[467⇒] Psychologīe (grch.), Seelenlehre, die Wissenschaft von der Seele und von den Gesetzen des seelischen Lebens. Die Quelle der P. als Erfahrungswissenschaft (empirische P.) ist die Selbstbeobachtung; die rationale P. sucht das Wesen der Seele auf spekulativem Wege zu erkennen. Erstere haben in neuerer Zeit namentlich Herbart und Beneke ausgebildet, letztere die naturphilos. Schule und Hegel. – Vgl. Steinthal, »Einleitung in die P. und Sprachwissenschaft« (2. Aufl. 1881); Lazarus, »Das Leben der Seele« (3 Bde., 3. Aufl. 1883-97); Erdmann, »Psychol. Briefe« (7. Aufl. 1896); Wundt, »Physiol. P.« (5. Aufl. 1902 fg.); ders., »Grundriß der P.« (7. Aufl. 1905), Jodl (2. Aufl., 2 Bde., 1903), Ziehen (6. Aufl. 1902), Külpe, »Grundriß der P. auf experimenteller Grundlage« (1893); Titchener, »Experimental psychology« (1901 fg.), Ebbinghaus (1901 fg.); Geschichte der P. von Siebeck (1880 fg.), Sommer (1892), Dessoir (2. Aufl. 1902 fg.), von Hartmann (1901), Villa (deutsch 1902). – Psycholōg, Seelenforscher, Seelenkundiger; psycholōgisch, zur Seelenkunde gehörig, sie betreffend. [⇐467]
[424⇒] Psychologie (griech., Seelenlehre, von psyche, »Seele«), die Wissenschaft, die sich ebenso mit der Erforschung der innern, seelischen Erscheinungen beschäftigt wie die Naturwissenschaft mit derjenigen der äußern, physischen Vorgänge. Den Rang einer selbständigen Wissenschaft kann die P. nur behaupten, wenn die Selbständigkeit und Eigenart der seelischen Innenwelt gegenüber der materiellen Außenwelt anerkannt wird. Auf dem Standpunkte des Materialismus (s. d.), der das Seelenleben als ein Nebenprodukt des physischen Lebensprozesses betrachtet, fällt deshalb die P. von vornherein aus, bez. sie erscheint lediglich als ein Kapitel in der Physiologie des Gehirns, wie das noch in der neuern Zeit Comte, Moleschott, Büchner u. a. ausgesprochen haben. Aber auch nachdem im Altertum durch Platon und Aristoteles und schärfer in der Neuzeit durch Descartes der Unterschied des Physischen und Psychischen hervorgehoben worden war, blieb die P. noch lange eine unsichere und schwankende Disziplin, weil man sich weniger mit der Erforschung der einzelnen seelischen Erscheinungen als mit der metaphysischen Frage nach dem Wesen der Seele beschäftigte und die P. mehr auf Spekulation als auf Erfahrung gründete; doch findet man nebenbei bei Descartes, Spinoza, Leibniz und andern spekulativen Psycho logen auch zahlreiche richtige und seine psychologische Beobachtungen. Einen bedeutenden Anstoß empfing die P. durch Locke, indem dieser der äußern Wahrnehmung, der Grundlage des Naturerkennens, ausdrücklich eine innere als Grundlage der psychologischen Selbsterkenntnis gegenüberstellte und damit die P. auf den Weg der planmäßigen innern Beobachtung verwies. Noch entschiedener kommt diese Richtung bei Hume und der schottischen Schule zur Geltung, während die ebenfalls an Locke sich anschließenden französischen Sensualisten und Ideologen (Condillac, Bonnet, Helvetius, Cabanis u. a.) die P. in einseitiger Weise auf das Dogma des Sensualismus (s. d.) ausbauten. Die durch Hume begründete Assoziationspsychologie (so genannt nach dem Gesetz der Ideenassoziation, in dem Hume das oberste Naturgesetz des seelischen Lebens zu erkennen glaubte) hat in England bis zur Gegenwart allein geherrscht, und ihre Anhänger, unter denen im 19. Jahrh. James Mill, John Stuart Mill, Bain, Spencer u. a. zu nennen sind, haben Hervorragendes geleistet. In Deutschland suchte Chr. Wolff, der zuerst die P. systematisch bearbeitete, die empirische und die spekulative Methode zu verbinden, indem er einen rationalen, von metaphysischen Voraussetzungen ausgehenden, und einen empirischen [⇐424][425⇒] Teil der P. unterschied, und beide Forschungsrichtungen haben seitdem in Deutschland tüchtige Vertreter gefunden. Der rationalen P. verhalfen, obwohl Kant sie aus wesentlich denselben Gründen wie Locke für illusorisch erklärt hatte, Herbart und seine Schüler zu neuem Aufschwung, indem sie unter Zugrundelegung einiger der Metaphysik entlehnter Fundamentalsätze versuchten, die konkreten psychologischen Tatsachen nach dem Vorbilde der theoretischen Naturwissenschaft mathematisch zu deduzieren und die ganze P. als eine »Mechanik der Vorstellungen« aufzubauen (mathematische P.). Daneben hat die Herbartsche Schule (Drobisch, Waitz, Steinthal, Volkmann) aber auch sehr Tüchtiges auf dem Gebiete der empirischen P. geleistet. In der neuesten Zeit trat die durch die psychophysischen Untersuchungen Fechners und die sinnesphysiologischen Helmholtz' vorbereitete, durch Wundt begründete physiologische oder richtiger experimentelle P. hervor. Ausgehend von der tatsächlich bestehenden Verknüpfung der psychischen Vorgänge mit physiologischen (im Nervensystem), sucht diese in erster Linie die Gesetze und Formen dieses Zusammenhanges in exakter Weise zu bestimmen (vgl. Psychophysik), dann überhaupt an der Hand der physiologischen Betrachtungsweise in den innern Zusammenhang und Verlauf der seelischen Erscheinungen tiefer einzudringen; hauptsächlich aber geht sie darauf aus, durch Änderung der äußern Bedingungen in bestimmter Weise ändernd auf die innern Vorgänge einzuwirken und so die bisher in der P. ausschließlich zur Anwendung gekommene Methode der (Selbst-) Beobachtung durch die viel fruchtbarere des Experiments zu ergänzen.
Die Aufgabe der P. als einer empirischen Realwissenschaft ist vor allem die, die tatsächlich gegebenen Erscheinungen des Seelenlebens zu beschreiben und durch Analyse in ihre einfachsten Elemente aufzulösen. Das unwissenschaftliche Denken hat hier zwar schon vorgearbeitet, indem es die innern Zustände in bestimmter Weise klassifiziert und auf allgemeine Begriffe (wie Empfindung, Vorstellung, Gefühl, Wille etc.) gebracht hat; die P. hat jedoch die in der Sprache fixierten psychologischen Unterscheidungen erst zu prüfen und, wenn nötig, zu berichtigen und darf sich keinesfalls dazu verleiten lassen, in falscher Anwendung des physikalischen Kraftbegriffes deswegen, weil die seelischen Erscheinungen auf gewisse Haupttypen zurückführbar sind (z. B. des Vorstellens, Fühlens und Wollens), dementsprechend eine Mehrzahl spezifischer »Seelenvermögen« vorauszusetzen (wie es durch Wolff in Gebrauch kam). Die Formen und Gesetze der teils sukzessiven, teils simultanen Verknüpfung der Seelenzustände zu ermitteln, ist die zweite Aufgabe der P. Diese wird durch den Umstand besonders erschwert, daß in der seelischen Innenwelt keine beharrlich und unabhängig voneinander existierenden Elemente (wie die Atome in der physischen Welt) sich vorfinden, sondern alles in beständigem Flusse begriffen ist, und daß es kein gleichgültiges und wirkungsloses Nebeneinander gibt (wie bei den Dingen im Raum), sondern alle gleichzeitig vorhandenen innern Bestimmungen in innigster Wechselbeziehung stehen; hierzu kommt weiter noch die Tatsache, daß für den Fortgang des innern Geschehens jeweilen nicht nur der augenblicklich vorhandene Seelenzustand, sondern auch die Gesamtheit aller Vorerlebnisse, die ganze Vergangenheit des Individuums mitbestimmend ist. Die Annahme einer das innere Geschehen beherrschenden mechanischen Gesetzmäßigkeit, auf die Herbart seine »Mechanik der Vorstellungen« gründete, ist deswegen nur unter willkürlichen metaphysischen Voraussetzungen durch führbar, in Wahrheit gleicht dasselbe einem Entwickelungsprozeß, der aus dem Zusammenwirken wechselnder Bedingungen und relativ konstanter (aber selbst im Laufe des Prozesses sich langsam verändernder) Anlagen hervorgeht. Überhaupt kann in der P. von Gesetzen im Sinne der Naturgesetze, die es erlaubten, aus gegebenen Ursachen die zu erwartenden Wirkungen als notwendige Folge jener abzuleiten, keine Rede sein; die psychologischen »Gesetze« sind nur Ausdrücke für gewisse typische Formen des innern Geschehens, und das Ziel psychologischer Erklärungen kann immer nur dies sein, zu gegebenen innern Erscheinungen die Bedingungen und Ursachen (regressiv) aufzusuchen, die jene verständlich erscheinen lassen, nicht aber (progressiv) die unter gegebenen Umständen eintretenden Erscheinungen vorauszusagen.
Insofern in dem individuellen Seelenleben überall teils physiologische Bedingungen, teils fremde geistige Einflüsse sich geltend machen, erfordert die P. des Individuums zu ihrer Ergänzung einerseits die Psychophysik (s. d.), anderseits die Sozial- oder Völkerpsychologie (s. d.). Die letztere (durch Steinthal und Lazarus begründete, in der Gegenwart besonders durch Bastian eigenartig behandelte) Disziplin bedarf freilich, indem sie die Entstehung der objektiven Erzeugnisse des Volksgeistes, wie Sprache, Mythus, Sitte etc., zu erklären sucht, ebensosehr der Individualpsychologie und der von dieser festgestellten allgemeinen (abstrakten) Prinzipien des psychischen Lebens, wie sie ihrerseits zur Erklärung des konkreten Inhalts, der dem Seelenleben des Einzelnen aus dem geistigen Leben der Gesamtheit so mannigfach zufließt, und der Entwickelungsimpulse, die jenes von diesem empfängt, heranzuziehen ist. Als weitere Abzweigungen der allgemeinen P. sind in der Neuzeit noch eine Kinderpsychologie (s. d. und Psychogenesis) und eine Tierpsychologie (s. d.), jene durch Kußmaul, Preyer, Compayré, Stern u. a., diese durch Spencer, Romanes, Schneider, Lubbock, Espinas, Löb, Groos, Wasmann u. a. begründet und entwickelt worden. Beide wurzeln in dem Gedanken, daß die seelischen Funktionen des erwachsenen Menschen Resultate eines Entwickelungsprozesses sind, und daß wie überall, so auch hier das Verständnis des Gewordenen durch die Kenntnis des Werdeganges gefördert wird. Endlich hat man in der Gegenwart auch begonnen, die Psychopathologie, die Wissenschaft von den abnormen und krankhaften Äußerungen des Seelenlebens, aus rein theoretisch-psychologischem Interesse zu kultivieren (Meynert, Maudsley, Ribot, Krafft-Ebing, Janet, Kräpelin), mit der die Kriminalpsychologie (s. d.), die ein vertieftes psychologisches Verständnis des Verbrechens erstrebt, zusammenhängt. Hierher gehört auch die psychologische Erforschung und Theorie des Hypnotismus (s. d.), der Suggestion (s. d.) und verwandter Erscheinungen, die zurzeit bei vielen im Vordergrunde des psychologischen Interesses stehen, und die leider in Verbindung mit den sogen. spiritistischen Phänomenen und andern in das Gebiet des Okkultismus fallenden angeblichen Tatsachen eine mystisch-spekulative Richtung der P. (Du Prel) veranlaßt haben.
Was die Forschungsmethoden der (allgemeinen) P. betrifft, so kann man (nach Münsterberg) [⇐425][426⇒] einerseits beobachtende und experimentelle, anderseits unmittelbare (auf die subjektive Wahrnehmung der eignen innern Zustände gegründete) und mittelbare (auf die objektive Beobachtung andrer beseelter Wesen gegründete) unterscheiden. Die einfachste und nächstliegende Methode ist die Selbstbeobachtung, auf die sich die ältere P., soweit sie überhaupt empirisch vorging, fast ausschließlich gestützt hat. Die in neuerer Zeit gegen sie erhobenen Bedenken (daß das beobachtende Subjekt nicht zugleich beobachtetes Objekt sein könne, daß der Verlauf der innern Zustände durch die auf sie gerichtete Aufmerksamkeit gestört werde etc.) sind nur teilweise berechtigt. Allerdings erfordert sie eine gewisse Übung, und in gewissen Zuständen (z. B. starken Affekten) ist es kaum möglich, während des Affekts selbst die beobachtende Aufmerksamkeit auf diesen zu konzentrieren, aber dessenungeachtet bleibt sie die Basis aller psychologischen Feststellungen, nur bedarf sie bei ihren unvermeidlichen Mängeln einer Ergänzung. Eine solche wird geliefert einerseits durch die Vergleichung der Resultate der eignen mit denen fremder Selbstbeobachtung; Autobiographien, die Selbstschilderung besonders ungewöhnlicher innerer Zustände, z. B. von Haschischessern und Blinden etc., haben deshalb oft für die P. einen bedeutenden Wert, ja man hat in neuerer Zeit gewisse Fragen, z. B. über das Traumleben, über die Häufigkeit bestimmter Assoziationen etc., geradezu durch statistische Erhebungen zu beantworten gesucht; anderseits durch die Methode der objektiven (psychologischen) Beobachtung. So lassen sich die Affekte und ihre äußern Ausdrucksformen fast nur an fremden Personen studieren. Besondere Bedeutung hat aber die Beobachtung von Individuen, deren Geistesleben von dem des erwachsenen Kulturmenschen wesentlich abweicht, indem es entweder, wie dasjenige der Kinder, Naturmenschen, Tiere, Erscheinungen, die bei jenem sehr kompliziert sind, in primitiver Einfachheit darbietet und so die wesentlichen Faktoren leichter erkennen läßt, oder, wie dasjenige von Geisteskranken, Personen mit Sinnes- oder Gehirndefekten, Verbrechern etc., aus den Abweichungen vom normalen Verlauf, die hier durch die aufgehobene oder verstärkte Wirksamkeit einzelner physiologischer oder psychischer Faktoren entstehen, Schlüsse auf den verborgenen Mechanismus des normalen psychischen Geschehens zu ziehen erlaubt. Endlich lassen sich auch geschichtliche Tatsachen (z. B. die historischen Schilderungen des Verhaltens einzelner hervorragender Persönlichkeiten, der Entstehung großer politischer oder kulturgeschichtlicher Bewegungen etc.), die Feststellungen der Völkerpsychologie, ja sogar manche dichterische Darstellungen (z. B. die Charakterschilderungen Shakespeares) psychologisch verwerten. Unter den experimentellen Methoden sind an erster Stelle diejenigen zu nennen, die am erwachsenen, normalen Individuum mit dessen Wissen und Wollen so ausgeführt werden, daß zur Erlangung des Versuchsergebnisses immer zugleich die Selbstbeobachtung des Versuchsindividuums mitwirkt. Die im Vergleich mit den Vorgängen in der äußern Natur unverhältnismäßig größere Verwickelung des psychischen Geschehens ist nicht, wie man gemeint hat, ein Hindernis für die Anwendung der experimentellen Methode, vielmehr dient diese gerade dazu, in die verwickeltern Zusammenhänge einzudringen, indem sie es ermöglicht, konstante, leicht will kürlich zu wiederholende Bedingungen für die psychischen Prozesse herzustellen und so deren genauere (innere) Beobachtung zu ermöglichen. Haben sich die experimentellen Forschungen bisher naturgemäß zunächst auf möglichst einfache psychische Vorgänge beschränkt, so steht doch ihrer Ausdehnung auf das gesamte Gebiet des psychischen Geschehens kein prinzipielles Hindernis entgegen, und die rege Tätigkeit die eine große Zahl älterer und jüngerer Forscher (von denen neben Wundt nur Stumpf, Lange, James, Ziehen, Külpe, Ebbinghaus, G. E. Müller, Martius, Stern, Meumann genannt seien) auf diesem Gebiet entfaltet, läßt für die Zukunft noch reiche Früchte erwarten. Psychologische Laboratorien sind nach dem Vorbilde des von Wundt in Leipzig zuerst eingerichteten an einer großen Zahl in- und ausländischer Hochschulen begründet worden. Einen geringern Wert haben die Experimente an Tieren, Kindern, Hypnotisierten und Geisteskranken, die ohne Mitwirkung der Selbstbeobachtung der betreffenden Individuen vorgenommen werden müssen und deshalb oft mehrfacher psychologischer Deutungen fähig sind; ebenso knüpfen an das experimentelle Studium des Hypnotismus zwar viele die größten Erwartungen, andre (wie Wundt) versprechen sich jedoch davon nur eine geringe Ausbeute neuer Einsichten in das Getriebe des Seelenlebens.
