Keller [3]

[822] Keller, 1) Johann Balthasar, Goldschmied und Erzgießer, geb. 1638 in Zürich, gest. 1702 in Paris, hatte bereits vortreffliche Werke in getriebener Arbeit verfertigt, als er nach Paris ging und sich dort ausschließlich der Gießerkunst widmete. Er lieferte außer einer Menge von Mörsern und Kanonen Statuen für die Gärten von Versailles und eine 6,5 m hohe Reiterstatue Ludwigs XIV. nach Girardons Modell zum erstenmal aus Einem Guß. Auch sein Bruder Johann Jakob (geb. 1635, gest. 1700 in Kolmar) war ein geschickter Erzgießer.

2) Friedrich Ludwig K. vom Steinbock, schweizer. Rechtsgelehrter, geb. 17. Okt. 1799 in Zürich, gest. 11. Sept 1860 in Berlin, folgte 1825 einem Ruf als Professor des Zivilrechts an das politische Institut in Zürich und ward daselbst Amtsrichter, 1831 Präsident des Obergerichts und Mitglied des Erziehungsrats. 1830 in den Großen Rat gewählt, war er 1832 und 1834 dessen Präsident. Zu wiederholten Malen vertrat K. seinen Kanton auf der eidgenössischen Tagsatzung und beteiligte sich in dieser Eigenschaft wesentlich an den Arbeiten für die Bundesreform (1833) und das Militärstraf- und Prozeßgesetzbuch (1837). In Anerkennung der letztern Arbeit wurde er zum Obersten und Chef des eidgenössischen Justizstabs ernannt. 1843 ging er als Professor der Rechte nach Halle, 1847 in gleicher Eigenschaft als Puchtas Nachfolger nach Berlin. Früher der liberalen Richtung zugetan, huldigte er später dem entschiedensten Konservativismus und war als Mitglied der preußischen Zweiten Kammer sowie des Erfurter Parlaments ein Hauptwortführer der reaktionären Partei. Nach seiner Erhebung in den Adelstand ward er ins Herrenhaus berufen. Ein bleibendes Verdienst erwarb er sich durch Neubelebung der Wissenschaft des römischen Prozeßrechts. Hierher gehören seine Werke: »Über Litiskontestation und Urteil« (Zürich 1827) und »Der römische Zivilprozeß und die Aktionen« (Leipz. 1852; 6. Aufl. von A. Wach, 1883). Als tüchtigen Philologen bekunden ihn seine »Semestria ad M. T. Ciceronem« (Zürich 1842–51, Bd. 1). Noch schrieb er: »Monatschronik der Züricher Rechtspflege« (Zürich 1833–38, 12 Bde.) und »Die Baseler Teilungssache« (das. 1833). Seine Vorlesungen über Pandekten gab Friedberg (Leipz. 1861) und in 2. Auflage Lewis (das. 1867, 2 Bde.) heraus.

3) Ferdinand, Altertumsforscher, geb. 24. Dez. 1800 im Schloß zu Marthalen (Zürich), gest. 21. Juli 1881 in Zürich, studierte in Zürich, Lausanne u. Paris Theologie und Naturwissenschaften und wurde 1831 Lehrer an dem Technischen Institut in Zürich und Aktuar der Naturforschenden Gesellschaft. Als solcher veröffentlichte er mehrere Arbeiten über die Karrenfelder, die Eishöhlen und Windlöcher in den Alpen etc. Die Entdeckung und Untersuchung der Grabhügel im Burghölzli, Denkmäler, die bis dahin unbeachtet geblieben waren, führten zur Gründung der Antiqua rischen Gesellschaft, deren Präsidium K. 40 Jahre führte, und des Museums, das unter Kellers Leitung in kurzer Zeit zu großer Bedeutung heranwuchs. Er erforschte die Trümmerstätten römischer Gebäude in allen Teilen der Schweiz und bemühte sich, eine Übersicht der keltischen und alemannischen Altertümer des Landes zu gewinnen. Im Winter 1853/54 entdeckte K. zu Obermeilen am Züricher See den ersten Pfahlbau, bereiste daraufhin alle bisher vermuteten oder bekannt gewordenen Seestationen und lieferte acht Berichte über Pfahlbauten in den Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft etc. Außerdem veröffentlichte er: »Bauriß des Klosters St. Gallen vom Jahr 820« (Zürich 1844) und eine archäologische Karte der Ostschweiz (das. 1874). Vgl. Meyer v. Knonau, Lebensabriß von F. K. (Zürich 1882).

