Russland

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[768] Russland. Das russ. Reich übertrifft in seiner, jetzt auf 400,000 ! M. mit freilich blos 60 Mill. Einw. geschätzten, räumlichen Ausdehnung alle je vorhanden gewesenen Staaten und nimmt beinahe den 28. Theil des ganzen Erdballes, sowie fast den sechsten der bewohnten Erde ein.

Seine ungeheure Ländermasse gehört völlig der nördl. Halbkugel an und begreift die Hälfte von Europa (98,000 ! M.), das ganze nördl. Asien mit 280,000 ! M. und die Nordwestspitze von Nordamerika (17,500 ! M.) und reicht von 36–247° östl. Länge sowie von 39–783 nördl. Breite. Die nördl. Grenzen R.'s sind Norwegen und das Eismeer; gegen O. wird es vom stillen Ocean und der Behringstraße begrenzt, die jenseit derselben liegenden russ.-amerikan. Besitzungen jedoch ausgenommen, und südl. von China, wo ein 5–10 und 30 Klafter breiter, von beiderseitigen Ansprüchen freier Raum besteht, welcher mit Grenzposten besetzt ist, die sich auf Gesichtsweite gegenüberstehen und allen unerlaubten Verkehr zwischen beiden Ländern verhindern. Weiterhin machen die südl. Grenze die Bucharei und die Länder der Turkmanen und Kirgisen, gegen deren räuberische Einfälle eine Reihe befestigter Vorposten (die orenburger, ischimer und irtischische Linie) bestehen, der Aralsee und das kaspische Meer, Persien, die asiat. Türkei, das schwarze Meer, die europ. Türkei. Die westl. Grenze bilden das östr. Kaiserthum, die freie Stadt Krakau, das Königreich Preußen, die Ostsee und das Königreich Schweden. Die ungemeine Ausdehnung des russ. Reichs bedingt natürlich eine große Verschiedenheit der Verhältnisse des Bodens, des Klimas, der Lebensweise, der Bevölkerung und endlich dieser Bevölkerung selbst hinsichtlich ihrer Abstammung. Nach den Längengraden ist diese Ausdehnung so groß, daß es z.B. in Petersburg 1 Uhr 8 Min. ist, wenn man in Tobolsk schon 3 Uhr 40 Min., in Irkutsk 6 Uhr 6 Min., in Ochotsk 8 Uhr 40 Min. hat. Gewöhnlich wird R. in Hinsicht auf das Klima von N. nach S. in vier Erdstriche abgetheilt, von welchen der arktische oder Polarerdstrich den 67° nördl. Br. zur ungefähren Grenze hat und sich im Allgemeinen als eine blos im äußersten O. und W. gebirgige, in der Mitte vom Ural getheilte, für europ. Cultur untaugliche Ebene darstellt. Nur verkrüppelte Sträucher werden auf dieser unwirthbaren Fläche angetroffen, deren morastiger Boden nur im höchsten Sommer obenher aufthaut, blos mit Moos bewachsen ist und die sogenannten Tundern oder Moossteppen bildet. Im asiat. R., welches überhaupt ein weit kälteres Klima als das europ. hat, reicht dieser öde Landstrich bis zum 65. Breitengrade herab. Auf ihn folgt der kalte Erdstrich, der bis zum 57° sich erstreckt, ebenfalls meist eben und mit Morästen und Seen angefüllt, aber auch mit ungeheuern Waldungen bedeckt ist und in Europa in seinen südlichsten Gegenden auch den Ackerbau gestattet. Vom 57–50° rechnet man den gemäßigten Landstrich, der im europ. Gebiet fast durchgängig eben ist, die angebautesten und fruchtbarsten Theile des Reichs umfaßt, Getreide, Lein, Obst hervorbringt, in Asien zwar rauher und meist gebirgig, aber doch auch fruchtbar ist. Der warme oder südl. Landstrich endlich begreift die Gegenden zwischen dem 50–38°, d.h. den südlichsten Theil des europ. R.'s und nur wenige Theile des angrenzenden asiat., wo sich zu den Bodenerzeugnissen des vorigen in den südl. Thälern der Krim und des Kaukasus der Weinstock, der Maulbeer- und selbst der Ölbaum, sowie der Anbau des Mais und in einigen besonders geeigneten Niederungen am Kur, auch der des Zuckerrohrs gesellen. Transkaukasien besitzt dazu einige werthvolle einheimische Producte, wie Krapp, Saflor, Cochenille, Seide, und eignet sich zur Erzeugung des Indigo u.a.m. Trotz der Milde und theilweise großen Wärme des Klimas ist diese Region dennoch am wenigsten angebaut, weil sie großentheils aus baumlosen, dürren Steppen und andererseits aus den wilden Gebirgsgegenden des Kaukasus besteht. In seinem Einflusse auf die Gesundheit der Cinwohner ist besonders das Klima der mittlern Landstriche des Reichs ein günstiges, was jedoch nicht ausschließt, daß hin und wieder die Örtlichkeit, wie z.B. große Flüsse und wasserreiche Gegenden, die Entwickelung einzelner Krankheitsformen sehr befördert. In Bessarabien, am Don, Dniepr, in der Krim, sowie am kaspischen Meere sind deshalb gastrische Übel, Gallen-und andere Fieber einheimisch; am Kaukasus werden die plötzlichen Wechsel von Wärme und Kälte nachtheilig, in Sibirien geht aus den barabinskyschen Sümpfen die sibirische Pestbeule hervor, welche sich im Sommer über ganz Nordrußland verbreitet und schon 1835 auch in das westl. vorgedrungen war. An den Küsten des Eismeers und stillen Oceans wüthen im Frühjahr Fieber und Scharbock, der sich auch im südl. R. im Sommer einfindet. In Lithauen und Polen ist der Weichselzopf heimisch, in Kamtschatka herrschen verderbliche Augenübel und eine eigenthümliche, durch Beulen am Körper sich kundgebende Krankheit, endlich wird das südwestl. Gebiet auch von der oriental. Pest heimgesucht, die aus Persien und dem osman. Reiche eingeschleppt wird.

Im Ganzen betrachtet bildet R. eine am Südrande von Gebirgen begrenzte, in der Mitte vom Ural durchschnittene, sowie in ihrer nordöstl. und nordwestl. Ausdehnung gebirgige, gegen N. abfallende Fläche. Insbesondere gehört das europ. R. mit Polen ganz dem osteurop. Flachlande an, sodaß mit Ausnahme der Grenzgebirge kaum irgend ein Punkt desselben um mehr als 1000 F. das Meer überragt. Die von den Karpaten ausgehende allgemeine Wasserscheide durchzieht dasselbe in nordöstl. Richtung bis zum Ural als eine breite, oft mit Sümpfen bedeckte Erhebung hin und wieder von Hügelgruppen überragt, von denen die Waldaihöhe oder das alanische Gebirge und der Wolchonskische Wald zwischen den Statthalterschaften Petersburg, Moskau, Twer und Tula am bemerkenswerthesten und reich an Eisen, Schwefelkies, Steinkohlen, Salzquellen, Kalk und Gypsbrüchen ist. Auf dieser sich nicht über 1064 F. erhebenden Hochfläche befinden sich in einer Entfernung von 35 St. die Quellen der Wolga, des Dniepr, der Düna, des Don, der Oka, Wolchow u. m. a. Flüsse. [768] Zwischen Don und Wolga im S. liegt das niedrige Wolgagebirge und setzt sich als Irgeni-Höhe südl. zum Kaukasus fort; die südl. und westl. Küste der Halbinsel Krim oder Taurien wird vom taurischen Gebirge begleitet, das aus röthlichem Sandstein besteht und im Tschadur Dagh oder Zeltberge bis 4740 F., im Babugan Jaila bis 4600 F. sich erhebt. An der Ostgrenze des europ. R. zieht sich vom Eismeere bis zum kaspischen See der Ural (s.d.) in einer Länge von 250 M. hin, breitet sich an manchen Stellen bis gegen 18 M. aus und erreicht am südl. Ende im Pawdinskoje Kamen die Höhe von 6500 F. Zwischen dem kaspischen und schwarzen Meere erhebt sich der Kaukasus (s.d.), aus den Gebirgen des russ. Armeniens steigt der Ararat (s.d.) empor und an der ganzen südl. Grenze des asiat. R. entlang zieht sich ein ungeheures Gebirgssystem, das zuweilen im Ganzen als Altaigebirge (s.d.) bezeichnet wird. Der eigentliche Altai liegt jedoch vom Irtisch am Dzalsang-See gegen NO. bis zu dem obern Jenisei und dessen Quelle; östl. vom Irtisch zum Obi erstreckt sich das kotybausche Erzgebirge oder der kleine Altai genannt. Zwischen R. und China macht das sajanische Gebirge die Grenze; am rechten Obiufer und nordwestl. vom Telezkoisee erstreckt sich das kusnezkische Erzgebirge. Weiter östl. folgen das nertschinskische oder daurische, an Silber, Kupfer, Eisen und Blei reiche Gebirge und das Gebirge Stanowoi, d.h. Kamm, welches sich bis an die Nordostspitze von Asien erstreckt. Die Gebirge der Halbinsel Kamtschatka erheben sich wild und zerrissen in einer Reihe von Vulkanen zu ansehnlicher Höhe und setzen sich in den Kurilen bis zu den japanischen Inseln fort. Mit dem Meere steht das europ. R. unter allen Ländern unsers Erdtheils am wenigsten in Berührung, indem die Gesammtlänge seiner Küsten gegen das Eismeer, die Ostsee und das schwarze Meer zwar 730 M., allein dennoch blos 1 M. Küstenland auf 100 ! M. Festland beträgt. Dabei ist noch zu bedenken, daß die Gestade des Eismeers und zum Theil auch die Ostseehäfen nur wenig Monate im Jahre vom Eise frei sind. Im Innern besitzt kein anderes Land eine solche Menge bedeutende Ströme als R; so fließen zum nördl. Eismeere die Petschora, der Mesen, die nördl. Dwina, die Onega, der Obi, Jenisei und die Lena; ins baltische Meer ergießen sich die Newa, Torneå (Grenzfluß gegen Schweden), Narowa, südl. Dwina, der Niemen, die Weichsel; ins schwarze und asowsche Meer der Bug, Dniestr, Dniepr, Don, Kuban, und mittels der Donau der Pruth. Endlich münden ins kaspische Meer der Kur, der Terek, die Wolga, der Ural. Von den zahlreichen Landseen nehmen die in Finnland einen großen Theil dieser Provinz ein, wo der Wuohi- und der Payane-oder Pewendersee die bedeutendsten sind. Zwischen den Statthalterschaften Finnland, Petersburg und Olonez liegt der 292 ! M. große Ladogasee, der größte europ. Landsee, der mit dem Onegasee zusammenhängt; der 120 ! M. große Peipussee liegt zwischen Liefland und Petersburg der Ilmensee bei Nowgorod; im südl. R. befinden sich keine so umfänglichen Seen, aber viele Salzseen in den Steppen und der einzige Salzsee Jelton nördl. vom kaspischen See soll jährlich an zwei Mill. Ctr. Salz liefern. Im asiat. R. sind die Seen ebenfalls von großer Bedeutung und an der Südgrenze ist hier der mehrgenannte kaspische, der größte bekannte Landsee der Erde, mit anzuführen. Meist außerhalb der Grenzen liegt der Aralsee, der einen Flächenraum von 1124 ! M. bedeckt, an der chines. Grenze liegt der Tenghiz- oder Balkaschsee, östl. davon der Ala-Kul. Auf einer ansehnlichen Höhe im Altaigebirge liegt der Telezkoi-See, der 18 M. lang und gegen 12 M. breit ist. In Daurien dehnt sich über 80 M. lang der bis 10 M. breite und gegen 500 F tiefe Baikal-See oder das heilige Meer aus, welches 1715 F. über dem Meere liegt, mit senkrechten Felsenwänden umgeben ist, über welche schneebedeckte Berggipfel emporragen, und viele Felseninseln hat. Sein Wasser ist sehr hell und es ergießen sich eine Menge Gewässer in denselben, die durch die Angara wieder in den Jenisei abfließen. Die meisten dieser Flüsse und Seen dienen als natürliche Wasserstraßen und durch mehre Kanäle ist ihre Benutzung ungemein erhöht worden. So besteht eine Wasserverbindung zwischen der Ostsee und dem kaspischen Meere mittels drei Kanalsystemen: des von Wischnei-Wolotschok, des Marien- und des tichwinschen Systems, bei denen hauptsächlich die Wolga benutzt ist. Indessen findet bei niedrigem Wasser im Sommer das Fortkommen der Fahrzeuge viele Schwierigkeiten und ist mit großem Zeitverlust verbunden; ja mitunter müssen selbst die hier gebräuchlichen, flach gebauten Kähne wegen Wassermangel bis zum nächsten Frühjahre liegen bleiben. Die in Petersburg angelangten werden dort zerlegt und als Nutzholz verbraucht, weil sie wegen der Stromschnellen in der Msta bei der Stadt Borowsk (Gouvernement Nowgorod) nicht zurückkehren können, indem dieselben nur mit der Strömung zu passiren sind. Der eigentliche Kanal von Wischnei-Wolotschok (Gouvernement Twer) wurde 1711 unter Peter I. begonnen und beendigt und verbindet die Msta mit der in die Wolga mündenden Twerza. Es ist diese Wasserstraße noch immer die wichtigste für den Verkehr des Innern mit Petersburg, wohin jährlich ein Werth von 80–100 Mill. Rubel an Getreide, Hanf und Flachs, Talg, Fischen, Metallen und andern Landeserzeugnissen darauf verschifft wird. Zu größerer Sicherung der Wasserverbindung mit dem Innern ward 1779–1805 der Marienkanal (so benannt nach der Kaiserin Maria Feodorowna) angelegt, welcher die Wytegra mit der Kowscha verbindet, die in den Belo-Osero fließt, aus dem die Scheksma in die Wolga geht. Das tichwinsche System ward 1802–4 mittels eines Kanals hergestellt, welcher mehre kleine Flüsse mit der Tichwinka und diese mit der Somina verbindet, die wieder durch Benutzung anderer Gewässer mit der Wolga in Verbindung steht. Auf dieser Wasserstraße werden viel ausländische Waaren in die Gegenden an der untern Wolga, sowie die Waaren des nischnei. nowgorodschen Jahrmarkts verführt. Am südl. Ufer des Onegasees ward 1810 der 60 Werfte lange Onegakanal angelegt; um Theile des Ladogakanals zu umgehen, ist 1799 der Südkanal, 1802–4 der Swirkanal gebaut worden. Auf der Wolga ist übrigens seit 1820 die Fahrt mit Dampfbooten eingeführt. Aber auch zwischen dem weißen und dem kaspischen Meere ist durch die Wolga, die in dieselbe mündende Kama und die mit dieser in Verbindung stehenden Flüsse Keltma, Witschegda, nördl. Dwina und den 1807 beendigten Katharinenkanal eine schiffbare und für den Verkehr sehr vortheilhafte Wasserstraße hergestellt. [769] Die Verbindung der Ostsee mit dem schwarzen Meere wird unter Benutzung der Dwina und des Dniepr, zu dessen Beschiffung mit Dampfbooten sich 1835 eine Gesellschaft in Bobruisk gebildet hat, von mehren Kanälen befördert, zu denen der 1804 beendigte Beresinakanal, der von dem poln. Grafen Oginski 1787 angelegte ogluskische Kanal und der Königskanal gehören, welcher den in die Weichsel sich ergießenden Bug mit einigen in den Dniepr mündenden Flüssen verbindet. Aus der Dwina führt der von 1826–28 ausgeführte Kanal des Herzogs Alexander von Würtemberg in die Ostsee.