Abgesehen von ihrem selbständigen theoretischen Interesse hat die P. eine hohe Bedeutung als die gemeinsame Grundlage und das vermittelnde Band aller Geisteswissenschaften, wenn auch die letztern wegen der noch sehr unvollkommenen und schwankenden Verfassung der P. bisher noch nicht den Nutzen aus ihr haben ziehen können, den sie in Zukunft gewiß ziehen werden; doch macht sich in der Sprachwissenschaft, der vergleichenden Religionswissenschaft, der Staats- und Sozialwissenschaft, der Strafrechtslehre, der Geschichte das Streben nach Gewinnung psychologischer Grundlagen, die Anwendung psychologischer Erklärungsprinzipien, welche die Pädagogik, Ethik und Ästhetik von jeher nicht entbehren konnten, immer mehr bemerklich.
Vgl. Siebeck, Geschichte der P. (1. Teil, Gotha 188084, 2 Bde., bis zu Thomas von Aquino); Dessoir, Geschichte der neuern deutschen P. (Bd. 1, von Leibniz bis Kant, 2. Aufl., Berl. 1902); Münsterberg, Über Aufgaben und Methoden der P. (Leipz. 1891); Spitta, Die psychologische Forschung und ihre Aufgabe (Freib. i. Br. 1889); E. v. Hartmann, Die moderne P. (Leipz. 1901); Stern, Die psychologische Arbeit des 19. Jahrhunderts insbes. in Deutschland (Berl. 1900).
Hauptwerke der P. sind: Herbart, P. als Wissenschaft (»Gesammelte Werke«, Bd. 5 u. 6); Beneke, Pragmatische P. oder Seelenlehre in der Anwendung auf das Leben (Berl. 1850, 2 Bde.); Volkmann, Lehrbuch der P. vom Standpunkte des Realismus (4. Aufl., Köthen 189495, 2 Bde.); Brentano, P. vom empirischen Standpunkt (Bd. 1, Leipz. 1874); Lazarus, Das Leben der Seele (3. Aufl., Berl. 188397, 3 Bde.); Lotze, Medizinische P. (Leipz. 1852; Neudruck, Götting. 1896) und Mikrokosmos (5. Aufl., das. 18961905, 2 Bde.); Bain, The senses and the intellect (4. Aufl., Lond. 1894); Spencer, Prinzipien der P. (deutsch von Vetter, 2. Aufl., Stuttg. 1903); Wundt, Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele (4. Aufl., Hamb. 1906) und Grundzüge der physiologischen P. (5. Aufl., Leipz. 190203, 3 Bde.); Sully, Outlines of psychology (7. Aufl., Lond. 1892); W. James, Principle of psychology (das. 1890, 2 Bde.); Jodl, Lehrbuch der [⇐426][427⇒] P. (2. Aufl., Stuttg. 1903, 2 Bde.); Münsterberg, Grundzüge der P. (Leipz. 1900, Bd. 1); Ebbinghaus, Grundzüge der P. (Bd. 1 in 2. Aufl., das. 1905). Kürzere Leitfäden: Ziehen, Leitfaden der physiologischen P. (7. Aufl., Jena 1905); Külpe, Grundriß der P. auf experimenteller Grundlage (Leipz. 1893); Wundt, Grundriß der P. (7. Aufl., das. 1906); Jerusalem, Lehrbuch der empirischen P. (3. Aufl., Wien 1902); Leuchtenberger, Hauptbegriffe der P. (Berl. 1899). Vgl. ferner: C. L. Morgan, An introduction to comparative psychology (Lond. 1894); Löb, Einleitung in die vergleichende Gehirnphysiologie und vergleichende P. (Leipz. 1899); Ziehen, Über die Beziehungen der P. zur Psychiatrie (Jena 1900); Störring, Vorlesungen über Psychopathologie (Leipz. 1900); H. Groß, Kriminalpsychologie (2. Aufl., das. 1905); Steinthal, Grammatik, Logik und P. (Berl. 1855); Wundt, Völkerpsychologie (1. Bd. in 2. Aufl., Leipz. 1904, 2 Tle.; 2. Bd., 190106, 2 Tle.); F. Schultze, P. der Naturvölker (das. 1900) und die in den Artikeln Kinderpsychologie und Psychogenesis angeführten Werke von Kußmaul, Preyer, Baldwin, Compayré u. a., bei Artikel Tierpsychologie die Schriften von Romanes, Wasmann u. a. Deutsche Zeitschriften für P.: »Philosophische Studien« (hrsg. von Wundt, Leipz. 18821902), neue Folge u. d. T.: »Archiv für die gesamte P.« (hrsg. von Meumann, das., seit 1903); »Zeitschrift für P. und Physiologie der Sinnesorgane« (hrsg. von Ebbinghaus und König, das., seit 1890). Psychologische Gesellschaften bestehen in Berlin, München, Breslau, Wien, Paris, London. Die (deutsche) Gesellschaft für experimentelle P. tagte zum erstenmal in Gießen 1904; internationale Psychologenkongresse fanden statt 1889 in Paris, 1892 in London, 1896 in München, 1900 in Paris, 1904 in Rom. [⇐427]
[466⇒] Psychologie (vom gr. psychê = Seele und logos = Lehre, Seelenlehre) heißt die Wissenschaft, welche darlegt, wie die Erfahrung ihrem ganzen Umfange nach aus den Vorgängen im Subjekte entsteht. »Sie untersucht den gesamten Inhalt der Erfahrung in seinen Beziehungen zum Subjekt und in den ihm von diesem unmittelbar beigelegten Eigenschaften« ( Wundt, Grundriß d. Psychologie, 7. Auflage, Leipzig 1905, S. 3). Sie hat die uns unmittelbar gegebenen Vorgänge unseres Bewußtseins zu ermitteln und durch Analyse auf ihre Grundlagen zurückzuführen, [⇐466][467⇒] ihre Entstehung und die Verbindung ihrer Elemente untereinander und ihren Verlauf zu erforschen, und die Gesetze, nach denen sich die inneren Vorgänge für sich und in ihren Beziehungen zur Wirklichkeit abspielen, festzustellen. Sie beruht auf der Erfahrung und muß ihrer Methode nach zunächst streng empirisch sein. Sie, wie andere auf der Grundlage der Erfahrung beruhende Wissenschaften synthetisch zu einer Entwicklungsgeschichte umzugestalten, ist ein Ziel, dem zugestrebt werden muß, das aber zurzeit noch nicht erreicht ist. Die Psychologie ist kein Teil der Metaphysik. Nur in ihren Endhypothesen kann sie in metaphysische Spekulationen über das Wesen der Seele hinauslaufen, aber sie kann nicht mit metaphysischen Voraussetzungen beginnen. Wie sie sich von aller Metaphysik unabhängig halten muß, um fruchtbar zu sein, und nach dem Ausdruck von Lange (1828-1875) eine Psychologie ohne Seele sein muß, so kann sie auch nicht einfach die Wege der Naturwissenschaft gehen. Die Naturwissenschaft abstrahiert nach Möglichkeit von den Beziehungen des gegebenen Erfahrungsinhaltes zum Subjekt, während diese Beziehungen gerade der Gegenstand der Forschungen der Psychologie sind. So ist die Psychologie weder mit Hegel, der die Seelenvorgänge konstruktiv als Momente der Selbstentwicklung des Geistes bestimmt, nur für einen Teil der Metaphysik, noch mit Beneke, der von Erfahrungen ausgeht und dieselben rationell zu verarbeiten sucht, lediglich für Naturwissenschaft zu halten. Sie hat ihr eigenes Forschungsgebiet und ihre eigene Methode. Sie dient allen Geisteswissenschaften, wie Philologie, Geschichte, Rechtslehre, Staatslehre usw. zur Grundlage und erfreut sich, je mehr dies in der Gegenwart erkannt wird, eines steigenden Interesses. Die Psychologie ist in der Jetztzeit der am höchsten geschätzte Teil der Philosophie. Von der Logik, welche, ihren Gesichtspunkt enger wählend, die Gesetze des richtigen Denkens aufstellt und von der Ethik und Ästhetik, welche nur Normen für das Handeln und Empfinden des Menschen suchen, unterscheidet sie sich dadurch, daß sie die Vorgänge in unserm Inneren in ihrem ganzen Umfange und nach ihrem natürlichen Verlauf betrachtet, ohne sie beeinflussen zu wollen. Von der Erkenntnistheorie weicht sie darin ab, daß sie den genetischen Gesichtspunkt besitzt und die Entstehung der Erfahrung zu ermitteln versucht, während jene [⇐467][468⇒] ausschließlich die objektive Beziehung und Gültigkeit unserer Vorstellungen ins Auge faßt, um ein sicheres Urteil über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer Metaphysik zu erlangen. Das Musterwerk der Erkenntnistheorie, Kants Kritik der reinen Vernunft, verfolgt keinen psychologischen Gesichtspunkt.
Das Verfahren der Psychologie besteht in experimentell geregelter Beobachtung an uns selbst und anderen gleichartigen oder verwandten Wesen bis hinab zu den einfachsten Organismen und darüber hinaus bis zu der unorganisch genannten Stoffwelt, in physiologischen und in psychophysischen Forschungen. Die Untersuchungen der Sprachwissenschaft, Ethnographie, Statistik unterstützen sie, und alle Geisteswissenschaften sowie die Schöpfungen der Kunst geben der Beobachtung Aufschlüsse. Der Psychologie des Menschen, die als Teil der Anthropologie (s. d.) gefaßt wird, gliedert sich die Tierpsychologie an, der Psychologie der reifen Seele die der Kindesseele (s. Psychogenese), der Psychologie des einzelnen Menschen (s. Individualpsychologie), die der Gesellschaften und Völker (Sozialpsychologie, Völkerpsychologie).
So gestaltet, sucht die Psychologie die ersten Elemente des psychischen Lebens auf, die Triebanlagen und Triebe, welche Empfindung und Bewegung in sich einschließen, verfolgt die Empfindungen nach Qualität und Intensität, ermittelt die assoziativen Vorbindungen der Empfindungselemente, die Komplikationen, Assimilationen und Verschmelzungen derselben und verfolgt den Vorgang der Reproduktion der aus ihnen hervorgehenden Vorstellungen bis zur Entstehung der aktiven Apperzeption im aufmerksamen Denken. Ebenso zergliedert sie den die Empfindungen begleitenden Gefühlston in seine Elemente und zeigt die Entstehung der Gefühle, der Affekte, der Ausdrucksbewegungen, der Willenshandlungen, des Ichgefühls und des Selbstbewußtseins. An die Untersuchung der Vorstellungen nach Qualität, Intensität und Gefühlston schließt sich folgerichtig die Ermittlung der komplizierten Vorgänge des Denkens, der Beziehung, der Vergleichung, der Kontrastbildung, der Analyse und Synthese der Vorstellungen an. So werden die allgemeinsten Gesetze des Seelenlebens, das Gesetz der psychischen Relationen, das Gesetz des psychischen Kontrastes und das Gesetz der psychischen Resultante aufstellbar und so wird das Wesen der psychischen Kausalität bestimmbar. Erst von hier aus führt der Weg der [⇐468][469⇒] Psychologie in ergänzende und abschließende metaphysische Hypothesen hinein.