4) Augustin, schweizer. Staatsmann, geb. 11. Nov. 1805 zu Sarmenstorf im Kanton Aargau, gest. 8. Jan. 1883 in Lenzburg, wurde für den geistlichen Stand erzogen, widmete sich aber 1826–30 in München, Breslau und Berlin dem Studium der Philologie und Philosophie und gehörte der deutschen Burschenschaft an, wurde 1831 Professor am Gymnasium in Luzern, 1834 Direktor des aargauischen Lehrerseminars in Wettingen. Außerdem war er Mitglied des Großen Rates und wiederholt Tagsatzungsgesandter seines Kantons und tat sich durch Bekämpfung der Jesuiten und des Ultramontanismus hervor. Auf seinen Antrag wurden nach heftigem Widerstand 1841 die Mönchsklöster im Aargau aufgehoben; er stellte auch 1844 bei der Tagsatzung den Antrag auf Ausweisung der Jesuiten, der jedoch erst 1847 durchging. 1856 wurde er in den aargauischen Regierungsrat gewählt und versah das Amt eines Erziehungsdirektors und Präsidenten des katholischen Kirchenrates. Gleichzeitig vertrat er seinen Kanton zuerst im Ständerat (1848/49), dann im Nationalrat (1854–1866), seit 1866 wieder im Ständerat und war wiederholt Vorsitzender der einen wie der andern Versammlung. 1869 eröffnete er den Kampf der Baseler Diözesanstände gegen den Bischof Lachat durch sein Buch über die am Priesterseminar Solothurn eingeführte Moraltheologie des Paters Gury (2. Aufl., Aarau 1870), stellte sich 1870 an die Spitze der altkatholischen Bewegung in der Schweiz und wurde 1875 Präsident des Synodalrates der schweizerischen christkatholischen Kirche. 1881 zog er sich von allen Ämtern zurück. Nach seinem Tod erschien ein Band von ihm verfaßter Gedichte (Frauenfeld 1889). Vgl. Hunziker, Augustin K., ein Lebensbild (Aarau 1883); Herzog, Aphorismen aus A. Kellers pädagogischen Schriften (das. 1883).

5) Joseph, Kupferstecher, geb. 31. März 1811 in Linz am Rhein, gest. 30. Mai 1873 in Düsseldorf, ging nach Bonn in die Schulgen-Bettendorfsche Kupferdruckerei und 1835 nach Düsseldorf, wo sich besonders Jul. Hübner seiner annahm, unter dessen Beirat er einen Stich nach Hübners Rasendem Roland ausführte. Nach dem Tode Thelotts wurde K. 1839 zu. erst provisorisch als Lehrer der Kupferstecherkunst an der Kunstakademie in Düsseldorf angestellt; 1846 wurde er Professor und bildete eine Anzahl Schüler. 1841 erhielt er vom Kunstverein für die Rheinlande[822] und Westfalen den Auftrag, Raffaels Disputa zu stechen, und ging noch in demselben Jahre nach Rom, um dort eine große Zeichnung nach Raffaels Fresko zu fertigen. 1844 nach Düsseldorf zurückgekehrt, begann er, nach Vollendung eines großen Stiches von Raffaels heiliger Dreifaltigkeit in Perugia, seine Arbeit, neben der jedoch noch eine Reihe größerer und kleinerer Platten, so eine Himmelskönigin nach Deger, eine Mater dolorosa nach demselben, der Heiland im Grabe nach Ary Scheffer u. a., fertig wurde. Die Disputa ist Kellers Hauptwerk, worin sich Sorgfalt des Stichels und malerische Weichheit in gleicher Weise geltend machen. Sodann ging K. an den Stich der Sixtinischen Madonna von Raffael, wozu er eine von Schurig in Dresden hergestellte, von ihm selbst überarbeitete Zeichnung benutzte. Macht sich in den frühern Arbeiten Kellers noch die Manier des Kartonstiches geltend, so ist sie bei der Sixtinischen Madonna ganz abgestreift; bei ihr ist jedoch die zu große Weichheit und Unbestimmtheit der Formengebung zu tadeln, so daß der Stich hinter F. Müller und Mandel zurücksteht.

