Eisenbahn

[497] Eisenbahn (engl. Railway, Railroad, franz. Chemin de fer), im weitesten Sinne jede Spurbahn mit eisernen Schienensträngen, auf denen in besonders dafür eingerichteten Fahrzeugen Personen und Güter etc. durch menschliche oder tierische Kraft, Dampf, Elektrizität etc. (s. Eisenbahnsystem) fortbewegt werden.

I. Einteilung der Eisenbahnen.

Man unterscheidet 1) nach dem Verkehrszweck: a) Eisenbahnen für den öffentlichen Verkehr und Eisenbahnen für Privatzwecke (Anschlußgleise, Industriebahnen etc.); b) strategische Eisenbahnen, die aus Rücksichten auf die Landesverteidigung hergestellt sind (s. Eisenbahnpolitik) und fast regelmäßig dem öffentlichen Verkehr dienen; c) Militäreisenbahnen, die meist Übungszwecken, der Ausbildung der Eisenbahntruppen, der Beförderung von Truppen und Kriegsmaterial nach und von größern Übungsplätzen, daneben aber auch wohl, beschränkt oder unbeschränkt, dem öffentlichen Verkehr dienen; 2) nach der Lage und dem Verhältnis zu andern Bahnen: Anschluß-, Zweig-, Verbindungs-, Nachbar-, Konkurrenz- und Parallelbahnen; Sack- oder Stichbahnen haben an einem Ende keinen Anschluß; 3) nach den Bodenverhältnissen: Flachland-, Hügelland-, Gebirgs- und Bergbahnen; 4) nach der baulichen Anlage: normal- und schmalspurige, Untergrund- und Hochbahnen; 5) nach der wirtschaftlichen Bedeutung: a) Haupt-(Voll-)bahnen, stets normalspurig, die überwiegend dem durchgehenden Verkehr, insbes. auch dem Schnellzugsverkehr dienen, b) Nebenbahnen (bis 1. Jan. 1893 in Deutschland amtlich: Bahnen untergeordneter Bedeutung), auch Sekundär- und Vizinalbahnen genannt, meist schmalspurig, vielfach aber auch mit Normalspur, c) Klein-(Tertiär-)bahnen, meist schmalspurig, für den engsten Lokalverkehr;[497] 6) nach den Eigentumsverhältnissen: Staats- (Reichs-) und Privatbahnen.

II. Wirtschaftliche und sonstige Bedeutung der Eisenbahnen.

Die Vervollkommnung des Transportweges, der Fahrzeuge sowie der bewegenden Kraft durch die E. äußert sich hauptsächlich in der Verbilligung, Beschleunigung und Sicherheit des Verkehrs, endlich in der Möglichkeit großer Massenbewegung. Die Eisenbahnen haben die Kosten der Beförderung von Personen, Gütern und Nachrichten nicht allein unmittelbar, sondern auch mittelbar dadurch verringert, daß sie namentlich in der Schiffahrt zu einer wesentlichen Herabsetzung der Beförderungspreise geführt haben. Regelmäßigkeit und Pünktlichkeit des Verkehrs ist durch die E. in früher ungeahnter Weise ausgebildet worden. In ähnlichem Maße haben Sicherheit und namentlich Schnelligkeit des Verkehrs bei größerer Bequemlichkeit durch die E. gewonnen. Nach der Statistik ist die Sicherheit des Eisenbahnverkehrs weitaus größer als die des Reisens zu Pferd oder zu Wagen. Auch für die Güter ist der Eisenbahnverkehr, abgesehen von größerer Sicherheit und Schnelligkeit, durch bessern Schutz gegen Witterungseinflüsse u. dgl. von größter Bedeutung. Die größere Massenhaftigkeit des Verkehrs auf den Eisenbahnen wird ermöglicht durch die wesentliche Herabminderung des Reibungswiderstandes auf den glatten Schienen (bei horizontaler Lage etwa das 12fache gegenüber den Landstraßen) und durch die höhere Leistungsfähigkeit der Motoren (Lokomotiven). Die Umwälzung des gesamten Wirtschaftslebens durch die E. macht sich vorwiegend im Güterverkehr, in geringerm Maß auch im Personenverkehr geltend; in letzterm namentlich durch Ausgleichung des Arbeitslohnes. Die Verbilligung und Erleichterung des Personenverkehrs erhöht die Beweglichkeit der arbeitenden Bevölkerung. Der Konsument kann sich mit dem Produzenten in unmittelbaren Verkehr setzen und die Kosten des Zwischenhandels vielfach ersparen. Besonders wichtig ist der persönliche Verkehr für Handel und Industrie durch die Möglichkeit unmittelbarer Verhandlung und Abschließung von Geschäften, der Beschickung von Märkten, Ausstellungen u. dgl. Im Warenverkehr üben die Eisenbahnen eine verkehrsschaffende und eine preisregulierende Wirkung aus. Gütern, die früher gar nicht oder nur in beschränktem Umfang transportfähig waren, werden durch die E. weite Absatzgebiete eröffnet. Die früher auf die höherwertigen Güter beschränkte Weltwirtschaft hat durch Ausdehnung auf das Gebiet der Rohproduktion einen gewaltigen Umfang erreicht. Auch die Ausgleichung und Fixierung der Preise der Güter ist ein wesentliches Verdienst der E. Die Erweiterung der Absatzfähigkeit hat eine außerordentliche Ausdehnung der produktiven Tätigkeit zur Folge gehabt, und die Vervollkommnung und namentlich die Verbilligung des Verkehrs hat zu einer großen Kapitals- und Arbeitsersparnis geführt, die produktiven Zwecken zugute kommt. Bedarf und Überschuß an Nahrungsmitteln können durch die E. leicht ausgeglichen werden, so daß bei Mißernten an einer Stelle nicht mehr Notstände in dem frühern Umfang eintreten können. Der Landwirt ist mit dem Absatz seiner Erzeugnisse nicht mehr wesentlich auf den lokalen Markt angewiesen, sondern kann seine Produktion mehr den Bedürfnissen des Weltmarktes anpassen. Durch leichtere Zufuhr von Dungstoffen wird durch die E. eine Verbesserung des Bodens und seiner Ertragsfähigkeit erreicht. Bodenerzeugnisse südlicher Länder können mit Hilfe der schnellen Beförderung durch die E. die entferntesten Märkte im Norden versorgen. Der Kapitalwert des Grund und Bodens wird nicht bloß durch die erweiterte und erleichterte Absatzfähigkeit seiner Erzeugnisse, sondern unter anderm auch durch die Umwandlung von Ackerland in Baugrund an den Eisenbahnstationen erhöht. In der Forstwirtschaft und im Bergbau macht sich die Wirkung der E. in ähnlicher Weise geltend. Von besonderer Bedeutung sind die Eisenbahnen für die Entwickelung der Industrie, indem sie außer unmittelbaren Ersparnissen an Beförderungskosten auch mittelbare Ersparnisse, durch Verbilligung der Rohstoffe, durch Entbehrlichkeit des Haltens großer Vorräte etc., herbeiführen, die Industrie örtlich unabhängiger von den Gewinnungsstätten der Rohprodukte machen und es ihr ermöglichen, bei der Anlage von Fabriken vorzugsweise die vorhandenen Arbeits- und Betriebskräfte und den Absatzmarkt zu berücksichtigen. Dem Handel kommt namentlich die Sicherheit und Pünktlichkeit der Güterbeförderung durch die E. und die größere Stabilität der Beförderungspreise zugute. Mit den wirtschaftlichen Wirkungen der E. stehen in enger Verbindung die durch die E. ermöglichten Fortschritte des Nachrichtenverkehrs (Brief- und Zeitungsverkehr, Versendung von Mustern und Warenproben).

