Regensburger Reichstages von 1793 die Orden trafen, bewirkten deren allmähliches Aufgehen in den Landsmannschaften.

Die Stürme der Napoleonischen Zeit brachten mannigfache Veränderungen im Bestand der deutschen U. Die Universität in Ingolstadt siedelte 1802 nach Landshut über, von wo sie 1826 nach München verlegt und mit der dort seit 1759 bestehenden Akademie der Wissenschaften vereinigt ward; die U. in Mainz (1798), Bonn (Köln, verlegt 1777, aufgehoben 1801), Duisburg (1802), Bamberg (1804), Rinteln, Paderborn und Helmstedt (1809), Salzburz (1810), Erfurt (1816), Herborn (1817) gingen ein; Altdorf ward mit Erlangen (1807), Frankfurt a. O. mit Breslau (1811), Wittenberg mit Halle (1817) vereinigt. Dagegen traten neu die bedeutenden U. in Berlin (1810) und Bonn (1818) ins Leben. – Das Menschenalter von 1815–48 war für die deutschen U. kein günstiges. Sie kamen bald nach der Befreiung des Vaterlandes, für die Lehrer und Schüler namentlich der preußischen U. hingebende Begeisterung gezeigt hatten, bei den Regierungen in den Geruch des staatsgefährlichen Liberalismus. Den Anstoß dazu gaben die von F. L. Jahn angeregte Gründung der deutschen Burschenschaft (s. d.) 12. Jun. 1815 und besonders deren Wartburgfeier 18. Okt. 1817 sowie die ihr zur Last gelegte Ermordung Kotzebues durch Sand (23. März 1819). Die von Metternich geleiteten deutschen Regierungen faßten (26. Sept. 1819) die Karlsbader Beschlüsse über die in Ansehung der U. zu ergreifenden Maßregeln, aus denen zahlreiche Prozesse gegen akademische Lehrer (E. M. Arndt) und Studenten hervorgingen. Jede Universität wurde von einem besondern Regierungsbevollmächtigten in politischer Hinsicht überwacht. Wenn das unruhige Jahr 1830 vorübergehend die Fesseln lockerte, so hatten die Ausschreitungen, in denen der verhaltene Groll sich Luft machte (Göttinger Revolution und Stuttgarter Burschentag 1831, Hambacher[924] Fest 1832, Frankfurter Attentat 1833), nur um so strengere Beschlüsse gegen die U. beim Bundestag (5. Juli 1832) und auf den Ministerkonferenzen in Wien 1833–34 zur Folge. Großes Aufsehen erregte 1837 die Entlassung und Vertreibung von sieben der bedeutendsten Professoren (Albrecht, Dahlmann, Ewald, Gervinus, Brüder Grimm, Weber) der stets für konservativ und aristokratisch angesehenen Universität Göttingen (s. d.). Trotz dieser Ungunst behaupteten die deutschen U. ihren hohen Rang im geistigen Leben der Nation und entwickelte gerade in jener Zeit (1830–50) das Verbindungswesen unter den Studenten sich lebhaft und nahm der Hauptsache nach die heute noch geltenden Formen an (Korps, Burschenschaften, Progreßverbindungen, christliche Burschenschaften: Uttenruthia in Erlangen 1836, Wingolf in Bonn 1841 u. Halle 1844).