6) Adelbert von, Germanist und Romanist, geb. 5. Juli 1812 zu Pleidelsheim in Württemberg, gest. 13. März 1883, studierte in Tübingen Theologie, wandte sich aber zugleich unter Uhlands Leitung mittelalterlichen Sprachstudien zu. Als Frucht eines 13 monatigen Aufenthalts in Paris erschien: »Li Romans des sept sages« (Tübing. 1836). Im Herbst 1835 habilitierte sich K. als Privatdozent der germanischen und romanischen Literatur in Tübingen, wo er von 1837–41 auch das Amt eines Unterbibliothekars der Universität bekleidete. In dieser Zeit gab er heraus: »Altfranzösische Sagen« (2. Aufl., Heilbr. 1876), veranstaltete mit Notter eine deutsche Ausgabe sämtlicher Romane des Cervantes (Stuttg. 1838–1842, 12 Bde.), edierte den »Romancero del Cid« (das. 1840) und »Zwei Fabliaux« (das. 1840) und übersetzte außer anderm die »Gudrun« (das. 1840). Aus Gesundheitsrücksichten ging er 1840 nach Italien, wo er in Rom und Venedig die bedeutendsten Bibliotheken durchforschte. Eine reiche Ausbeute von schätzbaren Beiträgen zur Geschichte mittelalterlicher Dichtung veröffentlichte er in seiner »Rômvart« (Mannh. 1844). Nach seiner Rückkehr zum außerordentlichen, 1844 zum ordentlichen Professor und zugleich zum Oberbibliothekar ernannt, gab er heraus: »Diokletians Leben« von Bühel (Quedlinb. 1841); die »Gesta Romanorum« (Stuttg. 1842); mit Rapp eine Übersetzung Shakespeares (Stuttg. 1843–46); »Altdeutsche Gedichte« (Tübing. 1846); »Alte gute Schwänke« (2. Aufl., Heilbr. 1846); »Lieder Heinrichs von Württemberg« (Tübing. 1849); »Lieder Guillems von Burgunden« (Mitau 1849); »Meister Altswerts Werke« (mit Holland, Stuttg. 1850); »Italienischer Novellenschatz« (Leipz. 1851–52, 6 Bde.) und »Fastnachtsspiele aus dem 15. Jahrhundert« (Stuttg. 1853–1858, 4 Bde.). 1850 legte er seine Stelle als Oberbibliothekar nieder; dagegen ward er 1849 Präsident des »Literarischen Vereins« (s. d.) in Stuttgart und widmete seitdem seine literarische Tätigkeit vorzugsweise den Schriften des Vereins, für den er den »Simplizissimus« (1854–62, 4 Bde.), Ayrers »Dramen« (1864–65, 5 Bde.), »Das deutsche Heldenbuch« (1867), »Hans Sachs« (Bd. 1–13,1870–81), »A. Tüngers Facetiae« (1875), Widmanns Werk »Fausts Leben« (1881) und »Das Nibelungenlied nach der Piaristenhandschrift« (1880) zum Druck beförderte. Noch ist seine Schrift »Uhland als Dramatiker, mit Benutzung seines handschriftlichen Nachlasses dargestellt« (Stuttg. 1877) zu erwähnen. Vgl. H. Fischer, Nekrolog für Adelbert v. K. (Berl. 1884).

