Deutschland

414. Deutsches Reich.
414. Deutsches Reich.
Deutsches Reich. I. (Karten)
Deutsches Reich. I. (Karten)
Deutsches Reich. II. (Karten) 1. Germanien im 2. Jahrhundert n. Chr. 2. Deutschland nach der Völkerwanderung am Ende des 5 Jahrh. 3. Deutschland zur Zeit der sächs. u. fränk. Kaiser im 10 u. 11 Jahrh. 4. Deutschland nach dem 30jährigen Krieg. 5. Deutschland zur Zeit Napoleon I. im Jahre 1812. 6. Deutschland zur Zeit des Deutschen Bundes von 1815 bis 1866
Deutsches Reich. II. (Karten) 1. Germanien im 2. Jahrhundert n. Chr. 2. Deutschland nach der Völkerwanderung am Ende des 5 Jahrh. 3. Deutschland zur Zeit der ...
Flaggen.
Flaggen.
Deutsche Kolonien. I. (Karten) 1. Deutsch-Südwestafrika. 2. Togo. 3. Kamerun. 4. Deutsch-Ostafrika.
Deutsche Kolonien. I. (Karten) 1. Deutsch-Südwestafrika. 2. Togo. 3. Kamerun. 4. Deutsch-Ostafrika.
Deutsche Kolonien. II. (Karten) 1. Kaiser Wilhelms-Land und Bismarck-Archipel. 2. Marshall-I.n 3. Karolinen und Marianen. 4. Kiau-Tschou-Gebiet. 5. Samoa-Inseln.
Deutsche Kolonien. II. (Karten) 1. Kaiser Wilhelms-Land und Bismarck-Archipel. 2. Marshall-I.n 3. Karolinen und Marianen. 4. Kiau-Tschou-Gebiet. 5. ...
Deutsch-Südwestafrika. Landschafts- und Kulturbild, im Vordergrunde Steppe und Ansiedler.
Deutsch-Südwestafrika. Landschafts- und Kulturbild, im Vordergrunde Steppe und Ansiedler.
Der Kilimandscharo. Landschafts- und Kulturbild, im Vordergrunde Negerhütten und Trägerkarawane der deutschen Schutztruppe.
Der Kilimandscharo. Landschafts- und Kulturbild, im Vordergrunde Negerhütten und Trägerkarawane der deutschen Schutztruppe.
Tsing-tau mit der Bucht von Kiau-tschou.
Tsing-tau mit der Bucht von Kiau-tschou.

[421] Deutschland, im Herzen Europas gelegen, früher im weitern Sinne das zusammenhängende Gebiet deutschen Elements und deutscher Sprache (hierzu bes. auch die deutschen Erbstaaten Österreichs), jetzt im engern Sinne das politisch abgegrenzte Deutsche Reich, im N. von der Nordsee, Dänemark (Jütland) und der Ostsee, im O. von Rußland und Österreich, im S. von Österreich und der Schweiz, im W. von Frankreich, Luxemburg, Belgien und den Niederlanden begrenzt [Karte: Deutsches Reich I u. II].

Bodengestaltung. Sechs Gruppen: 1) die nördl. oder deutschen Kalkalpen zwischen Rhein und Salzach; 2) das Alpenvorland oder die Schwäb.-bayr. Hochebene zwischen Bodensee, Jura, Donau, Salzach und Alpen; 3) das südwestdeutsche Becken zwischen Jura, Rhein. Schiefergebirge, Hess. Bergland und Thüringer Wald; 4) die mitteldeutsche Gebirgsschwelle zwischen Maas und Elbe, umfaßt das Rhein. Schiefergebirge, Hess. Berg- und Hügelland, Fichtelgebirge, Frankenwald, Thüringer Wald, Kyffhäuser, Harz, Weserbergland; 5) die Umwallung Böhmens: Sächs. Erzgebirge, Elbsandsteingebirge, Lausitzer Bergland, Sudeten, Glatzer Schneegebirge, Reichensteiner oder Schles. Grenzgebirge, Eulengebirge, Habelschwerdter, Adler-, Heuscheuer-, Riesen-, Isergebirge; 6) das norddeutsche Tiefland, durch mannigfachen Höhenwechsel landschaftlich reich gegliedert.

Das Flußsystem sehr entwickelt, zum größten Teil der Nord- und Ostsee angehörend (Rhein, Ems, Weser, Elbe, Oder, Weichsel, Pregel, Memel); die Donau (Schwarzes Meer) gehört nur in ihrem Oberlauf bis Passau (570 km, 56.010 qkm Stromgebiet in D.) hierher. Zahlreiche Kanäle (Elbing-Oberländischer, Bromberger, Müllroser, Finow-, Plauenscher, Kaiser-Wilhelm-, Elbe-Trave-, Dortmund-Ems-Kanal etc.) und Seen, die meist der Balt. Seenplatte und dem Alpenvorland angehören; Sümpfe, Moore und Brüche, bes. auf der Schwäb.-bayr. Hochebene (Donau-, Erdinger, Dachauer Moos). Klima gleichförmig [421] und gesund, doch steht die westl. Hälfte mehr unter dem Einflusse des Meers, die östl. unter dem des Festlandes, daher im O. der Sommer wärmer, der Winter kälter als im W., bes. im NW.