Das Jahr 1848 weckte auch auf den U. das Verlangen nach zeitgemäßen Reformen bei Lehrern und Hörern. Zunächst erging von Jena aus die Einladung zu einem Universitätskongreß, der dort vom 21.–24. Sept. 1848 stattfand. Mit Ausnahme von Berlin, Königsberg und den österreichischen Hochschulen außer Wien nahmen Abgeordnete sämtlicher deutscher U. teil. Hauptgegenstände der Beratung waren: Lehr- und Lernfreiheit, Prüfungswesen und Verfassung der U. Eine Reihe weiterer Punkte wurde Ostern 1849 von einer Kommission in Heidelberg vorberaten. Aber ein zweiter Kongreß kam nicht zustande. Noch unerheblicher waren die Resultate einer am 12. und 13. Juni 1848 auf der Wartburg tagenden Studentenversammlung. Preußen berief eine Konferenz von Abgeordneten der Lehrer seiner U. zur Beratung über die künftige Verfassung und Verwaltung der U., die am 27. Sept. 1849 in Berlin abgehalten ward. In Österreich traten durch eine Reihe von Verordnungen, zunächst vom 1. Okt. 1850, durchgreifende Veränderungen in der Organisation der U. Wien, Prag, Lemberg, Krakau, Olmütz, Graz und Innsbruck ein, durch die diese den übrigen deutschen U. näher gebracht wurden. Im ganzen haben die deutschen U. durch allen Wechsel der Zeiten sich unversehrt erhalten und im wiedererstandenen Deutschen Reiche seit 1870 einen neuen, kräftigen Aufschwung genommen. – Unter dem Eindruck des Kriegsjahrs 1870/71 erwachte eine neue Reformbewegung unter der studierenden Jugend, die durch Gründung freier studentischer Vereinigungen auf den meisten deutschen U. zum Ausdruck gelangte. Lebhaft macht sich neuerdings der Widerspruch gegen die veralteten akademischen Trinksitten geltend. Als neue deutsche U. entstanden 1872 Straßburg und 1902 Münster i. W. (einstweilen noch ohne medizinische Fakultät).

In bezug auf die Verfassung der U. ist man neuerdings öfter über die alte Vierzahl der Fakultäten hinausgegangen. Die philosophische Fakultät ist an den schweizerischen U. und in Würzburg in zwei selbständige Abteilungen, in Dorpat, Tübingen und Straßburg dagegen in zwei Fakultäten, die philosophische (philosophisch-historische) und die naturwissenschaftliche (mathematisch-naturwissenschaftliche), zerlegt. In Tübingen ist überdies die Gruppe der Staatswissenschaften (Nationalökonomie, Statistik, Finanzwissenschaft etc.) zu einer besondern Fakultät erhoben, so daß dort (bei zwei nach dem Bekenntnis getrennten theologischen) im ganzen sieben Fakultäten bestehen. In München ist die philosophische Fakultät nicht geteilt, aber aus ihr und aus der juristischen eine neue staatswirtschaftliche Fakultät ausgeschieden. In Österreich, teilweise in der Schweiz, in Würzburg und in Straßburg ist die staatswissenschaftliche Gruppe aus der philosophischen in die juristische Fakultät verlegt und diese dadurch zu einer rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät erweitert. – Die einzige akademische Würde, die gegenwärtig, abgesehen von der des Lizentiaten in der Theologie, an deutschen U. noch verliehen wird, ist der Doktorat (s. Doktor). – Eine seit dem 19. Jahrh. mit Vorliebe gepflegte Gestalt des Universitätsstudiums sind die sogen. akademischen Seminare, d. h. Gesellschaften, in denen die Studierenden unter Leitung ihrer Lehrer praktische Übungen anstellen (vgl. Seminar, S. 328). Dem heutigen Stande der Wissenschaft entsprechend sind die Laboratorien, Observatorien, Kliniken etc. für die naturwissenschaftlichen und medizinischen Fächer zu reicher Mannigfaltigkeit und noch immer sich steigernder Vollkommenheit entwickelt. – Sehr ausgedehnt haben bei dem Mangel fester Vorschriften in den letzten Menschenaltern sich die Ferien an den U., im Frühjahr oft bis zu 11/2-2, im Nachsommer bis zu 3 Monaten. Die Sommersemester schrumpfen infolgedessen bisweilen sehr zusammen. Vielfach werden jedoch an den deutschen U. nach dem Vorgange der englischen Summer-meetings in Oxford und Cambridge die Ferien für sogen. Ferienkurse (s. d.) benutzt, in denen teils weitere Kreise Gelegenheit zu wissenschaftlichen Studien erhalten, teils studierte Männer und Frauen aus der Praxis des Lebens ihre akademischen Studien auffrischen und ergänzen können. Weiblichen Studenten öffnet auch in Deutschland eine Universität nach der andern ihre Pforten (s. Frauenstudium). Als wirkliche Studentinnen zur Immatrikulation zugelassen werden nach dem Vorgange der Schweiz und mehrerer ausländischer Staaten schon gegenwärtig Frauen in Bayern, Baden, Sachsen (Leipzig und Jena) und Württemberg. Als Hörerinnen sind sie an allen deutschen U. mehr oder weniger zahlreich vertreten. – Wegen der sogen. Universitätsausdehnung (University-extension), s. Volkshochschulwesen. Die vielverhandelte Gehalts- und Honorarfrage ist in Österreich seit 1894 dahin erledigt, daß die Kollegienhonorare in die öffentlichen Kassen fließen, dagegen Gehalt und Rang der akademischen Lehrer nach gewissen Normalsätzen abgestuft sind. In Preußen (1897) ist ein Mittelweg eingeschlagen, indem bei sehr hohen Einnahmen aus Honoraren Abgaben zugunsten einer Kasse für den billigen Ausgleich eintreten. Ganz dem 20. Jahrh. gehört die Verwirklichung der Idee eines regelmäßigen Universitätsaustausches, d. h. des zeitweiligen Überganges von Professoren verschiedener Nationalitäten von einer Universität an die andre, für Deutschland an. An den englischen U. bestehen schon länger einzelne Stiftungen, die es ermöglichen, berühmte auswärtige Gelehrte zu einem Zyklus von Vorträgen heranzuziehen. In dem Wunsche, einen derartigen Austausch zu einer festen Einrichtung zu gestalten, begegneten sich Kaiser Wilhelm II. und der Präsident der Vereinigten Staaten von Nordamerika, Roosevelt, und die Weltausstellung von St. Louis (1904), zu der Gelehrte aller führenden Nationen als Redner geladen waren, gewann weitere Kreise für den Gedanken. So kam es 1905 zu einem Vertrage der preußischen Unterrichtsverwaltung mit der Harvard-Universität zu Cambridge (Massachusetts) und 1906 zu einem solchen mit der Columbia-Universität in New York und infolge beider bereits wiederholt zu wirklichem Austausche.[925]