7) Friedrich Gottlob, Techniker, geb. 27. Juni 1816 in Hainichen bei Chemnitz, gest. 8. Sept. 1895 in Krippen bei Schandau, erlernte die Weberei, erhielt 1843 bei seinen Versuchen, Papier aus Holz herzustellen, eine brauchbare Masse durch Schleifen von Holz auf einem nassen Schleifstein und erwarb 1845 zur Ausbeutung dieser Erfindung eine Papiermühle in Kühnheide im Erzgebirge, sah sich aber genötigt, seine Erfindung für 700 Tlr. an Völter, den Direktor der Bautzener Papierfabrik, zu verkaufen. Er lebte seitdem in Krippen.

8) Gottfried, hervorragender Dichter, geb. 19. Juli 1819 in Zürich, gest. daselbst 16. Juli 1890, widmete sich zuerst der Landschaftsmalerei und verweilte zu seiner künstlerischen Ausbildung 1840–42 in München; von bitterer Not gezwungen, kehrte er in die Heimat zurück, wo er sich bald darüber klar wurde, daß er mehr zur Poesie als zur Malerei begabt war. Die erste Sammlung seiner »Gedichte« (Heidelb. 1846) fand den Beifall berufenster Kenner, wie Varnhagen, und mit Hilfe eines Züricher Staatsstipendiums konnte K. 1848 für mehrere Jahre nach Heidelberg gehen, um an der Universität und im Verkehr mit Ludwig Feuerbach, Hermann Hettner u. a. seine Bildung zu ergänzen und zu vollenden. 1850 zog er nach Berlin, zunächst um seine Kenntnis des Theaters zu bereichern, denn er wollte Dramatiker werden. Er blieb daselbst bis Dezember 1855, gewann allerdings viel Einsicht in die dramatische Kunst, vollendete aber keinen seiner dramatischen Entwürfe; dagegen gelangen ihm zahlreiche lyrische Erzeugnisse, die er in einer zweiten Sammlung: »Neue Gedichte« (Braunschw. 1851), vereinigte, und vor allem der große autobiographische Roman: »Der grüne Heinrich« (das. 1854–55, 4 Bde.; neue Bearbeitung, Stuttg. 1879–80), mit dem er sich in die vorderste Reihe der deutschen Dichter stellte. Er hat darin die Geschichte seines eignen Irrtums in der Berufswahl sowie seiner künstlerischen und religiösen Entwickelung in ungemein gedankenreicher Weise und poetischer Fülle dargestellt. Bald darauf erschien der erste Band seiner Erzählungen »Die Leute von Seldwyla« (Braunschw. 1856; mit den Meisterstücken: »Romeo und Julia auf dem Dorfe«, »Die drei gerechten Kammacher«), die wegen der Anmut ihres Humors, der Tiefe ihrer Poesie und der Kraft der Gestaltung die Bewunderung aller Einsichtigen errangen, aber nur sehr langsam den Weg zum großen Publikum fanden. 1861 wurde K. zum ersten Staatsschreiber des Kantons Zürich ernannt und blieb es bis 1876 in so reger amtlicher Tätigkeit, daß ihm dichterisches Schaffen kaum möglich war. Erst nach seinem Rücktritt konnte er alte und neue poetische Pläne ausführen, und nun erst kam die Blütezeit seines literarischen Ruhmes. Noch kurz vorher waren die reich vermehrte 2. Auflage seiner »Leute von Seldwyla« (Stuttg. 