Fläche, Bevölkerung. Auf 540.658 qkm ohne Meeresteile (Haffe, Bodden etc.) 1890: 49.428.470, 1895: 52.279.901, 1900: 56.367.178 E., d.i. 104,2 E. auf 1 qkm Fläche; am dichtesten bevölkert (außer den Freien Städten) Sachsen (280), Reuß ä.L. (216), Rheinprovinz (213), am spärlichsten Mecklenburg-Schwerin (46) und -Strelitz (35); Zunahme (1871-1900) 37,3, (1895-1900) 7,8 Proz. Religionsbekenntnis s. Beilage. Muttersprache war 1900 bei 3.087.000 polnisch, 212.000 französisch, 142.000 masurisch, 141.000 dänisch, 106.000 litauisch, 100.000 kassubisch etc. Beruf s. Beilage: Berufs-und Gewerbestatistik. 1900: 55.587.642 Reichsangehörige, 778.698 Ausländer; 3397 Gemeinden und 2950 Wohnplätze von mindestens 2000 E., 2269 mit 2-5000, 864 mit 5-20.000, 194 mit 20-100.000 E., darunter 20 Landgemeinden, 74 Großstädte. Auswanderung s. Beilage: Auswanderung. Ehen 1902: 457.208, Geburten inkl. Totgeborene 2.089.414, Gestorbene 1.122.492, 64.679 Totgeborene.

Bodenprodukte. Landwirtschaft sehr verbreitet und auf hoher Stufe (40,4 Proz. der Bewohner darin tätig). 1900 nahmen ein Acker-, Garten-, Weinland 49, Wiesen 11, Weiden 5, Wald 26 Proz. (s. Beilage). Gebaut werden bes. Roggen, Weizen, Spelz, Gerste, Hafer, Kartoffeln, Hülsenfrüchte, Flachs, Hanf, Hopfen, Zuckerrüben etc. Berühmt der Weinbau am Rhein, an der Mosel, Ahr, in Elsaß-Lothringen, Pfalz, Rheinhessen etc., der Obstbau in Württemberg, Baden und Elsaß-Lothringen. Hochentwickelt ist die Viehzucht (s. Beilage). Forstwirtschaft ausgezeichnet; 1900 Forstfläche 13.995.870 ha; 47,5 Proz. Privat-, 33,3 Kron- und Staatsforsten. Die Fischerei bringt in der Ostsee etwa 10, Nordsee 12 Mill. M. Der blühende Berg- und Hüttenbetrieb liefert Gold (1902: 2664 kg), Silber (4306 dz, à 100 kg, Harz, Rheinland, Erzgebirge, Hessen-Nassau, Hannover), Zinn, Blei, Kupfer, Roheisen (8.529.900 t im Werte von 456 Mill. M, Westfalen, Rheinprovinz, Schlesien, Elsaß-Lothringen), Zink, Nickel, Steinkohlen (107.473.900 t im Werte von 950,5 Mill. M), Braunkohlen.

Die hochentwickelte Industrie beschäftigte 1895 in 3.144.977 Hauptbetrieben (darunter 18.953 Großbetriebe mit über 50 Personen) 8 Mill. Personen, davon 3 Mill. in Großbetrieben [s. Beilage: Berufs- und Gewerbestatistik]. Sie liefert hauptsächlich Gold- und Silberwaren, Messing-, Bronze-, Blei-, Zinnwaren, Schriftguß, Kanonen, Geschosse, Panzerplatten, Eisen- und Stahlschienen etc., Eisen- und Stahlwaren, Motoren, Lokomotiven, Dampf-, Werkzeug- und andere Maschinen, Waggons und Wagen, Schiffe, Musikinstrumente, Glaswaren, Leinenwaren, Wolle, Tuche etc.; etwa 1300 Eisengießereien, viele Hochöfen, Walzwerke, Glashütten, Ziegeleien, Kalkbrennereien, Steinbrüche und Holzschleifereien; bedeutend die graphischen Gewerbe, Buchbinderei, der Buch-, Musikalien- und Kunsthandel. Hauptmittelpunkte des Handels (im Welthandel steht D. an zweiter Stelle nach Großbritannien) sind die großen Städte, des Seehandels bes. Hamburg und Bremen. Ein-und Ausfuhr s. Beilage. Unterstützt wird der Handel durch schiffbare Wasserstraßen (1902: 14.366 km), Eisenbahnen (s.d., Beilage; 1904: 55.237 km, davon 5052 Privat-, 1972 km Schmalspurbahnen), Post (1903: 38.610 Postanstalten, 249.516 Personal, 6895 Mill. Postsendungen), Staatstelegraphen (28.291 Anstalten, 137.007 km Linien, 511.736 km Drähte, 46 Mill. Telegramme), Telephonanlagen (115.932 km Linien, 1.807.972 km Leitungen, 20.821 Orte mit 449.529 Sprechstellen), Messen und Märkte (Leipzig, Frankfurt a.O., Braunschweig, Frankfurt a.M., Berlin), wirtschaftliche Vereine zur Vertretung der Interessen einzelner Erwerbszweige (1897: 3181 Aktiengesellschaften, 6846 Mill. Aktienkapital), 172 Aktien- und Hypothekenbanken. Die Handelsflotte zählte 1903: 4045 Seeschiffe (über 50 cbm Bruttoraumgehalt) mit einem Gesamtraumgehalt von 2.203.804 netto Registertons (s. Beilage), außerdem Ende 1902: 24.817 Fluß-, Kanal-, Haff- und Küstenschiffe. In deutschen Häfen liefen 1902 ein: 78.271 Seeschiffe (18.414.221 Registertons) mit Ladung, darunter 48.535 Dampfschiffe (16.187.470); es liefen aus: 65.234 (13.517.972), darunter 40.092 (11.750.723). Währung: Reichsmark (M) zu 100 Pf; 10 M = 1 Krone (Goldmünze); Maß: Meter; Gewicht: Kilogramm; Hohlmaß: Liter.