Zu dieser Gestaltung, zu einer klaren Erfassung ihrer Aufgaben und zu einem erfolgreichen methodischen Verfahren ist aber die Psychologie, deren Anfänge in die Zeit der Sophisten (5. Jahrh. v. Chr.) zurückreichen und deren Versuche bis zur Gegenwart ununterbrochen fortdauern, erst im 18. und namentlich im 19. Jahrhundert gelangt. Auch erst im 18. Jahrhundert ist ihr Name, der im 16. Jahrhundert durch Melanchthon geschaffen ist, durch Wolf (1679-1754) zur allgemeinen Verbreitung gekommen. Die Psychologie ist so lange unfruchtbar geblieben, als sie in Verwechslung mit der Metaphysik von Spekulationen über das Wesen der Seele (s. d.) ausging und aus dem Begriff der Seele die Tatsachen des Seelenlebens ableiten wollte. Sie ist überall da fruchtbar geworden, wo sie mit Beiseitesetzung der metaphysischen Spekulationen von den Seelenvorgängen ausging und von den einfachem Phänomenen zu den komplizierten aufzusteigen versuchte. Die Entstehung der englischen deskriptiven Psychologie, deren Schöpfer Locke (1632-1704), der Geograph des Bewußtseins, gewesen ist, die Ausbildung der englisch-schottischen Assoziationspsychologie durch Berkeley (1685-1753), Hartley (1704 bis 1757), Hume (1711-1776), Priestley (1733-1804), James Mill (1775-1836), Stuart Mill (1806-1873), Alexander Bain (1818-1903), George Lewes (1817 bis 1878), Herbert Spencer (1820-1904), H. Münsterberg (geb. 1863), die Begründung der Psychophysik durch E. H. Weber (1795-1878) und Fechner (1817-1881), die Verbindung der Psychologie mit physiologischen Forschungen durch Hartley, Priestley, durch Mediziner und Naturforscher und vor allem durch Wundt (geb. 1832) hat die Psychologie vorwärts gebracht und allmählich zur methodisch verfahrenden Wissenschaft mit gesicherten Resultaten emporgehoben. Wie langsam sie aber hierzu gekommen ist, lehrt der Blick auf den zwei bis drei Jahrtausende umfassenden Werdegang der Psychologie. In der Geschichte der Philosophie treten nach- und nebeneinander hervor: 1. eine metaphysische Psychologie, die entweder a) auf dem dualistischen Prinzip der Scheidung von Seele und Körper oder b) auf dem monistischen Prinzip entweder a) des Materialismus, daß der Stoff das Wirkliche sei, oder b) des Idealismus (Spiritualismus), daß [⇐469][470⇒] der Geist das Wirkliche ist, oder g) der Philosophie des Absoluten, daß ein über Geist und Körper stehendes Göttliches das Wirkliche sei, beruht; 2. eine empirische Psychologie, die a) als Psychologie des inneren Sinns sich auf Selbstbeobachtung zu stützen versuchte, die seelischen Vorgänge beschrieb ( deskriptive Psychologie) und auf Seelenvermögen reduzierte ( Vermögenspsychologie) und eine Neigung in spekulative Betrachtungen einzulenken nie verleugnet hat, und b) als Psychologie der unmittelbaren Erfahrung sich als experimentelle Psychologie zu entwickeln angefangen und entweder mehr intellektualistisch dem Verlauf der Vorstellungsprozesse das Interesse zugewandt oder mehr voluntaristisch auch den Gefühls- und Willensvorgängen gleiche Beachtung geschenkt hat. (Vgl. Wundt, Grundriß d. Psychol. § 2, S. 6-24.) Ganz metaphysisch war die Psychologie des Altertums und des Mittelalters. Platon und Aristoteles streben einem idealistischen Monismus zu, bleiben aber noch im Dualismus stecken. Denn Platon läßt neben der geistigen Welt der Ideen auch den Stoff als ein Nichtseiendes, Veränderliches der Erscheinungswelt bestehn, und Aristoteles hält zwar die Form (eidos) für die einzige vollendete Wirklichkeit (energeia, entelecheia), schreibt ober dem Stoffe (hylê) die Anlage zur Wirklichkeit, die Möglichkeit (dynamis) zu.
Platon (427-347) philosophiert zum Teil in der Form des Mythus (im Timaios) über die Welt- und Menschenseele, in der er ein Mittelglied zwischen Idee und Erscheinung sieht, über Präexistenz und Erinnerungsfähigkeit, über Postexistenz und Wanderung der Seele, über sterbliche und unsterbliche Teile der Seele, über deren Sitz im Körper und deren Zusammenhang mit den menschlichen Tugenden und den Teilen des Staatsorganismus. Aristoteles (384-322), der das erste psychologische Werk peri psychês, de anima, über die Seele verfaßt hat, geht planmäßiger und weniger phantastisch vor. Er kritisiert die Aufstellungen der älteren Philosophen, bestimmt den Begriff der Seele als erste Entelechie des organischen Körpers, verfolgt den Seelenbegriff bis in die Tier- und Pflanzenwelt, verfeinert die Lehre Platons von Seelenteilen zu einer Vermögenstheorie (threptikon; aisthêtikon, orektikon, kinêtikon kata topon; nous) und trennt den nous poiêtikos, das formgebende Prinzip der Seele, als den unsterblichen Teil von den anderen sterblichen Teilen ab. – Über die platonische [⇐470][471⇒] und aristotelische Psychologie, auf der auch die stoische Psychologie beruht, kommt das Altertum und Mittelalter nicht wesentlich hinaus. Die Psychologie ist in dieser Zeit noch kein klar abgegrenzter Teil der Philosophie, sondern ein Teil der Physik gewesen.
Von den monistischen Richtungen der Psychologie hat im Altertum nur die materialistische (atomistische) in Leukippos (5. Jahrh. v. Chr.), Demokritos (um 460-360) und den Epikureern (vom 4. Jahrh. ab) einen kräftigeren Ausdruck empfangen, ohne rechte Ausbildung zu finden, die auch der moderne Materialismus ( Hobbes, Holbach, Diderot, Helvetius, vgl. Seele) der Seelenlehre nicht zu geben verstanden hat. Über die Hypothese, daß die Seele, wie das Feuer, aus feinen, glatten und runden Atomen bestehe, über die Forschung nach dem Sitz der Seele, die sie als im ganzen Körper verbreitet annahmen (sôma leptomeres par' holon to athroisma paresparmenon Diog. Laert. X, 1 § 63), und über eine mangelhafte Theorie von der Entstehung der Sinneswahrnehmung ist der antike Materialismus nicht hinausgekommen. Der moderne Materialismus hat dagegen entschieden das Verdienst, mit dahin gewirkt zu haben, daß die Psychologie sich auf physiologische Untersuchungen stützt.
Die metaphysische, sich auf die Methode des Rationalismus stützende Richtung bildet sich in der Psychologie der Neuzeit fort. Auf dualistischem Standpunkte steht Descartes (1596-1650). Er scheidet Seele und Körper als Denken und Ausdehnung, betont die Wichtigkeit des Bewußtseins für das Seelenleben und erzeugt durch seinen Dualismus die Frage nach dem Zusammenhang von Seele und Leib, an deren Lösung nach ihm der Occasionalismus (s. d.) mit entschiedenem Mißerfolge arbeitete. Den idealistischen Standpunkt vertritt dagegen Leibniz (1646-1706), der die Seele oder Monade als das eigentlich Wirkliche hinstellte, intellektualistisch die Entwicklung der Vorstellungen in den Seelen verfolgte und dem Seelenleben auch in der Stufenfolge der Wesen nachgeht. Wolf (1679-1754), der sich an Leibniz anschloß, formulierte die Grundlehren der idealistischen Psychologie und begründete die moderne Vermögenstheorie, indem er Erkennen und Begehren schied und sowohl das Erkenntnis- wie das Begehrungsvermögen in ein niederes und höheres einteilte. Die Vermögenstheorie ist dann von Tetens (1736-1805), der [⇐471][472⇒] Erkennen, Fühlen und Begehren schied, und von Kant (1724 bis 1804), der sich an Tetens anschloß, aber die rationale Psychologie verwarf, ausgebildet worden. Einen gewissen Übergang zu der empirischen Richtung leitete Wolf in Deutschland damit ein, daß er neben die rationale Psychologie, die rein spekulativ sein sollte, auch eine empirische stellte, um jener Stützen aus der Erfahrung zu geben, ohne aber sie fruchtbar gestalten zu können. Auch Herbarts Psychologie beruht im Wesen auf der Leibniz-Wolfschen. Doch hat Herbart (1776-1841), der von der inzwischen entstandenen Assoziationspsychologie nicht unberührt geblieben ist, sich bemüht, die spekulative Psychologie zu einer exakten Wissenschaft umzugestalten, indem er mit der Vermögenstheorie brach, das ganze Seelenleben streng intellektualistisch auf Vorstellungen, die er als Kräfte dachte, und ihre Verbindungen zurückführte und eine mathematisch gestaltete Statik und Mechanik der psychischen Prozesse zu liefern versuchte. Seine mathematische Psychologie, die nicht auf Psychophysik gestützt war, entbehrt aber eines Maßes für psychische Größen und schwebt daher völlig in der Luft. – Die Philosophie des Absoluten ist die Grundlage der Psychologie bei Spinoza (1632-1677), der eine Substanz (Gott-Natur) mit den Attributen Denken und Ausdehnung annahm, und der Grundgedanke Spinozas ist von Schelling (1775 bis 1864) wieder aufgenommen worden.
Eine streng empirische Richtung in der Psychologie hat zuerst Locke (1632-1704) eingeschlagen. Sein Essay concerning human understanding 1690 ist ein epochemachendes Ereignis und bedeutet den Übertritt der Psychologie in die induktiven Wissenschaften. Locke beobachtete unbefangen und vorurteilsfrei, zergliederte scharfsinnig und gut, führte die Vorstellungen auf die Doppelquelle der Sinneswahrnehmung (sensation) und inneren Erfahrung (reflexion) zurück und ging der Zusammensetzung des Psychischen aus den einfachen Elementen ohne jede Gewalttätigkeit nach. Auch Beneke (1798-1854) folgte der induktiven Richtung, stand aber auf dem einseitigen Standpunkt des Sensualismus (s. d.). Scharf griffen englisch-schottische Forscher wie Berkeley, Hartley, Hume, Priestley seit dem 18. Jahrhundert zu und schufen die Lehre von der Assoziation der Vorstellungen, die von James Mill, Stuart Mill, Bain, Lewes und Spencer im 19. Jahrhundert fortgeführt und von letzterem mit dem Gedanken der Evolution [⇐472][473⇒] verbunden wurde. Weber und Fechner begründeten die Psychophysik. in der Gegenwart hat die Herbartsche Schule ihr Fortleben in Zimmermann, Lindner, Volkmann u. a., ihre Fortbildung durch Lotze u.a. gefunden. Steinthal (1823-1899) und Lazarus (1824-1903) haben zur herbartschen Psychologie die Sprachforschung und Völkerpsychologie hinzugebracht. Die Fäden aller psychologischen Forschung laufen aber zusammen in Wundt (geb. 1832), der der Psychologie eine voluntaristische Richtung gegeben hat und dessen »Grundzüge der physiologischen Psychologie« (3. Aufl. Lpz. 1887) und dessen »Grundriß der Psychologie« (7. Aufl. Lpz. 1905) als die bedeutendsten Werke auf diesem Gebiete gelten. Vgl. Herbart, Lehrbuch der Psychologie. 2. Aufl. 1834. Drobisch, Empirische Psychologie. 1842. 2. Aufl. 1898. Fortlage, System der Psychologie als empir. Wissenschaft. 1855. Jessen, Versuch einer wissensch. Begründung d. Psychologie. 1855. Lotze, Medizinische Psychologie. 1852; Mikrokosmus 1856-1864. Strümpell, Psychologie. 1884. Dessoir, Geschichte der neueren deutschen Psychologie 1. Bd. 1902. Th. Ribot, la psychologie anglaise contemporaine. 1875. Guido Villa, Einleitung in die Psychologie der Gegenwart. 1902. W. Hellpach, die Grenzwissenschaften der Psychologie. 1902. Münsterberg, Aufgabe und Methode der Psychologie. 1891. Psychologische Gesellschaft zu Breslau, über die Entwicklung der Psychologie (Vortrags-Zyklus) 1903 f. [⇐473]
[151⇒] Psychologie (psychê, logos): Seelenkunde, Wissenschaft von der Seele (s. d.), von den seelischen, psychischen Tatsachen und deren Gesetzmäßigkeit. Gegenstand der (empirischen) Psychologie ist das Psychische (s. d.), d.h. die Gesamtheit der unmittelbaren Erlebnisse, der Bewußtseinsvorgänge als solcher, in ihrem causalen Zusammenhange und in ihrer Beziehung zum erlebenden Subject, in ihrer empirischen Unterschiedenheit von den physischen Phänomenen, ohne Ableitung aus einer hypothetischen Seele als unbekanntem Träger des Bewußtseins, wohl aber mit Heranziehung der Einheit des Bewußtseins als Quelle für die Erklärung des Zusammenhangs der Erlebnisse untereinander. Die Psychologie hat die complexen psychischen Gebilde (durch psychologische Analyse) in Momente, Factoren, Elemente zu zerlegen, die psychischen Verbindungen aus der Vereinigung der Elemente, das Auftreten dieser aus den Verbindungen, schließlich aus der (causal-activen) Bewußtseinseinheit zu erklären, wobei sie die Aufstellung psychologischer Gesetze versucht. Der Tatbestand des Psychischen wird durch entsprechende psychologische Methoden (s. d.) bearbeitet. Die psychologische Analyse (s. d.) abstrahiert zwar die Elemente aus dem Bewußtseinsganzen, diese Elemente haben keine selbständig-concrete Existenz, aber als Momente, Teilmöglichkeiten sind sie doch im Bewußtseinsganzen enthalten und sie werden durch die psychologische Abstraction nicht wesentlich qualitativ alteriert, nie aber eliminiert, während die physikalische Analyse gerade vom Qualitativen der Erfahrung völlig abstrahiert. Die empirische Psychologie ist eine selbständige Disciplin, kein Teil der Physiologie (der Naturwissenschaft überhaupt), auch nicht der Metaphysik. Mit ersterer steht sie durch die physiologische Psychologie und die Psychophysik (s. d.) in Verbindung. indem sie das Psychische unter erkenntnistheoretisch-metaphysischen Voraussetzungen untersucht und deduciert, wird sie philosophische Psychologie als Ergänzung, Abschluß der empirischen. Die Psychologie ist die allgemeinste Geisteswissenschaft (s. d.), zugleich eine Basis oder Hülfsquelle der übrigen Geisteswissenschaften, auch der Philosophie, ohne, wie der extreme Psychologismus (s. d.) glaubt, selbst schon Philosophie (Erkenntniskritik, Ethik u.s.w.) zu sein, da ihr das normative, werdende, kritisierende Moment fehlt und da sie, als Specialwissenschaft, einseitig ist. Die Psychologie gliedert sich in Individualpsychologie und Völkerpsychologie. Angewandte Psychologie findet sich in der Pädagogik, Ästhetik, Religionsphilosophie, Sociologie, Psychiatrie u.s.w.