Die politischen und sozialen Wirkungen der E. treten überwiegend m. Personenverkehr hervor. Die Erleichterung und Steigerung des persönlichen Verkehrs trägt zur Kräftigung des Nationalbewußtseins, zur Ausgleichung bestehender Unterschiede in Sprache, Sitten und Gebräuchen wesentlich bei. Die durch die E. ermöglichten Fortschritte des Nachrichtenverkehrs stärken die Zentralgewalt, die schneller überallhin ihre Wirkung äußern kann. Die Eisenbahnen erhöhen die Einnahmen der Staaten aus Grund-, Gewerbe-, Einkommensteuer etc. und führen zu Ersparnissen im Staatshaushalt durch die ihnen für öffentliche Zwecke (Post) auferlegten unentgeltlichen Leistungen oder Leistungen zu ermäßigten Preisen (s. Eisenbahnrecht). Der Eisenbahnverkehr und die durch ihn gesteigerte Interessengemeinschaft verbessert und befestigt die Beziehungen der Länder und Staaten zueinander und führt zu größerer Einheitlichkeit in ihren wirtschaftlichen Einrichtungen (Maße, Münzen, Gewichte, Frachtrecht etc.). Die sozialen Wirkungen der E. bestehen namentlich in Verbesserung der Lebenshaltung der untern Klassen, ihrer Wohnungsverhältnisse in den Großstädten und den Mittelpunkten der Industrie, letzteres, indem die Eisenbahnen eine Verlegung der Wohnungen in die Umgegend der Arbeitsstellen wesentlich erleichtern. Der Einfluß der E. auf Volksbildung, Wissenschaft und Kunst ist hauptsächlich eine Folge der Erleichterung des Reise- und des Nachrichtenverkehrs.

Die militärische Bedeutung der Eisenbahnen besteht vornehmlich in der Möglichkeit schnellerer Beförderung und Zusammenziehung großer Truppenmassen, beschleunigter Zuführung von Kriegsmaterial und Verpflegungsmitteln, leichter Entfernung von Kranken, Verwundeten etc. Durch militärische Organisierung der E. wird ihre militärische Bedeutung wesentlich erhöht. Weiteres s. Militäreisenbahnwesen.

III. Geschichte der Eisenbahnen.

Vorläufer der heutigen E. sind die ebenen oder vertieften Spurbahnen, deren Technik schon im Altertum entwikelt war. Die ältesten Kunststraßen Griechenlands waren mit Steingleisen versehen, tiefen Radfurchen, sorgfältig ausgehauenen, geglätteten Kanälen, Gleisen für die Räder der Fuhrwerke, um sie gesichert und leicht dahinrollen zu lassen. Wo keine[498] Doppelgleise vorhanden waren, entstanden sogar eigne Ausweichplätze: zwei Fingerbreiten tief in den Fels eingehauene Gleise. Wahrscheinlich waren die Ägypter, die das Räderfuhrwerk schon früher benutzten, Lehrmeister der Griechen. Der deutsche Bergbau benutzte im 16. Jahrh. ausgehöhlte Bahnen und Gleise zum Teil aus Eisen zur leichtern Fortschaffung der Förderwagen (Hunde) in den Grubengängen. Von Deutschland aus gelangten diese Spurbahnen nach England. Hölzerne Schienenwege als Ersatz für die gewöhnlichen Straßen wurden in England zwischen 1602 und 1649 zuerst angewendet. 1765 bestanden in Newcastle Spurbahnen zum Transport der Kohlen von den Gruben zur Verschiffungsstelle. Sie wurden fallend gebaut und bestanden aus Querschwellen, auf denen 16–18 cm breite, 10–13 cm starke Eichenholzlanghölzer eingezapft waren; auf diesen bewegten sich die Fuhrwerke, von Pferden gezogen, durch Räder mit nach einwärts um 4 cm vorstehenden Rändern, die sie zwangen, in der Bahn zu bleiben. Wahrscheinlich wurde zur Verstärkung der Langhölzer an besonders der Abnutzung ausgesetzten Stellen auch Eisen angewendet. 1767 belegte das Eisenwerk Colebrook Dale einen der Spurwege des Werkes mit gußeisernen Platten, und 1776 gab man diesen Colebrook Dale-Schienen, die eine konkave Oberfläche hatten, an ihrer innern Seite Erhöhungen, um die Karren sicherer im Gleise festzuhalten. Diese Schienen waren unmittelbar auf Langhölzern befestigt, die wieder auf Querhölzern ruhten. 1793 befestigte Josua Burns die Schienen mittels eiserner Nägel und Holzdübel auf Steinblöcken. Später krümmte man die untere Fläche der frei aufliegenden Schiene, um jeder Stelle gegen Bruch die gleiche Sicherheit zu geben, nach der Linie eines Fischbauches, und diese Fischbauchschiene, auf der die Räder mit vorspringenden Rändern liefen, an den Enden in gußeisernen Stühlen ruhend, meist von Steinwürfeln unterstützt, gelangte auf fast allen Bahnen, die vom Ende des 18. Jahrh. an in rascher Aufeinanderfolge und großer Ausdehnung auf dem Boden des nördlichen England entstanden, zur Anwendung. Seit 1808 begann man das Gußeisen durch Schmiedeeisen zu ersetzen, und Robert Stephenson verwendete zuerst beim Bau der London-Birminghamer Bahn Schienen mit symmetrischem Querschnitt und parallelen Ober- und Unterflächen, wie sie noch heute benutzt werden. Die Fuhrwerke waren, solange sie auf gußeisernen Schienen liefen, klein, die Räder bestanden aus Gußeisen und saßen fest auf den Achsen, die sich in am Karren befestigten Büchsen drehten. Nach der Herstellung der Schienen aus Schmiedeeisen, durch das die Räder verhältnismäßig schnell abgenutzt wurden, erfand man die Kunst, die Radreifen hart zu gießen. Zur Bewegung dienten ausschließlich Menschen- und Pferdekräfte und zwar zunächst nur bei der Talfahrt; bei hohen Steigungen ließ man einen herabrollenden schweren Zug auf der einen Seite einen auf der entgegengesetzten Seite zu bewegenden leichtern Zug hinaufziehen. In den Kohlendistrikten von Wales und Schottland schafften Dampfmaschinen mittels Ketten oder Seilzügen, die sich auf Trommeln wickelten, die Wagen auf steilen Steigungen empor. Auf bewegliche Dampfmaschinen zur Fortschaffung von Wagen auf Eisenbahnen nahm zwar schon 1784 Watt ein Patent, eine wirklich brauchbare Lokomotivmaschine, die Trevithick und Vivian 1802 patentiert worden war, fand aber erst 1805 auf der Bahn Merthyr-Tydvil Anwendung. Diese Maschine zeigte bereits alle wesentlichsten Teile der jetzigen Lokomotiven. Die damaligen Techniker glaubten aber, daß die Reibung der glatten Räder auf den Schienen nicht ausreiche, um mit schweren Wagenzügen steile Steigungen zu überwinden. Blenkinsop versah deshalb 1811 seine Maschine mit einem verzahnten Rade, das in eine gezahnte Schiene eingriff. Ein Jahr später suchte Chapman das Ziel durch eine Vermehrung der Treibräder zu erreichen und brachte deren Zahl auf acht. Erst 1814 ließ George Stephenson auf den Kohlenbahnen bei Newcastle upon Tyne Maschinen mit glatten Rädern auf glatten Schienen laufen und dann in seiner Fabrik mehrere Maschinen ausführen, die seit 1815 auf den Grubengleisen der Kohlendistrikte von Newcastle Verwendung fanden. Die erste E. für den öffentlichen Verkehr wurde 1825 zwischen Stockton und Darlington eröffnet und fuhr mit der Geschwindigkeit von 16–17 km in der Stunde. 1829 wurde von dem Direktorium der Manchester-Liverpooler Bahn eine Belohnung von 500 Pfd. Sterl. für die Erfindung einer Lokomotivmaschine ausgesetzt, die ihr dreifaches Gewicht mit einer Geschwindigkeit von 10 engl. Meilen in der Stunde fortbewegen und keinen Rauch erzeugen würde. Diesen Preis gewann die Lokomotive von G. Stephenson. Sie zog ihr fünffaches Gewicht und legte in der Stunde 14–20 engl. Meilen zurück. Die Ursache dieses günstigen Resultats war die Benutzung eines Röhrenkessels und die Verstärkung des Luftzugs um mehr als das Achtfache. Was von nun ab im Bereich der Technik des Eisenbahnwesens geschah, war Ausbildung und Entwickelung von Keimen, die fast alle schon in Stephensons großer Schöpfung enthalten waren. Nachdem schon vor 1826 das Kohlengebiet der Ruhr und Saar in Rheinpreußen über 60 km Eisenbahnen erhalten hatte, wurde 1830 die Bahn von Prag nach Lana von 45 km Länge eröffnet, 1832 die 127 km lange Budweis-Linzer E., die indes nur mit Pferden betrieben wurde. Belgien eröffnete seine erste mit Dampf betriebene Bahn 1835 zwischen Brüssel und Mecheln. Am 7. Dez. 1835 bewegte sich auf deutschem Boden der erste von Lokomotiven gezogene Zug auf der von Denis erbauten Nürnberg-Fürther Bahn; 11/4 Jahr später eröffnete die Leipzig-Dresdener Bahn ihre erste Strecke; 1838 pfiff die Lokomotive in Österreich (Wien-Wagram) und in Preußen (Berlin-Potsdam). Zugleich ward die erste deutsche Staatsbahn von Braunschweig nach Wolfenbüttel eröffnet.