Kirchen- und Unterrichtswesen. Die evang. Kirche zerfällt in verschiedene Landeskirchen, die ihre Angelegenheiten, selbst ordnen, meist mit Presbyterial- und Synodalverfassung. Die röm.-kath. Kirche umfaßt 5 Erzbistümer (Kirchenprovinzen; Bamberg, München-Freising, Freiburg i.Br., Gnesen-Posen, Köln), daneben Fürstbistum Breslau, fürstbischöfl. Delegatur Berlin, Bistümer Ermland, Osnabrück, Hildesheim, Straßburg. – In Allgemeinheit und Höhe geistiger Bildung steht D. an erster Stelle; 1898 etwa 60.000 Volks- und Elementarschulen mit 137.000 Lehrkräften, darunter 15.000 Lehrerinnen, und 8,66 Mill. Schulkindern. 205 Schullehrer-, 100 Lehrerinnenseminare, mittlere oder Bürgerschulen; höhere Mädchenschulen (etwa 500), höhere Bürgerschulen, Realschulen (313), Oberrealschulen (70), Realgymnasien (125), Gymnasien (477), 22 Universitäten, außerdem die kath.-theol. Fakultät zu Braunsberg (etwa 36.500 Studierende), zahlreiche Fachschulen, Handelshochschulen (6), Technische Hochschulen (11 mit etwa 17.000 Studierenden und Hörern), Bergakademien (3), Forstakademien (5), Tierärztliche Hochschulen (5), Landwirtschaftliche Hochschulen (2), Akademie für Medizin (Köln), 4 Akademien der Wissenschaften, Kunstakademien, Konservatorien, Physikalisch-Technische Reichsanstalt; für den Dienst in Heer und Marine 11 Kadettenanstalten, 11 Kriegsschulen, 2 Kriegs-, 1 Marineakademie, 1 Militärtechnische Akademie, 2 Artillerie- und Ingenieurschulen u.a.

Staatsrechtliches. Das Deutsche Reich besteht außer dem Reichslande Elsaß-Lothringen aus 25 Staaten (s. die Beilage) und ist nach der Reichsverfassung vom 16. April 1871 ein Bundesstaat mit selbständiger souveräner Bundesgewalt (Reichsgewalt), deren Ausübung dem aus Vertretern der 25 Bundesstaaten bestehenden Bundesrat (58 Mitglieder, davon Preußen 17) und dem Deutschen Kaiser (König von Preußen) als Bundespräsidenten zusteht. Die Reichsgesetze werden vom Bundesrat und Reichstag (397 Abgeordnete) erlassen; sie erstrecken sich auf Heer, Marine, Finanzen, Zölle, Handel, Banken, Post, Telegraphen, Eisenbahnen, Heimatsrecht, Freizügigkeit, Münzen, Maße, Gewichte, Presse, Vereinswesen, Arbeiterschutz, bürgerliches Recht, Strafrecht und gerichtliches Verfahren. Die Reichsgesetze gehen den Landesgesetzen vor. Die vollziehende oder Regierungsgewalt besteht nach innen in der Oberaufsicht, nach außen in dem Rechte des Kaisers, das Reich völkerrechtlich zu vertreten, im Namen des Reichs Bündnisse und Verträge mit fremden Staaten einzugehen, Krieg zu erklären, Frieden zu schließen, Gesandte zu beglaubigen und zu empfangen. Oberster verantwortlicher Beamter ist der Reichskanzler. Reichsfinanzen s. Beilage. Die Rechtspflege wird ausgeübt durch Amts-, Land-, Oberlandesgerichte und das dem Reiche zugehörige Reichsgericht in Leipzig, die Militärrechtspflege seit 1. Okt. 1900 durch das Reichsmilitärgericht in Berlin. Reichshauptstadt Berlin.

Heer und Flotte s. die Beilage.

Wappen: einköpfiger schwarzer Adler, mit dem königl. preuß. Wappenschild (silbern mit einem schwarzen Adler, der auf der Brust den in Silber und Schwarz gevierten hohenzoll. Stammschild trägt) auf der Brust, um den sich die Kette des Schwarzen Adlerordens schlingt [Abb. 414]; Flagge: schwarz-weiß-rot [Tafel: Flaggen, woselbst auch die der Reichsbehörden abgebildet sind].

Kolonien besitzt D. in Afrika und Ozeanien, ferner ein Pachtgebiet in Asien. Der gesamte deutsche Besitz umfaßt einschließlich des Mutterlandes etwa 3.137.000 qkm mit etwa 68,4 Mill. E. [S. die Beilage: Kolonien, die Karte: Deutsche Kolonien I u. II und die Tafeln zu Deutsch-Südwestafrika, Kilimandscharo und Tsing-tau.]

Literatur. Vgl. Neumann (1878; »Ortslexikon«, 4. Aufl. 1904-5); Lepsius, »Geologie« (1887 fg.); Ratzel, »Deutschland« (1898); Kutzen, »Das deutsche Land« (4. Aufl. 1900); H. Meyer, »Das deutsche Volkstum« (2. Aufl. 1903); Kürschner, »Staatshandbuch« (seit 1886). Amtliches: »Statistik des Deutschen Reichs« (seit 1873); über Verfassung etc. Zorn (2. Aufl. 1894-97; 1895), Laband (4 Bde., 4. Aufl. 1901), Hue de Grais (15. Aufl. 1902), G. Meyer (6. Aufl. 1905); Kolonien: Hassert (1898 u. 1903), Dove (1902), Kausch (1903), »Deutscher Kolonialkalender« (1889 fg.), Fitzner (2. Aufl. 1901 u. 1902 fg.).