1873–74, 4 Bde.; 36. Aufl. 1904) sowie die höchst anmutigen und geistvoll heitern »Sieben Legenden« (das. 1872, 28. Aufl. 1903) erschienen, in denen ein ganz neuer Ton der Ironie gegen die Kirche angeschlagen war. Nun schrieb K. die oben erwähnte Neubearbeitung seines »Grünen Heinrich« (29. Aufl. 1903), dessen erster tragischer Schluß einem tröstlichern, kontemplativen Ende weichen mußte (vgl. Leppmann, G. Kellers »Grüner Heinrich« von 1854/55 u. 1879/80, Berliner Diss., 1902), und eine neue Sammlung: »Züricher Novellen« (Stuttg. 1878, 2 Bde.; 32. Aufl. 1903), darin[823] die Meisterwerke: »Der Landvogt von Greifensee« und »Das Fähnlein der sieben Aufrechten«. In dem folgenden Novellenzyklus »Das Sinngedicht« (Berl. 1882, 28. Aufl. 1903) fand jene lebensfreudige Gesinnung des Dichters, die allen seinen Werken eigentümlich ist, erhöhten Ausdruck; und gegen die unerfreulichen Auswüchse der Zeit schwang er die Geißel des satirischen Humors in dem Roman »Martin Salander« (das. 1886, 24. Aufl. 1903), der sich durch Klarheit der Komposition und Schönheit der Gestaltung auszeichnet. Eine mit den im Laufe der Jahre entstandenen neuen Versen vermehrte Ausgabe seiner Lyrik veranstaltete K. in den »Gesammelten Gedichten« (Berl. 1883; 17. Aufl. 1903, 2 Bde.); hier erschien er als ein männlich herber, zur Satire geneigter, aber inniger Sänger ganz eigner Art. Kellers Poesie wurzelt tief im heimisch schweizerischen Volkscharakter, den er stets mit glühender Liebe umfaßte, auch seine Sprache behielt die schweizerische Färbung bei. Er ist ausgezeichnet durch echt männliche ideale Gesinnung, kernigen Humor, anschauliche und originelle Phantasie und durch ein großartiges Darstellungsvermögen. Als epischer Dichter gehört er zu den ersten Meistern des Jahrhunderts. Sein Bildnis s. Tafel »Deutsche Klassiker des 19. Jahrhunderts« (in Band 11). Die Ausgabe seiner »Gesammelten Werke« (Berl. 1889–90, 10 Bde.; seitdem mehrfach aufgelegt, zuletzt Stuttg. 1904), besorgte K. noch selbst. Nach seinem Tod erschienen: »Nachgelassene Schriften und Dichtungen« (Berl. 1893) und »Gottfried Kellers Leben. Seine Briefe und Tagebücher«, herausgegeben von Jakob Bächtold (Berl. 1892–96, 3 Bde. in mehreren Auflagen; dazu als Nachtrag die »Gottfried Keller-Bibliographie«, das. 1897; kleine Ausgabe der Biographie, ohne die Briefe und Tagebücher, das. 1898); den »Briefwechsel zwischen Theodor Storm und Gottfried K.« veröffentlichte Köster (das. 1904). Vgl. F. Th. Vischer, Altes und Neues, Heft 2 (Stuttg. 1881); Brahm, Gottfried K. (Leipz. 1883); Brenning, Gottfried K. nach seinem Leben und Dichten (Brem. 1891); Kambli, Gottfried K. nach seiner Stellung zu Religion und Christentum etc. (St. Gallen 1892); Frey, Erinnerungen an Gottfried K. (2. Aufl., Leipz. 1893); Brun, Gottfried K. als Maler (Zürich 1894); E. v. Berlepsch, Gottfried K. als Maler (Leipz. 1894); H. v. Treitschke in Bd. 4 seiner »Historischen und politischen Aufsätze« (das. 1897); A. Köster, Gottfried K., sieben Vorlesungen (das. 1899); F. Baldensperger, G. K., sa vie et ses œuvres (Par. 1899); Ricarda Huch, Gottfried K. (6. Aufl., Berl. 1904).