IV. Formen und Stand des Eisenbahnwesens in verschiedenen Ländern.

In Großbritannien entwickelte sich das Eisenbahnwesen bald mit großer Intensität. Als seine ersten Keime entstanden, war die industrielle Entwickelung Englands schon auf großer Höhe angelangt, und als die Dampfkraft in den Dienst des Verkehrs trat, standen eine Reihe von Meistern der Technik und alle Hilfsmittel einer entwickelten Eisen- und Kohlenindustrie bereit, das neue Verkehrsmittel in jeder Weise zu stützen und zu fördern. Die Lage Englands, das große Weltgeschäft und die verhältnismäßig geringe Ausdehnung des Landes bringen es mit sich, daß die bewegten Massen sehr groß sind und auf kurzen Strecken möglichst rasch den Häfen zueilen. Die verhältnismäßig kleinen, aber zahlreichen Güterzüge laufen in England nur wenig langsamer als die Personenzüge. Es gibt Baumwoll-, Kohlen- und Erz-Eilzüge. Die ausgebildeten Lade- und Entladevorrichtungen, die reiche Ausstattung mit allen technischen Hilfsmitteln spiegeln das hier alles beherrschende Hauptmoment: Schnelligkeit und Zeitersparnis, überall wider. Zugleich entwickelte[499] der gewaltige Verkehr das Signalsystem in ausgezeichneter Weise. Der Personenverkehr ist fast ausschließlich auf die Tagesstunden, der Güterverkehr auf die Abend- und Nachtstunden beschränkt. Hierdurch wird die große Pünktlichkeit ermöglicht, durch welche die englischen Eisenbahnen sich hinsichtlich der Innehaltung der von ihnen gestellten Fristen auszeichnen. Einen besondern Charakterzug des englischen Eisenbahnwesens bildet endlich das Hineinrücken der Eisenbahnen in die Mittelpunkte der großen Städte und die Verwendung besonderer Eisenbahnsysteme in den großen Städten selbst. Hierdurch nahm das Wechselverhältnis zwischen den Bevölkerungszentren und den sie verbindenden Eisenbahnen eine Ausdehnung an, die auf dem Festland bisher auf nur sehr wenigen Linien vorhanden ist, die großen Anlagekosten für den Bau der englischen Bahnhöfe führten zu verhältnismäßig günstigen Ergebnissen, da sie, Licht und Luft schaffend, mittelbar zur Verschönerung und sanitären Verbesserung der Städte beitrugen. Die Anlage von Stadteisenbahnen endlich hat sich in England so gut bewährt, daß solche sehr bald auch anderwärts in Großstädten hergestellt wurden. Die Gesamtlänge (Eigentumslänge) der Eisenbahnen in Großbritannien betrug Ende 1901: 35,462 km, das verwendete Anlagekapital (1899 für 34,915 km) 23,046,400,000 Mk. Es kommen hier an Bahnlänge auf je 10,000 Einw. 8,5 km und auf je 100 qkm Fläche 11,3 km.

Auf dem Festland mußte das Eisenbahnwesen trotz seines nächsten Zweckes, im Dienste des Handels zu stehen, doch innerhalb der großen Militärstaaten sich den unmittelbaren Staatszwecken unterordnen.

In Deutschland hat der Bau der Eisenbahnen zunächst in empfindlicher Weise durch die Kleinstaaterei gelitten; in neuerer Zeit aber ent wickelte sich das deutsche Eisenbahnnetz so außerordentlich schnell, daß es gegenwärtig an absoluter Länge allen übrigen europäischen Staaten voransteht, an relativer Dichtigkeit aber nur von Belgien und England übertroffen wird. Der Massentransport auf große Entfernungen erforderte Güterwagen von großer Dauerhaftigkeit und Leistungsfähigkeit, der geringere Wohlstand des Sandes größte Sparsamkeit in der Anlage des Schienenwegs, was jedoch die höchste erreichbare Sicherheit nicht beeinträchtigt hat. Die politische Gestaltung läßt zwei große Gruppen hervortreten: die nördliche preußische, die einige kleinstaatliche Netze einschließt, und die Eisenbahnen der vier Mittelstaaten in staatlichem Besitz. Seit der Herstellung des Deutschen Reiches ist die Sorge für die einheitliche Gestaltung des deutschen Eisenbahnwesens Reichsangelegenheit geworden; sie ist in ihren Grundzügen durch die Reichsverfassung geregelt. Durch Übernahme der elsaß-lothringischen Bahnen geschah der erste Schritt zu eigner Tätigkeit des Reiches auf dem Gebiete des Eisenbahnwesens. Für einheitliche Gestaltung hat namentlich zur Zeit der Zersplitterung des Eisenbahnbesitzes der »Verein deutscher Eisenbahnverwaltungen« (s. Eisenbahnverein) erfolgreiche Fürsorge getroffen. Im allgemeinen kann man für die Entwickelung des deutschen Eisenbahnnetzes vier Perioden unterscheiden: die erste, bis 1840, zeigt die ersten Anfänge von Eisenbahnen bei großen Städten und auch bei kleinern Residenzen; in der zweiten, bis 1848, entstehen schon Eisenbahnlinien zwischen den Mittelstädten; in der dritten, bis 1866, tritt der preußische Staat als Bauunternehmer hinzu, wodurch auch zuerst weniger ertragsfähige Linien nach abgelegenen Landesteilen angelegt wurden; in der vierten Periode, die noch jetzt andauert, herrscht das Bestreben vor, einerseits durch Ausfüllung bestehender Lücken dem ganzen System eine größere Einheit zu geben und den Verkehr ohne Nebenrücksichten zu fördern, anderseits durch Neben- und Kleinbahnen die kleinern Orte und das Land an den großen Verkehr anzuschließen. Die erste Bahn in Deutschland, die Ludwigsbahn (Nürnberg-Fürth), freilich nur 6,04 km lang, ward 7. Dez. 1835 eröffnet, die erste größere, von Leipzig nach Dresden, 1837–39 vollendet. 1838 bis 1840 erhielten die ersten Anfänge von Eisenbahnen Berlin (nach Potsdam), Düsseldorf (nach Elberfeld), Magdeburg (nach Leipzig), Frankfurt a. M. (nach Wiesbaden), Mannheim (nach Heidelberg), Köln, München, Mülhausen im Elsaß u.a. Die erste deutsche Staatsbahn (Braunschweig-Wolfenbüttel) entstand 1838. Von Berlin aus wurde in der nächsten Zeit die Verbindung mit Stettin 1843, Hamburg, Magdeburg und Breslau 1846, Köln und Dresden 1848, München 1851, Frankfurt a. M. und Danzig 1852 erreicht. In der dritten Periode kannte der Eisenbahnbau natürliche Hindernisse nur noch in geringem Maß. Waren zuvor bereits kühne Viadukte ausgeführt worden, so traten jetzt großartige Tunnel und Brücken hinzu. Unter den letztern wurden die Elbbrücke bei Wittenberge schon 1849, die Weichselbrücken bei Dirschau und Marienburg 1857, die Weichselbrücke bei Thorn 1873, die erste Rheinbrücke bei Köln 1859, die zweite bei Kehl 1861, die dritte bei Mainz 1862, die vierte bald darauf bei Koblenz vollendet; seitdem ist der Rhein noch mehrfach überbrückt worden. Die Länge der im Betriebe befindlichen Eisenbahnen in Deutschland betrug in Kilometern:

Tabelle

Am Schluß des Betriebsjahrs 1901 belief sich die Bahnlänge (Eigentumslänge) der deutschen Eisenbahnen (mit Ausnahme der Schmalspur- etc. Bahnen) auf 51,091 km (wovon 18,275 doppelgleisig), so daß auf 100 qkm Fläche 9,7 km und auf je 10,000 Einw. 9,4 km Bahnen entfallen. Die Gesamtlänge verteilte sich auf die Staatsbahnen mit 46,730 km und die Privatbahnen mit 4361 km. Hierzu treten 1893 km Schmalspurbahnen für öffentlichen Verkehr. Das verwendete Anlagekapital für sämtliche vollspurige deutsche Bahnen belief sich auf 13,130,530,787 Mk., d.h. auf 1 km Bahnlänge 257,035 Mk. Von den verwendeten Anlagekapitalien sind beschafft worden bei Staatsbahnen durch Staatsanleihen und aus extraordinären Fonds 12,512,585,040, bei Privatbahnen durch Ausgabe von Aktien und Obligationen 554,263,879 sowie durch schwebende Schulden 63,681,868 Mk. Auf sämtlichen deutschen Eisenbahnen betrug die Zahl der 1901/1902 beförderten Personen 899,306,154 und die der beförderten Gütertonnen 359,348,290.