[422] Geschichte. Über die Geschichte der ältesten deutschen (german.) Völkerschaften s. Germanen und Fränkisches Reich. Durch die Teilung des letztern unter den Nachkommen Karls d. Gr. im Vertrag zu Verdun (843) erhielt Ludwig der Deutsche den östl. vom Rhein gelegenen deutschen Teil (Ostfranken) als besonderes Reich, das, durch den Vertrag zu Mersen (870) um einen Teil Lothringens erweitert, unter seinem Sohn Karl dem Dicken von 822-887 wieder mit Westfranken vereinigt ward. 887-899 herrschte der zum König erwählte Herzog Arnulf von Kärnten über D., mit dessen Sohn Ludwig dem Kind (911) der karoling. Stamm daselbst erlosch. Der erwählte König Konrad I. (911-918), aus fränk. Geschlecht, vermochte die Auflösung des Reichs im Innern und die Schwäche nach außen nicht zu hindern. Es folgte die Reihe der sächs. Könige: Heinrich I. (919-936) stellte die königl. Autorität her, besiegte 933 die Magyaren; sein Sohn Otto I. (936-973) brachte die lombard. Krone (951) und die röm. Kaiserkrone (962) an D., besiegte die Magyaren am Lech (955); Otto II. (973-983) und Otto III. (983-1002) verlegten den Schwerpunkt ihrer Politik nach Italien; Heinrich II. (1002-24) stellte das Ansehen der Krone wieder her. Fränk. oder salische Kaiser: Konrad II. (1024-39) suchte die Herzogtümer in seiner Familie zu vereinigen, brachte Burgund an das Reich; sein Sohn Heinrich III. (1039-56) stärkte gegenüber den Fürsten und der Kirche die Macht seines Hauses, die sein Sohn Heinrich IV. (1056-1106) zum großen Teil, bes. in dem langen Kampf mit den deutschen Fürsten und mit Papst Gregor VII. (1077 schimpfliche Buße in Kanossa), wieder verlor; sein Sohn Heinrich V. (1106-25) setzte den Kampf gegen die Hierarchie fort, beendete den Investiturstreit durch das Wormser Konkordat (1122). Der hierauf gewählte Lothar II. von Sachsen (1125-37) war den Fürsten und dem Papsttum gegenüber nachgiebig. Hohenstaufische Kaiser: Konrad III. (1138-52) vermochte die Wirren im Innern (Kämpfe mit den Welfen) nicht zu beseitigen; sein Neffe Friedrich I. (1152-90) hob die materielle und geistige Kraft der Nation zu hoher Blüte, demütigte den Welfen Heinrich den Löwen, sicherte wieder die Herrschaft in Italien; der Plan seines Sohnes Heinrich VI. (1190-97), die Krone Deutschlands und Siziliens erblich zu machen, hinderte dessen früher Tod. Die Unmündigkeit seines Sohnes Friedrich II. sowie die Doppelwahl Philipps von Schwaben (ermordet 1208) und Ottos IV. von Braunschweig (1198-1215) minderten die Macht des Königtums. Des letztern Gegenkönig Friedrich II. (1212-50), 1220 zum Kaiser gekrönt, begründete im Erbkönigr. Sizilien eine feste monarchische Ordnung, während er in D., wo Rittertum und Städte (rhein. Städtebund, Hansa) zu hoher Blüte gediehen, die durch die Auflehnung der Fürsten hervorgerufene innere Zerrüttung nicht hinderte und der Macht des Papstes unterlag; von der päpstl. Partei wurden Heinrich Raspe, Landgraf von Thüringen (1246-47), und Wilhelm von Holland (1247-56) als Könige gewählt; Friedrichs II. Sohn Konrad IV. (1250-54) zog sich nach Sizilien zurück. Nach ihm trat die Zeit des Interregnums (1254-73) ein, da die Parteikönige Wilhelm von Holland, Alfons X. von Kastilien und Richard von Cornwallis keine Autorität hatten.