9) Emile, franz. Politiker, geb. 8. Okt. 1828 in Belfort, trat 1857 als Regierungskandidat in den Gesetzgebenden Körper. Als französierter klerikaler Elsässer tat er sich 1870 beim Ausbruch des Krieges durch seinen Preußenhaß hervor, errichtete und befehligte das erste elsässische Freikorps und protestierte als Deputierter des Oberrheins in der Nationalversammlung zu Bordeaux gegen die Abtretung Elsaß-Lothringens. Nach der Niederlegung seines Mandats von neuem in Belfort gewählt, war er einer der Führer der klerikal-legitimistischen Partei in der Nationalversammlung. 1876 wurde er von Belfort in die Deputiertenkammer gewählt. Außer einigen Broschüren über die Enzyklika (1860 u. 1865) schrieb er: »Histoire de France« (Par. 1858, 2 Bde.; 9. Aufl., Tours 1894); »Le général de La Moricière, sa vie militaire, politique et religieuse« (1873, 2 Bde.; neue Ausg. 1891); »Les congrégations religieuses en France« (Tours 1880) u. a.

10) Gerard, niederländ. Schriftsteller, geb. 13. Febr. 1829 in Gouda, gest. im Januar 1899 in Arnheim, wurde im Haag gebildet, ward 1850 Stenograph der Generalstaaten und übernahm 1864 die Redaktion des »Arnhemsche Courant«. Von seinen Arbeiten nennen wir vor allen die weitverbreiteten Reisebilder: »Een zomer in het noorden« (Arnh. 1861); »Een zomer in het zuiden« (das. 1864); »Het belegerde Parijs« (das. 1871) und »Het vermoorde Parijs« (das. 1872); »Weenen. Bezoek aan Wilhelmshöhe, Dresden, Praag etc.« (das. 1873); »Waldeck in vogelvlucht« (Haarl. 1879); »Europa in al zijn heerlijkheid geschetst« (Rotterd. 1877–80) und »Amerika in beelden schrift« (das. 1887). Auch schrieb er zahlreiche Novellen (gesammelt, Haag 1881, 5 Bde.), darunter »Van huis« (1867, 2 Bde.; deutsch von Glaser, Braunschw. 1868) und »Overkompleet« (1871; deutsch: »Der Herr Geheimrat«, von Glaser); ferner »Onze Minister« (1883); »Flikkerende vlammen« (1884) und »Nemesis« (1885). Daneben war K. als Redakteur der »Kunstkroniek« auf dem Gebiete der niederländischen Kunstgeschichte tätig und trat auch als beliebter Jugendschriftsteller auf sowie als Dramatiker mit den Lustspielen: »De dochter van den barbier« (Arnh. 1878), »Het blauwe lint« (Haag 1881), »Het gevaarlijk nichtje« (Haarl. 1884) u. a. Janten Brink beschrieb sein Leben.

11) Otto, klassischer Philolog, Sohn von K. 6), geb. 28. Mai 1838 in Tübingen, studierte daselbst und in Bonn, war seit 1861 als Lehrer in Württemberg tätig, bereiste Griechenland und Italien und ward 1866 Rektor des Lyzeums in Öhringen, 1872 Professor der klassischen Philologie in Freiburg, 1876 in Graz und 1882 an der deutschen Universität Prag. Er lieferte zu Horaz eine kritische Ausgabe (mit Holder, Leipz. 1867–70, 2 Bde.; 2. Aufl. 1899), »Epilegomena zu Horaz« (das. 1879–80, 3 Bde.), eine Schulausgabe (mit Häußner, das. 1885; 3. Aufl. 1904), eine Übersetzung der »Briefe« im Versmaß der Urschrift (nach Bacmeisters Manuskript, das. 1891) und eine Ausgabe der »Pseudoacronis scholia in Horatium vetustiora« (das. 1902–04, 2 Bde.). Zur alten Naturgeschichte veröffentlichte er: »Rerum naturalium scriptores graeci minores« (Bd. 1, Leipz. 1877); »Tiere des klassischen Altertums« (Innsbr. 1887); »Tier- und Pflanzenbilder auf Münzen und Gemmen des klassischen Altertums« (mit Imhoof-Blumer, Leipz. 1889). Sonst veröffentlichte er: »Untersuchungen über die Geschichte der griechischen Fabel« (das. 1862); »Vicus Aurelii oder Öhringen zur Zeit der Römer« (Bonn 1871); »Die Entdeckung Ilions zu Hissarlik« (Freiburg 1875); »Der Saturnische Vers« (zwei Abhandlungen, Leipz. 1883 u. 1886); »Xenophontis Historia graeca« (kleine Ausg., das. 1887; große 1890); »Lateinische Volksetymologie und Verwandtes« (das. 1891); »Zur lateinischen Sprachgeschichte« (das. 1893–95, 2 Bde.). Auch gab er Bacmeisters »Keltische Briefe« heraus (Straßb. 1874).