Mit Ausnahme des in acht Wojewodschaften abgetheilten Königreichs Polen (s.d.) wird das europ. R. nach den Ländern, aus welchen das Reich nach und nach entstand, auch abgetheilt in Großrußland, das Stammland mit etwa 25 Mill. Einw., den Gouvernements Moskau, Smolensk, Pskow, Twer, Nowgorod, Olonez, Archangel, Wologda, Jaroslaw, Kostroma, Wladimir, Nischegorod, Tambow, Rjäsan, Tula, Kaluga, Orel, Kursk und Woronesch; in Kleinrußland mit ungefähr 6 Mill. Einw. und den Gouvernements Kiew, Tschernigow, Pultawa, Slobodsk Ukraine; in die Ostseeprovinzen oder die Gouvernements Petersburg, Finnland, Esthland, Liefland und Kurland mit 5 Mill. Einw.; in Südrußland mit 3 Mill Einwohnern und den Gouvernements Jekaterinoslaw, Cherson, Taurien, dem Lande der donischen Kosacken und der Provinz Bessarabien; endlich in Westrußland mit 9 Mill. Einw. und den Gouvernements Wilna, Grodno, Witepsk, Mohilew, Minsk, Volhynien, Podolien und der Provinz Bialystok. Das asiat. R. umfaßt die Kaukasus provinzen oder Grusien, Kaukasien, Imerethi, Cirkassien, Daghestan, Schirwan, Armenien; das Königreich Astrachan oder die Gouvernements Astrachan, Saratow und Orenburg; das Königreich Kasan mit den Gouvernements Wjätka, Perm, Simbirsk, Pensa; das Königreich Sibirien (s.d.). Von der Bevölkerung des Reichs kommen auf Europa etwa 48 Mill. und 12 Mill. auf Asien, die Vertheilung derselben ist aber, wie es zum Theil die Beschaffenheit des Landes bedingt, sehr ungleich, und im Durchschnitt kommen in Europa 624, in Asien 48, in den russ. amerik. Besitzungen zwei Menschen auf die ! M. Am dichtesten bevölkert ist das Gouvernement Moskau, wo 2323 Seelen auf die ! M. kommen; in den Gouvernements Kiew und Pultawa leben über 1900, in denen von Witepsk, Kaluga und Jaroslaw gegen 1300, in denen von Tambow, Tschernigow, Pensa, Nischegorod, Smolensk und Pskow über 900, im Gouvernement Petersburg 72, im Gouvernement Irkutsk 2–3 Bewohner auf der ! M. Diese Bevölkerung ist aus fast 100 Völkern verschiedenen Namens zusammengesetzt, die sich aber in elf Hauptgruppen ordnen lassen, von denen der herrschende Stamm der Slawen allein mehr als 45 Mill. umfaßt, die auch durch ihr religiöses Bekenntniß zur russ.-griech. Kirche sich aneinander schließen, meist im Mittelpunkte und wichtigsten Theile des Reichs wohnen und in Groß- und Kleinreußen, Rußnäken, Serben, Bulgaren, Polen und Kosacken zerfallen. Der lettische oder lithauische Stamm besteht etwa aus 2 Mill., wohnt am Niemen und an der Dwina und zu ihm gehören die Letten, Kuren und Lithauer. Dem finnischen Stamme gehören ungefähr 3 Mill. an und namentlich die Finnen, Lappländer, Esthen, Samojeden, Liven, Permäken, Syränen, Wogulen, Wotjäken, Tschuktschen, Tscheremissen, Tschuwaschen, Mordwinen, Ostjäken und Teptären; Deutsche wohnen besonders in den Ostseeprovinzen ungefähr 1/2 Mill.; der tatarische Stamm zählt ungefähr 2 Mill. und zwar Krimsche und kasansche Tataren, Nogaier, Meschischeräken, Baschkiren, Kumyken, Kirgisen, Jakuten, Teleuten, Barabiner, Kistimer, Sajaner, Kundrowen, Taschketzer, Chiwenser, Karakalpaken und andere. Zum kaukasischen Stamme gehören die Armenier, Grusier oder Georgier, Tscherkessen, Abchasen, Lesghier, Ossetiner, Mindshegier, Inguschier, Tschetschenzer, Tuschier, Kistenzer, zusammen an 2 Mill. Juden leben in R. 11/2 Mill.; mongolische Völker und zwar eigentliche Mongolen, Kalmücken und Buräten etwa 350,000; zum Mandschustamm gehören Tungusen, Lamuten, Olenzen, zusammen 50,000. In den nordöstl. Provinzen leben außerdem Kamtschadalen, Jukagiren, Koräken, Aleuten; im amerik. R. Eskimos und Koloschen; im südl. R. gibt es gegen 25,000 Zigeuner, sowie Tadschiks oder pers. Colonisten und Türken; Griechen leben etwa 60,000, sowie Franzosen, Engländer, Italiener und andere Ausländer in allen Theilen des Reichs. Die deutschen Colonien in den Gouvernements Saratow und Woronesch zählen über 100,000 Seelen und die zu Sarepta besteht seit 1765; in Taurien wurde 1828 eine Ansiedelung von anhalt-köthenschen Auswanderern zur Einführung der verbesserten Landwirthschaft gegründet. Hinsichtlich des Religionsbekenntnisses theilt sich die Bevölkerung mit Ausnahme der Anhänger der russ.-griech. Kirche, mit welcher 1839 auch die unirten Griechen (welche den röm. Papst anerkannten) im westl. R. vereinigt worden sind, sowie der meist in Polen lebenden Juden, in Röm., Katholische (4 Mill.), in Protestanten (11/2 Mill.), Mohammedaner (3 Mill.), Anhänger der Lamareligion (200,000) und des Fetischdienstes und schamanischen Glaubens (1/2 Mill.). Von den Sektirern sind namentlich die Roskolniken (s. Griech. Kirche), die Herrnhuter und Mennoniten in Südrußland zu erwähnen. Nach Ständen betrachtet gibt es ungefähr 400,000 Adelige, 200,000 Beamte, gegen 1/2 Mill. beim Militair Angestellte, 11/2 Mill. Bürger, d.h. Künstler, Kaufleute und Handwerker, 2–3 Mill. freie Bauern, zu denen die Tributpflichtigen und Colonisten gehören. Unter der Verwaltung der Krone stehen etwa 10 Mill. Kronbauern, Militaircolonisten, Manufactur-, Berg-, Hütten- und Fabrikbauern, d.h. zu dergleichen Arbeiten verwendete Bauern; im Privatbesitze befinden sich etwa 21 Mill. leibeigene Bauern als Eigenthum der dazu als Adelige von Geburt oder durch ihren Rang Berechtigten, wovon einzelne Familien mehr als 50,000 Seelen im Vermögen haben. Obgleich aber der russ. Geburtsadel besondere Vorrechte genießt, z.B. für seine Person und Besitzungen, mit Ausnahme der dazu gehörigen Bauern, von allen Lasten und Kriegsdiensten frei ist, sichert er doch im Staate keinen Rang, seit Peter I. die alte Bojarenwürde aufhob, sondern dieser ergibt sich erst aus dem Amte, welches ein Adeliger oder Nichtadeliger bekleidet und wird nach einer seit 1722 eingeführten und den militairischen Rangstufen angepaßten Rangordnung von 14 Classen bestimmt. Wer sich zu einer der acht ersten derselben hinaufschwingt, erwirbt dadurch den erblichen Adel für sich und seine Familie, die sechs untern aber geben nur den persönlichen Adel; den vier höchsten Classen gebührt der [770] Titel Excellenz. Seit 1832 ist noch eine besondere Classe von Bürgern unter dem Namen von Ehrenbürgern gegründet worden, deren es 352 im J. 1835 gab und die theils erblich, theils nur persönlich von der Aushebung zum Kriegsdienste, von der Kopfsteuer und von Körperstrafen befreit, sowie mit allen Rechten bevorzugter Bürger bekleidet sind. Was den Zustand der Leibeigenen anlangt, so werden die der Krone (daher Kronbauern) mehr nach allgemeinen Gesetzen behandelt, wie die im Besitz der Edelleute oder mit adeligem Range bekleideten Beamten, wo natürlich bei der großen Gewalt, die ihren Herren über sie eingeräumt ist, vom Charakter derselben viel abhängt. Ohne deren Erlaubniß darf sich kein Leibeigener von den ihm angewiesenen Ländereien entfernen oder die ihm aufgetragenen Dienste unterlassen. Der Herr wählt selbst die Rekruten unter seinen Bauern aus, er verheirathet sie nach Gutdünken, straft sie wegen gewöhnlicher Vergehen und es wird ihm nicht schwer, den vom Gesetz deshalb ausgesprochenen Grenzen zu entsprechen, ohne seinen Zorn beschränken zu müssen. In Bedrängnissen, z.B. Hungersnoth, liegt den Herren die Pflicht ob, für ihre Leibeigenen zu sorgen, womit sie aber im Grunde nichts Anderes thun, als daß sie die Erhaltung ihres Vermögens wahrnehmen. Die Kronbauern erhalten gemeindeweise Ländereien zugewiesen, von denen sie im Verhältniß ihrer Fruchtbarkeit eine jährliche Rente, Obroc genannt, bezahlen. Diese Abgabe beziehen die Privatleute ebenfalls nach Köpfen von ihren Bauern, von denen einzelne sich auch mit Bewilligung ihrer Herren in die Städte wenden und dort Gewerbe und Handel treiben. Mancher erwirbt dabei ansehnliches Vermögen, dessen sein Herr sich aber gesetzlich bemächtigen, sowie ihn auf sein Gut zurückschicken könnte; allein es bleibt auch in diesen Fällen für gewöhnlich bei der Bezahlung des Obroc, der jedoch nach den Umständen des Leibeigenen erhöht wird. Jeder Besitzer von Leibeigenen kann dieselben nach Belieben an andere Orte versetzen, verkaufen kann er sie jedoch nicht, ohne die Ländereien zu ihrem Unterhalt mit zu veräußern. In neuerer Zeit sind auf den Krongütern und auch von einzelnen Gutsherren viele Bauern der Leibeigenschaft entlassen worden; vortheilhafter ist es aber bei der tiefen Stufe der Bildung, auf welcher der gemeine Mann in R. überhaupt noch steht, dieselben nur allmälig in freiere Verhältnisse einzuführen. Zu diesem Zwecke werden z.B. auf den Krongütern an Leibeigene Ländereien gegen Zeitpacht überlassen, die mit der Zukunft zu Erbpachtungen und Eigenthum werden sollen. Der Körperbildung nach sind die Russen meist untersetzter Statur und besitzen eine dauerhafte Gesundheit, aber ihre Züge sind selten angenehm und die Frauen altern sehr früh. In den untern Ekassen sind harte Arbeit, geringe Lebensmittel, leidenschaftliche Liebe zum Branntwein, rohe Behandlung, Unsauberkeit trotz des häufigen Gebrauchs von Schwitzbädern, in vielen Gegenden auch das rauhe Klima davon die natürlichen Ursachen. Geht den Russen die Gabe der Erfindung ab, so besitzen sie dafür ein außerordentliches Geschick zur Nachahmung und erlernen Handwerke, Künste und Sprachen mit ungemeiner Leichtigkeit. Gastfreundschaft und eine gewisse Gutmüthigkeit sind ihnen eigen, doch sind sie besonders im Verkehr mit Fremden auch hinterlistig, schadenfroh und habsüchtig. Der Leibeigenschaft nicht unterworfen sind die finnischen Bauern, die Soldaten, sowie die, welche nach Ablauf ihrer Dienstzeit im südl. R. Ländereien erwerben, fremde Ansiedler und die Baschkiren, Tataren und viele nomadisirende Völker. Von der gesammten Volksmenge werden in ganz R. ungefähr 2000 Städte, 1500 Flecken und etwa 300,000 Dörfer bewohnt. Die russ. Benennungen der Ortschaften sind übrigens mannichfaltiger Art; Gorod z.B. heißt eine Stadt, eine nicht von Mauern umgebene Kammenoi-Gorod, ein Städtchen Gorodek, ein regelmäßig befestigter Ort Krepost, ein von Palissaden umgebener Ostrog, eine Vorstadt oder auch größerer Flecken Slobode, ein kleiner Flecken oder Dorf Selo, eine Poststation Java, Sawod ein Berg-Hütten- oder Fabrikort, Jamskaja ein vorzugsweise von Fuhrleuten zum Fortschaffen von Reisenden bewohnter Ort.