Die Wahl Rudolfs I. von Habsburg (1273-91) machte dieser kaiserlosen Zeit ein Ende; er suchte die Ordnung im Reiche herzustellen und erwarb Österreich, Steiermark, Kärnten, Krain als Hausmacht. Nach ihm wählten die seine Macht fürchtenden Kurfürsten den ohnmächtigen Adolf von Nassau (1292-98) und erst nach diesem den Sohn Rudolfs Albrecht I. (1298-1308), der seine Hausmacht, das Hzgt. Österreich, zum Angelpunkt seiner Politik machte; ihm folgte Heinrich VII. von Luxemburg (1308-13), der Böhmen erwarb und die kaiserl. Macht in Italien wiederherzustellen suchte. Darauf Doppelwahl Ludwigs IV. von Bayern (1313-47) und Friedrichs des Schönen von Österreich (1313-30), die nach dem Siege des erstern bei Mühldorf (1322) gemeinsam regierten; das anmaßende Auftreten des Papstes Johann XXII. als Schiedsrichter über die deutsche Krone wiesen die Kurfürsten in dem Kurverein zu Rense (1338) zurück. Als Ludwig eigenmächtig und rücksichtslos auftrat, wählten sie als Gegenkönig Karl von Luxemburg, die Anhänger Ludwigs nach dessen Tode Günther von Schwarzburg, der 1349 zurücktrat. Karl IV. (1349-78) gab 1356 in der Goldenen Bulle (s.d.) dem Reiche ein neues Grundgesetz. Sein Sohn Wenzel (1378-1400) kümmerte sich wenig um die Lage des Reichs, während dasselbe durch blutige Kämpfe zwischen Fürsten- und Bürgertum zerrissen ward; sein Nachfolger Ruprecht von der Pfalz (1400-10) vermochte die Verwirrung im Reiche nicht zu beseitigen. Sigmund von Ungarn (1410-37), Wenzels Bruder, strebte durch Berufung des Konzils zu Konstanz (1414) nach einer Kirchenreform und rief dadurch den Hussitenkrieg (1419-36) hervor. Diese von dem Habsburger Albrecht II. (1438-39) wieder aufgenommene Reform ließ Friedrich IV. (1440-93) fallen und zog eine Verständigung mit Rom vor; seine Untätigkeit ließ durch die von allen Seiten drohenden Gefahren eine Auflösung des Reichs befürchten, die sein Sohn Maximilian I. (1493-1519) durch Errichtung des ewigen Landfriedens und des Reichskammergerichts sowie Einteilung des Reichs in 10 Kreise (1512) zu verhindern suchte. Dessen Sohn Karl V. (1519-56), welcher der habsburg. Hausmacht das Übergewicht verschaffte, überließ anfangs die Regierung im Reiche, wo die seit 1517 beginnende Reformation (s.d.) eine tiefgreifende religiöse und soziale Bewegung (Bauernkrieg 1525) hervorgerufen, seinem Bruder Ferdinand, verlor in den Kriegen gegen Frankreich die Bistümer Metz, Toul und Verdun, besiegte in Deutschland 1547 den Schmalkaldischen Bund, wurde aber von Moritz von Sachsen zum Friedensvertrag von Passau (1552) genötigt; trotz des Augsburger Religionsfriedens konnten sein Bruder Ferdinand I. (1556-64) und dessen Sohn Maximilian II. (1564-76), unter dem der Protestantismus sich auch in Österreich ausbreitete, nur schwer den Ausbruch der Feindseligkeiten zwischen den Parteien zurückhalten; unter Maximilians Sohn Rudolf II. trat die Gegenreformation ein, es bildete sich 1608 die prot. Union und 1609 die kath. Liga, er mußte den Böhmen freie Religionsübung durch den sog. Majestätsbrief gewähren; Verletzungen desselben waren unter seinem Bruder und Nachfolger Matthias (1612-19) die Veranlassung zum Dreißigjährigen Krieg (s.d.) Ferdinand II. (1619-37) war durch die Erfolge Wallensteins anfangs im Vorteil gegen seine Feinde, durch das Restitutionsedikt (1629) aber verletzte er die Protestanten von neuem und bewirkte die für ihn durch Einmischung des Auslandes ungünstige Verlängerung des Krieges auch noch während der Regierung seines Sohnes Ferdinand III. (1637-57), so daß D. furchtbar verwüstet, materiell und geistig arg geschädigt wurde. Durch den Westfäl. Frieden (1648), der den Protestanten die religiöse Gleichstellung brachte, wurde D. an Gebiet beträchtlich geschmälert (Elsaß, Niederlande, Schweiz), das Kaisertum zu einer leeren Form, das Reich in einen Staatenbund umgewandelt. Unter Leopold I. (1658-1705) begann der beständige Reichstag zu Regensburg (1663) seine fruchtlosen Verhandlungen; die Franzosen raubten an der Westgrenze D.s (1681 Straßburg) und behielten den Raub im Frieden von Ryswijk (1697), die Türken drängten im Osten (1683 vor Wien), wurden aber endgültig zurückgetrieben. Obwohl im Span. Erbfolgekrieg (1700-14) Ludwigs XIV. Macht gebrochen wurde, gelang es doch weder Joseph I. (1705-11) noch Karl VI. (1711-40) im Frieden von Rastatt (1714), die Verluste des Reichs wiederzugewinnen; auch in den Kämpfen mit Frankreich (1733-35) blieb D. im Nachteil. Mit Karl VI. erlosch der habsburg. Mannsstamm; seiner Tochter Maria Theresia machten Bayern und Sachsen im Österr. Erbfolgekriege (1740-48) ihr Erbe streitig, sie behielt es aber im Aachener Frieden außer Schlesien, das Friedrich II. von Preußen erkämpft hatte, und setzte auch nach dem Tode des unter franz. Protektion gewählten Karl VII. von Bayern (1742-45) die Wahl ihres Gemahls Franz I. von Lothringen (1745-65) zum Kaiser durch. Die Absichten desselben im Siebenjähr. Kriege (1756-63), mit seinen Verbündeten Preußen die Eroberungen wieder zu entreißen und dasselbe zu demütigen, wirkten das Gegenteil; Preußen ging daraus als Großmacht und Rivale Österreichs in D. hervor. Joseph II. (1765-90) suchte die Macht Österreichs und des Kaisertums [423] durch neue Erwerbungen (von Bayern das Innviertel im Frieden von Teschen 1779) und Reformen zu erweitern, ihm trat Friedrich II. durch Gründung des Fürstenbundes (1785) entgegen. Die Gefahren der Franz. Revolution bewirkten unter Leopold II. (1790-92) und Franz II. (1792-1806) eine kurze Annäherung der beiden Großmächte D.s; doch endeten die beiden Feldzüge gegen Frankreich ruhmlos. Friedrich Wilhelm II. von Preußen söhnte sich im Frieden zu Basel (1795), Österreich zu Campo-Formio (1797) mit Frankreich aus; das linke Rheinufer wurde preisgegeben, was nach einem neuen Kriege (1798-1801) Österreichs im Bunde mit Rußland, England und Neapel im Frieden zu Lunéville bestätigt wurde. Durch den Reichsdeputationshauptschluß (1803) erfolgte die Auflösung des alten Reichs, die geistl. Staaten wurden säkularisiert, die kleinern fielen vom Reiche ab, eine Anzahl wurde nach dem unglücklichen Feldzuge Österreichs gegen Napoleon I. im Preßburger Frieden (1805) mediatisiert; sie bildeten unter Napoleons Protektorat den Rheinbund, worauf Franz II. 6. Aug. 1806 die röm.-deutsche Kaiserwürde niederlegte.