Auf den preußischen U. verteilen sich die Studierenden (nach Prozenten) auf die einzelnen Fakultäten wie folgt:

Tabelle

Die Gesamtzahl der deutschen Studierenden in den vier Fakultäten, wenn man die naturwissenschaftlich-mathematischen und historisch-philosophischen Fakultäten zusammennimmt, belief sich auf:

Tabelle

Man hat berechnet, daß in Deutschland 1893 ein Student auf 1580 Einwohner, in England auf 1502, Frankreich 1683, Österreich 1722, Italien 1756, Ungarn 3609 kam etc. Allein man darf bei dem sehr verschiedenen Standpunkte der Hochschulen der genannten Länder daraus nicht zu viel schließen wollen (s. Tabelle I, S. 927).

Die Universitäten des Auslandes.

Österreich (Zisleithanien) zählte Winter 1905/06 an 8 Universitäten 14,887 Studierende (s. Tabelle II, S. 927). Von diesen 14,887 (18,505) Studierenden kamen 1896 (1906) auf die theologische Fakultät: 1171 (1280), die rechts- und staatswissenschaftliche: 7283 (9016), die ärztliche: 4596 (2568), die philosophische: 1837 (5641). Ungarn unterhält die U. Budapest (1885: 3375, 1896: 4039 Studierende, 1902: 5940 Hörer, davon 3854 Juristen, 100 Frauen bei 243 Professoren) und Klausenburg (Kolozsvar, 1885: 534, 1896: 643), wozu noch die kroatische Universität Agram (1896: 382, 1901: 829 Hörer) kommt. Die U. der Schweiz wiesen im Sommer 1896 (Winter 1905/06) folgenden Bestand auf:

Tabelle

Für Sommer 1906 wurde die Zahl der immatrikulierten Studenten der 7 Schweizer U. auf 6024 beziffert, zu denen 1309 Zuhörer kommen. Studierende Frauen gab es 2277, davon immatrikuliert 1557. Von den Studenten waren 2421 Schweizer, unter den Ausländern 1920 Russen, 828 Reichsdeutsche, 169 Bulgaren, 127 Österreicher, 63 Ungarn, 109 Franzosen. Von den 4467 männlichen Studenten gehörten an den theologischen Fakultäten: 320, den juristischen 1125, den medizinischen 962, den philosophischen 2060; von den 1557 weiblichen 39 den juristischen, 977 den medizinischen, 541 den philosophischen,-

Unter den russischen U. gehörte in diese Gruppe die livländische, ehemals ihrer Sprache nach deutsche zu Dorpat (1632 von Gustav Adolf begründet, 1802 von Alexander I. erneuert; 1900: 49 Lehrer und gegen 1500 Hörer), die jedoch seit 1895 unter dem Namen Jurjev bis auf die theologische Fakultät russifiziert ist, und die finnländische zu Helsingfors (1640 zu Abo von der Königin Christine begründet, 1826 nach Helsingfors verlegt); sodann die skandinavischen: in Schweden Upsala (1476) und Lund (1666), in Norwegen Christiania (1811; 1903: 1400); in Dänemark Kopenhagen (1475); ferner die holländischen: Leiden (1575); Groningen (1614), Utrecht (1636), neben denen bis 1816 noch Franeker (1585) und Harderwijk (1600) bestanden, und die städtische Universität zu Amsterdam (1875). Wesentlich abweichend haben die beiden hochkirchlichen U. in England, Oxford und Cambridge, sich entwickelt, an denen das Kollegienwesen (Colleges und Halls), auf alte reiche Stiftungen begründet, noch heute vorwaltet. Durch diese Stiftungen werden sie immer eng mit der bischöflichen Landeskirche verbunden bleiben, wenngleich seit 1871 die nichtgeistlichen Stellen unabhängig vom anglikanischen Bekenntnis besetzt werden sollen. Die 1833 erneuerte, ursprünglich von Oliver Cromwell gegründete Universität in Durham entbehrt der Gliederung in Fakultäten. Die 1836 öffentlich anerkannte London University war ursprünglich nur Prüfungsbehörde. Später wurden ihr verschiedene Colleges, so das liberale University College, das kirchliche King's College, inner- und außerhalb Londons angeschlossen, und diese sind seit 1898 unter 8 Fakultäten gegliedert und einheitlich zusammengefaßt. Verschiedene Institute, teilweise in Liverpool und Leeds gelegen, vereinigt Victoria-University in Manchester (1851). Als jüngste englische Universität trat 1900 Birmingham hinzu. Näher den deutschen U. stehen die schottischen zu Saint Andrews (1412), Glasgow (1454), Aberdeen (1506) und Edinburg (1582), während in Irland die Universität zu Dublin mit Trinity College (1591) den ältern englischen U., Queen's University (1849) mit verschiedenen auswärtigen Colleges der London University entspricht und die römisch-katholische Universität (1874) den belgischen und französischen Mustern (s. unten) nachgeahmt ist. Neu ist das rege Streben nach Popularisierung der Wissenschaften im britischen Universitätsleben (University-extension, »Hochschulausdehnung«). In Belgien sind neben den Staatsuniversitäten zu Gent (1816) u. Lüttich (1817) zwei sogen. freie U. zu Brüssel (1834, liberal) und zu Löwen (1835, klerikal, ältere Universität: 1426–1793) von Privatvereinen gegründet worden. Ähnlich steht gegenwärtig die Sache in Frankreich. Dort hat die Revolution mit den 23 alten, mehr oder weniger kirchlichen U. aufgeräumt und Napoleon I. an ihre Stelle ein von Paris aus über alle Departements sich erstreckendes Netz von Unterrichtsbehörden und -Anstalten gesetzt, dessen Mittelpunkt Universität (Université de France) genannt wird, während das ganze Land in eine Anzahl von Bezirken (jetzt 16) geteilt ward, in denen je eine Akademie, d. h. ebenfalls eine Aufsichts- und Prüfungsbehörde, mit den ordentlichen Verwaltungsbehörden zusammen das Unterrichtswesen leitet. Daneben blieben nur einzelne Fakultäten[926] und Kollegien (Sorbonne, Collège de France, Collège de Louis le Saint etc.) bestehen. Nach langen Kämpfen hatte die klerikale Partei 1875 durchgesetzt, daß unter gewissen Bedingungen Körperschaften, Vereine etc. freie U. gründen dürften, deren Prüfungen denen der Staatsbehörden gleich gelten, und dann sofort von diesem Rechte durch Gründung von 5 katholischen U. (Paris, Lille, Angers, Lyon und Toulouse) und einigen isolierten Fakultäten Gebrauch gemacht. Die Entwickelung dieser Anstalten wird eifrig betrieben, obwohl das Recht der Prüfung diesen Anstalten inzwischen wieder entzogen ward, so daß deren Studenten die wissenschaftlichen Grade erst vor staatlichen Behörden erwerben müssen. Im staatlichen Unterrichtswesen bestehen rechtlich noch immer nur vereinzelte Fakultäten, 1904: 74 staatliche Facultés und höhere Collèges, nämlich; 2 für (protestantische) Theologie, 13 für Jura, 29 für Medizin und Pharmazie (darunter 14 Fakultäten, 15 Collèges), 15 für Sciences (Mathematik und Naturwissenschaft), 15 für Lettres (Philosophie, Geschichte, Philologie), neben einer größern Zahl von sachlichen Hochschulen.