In Belgien hatte die Regierung schon frühzeitig (1834) durch George Stephenson ein Eisenbahnnetz entwerfen lassen, das, von Mecheln als Knotenpunkt ausgehend, die bedeutendsten Städte des Landes untereinander und mit den Nachbarländern Frankreich und Deutschland in nähere Beziehung brachte. 1840 waren die ersten Staatsbahnen in einer Länge von 323 hm dem Betrieb übergeben worden. Seit 1843 und nach Ausbau der Hauptlinien gestattete der Staat englischen Eisenbahngesellschaften die Anlage weiterer Strecken; erst seit 1870 erwarb er wieder einen Teil der inzwischen entstandenen Privatbahnen und vergrößerte[500] seitdem das alte Netz durch Fusion, Ankauf und weitere Bauten. 1900 betrug die Länge der vom Staat betriebenen Eisenbahnen 4060 km und der von Privatgesellschaften betriebenen 587 km. Außerdem sind ca. 1800 km Vizinalbahnen vorhanden. Eine große Anzahl belgischer Privatbahnen ist im Betrieb fusioniert. 1884/85 wurde die Grundlage für ein weitverzweigtes Netz von schmalspurigen Nebenbahnen geschaffen. Der Betrieb dieser Linien wird nach dem Prinzip der Dezentralisation durch besondere Unternehmer gegen Entrichtung einer Tantieme geleitet. Die Länge der im Betriebe befindlichen Eisenbahnen Belgiens betrug 1901: 6476 km mit einem Anlagekapital von 1524 Mill. Mk. für die Staatsbahnen. Auf je 100 qkm trifft eine Bahnlänge von 22,0 und auf je 10,000 Einw. eine solche von 9,7 km.

In Frankreich hat die Zentralisation des ganzen Staatswesens auch der Gestaltung des Eisenbahnwesens ihren Stempel ausgedrückt. Die einzelnen Linien und das ganze Netz konzentrieren sich ersichtlich um Paris; vom Zentrum laufen die Radien in den Hauptrichtungen nach den Grenzen, nach denen leicht Truppenmassen zu werfen sind. Die Generalinspektionen der Brücken und Chausseen denken für die Eisenbahnbeamten der Provinzen; diese führen als wohldisziplinierte Organe die Anordnungen aus, wobei die fachwissenschaftlich hoch entwickelte Tüchtigkeit des Personals anzuerkennen ist. Die französischen Bahnen entstanden durch Zusammenwirken des Staates mit dem Privatkapital. Die Formen der Staatsunterstützung waren mannigfaltiger Art: bare Zuschüsse in Geld oder Grund und Boden (bis 1884 in einer Gesamtsumme von mehr als 1,5 Milliarden Frank), Zinsgarantiezuschüsse, die mit Einschluß der Zuschüsse für die algerischen Bahnen bis 1883 den Gesamtbetrag von 700 Mill. Fr. erreichten, Begünstigung der Fusionen, lange Konzessionsdauer, milde Handhabung des staatlichen Beaufsichtigungsrechts. Durch seine Eisenbahnpolitik hat der Staat sechs mächtige Monopolgesellschaften (Paris-Lyon-Mittelmeerbahn, Paris-Orléansbahn, Nordbahn, Südbahn, Ostbahn, Westbahn) großgezogen, die ihre einflußreiche Stellung vortrefflich auszubeuten verstanden, dabei aber den Verkehr schlecht bedienten und namentlich einer weitern Ausbreitung des Netzes durch Anlage weniger ertragsfähiger Nebenlinien hinderlich waren. Der Ausführung einer 1877 eingeleiteten Staatseisenbahnpolitik, die mit dem Ankauf von einigen tausend Kilometer notleidender kleinerer Bahnen und mit der Ausstellung eines Planes für 16,000 km neuer Hauptbahnen und 40,000 km Nebenbahnen begonnen wurde und in wenigen Jahren eine Summe von 6,5 Milliarden Fr. erfordert haben würde, stellten sich unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen, man mußte 1884 den sechs großen Gesellschaften die Ausführung der geplanten Bahnlinien unter finanzieller Beteiligung des Staates sowie unter gleichzeitiger Verlängerung der den Gesellschaften erteilten Konzessionen auf 74 Jahre übertragen und damit die Verwirklichung der Staatsbahnprojekte in unabsehbare Ferne verschieben. Die Betriebslänge in Kilometern betrug 1900: Staatsbahnen 2882, Privatbahnen 39,945 (hiervon 33,600 km der sechs großen Gesellschaften), worauf ein Anlagekapital von 13,291 Mill. Mk. entfällt. Ende 1901 waren insgesamt vorhanden: 43,657 km. Auf je 10,000 Einw. kommen 11,3 und auf je 100 qkm Fläche 8,1 km Bahnlänge.

Österreich-Ungarn (wie die Schweiz) wurde durch die natürlichen Verhältnisse gezwungen, zwei große Probleme im Eisenbahnwesen zu lösen: hohe Bergketten, welche die Provinzen scheiden, waren zu durchbrechen und zugleich Massentransporte auf weite Entfernungen zu bewältigen. Die Trassierung von Gebirgsbahnen hatte infolgedessen unerhörte Steigungen und Krümmungen zu überwinden, und es mußte die Gebirgsmaschine für Last- und Schnellzüge konstruiert werden, mit der Österreich auf dem Kontinent voranging. Die verhältnismäßig geringere Dichtigkeit der Bevölkerung, das Vorwiegen des Ackerbaues und die weiten Entfernungen des Reiches erklären die langsamere Bewegung und geringere Zahl der Züge, bez. Eilzüge. – Die Gesamtlänge des österreichisch-ungarischen Eisenbahnnetzes betrug Ende 1901: 37,492 km, worauf ein Anlagekapital von 7,959,573,328 Mk. verwendet worden ist. Es kommen an Bahnlänge auf je 10,000 Einw. 8 und auf je 100 qkm Fläche 5,5 km. Der Stillstand in der Entwickelung des Bahnnetzes hat seit 1880 eine kräftige Initiative seitens des Staates zum Ankauf von Bahnen und zur Verbindung sowie zum Ausbau der in ihrer Gliederung bis dahin z. T. noch unzusammenhängenden einzelnen Verkehrsgruppen hervorgerufen. Das Staatsbahnwesen ist namentlich in Ungarn binnen weniger Jahre weit vorgeschritten und hat zu einer verhältnismäßigen Verdichtung des zuvor lose zusammengefügten und unvollständigen Schienennetzes geführt. Ende 1901 hatten die ungarischen Staatsbahnen eine Länge von 7877 km, und das Netz der Staatsbahnen in Österreich hatte Ende 1901 bereits eine Länge von 11,524 km. Die großen Garantiesummen, welche die kleinen lebensunfähigen Bahnen verschlangen, insbes. aber die Schmälerung der Tarifhoheit des Staates nötigte diesen aus volkswirtschaftlichen Gründen, es zuerst mit Tarifgesetzen zu versuchen, und da diese sich nicht als ausreichend erwiesen, das Staatsbahnsystem anzunehmen. Die Kaiser Franz-Josephs- und die Kaiserin Elisabeth-Westbahn wurden sehr teuer eingelöst. Diese Tatsache und der unbefriedigende Bau- und Materialzustand der vom Staat übernommenen Bahnen üben auf das finanzielle Gesamtergebnis der Staatsbahnen noch immer einen nachteiligen Einfluß, der sich durch die sogen. strategischen Bahnen verschärft, da bei diesen die Ertragsfähigkeit für absehbare Zeit überhaupt ausgeschlossen ist. Vgl. »Geschichte der Eisenbahnen der Österreichisch-Ungarischen Monarchie« (Teschen 1897–99, 4 Bde.).