Der Methode nach sind historisch zu unterscheiden: empirische, rationale oder speculative Psychologie. Dem Standpunkte der Richtung nach: intellectualistische (s. d.), voluntaristische (s. d.) Psychologie. Vermögens-, Associations-, Apperceptions- (Actions-)Psychologie. spiritualistische, materialistische, identitätsphilosophische, monistische, dualistische Psychologie. Psychologie als Seelentheorie, Psychologie »ohne Seele«. substantialistische, actualistische Psychologie. Einheits-, atomistische (s. d.) Psychologie. Psychologie des inneren Sinnes (s. d.), [⇐151][152⇒] der »inneren« Wahrnehmung, der unmittelbaren Erfahrung, der functionellen Beziehung (Abhängigkeit, s. d.).
Der Terminus »Psychologie« ist erst seit CHR. WOLF gebräuchlich. Früher sagte man dafür peri psychês, de anima u. dgl. später Pneumatologie (s. d.). »Psychologia« zuerst bei MELANCHTHON (in dessen Vorlesungen), GOCLEN (als Titel eines Buches 1590) und CASMANN (Psychol. anthropol. 1594). Vgl. J. EBERT, Vernunftlehre S. 10.
Die antike Psychologie ist metaphysisch, Lehre von der Seele (s. d.), forscht nach der Lebenskraft (s. d.), nach Seelenvermögen (s. d.), hat auch einzelne gute empirische Beobachtungen (über Empfindung, Wahrnehmung, Gedächtnis u.s.w.). Ansätze zu einer Psychologie finden sich in den Upanishads, bei HOMER, HESIOD, den ionischen Naturphilosophen, den Pythagoreern, Eleaten, Atomistikern, bei HIPPOKRATES (s. Temperament), bei SOKRATES, PLATO (Phaed., Phaedr., Tim., Republ.). Das erste System der Psychologie findet sich bei ARISTOTELES (peri psychês = de anima, peri aisthêseôs, peri mnêmês kai anamnêseôs, peri hypnou u. a.. vgl. BRENTANO, Psychol. d. Aristotel.). Bei ihm kommt die Empirie, Beobachtung schon mehr zur Geltung. Weiteres psychologisches Material bei THEOPHRAST (De sens.), den Stoikern (vgl. L. STEIN, Psychol. d. Stoa I u. II), Epikureern, Neuplatonikern (vgl. A. RICHTER, Die Psychol. d. Plotin, Neuplat. Stud.h. IV), bei GALENUS u. a.
Die patristische Psychologie hat zur Grundlehre »die Ansicht von der Ewigkeit, Übersinnlichkeit und Freiheit des menschlichen Geistes« (SIEBECK, G. d. Psychol. II 2, 360). Psychologische Bemerkungen bei CLEMENS ALEXANDRINUS, GREGOR VON NYSSA (peri psychês), NEMESIUS (peri physeôs anthrôpou), TERTULLIAN (De anima), besonders bei AUGUSTINUS (De anima, De quantitate animae, De immortal. an., De libero arbitr. u. a.). Die scholastische Psychologie leitet das Psychische aus den Operationen der Seele ab. Man vergleiche: HUGO VON ST. VICTOR (De an.), ALBERTUS MAGNUS (De natura et immortal. an.), THOMAS (Sum. theol., Opuscul., Quaest. disput.), BONAVENTURA (Itinerar. ment.), RAYMUND VON SABUNDE (Viola animae), SUAREZ (De anima) u. a.
Die Renaissancephilosophie betrachtet besonders die Seele als Lebenskraft: AGRIPPA, PARACELSUS, J. B. VAN HELMONT, SIMON PORTA (De anim. 1551) u. a. – Auf Aristoteles stützen sich teilweise ZABARELLA (De anima), MELANCHTHON (Commentar. de anima), GOCLEN Psychologia), CASMANN (Psychol. anthropol.). – Selbständiger ist L. VIVES (De an. et vita), dessen Psychologie die Beobachtung zur Grundlage hat. »Nulla est res alicuius vel praestabilior cognitio, quam de anima, vel iucundior, vel admirabilior« (1. e. praef.). – MICRAELIUS: »Psychologia est doctrina de anima« (Lex. philos. p. 930).
Eine dualistische (s. d.) Psychologie begründet DESCARTES, der zugleich das Physiologische stark heranzieht (Princ. philos., Pass. anim., De hom.) Den Identitätsstandpunkt nimmt SPINOZA ein (Eth.), dessen Affectenlehre (s. d.) von Bedeutung ist. LEIBNIZ betont die Activität des Geistes, führt den Begriff der Apperception (s. d.) und der »petites perceptions« (s. d.) ein. In England tritt eine mehr empirische, analytische Psychologie des inneren Sinnes (s. d.) auf, mit der sich teilweise eine physiologische Betrachtungsweise verbindet. F. BACON (De dignit. IV, 3) eröffnet den Reigen, ihm folgen HOBBES (De hom.), besonders aber LOCKE (s. Association), der die Empfindung (sensation) als ein Element des Bewußtseins bestimmt (Ess. conc. hum. und.), BERKELEY [⇐152][153⇒] (Princ., besond. auch Theor. of Vision), HUME, A. SMITH, HARTLEY (Observat.), der »Vater der Associationspsychologie«, PRIESTLEY, ERASMUS DARWIN, JAMES MILL u. a. – Eine analytische, teilweise stark physiologische Psychologie tritt in Frankreich auf, wo der Sensualismus (s. d.) blüht: CONDILLAC (Trait. des sensat.), LA METTRIE, HOLBACH, DIDEROT, während BONNET die active Rolle der Aufmerksamkeit (s. d.) mehr würdigt. Er betont, daß »la science de l'âme comme celle des corps, repose également sur l'observation et l'expérience« (Ess. analyt., préf. XXVI). Die Nervenfibern und deren Bewegungen betrachtet er »comme des signes naturels des idées« (1. e. p. XXXII. vgl. Ess. de psychol.). – Descriptiv (teilweise auch genetisch) und vermögenspsychologisch ist die Psychologie der Schottischen Schule (s. d.), REID (Inquir.), DUGALD STEWARD (Philos. of the active and mor. pow.), TH. BROWN (Lectur.), ferner FERGUSON u. a.
Begründer der neueren Vermögenspsychologie ist CHR. WOLF, welcher empirische und rationale Psychologie unterscheidet (schon im Discurs. praelim. logicae, § 112). »Psychologia est scientia eorum, quae per animas humanas possibilia sunt« (Philos. rational. § 58). »Psychologia empirica est scientia stabiliendi principia per experientiam, unde ratio redditur eorum, quae in anima humana fiunt« (Psychol. empir. § 1). »Principia suppeditat rationali« (1. e. § 4). »Psychologia rationalis est scientia praedicatorum eorum, quae per animam humanam possibilia sunt« (Psychol. rational. § 1). »In psychologia rationali reddenda est ratio eorum, quae animae insunt aut inesse possunt« (1. e. § 4). Diese Unterscheidung bei THÜMING, REUSCH u. a., während BAUMEISTER (Elem. philos. recens. § 177) sie fallen läßt. BAUMGARTEN definiert: »Psychologia est scientia praedicatorum animae generalium« (Met. § 501). Und BILFINGER: »Est nobis... psychologia scientia de anima humana, quatenus ea, quae per experientiam de illa cognovimus, ex conceptu aliquo generali possunt legitime deduci et intelligi« (Dilucid. § 238). Gegner Wolfs ist DE CROUSAZ (De mente humana, 1726). Vom Empirismus der Engländer und Franzosen (BONNET u. a.) beeinflußt ist die (teilweise popularisierende) Psychologie bei TETENS (s. Gefühl), MENDELSSOHN (Briefe üb. d. Empf.), GARVE, EBERHARD, TIEDEMANN (Handb. d. Psychol.), SULZER, MEINERS, CAMPE, FEDER, MORITZ (Magazin zur Erfahrungsseelenk.), IRWING, G. F. MEIER: »Die Psychologie ist die Wissenschaft von den Prädicaten der Seele, die sie mit anderen Seelen und Dingen gemein hat« (Met. III, 7), VON CREUTZ, PLATNER (Neue Anthropol.), HEMSTERHUIS (Sur les désirs 1770. Lettres sur l'homme 1772) u. a.
KANT läßt nur eine empirische, eine Psychologie des innern Sinnes, gelten, und auch dieser spricht er den exactwissenschaftlichen Charakter ab. »Die Metaphysik der denkenden Natur heißt Psychologie« (Krit. d. r. Vern. H. 638). Die empirische Psychologie aber gehört zur »angewandten Philosophie«, ist aus der Metaphysik zu verbannen (l. c. S. 640). Aber auch von der exacten Naturwissenschaft, schon »weil Mathematik auf die Phänomene des innern Sinnes und ihre Gesetze nicht anwendbar ist..., denn die reine innere Anschauung ist die Zeit, die nur eine Dimension hat«. »Aber auch nicht einmal als systematische Zergliederungskunst oder Experimentallehre kann sie der Chemie jemals nahe kommen, weil sich in ihr das Mannigfaltige der innern Beobachtung nur durch bloße Gedankenteilung voneinander absondern, nicht aber abgesondert aufbehalten und beliebig wiederum verknüpfen, noch weniger aber ein anderes denkendes Subject sich unseren Versuchen der Absicht angemessen von uns unterwerfen läßt, [⇐153][154⇒] und selbst die Beobachtung an sich schon den Zustand des beobachteten Gegenstandes alteriert und verstellt. Sie kann daher niemals etwas mehr als eine historische, und als solche, soviel möglich systematische Naturlehre des innern Sinnes, d. i. eine Naturbeschreibung der Seele, aber nicht Seelenwissenschaft, ja nicht einmal psychologische Experimentallehre werden« (Met. Anf. d. Naturwiss., Vorr. S. X f.). »Die Psychologie ist für menschliche Einsichten nichts mehr und kann auch nichts mehr werden, als Anthropologie, d. i. als Kenntnis des Menschen, nur auf die Bedingung eingeschränkt, sofern er sich als Gegenstand des innern Sinnes kennt« (Üb. d. Fortschr. d. Met. III, S. 154. vgl. Üb. Philos. überh. S. 167). – Psychologien in diesem oder ähnlichem Sinne schrieben: CHR. E. SCHMID, welcher definiert: »Unter Psychologie in weiterer Bedeutung... wird eine philosophische Wissenschaft verstanden, worin alle Arten von Erscheinungen und Begebenheiten des menschlichen Geistes gesammelt, verglichen und philosophisch geordnet, d.h. auf Gesetze zurückgeführt werden. Diese Erscheinungen werden sowohl an und für sich, als in ihrem regelmäßigen Verhältnis zu den äußeren Phänomenen betrachtet« (Empir. Psychol. S. 13 f.). Ferner ABEL (Einl. in d. Seelenlehre), HOFFBAUER, L. REINHOLD, JACOB (Gr. d. empir. Psychol.), E. REINHOLD (Log. U. Psychol.), MAASS, F. A. CARUS (Psychol.). FRIES, nach welchem die Psychologie (»psychische Anthropologie«) »die Natur des menschlichen Geistes nach der innern geistigen Selbsterkenntnis« untersucht (Psych. Anthropol. § 1). Ähnlich definiert G. E. SCHULZE (Psych. Anthropol.2, § 3). – Nach BIUNDE ist die empirische Psychologie »eine historische oder beschreibende Darstellung der Erscheinungen unseres Innern oder unserer innern zustände und Veränderungen«, eine »Geschichte unserer inneren Zustände und Veränderungen« (Empir. Psychol. I 1, 9. vgl. S. 11, 16 ff.). Die empirische Psychologie »soll die psychischen Zustände in ihrem naturgemäßen Zusammenhange darstellen, so wie sie sich einander bedingen, voraussetzen, veranlassen und verursachen« (l. c. II, 60). Den Ansatz zu einer genetischen Psychologie macht schon CHR. WEISS (Üb. d. Wes. u. Wirk. d. menschl. Seele 1811).