Tabelle

Diese Anstalten zählten 1906 gegen 45,000 Studierende, wovon 25,000 auf Paris kamen. Nach den Fakultäten verteilten sich die eigentlichen Studenten auf: Jura 10,580 (darunter weiblich 34, von denen Ausländerinnen 21), Medizin 7434 (439 Frauen, 147 Ausländerinnen), Pharmazie 3138 (81 Frauen, eine Ausländerin), Lettres 3821 (516 Frauen, 220 Ausländerinnen), Sciences 4340 (165 Frauen, 110 Ausländerinnen), Theologie (protestantische) 110. Wie die neueste Gesetzgebung (völlige Trennung von Staat und Kirche) auf diesen Zustand der Dinge wirken wird, ist zurzeit noch nicht abzusehen. – In Italien bestehen 17 staatliche U., davon 11 vollständige (d. h. ohne Theologie, die philosophische Fakultät nach französischer Art geteilt) mit je 4 Fakultäten, 3 mit je 3,3 mit je 2. Sie zählten 1906 gegen 1500 Lehrer und 27,100 Hörer. Den stärksten Besuch hatten Neapel (5800 Hörer), Turin, Rom, Bologna. Außerdem 4 freie U. und eine Anzahl akademischer kirchlicher Institute sowie zahlreiche akademisch organisierte Fachanstalten. Spanien hat 9 vollständige und 2 unvollständige U., von denen manche schon im Mittelalter hohen Ruf genossen, wie Salamanca (gestiftet 1239), Valencia (gestiftet 1245), Alcalá de Henares (1499). Gegenwärtig behauptet nur die Universität Madrid (1836 von Alcalá hierher verlegt, 1905: 5800 Studenten) höhern Rang. Portugal hat seine Universität in Coimbra (1290 in Lissabon gegründet, 1307 verlegt). Im slawischen Osten Europas hatte Polen schon 1400 seine Universität in Krakau, wozu 1578 Wilna trat; sonst aber sind erst im 19. Jahrh. von Österreich (Lemberg, Agram, Czernowitz 1875) und Rußland dort eigentlich U. (Moskau 1755; Kasan, Charkow 1804; Warschau 1816; Petersburg 1819; Kiew 1834; Odessa 4865) gegründet worden. Auch Rumänien (Bukarest und Jassy), Serbien (Belgrad), Griechenland (Athen und Korfu) besitzen heute ihre U. Außerhalb Europas finden sich die U. am zahlreichsten in Amerika, wo[927] im Süden die spanisch-portugiesische Form aus dem Zeitalter der Jesuiten herrscht und im Norden bei großer Mannigfaltigkeit die englische Anlage vorwaltet. Berühmt sind unter den ältern U. des Unionsgebiets Harvard University zu Cambridge in Massachusetts (1638) und Yale College zu Newhaven in Connecticut (1701). In Asien haben die vier britischen U. Ostindiens hohe Bedeutung für die Zivilisation dieses weiten Gebietes und für die vergleichende Sprachforschung. In Japan strebt die Regierung eifrig, das europäische Universitätswesen einzubürgern, wobei als Muster die Universität zu Tokio dient, die anfangs vorwiegend mit europäischen Lehrern besetzt war, gegenwärtig jedoch bereits den nationalen Charakter strenger durchführt.