12) Ferdinand, Maler, geb. 5. Aug. 1842 in Karlsruhe, besuchte das Lyzeum daselbst, folgte jedoch 1857 seinem Vater Joseph K. (geb. 1804, gest. 1877) und Bruder Franz K. (s. unten), die als Ingenieure zu Straßen- und Brückenbauten nach Brasilien berufen worden waren. Hier sammelte K. eine große Anzahl Naturstudien in den tropischen Wäldern. 1862 nach Karlsruhe zurückgekehrt, bildete er sich an der dortigen Kunstschule unter J. W. Schirmers Leitung weiter aus. Seit 1864 lernte er bei Canon die Figurenmalerei, ohne jedoch der Landschaft[824] ganz im treu zu werden. Sodann besuchte er vier Winter lang Italien, besonders Rom. Nachdem er mit einem Geschichtsbild: Tod Philipps II. von Spanien, auf der Pariser Weltausstellung von 1867 aufgetreten, folgten kleinere Bilder: der Alchimist, die moderne Diana, ferner größere Landschaften: brasilischer Urwald etc., auch viele Bildnisse, sodann Nero beim Brande Roms, wodurch er auf der Wiener Weltausstellung 1873 die Medaille für Kunst erwarb. Allgemein bekannt wurde sein Name durch die Konkurrenz für den neuen Theatervorhang in Dresden, bei der er für seine Skizze den Preis gewann. Der ausgeführte Vorhang zeigt die geflügelte Phantasie mit den Künsten des Dramas und der Musik (1876). K. versuchte sich auch im Fresko; nachdem er schon um 1870 in der Jesuitenkirche zu Heidelberg eine Himmelfahrt Mariä a fresco gemalt, führte er im Sommer 1875 ein Wandgemälde: die Vertreter der Kunst und der Wissenschaft im Altertum, in einem neuen Staatsgebäude seiner Vaterstadt aus. Seine spätern Werke: Sieg des Markgrafen Ludwig Wilhelm von Baden bei Salankemen (Kunsthalle in Karlsruhe), Hero findet die Leiche des Leander (1880, Akademie zu Wien), die Gründung der Universität Heidelberg in der Aula daselbst, mehrere dekorative Arbeiten für Privathäuser in Karlsruhe und vornehmlich seine figurenreiche Apotheose Kaiser Wilhelms des Siegreichen (1888, in der Berliner Nationalgalerie), der 1890 eine Apotheose Kaiser Friedrichs folgte, kennzeichnen ihn als einen der hervorragendsten Vertreter des modernen Kolorismus. In neuester Zeit hat er besonders die Bildnismalerei mit glänzendem Erfolg und auch wieder die Landschaftsmalerei (In Arkadien, Hain des Poseidon, Seufzerallee, Böcklins Grab) gepflegt. Er ist Professor an der Kunstakademie in Karlsruhe. – Sein Bruder Franz K.-Leuzinger, geb. 30. Aug. 1835, gest. 19. Juli 1890 in München, veröffentlichte nach seiner Rückkehr die illustrierte Reisebeschreibung »Vom Amazonas und Madeira« (Stuttg. 1874) und war dann hauptsächlich auf kunstgewerblichem Gebiet und als Illustrator tätig.