Eine speculative, aus dem apriorisch bestimmten Wesen des Geistes schöpfende Psychologie tritt in den Schulen Schellings und Hegels u. a. auf. So bei SCHUBERT (Gesch. d. Seele. Lehrb. d. Menschen- u. Seelenkunde S. 1 ff.), C. G. CARUS, der die genetische Methode bevorzugt (Vorles. üb. Psychol. S. 21 ff.). Nach ESCHENMAYER ist die Psychologie die Lehre von der empirischen und speculativen »Selbsterkenntnis« (»empirische« und »reine« Psychologie). Sie ist »die Elementarwissenschaft oder die Stammwurzel aller Philosophie« (Psychol. S. 2). Auch H. STEFFENS gehört hierher, der aber auch schon empirischer denkt (Üb. d. wissensch. Behandl. d. Psychol.): »Die Psychologie als Erfahrungswissenschaft ist ein Teil der Naturwissenschaft und muß schlechthin als eine solche behandelt werden« (l. c. S. 192). Die Psychologie muß »einen gesetzlichen Urtypus aller psychischen Entwicklung voraussetzen« (l. c. S. 194). Die genetische Methode ist notwendig (l. c. S. 197. vgl. S. 214). Ferner: HEINROTH (Lehrb. d. Anthropol.. Psychol. S. 4, 159), HILLEBRAND. Nach diesem enthält die Anthropologie des Geistes die Psychologie, Pragmatologie (s. d.) und Philosophie der Geschichte (Philos. d. Geist. I, S. V). Die Psychologie ist die »Theorie des Geistes in seiner subjectiven gegebenen Daseinlichkeit« (1. e. I, 84). Sie besteht aus der Metaphysik und der Physik der Seele (ib.). Nach LICHTENFELS ist die psychische Anthropologie »die gesetzrnäßige Darstellung der übersinnlichen Tätigkeit des Menschen als Bestimmungsgrundes der [⇐154][155⇒] intellectuellen und sinnlichen« (Gr. d. Psychol. S. 14). Ähnlich ENNEMOSER (Der Geist d. Mensch. in d. Nat.), NÜSSLEIN (Gr. d. allg. Psychol.). Vgl. MUSSMANN, Lehrb. d. Seelenwissensch.. F. FISCHER, Die Naturlehre d. Seele. ESSER, Psychol.. AUTENRIETH, Ansicht. üb. Nat. u. Seelenleb.. SCHLEIERMACHER, Psychol. (WW. III, 15). J. J. WAGNER, Anthropol.. SCHEVE, Vergleichende Psychol.. CHR. KRAUSE unterscheidet empirische und metaphysische Psychologie (Vorles. üb. d. Syst. S. 79 f.. vgl. Vorles. üb. d. psych. Anthropol.). Ähnlich LINDEMANN (Die Lehre vom Mensch.), AHRENS (Cours de la psychol.), TIBERGHIEN (Psychol. 1862, 3. ed. 1872). – HEGELS Psychologie ist constructiv (s. d.), betrachtet die seelischen Vorgänge als Momente, Stufen der dialektischen Entwicklung des Geistes (vgl. Encykl.. Phänomenol.). Als Desiderat wird eine »psychische Physiologie« bezeichnet (Encykl. § 401). Im Geiste Hegels DAUB (Anthropol.), MICHELET (Anthropol.), SCHALLER (Psychol. I), J. E. ERDMANN: »Der Gegenstand der Psychologie ist der subjective Geist,« die »dialektische Entwicklung des Begriffs des Geistes« (Grundr. § 1, § 5). K. ROSENKRANZ gliedert die Psychologie in Anthropologie, Phänomenologie, Pneumatologie (Psychol.3, S. 42). – Vermögenspsychologien mit teils speculativer, teils mehr empirisch-analytischer Tendenz sind die Arbeiten von: GALUPPI (Psicologia), nach welchem die Psychologie »scienza delle facoltà dello spirito« ist (Elem. di filos. I, 141). ROSMINI (Psicologia), V. COUSIN, nach welchem die Psychologie ist »l'êtude de la pensée et de l'esprit qui en est le sujet« (Du vrai p. 3), W. HAMILTON: nach welchem die Psychologie ist »the science conversant about the phenomena, or modifications, or states of the mind, or conscious-subject, or soul, or spirit, or self, or ego« (Lect. VIII, p. 129). Die Psychologie zerfällt in Phänomenologie, Nomologie, Ontologie oder Metaphysik. Vgl. ferner HICKOK, Rational Psychol. 1848. Empir. Psychol. 1854. BAILEY, Letters on philos. of hum. mind. – In Frankreich treten teils gegen den Sensualismus, teils gegen den Materialismus (vgl. CABANIS, Trait.) auf: LAROMIGUIÈRE (Leçons), DESTUTT DE TRACY (Elem. d'idéol.), MAINE DE BIRAN, ROYER-COLLARD, JOUFFROY: »La psychologie est la science des faits de science« (Préf. zu Dug. Stew. 1826), der die Selbständigkeit der Psychologie betont (vgl. Mél. philos.3: »La psychologie est la science du principe intelligent, de l'homme, du moi,« l. c. p. 191). Vgl. TAINE, De l'Intellig. – COMTE bestreitet die Möglichkeit einer subjectiven, auf innerer Beobachtung (s. d.) fußenden Psychologie (Cours de philos. pos. I2, p. 30 f.).
Gegen die Vermögenspsychologie wendet sich HERBART mit seiner metaphysisch fundierten, intellectualistischen, die Seele (s. d.) als einfaches, sich selbst erhaltendes Wesen auffassenden Psychologie, auf die er Mathematik anwendet (Statik und Mechanik der Vorstellungen, s. d.). Die Psychologie geht aus der allgemeinen Metaphysik hervor (Lehr. zur Einl.5, S. 67. Lehrb. zur Psychol. S. 1). Sie überschreitet, als »Ergänzung der innerlich wahrgenommenen Tatsachen«, notwendig die Erfahrung (Psychol. als Wiss. I, § 11, 14). »Die Psychologie hat einige Ähnlichkeit mit der Physiologie: wie diese den Leib aus Fibern, so construiert sie den Geist aus Vorstellungsreihen« (l. c. S. 180). Sie ist »die Lehre von den innern Zuständen einfacher Wesen« (Encykl. S. 240). Ähnlich lehren: STIEDENROTH (Psychol.), SCHILLING (Lehrb. d. Psychol.), nach welchem die Psychologie »das geistige Leben nach seiner Beschaffenheit und Gesetzmäßigkeit und nach seinen Gründen« zu erforschen hat (l. c. S. 3). DROBISCH (Empir. Psychol.), WAITZ, nach welchem die Aufgabe der Psychologie besteht in der »Darstellung des notwendigen Entwicklungsganges, den die [⇐155][156⇒] Weltansicht des natürlichen Menschen nimmt und nehmen muß« (Psychol. S. 12). VOLKMANN. nach ihm ist die Psychologie »jene Wissenschaft, welche sich die Aufgabe stellt, die allgemeinen Klassen der psychischen Phänomene aus den empirisch gegebenen Vorstellungen und dem speculativen Begriffe der Vorstellung nach den allgemeinen Gesetzen des Vorstellungslebens zu erklären« (Lehrb. d. Psychol. I4, 33). DRBAL (Empir. Psychol.), LINDNER (Empir. Psychol.) u. a. – Hier sind auch STEINTHAL (Einleit. in d. Psychol.) und LAZARUS (Leb. d. Seel. I2, S. VI ff.), die Begründer der Völkerpsychologie (s. d., vgl. A. BASTIANS Schriften) zu nennen.
An Stelle der Seelenvermögen setzt BENEKE die »Angelegtheiten« (s. d.) und »Grundprocesse« (s. Proceß). Die Psychologie ist »ganz nach der Methode der übrigen Naturwissenschaften zu behandeln« (Lehrb. d. Psychol.3, § 12). »Gegenstand der Psychologie ist alles, was wir durch die innere Wahrnehmung und Empfindung auffassen« (l. c. § 1). Noch halbspeculativ sind die Psychologien von L. GEORGE (Lehrb. d. Psychol.), ULRICI (Leib u. Seele), FORTLAGE (Syst. d. Psychol.), J. H. FICHTE (Anthropol., Psychol.). die Psychologie besteht »in der durchgeführten, bis auf den Grund des eigenen Wesens vordringenden ›Selbsterkenntnis‹ des Geistes« (Psychol. I, 714). E. v. HARTMANN, der seine Psychologie auf das Unbewußte (s. d.) gründet. »Wissenschaft wird die Psychologie erst dann, wenn sie zur Feststellung gesetzmäßiger Zusammenhänge fortschreitet, also über die Erfahrung zu Hypothesen fortschreitet, durch welche die Erfahrung erklärt wird. Hier läßt die Beschreibung völlig im Stich. denn Zusammenhänge werden niemals erfahren, sondern immer nur durch Ausdeutung des Erfahrenen hinzugedacht. Erlebt u erden allerdings diese Zusammenhänge, aber nur unbewußt indem die eigene unbewußt psychische Tätigkeit es ist, die sie unbewußt setzt« (Mod. Psychol. S. 23). Die Psychologie ist diejenige Wissenschaft, »welche die gesetzmäßige Abhängigkeit der bewußt psychischen Phänomene von dem jenseits des Bewußtseins Belegenen untersucht« (l. c. S. 25). »Die Psychologie ist wesentlich die Wissenschaft, welche die Ursachen und Gesetze für die Entstehung des Bewußtseins nach Form und Inhalt und für die Veränderungen des Bewußtseinsinhalts aufsucht« (l. c. S. 30. vgl. S. 453 ff.). – In anderer Weise, empirischer, betont das Unbewußte (s. d) LIPPS, nach welchem die Psychologie »die Wissenschaft von dem Getriebe des seelischen Lebens überhaupt, seinen Elementen und allgemeinen Gesetzen« ist (Grundtats. d. Seelenleb. S. 4).
An die Traditionen des 18. Jahrhunderts knüpft die Associationspsychologie (s. d.) von BAIN u. a. an. Sie tritt teilweise in physiologischer, biologischer Form auf, ist teilweise auch genetisch. – Nach J. ST. MILL: ist die Aufgabe der Psychologie die Untersuchung des Zusammenhanges des Bewußtseins (Log. I, 6, C. 4, § 3), ihr Gegenstand sind die Uniformitäten der Successionen der Bewußtseinsvorgänge (l. c. I, 4, C. 1, § 3 ff). Nach LEWES ist die Psychologie »the science of the facts of sentience« (Probl. III, 7). »Psychology is the analysis and classification of the sentient functions and faculties, revealed to observation and induction, completed by the reduction of them to their conditions of existence, biological and sociological« (l. c. III, 6. vgl. p. 9 ff.). Die Psychologie ist »the science of psychical phenomena« (l. c. I, p. 109). Der sociale Factor der Psychologie ist zu berücksichtigen (l. c. III, 71 ff.. I, 152 ff.). Die genetische Methode betont H. SPENCER (Psychol. I, § 129). Er unterscheidet objective (biologische, physiologische) und subjective Psychologie (l. c. [⇐156][157⇒] I, § 56). Das Physiologische, Motorische berücksichtigt stark RIBOT. Nach ihm ist die Psychologie eine selbständige Wissenschaft (Psychol. Angl.2, p. 22 f.). Sie hat zum Object nur »les phénomènes, leurs lois et leurs causes immédiates«, nicht die Seele (l. c. p. 34. vgl. schon A. LANGE: »Psychologie ohne Seele«, Gesch. d. Material. S. 465). Die »psychologie descriptive« ist »l'étude des phénomenes de conscience... considérés sous leurs aspects les plus generaux« (l. c. p. 42). Associationist war früher MÜNSTERBERG (vgl. Beitr. zur exper. Psychol. H. I, S. 17 ff.), der die Abhängigkeit des Psychischen (s. d.) vom Physischen betont (s. unten). Associationistisch und physiologisch ist die Psychologie von ZIEHEN (Leitfad. d. phys. Psychol.). – E. HAECKEL betrachtet die Psychologie als Teil der Physiologie (Der Monism. S. 22). Physiologisch ist die Psychologie von MAUDSLEY, auch die von SERGI: »La psychologie s'occupe des phénomènes organiques, qui ont pour caractère prédominant la conscience de la fonction, lesquels phénomènes se produisent dans les centres de relation, et en même temps des antecédents immédiats des mêmes phénomènes conscients« (Psychol. p. 12), teilweise auch von R. ARDIGÒ (Psicologia3, 1882. Unità della conscienza, 1898). Über die »Abhängigkeits«-Psychologie s. unten.
Als Vorstufen der modernen experimentellen Psychologie sind die Arbeiten von J. MÜLLER, E. H. WEBER (Tastsinn u. Gemeingef.). Einführung des psychol. Experiments), DONDERS, DU BOIS-REYMOND, PREYER, HERING u. a. zu betrachten. Auch LOTZE (Med. Psychol.) ist hier zu nennen. Die Psychologie fragt nach ihm: »Unter welchen Bedingungen und durch welche Kräfte entstehen die einzelnen Vorgänge des geistigen Lebens, wie verbinden und modificieren sie sich untereinander und wie bringen sie durch dies Zusammenwirken das Ganze des geistigen Lebens zustande« (Gr. d. Psychol. S. 5 f.. vgl. Klein. Schrift. II. 203 f.. Met. VI, 17, 477). Physiologisch ist teilweise auch die Psychologie von HORWICZ (Psychol. Anal.), der das Gefühl (s. d.) zum psychischen Element macht (so auch TH. ZIEGLER). Begründer der Psychophysik (s. d.) ist FECHNER. Die experimentelle reine Psychologie (nicht bloß als Psychophysik) begründet systematisch WUNDT (s. unten). Vgl. die Werke von A. BINET (Introduct. à la psychol. expérim. 1894), TITCHENER (Experim. Psychol. 1900), SCRIPTURE (The new Psychol. 1897), SANFORD (Course in exper. Psychol. 1894), LADD (Elem. of physiol. Psychol. 1890), W. JAMES (Principl. of Psychol. 1891: Gegner der Associationspsychologie), CATTELL, RICHET (Essai de psychol. générale), MOSSO, CESCA, G. VILLA, MÜNSTERBERG, KÜLPE, MEUMANN, ERBINGHAUS, STUMPF, SCHUMANN, L. W. STERN, G. MARTIUS (Üb. d. Ziele u. Ergebn. d. experim. Psychol. 1888), KRAEPELIN u. a. (vgl. Philos. Stud. I ff.).
Als Gegenstand der Psychologie bezeichnen viele die innere Erfahrung bezw. die Bewußtseinsvorgänge als solche. So HAGEMANN, nach welchem die Psychologie die »Wissenschaft von den allgemeinen bewußten Seelenäußerungen« ist (Psychol.3, S. 2, Erklärung aus dem »Seelenwesen als Realprincip«. vgl. die Psychologien von ROTHENFLUE, TONGIORGI, SANSEVERINO, GRATRY, UBAGH, W. KAUTLICH, Handbuch der Psychol. 1870, GUTBERI.ET, Kampf um d. Seele, u. a.). GLOGAU: Psychologie ist »die Lehre vom subjectiven Geiste« (Gr. d. Psychol. S. 16). H. SPITTA: Psychologie ist »Phänomenologie des Bewußtseinss« (Die psychol. Forsch. S. 8, vgl. S. 20). WITTE (Wes. d. Seele), der gegen die »Psychologie ohne Seele« ist (l. c. S. 1 ff.). O. LIEBMANN (Psychol. Aphor., Zeitschr. f. Philos. Bd. 101, S. l ff.). B. ERDMANN: Aufgabe der Psychologie ist, »den gesetzmäßigen Zusammenhang der Bewußtseinsvorgänge untereinander, [⇐157][158⇒] sowie mit den unbewußten und den ihnen correlaten Bewegungsvorgängen in unserem Organismus zu untersuchen« (Log. I, 18). SCHUPPE: nach ihm ist die Psychologie die Wissenschaft vom individuellen Subject im Unterschiede von der Lehre vom »Bewußtsein überhaupt« (Zeitschr. f. imman. Philos. I, 37 ff., 50, 64 f.). SCHUBERT-SOLDERN: Die Psychologie berücksichtigt »die subjectiven Beziehungen innerhalb der Bewußtseinswelt allein« (Gr. ein. Erk. S. 45), ist »die Lehre von der Reproduction als Grundlage und Bedingung der Welt der Wahrnehmung« (I. c. S. 340). REHMKE: die Psychologie hat die Aufgabe, »die Gesetzmäßigkeit der Veränderungen, welche man das Seelenleben nennt, klar zu begreifen« (Allgem. Psychol. S. 10). das Seelenleben ist nicht anschaulich gegeben, während das Gebiet der Naturwissenschaft das anschaulich Gegebene ist (l. c. S. 11). Auch H. CORNELIUS (wie schon LIPPS) lehrt eine reine (nicht physiologische) empirische Psychologie (Psychol. S. III), als »Wissenschaft von den Tatsachen des geistigen Lebens oder den psychischen Tatsachen« (l. c. S. 1). Die Psychologie hat diese Tatsachen »vollständig und in der einfachsten Weise zu beschreiben« (l. c. S. 5). Der psychologische Atomismus (s. d.) ist abzulehnen. – Eine (auf innerer Wahrnehmung fußende) beschreibende, descriptive Psychologie, unabhängig von der Physiologie, lehrt schon F. BRENTANO (Psychol. I, 23, 84). vgl. die Arbeiten von MARTY, MEINONG, HÖFLER (Psychol.). So auch (in anderer Weise) DILTHEY (Einl. in d. Geisteswiss. I, 40 f.. Ideen üb. eine besehreib. u. zergliedernde Psychol. 1894, S. 23, 55). die Psychologie beschreibt hypothesenfrei die Gleichförmigkeiten in der Abfolge der seelischen Structur (l. c. S. 84. vgl. Sitzungsberichte d. K. Preuß. Akad. 1896, XIII. dagegen EBBINGHAUS, Zeitschr. f. Psychol. 9. Bd., 179 ff.). – Nach R. WÄHLE ist die Psychologie rein beschreibend, sie erklärt nur, soweit sie den psychischen Erscheinungen physiologische Vorgänge coordinieren kann (Gehirn u. Bewußts. 1884. Zeitschr. f. Psych. Bd. 1, 312, u. Bd. 16. s. unten MÜNSTERBERG). »Die Aufgabe der allgemeine philosophischen Psychologie ist einfach die, den phänomenalen Bestand an Ereignissen... zu ermitteln, für welche die Psychologie die Gesetze der Entstehung, Succession und Ursachen eruieren soll« (Das Ganze d. Philos. S. 157 f.). Es kann nur eine Aggregat-Psychologie geben, »nach welcher nur Qualitäten, Farben, Leibesempfindungen, Erinnerungsbilder etc. und Qualitätenreihen existieren« (l. c. S. 165 ff.). »Unser ganzes psychisches Leben ist nur ein Mosaik« (l. c. S. 171). Das geistige Leben ist nur eine »Folge von Vorstellungen« (l. c. S. 427).