Im Kriege von 1806-7 verlor Preußen an Napoleon die Hälfte seines Gebietes (durch den Frieden zu Tilsit), aus den Ländern seiner Verbündeten wurde das Königr. Westfalen als Vasallenstaat Frankreichs begründet, Österreich wurde nach dem unglücklichen Kriege von 1809 im Wiener Frieden (14. Okt.) um ein Viertel zugunsten der rheinbündischen Vasallen Napoleons gekürzt. Erst durch die deutschen Befreiungskriege (s. Russisch-Deutsch-Französischer Krieg) 1813-15 wurde D.s Unabhängigkeit wiederhergestellt und Frankreich auf seine Grenzen von 1792 eingeschränkt; nach Abschluß des Friedens 1815 errichteten die noch souveränen deutschen Staaten im Wiener Kongreß durch die Bundesakte vom 8. Juni 1815 und die Wiener Schlußakte 8. Juni 1820 den Deutschen Bund (s.d.). Da durch dessen Verfassung alte Mißbräuche vielfach wiederhergestellt und die verheißenen Freiheiten nur karg erfüllt, durch die Karlsbader Beschlüsse (1819) fast ganz aufgehoben wurden, machte sich bald in D. eine liberale Bewegung geltend, die bes. durch die franz. Julirevolution 1830 erstarkte und in vielen Staaten eine konstitutionelle Verfassung erzwang, der aber 1834 durch die Wiener Ministerkonferenzen eine neue Reaktion folgte. Um die Handelspolitik machte sich Preußen durch die Gründung des Deutschen Zollvereins (1. Jan. 1834) verdient. Die durch die gewaltsamen Unterdrückungsmaßregeln der einzelnen Regierungen hervorgerufene Mißstimmung, der Drang nach konstitutionellen Rechten und nationalen Reformen führte nach der Pariser Februarrevolution 1848 namentlich in den beiden deutschen Großstaaten zum gewaltsamen Ausbruch (Wien 13., Berlin 18. März), während die kleinstaatlichen Regierungen sehr schnell den liberalen Forderungen nachgaben. Über die nationalen Reformen beriet 31. März bis 3. April in Frankfurt das Vorparlament, das einen Fünfzigerausschuß zur Vorbereitung für die Wahlen zur Nationalversammlung erwählte. Letztere trat 18. Mai in Frankfurt zusammen, wählte 29. Juni den Erzherzog Johann von Österreich zum Reichsverweser, der ein Reichsministerium berief, publizierte nach langwierigen Debatten über die Grundrechte und die Stellung Österreichs zu D., während in Österreich, Preußen und bes. in Frankfurt infolge der Behandlung der schlesw.-holstein. Frage (s. Schleswig-Holstein) sich revolutionäre Gärungen zeigten, die Reichsverfassung 29. März 1849, nachdem sie 28. März die Übertragung der erblichen Kaiserwürde auf den König von Preußen beschlossen hatte. Dieser lehnte ab (3. und 28. April); nach Abberufung der österr. und preuß. Abgeordneten und Ausscheiden der Gemäßigten aus der Versammlung wurde der Rest, das sog. Rumpfparlament (seit 4. Juni in Stuttgart), 18. Juni mit Waffengewalt auseinander getrieben und die Aufstände in Dresden, in der Pfalz, am Niederrhein, in Baden unterdrückt. Das hierauf zur Herstellung der Einheit abgeschlossene Dreikönigsbündnis (26. Mai 1849) zwischen Preußen, Hannover und Sachsen zerfiel nach der Beitrittsverweigerung der übrigen Staaten; Österreich verlangte die Suspendierung der Union, an der Preußen festhielt, und berief den alten Bundestag nach Frankfurt (1. Sept. 1850), der die Herzogtümer Schleswig-Holstein an Dänemark auslieferte (s. Deutsch-Dänischer Krieg von 1848-50). Als nach dem Beschluß des erstern Österreich und Bayern zur Lösung der kurhess. Verwicklungen mit Waffen einschritten (1. Nov. 1850), Preußen dagegen Cassel besetzte, unterwarf sich Preußen nach einem unblutigen Zusammenstoß bei Bronnzell (8. Nov.) zu Olmütz den österr. Forderungen, und nach den resultatlosen Ministerkonferenzen zu Dresden (23. Dez.) kehrte man zum alten Bundestage zurück (seit Mai 1851). Aber sowohl während des Krimkrieges (1854-56), als während des Ital. Krieges (1859) zeigte sich in der Hintertreibung der Unterstützung Österreichs seitens Preußens die alte Eifersucht zwischen beiden; im Volk machte sich die alte Bewegung im Nationalverein und im süddeutschen Reformverein