Das Eisenbahnnetz der Schweiz ist in hohem Grade mannigfaltig. Normalspur, Schmalspur, Bergbahn mit gewöhnlichem Betrieb, mit Zahnrad, mit System Fell, Riggenbach etc., Straßenbahnen, Tramways etc. finden sich hier bunt durcheinander. Das hauptsächlichste Charakteristikum des schweizerischen Eisenbahnwesens bilden die Bergbahnen, deren Bau durch den mächtigen Strom der Vergnügungsreisenden, der sich alljährlich in die Schweiz ergießt, ungemein gefördert wurde. Das gesamte Netz hatte Ende 1901 eine Länge von 3910 km. Das verwendete Anlagekapital betrug (1900 für 3783 km) 1338 Mill. Mk. Auf je 100 qkm treffen 9,4 und auf je 10,000 Einw. 11,8 km.

In Italien hat der Bau der Eisenbahnen seit der Wiederherstellung der staatlichen Einheit einen kräftigen Aufschwung genommen. Durch ein Gesetz von 1879 wurde die Regierung zum Bau von 6020 km neuer Strecken im Bauwert von 1,204,500,000 Fr. ermächtigt, und mit der Ausführung dieses Gesetzes wurde 1880 begonnen. Die Länge des italienischen Eisenbahnnetzes betrug Ende 1901: 15,810 km, so[501] daß auf je 100 qkm Fläche 5,5 und auf je 10,000 Einwohner 4,9 km entfallen. Das Anlagekapital belief sich 1899 für die im Betriebe befindlichen Eisenbahnen auf 4132 Mill. Mk. In besonders ausgedehntem Maß findet seit 1877 die Benutzung öffentlicher Straßen zur Anlage von Schienengleisen für Dampfbetrieb (tramvie a vapore) statt. Diese Benutzung erfolgt meist in der Weise, daß, wie bei den gewöhnlichen Pferdebahnen, die Schienen in den Straßenkörper versenkt werden, so daß der Verkehr des Lastfuhrwerks nicht behindert wird. 1883 waren bereits 1400 km dieser Dampftramways im Betrieb. Eine durchgreifende Veränderung hat das italienische Eisenbahnwesen seit 1885 erfahren. Nachdem der Staat die meisten der auf der Apenninischen Halbinsel und in Sizilien belegenen Eisenbahnen angekauft hatte und die bis dahin in Wirksamkeit gewesenen drei großen Verwaltungen, der oberitalienischen, der römischen und der Südbahnen, aufgelöst waren, sind an deren Stelle auf Grund staatsseitig abgeschlossener Pachtverträge die Betriebsgesellschaften der Mittelmeer-, adriatischen und sizilischen Bahnen getreten. Gleichzeitig wurde das Tarifwesen auf gesetzlichem Weg einer einheitlichen Regelung unterzogen.

In Spanien sind die Eisenbahnen von Privaten hergestellt und werden auch von solchen betrieben. 1896 bestanden 208 Eisenbahngesellschaften mit 147 Hauptbahnlinien, 131 Nebenbahnlinien und 128 Trambahnlinien, von denen 14 Linien Staatsbeihilfe erhielten. Das Netz der Gesellschaft der Eisenbahnen von Nordspanien umfaßt 3672 km und das der Eisenbahnen von Madrid nach Saragossa und Alicante 2927 km. Die Länge der im Königreich überhaupt im Betriebe befindlichen Eisenbahnen betrug 1901: 13,516 km; außerdem wurden Bauten und Vorarbeiten für mehrere hundert Kilometer ausgeführt, so daß die konzessionierte Anzahl von 14,937 km Eisenbahnen voraussichtlich in kurzer Zeit erreicht sein wird. Von den Trambahnlinien, die z. T., wie die von Valladolid nach Medina de Rioseco (45 km) und von Manresa nach Berga (54 km), von beträchtlicher Länge sind, werden 235 km mit Dampf, 75 km mit Elektrizität und 193 km mit Pferden betrieben. Ende 1901 entfallen auf je 100 qkm Fläche 2,7 km und auf je 10,000 Einw. 7,6 km.

In Rußland wurde der Eisenbahnbau erst nach dem Krimkrieg energisch in Angriff genommen. Französische Kapitalisten gründeten eine große russische Eisenbahngesellschaft. Später strömte auch aus Deutschland viel Kapital zu, so daß von 1866 ab sehr fleißig gebaut werden konnte und zahlreiche Bahnen, fast nur Privateisenbahnen, entstanden. Die finanziellen Mittel zum Bau und bei dem bestehenden System der Zinsgarantien teilweise auch zum Betrieb der Bahnen gab die Krone, die für ihr Geld Privatgesellschaften schuf und sich dabei teilweise ihres Einflusses auf diese Gesellschaften beraubte. Rentierte die Bahn, so nahmen die Gesellschaften den Vorteil für sich in Anspruch; war das Gegenteil der Fall, so mußte der Staat den Schaden tragen. So kam es, daß 1882 die Gesamtsumme der Aktien und Obligationen der russischen Bahnen gegen 2 Milliarden Rubel Papier betrug, wovon der Regierung 1070 Mill. Rub. gehörten, durch Zinsgarantien 720 Mill. Rub. beschafft wurden und 180,600,000 Rub. sich im Besitz von Privaten befanden. Es waren demnach neun Zehntel des Anlagekapitals von der Regierung beschafft worden, und doch war die Verwaltung vollständig in den Händen von Privaten. Diese Verhältnisse haben seit 1880 auch die russische Regierung veranlaßt, der Einführung des Staatsbahnsystems näher zu treten. Als Grundlage für diese Wendung der russischen Eisenbahnpolitik ist der vom Kaiser 1881 genehmigte Bau zweier als erforderlich erachteter Linien auf Staatskosten anzusehen. Die obere Leitung der neuerbauten Staatsbahnen ist einer provisorischen Direktion der Staatseisenbahnen übertragen, deren Netz durch die 1883 erfolgte Übernahme des Betriebs der Militärbahnen die erste Erweiterung erfahren hat. Gegenwärtig (1903) befinden sich im Staatsbetriebe 29 Eisenbahnlinien, von denen die Sibirische Eisenbahn in einer Gesamtlänge von 5612 Werst (= 6400 km) die hervorragendste ist. Am dichtesten ist das russische Eisenbahnnetz im westlichen Teil des Reiches, wo verschiedene Strecken ausschließlich für die Zwecke der Landesverteidigung gebaut wurden. Neuerdings ist der Bau einer Bahn von Warschau nach Kalisch mit Anschluß an die preußische Staatsbahn in Skalmierzyce in Aussicht genommen. Ende 1900 betrug die Gesamtlänge der Eisenbahnen Rußlands (einschließlich Finnland) 55,730 hm, wovon ca. 7600 km auf das asiatische Rußland entfallen. An Staatsbahnen waren vorhanden 36,517 Werst, an Privatbahnen 14,579 Werst, außerdem 1135 Werst Bahnen von örtlicher Bedeutung. Das europäische Rußland hatte Ende 1901. 51,409 hm Eisenbahnen. Auf je 100 qkm entfallen 0,9 km und auf je 10,000 Einw. 4,4 km.