Nach P. NATORP hat die Psychologie die Aufgabe, »die Zurückleitung der bis zu einem gewissen Punkte durchgeführten Construction des Gegenstandes bis auf die letzten erreichbaren subjectiven Quellen im unmittelbaren Bewußtsein, von denen sie ausgegangen war, gleichsam durch Umkehrung jenes ganzen Processes der Objectivierung« (Arch. f. system. Philos. VI, 221). Sie reconstruiert aus den Objecten die ursprüngliche subjective Erscheinung (Einl. in d. Psychol. S. 94 ff., 120). Nach H. COHEN entwirft die Psychologie »die Beschreibung des Bewußtseins aus seinen Elementen«. »Diese Elemente müssen daher hypothetische sein und bleiben, dieweil dasjenige, womit in Wahrheit das Bewußtsein beginnt und worin es entspringt, kein mit Bewußtsein Operierender auszugraben und festzustellen vermag« (Log. S. 5). Die Psychologie hat zum Gegenstand die »Einheit des Bewußtseins« (l. c. S. 16), das Subject (ib.), ihr Wert liegt im »Problem der Einheit des Culturbewußtseins, welches sie allein im Gesamtgebiet der Philosophie zu verwalten hat«. Sie gehört zum System [⇐158][159⇒] der Philosophie (l. c. S. 16). Nach HUSSERL, hat die Psychologie, descriptiv, »die Ich-Erlebnisse (oder Bewußtseinsinhalte) nach ihren wesentlichen Arten und Complexionsformen zu studieren, um dann – genetisch – ihr Entstehen und Vergehen, die causalen Formen und Gesetze ihrer Bildung oder Umbildung aufzusuchen« (Log. Unt. II, 336).
Nach STÖRRING ist die Psychologie die »Wissenschaft von den Bewußtseinsvorgängen« (Psychopathol. S. 2). Gegen die »Psychologie ohne Seele« und den Associationismus ist L. BUSSE (Geist u. Körp. S. 337, 347). – Vermittelnd lehrt HÖFFDING. Psychologie ist »die Lehre von der Seele« (Psychol. S. 1), d.h. hier vom Inbegriffe aller innern Erfahrungen (l. c. S. 15). Die subjective muß durch die objective (physiologische und sociologische) Psychologie ergänzt werden (l. c. S. 31). Den Elementen der Psyche geht der »Totalitätszusammenhang«, die Synthese, voran (Philos. Probl. S. 1). Die Psychologie ist selbständige Wissenschaft (l. c. S. 19. vgl. S. 21). »Die Aufgabe der Psychologie wird deshalb die, möglichst weit den Zusammenhang und die Verbindung der einzelnen Elemente nachzuweisen, so daß die Totalität durch die Teile und die Teile durch ihre Beziehung zur Totalität verständlicht werden« (l. c. S. 22). Das führt zu einer Antinomie, die das psychologische Problem nicht endgültig lösen läßt (ib.). Nach JODL ist die Psychologie »die Wissenschaft von den Formen und Naturgesetzen des normalen Verlaufs der Bewußtseinserscheinungen, welche im menschlich-tierischen Organismus mit den Vorgängen des Lebens und der Anpassung des Organismus an die ihn umgebenden Medien verbunden sind, und deren Gesamtheit wir als seelische (psychische) Functionen oder Processe bezeichnen« (Lehrb. d. Psychol. S. 5). Biologisch ist auch die Psychologie von W. JERUSALEM. »Psychologie ist die Wissenschaft von den Gesetzen des Seelenlebens« (Lehrb. d. Psychol.3, S. 1). Die nächste Aufgabe der Psychologie besteht darin, »die Vorgänge im Seelenleben so zu beschreiben, daß die darin enthaltenen Elementarvorgänge und ihre wechselseitigen Beziehungen klar hervortreten« (l. c. S. 3). Die analytische geht in die genetische Betrachtungsweise über. Mit dieser hängt die biologische Auffassung zusammen, welche die Wichtigkeit der psychischen Phänomene für die Erhaltung des Lebens berücksichtigt (l. c. S. 3 f.). Die Psychologie »berührt sich in ihrer Methode und in einem Teile ihrer Aufgabe mit den Naturwissenschaften, bildet aber durch ihren Gegenstand die Grundlage aller Geisteswissenschaften« (l. c. S. 5. vgl. Urteilsfunct. S. 13, 19).
»Biomechanisch« ist teilweise die Methode der Psychologie des psychophysischen Materialismus (s. d.). Nach R. AVENARIUS ist Gegenstand der Psychologie nicht ein besonderes »Psychisches« (s. d.), nicht eine eigene Art Erfahrung (Vierteljahrsschr. f. wissensch. Philos. 19. Bd., S. 1). Aufgabe der Psychologie ist »die Betrachtung der ›Erfahrungen‹ unter dem besondern Gesichtspunkt ihrer Abhängigkeit vom Individuum (vom System C, s. d.)« (l. c. S. 16). Ähnlich R. WILLY, CARSTANJEN, C. HAUPTMANN, J. PETZOLD (Einführ. in d. Philos. d. reinen Erfahr. I), (Met. in d. mod. Physiol. S. 317), W. HEINRICH (Mod. physiol. Psychol.), R. GOLDSCHEID (Eth. d. Gesamtwill. I, 18, 20), auch E. MACH (Analys. d. Empfind.4, S. 3 ff.), nach welchem sich Physiologie und Psychologie nur durch die Untersuchungsrichtung unterscheiden (l. c. S. 14). -- Nach EBBINGHAUS behandeln Psychologie und Physik denselben Inhalt von verschiedenen Gesichtspunkten (Gr. d. Psychol. I, 1 ff., 7). Die Psychologie »behandelt diejenigen Gebilde, Vorgänge, Beziehungen der Welt, deren Eigenart wesentlich bedingt ist durch die Beschaffenheit und die Functionen [⇐159][160⇒] eines Organismus, eines organisierten Individuums. Und nebenbei ist sie zugleich auch eine Wissenschaft von den Eigentümlichkeiten eines Individuums, die für seine Art, die Welt zu erleben, wesentlich maßgebend sind« (l. c. S. 7). Psychologie ist »die Lehre von den Dingen der Innenwelt« (l. c. S. 8). Nach O. KÜLPE ist die Psychologie eine »Wissenschaft von den Erlebnissen in deren Abhängigkeit von erlebenden Individuen« (Gr. d. Psychol. S. 3), die »Wissenschaft vom Subjectiven« (Einleit. in d. Philos.2, S. 66). »Gegenstand der Psychologie ist dasjenige in und an der vollen Erfahrung eines Individuums, das von ihm selbst abhängig ist« (l. c. S. 66). – Nach MÜNSTERBERG ist die Aufgabe der Psychologie, »die Gesamtheit der Bewußtseinsinhalte in ihre Elemente zu zerlegen, die Verbindungsgesetze und einzelnen Verbindungen dieser Elemente festzustellen und für jeden elementaren psychischen Inhalt empirisch die begleitende physiologische Erregung aufzusuchen, um aus der causal physiologischen. Coëxistenz und Succession jener physiologischen Erregungen die rein psychologisch nicht erklärbaren Verbindungsgesetze und Verbindungen der einzelnen psychischen Inhalte mittelbar zu erklären« (Üb. Aufgab. u. Methode d. Psychol. 1891, S. 12,. so auch Grdz. d. Psychol. I). Schon H. RICKERT betont, die Psychologie müsse, wie die Naturwissenschaft, die anschauliche Mannigfaltigkeit der Wirklichkeit, hier der geistigen, begrifflich überwinden (Grenz. d. naturwiss. Begriffsbild. I, 183 ff.). So lehrt auch MÜNSTERBERG, das Psychische (s. d.) sei nur ein abstractes Gebilde, nicht das Geistige, nicht das stellungnehmende Subject. Der Gegenstand der Psychologie ist ein Abstractionsproduct wie der der Naturwissenschaft, er ist losgelöst vom Subject (Grdz. d. Psychol. I, 57). Die Psychologie gehört zu den »objectivierenden« Wissenschaften, während die Geisteswissenschaften »subjectivierend« sind (l. c. S. 62). Die psychischen Objecte »sind lediglich für den Begriff und niemals für das wirkliche Erlebnis gegeben« (l. c. S. 391). »Der Gegenstand der Psychologie gewann logisch seine Existenz dadurch, daß die Wirklichkeit objectiviert wurde, die Bewertungsobjecte des actuellen Ich vom. Subject also losgelöst und die Actualität selbst in erfahrbare Vorgänge umgesetzt wurde. innerhalb dieser objectivierten Welt sondern sich Naturwissenschaft und Psychologie derart, daß die letztere es nur mit den Objecten zu tun hat, welche lediglich für einen Subjectact bestehen« (l. c. S. 202). Psychische Objecte stehen in keinem directen Causalzusammenhang (l. c. S. 384). »Die Einheit des geistigen Lebens ist... gar nicht ein Zusammenhang psychologischer Objecte, sondern ein Zusammenhang von Tatsachen, aus denen psychologische Objecte abgeleitet werden können« (l. c. S. 382 f.. vgl. Psychol. and Life 1899). Münsterberg lehrt eine zwischen Associations- und Apperceptionspsychologie vermittelnde »Actionstheorie« (s. d.). L. W. STERN betont: »Psychologie ist analysierende und isolierende Betrachtung seelischer Phänomene, und dadurch steht sie in einem innern Widerstreite zu allen Gebieten, für welche seelisches Dasein als individuelles Ganzes, d.h. in der Form der Persönlichkeit, von Bedeutung ist« (Psychol. d. Aussage H. 1, S. 15). – Gegen die Trennung des Psychologischen vom Geisteswissenschaftlichen sind HÖFFDING (Philos. Probl. S. 13), G. VILLA, Monist 1902), EISLER (Zeitschr. f. Philos. Bd. 122, S. 80 ff.) u. a.