wieder geltend; Österreich versuchte auf dem nach Frankfurt einberufenen Fürstenkongreß (17. Aug. 1863) den Bund zu reformieren, doch scheiterte dies an der Nichtbeteiligung Preußens. Im Kriege gegen Dänemark 1864 (s. Deutsch-Dänischer Krieg von 1864) gingen Preußen und Österreich noch einmal gemeinsam vor, aber der Streit über den Besitz der gewonnenen Herzogtümer führte, als Österreich die Entscheidung dem Bunde anheimstellte, Preußen aber Holstein besetzte und Österreich darauf 14. Juni 1866 die Mobilisierung sämtlicher nichtpreuß. Bundeskorps beantragte, zum Kriege Preußens mit Österreich und den Mittelstaaten (s. Deutscher Krieg von 1866). Preußen blieb Sieger und annektierte Hannover, Schleswig-Holstein, Kurhessen, Nassau und Frankfurt a.M., Österreich wurde aus D. verdrängt und erkannte die Gründung des Norddeutschen Bundes unter dem Vorsitz Preußens an. Die süddeutschen Staaten blieben unabhängig, schlossen aber mit Preußen geheime Schutz- und Trutzbündnisse. 24. Febr. 1867 wurde der Konstituierende Reichstag in Berlin eröffnet, der 16. April die Verfassung (mit allgemeinem Wahlrecht) annahm. Mit den süddeutschen Staaten wurde 8. Juli 1867 ein Zollvertrag abgeschlossen. Die Mißhelligkeiten zwischen den so vereinigten Staaten und Preußen fanden erst dauernd ihren Abschluß durch den Krieg mit Frankreich 1870/71 (s. Deutsch-Französischer Krieg von 1870-71); im Nov. 1870 schlossen die süddeutschen Staaten zu Versailles die Verträge über ihre Vereinigung mit dem Norddeutschen Bunde zu einem Deutschen Reich, dem das wiedergewonnene Elsaß-Lothringen als Reichsland einverleibt wurde. Am 18. Jan. 1871 fand im Versailler Schloß die Proklamierung des Königs von Preußen zum Deutschen Kaiser statt; der erste Deutsche Reichstag (21. März eröffnet) nahm 14. April die deutsche Reichsverfassung an. Auf ihm begann auch durch die kath. Zentrumspartei, welche die Macht des Reichs zur Wiederherstellung der weltlichen Herrschaft des Papstes benutzen wollte, der sog. Kulturkampf, infolgedessen der Reichstag 1871 das Gesetz gegen den Mißbrauch der Kanzel, 1872 die Ausweisung der Jesuiten, 1874 das Gesetz über Verhinderung unbefugter Ausübung von Kirchenämtern, 1875 die obligatorische Zivilehe beschloß. Im übrigen erfolgte unter wesentlicher Mitwirkung der nationalliberalen Partei ein Ausbau der Reichsinstitutionen; die Gesetze über Reichsmünzen, Reichspapiergeld und Bankwesen wurden in den J. 1872-75 beschlossen, die großen Justizgesetze (Gerichtsverfassung, Strafprozeß, Zivilprozeß, Konkursordnung) 21. Dez. 1876 angenommen und traten 1. Okt. 1879 in Kraft; durch das Reichsmilitärgesetz wurde die Friedenspräsenzstärke 1874 auf 7 Jahre festgesetzt (1880 auf weitere 7 Jahre). Infolge der Attentate Hödels und Nobilings auf Kaiser Wilhelm 11. Mai und 2. Juni 1878 wurde 19. Okt. das Gesetz gegen die Sozialdemokratie angenommen. Zugleich begann der Reichskanzler Fürst Bismarck zur Stärkung der Reichsgewalt eine Steuer- und Zollreform im schutzzöllnerischen Sinn (12. Juli 1879 Annahme des neuen Zolltarifs), wobei er sich auf die Zentrumspartei mit zu stützen genötigt sah und deshalb die Beilegung des Kulturkampfes einleitete. Die Abwendung von den Nationalliberalen bewirkte eine Erstarkung der Fortschrittspartei und somit der Opposition im Reichstage, so daß die 1883 begonnene sozialpolit. Gesetzgebung (s. Arbeiterversicherung, Beilage) und die seit 1884 eingeleitete Kolonialpolitik nur mit Mühe durchdrang. Als der Reichstag aber 14. Jan. 1887 wegen Ablehnung [424] der Militärvorlage (Erneuerung des Septennats unter Erhöhung der Friedenspräsenzstärke) aufgelöst wurde, errangen die zum Wahlkampf (21. Febr. 1887) verbündeten reichstreuen (sog. Kartell-)Parteien die Majorität. Nun wurde im Reichstage die Militärvorlage angenommen, durch Annahme des Branntwein- und Zuckersteuergesetzes das Reich finanziell befestigt und seine Wehrkraft durch ein neues Wehrgesetz (vom 11. Febr. 1888) verstärkt.