Die Mannichfaltigkeit der Erzeugnisse R.'s ist bei seinem Umfange und seinen verschiedenen Arten von Klima und Boden sehr groß. Besonders zahlreich und werthvoll sind die des Mineralreichs, indem viel Gold (hauptsächlich im Ural, wo die Kronhüttenwerke 1835 einen Ertrag von 132 Pud 8 Pf., die von Privaten 160 Pud 20 Pf. abwarfen), Platin (ebenfalls im Ural und vorzüglich auf Privatwerken, die 1835 über 115 Pud, die der Krone nur 6 Pf. hergaben) und Silber (1212 Pud im J. 1835) ausgebracht wird, welches letztere vorzüglich im Altai- und Nertschinskischen Gebirge vorkommt. Eisen erhält man des Jahrs an 3 Mill. Ctr., Blei kommt aus dem Altai- und Nertschinskischen Gebirge, Kupfer wird im Ural, Altai und in Finnland gewonnen, Naphtha in der Provinz Baku, Salz als Steinsalz, Seesalz und aus Salzquellen in außerordentlicher Menge; weil jedoch die salzreichsten Gegenden den westl Provinzen zu fern liegen, muß dessenungeachtet jährlich für mehre Mill. Rubel eingeführt werden. Quecksilber kommt in geringer Menge bei Nertschinsk vor, Diamanten sind seit 1829 im Ural gefunden worden, sowie von jeher dort und in den sibirischen Gebirgen Edelsteine. Granit, Porphyr, Malachit und andere vorzügliche Steinarten kommen in Menge und von besonderer Güte vor, Frauenglas bricht man auf einer Insel des weißen Meers in Tafeln bis zu einem ! F., Porzellan- und Thonerden liefern Sibirien und Taurien, Torf, sowie Steinkohlen sind ebenfalls vorhanden. Auch an Mineralquellen ist R. sehr reich, allein da sie meist sehr entlegen sind und der Aufenthalt daselbst, wie z.B. bei den Sauer- und Schwefelbrunnen des Kaukasus, sogar sehr unsicher ist, so können nur wenige benutzt werden. In mehren der nördlichsten Gegenden R.'s werden ferner Mammuthsgerippe und -Zähne in solcher Menge gefunden, daß die letztern einen Handelsartikel (fossiles Elfenbein) abgeben. (S. Mammuth.) Von den Producten des Pflanzenreichs ist zuerst ein noch immer außerordentlicher Reichthum an Holz zu bemerken, ungeachtet in manchen Gegen den schon ein fühlbarer Mangel daran eingetreten ist. Entfernung und Mangel an wohlfeilen Transportmitteln haben dagegen die Benutzung ungeheurer Waldstrecken auch noch gar nicht gestattet. Die verbreitetsten Waldbäume sind Birken, Tannen und Fichten, Lärchen, Linden und nur im S. Eichen und Buchen. Unter die in R. angebauten Pflanzen gehören vorzüglich die wichtigsten Getreidegattungen (Roggen, Weizen, Hafer, Gerste, Reis, Mais, Buchweizen), Hülsen-und [771] Ölfrüchte; ferner Hanf, Flachs, Baumwolle, Krapp, Taback und am Kur sogar Zuckerrohr. Safran wächst im S. wild, Sumach liefert die Krim. Runkelrüben werden auch zur Zuckerbereitung, Kartoffeln vorzugsweise in den Ostseeprovinzen gebaut, aber nur wenig im eigentlichen R., wo die Bevölkerung noch immer nicht den großen Werth derselben zu schätzen versteht; Obst gehört in einem großen Theile R.'s zu den Seltenheiten. Das Thierreich liefert zuvörderst von zahmen Thieren vortreffliche Pferde, die namentlich im S. des Landes heimisch sind, und im europ. R. allein schätzt man die Zahl derselben auf mehr als 10 Mill. Stück. Rindvieh soll R. 19 Mill. Stück besitzen und man zieht es ziemlich überall, wo es das Klima gestattet, doch mit wenig Sorgfalt, das beste in der Ukraine, in Tscherkessien und bei Kholmogory im Gouvernement Archangel. Peter I. fielen bei seiner Anwesenheit in diesem Kreise die ausgezeichneten Triften desselben auf, und er verschrieb darauf aus England und Holland eine hinlängliche Anzahl von Rindvieh, was später von Zeit zu Zeit wiederholt und dadurch hier eine vorzügliche, große und milchreiche Race gebildet wurde, die zur Verbesserung der Viehzucht im Innern dient. Die Schafzucht ist in neuester Zeit erweitert, und in den Ostseeprovinzen, in Polen, sowie in den südl. Steppengegenden auch verbessert worden. Ziegen werden in den südl. Gouvernements hauptsächlich der Felle wegen zur Saffianbereitung gezogen, doch geben manche auch sehr gutes und seines Haar. Die Schweinezucht ist ansehnlich und blos im europ. R. sollen an 16 Mill. gehalten werden; Büffel findet man in der Ukraine und am Kaukasus, wo auch, sowie in der Krim und bei den Kalmücken, Kameele gehalten werden; höchst bedeutend ist der Ertrag der Bienenzucht, und in mehren südl. Gegenden werden Seidenraupen mit Erfolg gepflegt. Den armen Bewohnern des höchsten Nordens vertritt das Rennthier die Stelle aller Hausthiere und im nördl. Asien besonders dienen Hunde als Zugvieh. An Wild ist R. ungemein reich und die Jagd auf Pelzthiere macht in Sibirien ein Hauptgeschäft eines großen Theils der Bevölkerung aus und liefert die werthvollsten Pelzwerke. Dahin gehören Zobel, schwarze, blaue, weiße und andere Arten Füchse, Seeottern und Seehunde, Biber, Hermeline, Eichhörnchen, Bisamratten, Iltis und Marder; ferner Wölfe und Luchse, weiße und schwarze Bären; in den südlichsten Gegenden von Sibirien werden zuweilen auch Tiger erlegt. Von vorzugsweise genießbarem Wilde gibt es mit Ausnahme des Edelhirsches und außer dem sonst in Europa verbreiteten, Elennthiere, Auerochsen, eine außerordentliche Menge von Wasservögeln und darunter auch Eidergänse. Überaus ergiebig ist die Fischerei in den größern Flüssen und an den meisten Gegenden der russ. Küsten, sowie besonders im kaspischen See, und zu den wesentlichsten Producten derselben gehören auch Thran, Fischbein, Kaviar, Fischleim, gesalzene und getrocknete Fische. Was Industrie, Gewerbe und Handel anlangt, so haben dieselben fast durchgängig ihre höhere Bedeutung erst seit ungefähr hundert Jahren durch die Regierung erhalten, welche seit Peter I. sehr auf Erweiterung und Vervollkommnung derselben bedacht war. Zwar wurden schon früher von Zeit zu Zeit auswärtige Künstler und Handwerker ins Land gezogen, allein Peter I. errichtete zuerst große Fabriken, deren 21 bei seinem Tode bestanden. Seitdem ist die Zahl derselben beständig gewachsen, namentlich aber seit 1823, wo die Einfuhr ausländischer Waaren durch hohe Zölle sehr erschwert wurde, und man nimmt jetzt über 6000 mit mehr als 300,000 Arbeitern an, die sich hauptsächlich mit Verarbeitung von Baumwolle, Wolle, Seide, Leinen, von Metallen, Leder, Talg, Glas, Porzellan, mit Bereitung von Papier, Zucker, Salpeter u.s.w. beschäftigen. Dampfmaschinen und die Vervollkommnungen des auswärtigen Fabrikwesens werden dabei angewendet, auch stehen den meisten Fabriken Ausländer vor, gleichwol kommen sehr viele russ. Fabrikwaaren weder an Güte und Brauchbarkeit noch an Wohlfeilheit denen des Auslandes gleich. Ein R. eigenthümlicher Gewerbszweig ist die Verfertigung von Bastmatten. (S. Bast.) Auch der Bergbau und die darauf bezüglichen Anlagen wurden von Peter I. begründet, erhielten aber nach mancherlei Veränderungen erst unter der Regierung Alexander I. und seines Nachfolgers ihre rechte Entwickelung. Der Mangel an freien Arbeitern ist aber dabei immer noch ein großes Hinderniß, indem die gewöhnlichen Berg-und Hüttenarbeiter theils aus sogenannten Meisterleuten, d.h. Kronbauern, welche für sich und ihre Nachkommen gleichsam zum Bergbau verurtheilt und militairisch organisirt sind, theils aus zugeschriebenen Bauern bestehen, die, von benachbarten Krongütern herbeigezogen, den Ackerbau für einige Zeit mit den ihnen fremden Geschäften des Bergbaues vertauschen müssen, zu denen außerdem in Sibirien viele Verwiesene verwendet werden. Den Ackerbau anlangend, so befindet sich derselbe noch so gut wie durchgängig auf einer niedern Stufe. Die Dreifelderwirthschaft ist die herrschende, und in vielen Gegenden bleibt bei günstigen Bodenverhältnissen der Mangel an Absatz der Producte der Landwirthschaft ein wesentliches Hinderniß ihrer Vervollkommnung. Ungemein bedeutend sind die Branntweinbrennereien, müssen jedoch ihr Fabrikat sämmtlich in die Kronmagazine abliefern, indem der Verkauf davon Monopol der Regierung ist. Im Lande allein sollen jährlich mehr als 8 Mill. Eimer verbraucht werden. Der russ. Handel endlich erhielt ebenfalls erst seit Peter I. eine großartige Richtung, indem durch seine Eroberungen und die Begründung der russ. Seemacht der Verkehr zur See für R. gleichsam erschlossen wurde. Mit Ausnahme von Polen und Finnland trennen die übrigen Gebiete des Reichs keine Zolllinien und ausgedehnte Wasserstraßen, im Winter die lange Schlittenbahn, wozu in neuerer Zeit auch mehre Kunststraßen gekommen sind, große Messen und Märkte, wie zu Nischnei-Nowgorod und Irbit, Banken, Assecuranz- und Handelsgesellschaften, wie z.B. die von 1799 für den russ.-amerik. Pelzhandel, die für den Heringsfang im weißen Meere, mehre Dampfschiffahrtscompagnien und andere Vereine befördern denselben nach allen Seiten. Der auswärtige Landhandel geht in Asien nach China, mit dem er ausschließend an der russ.-chines. Grenze zu Kiächta betrieben wird, nach Persien und allen östl. davon gelegenen Gebieten; in Europa finden die lebhaftesten Beziehungen mit der Türkei, Östreich, Sachsen, Preußen und Schweden statt und Armenier, Bucharen und Juden nehmen großen Theil daran, wie beim Seehandel in der Ostsee und im schwarzen Meere die Engländer vor andern Handelsvölkern den wesentlichsten Antheil haben. Ausgeführt werden hauptsächlich Pelzwerk, Justen und anderes Leder, Segeltuch, Getreide, Hanf und Flachs, [772] Öl, Talg und Talglichte, eine Menge Producte der Fischerei, Holz, Theer und Pech, Federn, Schweinsborsten, Eisen und andere Metalle. Eingeführt werden Colonialwaaren, Baumwolle, baumwollenes Garn und baumwollene, seidene und wollene Waaren, Wein, Obst und Südfrüchte, Thee, Taback, rohe und gesponnene Seide, Farbestoffe, Blei und Drogueriewaaren. Gerechnet wird nach der ältesten und R. eigenthümlichen Münze, nach Rubeln (s.d.) und zur Zeitrechnung dient der Julianische Kalender (s.d.), der jetzt um 12 Tage hinter dem bei uns üblichen Gregorianischen zurücksteht.

Für wissenschaftliche Bildung und geistige Cultur ist in R. seit Peter I. ungemein viel geschehen. Von seiner Zeit an hat sich die russ. Sprache, ein Hauptzweig der slaw., erst zur Schriftsprache erhoben, wozu bis dahin die altslaw. oder slawonische Sprache diente, welche bei den Russen auch die slavenische und Staro-Ruski heißt und die Kirchensprache der slaw. Völker ist. In diese ist die Bibel übersetzt und aus ihr hat sich die russ. Sprache, an der man Einfachheit und Natürlichkeit rühmt, mehr als irgend eine andere slaw. Mundart angeeignet. Durch die frühere Herrschaft der Mongolen und das einige Zeit von Polen behauptete Übergewicht über R., ist die russ. Sprache aber auch durch mongol. und poln., in Folge der zunehmenden Cultur mit vielen franz., deutschen und holländ. Worten vermischt worden, ohne daß jedoch ihrer Selbständigkeit dadurch Eintrag geschehen wäre, indem sie dieselben sich vollständig angeeignet hat. Das russ. Alphabet besteht aus einer Vereinigung lat., griech. und willkürlich erfundener Buchstaben und kam in seiner ältesten Form mit dem Christenthum und der von Cyrillus von Thessalonich (s.d.) eingeführten altslaw. Kirchensprache auf. Die jetzige Druckschrift ward zu Anfang des 18. Jahrh. von Peter I. eingeführt und mit dem nach seinen Angaben zu Amsterdam gegossenen Lettern wurden 1705 zu Moskau die ersten russ. Zeitungen gedruckt. Das erste eigentlich russ. Buch wurde 1699 zu Amsterdam vom Buchdrucker Tessing gedruckt und war eine Art Weltgeschichte. Von altslaw. Schriftdenkmalen sind in R. außer der Bibel und den Kirchenbüchern zwei Verträge mit den Griechen und eine Rede des Großfürsten Swiätoslaw, angeblich aus dem 10. Jahrh., vorhanden. Dem 11. Jahrh. gehören eine Handschrift »Das russ. Recht« und die Annalen von Nestor, Mönch zu Kiew, geb. 1056, an, welcher der Vater der russ. Geschichte heißt. Volkslieder aus der ältesten Zeit und andere altruss. Dichtungen sind ebenfalls vorhanden, von denen das berühmteste »Igor's Zug gegen die Polowzer« (mit deutscher Übersetzung herausgegeben von Hanka, Prag 1821), den ersten Jahren des 13. Jahrh. angehört. Die Verheerungen und die bis 1462 dauernde Herrschaft der Mongolen unterbrachen jedoch die Entwickelung jener Anfänge einer russ. Literatur und nur in den von jenen Fremdlingen aus Politik geschonten Klöstern erhielten sich wissenschaftliche Bestrebungen, die seit dem 15. Jahrh. die Grundlage der Fortschritte wurden, welche die wissenschaftliche Bildung der Russen machte. Doch ist dieselbe, wie alle geistige Cultur in R., bis jetzt auf den Adel, einen Theil der Städtebewohner und die nächsten Umkreise größerer Städte beschränkt geblieben. Die vornehmen Familien wurden durch Peter I. zur Aneignung europ. Bildung genöthigt, der es auch an Errichtung neuer Bildungsanstalten nicht fehlen ließ. Die von ihm nach einem Plane von Leibnitz gestiftete Akademie der Wissenschaften konnte aber erst nach seinem Tode im J. 1725 zu Petersburg eröffnet. werden. Zu ihr gesellte sich 1758 eine Akademie der Künste und 1783 durch Katharina II. eine Akademie für russ. Sprache und Literatur; auch ward von ihr und mehr noch von ihren Nachfolgern eifrig für Verbesserung des Volksunterrichts gesorgt. Jetzt versucht die Regierung des Kaisers Nikolaus I. besonders die nationale Richtung geltend zu machen und mit Ablehnung ausländischer Erzieher, sowie durch Ausbreitung der russ.-griech. Glaubenslehre und Verdrängung der angestammten Sprachen in den unter russ. Botmäßigkeit stehenden Ländern, die politische Einheit zu befördern. Besondere Verdienste um die Selbständigkeit und Ausbildung der russ. Sprache erwarb sich der Dichter Lomonosoff, gest. 1765, indem er die Grundlage der russ. Sprachlehre aufstellte und Sprache und Versmaß der russ. Poesie gestaltete. Außerdem trug er ungemein dazu bei, die Theilnahme an der Literatur zu kräftigen. Von seinen Nachfolgern sind besonders Sumarakoff, 1718.–77, der Verfasser des ersten regelmäßigen russ. Trauerspiels, der nach ihm als dramatischer Dichter ausgezeichnete Kniäschnin, 1742.–91, der Lustspieldichter Wizin, 1745.–92, zu nennen. Von spätern Schriftstellern haben der Geschichtschreiber Karamsin, der Sprachforscher und Literaturhistoriker Gretsch, die Dichter Dmitrijeff, Kryloff, Schukowski, A. Puschkin, der vielseitig thätige Th. Bulgarin, Verfasser mehrer Romane, Herausgeber von Zeitschriften und eines historisch-geographisch-statistischen Werkes über R., Riga 1839 fg.), auch mehr und minder die Theilnahme des Auslandes erworben. Die Anstalten zur Beförderung wissenschaftlicher und gemeinnütziger Bildung stehen, mit Ausnahme von einzelnen und namentlich der Militairinstitute, unter dem 1802 errichteten Ministerium der Volksaufklärung und des öffentlichen Unterrichts; die vorzüglichsten und am reichsten ausgestatteten befinden sich in den beiden Hauptstädten. Universitäten gibt es zu Petersburg, Moskau, Kasan, Charkow, Dorpat, Kiew und Helsingfors (sonst Åbo); an die Stelle der ehemals in Wilna gewesenen ist seit 1833 eine röm.-katholische, geistliche Akademie getreten. Der Besuch auswärtiger Universitäten ist jedoch als überflüssig versagt und der Aufenthalt im Auslande überhaupt an besondere Erlaubniß der Regierung gebunden. Lehrinstitute für besondere Fächer, z.B. für Berg-, Hütten- und Forstwesen, Schiffahrtsschulen, polytechnische Institute, Thierarzneischulen, Ackerbauschulen u.a.m. sind ebenfalls vorhanden und die Regierung pflegt an der Ausstattung derselben mit geeigneten Sammlungen und Instrumenten nicht zu sparen. Ein jüdisches Nationalinstitut besteht in Brzesk in Polen. Bei der räumlichen Ausdehnung des Reichs fällt jedoch die Beaufsichtigung des Volksunterrichts um so schwerer, da von der im Ganzen auf einer sehr niedrigen Stufe der Bildung stehenden griech. Geistlichkeit wenig Ersprießliches dafür geleistet wird, und es leben noch mehre Völker in R. ohne Schulen. Zeitschriften und Tageblätter erscheinen in R. ungefähr 100; Bücher wurden 1834 schon gegen 900 gedruckt. Die Künste finden in den beiden Hauptstädten viel Aufmunterung und die Kunstakademie in Petersburg, sowie die kais. Paläste besitzen kostbare Sammlungen von Gemälden und alten und neuen Kunstwerken.[773] Eine musikalische Eigenthümlichkeit ist die russ. Hornmusik, welche seit der Mitte des 18. Jahrh. durch den Oberjägermeister Narischkin aufkam und bei der die Musiker trichterförmige, metallne Hörner blasen, von denen aber jedes nur einen oder doch nur wenige Töne (z.B. cis, d, dis, es) angibt. Zu drei Octaven sind 37 Hörner, 60 zu fünf Octaven und auch fast ebenso viele Hornisten nöthig, indem jeder blos ein Instrument und nur von den großen Baßhörnern einer mehre bläst. Durch außerordentliche Übung und Taktfestigkeit bringen es die Bläser, welche meist Leibeigene sind, zwar dahin, daß ihr Vortrag sich wie der auf einem einzigen Instrumente ausnimmt, gleichwol ist die erfoderliche Anzahl der Musiker für den Erfolg doch immer viel zu groß.