Eine voluntaristische (s. d.) »Apperceptionspsychologie« (s. d.) lehrt WUNDT, für den die Psychologie die der Naturwissenschaft coordinierte Wissenschaft der unmittelbaren Erfahrung ist. »Das unmittelbar Wahrgenommene, wie es abgesehen von seiner Beziehung auf ein gegenüberstehendes Object uns gegeben [⇐160][161⇒] ist, bildet den Inhalt der Psychologie« (Syst. d. Philos.2, S. 277). Die Psychologie »untersucht den gesamten Inhalt der Erfahrung in seinen Beziehungen zum Subject und in den ihm von diesem unmittelbar beigelegten Eigenschaften«. Sie nimmt den Standpunkt der »unmittelbaren Erfahrung« ein (Gr. d. Psychol.5, S. 3, vgl. S. 5). Die Erkenntnisweise der Psychologie ist eine »unmittelbare oder anschauliche«, das »Concret-Wirkliche« erfassende. Da die Psychologie sich der »Abstractionen und hypothetischen Hülfsbegriffe der Naturwissenschaft« enthält, so ist sie die »strenger empirische Wissenschaft« (l. c. S. 6). Ist sie doch die »Wissenschaft der unmittelbaren Erfahrung«. diese anerkennt nicht eine reale Verschiedenheit innerer und äußerer Erfahrung, sieht den Unterschied »nur in der Verschiedenheit der Gesichtspunkte« (l. c. S. 10). Die Psychologie führt die psychischen Vorgänge auf Begriffe zurück, die dem Zusammenhang dieser Vorgänge direct entnommen sind, oder sie leitet zusammengesetzte Vorgänge aus einfacheren ab (Grdz. d. physiol. Psychol. II4, 639). Die Teilinhalte, welche die psychologische Analyse isoliert, verlieren ihre Realität nicht, wenn sie auch in Wirklichkeit nur als Verbindungselemente, nicht selbständig vorkommen (Log. II2, 2, 60 f., 166 ff.). Die Herstellung des seelischen Zusammenhanges ist übrigens die Hauptaufgabe der Psychologie (l. c. II2, 2, 197 f. Philos. Stud. X, 120. XII, 28). Ziel der psychologischen Analyse ist die Auffindung aller einfachen Qualitäten sowie deren Darstellung in der Form einer geordneten Mannigfaltigkeit (Log. II2, 2, 200. Philos. Stud. II, 299 ff.). Die Physiologie ist nur eine Hülfswissenschaft der Psychologie (Gr. d. Psychol.5, S. 13). Die »physiologische Psychologie« ist eine »Übergangsdisciplin«, die wesentlich mit der experimentellen Psychologie (s. Psychologische Methoden) eins ist (l. c. S. 31). Die allgemeine Psychologie gliedert sich in: 1) (experimentelle) Individualpsychologie (nebst Tier-, Kinderpsychologie, Charakterologie, e. d.), welche die typischen Vorgänge des individuellen Bewußtseins untersucht. 2) Völkerpsychologie (s. d.) (l. c. S. 11, 29 f.. Philos. Stud. XII, 21). Die Psychologie hat drei Sonderaufgaben. »Die erste besteht in der Analyse der zusammengesetzten Vorgänge, die zweite in der Nachweisung der Verbindungen, welche die durch diese Analyse aufgefundenen Elemente miteinander eingehen, die dritte in der Erforschung der Gesetze, die bei der Entstehung solcher Verbindungen wirksam sind« (Gr. d. Psychol.5, S. 32). Zu den. anderen Wissenschaften hat die Psychologie eine dreifache Stellung: 1) »Als Wissenschaft der unmittelbaren Erfahrung ist sie gegenüber den Naturwissenschaften, die infolge der bei ihnen obwaltenden Abstraction von dem Subject überall nur den objectiven, mittelbaren Erfahrungsinhalt zum Gegenstande. haben, die ergänzende Erfahrungswissenschaft.« 2) »Als Wissenschaft von den allgemeingültigen Formen unmittelbarer menschlicher Erfahrung und ihrer gesetzmäßigen Verknüpfung ist sie die Grundlage der Geisteswissenschaften.« 3) »Da die Psychologie die beiden en fundamentalen Bedingungen, die dem theoretischen Erkennen wie dem praktischen Handeln zugrunde liegen, die subjectiven und die objectiven, gleichmäßig berücksichtigt und in ihrem Wechselverhältnis zu bestimmen sucht, so ist sie unter allen empirischen Disciplinen diejenige, deren Ergebnisse zunächst der Untersuchung der allgemeinen Probleme der Erkenntnistheorie wie der Ethik, der beiden grundlegenden Gebiete der Philosophie, zustatten kommen« So ist sie »gegenüber der Philosophie die vorbereitende empirische Wissenschaft« (l. c. S. 19 f.). Ähnlich G. VILLA (Einleit. in d. Psychol.), HELLPACH (Grenzwiss. d. Psychol.) u. a. [⇐161]
[162⇒] Voluntaristisch (s. d.) ist auch die Psychologie von A. FOUILLÉE (Psychol. des idées-forces). – Einen gemäßigten Standpunkt vertreten die Psychologien von JANET (Princ, de met. et psychol. I, 132 ff.), RABIER (Psychol. p. 21 ff.), P. CARUS (The Soul of Man 1891). Nach J. DEWEY ist die Psychologie »the science of the reproduction of some universal content or existence, whether of knowledge or action, in the form of individual... consciousness« (Psychol. p. 6). Nach J. WARD hat die Psychologie den »individual mind« zum Object (Encycl. Britan. XX, 38). Nach STOUT ist die Psychologie »the positive science of mental process« (Anal. Psychol. I, 1). Nach SULLY ist sie »die Wissenschaft welche auf eine genaue und systematische Beschreibung der verschiedenen Vorgänge oder functionellen Betätigungen unseres Geistes abzielt« (Handb. d. Psychol. S. 12). Sie ist von der Naturwissenschaft durch den Stoff geschieden (l. c. S. 12 f.. vgl. Hum. Mind C. 1 f.. Outlin. of Psychol. C. 1). Nach BALDWIN ist die Psychologie »the science of the phenomena of consciousness« (Handb. of Psychol. I2, C. 1, p. 8). Vgl. CH. A. MERCIER, Psychology normal and morbid 1901, ferner die (genetischen) Arbeiten von ROMANES, BALDWIN, GALTON, CH. DARWIN (Ausdruck der Gemütsbeweg.), HUXLEY u. a. Vgl. ferner die Schriften von MORELL (Elem. of Psychol.), MURPHY, HACK-TUKE (Geist u. Körper 1888), TAINE, GARNIER (Trait. des facult.), LELUT (Physiol. da la pensée., 1862), BOUILLIÉE, WADDINGTON, DURAND DE GROS, PAULHAN, DUMONT, CH. FÉRÉ, DELBOEUF, FLOURNOY (Met. et Psychol. 1890), TH. REIN, A. LEHMANN, C. LANGE, KROMAN, VIGNOLA, MORSELLI, MASCI, BONATELLI, FERRI, LOMBROSO, N. J. GROT, BÊLKIN, OCHOROWICZ u. a. Vgl. KLENKE, Syst. d. organ. Psychol. 1842. REICHLIN-MELDEGG, Psychol. d. Mensch. 1837/38. HAGEN, Psychol. Unters. 1847. JESSEN, Vers. einer wissensch. Begründ. d. Psychol. 1855. RÖSE, Die Psychol. 1856. LEWISCH, Psychol. 1865. J. MOHR, Grundlage d. empir. Psychol. 1882. STRÜMPELL, Grundr. d. Psychol. 1884. BALLAUF, Grundlehr. d. Psychol. 1890, u. a. (KIRCHNER, HARTSEN, STOY, OSTERMANN, HESS, DITTES u. a.). vgl. auch FR. SCHULTZE, Vergleich. Psychol.
Von psychologischen Zeitschriften sind zu nennen: »Philosophische Studien«, herausgegeben von Wundt, 1883 ff.. »Zeitschr. für Psychol. u. Physiol. der Sinnesorgane« 1890 ff.. »L'année psychologique« (vgl. auch »Revue philosophique« 1878 ff.). »American journal of psychology« 1887 ff.. »Psychological Review« 1894 ff., »Mind« u. a. Psychologische Laboratorien in Leipzig, Göttingen, Heidelberg, Freiburg i. B., Berlin, München, Graz, Paris, Amerika u. a.
Zur Geschichte der Psychologie vgl.: F. A. CARUS, Gesch. d. Psychol. 1808. A. STÖCKL, Die speculat. Lehre vom Mensch. u. ihre Geschichte 1858. F. HARMS, Psychol. 1877. H. SIEBECK, Gesch. d. Psychol. I, 1 u. 2, 1880/84. B. SOMMER, Gesch. d. deutsch. Psychol 1892. DESSOIR, Gesch. d. neuern deutschen Psychol. I2, 1902. E. v. HARTMANN, Die moderne Psychologie, 1901. – Vgl. Seele, Seelenvermögen, Bewußtsein, Psychisch, Psychologische Methoden, Psychologismus, Wahrnehmung (innere), Voluntarismus, Intellectualismus, Association, Apperception, Empfindung, Gefühl, Affect, Leidenschaft, Vorstellung, Wille, Phantasie, Reproduction, Gedächtnis, Sinne, Trieb, Instinct, Evolution, Sociologie u.s.w. [⇐162]
[162⇒] Psychologie, angewandte ist die Psychologie als Hülfsmittel für das Verständnis der Geisteswissenschaften. »Die Anwendungsmöglichkeit der Psychologie reicht gerade so weit, als die sachliche Betrachtungsmöglichkeit menschlichen [⇐162][163⇒] Geisteslebens reicht, und das ist weit genug. Denn wenn auch der eigentliche Sinn und wahre Zweck des Daseins nicht in der sachlichen Betrachtungsweise, sondern in der persönlichen Wertung und Stellungnahme ruht, so stehen doch im Dienst dieses Zieles zahllose Functionen sachlicher Art, nämlich alle diejenigen, welche die Mittel zur Erreichung jener Ziele liefern« (L. W. STERN, Beitr. zur Psych. d. Auss. 1. H., S. 19). Psychologie wird zur angewandten Disciplin als »Unterlage der psychologischen Beurteilung: Psychognostik«, oder als »Wegweisung für psychologische Einwirkung: Psychotechnik« (s. c. S. 20 ff.). Letztere liefert »die Hülfsmittel, wertvolle Zwecke durch geeignete Handlungsweisen zu fördern« (l. c. S. 28 ff.). [⇐163]
[163⇒] Psychologie der Aussage hat zum Object »die Aussage (s. d.) im weitesten Sinne des Wortes, d.h. jene Function, welche gegenwärtige oder vergangene Wirklichkeit durch menschliche Bewußtseinstätigkeit zur Wiedergabe zu bringen sucht. Angestrebt wird die Kenntnis des logischen Wahrheitswertes und des moralischen Wahrhaftigkeitswertes der Aussagen, die Einsicht in die Bedingungen, welche diese Werte positiv und negativ beeinflussen, und die Eröffnung von Wegen, auf welchen sie vervollkommnet werden können« (L. W. STERN, Beitr. zur Psychol. d. Aussage H. 1, S. 1. vgl. S. 46 ff.). [⇐163]
[880⇒] Psychologie: vgl. LOTZE (Physiologische Psychologie hat die »Phänomene des Lebens darzustellen, die... aus beständiger Wechselwirkung des Geistes und des Körpers entspringen« (Med. Psychol. S. 81). vgl. MICHELET, Anthrop. S. 17 f.. BAIN (Ps. = »Science of mind«, Log. II, 275). JAMES (Ps. = »Science of mental life, both of its phenomena and of their conditions«, Princ. of Psychol. I, 1). G. SPILLER, Mind of man, 1902. C. LLOYD MORGAN, Introd. to comparative psychol., 1894. J. WARD, Enc. Brit. XX, 37 ff.. PLANCK, Anthropol. u. Psychol., 1874. E. DREHER, Beitrage zu ein. exact. Psycho-Physiol., 1880. EBBINGHAUS, Üb. erklär. u. beschreib. Psychol. Z. f. Psychol. IX, 161 ff.. LIPPS, Leitfad. d. Psychol., 1903 (Ps. = »Lehre von den Bewußtseinsinhalten oder Bewußtseinserlebnissen als solchen«, S. 1). NATORP, Socialpäd. S. 10 ff. (Ps. hat es nur mit »Erscheinungen in der Zeit« zu tun wie die Naturwissenschaft, S. 14. nur relativer Gegensatz des Psychischen und Physischen innerhalb des Bewußtseins. vgl. Philos. Propäd. § 41 f.). MAUTHNER, Sprachkrit. I, 220. NATORP, Allg. Psychol. 1904. Arch. de Psychol. de la Suisse. [⇐880]
Beschreibende (descriptive) Psychologie s. Psychologie.
Vergleichende (comparative) Psychologie s. Psychologie.
Metaphysische Psychologie s. Psychologie.
Comparative Psychologie s. Psychologie.
Descriptive Psychologie s. Psychologie.
Mathematische Psychologie s. Psychophysik.
Empirische Psychologie s. Psychologie.
Rationale Psychologie s. Psychologie.