Vgl. Meiners, Geschichte der Entstehung und Entwickelung der hohen Schulen unsers Erdteils (Götting. 1802–05, 4 Bde.); Raumer, Geschichte der Pädagogik, Bd. 4 (6. Aufl., Gütersloh 1890); Zarncke, Die deutschen U. im Mittelalter (Leipz. 1857); Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts (2. Aufl., das. 1896–97, 2 Bde.) und Die deutschen U. und das Universitätsstudium (Berl. 1902); Denifle, Die U. des Mittelalters (das. 1885, Bd. 1); Kauf mann, Geschichte der deutschen U. (Stuttg. 1888–96, Bd. 1 u. 2); Lexis, Die Universitäten im Deutschen Reich (Bd. 1 des Sammelwerks »Das Unterrichtswesen im Deutschen Reich« aus Anlaß der Weltausstellung in St. Louis, Berl. 1904); Bornhak, Geschichte der preußischen Universitätsverwaltung bis 1810 (das. 1900) und Die Rechtsverhältnisse der Hochschullehrer in Preußen (das. 1901); Eulenburg, Die Frequenz der deutschen U. von ihrer Gründung bis zur Gegenwart (Leipz. 1904); Erman und Horn, Bibliographie der deutschen U. (das. 1904–05, 3 Bde.); Rashdall, The universities of Europe in the middle ages (Oxf. 1895, 2 Bde.). Zur Geschichte des akademischen Lebens vgl. Tholuck, Das akademische Leben des 17. Jahrhunderts (Halle 1853 bis 1854, 2 Tle.); Dolch, Geschichte des deutschen Studententums (Leipz. 1858); Keil, Geschichte des jenaischen Studentenlebens (das. 1858); Muther, Aus dem Universitäts- und Gelehrtenleben im Zeitalter der Reformation (Erlang. 1866); Fabricius, Die Studentenorden des 18. Jahrhunderts (Jena 1891); Kluge, Deutsche Studentensprache (Straßb. 1895); Fick, Auf Deutschlands hohen Schulen (Berl. 1899) und Literatur bei Artikel »Studentenverbindungen«. Periodische Literatur: »Deutscher Universitätskalender« (1873–1904 hrsg. von Ascherson, Berl.; erscheint seit 1905 in Leipzig); »Minerva. Jahrbuch der gelehrten Welt« (hrsg. von Kukula und Trübner, Straßb. 1891 ff.); »Hochschulnachrichten« (hrsg. von v. Salvisberg, Münch., seit 1890); »Deutsche Literaturzeitung« (hrsg. von Hinneberg, Berl., seit 1889); »Jahresverzeichnis der an den deutschen U. erscheinenden Schriften« (21. Jahrg., das. 1907) und »Revue internationale de l'enseignement« (Par., seit 1881).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 923-928.
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