Die Regierungsform ist uneingeschränkt monarchisch und der Wille des Kaisers, welcher sich Samoderschetz, d.h. Selbstherrscher aller Reußen und Zar von Moskau, Kasan, Astrachan, Polen, Sibirien und des taurischen Chersones u.s.w. nennt, gilt in geistlichen und weltlichen Dingen als höchstes Gesetz. Indessen bindet sich derselbe an gewisse Reichsgesetze, zufolge deren seit 1797 die Krone in männlicher Linie, sowie nach deren Erlöschen in weiblicher erblich ist und der Herrscher mit seiner Gemahlin und Nachkommenschaft der griech. Kirche angehören muß. Ein Gesetz von 1820 erkennt nur die Kinder aus ebenbürtiger Ehe als zur Thronfolge fähig an, während früher selbst eine Leibeigene die rechtmäßige Gemahlin des Kaisers werden konnte. Sämmtliche Prinzen und Prinzessinnen des kais. Hauses werden kais. Hoheit und Großfürsten oder Großfürstinnen betitelt. Dem Kaiser zur Seite stehen als berathende und verwaltende Behörden: der 1810 eingesetzte Reichsrath, der 1711 von Peter I. eingerichtete und 1801 reorganisirte dirigirende Senat, welcher zunächst über die Beobachtung der Gesetze zu wachen hat und dessen Mitglieder (100–120) vom Kaiser ernannt werden; die heiligst dirigirende Synode, für alle Angelegenheiten der russ.-griech. Kirche, hinsichtlich deren das ganze Reich in 36 Eparchien eingetheilt ist. Die bestehenden Ritterorden sind ziemlich zahlreich und mit der Verleihung derselben ist die russ. Regierung eben nicht karg. Hof- und Verdienstorden zugleich sind der von Peter I. im J. 1698 gestiftete Andreasorden in einer Classe, zugleich kais. Hausorden, der von Peter I. im J. 1714 errichtete Katharinenorden für fürstl. Frauen, der von ihm ebenfalls gestiftete, allein erst seit 1725 verliehene Alexander-Newskiorden in einer Classe, der 1736 gegründete und seit 1815 mit vier Classen bestehende St.-Annenorden in zwei Abtheilungen (in Brillanten und mit Krone), die seit 1832 den russ. beigesellten, vorher poln. Orden vom weißen Adler in einer, und der Stanislausorden in vier Classen. Verdienstorden allein sind der Militairorden des h. Georg in fünf Classen, der 1782 gestiftete Wladimirorden in vier Classen, der vor 1832 poln. Militairverdienstorden in fünf Classen. Es werden ferner goldene Degen mit und ohne Diamanten mit der Inschrift »für Tapferkeit«, Medaillen als Erinnerung an die mitgemachten Feldzüge, seit 1828 ein besonderes Ehrenzeichen für tadellosen Dienst, das Marien-Ehrenzeichen seit 1829 an Frauen verliehen, welche in den der Kaiserin Mutter vordem untergeben gewesenen Anstalten gewissenhaft ihre Pflicht erfüllt haben. Durch Kaiser Paul I. (s.d.) ward auch ein Zweig des Johanniterordens nach R. verpflanzt, wo nun ein russ.-griech. und russ. katholisches Priorat bestehen. Die Gesammteinkünfte des russ. Reichs werden auf ungefähr 350 Mill. Rubel in Papier angenommen und die besondern Einkünfte des kais. Hauses mit Einschluß der sogenannten Apanagencasse beliefen sich 1834 auf 9 Mill. Rubel; verzinsliche und unverzinsliche Staatsschulden übersteigen die Summe von 525 Mill. Rubel. Über den Staatsaufwand ist nichts [774] bekannt, doch soll er im Frieden die Einnahme nicht übersteigen. Das regelmäßige Landheer, zu dessen eigenthümlichen Einrichtungen die Militaircolonien (s.d.) gehören und das erst seit Peter I. nach europ. Art organisirt ist, wird in Friedenszeiten auf ungefähr 656,000 M. angegeben und die Dienstzeit beträgt bei der kais. Garde (41,000 M.) 20, bei den andern Truppengattungen 22 Jahre. Der Sold ist für alle Grade geringer als in andern Heeren, jedoch 1834 für die Land- und Flottenoffiziere erhöht worden. Die unregelmäßigen Truppen (Kosacken, Baschkiren, Kirgisen) bestehen meist in Reitern, erhalten in Friedenszeiten keine Löhnung und belaufen sich auf 100,000 M. Auch die russ. Seemacht ward von Peter I. gestiftet und besteht jetzt aus drei Divisionen mit weißer, rother und blauer Flagge, von denen zwei in Kronstadt und eine im schwarzen Meere sich befinden. Die Zahl aller russ. Kriegsfahrzeuge beträgt gegen 400, wobei 50 Linienschiffe und über 60 Fregatten, Corvetten und Briggs, sowie eine Anzahl Dampfschiffe sind.

Mit Ausnahme des Zarthums Polen (s.d.) und des Großfürstenthums Finnland (s.d.), sowie des Landes her donischen Kosacken und des russ.-amerik. Gebiets wird das russ. Reich in 13 Generalgouvernements abgetheilt, die wieder in Gouvernements oder Statthalterschaften zerfallen, welche den Namen ihres Hauptorts führen und mehre Kreise umfassen. Alle Generalgouverneurs sind Militairs und haben gewöhnlich den Oberbefehl über die in ihren Gouvernements stehenden Truppen. Unter ihnen bestehen in den einzelnen Gouvernements Civilgouverneure, welche der Verwaltung und Rechtspflege vorgesetzt sind. Das europ. R. enthält hiernach 1) das Gouvernement St.-Petersburg, 880 ! M. mit 1 Mill. Einw., in welchem die kais. Residenz und zweite Hauptstadt Petersburg (s.d.), in der Nähe am kronstädter Meerbusen die kais. Luftschlösser Peterhof und Oranienbaum, an einem von der Ischora gebildeten See Stadt und Schloß Gatschina, wo Kaiser Paul I. (s.d.) als Großfürst wohnte, ferner die kais. Sommerpaläste Krasnoë-Selo, Zarskoje-Selo, Pawlowsk, Kammenoi-Ostrow und andere liegen. Am finnischen Meerbusen liegt auf einer Insel das feste Kronstadt mit 40000 Einw., einem Handels-, sowie zwei Kriegshäfen und wichtigen Marineanstalten; zwei Inseln vor dem Hafen nimmt das Fort Kronflot ein. Am Ausflusse der Newa aus dem Ladogasee liegt auf einer Insel die Festung Schlüsselburg mit 3600 Einw., an der vom Peipussee in den finnischen Meerbusen fließenden Narowa die aus den Kriegen zwischen Schweden und R. bekannte Festung Narwa mit 4000 Einw. und einem Hafen. An der Nordküste des Meerhufens ist Sestrabeck mit 1400 Einw. und kais. Hüttenwerken, Schmiede- und Gewehrfabriken zu bemerken. Südwestl. vom vorigen liegt 2) das Gouvernement Reval oder Esthland (s.d.); und 3) das Gouvernement Liefland (s.d.); 4) das Gouvernement Mitau mit 473 ! M. und 600,000 Einw., sonst Kurland und Semgallen, dessen Hauptstadt Mitau 16,000 Einw., ein ehemaliges herzogl. Residenzschloß, mehre höhere Bildungsanstalten und lebhaften Handel besitzt. Libau mit 6500 Einw. liegt an der Mündung der Libau in einen Ostseebusen, hat ein schönes Seebad, guten Handelshafen mit einem Leuchtthurme und führt viel Landesproducte aus. 5) Das Gouvernement Nowgorod, 2280 ! M. mit 1 Mill. Einw., ist nach der Hauptstadt Nowgorod-Weliki (s.d.) benannt; bei Staraja-Russa mit 5000 Einw. ist hier ein Salzwerk mit 16 Gradirhäusern. 6) Das Gouvernement Olonez oder Petrosawodsk, 2870 ! M. und 300,000 Einw., enthält die Stadt Petrosawodsk am Onegasee mit 4000 Einw. und einer kais. Kanonengießerei; Olonez hat 3000 Einw. und ist Sitz eines griech. Bischofs. 7) Das Gouvernement Archangel (s.d.). 8) Im Gouvernement Wologda, 7600 ! M. mit 850,000 Einw., hat die gleichnamige Hauptstadt 14,000 Einw., ist der Sitz eines Bischofs, eines Priesterseminars, ansehnlicher Fabriken und eines bedeutenden Handels nach Archangel, Sibirien und China. Ustjug-Weliki mit 14,000 Einw. an der Mündung des Jugflusses in die Suchona, welche nun. Dwina heißt und an der großen Straße von Archangel nach Sibirien liegt, ist der Sitz eines Erzbischofs und vieler Fabriken, namentlich von Email und von Gold- und Silberwaaren. 9) Das Gouvernement Jaroslaw, 675 ! M. und 1,100,000 Einw., enthält unter andern die Städte Jaroslaw mit 29,000 Einw., das befestigt und der Sitz mehrer höherer Bildungsanstalten, darunter des Demidoff'schen Athenäums, ist, welches Rang und Rechte der Universitäten theilt; auch befinden sich daselbst Seiden-, Baumwollen-, Leinwand-, Papier- und viele andere Fabriken. Die Stadt und Festung Rostow am Nerosee hat 6500 Einw. und eine stark besuchte jährliche Messe, sowie Fabriken und ansehnlichen Handel; Uglitsch mit 8000 Einw. und Romanow-Borissogliebski an der Wolga mit 4500 Einw., sowie Welikoje-Selo mit 3060 Einw. sind Handels- und Fabrikorte. 10) Das fabrikreiche Gouvernement Kostroma, 1800 ! M. und 13/4 Mill. Einw., mit der Hauptstadt Kostroma an der Mündung des gleichnamigen Flusses in die Wolga und 10,000 Einw.; Galitsch am danach benannten See hat 6500 Einw. und zwei alte Schlösser. 11) Das Gouvernement Wladimir oder Wolodimer, 9300 ! M. mit 1,400,000 Einw., enthält die Stadt Wladimir am Kljäsmaflusse mit 4000 Einw., welche Gartenbau, Schleier- und Seidenfabriken betreiben und die von 1157–1328 großfürstl. Residenz war; Fabrik- und Handelsorte sind ferner Susdal mit 2500, Murom mit 6000, Pereslawl-Saleskoi mit 4500 Einw. Östl. von Wladimir liegt 12) das Gouvernement Nischnei-Nowgorod, 900 ! M. mit 11/2 Mill. Bewohnern und der befestigten Stadt Nischegorod oder Nischnei-Nowgorod mit 26,000 Einw. an der Mündung der Oka in die Wolga, wo sich ein Bisthum, mehre höhere Bildungsanstalten und zahlreiche Fabriken befinden und seit 1817 jährlich vom 1.–17. Aug. die von Makariew (einem kleinen Orte 10 M. tiefer an der Wolga) hierher verlegte berühmte Messe gehalten wird. Es sollen sich dazu gegen 300,000 Menschen, darunter Bucharen, Perser, Armenier, Kaufleute aus dem fernsten Sibirien, aus Tibet und Indien einstellen und an russ. Fabrikaten und rohen Producten (von beiden allein für 90 Mill. Rubel), asiat. Waaren und ausländischen europäischen und Colonialwaaren ein Umsatz von mehr als 120 Mill. Rubeln stattfinden. Die Stadt liegt auf und an einem Berge und besteht daher aus der untern und der sehr gut gebauten obern oder sogenannten Festung, in welcher vor der Kathedrale dem von hier gebürtigen Bürger Minin, der 1612 mit dem Fürsten Porsharsky die Russen von der poln. Oberherrschaft befreite, ein 75 F. hoher Obelisk [775] von Granit errichtet worden ist. Der Stadt gegenüber liegt auf der von Oka und Wolga gebildeten Halbinsel der Ort, wo die Messe gehalten wird und in 12 Reihen über 2000 massive Kaufläden erbaut worden sind, vor welchen eine bedeckte, von 8000 gußeisernen Säulen getragene Galerie hinläuft. Außerdem sind noch hölzerne Gebäude zum Unterbringen geringer Waaren vorhanden, sowie eine griech. und eine armen. Kirche und eine Moschee. In den Orten Pawlowa-Selo mit 7000 und Pogost mit 3500 Einw. befinden sich ansehnliche Fabriken von Eisenwaaren und Gewehren.