In der äußern Politik war die Reichsregierung seit 1870 hauptsächlich auf Erhaltung des Friedens bedacht; in der Dreikaiser-Zusammenkunft zu Berlin (Sept. 1872) erfolgte eine Verständigung Deutschlands mit Österreich und Rußland; als aber infolge des Russ.-Türk. Krieges, dessen weitere Ausdehnung die deutsche Reichsregierung auf dem Berliner Kongreß zu hindern wußte, eine Erkaltung mit Rußland eintrat, schloß Deutschland 7. Okt. 1879 ein Verteidigungsbündnis mit Österreich, dem sich 1882 (zuletzt 1902 erneuert) Italien anschloß.

Am 9. März 1888 starb Kaiser Wilhelm, und sein Sohn trat, obwohl schwer leidend, als Friedrich III. die Regierung an. Derselbe starb schon am 15. Juni 1888, und es folgte ihm sein Sohn Wilhelm II. auf dem Thron. Im Innern wurde zunächst die Invaliditäts- und Altersversicherung der Arbeiter zum Abschluß gebracht (1889), wie überhaupt der Kaiser sich lebhaft für die soziale Frage interessierte (Bergarbeiterstreik, 1889; Nichterneuerung des Sozialistengesetzes, kaiserl. Erlasse vom 4. Febr. 1890), über die er in Zwiespalt mit dem Kanzler geriet, der sich 20. März 1890 zum Rücktritt veranlaßt sah. Unter seinem Nachfolger Caprivi wurde die soziale Gesetzgebung (Novelle zur Gewerbeordnung) weiter ausgebaut, die Friedenspräsenzstärke des Heers vermehrt, ein Abkommen mit England (1. Juli 1890) über die Machtsphäre in Afrika getroffen und Handelsverträge (1891) mit Österreich, Italien, der Schweiz, Belgien, mit Spanien, Rumänien, Serbien (1893) und Rußland (1894) geschlossen. Wegen Ablehnung einer neuen Militärvorlage (mit zweijähriger Dienstzeit) wurde 1893 der Reichstag aufgelöst; nach den Neuwahlen wurde die Vorlage angenommen. Ende Okt. 1894 wurde Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst an Stelle des entlassenen Grafen Caprivi Reichskanzler. Die von ihm eingebrachte Umsturzvorlage gegen die Sozialdemokratie wurde im Reichstage (Mai 1895) abgelehnt. Die lebhaften Forderungen der Agrarier um Schutz ihrer Interessen (Getreideeinfuhrmonopol, Doppelwährung) fanden durch sog. kleine Mittel (Verbot des Terminhandels, Erhöhung der Zuckerprämien und Branntweinsteuer) nur teilweise Befriedigung. Am 1. Juni 1896 wurde das Neue Bürgerl. Gesetzbuch, 7. April 1897 ein neues Handelsgesetzbuch in dritter Lesung angenommen; ebenso fanden Annahme ein Handwerkergesetz, Auswanderungsgesetz, 1898 Novellen zur Zivilprozeß- und Konkursordnung, die neue Militärstrafgerichtsordnung und in der Hauptsache die Vorlage zu einer weitgehenden Vermehrung der Flotte zum Schutze und der Erweiterung der überseeischen Interessen D.s, namentlich in Afrika und Ostasien (Pachtung der Bucht von Kiau-tschou, 1897). Ein Gesetzentwurf zum Schutze der Arbeitswilligen (sog. Zuchthausvorlage) wurde wegen Gefährdung der Koalitionsfreiheit im Herbst 1899 vom Reichstage abgelehnt; eine Ergänzung des Strafgesetzbuchs zum Schutze der öffentlichen Sittlichkeit (lex Heinze) wurde durch die Klerikalen und Konservativen so weit ausgedehnt, daß dadurch große Erregung, namentlich in Künstler- und Schriftstellerkreisen, hervorgerufen wurde, bis endlich ein Kompromiß der Parteien zustande kam, das 12. Mai 1900 angenommen wurde. Dem zurücktretenden Fürsten Hohenlohe folgte 16. Okt. 1900 Graf (seit 1905 Fürst) von Bülow als Reichskanzler. Ein neuer Zolltarif wurde nach heftigem Widerstande der Linken 14. Dez. 1902 angenommen. Die Reichstagswahlen 1903 brachten bes. der Sozialdemokratie einen außerordentlichen Zuwachs (81 Mandate). Am 8. März 1904 erfolgte die vom Reichstag längst geforderte Zustimmung des Bundesrats zur teilweisen Aufhebung des Jesuitengesetzes. 1905 wurden neue Handelsverträge mit den meisten europ. Staaten abgeschlossen und die zweijährige Militärdienstzeit gesetzlich festgelegt. In der auswärtigen Politik blieben die Beziehungen zu den Mächten unverändert, nur mit England trat 1896 eine ernste Spannung ein, und während des Burenkrieges war die Stimmung des Volks stark antienglisch, entgegen der strengen Neutralität der Regierung. 1900 veranlaßten die Boxeraufstände in China ein gemeinsames Vorgehen der beteiligten fremden Mächte unter dem Oberbefehl des deutschen Feldmarschalls Grafen Waldersee. Streitfälle mit Haïti (1897) und Venezuela (1902-3) wurden energisch beigelegt, dagegen erforderte ein Aufstand der Eingeborenen in Südwestafrika (Jan. 1904) ein größeres Truppenaufgebot und konnte erst Nov. 1905 völlig unterdrückt werden.

Literatur zur Geschichte. a. Zur Quellenkunde: Dahlmann (7. Aufl. 1905), Wattenbach (7. Aufl. 1903). b. Gesamtdarstellungen: K.A. Menzel (8. Bde., 1815-23), Luden (12 Bde., 1825-37), Leo (5 Bde., 1854-67), Duller (2 Bde., 1891), D. Müller (15. Aufl. 1894), Stacke (7. Aufl. 1896), Kämmel (1889), Lamprecht (7 Bde., 1891-1902). c. Werke über mittelalterliche Geschichte von: Arnold (3 Aufl. 1881), Dahn (4 Bde., 1881-90, und 8 Bde., 1861-1900), Erler (3 Bde., 1882-84), Giesebrecht (6 Bde., 1874-95), Raumer (5. Aufl., 6 Bde., 1878), Lindner (1875-80 u. 1890-92), Michael (3 Bde., 1897-1903), V. von Kraus (1905). d. Werke über die neuere und neueste Zeit: von Ranke (7. Aufl., 6 Bde., 1894), Janssen (8 Bde., 1878-94), Erdmannsdörffer (2 Bde., 1888-93), Oncken (1881 u. 1890-92), Häusser (4 Bde., 1869), Heigel (Bd. 1 u. 2, 1899-1902), Treitschke (5 Bde., 1886-95), Sybel (7 Bde., 1895-97), Zwiedineck-Südenhorst (Bd. 1 u. 2, 1895-1903)

Quelle:
Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 1. Leipzig 1911., S. 421-425.
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