In Amerika erblicken wir zum erstenmal die Eisenbahnen als einfache Straßen, oft als die ersten in die Wildnis gebahnten Pfade behandelt. Die Bahnen sollten hier nicht, wie in Europa, schon vorhandenen Verkehr zwischen bedeutenden Plätzen des Handels und der Macht vermitteln, beschleunigen und erleichtern, sondern man legte sie durch Urwald und Steppe, um bisher unwirtbare Gegenden aufzuschließen und die Gründung neuer Häfen, Ortschaften und Städte zu ermöglichen. Schnelligkeit und hauptsächlich Wohlfeilheit des Baues sowie Einfachheit des Betriebes waren Hauptbedingungen bei den Bahnen, die sich ihren Verkehr selbst schaffen sollten. Wegen des Überflusses an Bauhölzern ward überall die Holzkonstruktion angewendet; es wurden flache, leichte Schienen auf Gerüste von Lang- und Querschwellen aufgenagelt; auf diese Weise entstand das amerikanische Oberbausystem. Die Bahnen der Vereinigten Staaten entbehren noch teilweise der Staatsüberwachung und des Charakters, der den Bahnen Europas hinsichtlich ihrer Sicherheit gegeben worden ist. Kurven und Steigungen wurden nicht gescheut, um andre, kostspieligere Bauten zu vermeiden. Man hat hiernach auch die Lokomotionsmittel eingerichtet; bewegliche Gestelle gestatten den Betriebsmitteln den Lauf durch die engsten Krümmungen. Die Bewachung der Bahnen ist auf das Allernotwendigste beschränkt und ebenso die Einrichtungen der zu Anfang meist nur provisorischen Stationen. Aller Glanz ist absichtlich vermieden. Die größern Linien haben einen sehr bedeutenden Verkehr und verzinsen das Anlagekapital ziemlich gut. Sechs gewaltige Bahnunternehmungen haben durch ihre Schienenwege bereits direkte Verbindungen zwischen der Ost- und Westküste hergestellt; Schienenverbindungen führen nach Mexiko und Zentralamerika und vermitteln einen großen Teil des Verkehrs, der vordem ausschließlich auf den Wasserweg angewiesen war. Um den Eisenbahnbau zu fördern, wurden die Eisenbahnkompanien vom Staate durch umfangreiche Konzessionen und verschiedene Gesetze nach jeder Weise unterstützt und außerdem mit Landschenkungen[502] bedacht. Durch diese Begünstigungen und durch den nach und nach gewonnenen Einfluß haben die amerikanischen Bahnen eine dem Staate gegenüber sehr unabhängige Stellung erlangt, die von ihnen häufig mißbraucht worden ist. Es gibt in Amerika mehrere Bahnen, deren Anlagekapital ziemlich willkürlich und ohne triftigen Grund erhöht wurde, während viele andre Bahnen ohne jede Rücksicht auf das öffentliche Interesse verwaltet werden. Durch Konkurrenzlinien und darauf folgende Verbindungen verschiedener Linien zu einem Ganzen sind einzelne große Eisenbahnverbände entstanden, die den Handel und Verkehr ganzer Staaten in die Hand bekommen haben, und für deren Vorgehen noch keine staatliche Kontrolle gefunden werden konnte. Infolge dieser Zustände bereitet sich in der Union eine große Bewegung vor, die dem Staate größern Einfluß auf die Eisenbahnen verschaffen will. Die einzig dastehenden Landschenkungen der Union und die vielen den Eisenbahnen eingeräumten Begünstigungen sind auf der andern Seite auch wieder die Ursache der riesigen Ausdehnung der Eisenbahnen gewesen. Wohl die Hälfte der amerikanischen Bahnen würde ohne Subventionen, Landschenkungen und Krediterweiterung nicht gebaut und Amerikas Wohlstand dadurch nicht in so überraschend schneller Weise gesteigert worden sein. Verschiedene Umstände, namentlich auch der große Holzreichtum des Landes, gestatteten übrigens, die Unionsbahnen um vieles billiger als die europäischen Bahnen herzustellen. Die Verwaltung der amerikanischen Eisenbahnen hat in den letzten Jahrzehnten viele und nicht unberechtigte Angriffe erfahren, die eine große Bewegung hervorriefen, um von der Regierung Gesetze zum Schutz der Rechte der Bevölkerung gegenüber den Eisenbahngesellschaften zu erlangen. Infolgedessen wurden von den gesetzgebenden Körperschaften einzelner Staaten strenge Maßregeln getroffen, unter deren Druck eine große Zahl von Gesellschaften dem Bankrott anheimfiel. Dazu kam, daß für den Bau vieler neuer Linien weniger die Befriedigung eines wirklichen Verkehrsbedürfnisses als vielmehr der dabei zu erzielende Unternehmergewinn entscheidend war. Die Folge davon war, daß ein großer Teil dieser Linien bald in Vermögensverfall geriet. Immerhin hat die Ausstattung des Landes mit weitverzweigten, riesigen Verkehrsmitteln, deren Verhältnisse sich z. T. erst nach erfolgter Liquidation gefestigt haben, einen wesentlichen Hebel für den rasch aufblühenden Wohlstand gebildet. An Einwohnerzahl nur um ca. 18 Millionen stärker als Deutschland, übertreffen die Vereinigten Staaten mit ihrem Schienennetz dasjenige Deutschlands um das Sechsfache und überragen das von ganz Europa gegenwärtig etwa um 30,000 km. Ende 1901 belief sich die Länge der im Betriebe befindlichen Eisenbahnen in den Vereinigten Staaten auf 317,354 km. Demnächst hat auf dem amerikanischen Festland Kanada das ausgedehnteste Eisenbahnnetz aufzuweisen, das in 1842: 26 km, in 1852: 340, in 1862: 3390, in 1872: 4030, in 1882: 12,090, in 1892: 23,550 und in 1901: 29,435 km umfaßte. Hierauf folgen Mexiko mit 15,454 km, Argentinien mit 16,767 km und Brasilien mit 14,798 km, und auch in Chile und den übrigen südamerikanischen Staaten ist der Bahnbau im Aufschwung begriffen. Ganz Amerika besitzt 16,000 km Eisenbahnen mehr als die übrigen Erdteile zusammen.

In Asien wurde Smyrna der Ausgangspunkt für die verhältnismäßig schon frühzeitig (1860) gebaute erste kleinasiatische Bahn Smyrna-Aïdin, der bald die Eisenbahnen von Smyrna nach Kassaba und Alaschehr und von Skutari nach Ismid folgten. Der Bau des in der asiatischen Türkei in Aussicht genommenen Eisenbahnnetzes mit dem Ausgangspunkt Hayder Pascha bei Skutari, das die anatolischen, die syrisch- und kurdisch-mesopotamischen Linien umfaßt, und das den Plan, eine Hauptlinie von Konstantinopel nach Diarbekr und Bagdad zu schaffen, verwirklichen soll, wird sich auf 6364 km erstrecken, wovon bereits 1890: 800 km dem Betrieb übergeben waren. 1892 wurde die zu dieser Hauptlinie gehörige, von der deutschen Gesellschaft Kaulla hergestellte Strecke Ismid-Angora (500 km), bez. die letzte Teilstrecke Eski Schehr-Angora eröffnet (vgl. die Schriften von Menz, Browski, Naumann u.a.). Nachdem auch Anfang 1893 der Gesellschaft Kaulla von der türkischen Regierung die Konzession zur Erbauung der Strecken Eski Schehr-Konia (Ikonion) 4501 km, Angora-Kaisarieh (Cäsarea) 410 km, in der Richtung der indischen Überlandslinie, nach Sabandscha-Eregli (Heraklea), eine Seitenlinie nach dem Schwarzen Meer, erhalten hat, erscheint die baldige Vollendung des geplanten großen Eisenbahnnetzes in der asiatischen Türkei gesichert. Ende 1901 betrug die Länge der in Kleinasien im Betriebe befindlichen Bahnen 2760 km. Die 87 km lange schmalspurige Linie von Jaffa nach Jerusalem, von einer französischen Unternehmerfirma erbaut, ist 26. Sept. 1892 eröffnet worden. Von der in Aussicht genommenen 2000 km langen Mekkabahn (Damaskus-Mekka) waren 1902 die ersten 50 km vollendet. Näheres s. in den Artikeln »Bagdadbahn«, »Kleinasien«. In Britisch-Ostindien wurde schon zu Anfang der 1840er Jahre aus strategischen, politischen und volkswirtschaftlichen Rücksichten der Plan für ein ausgedehntes Eisenbahnnetz entworfen, dessen Entwickelung unter dem gemeinsamen Zusammenwirken des Staates und der Privaten einen ungemein raschen Verlauf nahm. Seit 1870 wurden durchschnittlich 1000 km im Jahre dem Betrieb übergeben, und 1901 betrug hier die Gesamtlänge der Eisenbahnen 40,825 km. Die Eisenbahnen auf Ceylon wie die auf Sumatra und Java sind ebenfalls hier zu nennen, wenngleich sie hinter den Eisenbahnen von Japan, das sich mit der Einführung des europäischen Eisenbahnsystems vollständig vertraut gemacht hat, noch erheblich zurückstehen. Die japanischen Eisenbahnen haben zurzeit eine Ausdehnung von 6550 km, wovon 4773 km auf die Privatbahnen und 1777 km auf die Staatsbahnen entfallen. China, das 1855 nur eine 11 km lange Bahn nach den Kohlenminen von Kaiping besaß, hatte 1901: 1236 km Eisenbahnen. Näheres s. China, S. 45. In Siam besteht seit 1895 eine unter deutscher Leitung gebaute und betriebene Staatsbahn, von Bangkok ausgehend, die durch Eröffnung der Strecke Genghoi-Korat und der Lopburi-Zweiglinie 1900 eine beträchtliche Erweiterung erfahren hat. Über die Eisenbahnen des Asiatischen Rußland s. oben (S. 502) und Artikel »Sibirische Eisenbahn«.