Ungefähr die Mitte des europ. R.'s bildet 13) das Gouvernement Moskau mit der gleichnamigen ersten Hauptstadt des Reichs (s. Moskau) und den Städten Troizkoi Sergiew mit 900 Einw., 63 Werste südl. von Moskau, mit dem größten und prächtigsten Kloster in R., dem Dreieinigkeitskloster des h. Sergius, das von Festungsmauern umgeben ist und 9 Kirchen mit werthvollen Merkwürdigkeiten, einen alten kaiserl. Palast und ein geistliches Seminar enthält; Serpuchow mit 6000 und Kolomna mit 6000 Einw. sind Fabrik- und Handelsorte; Sawa-Storoschewskoi ist ein merkwürdiges Mönchskloster, Borodino und Mosaisk (s.d.) sind aus dem franz.-russ. Kriege von 1812 her berühmt. 14) Das Gouvernement Smolensk, 1100 ! M. mit 11/2 Mill. Einw., den Städten Smolensk (s.d.), Dorogobusch mit 4000, Poretschje mit 6000, Wjäsma mit 12,000 und Gschatsk mit 3000 Einw., welcher letztere Ort wichtigen Getreidehandel und seiner Lage mitten im Lande ungeachtet, die Vorrechte eines Handelshafens hat. 15) Das Gouvernement Pleskow oder Pskow, 800 ! M. mit 1 Mill. Einw., und der festen Hauptstadt Pleskow mit 19,000 Einw., welche Sitz eines Erzbischofs, eines geistlichen Seminars und anderer Bildungsanstalten, sowie mehrer Fabriken ist; Toropez hat 12,000 Einw., welche ansehnlichen Handel und besonders Lederfabriken betreiben. 16) Das Gouvernement Twer, 1230 ! M. mit 1,300,000 Einw., der festen Hauptstadt Twer, welche 24,000 Bewohner, ein kais. Schloß, eine Ritterakademie, ein geistliches Seminar, ein Gymnasium, mancherlei Fabriken und lebhaften Handel hat, den die Lage an der Mündung der Twerza und Tmaka in die Wolga und Kanalverbindungen begünstigen. 17) Im Gouvernement Tambow, 1200 ! M. und 11/2 Mill. Einw., ist die gleichnamige Hauptstadt mit 20,000 Einw., Jelatma mit 6000 Einw., Koslow mit 8000, Lipezk mit 6500 Einw., kais. Eisen- und Stückgießereien, auch einem eisenhaltigen Gesundbrunnen zu bemerken. 18) Das Gouvernement Rjäsan, 700 ! M. und 11/2 Mill. Einw., führt seine Benennung von der Stadt Rjäsan mit 8000 Einw., wo ein griech. Erzbischof seinen Sitz hat. 19) Das Gouvernement Tula, 560 ! M. und 1,100,000 Einw., enthält die gleichnamige, höchst gewerbsame Stadt mit 40,000 Einw. und außer andern Fabriken der größten Gewehrfabrik und Eißengießerei in R.; Handel und Fabrikfleiß zeichnen auch 20) Kaluga, den Hauptort des gleichnamigen Gouvernements (600 ! M. und 1,300,000 Einw.), aus, welcher 27,000 Einw. zählt. 21) Das Gouvernement Witebsk, 820 ! M. und 1 Mill. Einw., hat Witebsk zur Hauptstadt, das an der schiffbaren Dwina liegt und 15,000 Einw. zählt; die Festung Dünaburg hat 4000 Einw. 22) Das Gouvernement Minsk, 1900 ! M. und 1,200,000 Einw., enthält die Stadt Minsk mit 20,000 Einw., die Festung Bobruisk an der Beresina, wo hier bei dem Städtchen Borissow im Nov. 1812 der unglückliche Übergang der Franzosen stattfand (s. Beresina); das von ungeheuern Morästen umgebene Pinsk mit 4500 Einw. 23) Im Gouvernement Wilna, 1100 ! M. und 11/2 Mill. Einw., liegt die Hauptstadt Wilna (s.d.); Kowno oder Kauen hat 3000 Troki 3500 Einw. 24) Das Gouvernement Grodno, 755 ! M. und 1 Mill. Einw., enthält die Stadt Grodno am Niemen mit 7000 Einw., einer kais. Akademie für die medicinischen Wissenschaften, einer Cadettenschule, vielerlei Fabriken und hat drei ansehnliche Messen; Brzesc am Bug hat 6000 Einw. 25) Die Provinz Bialystok, 136 ! M, und 250,000 Einw., ist nach der Stadt Bialystok mit 6000 Einw. benannt. 26) Das Gouvernement Orel, 825 ! M. und 1,400,000 Einw., mit der Hauptstadt Orel am Einflusse des Orel in die schiffbare Oka, 25,000 Einw., einem Priesterseminar und Gymnasium. 27) Das Gouvernement Kursk, 720 ! M. und 1,800,000 Einw., mit der gleichnamigen Stadt, welche 26,000 Einw. hat, Sitz eines Erzbischofs und mehrer höhern Bildungsanstalten ist, ansehnliche Lederfabriken betreibt, überhaupt gewerbfleißig ist und bedeutenden Handel und wichtige Märkte hat. 28) Woronesch, 1385 ! M. und 11/2 Mill. Einw., mit der Stadt Woronesch an dem gleichnamigen Flusse, der hier in den Don mündet, welche 20,000 Einw. hat und wo das erste russ. Schiffswerft 1697 angelegt wurde. 29) Czernigow oder Tschernigow, 1100 ! M. und 11/2Mill. Einw., dessen befestigte Hauptstadt Czernigow 10,000 Einw. hat und die älteste Stadt im europ. R. ist; in Neschin am Flusse Oster mit 16,000 Einw. befindet sich ein Athenäum, welches Fürst Besborodkin zur Erziehung armer Edelleute gestiftet hat; auch werden daselbst, sowie in Gluchow mit 9000 Einw., jährlich drei sehr besuchte Messen gehalten. 30) Das Gouvernement Kiew, 940 ! M. und 1,600,000 Einw., mit der Stadt Kiew am Dniepr, welche 40,000 Einw. hat und eigentlich aus drei Städten: der petscherskischen Festung mit einem berühmten Kloster und Wallfahrtsorte, Alt-Kiew oder Sophienstadt mit der alten Sophienkirche, und Podol mit einer großen geistlichen Akademie besteht, die eine von der andern einige Werste entfernt sind. Seit 1833 ist hier nach Aufhebung der Universität Wilna eine dem h. Wladimir gewidmete errichtet worden; Kiew ist ferner der Sitz eines Erzbischofs, hat zahlreiche Gerbereien, sowie lebhaften Handel und berühmte Contracte oder Messen, zu denen sich an 30,000 In- und Ausländer einfinden und wo der Adel mit Kaufleuten Contracte über Lieferungen und Geldgeschäfte abschließt, und war in sehr früher Zeit einmal Residenz der russ. Großfürsten. 31) Das Gouvernement Pultawa, 1015 ! M. mit 2 Mill. Einw., hat die gleichnamige Festung mit 10,000 Einw. zur Hauptstadt, bei der am 8. Jul. 1709 Peter I. über Karl XII. siegte. 32) Das charkowsche oder Slobodsk-Ukrainische Gouvernement hat das feste Charkow an der Charkowka mit 18,000 Einw. zur Hauptstadt, das in der ehemaligen Ukraine, in einer weiten Ebene liegt und schmuzig und schlecht gebaut ist, sodaß die Gebäude der 1803 hier errichteten Universität die einzigen ansehnlichen der Stadt sind. Wichtige Orte sind außerdem Sumy mit 12,000, Achtyrka mit 13,000, Tschugujew und Bielopolje mit je 10,000 Einw. 33) Jekaterinoslaw, 1260 ! M. mit 900,000 Einw., mit der 1784 angelegten [776] Stadt Jekaterinoslaw, die 8000 Einw. hat und zugleich Hauptstadt der tschernomorskischen Kosacken (Kosacken vom schwarzen Meere) und Sitz ihres Ataman ist. Auf einer Insel im Don liegt die Festung Asow mit 3000 Einw., am asowschen Meere die Stadt Taganrok mit 13,000 Einw., wo 1825 Kaiser Alexander I. starb, eine Quarantaineanstalt sich befindet, ein Freihafen und einer der Hauptstapelplätze des Handels des südl. R.'s ist; Nachitschewan am Don, mit 12,000 meist armen. Bewohnern, ward 1780 gegründet; ein wichtiger Handelsplatz ist Alexandrowsk am Dniepr mit 4000 Einw.; auch gibt es in diesem Gouvernement zahlreiche deutsche und preuß. Colonien (im J. 1828 bestanden 41 mit 8000 Einw.), von denen die Hälfte der Bewohner Mennoniten sind. 34) Das Gouvernement Cherson oder Nikolajew, 1660 ! M. mit 1/2 Mill. Einw., hat das 1778 angelegte, befestigte Cherson mit 14,000 Einw. am Dniepr zur Hauptstadt, wo sich ein wichtiger Kriegshafen für die Flotte des schwarzen Meers, eine Admiralität, Schiffswerfte und Magazine befinden; in der Nähe ist dem Fürsten Potemkin (s.d.), bei dem Dorfe Dauphigny dem 1789 hier als Opfer menschenfreundlicher Bestrebungen gestorbenen Engländer Howard, der sich um Verwaltung der Gefängnisse und Lazarethe vorzüglich verdient machte, ein Denkmal errichtet worden. Die bedeutendste Stadt dieser Gegend ist Odessa (s.d.); die Festung Elisabethgrad am Ingul hat 12,000, die durch Potemkin's blutige Eroberung bekannte, ehemals türk. Festung Otschakow an der Dnieprmundung nur noch 1060 Einw. Auch in diesem Gouvernement befinden sich viele deutsche Ansiedelungen (im J. 1898 bestanden 39 mit 17,855 Einw.). 35) Das Gouvernement Simferopol, sonst Taurien, 1541 ! M. mit 380,000 Einw., begreift die Halbinsel Krim oder Taurien (s.d.), die von 80000 Tataren, 30,000 Griechen, 15,000 Russen und 25,000 Soldaten bewohnt ist, die nördl. davon gelegene krimsche oder nogayische Steppe, die Insel Taman zwischen den Mündungen des Kuban und das Land der tschernomorskischen Kosacken (75,000 Seelen) mit der Stadt Jekaterinodar am Kuban und 3000 Einw. In der Krim ist anzumerken: Simferopol mit 24,000 Einw., einem Seminar für tatar. Lehrer, einem botanischen Garten und dem Sitz des Oberbefehlshabers in Taurien; Feodosia oder Kassa mit 5000 Einw., die ehemalige Residenz des Khans der Krim und jetzt ein wichtiger Handelsplatz sowie der Sitz mehrer Bildungsanstalten und eines Museums der zahlreich in der Umgegend gefundenen Alterthümer; Woßpor oder Jenikale mit Salzwerken und Schlammbädern; Kertsch mit 4000 Einw. am Meere; Baktschsarai mit 10,000 Einw. und ausschließlich für Ansässigkeit der Tataren privilegirt; Sewastopol, sonst Akjar, an einem Meerbusen, Festung und wichtigster Kriegshafen mit 2000 Einw., meist vom See- und Kriegswesen; auf der Landenge, durch welche die Krim mit dem Festlande zusammenhängt, liegt Perekop oder Orcapi mit 800 Einw., bei dem sonst der einzige Übergang des Grabens und Walles war, die den Zugang zur Halbinsel vertheidigten. In her Krim und in der nogayischen Steppe haben sich viele Schweizer und andere Deutsche angesiedelt, darunter auch viele Mennoniten. Dem westl. europ. R. gehören noch an: 36) das Gouvernement Mohilew, 890 ! M. und 1 Mill. Einw., mit der festen Stadt gleiches Namens am Dniepr mit 16,000 Einw., welche lebhaften Handel treiben; ferner 37) die Provinz Bessarabien (s.d.); 38) das Gouvernement Podolien (s.d.) und 39) das Gouvernement Volhynien (s.d.). Endlich sind im N. noch zwei zum Großfürstenthum Finnland gezogene Marken von Lappland, Torneå-Lappmark und Kemi-Lappmark, mit ungefähr 1200 umherziehenden Lappen, im S. das zu keinem Gouvernement gehörende Land der donischen Kosacken anzuführen, welches am untern Don und asowschen Meere liegt und 2860 ! M. mit 388,000 Einw. hat, darunter 30,000 umherziehende Kalmücken.

Das asiat. R. umfaßt die sieben Kaukasusprovinzen: Kaukasien (sonst Georgiewsk), Grusien oder russ. Georgien (s.d.), Imerethi, Cirkassien (s.d.), Daghestan, Armenien und Schirwan. (S. Kaukasus.) Das Königreich Astrachan mit den Gouvernements: Astrachan (s.d.), Orenburg (s.d.) und dem Gouvernement Saratow 4800 ! M. mit 1,350,000 Einw., der Hauptstadt Saratow mit 6500 Einw. an der Wolga, wo ein Consistorium für die evangelischen Gemeinden dieser und neun anderer Statthalterschaften besteht; Sarepta, mit 2400 Einw., ist eine 1765 an der Mündung der Sarpa in die Wolga angelegte Stadt der Brüdergemeine. Das Königreich Kasan oder die fünf Gouvernements: Kasan (s.d.); Wjätka, 2683 ! M. und 1,300,000 Einw., mit der Stadt Wjätka von 12,000 Einw., und Ischewsk mit 1800 Einw. und einer großen kais. Gewehrfabrik; Perm, 5860 ! M. und 1,300,000 Einw., mit den meisten Bergwerken des Ural, der Hauptstadt Perm mit 10,000 und der Stadt Katharinenburg mit 15,000 Einw., wo sich das Oberbergamt für Sibirien, eine Bergschule, viele Steinschleifereien und Anlagen zur Bearbeitung von Producten des Bergbaus befinden; Simbirsk, 1400 ! M. mit 1,120,000 Einw. und der Stadt Simbirsk mit 13,000 Einw. an der Wolga; Pensa, 710 ! M. und über eine Mill. Bewohner, mit der Hauptstadt Pensa, die 11,000 Einw. zählt. Das Königreich Sibirien (s.d.) mit der Halbinsel Kamtschatka (s.d.), den Inseln im Eismeere an der nördl.-sibir. Küste entlang, wohin nur Jäger und Fischer kommen, den kurilischen Inseln und den Aleuten (s.d.). Im russ. Amerika endlich, das nur des Pelzhandels und der Jagd wegen Wichtigkeit besitzt, ist die Hauptniederlassung auf der Insel Sitka am Georgensunde, heißt Neu-Archangelsk und hat ein Castell und 1200 Einw.; andere Forts und Factoreien liegen in weiten Zwischenräumen an der Küste.