13) Albert, Maler, geb. 27. April 1844 in Gais (Kanton Appenzell), kam frühzeitig nach München, wo er auf der dortigen Universität anfangs Philosophie und später die Rechte studierte, bis seine Neigung für die Malerei zum Durchbruch kam. Er lernte zuerst bei Lenbach und dann bei A. v. Ramberg und bildete sich weiter auf Studienreisen nach Italien, Frankreich, England und den Niederlanden. Nachdem er mit einem Bild: Audienz bei Ludwig XV., debütiert hatte, malte er eine Zeitlang Gruppen und weibliche Einzelfiguren aus der modernen Gesellschaft. 1882 begab er sich zu neuen Studien nach Paris, wo er Bilder aus dem antiken Leben in reicher architektonischer Umgebung malte. Alle diese Schöpfungen wurden übertroffen durch ein 1886 vollendetes Gemälde: Auferweckung von Jairi Töchterlein durch Christus, in dem K. eine realistische Schilderung des biblischen Vorganges auf geschichtlich-archäologischer Grundlage gab (jetzt in der Neuen Pinakothek zu München). Neben mehreren durch geistvolle Auffassung und seine Tonstimmung ausgezeichneten Bildnissen und einem Bild aus römischer Zeit: Faustina im Tempel der Juno zu Präneste, entstand bis 1888 noch ein figurenreiches Gemälde aus dem mittelalterlichen Volksleben: der Hexenschlaf, die Hypnotisierung eines auf dem brennenden Scheiterhaufen stehenden Mädchens. Seitdem wendete er sich mit besonderm Eifer der Darstellung von Lichtwirkungen jeglicher Art mit dem ganzen Aufgebot einer großen koloristischen Virtuosität zu. Er erprobte sie nicht bloß an genrehaften Motiven, sondern auch an Bildnissen und religiösen Stoffen, wobei er sich zuletzt in Skizzenhaftigkeit verlor. Seine Hauptwerke dieser Gruppe sind: Nach dem Diner, die Übergabe der Überreste des Generals Latour d'Auvergne an die französischen Kommissare (1890), die Somnambule (1891), die heilige Julia am Kreuz (1892), die Kreuzigung Christi und Mondschein (1894, nacktes Mädchen am Kreuz), das Glück (1896), Schlangenbeschwörung (1897), das Urteil des Paris (1898), Trio, Herodias (1899) und Vision (1901). Er ist königlicher Professor und besitzt die erste Medaille der Münchener und die große goldene Medaille der Berliner Kunstausstellung. 1898 wurde er in den bayrischen Adelstand erhoben.

14) Ludwig, Historiker, geb. 28. März 1849 in Fritzlar, studierte in Leipzig und Marburg die Rechte und Staatswissenschaften, dann Geschichte und Philosophie, trat 1874 in den Archivdienst, wurde Assistent am Staatsarchiv zu Münster, 1881 dessen Vorstand, 1888 Archivrat und 1895 an das Geheime Staatsarchiv in Berlin versetzt. K. schrieb: »Der zweite Punische Krieg und seine Quellen« (Marb. 1875); »Geschichte der Wiedertäufer und ihres Reichs zu Münster« (Münst. 1880); »Die Gegenreformation in Westfalen und am Niederrhein« (Leipz. 1881–95, 3 Bde.); »Ein Apostel der Wiedertäufer« (Hans Denck, das. 1882); »Die Reformation und die ältern Reformparteien« (das. 1885); »Die Waldenser und die deutschen Bibelübersetzungen« (das. 1886); »Zur Geschichte der altevangelischen Gemeinden« (Berl. 1887, ins Holländ. übersetzt 1888); »Johann von Staupitz und die Anfänge der Reformation« (Leipz. 1888); »Die Böhmischen Brüder und ihre Vorläufer« (das. 1894); »Der Große Kurfürst und die Begründung des modernen Toleranzstaats« (Berl. 1901) und zahlreiche geschichtliche und kulturgeschichtliche Arbeiten in den »Vorträgen und Aufsätzen aus der (von ihm gegründeten) Comenius-Gesellschaft« (s. d.), deren Publikationen er herausgibt.

15) Helen, taubstummblinde Schriftstellerin, geb. 27. Juni 1880 in Puscambia (Alabama, Nordamerika), wurde als gesundes Kind geboren und verlor im zarten Alter durch Krankheit Gesicht und Gehör. In ihrem achten Lebensjahr erhielt sie in Miß Anne Mansfield Sullivan eine Lehrerin und Erzieherin, die sie trotz ihrer Gebrechen so weit vorbildete, daß sie seit 1896 die Horace-Mann-Schule in Boston besuchen und dort nicht nur schreiben, sondern auch unter Mitwirkung der Schulleiterin, Miß Sarah Fuller, sprechen lernte. Gegenwärtig studiert sie an der Harvard-University in Cambridge-Boston. Vgl. ihre Selbstbiographie: »Helen K. Geschichte meines Lebens«, mit Vorwort von F. Holländer (deutsche Ausgabe von P. Seliger, 14. Aufl., Stuttg. 1905).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 822-825.
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