In Afrika wurde zuerst im Nildelta eine E. gebaut, und allmählich ist hier (1901) ein 4646 km langes Eisenbahnnetz entstanden. Ferner führt in Ägypten von Massaua aus eine 27 km lange Linie über Saati nach dem Binnenland, und zur Herstellung eines Ausfuhrweges aus dem ägyptischen Sudan nach dem Roten Meer ist der Bau einer Bahn Chartum-Kassala mit den Endpunkten Suakin und Massaua geplant. Die Vollendung der zur Hebung des Verkehrs mit dem sudanesischen Hochland in [503] Angriff genommenen Bahnbauten ist bei dem Mangel ausreichender Kapitalien in Frage gestellt. Neuerdings hat der französische Kolonialminister einen Gesetzentwurf eingebracht, der die Regierung ermächtigen soll, die zu diesem Zwecke nötigen Summen vorzustrecken. Noch bedeutender sind die in Algerien und Tunis von Frankreich seit 1860 erbauten Bahnen, die in hervorragender Weise die Kolonisation des Landes fördern. Am Ende des Jahres 1900 bestanden in Algerien bereits 3179 km Eisenbahnen für den öffentlichen Verkehr. Hierzu treten 1072 km auf tunesischem Gebiete (Tunis-Dahlet-Janduba und Tunis-Goletta) und verschiedene Schmalspurbahnen in den französischen Kolonien und Schutzgebieten von Senegal und der Insel Réunion. 1901 hatten Algier und Tunis zusammen 4894 km Eisenbahnen. Ein zu wiederholten Malen aufgetauchter Plan, die Gebiete des Niger und Senegal durch eine von Algier und durch die Sahara nach dem Tsadsee zu legende Bahn zu erschließen, dürfte vorerst noch an den Schwierigkeiten der Durchführung scheitern. Dagegen haben die Franzosen eine von ihren Besitzungen in Senegambien ausgehende Bahn, die zum Niger führt, bereits vollendet. Für die Linie von Bafulabe am Senegal bis Bamako am Niger sowie für eine Linie von Dakar nach Patirk im Reiche Baol hat eine Abteilung des französischen Eisenbahnregiments 1892 und 1893 die Vorarbeiten und Entwürfe hergestellt. Außerdem hat diese Abteilung den Betrieb der Obersenegalesischen E., die bisher von Kayas bis Bafulabe hergestellt ist, eingerichtet.

Im Kapland war die englische Kolonialregierung seit 1862 auf Erschließung des Landes durch Eisenbahnen bedacht, infolgedessen 1865 schon 234 km dem Betrieb übergeben werden konnten. 1901 war hier die Länge der Eisenbahnen auf 3361 km angewachsen. In der frühern Südafrikanischen Republik (Transvaal) hat sich der Eisenbahnbau seit 1892 lebhaft entwickelt. Ende 1901 waren 1935 km vorhanden. In Deutsch-Ostafrika ist von der Usambara-E. die Teilstrecke Tanga-Muhesa (43 km) seit 1895 in Betrieb. Ende 1901 waren weitere 47 km fertiggestellt. Diese Bahn wird die Entwickelung der gesamten Hinterlandschaften von Tanga wesenlich fördern, zumal da die Linie Tanga-Korogwe eine Fortsetzung in tunlichst gerader Rich tung zum Viktoriasee erhalten soll. Ferner soll eine Bahn von Dar es Salam nach Mrogoro gebaut werden. In Britisch-Ostafrika ist Ende 1901 die Ugandabahn von Mombas nach dem Victoriasee (657 Meilen) vollendet worden, die auch für die deutsche Kolonialpolitik von hoher Bedeutung ist. Für England hat sie auch strategische Wichtigkeit; sie macht das Protektoratsgebiet von Uganda der britischen Kontrolle und Herrschaft zugänglicher. Portugiesisch-Ostafrika hat ca. 430 km Bahnlinien, und im Kongoftaat waren Ende 1900: 444 km vorhanden. In Deutsch-Südwestafrika ist die ca. 400 km lange Linie Swakopmund-Windhuk 21. Juni 1902 eröffnet worden, und in Kamerun ist der Bau einer E. vom Kamerundelta nach dem Innern in der Richtung auf Mundame geplant. Vgl. Hans Meyer, Die Eisenbahnen im tropischen Afrika (Leipz. 1902).

In Australien haben sich die Eisenbahnen ebenfalls rasch entwickelt. Während noch 1870 die gesamte Streckenlänge 1530 km betrug, war sie 1885 bereits auf rund 13,000 km angewachsen, und jetzt kommt ungefähr 1 km Eisenbahnstrecke auf 333 qkm. Die besonders kräftige Entwickelung der Bahnen in den Kolonien Neusüdwales, Queensland und Victoria ist z. T. dem Umstand zuzuschreiben, daß sich in den beiden erstgenannten Kohle findet, und daß die Industrie ihren Sitz hauptsächlich in Victoria aufgeschlagen hat. Hier entfällt 1 km E. auf 43 qkm. 1901 waren in Australien 25,185 km (in Neuseeland 3767 km und in Tasmania 771 km) Eisenbahnen vorhanden, wovon die erste Strecke 1854 eröffnet wurde.

Zunahme der Bahnlängen und Eisenbahndichtigkeit. Nachdem 1825 auf der 41 km langen Linie Stockton-Darlington der erste mit Personen besetzte Zug von einer Lokomotive befördert und 1830 die Strecke Liverpool-Manchester dem allgemei nen Personen- und Güterverkehr übergeben war, folgten mit dem Bau von Eisenbahnen 1827 die Vereinigten Staaten von Nordamerika, 1828 Österreich-Ungarn und Frankreich, 1835 Deutschland und Belgien, 1837 Cuba, 1838 Rußland, 1839 Italien und die Niederlande und 1840 Kanada, so daß bereits am Schluß des Jahres 1840 die Länge der Eisenbahnen in Europa 2925, in Amerika 4754 km betrug. Die Zunahme der Bahnlänge belief sich hierauf in Prozenten:

Tabelle

Erscheint hiernach die Eisenbahnlänge im ganzen von Jahrzehnt zu Jahrzehnt im Wachsen begriffen, so erweist sich doch diese Vergrößerung nicht in allen Län dern als eine stetige, da in den vornehmsten Kulturstaaten mit dem fortschreitenden Ausbau des überhaupt für notwendig erachteten Eisenbahnnetzes der Zuwachs sich naturgemäß verringern mußte. Die Länge der am Schluß des Jahres 1900 auf der Erd. vorhanden gewesenen Eisenbahnen entspricht etwa dem 20fachen Umfang der Erde am Äquator und ergibt die doppelte mittlere Entfernung des Mondes von der Erde. Von dieser Länge ent fallen in Hundertteilen auf Europa 36, Amerika 51, Asien 71/2, Australien 3 und Afrika 21/2. Der Reihenfolge nach haben die größte Eisenbahnlänge in Europa: Deutschland, Rußland, Frankreich, Österreich-Ungarn und Großbritannien mit Irland; in Amerika: die Vereinigten Staaten und Kanada; in Asien: Britisch-Ostindien, Sibirien und Mandschurei, Japan und das russischtranskaspische Gebiet und in Australien: Victoria, Neusüdwales und Queensland, während die Eisenbahnlänge in den übrigen Staaten (wenn man von den australischen Kolonien absieht) hinter der der genannten Länder erheblich zurücksteht.