Die Geschichte des russ. Reichs fängt erst von der Zeit an bekannter zu werden, wo mit dem Christenthume in der zweiten Hälfte des 10. Jahrh. die ersten Anfänge höherer Bildung. und namentlich auch die Schreibekunst zu den Bewohnern dieser Gegenden von Europa gelangten. Die Alten lassen in der Südhälfte des heutigen europ. R. die Scythen oder Sarmaten hausen, welche, letztern auch in Jazygen und Roxolanen getheilt werden, und am Nordrande des schwarzen Meeres, sowie in der heutigen Krim hatten in sehr früher Zeit auch die Griechen Colonien angelegt. Aus diesen ging auch das auf beiden Seiten der Meerenge (Bosporus Cimmericus, jetzt Straße von Jenikale) zwischen Europa und Asien gelegene, zwar kleine, durch Handel und Flotten aber mächtige bosporanische Reich [777] hervor. Das nördl. R. hatten finnische Völker inne, die sich später vermuthlich mit den Gothen vereinigten oder von ihnen verdrängt wurden. Auch in die Gegenden zwischen Don und Donau drangen Gothen vom baltischen Meere her schon im 2. Jahrh. n. Chr. ein, die Völkerwanderung aber führte hauptsächlich durch die südl. Theile R.'s Alanen, Hunnen, Avaren und Bulgaren, denen theils die Slawen folgten, theils auch von ihnen verdrängt worden sein mögen, und schon im 6. Jahrh. hatten sie sich über den größern Theil von Polen und dem heutigen europ. R. verbreitet. Nowgorod und Kiew wurden von ihnen gebaut, das erste jedoch von den Warägern, die vermuthlich skandinav. Ursprungs waren, letzteres von den aus der Krim andringenden Chazaren erobert und zinsbar gemacht. Nach einiger Zeit wurden zwar die Fremdlinge wieder vertrieben, allein die Freigewordenen stürzten sich durch innere Parteikämpfe in solche Zerrüttung, daß die Slawen von Nowgorod und ihre Nachbarn selbst ausländische Herrscher herbeiriefen, um nur dem Bürgerkriege ein Ende zu machen. Drei Helden aus dem Stamme der Waräger, die Brüder Rurik, Sineus und Truwor, kamen um 862 mit ansehnlichem Gefolge und theilten sich in die Länder der Slawen, welche indeß nach dem Tode der zwei andern bald von Rurik vereinigt wurden, der seine Residenz in Nowgorod aufgeschlagen hatte. Jetzt kam auch die Benennung Russen und Rußland auf, über deren Quelle wir keine bestimmten Nachrichten mehr besitzen. Tiefer ins Innere vordringend, bemächtigten sich andere Waräger unter Askold und Dir des Fürstenthums Kiew und erschienen sogar 865 mit einer Menge von leichten Fahrzeugen im thrazischen Bosporus und vor Konstantinopel, wobei jedoch die meisten durch einen Sturm zu Grunde gingen.

Schon Rurik erweiterte sein Gebiet durch Eroberung östl. bis zur Dwina und nach seinem Tode (879) wurden durch Oleg, den Vormund seines Sohnes Igor, Nowgorod und Kiew vereinigt und das letztere ward nun der Sitz der Regierung. Zum zweiten Male griffen die Russen 904 Konstantinopel zu Wasser an und ließen sich den Frieden vom griech. Kaiser theuer abkaufen; ein dritter Zug, welchen nach angetretener Regierung, 913–945, Igor im I. 941 dahin unternahm, lief zwar unglücklicher ab, es hatten aber diese Unternehmungen im Allgemeinen die frühe Anknüpfung des Verkehrs der Russen mit Konstantinopel zur Folge, wo die Witwe Igors, Olga, von 945–955 Regentin für ihren unmündigen Sohn Swätoslas, das Christenthum und den Namen Helena annahm und darauf die ersten Versuche zur Einführung der neuen Lehre in R. machte. Der kriegerische Swätoslas 955–972, dehnte seine Herrschaft bis zum asowschen Meere aus und eroberte Bulgarien, blieb aber fest beim Heidenthume und fiel im Kriege gegen die Petschenegen am Dniepr. Vorher schon hatte er sein Reich unter seine drei Söhne getheilt, von denen aber der jüngste, Wladimir I., der Heilige und der Große genannt, 980 mit Gewalt und List das Ganze vereinigte. Durch ansehnliche Eroberungen vergrößerte er sein Gebiet, das gegen 18,000 ! M. umfaßt haben soll, betrieb aber auch die Civilisation seiner Unterthanen, führte das Christenthum ein und starb 1015. Durch die Theilung seines Reichs unter seine zwölf Söhne, die jedoch unter der Oberlehnsherrlichkeit des Großfürsten von Kiew eine Art Ganzes bilden sollten, untergrub er aber selbst das Gute, das er während seiner thatenreichen Regierung gestiftet hatte, indem die Folge davon eine lange Wiederholung innerer Kriege um diese Oberherrschaft war. Swätopolk I. bemächtigte sich derselben zuerst, sowie der Länder von dreien seiner Brüder, welche er umbringen ließ, wurde aber 1019 von seinem Bruder Jaroslaf gestürzt, welcher 1026 die ansehnlichen Länder seines Bruders Mstislaw erbte. Ce regierte bis 1055 mit großem Ansehen, gab Nowgorod das Stadtrecht, beförderte die Civilisation, unterließ aber ebenfalls nicht, das Reich vor seinem Ableben unter seine vier Söhne zu theilen. Dergleichen Theilungen zerstückelten nach und nach die russ. Länder in mehr als 50, von den Großfürsten abhängige Lehnfürstenthümer und bei den schwankenden Bestimmungen des Erbrechtes mangelte es daher nie an Veranlassung zu innern Kriegen. Ausgezeichnete Regenten dieser Zeit waren Wladimir II. Monomach, 1114–75, Großfürst von Kiew, sowie sein Sohn Mstislaw II. 1125–32, der als tapfer und weise gerühmt wird; Jurje I. gründete um 1150 Moskau (s.d.) und in Susdal ein neues Großfürstenthum, in dessen Hauptstadt Wladimir sein Sohn Andrej der Gottliebende, 1158–75, die Residenz von Kiew verlegte. Während der innern Fehden wurde das letztere 1168 geplündert und zu Anfang des 13. Jahrh. verlor es sein Ansehn völlig; dagegen nahm der Fürst von Halitzsch die großfürstliche Würde an. Noch bedrängter als durch jene fortwährenden innern Kriege ward die Lage R.'s in dieser Zeit durch äußere Feinde. Die Länder an der Ostsee gingen an den liefländ. Ritterorden, das heutige Esthland an die Dänen verloren und Finnland nahmen die Schweden. Ferner bedrohten es von W. her die Polen, Ungarn und Lithauer und blos die nordöstl. Grenzen wurden nicht beunruhigt, daher auch nach dieser Seite so ansehnliche Erwerbungen gemacht, daß R.'s Gebiet auf mehr als 37,000 ! M. gestiegen war, als während der Regierung Jurje II., 1218–38, die Mongolen seit 1223 ihre verheerenden Einfälle begannen, welche nach funfzehnjährigen Kämpfen und nachdem Jurje II. in der Schlacht bei Sita 1238 gegen Batu Khan, einen Enkel des Dschingis-Khan, geblieben war, ganz R. unter ihre Botmäßigkeit brachten. Nur Nowgorod behauptete als Freistaat eine Art Unabhängigkeit, doch blieben auch die russ. Großfürsten dem Namen nach bei ihrer Würde, befanden sich aber in der schmälichsten Abhängigkeit von den Siegern, denen sie Tribut bezahlen und sich gleich andern Unterthanen vor den Richterstuhl des Khan's stellen mußten. Von diesem wurden sie mitunter zu entehrenden Strafen, ja zum Tode verurtheilt, mit dem jeder Versuch bedroht war, den wiederholten Verheerungen der Mongolen in R. Einhalt zu thun. Es gab indessen auch Ausnahmen unter den machtlosen russ. Fürsten, wie z.B. den Großfürsten Alexander Newskoi, 1245–63, welcher zwar nichts wider die Mongolen unternahm, allein als Fürst von Nowgorod mit großem Ruhme gegen die Schweden und deutschen Ritter focht und von einem 1241 an der Newa über sie davon getragenen Siege den Beinamen Newskoi erhielt, auch von den Russen als ein Heiliger verehrt wird und nach dem der Alexander-Newski-Orden benannt ist. Sein jüngster Sohn Daniel nahm als Fürst von Moskau 1296 den großfürstl. Titel an und erbaute 1300 daselbst den Kreml, welchen [778] Demetrius III., der donische, 1362–89, nachdem er mit dem größten Theil von Moskau abgebrannt war, 1367 von Stein herstellte. Auch widersetzte sich der Letztere zuerst mit einigem Erfolg den Bedrückungen der Mongolen oder Tataren, denen er 1378, sowie am Don im J. 1380 große Niederlagen beibrachte. Der letztere Sieg erwarb ihm den Beinamen des Donischen (Donsky), allein 1381 mußte er von Neuem den Mongolen huldigen, von denen sogar Moskau erobert und verheert ward. Diese Abhängigkeit währte fort bis unter Iwan I. Wasiljewitsch dem Großen, 1462–1505, welchem es endlich gelang, die Unabhängigkeit R.'s herzustellen.

Die Macht der Mongolen war bereits durch die Angriffe Timur's, 1378–95, erschüttert und durch ihre Theilung in mehre Staaten geschwächt worden, zu denen auch die von Kasan, Astrachan und der Krim gehörten. Diese Umstände richtig beurtheilend, suchte Iwan I. zuerst Ruhe und Einigkeit im Innern R.'s herzustellen, verweigerte dann 1477 den Mongolen den bisherigen Tribut und die gewohnte Huldigung und wußte seine Weigerung mit den Waffen zu behaupten. Ja er machte sogar Kasan von R. abhängig, unterwarf die Stadt Nowgorod und erweiterte die russ. Grenzen nach allen Seiten, sodaß R. bei seinem Ableben wieder mehr als 37,000 ! M. Flächenraum besaß. Die Einheit und Untheilbarkeit. des Reichs machte er 1475 zum Gesetz und wurde dadurch der Gründer der russ. Monarchie, nahm auch zuerst den Titel Zar an. Nachdem er wider alle seine Nachbarn siegreich gefochten, erlitt er zuletzt mehre Niederlagen von den liefländ. Rittern, mit denen er hierauf schleunig einen langen Frieden einging. Iwan I. war in zweiter Ehe mit einer Tochter des letzten griech. Kaisers vermählt, durch die auch der Doppeladler ins russ. Wappen gekommen ist, verbesserte die Gesetzgebung, begünstigte Handel und Gewerbe und führte den Gebrauch der Feuergewehre ein. Aber ungeachtet dieser und anderer Beweise von Einsicht war er roh, grausam und im Zorne oft beispiellos unmenschlich. Die Regierung seines Sohnes Wasilij, 1505–33, ließ sich unglücklich an; allein die anfänglichen Verluste wurden später ausgeglichen und die ihm von den Mongolen wieder abgezwungene Anerkennung ihrer Oberherrschaft war nur von kurzer Dauer. Einen großen Zuwachs an Gebiet erhielt R. unter Iwan II. Wasiljewitsch dem Schrecklichen, 1533–84, der anfangs unter Vormundschaft, seit 1545 aber selbst regierte. Er eroberte die tatarisch-mongolischen Reiche Kasan und Astrachan, unterwarf einen Theil von Sibirien und erweiterte das Gebiet R.'s bis zu 125,000 ! M. Der 1558 gegen Liefland und Esthland begonnene Krieg verwickelte ihn aber unerwartet in Feindseligkeiten mit Schweden, welchem sich Esthland, sowie mit Polen, dem sich Liefland unterwarf; auch gelang es 1571 den Tataren noch einmal, bis Moskau vorzudringen und nach Besiegung des russ. Heers diese Hauptstadt zu plündern und zu verbrennen. Sie zogen sich aber bald zurück und Iwan II. begann sogleich die Herstellung der Stadt, bestrafte aber Diejenigen, welchen er Schuld an dem Unglücke beimaß, mit der Grausamkeit und Unmenschlichkeit, die der Roheit seiner Zeit und insbesondere seines Volkes zwar mit zur Last fallen, allein doch an ihm so hervortreten daß sein Beiname »der Schreckliche« dadurch gerechtfertigt wird. Auch Nowgorod, welches ihn durch seinen Unabhängigkeitssinn aufgebracht hatte, empfand 1570 das Gewicht dieses Namens, indem Iwan II. dort binnen sechs Wochen gegen 60,000 Menschen umbringen ließ und den frühern Wohlstand der Stadt für immer vernichtete. Dessenungeachtet geschah unter seiner Regierung viel, um den Russen einigen Antheil an europ. Bildung zu verschaffen; fremde und besonders deutsche Gelehrte, Künstler und Handwerker wurden ins Land gezogen; 1564 ward die erste Buchdruckerei in Moskau errichtet, ein Handelsvertrag mit den Engländern (1553) abgeschlossen, welche den Seeweg nach Archangel aufgefunden hatten, ein regelmäßiges Truppencorps in den Strelitzen oder Strjelzi d.h. Schützen (seit 1545) errichtet und ein Civilgesetzbuch (der Sudebnik) zusammengetragen. Iwan II. Sohn und Nachfolger Feodor I. Iwanowitsch, 1584–98, war ein schwacher, zu einer selbständigen Regierung nicht fähiger Fürst, für welchen sein Schwager Boris Godunoff herrschte. Die Eroberungen in Sibirien wurden unter ihm vermehrt und nach einem mehrjährigen Kriege mit Schweden diesem der Besitz von Esthland zugestanden, Ingermanland aber blieb bei R. Die Einsetzung des ersten Patriarchen in Moskau (1588) machte R. in kirchlichen Angelegenheiten vom Auslande unabhängig. Da mit Feodor I. Tode der alte Stamm Rurik's erlosch, nahm Boris Godunoff, 1598–1605, den Thron in Besitz, vermochte aber trotz seiner ausgezeichneten Eigenschaften und obgleich er bei Gelegenheit einer großen Hungersnoth seinen Schatz gänzlich aufopferte, um dem Mangel zum Besten des Volkes zu steuern, sich nicht gegen einen Betrüger zu behaupten, welcher sich für des verstorbenen Zar Feodor I. jüngern Bruder Demetrius ausgab, dessen Ermordung, sowie den Tod des Zar selbst man Boris Godunoff zuschrieb. Der Prinz sollte jedoch den Meuchelmördern entkommen sein und drang nun mit Hülfe der Polen nach Moskau vor, wo ihm Alles zufiel und Boris Godunoff sich vergiftete, um der Gefangenschaft (s. Demetrius) zu entgehen. Der falsche Demetrius nahm vom Throne Besitz, ließ alle Mitglieder der Familie Boris hinrichten, ward aber selbst nach kurzer Zeit von dem misvergnügten Volke ermordet. Der Fürst Wasilij Schuiskoi bestieg nun den Thron der Zaren, vermochte aber die wachsende Zerrüttung nicht zu hemmen und nachdem noch ein zweiter und dritter Demetrius aufgetreten, Moskau von den Polen erobert und Schuiskoi. 1610 in ein Kloster gesperrt worden war, wählte ein Theil der Bojaren den Prinzen Wladislaw, Sohn König Sigismund III. von Polen, zum Beherrscher von R. Allein der Übermuth der Polen, die wie in Feindes Land wirthschafteten und vertragsmäßig eingegangene Verpflichtungen nicht erfüllten, erregte bald so allgemeines Misvergnügen, daß 1611 der Bürger Kosma Menin, dem der Fürst Posharsky sich erst später anschloß, einen Nationalaufstand wider die Bedrücker organisiren und mit dem zusammengebrachten Heere Moskau, dos jedoch von den Polen vorher in Asche gelegt wurde, 1612 einnehmen, sowie die Polen ganz aus R. vertreiben konnte. Hierauf ward 1613 Michael Feodorowitsch Romanow, ein Seitenverwandter der Familie Rurik's, mit erblicher und unumschränkter Gewalt zum Zar des immer noch von Parteien zerrütteten und schrecklich verheerten russ. Reichs gewählt, [779] über welches die weibliche Linie dieses Hauses (s. Romanow) noch herrscht.

Mit großen Aufopferungen erlangte Michael Feodorowitsch Romanow, 1613–45, den Abschluß des Friedens von Stolbowa (1617) mit Schweden und des Stillstandes von Diwelina (1618) mit Polen, worauf erst die völlige Beilegung der Unruhen im Innern gelang und für Herstellung des Wohlstandes des Landes mit Erfolg gesorgt werden konnte. Zur Belebung des Handels wurden 1618 und 1622 Gesandtschaften nach Persien und nach China abgeschickt, und nachdem ein zehnjähriger Friede den Staat wieder zu Kräften hatte kommen lassen, machte er auch einen Versuch zur Wiedereroberung der an Polen verlorenen Gebiete, der jedoch misglückte. R. mußte im Frieden von Wiasma (1634) jene Abtretungen bestätigen, für welche jedoch die Erweiterung der östl. Grenze bis Kamtschatka einen Ersatz gewährte, sodaß Michael's Sohn und Nachfolger Alexej Michailowitsch, 1645–76, ein Gebiet von 255,000 ! M. erbte, welches während seiner für das Wiederaufblühen des Staats sehr zuträglichen Regierung durch die Eroberung von Kiew, Smolensk, Czernigow und andern Gebieten, die Polen im Frieden von Andrussowo (1667) abtreten mußte, und durch die freiwillige Unterwerfung der Ukraine um 7000 ! M. vermehrt ward. Dagegen führte ein mit Schweden begonnener Krieg blos zur wiederholten Bestätigung der Bestimmungen des Friedens von Stolbowa. Unermüdlich war Alexej auf Beförderung der Civilisation des Landes, Verbesserung der Rechtspflege und die Pflege von Handel und Gewerbe bedacht und geschickte Ausländer fanden bei ihm stets eine zuvorkommende Aufnahme. Er gründete mit ihrer Hülfe mehre Seiden-und Leinwandfabriken, legte neue Eisen- und Kupferbergwerke an, ließ durch Holländer den Schiffbau verbessern und faßte sogar den Plan zur Errichtung einer Kriegsflotte auf dem schwarzen Meere, wo auch damals das erste russ. Kriegsschiff erbaut wurde. Merkwürdig ist endlich Alexej's Regierung auch durch den 1671 erfolgten Ausbruch des ersten Kriegs mit den Osmanen, welche Ansprüche auf die Ukraine machten, der erst unter seinem Sohne Feodor III. Alexjewitsch, 1676–82, im Frieden von Radzin (1680) zu R.'s Vortheil beendigt wurde. Zar Feodor III. folgte während seiner kurzen Regierung durchaus dem Beispiele seines Vaters und vernichtete unter Anderm auch den Misbrauch, daß die wichtigsten Staatsämter ohne Rücksicht auf Fähigkeiten und Verdienste bei gewissen vornehmen Familien erblich blieben. In Gegenwart der Betheiligten ließ er die darüber vorhandenen Urkunden vernichten und wählte fortan blos tauglich scheinende Personen zu Ämtern. Bei seinem Tode bestimmte er von seinen zwei Brüdern den jüngern, Namens Peter, zum Thronfolger und schloß den ältern Iwan wegen Blindheit und Blödsinn von der Regierung aus. Die herrschsüchtige Schwester derselben, die Prinzessin Sophia, welche darauf gerechnet hatte, für den unfähigen Iwan die Regierung zu führen, wiegelte aber für diesen Zweck die Strelitzen auf und brachte es dahin, daß Iwan und der noch minderjährige Peter Beide zu Zaren erklärt und ihr die Mitregentschaft zugestanden wurde. Nach dem aber Peter das siebzehnte Jahr erreicht hatte und nichts weniger als geneigt schien, der herrschsüchtigen Sophia und ihrem Günstlinge Galiczyn die Regierung zu überlassen, ward ein Mordanschlag gegen ihn die Veranlassung, daß er 1689 offen wider die ehrgeizige Schwester auftrat, die sich in ein Kloster verweisen lassen mußte.

Jetzt begann die denkwürdige Regierung Peter I. (s.d.) oder des Großen, denn Iwan überließ ihm willig das Ganze, obgleich sein Name noch bis zu seinem Ableben (1696) den öffentlichen Verordnungen vorgesetzt wurde. Der nordische Krieg (1700–21), die Aufhebung der Patriarchenwürde (1699) und Errichtung der h. Synode (1721), mehre Feldzüge gegen Polen, die Türken und Persien, die Annahme des Kaisertitels, die Auflösung der meuterischen Strelitzen, die Gründung der russ. Seemacht und die Umgestaltung des Landheers, die Errichtung einer Menge von Anstalten zur Beförderung der Civilisation, die Erbauung von St.-Petersburg halfen Peter I. den Weg bahnen, auf welchem er R. zur europ. Macht vom ersten Range zu erheben strebte. In dieser Beziehung waren auch seine Eroberungen ungleich werthvoller als viele frühern, obgleich sie nur gegen 8400 ! M. betrugen. Durch die im nystädter Frieden (1721) von Schweden abgetretenen Gebiete (Liefland, Esthland, Ingermanland, ein Theil von Karelien, Wiborg, Riga, die Inseln Oesel, Dagoe, Moen u.a.) ward ein fester Grund zur Herrschaft im baltischen Meere gelegt und die 1723 und 1724 den Persern abgenommenen Provinzen vermehrten R.'s Ansehen am schwarzen Meere und in Asien. Die Erwerbung von Kamtschatka und die kurilischen Inseln hinzugerechnet, hinterließ Peter I. seiner Gemahlin und Nachfolgerin Katharina I. (s.d.), 1725–27, ein Reich von 275,800 ! M., dessen Grenzen unter ihrer kurzen, von Menschikoff (s.d.) geleiteten Regierung keine wesentliche Veränderung erlitten. Gegen China wurden dieselben durch den in Nertschinsk 1727 abgeschlossenen Vertrag festgesetzt, sowie für den Handelsverkehr zwischen beiden Ländern Kiachta zum Mittelpunkte bestimmt. Der unbedeutende und minderjährige Peter II., 1727–30, ein Sohn des unglücklichen Alexei Petrowitsch (s.d.), ward Nachfolger Katharina I., welche den Fürsten Menschikoff zu dessen Vormund und zum Reichsverweser bestimmte, der aber von seinen Gegnern, an deren Spitze die Familie Dolgorucky stand, gestürzt wurde. Der Einfluß derselben war aber von kurzer Dauer, da Peter II. plötzlich an den Blattern starb, wodurch der Mannsstamm des Hauses Romanow erlosch und mit Anna, der verwitweten Herzogin von Kurland und Tochter von Peter I. blödsinnigem Halbbruder Iwan, die noch bestehende weibliche Linie auf den Thron kam.

Beim Antritt der Regierung nöthigten die russ. Großen die Kaiserin Anna Iwanowna, 1730–40, sich gewisse Beschränkungen ihrer Macht gefallen zu lassen; allein nach kurzer Zeit nahm sie unter dem Beistand ihres Günstlings Joh. von Biron und einer ihr ergebenen Partei die volle Gewalt wieder in Besitz. Der Graf von Münnich (s.d.) ward mit der Leitung des Kriegswesens, Ostermann mit den auswärtigen Angelegenheiten beauftragt und R. erlangte nun schnell den steigenden Einfluß wieder, welchen es nach Peter I. Tode schon zum Theil verloren hatte. Die Erledigung der poln. Krone im J. 1733 ward Veranlassung, das Übergewicht R.'s in Polen (s.d.) für immer zu begründen, wo August III. hauptsächlich durch russ. Mitwirkung eingesetzt und Danzig von einem russ. Heere eingenommen wurde. Da Östreich über die poln. Thronangelegenheiten [780] mit Frankreich in Krieg verwickelt ward, erschien auch ein russ. Hülfsheer von 12,000 M. in Deutschland, das aber keine Gelegenheit mehr zu Waffenthaten fand. Mehr ruhmvoll durch Siege als gewinnbringend war ein Krieg mit den Türken, 1736–39, in dem Asow, Otschakow, die Krim und Moldau zwar erobert, allein da sich das verbündete Östreich seiner erlittenen Verluste wegen vom Kriege zurückzog, am Ende fast ganz zurückgegeben wurden. Ungeachtet auch die von Peter dem Großen eroberten pers. Provinzen in Folge des Vertrags von Gandschah (1735) und weil die Schwierigkeit ihrer Behauptung noch in keinem Verhältnisse mit ihrem Nutzen zu stehen schien, von Anna zurückgegeben wurden, erweiterte sich das Gebiet R.'s doch unter ihrer Regierung bis zu 319,350 ! M. Die Kirgisen der kleinen und mittlern Horde erkannten die russ. Oberherrlichkeit an und die aleutischen Inseln wurden vom Capitain Czirikow entdeckt. Die Kaiserin hatte ihre Schwestertochter Anna von Mecklenburg mit Amon Ulrich, Herzog von Braunschweig-Bevern, vermählt und den kaum zwei Monat alten Sprößling dieser Ehe, Iwan III. zu ihrem Nachfolger und den 1737 zum Herzog von Kurland erhobenen Biron zum Reichsverweser bestimmt. Dieser aber wurde gestürzt und nach Sibirien verbannt und nun ließ sich Iwan's Mutter selbst zur Regentin erklären, ward jedoch schon im Dec. 1741 mit ihrem Sohne für immer von Thron und Regierung durch die Verschwörung verdrängt, welche Elisabeth Petrowna (s.d.) zur Kaiserin machte. Schweden suchte die Verwirrung, in welche R. durch diese Thronumwälzungen gerieth, zur Wiedergewinnung seiner früher verlorenen Provinzen zu benutzen, mußte aber im Frieden von Åbo 1743 den an R. grenzenden Theil von Finnland noch dazu bis an den Kymenefluß abtreten, was zur Sicherung von Petersburg eine wichtige Erwerbung war. Die Erneuerung des russ. Bündnisses mit Östreich und die Absendung einer russ. Hülfsarmee beschleunigte 1748 den Abschluß des aachner Friedens, welcher den östr. Erbfolgekrieg beendigte, die Theilnahme der Russen am siebenjährigen Kriege zu Preußens Nachtheil war jedoch mehr Folge von Elisabeth's Unwillen über einige Witzworte Friedrich II. und ward von ihrem Thronfolger Peter, Herzog von Holstein-Gottorp, im Geheimen sehr gelähmt, daher auch, sobald er den Thron als Peter III. (s.d.) im Jan. 1762 bestiegen hatte, alsbald Friede mit Preußen geschlossen wurde. Allein Peter III. verlor noch im Jul. desselben Jahres durch eine Revolution Krone und Leben und seine Gemahlin ward als Katharina II. (s.d.) zur Kaiserin ausgerufen. Die Regierung dieser geistvollen Fürstin, 1762–96, ist durch glänzende Verbesserungen, große Siege und Eroberungen und Erweiterung des russ. Einflusses in den europ. Angelegenheiten ausgezeichnet, obgleich auch Vieles während derselben glänzend begonnen und aus Mangel an Beharrlichkeit später unvollendet gelassen wurde. Durch die dreimalige Theilung des unglücklichen Polens (s.d.) kamen Kurland, Lithauen, Weißrußland, Volhynien und Podolien an R. und vom osman. Reiche ward die Krim, Asow, Otschakow, das Land zwischen Bug und Dniestr, das Land der Nogaier, die große und kleine Kabarda erworben; auch wurde 1787 ein Theil der Westküste von Nordamerika besetzt, sodaß zu Ende dieser Regierung 349,500 ! M. zum russ. Reiche gehörten. Polen ward unter Katharina II. Regierung gänzlich aufgelöst und mit Potemkin (s.d.) hatte sie den Plan zur Herstellung des griech. Kaiserthums unter einem russ. Großfürsten entworfen, dessen Ausführung aber die Umstände nicht erlaubten. Die innere Verwaltung wurde durch die Eintheilung des Reichs in Statthalterschaften und Kreise vortheilhaft geordnet und die öffentlichen Einkünfte wurden verdoppelt, wozu die Verbesserungen beim Bergwesen ansehnlich beitrugen. Indeß trifft Katharina II. trotz ihrer glänzenden Regierung nicht minder der Vorwurf, mit ihren Günstlingen und ihrer Prunkliebe unermeßliche Summen vergeudet, sowie Hunderttausende von Menschen in Eroberungskriegen hingeopfert zu haben. Unter ihrem Sohne und Nachfolger Paul I. (s.d.), 1796–1801, welchen die eifersüchtige Mutter von Geschäften und Einfluß gezwungen fern hielt, nahm R. thätigen Antheil an der Bekämpfung des revolutionnairen Frankreichs, gegen welches Katharina II. sich zwar schon mit England und Östreich verbündet, allein auch darauf beschränkt hatte. Paul I. aber verband sich noch mit Neapel und der Pforte, eine russ. Flotte erschien mit der türk. zum ersten Male vereinigt im Mittelmeere und 80000 Russen unter Suwoross wurden 1798 den Östreichern zu Hülfe nach Italien geschickt. Als jedoch dieser in Italien siegreich gewesene Feldherr in der Schweiz nichts ausrichten konnte und sich zurückziehen mußte und auch in Holland die Verbündeten Unfälle erlitten, welche Paul I. der Unzuverlässigkeit seiner Bundesgenossen zuschrieb, zog er 1799 seine Truppen zurück. Daß England ihm, als neuen Großmeister der Johanniter (s.d.) die den Franzosen abgenommene Insel Malta nicht übergeben wollte, erbitterte ihn noch mehr. Die russ.-türk. Flotte eroberte inzwischen Korfu und die Republik der sieben ionischen Inseln ward im J. 1800 unter russ.-türk. Schutze gegründet; auch blieben dieselben bis 1807 von russ. Truppen besetzt. Frankreich hatte jedoch die Unzufriedenheit des russ. Kaisers so gut zu benutzen verstanden, daß dieser nahe daran war, sich mit der Republik zu verbünden, als im März 1801 durch eine Verschwörung, welche die Folge des allgemeinen Misvergnügens über seine willkürlichen und ebenso drückenden als zum Theil thörichten Maßregeln und Verordnungen war, plötzlich seiner Regierung und seinem Leben (s. Paul I.) ein Ziel gesetzt wurde.

Die Regierung Alexander I., 1801–26, begann mit vorläufiger Herstellung der Verfassung in der von Katharina II. angeordneten Weise und mit Beseitigung der von Paul I. getroffenen und als drückend oder unpassend erkannten Einrichtungen. Eine friedliche Haltung nach außen erlaubte ihm, diesen innern Angelegenheiten seine ganze Thätigkeit zu widmen, ohne daß R.'s Einfluß dadurch beeinträchtigt wurde, auf dessen Erweiterung er ebenso sehr wie auf Verbesserung der innern Zustände durch Verbreitung von Bildung, Beförderung von Handel und Gewerben und was sonst dahin führen konnte, fortwährend bedacht war. Mit Frankreich vermittelte er 1802 sowol die Entschädigung deutscher Staaten für die an ersteres gemachten Abtretungen, als überhaupt die damaligen deutschen Verhältnisse. Allein die zunehmenden Ansprüche desselben nöthigten doch auch R., sich 1805 den Gegnern Napoleon's anzuschließen, und erst der Friede zu Tilsit (1807) schien das Einverständniß beider Mächte um so mehr herzustellen, da die Gebieter derselben einander persönlich nahe traten und sich zu großen gemeinschaftlichen [781] Entwürfen die Hände boten. Namentlich soll ein damals abgeschlossener geheimer Vertrag die Besitznahme der Türkei für R., die der afrik. Nordküste mit Ägypten für Frankreich ausgesprochen und die Verschließung des mittelländ. Meers für alle nicht franz., russ., span. und ital. Schiffe beabsichtigt haben. Zunächst nahm R. von Preußen, seinem Verbündeten, die Provinz Bialystock, sagte sich von England los und erklärte an das mit letzterm verbündete Schweden den Krieg, das 1809 im Frieden zu Friedrichshamm Ostbothnien und Finnland bis mit Torneå und die Ålandsinseln abtreten mußte. Zu Wasser erlitt jedoch die russ. Flotte namhafte Verluste und eine ganze Escadre von neun Kriegsschiffen unter dem Admiral Sniävin mußte sich im Hafen von Lissabon den Engländern ergeben, die auch das baltische Meer beherrschten. Gegen Östreich handelte R. als Napoleon's Bundesgenosse im Kriege von 1809 sehr wenig nachdrücklich, erhielt indeß im wiener Frieden den tarnopoter Kreis abgetreten (der 1815 zurückgegeben wurde). Desto kräftiger wurden die Kriege mit Persien und der mit der Türkei 1806 begonnene, 1807 durch den zweijährigen Waffenstillstand von Slobosia nur unterbrochene, fortgeführt und beide 1812 erst kurz vor Ausbruch des franz. russ. Kriegs beendigt, indem R. im Frieden von Bukarescht den größten Theil seiner Eroberungen an die Pforte zurückgab; Persien gegenüber blieb es im Besitz der eroberten Provinzen zwischen dem kaspischen und schwarzen Meere, um welche der 1814 durch den Frieden von Tiflis völlig beigelegte Krieg hauptsächlich geführt worden war. Der Kampf mit Frankreich kam über die verminderte Strenge, die R. bei Beobachtung des ihm entschieden nachtheiligen Continentalsystems annahm und über die franz. Besitznahmen in Norddeutschland her, bei denen auch der Herzog von Oldenburg, ein naher Verwandter des russ. Kaisers, aus seinem Lande vertrieben wurde. Mit den Hülfstruppen, welche der Rheinbund, Preußen und Östreich, sowie Italien zum franz. Heere stellten, war das gegen R. bestimmte 1/2 Mill. stark und führte 1200 Geschütze mit sich. Am 24. Jun. 1812 überschritt die franz. Hauptmacht bei Kowno den Niemen und traf nach den Schlachten bei Smolensk und an der Moskwa (s.d.) am 14. Sept. in dem verlassenen Moskau ein, dessen Brand alle Hoffnungen vernichtete, welche die Sieger an den Besitz dieser Hauptstadt geknüpft hatten. Dennoch verweilten sie bis zum 19. Oct., bevor sie den verhängnißvollen Rückzug durch das verödete, von einem frühzeitig und ungewöhnlich strengen Winter bald mit Eis und Schnee bedeckte Land antraten, wo sie mit Mangel und Strapazen jeder Art zu kämpfen hatten und während dessen der größere Theil des Heers, des Geschützes und Gepäcks (s. Beresina) verloren ging, sodaß nur Trümmer desselben die deutschen Grenzen und die Weichsel erreichten. Aber auch die russ. Heere hatten so gelitten, daß sie ohne den Beistand, welchen sie an Preußen (s.d.) fanden, und ohne das neutrale Verhalten von Östreich den Franzosen nie hätten nach Sachsen folgen können. Bevor indeß die preuß. Streitkräfte völlig organisirt waren, drangen die Franzosen in Folge der Schlachten bei Großgörschen und Lützen (s.d.) am 2. Mai, und bei Bautzen (s.d.) am 20. und 21. Mai wieder bis Breslau vor. Erst nach dem im Aug. die preuß. Rüstungen ziemlich vollendet, auch Östreich und Schweden den Gegnern Napoleon's beigetreten waren, konnte R. im Verein mit diesen fortwährend wachsenden Streitkräften und nach den an der Katzbach in Schlesien, bei Großbeeren am 23. Aug., bei Kulm in Böhmen, bei Dennewitz am 6. Sept., endlich bei Leipzig (s.d.) erkämpften Erfolgten zu der Vertreibung der Franzosen aus Deutschland und der ersten Herstellung der Bourbons wesentlich mitwirken. Die Umstände und Persönlichkeiten benutzend, wußte es sich dabei das Ansehen der vorherrschenden Macht zu geben und gewann auf dem wiener Congreß durch die gewaltsam behauptete Vereinigung des jetzigen Zarthums Polen mit dem russ. Reiche eine gegen das westl. Europa sehr vortheilhafte Stellung.

An der letzten Bekämpfung des wiedergekehrten Napoleon im J. 1815 nahm R. nur geringen Antheil, Alexander I. aber veranlaßte bei seiner zweiten Anwesenheit in Paris die heilige Allianz. (S. Bündniß.) Sobald aber der Friede gesichert war, mußte die Beseitigung der vom Kriege über R. selbst gebrachten Nachtheile und die Beförderung der innern Wohlfahrt und Cultur von Neuem die Hauptaufgabe der russ. Regierung sein, die jedoch auch in den auswärtigen Angelegenheiten, auf den Congressen zu Aachen, Troppau, Laibach und Verona eine vorherrschende Geltung behauptete. (S. Congreß.) Auch die Gründung der Militaircolonien (s.d.) gehört Alexander I. (s.d.) Regierungsperiode an, welcher gegen das Ende derselben seine anfänglich freisinnigern Ansichten sehr im despotischen Sinne beschränkte und durch entsprechende Maßregeln in Polen (s.d.) und auch in R. die im Geheimen genährte Unzufriedenheit in manchen Kreisen so steigerte, daß nach seinem plötzlichen Tode (1. Dec. 1825) die Thronbesteigung des noch regierenden Kaisers Nikolaus I. (s.d.) von Aufruhr in Petersburg und ähnlichen Bewegungen im südl. R. begleitet war. Sie wurden jedoch sofort mit Waffengewalt unterdrückt und hingen zufolge der zur Untersuchung derselben bestellten Commission mit einer durchs ganze Reich verbreiteten Verschwörung gegen die kais. Familie und die bestehende Staatsverfassung zusammen. Fünf Haupttheilnehmer derselben: der Oberst Pestel, Oberstlieutenant Murawieff-Apostol, die Lieutenants Rylejeff, Bestucheff-Rumin und Kachosski erlitten den Tod am Galgen, der Fürst Trubetzkoi aber wurde mit 84 andern nach Sibirien abgeführt, wo neuerdings ein Theil dieser Verurtheilten aus Sträflingen in Ansiedler verwandelt worden ist. Alexander I. hatte seinem Nachfolger ein Gebiet von 362,909 ! M. hinterlassen, was jetzt nach dem glücklichen Kriege mit Persien von 1826–28, im Frieden von Turkmantschai durch die Provinzen Eriwan und Nachitschewan vermehrt ward, welche Neuarmenien ausmachen. Mit dem osmanischen Reiche hatten die Irrungen wegen verzögerter Erfüllung des Friedens von Bukarescht (1812) nicht aufgehört und der Aufstand der Griechen (1821) hatte dieselben (s. Griechenland) nur vergrößert. Da nun alle schon früher versuchten Ausgleichungen ohne Erfolg blieben und die Pforte der endlich zu Akjerman (1826) deshalb doch getroffenen Übereinkunft abermals nicht nachkam, erklärte R. dem osman. Reiche 1828 den Krieg, welchen nach den von Diebitsch (s.d.) in Europa, von Paskewitsch (s.d.) in Asien erkämpften Siegen der Friede von Adrianopel im Sept. 1829 beendigte, der die Moldau und Walachei unter russ. Schutz stellte und die Anerkennung der Unabhängigkeit Griechenlands, besondere Vortheile für Serbien (s.d.),[782] sowie die Abtretung mehrer festen Plätze am Kaukasus mit etwa 100 ! M. an R., in Folge des 1834 in Petersburg abgeschlossenen spätern Vertrags mit sich brachte, in welchem auch von den ansehnlichen, als Kriegskosten bewilligten Summen der Pforte ein Theil erlassen wurde. Große Vortheile für den russ. Handel und die nothgedrungene Anerkennung R.'s von Seiten der Pforte als Vermittler in allen ihren Angelegenheiten sind die noch wichtigern Früchte dieses Ausgangs des Kampfes geworden.

Das Jahr 1830 wurde für R. durch die Verbreitung der mörderischen Cholera (s.d.) und den am 29. Nov. ausgebrochenen Aufstand in Polen (s.d.) verhängnißvoll, der zwar mit der Eroberung von Warschau am 7. Sept. 1831 besiegt wurde, allein an sich und in seinen Folgen dem russ. Einflusse auf das westl. Europa sehr hinderlich geworden ist und die öffentliche Meinung überall gegen R. stimmte. Dieses dagegen bewies sich zwar den Veränderungen nicht abgeneigt, welche durch die franz. Juliusrevolution in Frankreich selbst hervorgerufen wurden, war aber im Übrigen sehr zurückhaltend und begnügte sich, weil es die Umstände nicht wol anders erlaubten, im Einklange mit dem fest für den Frieden gestimmten preuß. Cabinet, sowol in den von der londoner Conferenz der fünf Mächte 1839 erledigten belg. Angelegenheiten, wie in der portug. Frage und in den span. Wirren zu bleiben, wobei aber Don Carlos unter der Hand mit ansehnlichen Summen, jedoch vergeblich, unterstützt wurde. Desto entschiedener trat R. in den seinem Bereich näher liegenden Angelegenheiten des osman. Reichs auf, als dies nach der von Ibrahim Pascha bewirkten Eroberung von Syrien und der verlorenen Schlacht bei Konieh (2. Dec. 1832) gegen das durch Natolien nach Konstantinopel vordringende ägypt. Heer die vom Kaiser Nikolaus I. angebotene Hülfe annahm. Im Frühjahre 1833 erschien hierauf eine russ. Escadre im Bosporus und am asiat. Ufer desselben wurden 16,000 M. gelandet, welche bei Chunklar-Iskelessi ein Lager bezogen und sich erst im Jul. wieder einschifften, nachdem die ägypt. Angelegenheiten beigelegt und Ibrahim Pascha hinter die ihm angewiesenen Grenzen zurückgekehrt war. Vorher auch war noch am 8. Jul. jener von Chunkiar-Iskelessi benannte Allianztractat zwischen R. und der Türkei einstweilen auf acht Jahre abgeschlossen worden, zufolge dessen sich R. anheischig gemacht hat, der Pforte auf jedesmaliges Verlangen derselben den Umständen angemessene Kriegshülfe zu Lande und zu Wasser zu gewähren; als Gegenleistung hat sich die Pforte verpflichtet, keinem fremden Kriegsschiffe das Einlaufen in die Dardanellen zu erlauben. England und Frankreich hielten sich durch denselben so benachtheiligt, daß sie deshalb in Petersburg und in Konstantinopel dringende Vorstellungen machten und aussprachen, sie würden im geeigneten Falle durchaus so handeln, als sei der Vertrag nicht vorhanden. Darauf erwiderte denn R., daß es die hinsichtlich des erwähnten Vertrags empfangene Mittheilung betrachte, als sei dieselbe nicht vorhanden, wobei denn die Sache beruhte. Indessen vermehrten sich bald die Veranlassungen zur Spannung mit dem ohnedies wegen R.'s Vorschreiten in Mittelasien besorgten Großbritannien, als 1836 ein engl. von einem Herrn Bell befrachtetes Schiff, der Vixen, von den Russen an der Küste von Cirkassien weggenommen wurde, wo sie den Verkehr, zwei Punkte ausgenommen, verboten hatten. Denn die Cirkassier und mehre den Kaukasus bewohnende Völker sind Todtfeinde der Russen und die erstern namentlich seit 1834 mit denselben in offenem Kriege, ohne von denselben überwältigt worden zu sein. Noch ist nicht völlig aufgeklärt, was den Engländer Bell veranlaßte, jenen tapfern Bergbewohnern Kriegsbedürfnisse zuzuführen, sowie mehre Jahre bei ihnen zu verweilen. Großbritanniens offene Unterstützung ward ihnen jedoch nicht und die russ. Beschlagnahme des Vixen ward sogar 1838 als gerechtfertigt anerkannt. Die Verhältnisse zu Persien, ein mit England 1838 eingegangener Handelsvertrag der Pforte, der 1839 erfolgte Tod Sultan Mahmud II. und die gleichzeitig zwischen der Pforte und Ägypten wieder ausgebrochenen Feindseligkeiten, die Stellung R.'s zu Mittelasien und dessen 1839 abgegangene Expedition gegen den Khan von Khiwa (südl. vom Aralsee), um angeblich die dort in Gefangenschaft gehaltenen Russen zu befreien, sowie gegen die engl. Herrschaft in Ostindien gerichtete Umtriebe, endlich die Hülflosigkeit des türk. Reichs, das alle Augenblicke genöthigt sein kann, den vertragsmäßigen russ. Beistand anzusprechen, sind die Quelle fortwährender, besonders in London geführter Verhandlungen mit Großbritannien, mit welchem R. sich gern verständigen und es von dem in der letzten Zeit in diesen Angelegenheiten alleinstehenden Frankreich trennen zu wollen scheint, geworden, während sich im südl. R. ansehnliche Truppenmassen vereinigt haben und die Flotte des schwarzen Meers selbst den Winter über segelfertig geblieben ist, um für jeden dringenden Fall zum Handeln bereit zu sein. Im Innern war die Thätigkeit der Regierung durch den Miswachs von 1833–34 im südl. R. und die Herstellung des zerrütteten Polens vielseitig in Anspruch genommen, sowie auf Beförderung besonders industrieller Cultur, doch auch der wissenschaftlichen Bildung gerichtet, die durch manche großartige Anstalt unterstützt wird. Durch Begünstigung der nationalen (d.h. slawischen) Elemente und Entfernung der mehr europ. Richtungen sucht sie aber auch hier eine Form für die Civilisation R.'s zu finden, welche ihr noch lange Zeit die Bereitwilligkeit der kleinen Zahl, welche den gebildetern Ständen angehört, sichern dürfte, zum maschinenartigen Verbrauche der geistig beschränkten und rohen Masse der Bevölkerung auf alle Weise mitzuwirken. Sie bildet denn auch in Ermangelung eines moralischen Gewichts die alleinige Stütze der russ. Politik, daher auch die Sorge für Land- und Seemacht und die Vergrößerung der Hülfsmittel für dieselben in R. jeder andern vorausgeht.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 768-783.
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