[667⇒] Psychologie (v. gr.), die Wissenschaft von den Formen u. Gesetzen des geistigen Lebens u. den Bedingungen u. Ursachen seiner verschiedenartigen Gestaltung. Den Stoff derselben bietet nicht die äußere, sondern die innere Erfahrung, die Auffassung dessen, was im Bewußtsein geschieht, dar, u. in dieser Beziehung beruht die P. auf den Thatsachen des Bewußtseins. Diese Thatsachen bietet aber streng genommen jedem nur seine eigene innere Erfahrung dar; denn in ein fremdes Bewußtsein kann sich Niemand unmittelbar versetzen, u. was wir als Äußerung eines fremden geistigen Lebens an Andern beobachten, wird uns erst durch Analogie mit dem, was wir in u. an uns selbst beobachtet haben, verständlich; u. darin liegt eine der Ursachen, aus denen es der P. nicht so leicht ist, als es scheinen könnte, wirklich allgemeine Thatsachen des Bewußtseins festzustellen. Noch viel weniger gibt die innere Erfahrung unmittelbar die Gesetze u. Ursachen dessen zu erkennen, was in den mannigfaltigsten Formen, Abstufungen u. Verwickelungen sich als Inhalt u. Äußerung des geistigen Lebens darstellt. Wie in jedem anderen Gebiete, wo es darauf ankommt, einen gegebenen Complex gleichartiger Thatsachen aufzufassen, ist daher die erste Aufgabe der P., die Erscheinungen des geistigen Lebens möglichst genau u. vollständig kennen zu lernen, zu beschreiben u. zum Zwecke ihrer Unterscheidung einen nach Begriffen geordneten Überblick über sie zu gewinnen, d.h. sie zu klassificiren. Die P., insofern sie sich hierauf beschränkt, ist empirische P.; macht sie den Versuch, die Gesetze dieser Erscheinungen nachzuweisen u. ihre Ursachen zu entdecken, so wird sie rationale P. Die Schwierigkeiten schon der empirischen P. liegen nicht blos in der Mannigfaltigkeit der psychischen Thatsachen, sondern auch in der großen Veränderlichkeit u. der Unmerklichkeit der leisen, der Selbstbeachtung sich entziehenden Übergänge der psychischen Zustände, so wie in der höchst unvollkommenen u. beschränkten Hülfe, welche absichtlich angestellte Experimente in dieser Beziehung leisten können, u. es ist daher nicht zu verwundern, daß man sich lange Zeit nur an die allgemeinsten u. auffallendsten Unterschiede dieser Zustände u. Thätigkeiten gehalten hat. Den ältesten griechischen Philosophen bot theils die allgemeine Verschiedenheit des leiblichen u. des geistigen Lebens, theils innerhalb des letzteren der Unterschied dessen, was der Mensch mit dem Thiere gemein hat u. was ihm eigenthümlich ist, die zunächst liegenden Haltepunkte für ihre noch sehr rohen Auffassungen der psychischen Thatsachen dar. Während Plato sich noch damit begnügte, einen sinnlich begehrenden u. einen vernünftigen Theil der Seele zu unterscheiden u. beiden einen dritten Theil unter der Bezeichnung Thymos als Quelle der Thatkraft beizugesellen, war Aristoteles der erste, welcher die psychischen Thatsachen etwas vollständiger auffaßte u. genauer klassificirte. Er unterschied die sinnliche Empfindung, Gedächtniß, Phantasie, Begehrung u. Bewegung, das höhere vernünftige Denken u. Wollen. Diese Klassen von Erscheinungen betrachtete er als Glieder einer Entwickelungsreihe, von denen das frühere die Möglichkeit des folgenden enthält, dieses jenes voraussetzt; u. das, was sich in dieser Entwickelung darstellt, ist die Seele (Psyche) als der Ausdruck für den Träger der bestimmten Eigenthümlichkeit eines organischen Körpers. Er rechnete daher zu den psychischen Thätigkeiten auch die Ernährung u. Fortpflanzung, welche auch den Pflanzen zukommt; die sinnliche Empfindung etc. ist auf die Thiere, die Theilnahme an der Vernunft auf den Menschen beschränkt. Die Schwierigkeit, die höchsten Stufen des geistigen Lebens in eine gesetzmäßige Verbindung mit den niederen zu bringen, veranlaßte ihn, die Vernunft als etwas dem Menschen von außen Verliehenes, also nicht als eine Entwickelungsstufe der Psyche als der organischen Lebenskraft anzusehen; u. dieselbe Schwierigkeit hat später vielfach zu einer Dreitheilung der menschlichen Natur in Leib, Seele u. Geist geführt; eine [⇐667] [668⇒] Annahme, welche sich schon deshalb als unhaltbar erweist, weil die Stufen der geistigen Ausbildung ganz allmälig in einander übergehen u. die Einheit des rohen wie des gebildetsten Selbstbewußtseins mit ihr unvereinbar ist. Die aristotelische P. enthält aber auch zugleich den Keim einer Ansicht, welche die P. Jahrhunderte hindurch beherrscht hat, nämlich der, daß die verschiedenen psychischen Zustände u. Thätigkeiten aus einer bestimmten Anzahl von Seelenvermögen (Facultates animae) zu erklären seien. Die Methode der P. bestand daher bis auf die neuere Zeit herab hauptsächlich darin, daß man die gleichartigen psychischen Thatsachen unter einen bestimmten Allgemeinbegriff zusammenfaßte (am deutlichsten treten hier die des Vorstellens u. Denkens, des Fühlens, endlich des Begehrens u. Wollens hervor) u. diesen Begriffen einzelne Seelenvermögen unterlegte, welche den Realgrund dessen enthalten sollten, was jene Begriffe besagen; u. die Ausführung der P. ist deshalb vielfach von der Richtung der Abstraction u. der dadurch bedingten Eintheilungen der psychischen Phänomene abhängig gewesen. Das ganze Mittelalter hindurch war die dem Aristoteles entlehnte Unterscheidung einer ernährenden (Anima vegetativa), sinnlich empfindenden u. begehrenden (Anima sensitiva) u. vernünftigen Seele (Anima rationalis) maßgebend. Die Cartesianische Philosophie hatte auf die P. nur in so fern Einfluß, als sie Körper u. Geist, ausgedehnte u. denkende Substanzen streng von einander schied u. die Frage nach dem ursachlichen Zusammenhang zwischen leiblichen u. geistigen Zuständen durch den Occasionalismus (s.d.) beantwortete, an dessen Stelle Leibnitz seine Lehre von der Prästabilirten Harmonie (s.d.) setzte. Diejenigen Vorstellungen, deren Entstehung aus dem Verkehr mit der Außenwelt unmöglich schien, erklärte Cartesius, u. in einem beschränkteren Sinne auch Leibnitz, für angeboren u. entzogen sie dadurch eigentlich einer näheren Untersuchung ihres Ursprungs. Erst Locke gab der P. einen fruchtbaren Anstoß, indem er zwar nicht der Seele eigenthümliche Thätigkeiten, aber ihr angeborne Vorstellungen u. Erkenntnisse läugnete, den Ursprung des Vorstellungskreises aus der inneren u. äußeren Erfahrung wenigstens an einer Anzahl wichtiger Beispiele nachzuweisen suchte, die Thatsache des Selbstbewußtseins zuerst einer wenn auch sehr unvollkommenen Untersuchung unterwarf u. darauf hinwies, wie ganz untauglich die Annahme verschiedener getrennter Seelenvermögen zur Erklärung der psychischen Thatsachen sei. Locke's psychologische Ansichten wurden durch Condillac, Hartley, Priestley, Bonnet u. A. im Sinne eines reinen Sensualismus (s.d.) weiter entwickelt u. die französischen Encyklopädisten benutzten sie als Grundlage ihres Materialismus (s.d.), während die sog. Schottische Schule (Thom. Reid, Dugi. Stewart, Brown) zugleich die der Lehre Kants verwandten Elemente der Lockeschen P. weiter entwickelten. In Deutschland wurde die hergebrachte Vermögenslehre namentlich durch Christ. Wolff u. seine Schule systematisch formulirt; man unterschied theoretische u. praktische, höhere u. niedere Seelenvermögen u. rubricirte die psychischen Phänomene nach diesem Leitfaden. Diese Form der P. adoptirte ohne Veränderung der Grundansicht auch Kant, dessen Kritiken auf der Voraussetzung beruhen, daß jedes einzelne Vermögen (Sinnlichkeit, Gedächtniß, Einbildungskraft, Verstand, Urtheilskraft, Begehrungsvermögen, theoretische u. praktische Vernunft) bestimmte von der Natur ihm als ursprüngliche Mitgift verliehene Anschauungsformen, Begriffe u. Functionen habe. Die Lehre Kants, welche für die nachfolgenden Jahrzehende die Grundlage der gewöhnlichen Popularphilosophie wurde, erhielt durch Fichtes Idealismus sehr bald eine gänzliche Umwandlung; aber das Verdienst Fichtes, zuerst den Begriff des Ich als des mit seinem Vorgestellten identischen Vorstellenden scharf bestimmt zu haben, blieb bei ihm für die P. ohne Folgen, weil er damit die die Thatsachen der inneren Erfahrung gänzlich ignorirende Behauptung verband, daß das Ich das absolut Thätige, seine Vorstellungen u. Handlungen lediglich aus sich selbst Erzeugende sei. Daher trat in den auf Fichtes Bahn fortschreitenden idealistischen Systemen Schellings, Hegels u. ihrer Anhänger an die Stelle der alten Vermögenslehre lediglich der allgemeine Begriff der Entwickelung, u. die P. begnügte sich die verschiedenen Stadien u. Momente dieser Entwickelungsreihe, von denen jedes frühere das nächstfolgende spätere angeblich mit Nothwendigkeit aus sich hervortreiben soll, aufzuzählen u. mit den für die verschiedenen Klassen der psychischen Erscheinungen üblichen Namen zu bezeichnen. Eine durchaus neue Bahn der psychologischen Forschung betrat Herbart, nicht blos weil er auf vollständige, scharfe u. präcise Auffassung der Thatsachen drang, sondern weil er in dem Begriffe das Ich als des Ausdruckes für die Thatsache des Selbstbewußtseins ein Problem nachwies, dessen Auflösung ihn zu dem Satze führte, daß die wahren Realgründe des geistigen Lebens in den Vorstellungen selbst, dh. in den ganz individuellen in der Seele als ihrem reellen Träger durch deren Verbindung mit dem Nervensystem u. durch dieses mit der Außenwelt hervorgerufenen Thätigkeitsacten derselben, zu suchen sind, deren Wirkungsart, weil sie an Größenverhältnisse gebunden ist, mathematisch bestimmten Gesetzen unterliegt, so daß, in so fern es gelänge, diese Gesetze zu entdecken, die P. in den Rang einer exacten Naturwissenschaft treten würde. Über die Art, wie der Materialismus sich in neuerer Zeit auf dem Gebiete der P. geltend zu machen gesucht hat, s. Materialismus. Abgesehen von den zahlreichen Darstellungen der P. nach der Vermögenslehre schließen sich der Schellingschen Naturphilosophie an: Schubert, Geschichte der Seele, Tüb. 1833, 4. Aufl 1850; Carus, Vorlesungen über P., Lpz. 1831; Derselbe, Psyche, Pforzheim 1846, 2. Aufl. 1851; der Hegelschen Richtung folgen: Rosenkranz, Psychologie, Königsb. 1837, 2. Aufl. 1843; Michelet, Anthropologie u. P., Berlin 1840; Erdmann, Grundriß der P., 3. Aufl. 1847; Derselbe, Psychologische Briefe, 1852, 2. Aufl. 1856; Schaller, Psychologie, 1860 f. Vgl. Exner, Die P. der Hegelschen Schule, 184244; an Herbart schließen sich an: Drobisch, Empirische P., Lpz. 1842; Derselbe, Erste Grundlinie der mathematischen P., Lpz. 1850; Waitz, Grundlage der P., Gotha 1846: Derselbe, Lehrbuch der P. als Naturwissenschaft, Gotha 1850; Schilling, Lehrbuch der P., Lpz. 1851; Volkmann, Grundriß der P., Halle 1856; Fechner, Psychophysik, Lpz. 1860; Lotze, Medicinische P., Lpz. 1852; Beneke, Erfahrungsseelenlehre, 1820; Derselbe, Psychologische Skizzen, 1825, 2 Bde.; Derselbe, Lehrbuch der P., 1853; Derselbe, Die [⇐668][669⇒] neue P., 1845. Außerdem sind zu vergleichen: Vorländer, Grundlehren einer organischen Wissenschaft der Seele, Berlin 1841; I. H. Fichte, Anthropologie, Lpz. 1856, 2 Bde; Damiron, Psychologie, Brüssel 1834; Quételet, Sur l'homme et le développement de ses facultés, Par. 1835, 2 Bde; Mill, Analysis of the human mind, Lond. 1829, 2 Bde. [⇐669]
[630⇒] Psychologie, griech., Seelenkunde, Seelenlehre, eine bereits von Platon und Aristoteles (de anima) begründete, von den Kirchenvätern u. Scholastikern wegen ihrer hohen Bedeutung für die Metaphysik keineswegs vernachläßigte Wissenschaft, die aber erst in neuerer Zeit in Folge des gewaltigen Anstoßes, den Theophrastus Paracelsus und die Fortschritte der Naturwissenschaften, der religiöse Unglaube und der damit zusammenhängende Aufschwung der Philosophie gaben, eifrig behandelt wurde. Vor und nach Kant unterschied man die empirische P. oder Erfahrungsseelenlehre als die Lehre vom Erkenntniß-, Gefühls- und Willensvermögen von der rationalen P. od. Vernunftseelenlehre, welche vom Wesen der Seele oder vielmehr vom Bewußtsein, von der Freiheit und Unsterblichkeit derselben handelte. Jene sollte zusammenfassen, was über die Seele durch Erfahrung u. Beobachtung zu erkennen ist und wurde der philosophischen Propädeutik zugewiesen; die rationale P. stützte sich auf dasjenige, was durch bloße Vernunft (a priori) in Ansehung der Seele zu erkennen ist u. bildete dem 1. Theil der Metaphysik im engeren Sinne. Mag Kant die Seele auch dermaßen anatomisch zertheilt haben, daß das Individuelle ganz zurücktritt und nicht mehr als Princip erscheint, gleichviel, er hat den Grund zur Anthropologie gelegt, in welcher seit ihm vielfach die P. und mitunter die ganze Philosophie selbst aufgegangen ist. Mit der Anthropologie haben sich Philosophen aus allen Schulen, speciell aber mit der P. beschäftigt Christian Weiß, Fischer (Naturlehre der Seele 1834), vor allen Herbart, Beneke und Fries, die Schellingianer Eschenmaier, Troxler u. Schubert, die Hegelianer Erdmann und Rosenkranz, Vorländer und Carus, endlich [⇐630][631⇒] besonders der geistvolle Burdach (Blicke ins Leben, 2 B., 1842); in neuester Zeit lieferte Fortlage ein »System der P.« (Leipz. 185455, 2 B.). Wie leicht aber die vom geoffenbarten Glauben abgelöste Vernunft auch auf dem ihr zunächst liegenden Gebiete der P. trotz allen Fortschritten der Naturwissenschaften, Phrenologie u.s.w. in Unvernunft umschlägt, zeigt sich z.B. schon darin, daß Hegel in der P. keineswegs über Aristoteles hinauskam, sondern ganz wie dieser die Seele als bloß thierische und sterbliche u. den Geist als Vernunft im pantheistischen Sinne auffaßte, dann durch den Federkrieg, den der rohe Materialismus des K. Vogt (s. d.) 1855 hervorrief. Uebrigens wird die P. gegenwärtig mit Recht vorherrschend als psychische Anthropologie behandelt z.B. Sengler betrachtet als den Zweck der Anthropologie überhaupt, zu zeigen, was der einzelne individuelle Mensch seinem Wesen, seiner Organisation u. seinem in beide begründeten Lebenszwecke nach sei; er theilt dieselbe näher ein in: I. physische Anthropologie, Lehre von den Naturbestimmtheiten des Menschen (Zeugung, Fötalleben, Geburt, Anlagen, Temperamente, solarisches, lunarisches und tellurisches Leben, Menschenracen, Schlafen und Wachen, Träumen und Hellsehen); dann II. psychische Anthropologie, Lehre von den Vermögen u. Thätigkeiten der Seele; sie behandelt a) das sinnlichbewußte Seelenleben: Gemeingefühl, Empfindung, Selbstgefühl, Sinnesempfindungen, Anschauung und Wahrnehmung, Trieb und Instinct; b) geistigbewußtes Seelenleben: Geistiges Selbstgefühl, Einbildung, Gedächtniß u. Erinnerung, Vorstellung, Gier, Begierde u. Lusttrieb; endlich c) selbstbewußtes Seelenleben: Gemüth, Denken, Neigungen, Affecte u. Leidenschaften. Endlich soll III. die pneumatische Anthropologie den Menschen als geistigen Mikrokosmus darstellen; sie handelt vom selbstbewußten Gemüth, vom Wesen und den Erscheinungsformen des Denkens (sinnlichempirisches, sinnlichrationales, subjectives und objectives und beide in ihrer Einheit), vom selbstbewußten Begehren (individuelles, allgemeines oder sittliches, Einheit beider), endlich vom Fühlen, Erkennen u. Wollen in seiner Einheit. Als 2. Abtheilung behandelt die Philosophie des Geistes das Wesen des Geistes an sich, den theoretischen (intellectuelle Anschauung, rein- und realdenkende Erkenntniß od. Erkenntniß der Idee) u. praktischen od. wollenden Geist, schließlich aber die absolute Einheit des theoretischen und praktischen Geistes (Glaube, Gebet, Andacht, Cult, Ascese, praktische Mystik). Psycholog, Seelenkundiger, Menschenkenner; psychologisch, zur P. gehörig, dem Wesen eines Menschen entsprechend; Psychonomie, Lehre von den Gesetzen, Psychonosologie, von den Krankheiten des Seelenlebens. [⇐631]
[302⇒] Psychologie, Seelenlehre, der wichtigste Theil der Philosophie, die in Logik, Denklehre, Psychologie, Seelenkunde und Metaphysik, Lehre vom Uebersinnlichen, eingetheilt wird.
Bl. [⇐302]
Die Psychologie, s. die Philosophie.
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