In bezug auf das Verhältnis der Eisenbahnlänge zur Flächengröße der einzelnen Länder (Eisenbahndichtigkeit) steht Ende 1900 Belgien mit 22 km auf je 100 qkm Fläche obenan. Es folgen: Königreich Sachsen mit 19 km, Baden und Elsaß-Lothringen mit je 13 km und Großbritannien mit Irland mit 11,4 km auf je 100 qkm. Die Eisenbahndichtigkeit des Deutschen Reiches im ganzen zeigt sich um ein Geringes größer als die Frankreichs, indem in Deutschland 9,5, in Frankreich 81 km Eisenbahnen auf je 100 qkm Fläche entfallen. In bezug auf da-Verhältnis der Eisenbahnlänge zur Bevölkerung steht unter den europäischen Ländern Schweden mit 22,4 km Eisenbahnen auf je 10,000 Einwohnern obenan. Danach folgen zunächst Dänemark mit 12,3 km, die [504] Schweiz mit 11,4 km, Frankreich mit 11,1 km, Bayern, Baden und Elsaß-Lothringen mit je 11 km. Dieser Vergleich stellt sich für dünnbevölkerte, ausgedehnte Länder natürlich günstiger als für volkreiche Staaten und ist deshalb nur von untergeordnetem Werte. So entfällt auf das schwachbevölkerte Westaustralien im Verhältnis zur Einwohnerzahl die größte Eisenbahnlänge. Die nördlichste E. der Erde ist die schwedische Eisenbahnlinie von Luleå am Bottnischen Meerbusen nach den Eisengruben von Gellivara, die 1894 eröffnet wurde und bis Nawik an der norwegischen Küste weitergeführt ist. Die südlichsten Eisenbahnlinien der Erde sind die von Tasmania, Neuseeland und Südamerika. Am nächsten dem Südpol liegt die Eisenbahnstrecke zwischen Invercargill und Campbelltown, der äußersten Südspitze von Neuseeland. Die höchste E. in Europa besitzt die Schweiz in der Linie von Zermatt auf den Gorner Grat (3018 m), die aber bald durch die im Bau begriffene Jungfraubahn überflügelt sein wird (s. die Artikel »Bergbahnen« u. »Gebirgsbahnen« mit Tafeln). Am höchsten erhebt sich die Bahn von Callao nach Oroya in Peru, die im Tunnel von Galera eine Höhe von 4774 m ersteigt.

Über die Entwickelung des Eisenbahnnetzes der Erde und die Betriebsergebnisse der wichtigsten deutschen und ausländischen Eisenbahnen unterrichten die beifolgenden Tabellen I-III.

[Literatur.] Vgl. Röll, Enzyklopädie des gesamten Eisenbahnwesens (Wien 1890–95, 7 Bde.); Heusinger von Waldegg, Handbuch der speziellen Eisenbahntechnik (Leipz. 1874–82, 5 Bde.); v. Weber, Schule des Eisenbahnwesens (4. Aufl., das. 1885); Sax, Die Verkehrsmittel in Volks- und Staatswirtschaft, Bd. 2 (Wien 1879); Picard, Traité des chemins de fer (Par. 1887, 4 Bde.); v. Schweiger-Lerchenfeld, Vom rollenden Flügelrad. Darstellung der Technik des heutigen Eisenbahnwesens (Wien 1894); Hadley, Railroad transportation, its history, and its laws (New York u. Lond. 1886); Stürmer, Geschichte der Eisenbahnen (Bromb. 1872–76, 2 Bde.); Schmeidler, Geschichte des deutschen Eisenbahnwesens (Leipz. 1871); Riegels, Die Verkehrsgeschichte der deutschen Eisenbahnen (Elberf. 1889); Lange, Handbuch des gesamten Verkehrswesens des Deutschen Reiches (6. Aufl., Dresd. 1903); Picard, Les chemins de fer français (Par. 1883–84, 6 Bde.); v. Kaufmann, Die Eisenbahnpolitik Frankreichs (Stuttg. 1896, 2 Bde.); Cohn: Untersuchungen über die englische Eisenbahnpolitik (das. 1874–83, 3 Bde.), Nationalökonomie des Handels und des Verkehrswesens (das. 1898), Zur Geschichte und Politik des Verkehrswesens (das. 1900); Frank, Der Betrieb auf den englischen Bahnen (Wien 1886); von der Leyen, Die nordamerikanischen Eisenbahnen in ihren wirtschaftlichen und politischen Beziehungen (Leipz. 1885); Derselbe, Die Finanz- und Verkehrspolitik der nordamerikanischen Eisenbahnen (2. Aufl., Berl. 1895); Büte, Die nordamerikanischen Eisenbahnen in technischer Beziehung (Wiesb. 1892); Pratt, American railways (New York 1903); Krönig, Die Verwaltung der preußischen Staatseisenbahnen (Bresl. 1891–92); Cauer, Betrieb und Verkehr der preußischen Staatsbahnen (Berl. 1897); Frh. zu Weichs-Glon, Das finanzielle und soziale Wesen der modernen Verkehrsmittel (Tübing. 1894); de Terra, Soziale Verkehrspolitik (Berl. 1895); Derselbe, Im Zeichen des Verkehrs (das. 1899); Schwarzkopf, Eisenbahnhandbuch (Stuttg. 1900). Weitere Literatur in den folgenden Sonderartikeln.

Zeitschriften etc. »Archiv für Eisenbahnwesen«, herausgegeben im preußischen Ministerium der öffentlichen Arbeiten; »Deutsche Eisenbahnbeamtenzeitung« (Stuttg.); »Organ für die Fortschritte des Eisenbahnwesens in technischer Beziehung« (Wiesb.); »Zeitung des Vereins deutscher Eisenbahnverwaltungen« und die von diesem jährlich veröffentlichten »Statistischen Nachrichten«; »Statistische Nachrichten über die Eisenbahnen der österreichisch-ungarischen Monarchie« (amtlich, jährlich); »Österreichische Eisenbahnzeitung« (Wien); »Reform« (Wien-Leipz.); »Almanach der k. k. österreichischen Staatsbahnen«; »Railway Engineer« und »Railway News« (Lond.); »Die Schweizer Bahnen« (Zürich); »Monitore delle strade ferrate« (Turin); »Statistik der im Betriebe befindlichen Eisenbahnen Deutschlands«, herausgegeben im Reichseisenbahnamt; »Statistik der Güterbewegung auf deutschen Eisenbahnen«, herausgegeben im preußischen Ministerium der öffentlichen Arbeiten; Poors »Manual of the railroads of the United States« (jährlich, New York); »Railroad-Gazette« (das.); »Revue générale des chemins de fer« und »Journal des transports« (Par.). Über die finanziellen Verhältnisse vgl. außerdem die verschiedenen Börsen-Jahrbücher, »Board of Trade Railway returns« (Lond.), Burdetts »Official Intelligence« (das., jährlich) u.a.

Karten: Liebenow, Karte von Zentraleuropa zur Übersicht der Eisenbahnen, 6 Blatt 1: 250,000 (35. Aufl., Berl. 1903), daraus besondere Ausgabe für Deutschland in 4 Blatt; Koch u. Opitz, Eisenbahnverkehrsatlas des Deutschen Reichs, 26 Sektionen 1: 600,000 (2. Aufl., Leipz. 1897); Nietmann, Eisenbahnatlas für Deutsches Reich, Österreich-Ungarn etc. und angrenzende Gebiete, 32 Karten mit Text (8. Aufl., das. 1902); Flemmings »Großer Atlas der Eisenbahnen von Mitteleuropa«, 64 Karten (neue Ausg. im Erscheinen, Glogau); »Übersichtskarte der Verwaltungsbezirke der königl. preußischen Eisenbahndirektionen etc.«, bearbeitet im Ministerium der öffentlichen Arbeiten, 4 Blatt 1: 1,000,000 (Berl. 1901).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 5. Leipzig 1906, S. 497-505.
Lizenz:
Faksimiles:
497 | 498 | 499 | 500 | 501 | 502 | 503 | 504 | 505
Kategorien:

Buchempfehlung

Mickiewicz, Adam

Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen

Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen

Pan Tadeusz erzählt die Geschichte des Dorfes Soplicowo im 1811 zwischen Russland, Preußen und Österreich geteilten Polen. Im Streit um ein Schloß verfeinden sich zwei Adelsgeschlechter und Pan Tadeusz verliebt sich in Zosia. Das Nationalepos von Pan Tadeusz ist Pflichtlektüre in Polens Schulen und gilt nach der Bibel noch heute als meistgelesenes Buch.

266 Seiten, 14.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon