Rumänĭen

[249] Rumänĭen (hierzu Karte »Rumänien, Bulgarien, Serbien etc.«), Königreich an der untern Donau, aus der Walachei (s. d.) und Moldau (s. d.), den sogen. Donaufürstentümern, auf dem linken Donauufer, die 1859–78 als Fürstentum R. unter türkischer Oberhoheit standen, und der Dobrudscha (s. d.) auf dem rechten Donauufer bestehend, liegt zwischen 43°38´ bis 48°15´ nördl. Br. und 22°30´-29°40´ östl. L. und grenzt im N. an das Königreich Ungarn und die Bukowina, im O. an Rußland und das Schwarze Meer, im S. an Bulgarien, im W. an Serbien.

[Physische Beschaffenheit.] Die Moldau ist von einer von N. nach S. zwischen Sereth und Pruth ziehenden Parallelkette der Karpathen (Grentesu 1866 m, Ciahleu 1907 m) und von mehreren von NW. nach SO. gerichteten, zwischen den Flüssen Moldova, Bistritza, Trotusch, Putna gelegenen Ausläufern des Hochgebirges erfüllt. Der Landstrich zwischen Sereth und Pruth ist ein Plateau mit südöstlicher Abdachung. das im W. am linken Ufer des Sereth von einem südwärts sich allmählich verflachenden Landrücken begleitet wird. Im N. der Walachei ziehen die Transsylvanischen Alpen (mit Penteleu 1776 m, Bucsecs 2508 m, Negoi 2536 m, u.a.), deren Hauptkamm die Grenze gegen Siebenbürgen folgt, von O. nach W. und verzweigen sich dann in Ketten, die eine südliche [249] Richtung nehmen, um längs des mächtigen Donaustroms die fruchtbare Ebene zu bilden. Betrachtet man von der Donau aus die Walachei, so türmt sie sich amphitheatralisch von der Ebene zum Hügelland, dem Sitz der Weinberge, und zum Hochgebirge auf. Die wichtigsten Pässe, die aus der Walachei nach Siebenbürgen führen, sind von W. nach O. der Vulkanpaß (1624 m), Roteturmpaß (365 m), den die Eisenbahn Hermannstadt-Cainens überschreitet, Törzburger Paß (1240 m) und der Tömöspaß (1051 m), den die Eisenbahn Kronstadt-Predeal-Ploësci überschreitet; aus Siebenbürgen führt unter andern nach der Moldau der Ojtozpaß (846 m). Die Dobrudscha (s. d.) ist überwiegend eine waldlose Hochebene von 100–200 m Höhe, an die sich im NW. einige Bergzüge und im NO. ausgedehnte Strandlagunen anschließen. Im mannigfach gegliederten Grenzgebirge Rumäniens treten besonders kristallinische Schiefer auf, an die mesozoische Sedimente, vornehmlich der jurassischen Formation zugehörig, angelagert sind. Diese werden vielfach von dioritischen und andesitischen Eruptivgesteinen durchbrochen und haben zur Entstehung von Kontaktgebilden Anlaß gegeben, in denen häufig Erzlagerstätten (Kupfer- und Manganerze, Magneteisenerze) liegen. Cretazeïscher und tertiärer Flysch, ferner der Mediterranstufe zugehörige Schichten mit Gips und Steinsalz, sarmatische Bildungen sowie Kongerien- und Paludinenschichten finden sich sehr verbreitet. Die ältern und miocänen Tertiärbildungen enthalten am Südost- und Ostfuß der Karpathen (s. d.) an mehreren Stellen Erdöl in großer Menge. Quartäre Ablagerungen herrschen in dem Tiefland längs der Donau und ihrer größern Zuflüsse. Die Bewässerung Rumäniens ist reich. Vom Eisernen Tor bis unterhalb Silistria bildet die Donau die Südgrenze gegen Bulgarien; ihr nördliches Ufer ist flach und mit Sümpfen und Seen, den Überbleibseln früherer Strombetten, bedeckt. Ihr strömen aus der Walachei Schyl (Jiulu), Aluta, welche die Kleine Walachei von der Großen trennt, Ardschisch (Argesu) mit der Dimbowitza als Nebenfluß, Ialomitza, aus der Moldau der Sereth mit den Nebenflüssen Moldova, Bistritza, Trotusch, Putna, Buzeu, Berlad, endlich der Pruth (mit dem Nebenfluß Schischia oder Jijiu), Grenzfluß gegen Rußland, zu. Unterhalb Reni bildet die Donau die Grenze gegen Rußland. Die rumänische Tiefebene ist den Nordostwinden schutzlos preisgegeben. Daher zeigt das Klima auffallende Extreme und starken Wechsel von regnerischen und regenarmen Jahren, von strengen nordischen und getinden südlichen Wintern. In Bukarest, das mit Bologna etwa unter gleicher Breite liegt, steigt das Thermometer im Hochsommer durchschnittlich bis zu 35°, um im Winter im Mittel bis auf -21° zu sinken (absolute Extreme 40° und -31°). Die Hauptregenzeit ist der Sommer, in der westlichen Walachei aber der Frühling; die Menge nimmt von Donau und Pruth nach den Karpathen hin zu (Sulina 37, Constantza 39, Turn Severin 66, Bukarest 58, Dorohoi 56, Sinaia 80, Bistriciora bei Piatra 132 cm). Schneetage hat Constantza 11, Bukarest 23, Sinaia 32.

[Areal und Bevölkerung.] R. hat einen Flächeninhalt von 131,353 qkm (2385,5 QM.) mit einer Bevölkerung von (1899) 5,956,690 Seelen (45 auf 1 qkm). Nach einer provisorischen Statistik vom Ende Dezember 1902 belief sich die Zahl der Einwohner auf 6,151,628 Seelen (fast 47 Einw. auf 1 qkm). Im J. 1905 fanden 51,191 Eheschließungen (8,08 auf 1000 Einw.) statt; es wurden 247,959 (39,1 auf 1000) lebende und 5577 tote Kinder geboren, während 159,932 (25,3 auf 1000) Sterbefälle vorkamen. Der Staatsangehörigkeit nach zählte man 1902: 5,692,299 Rumänen (s. d.), 173,953 fremde Untertanen und 285,376 ohne Staatsangehörigkeit (hierher gehören Juden und Zigeuner). Der Nationalität nach zerfällt die Bevölkerung in: Rumänen 5,2 Mill., Juden 272,000 (1899: 266,692), Zigeuner 100,000, Bulgaren 100,000, Ungarn 100,000, Deutsche 60,000, Griechen und Armenier je 1000. Unterrichtswesen. Der Schulunterricht steht unter der Leitung des Ressortministeriums und ist da, wo Schulen vorhanden sind, für das Alter vom 7.–14. Jahr obligatorisch. Die Schulen zerfallen in Primär- (Elementar-), Sekundär- (achtklassige Lyzeen, vierklassige Gymnasien und Fachschulen) und höhere Schulen. Die Zahl der Analphabeten ist immer noch groß, da es vielfach an Schulen fehlt. Im J. 1901/02 gab es 4051 Elementarschulen (außer 204 Privatschulen), 23 Kindergärten und 84 elementare Handwerkerschulen, 99 staatliche und 100 private Sekundärschulen, 37 Gewerbeschulen, 12 landwirtschaftliche Schulen, 3 Seminare, 1 Apothekerschule, 4 Kunstschulen, 2 Konservatorien, 2 Universitäten (in Bukarest und Jassy) sowie je eine Brücken- und Straßenbau- und Architekturschule. Landwirtschaft. Der Nationalreichtum Rumäniens und seine Produktionskraft beruht hauptsächlich auf seinem außerordentlich fruchtbaren Boden, der heute noch weder des Düngens, noch des tiefen Pflügens bedarf. Trotzdem befindet sich der Ackerbau auf verhältnismäßig niedriger Stufe. Die seit dem 16. Jahrh. bestehende Robotpflichtigkeit der Bauern ist seit 1864 aufgehoben, und die Bauern (406,898 Familien) haben seit 1880 die gesetzlich bestimmte Ablösung (107,247,852 Lei) den Grundbesitzern ausbezahlt, wofür sie Eigentümer des von ihnen besessenen Grund und Bodens (11/2 Mill. Hektar) wurden. Außerdem wurden ihnen 1868–96: 695 Staatsgüter mit 164,206 Hektar im Werte von 55 Mill. Lei und weitere 595 Güter mit 405,812 Hektar im Werte von 155 Mill. Lei parzellenweise verkauft. Überhaupt bildet der allmähliche Verkauf der Staatsländereien an Bauern seit 1878 den Hauptpunkt der rumänischen innern Sozialpolitik. Neben den Bauernwirtschaften gibt es aber in R. viele ausgedehnte Güter des Staates und der Privatbesitzer, die leider an Pächter mit kurzzeitigen (meist fünfjährigen) Kontrakten vergeben werden, die das Land nur mit Rücksicht auf hohen Ertrag bewirtschaften. Bebaut wird eine Bodenfläche von ca. 7 Mill. Hektar. Anbaufläche und Ertrag der wichtigsten Bodenerzeugnisse waren:

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Außerdem wurden 1903 bebaut: 8008,5 Hektar mit Hanf (727,204 hl), 7930,5 Hektar mit Leinsaat (556,670 hl), 260,5 Hektar mit Mohn (1645 hl), 29,720 Hektar mit Bohnen (1,404,805 hl), 8620 Hektar mit Erbsen (129,730 hl), 11,048 Hektar mit Kartoffeln (1,427,620 dz), 10,700 Hektar mit Zuckerrüben (2 Mill. dz). Die künstlichen Wiesen hatten[250] eine Fläche von 503,656 Hektar und lieferten einen Ertrag von 10,802,240 dz. Die Ausfuhr der wichtigsten Zerealien betrug im J. 1903:

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Der Obstbau nimmt allmählich zu. Zur Förderung desselben dienen die Lehr- und Versuchsanstalten in Bukarest, Vişanu und Pietrosa, von wo aus jährlich eine große Anzahl Bäumchen unentgeltlich verteilt wird, sowie das große botanische Institut und der Botanische Garten in Bukarest. Am meisten wird die Zwetsche kultiviert, da aus ihr der geschätzte Branntwein, die Tzuika, hergestellt wird. Die Zwetschenkultur hatte 1900 eine Ausdehnung von 72,400 Hektar. Der Weinbau hat sehr viel durch die Phylloxera gelitten; durch die Gesetze von 1891 und 1899 wurde eine dem Domänenministerium unterstellte Reblauskommission eingesetzt, vom Staate viele Rebschulen errichtet und Weinstöcke meist unentgeltlich an Weinbauern verteilt. Im J. 1903 wurden 133,008 Hektar bebaut und ein Ertrag von 3,497,700 hl im Werte von 45,593,480 Lei erzielt. Der Tabakbau hat sich seit der Monopolisierung durch den Staat (1872) sehr gehoben; im J. 1903 wurden 5757 Hektar bebaut. Der Wert des Ertrages von einem Hektar betrug 1903: 459,19 Lei gegen 217,5 Lei im J. 1879. Feinere Tabake werden aus Mazedonien, Kleinasien und Griechenland eingeführt, Zigarren aus Deutschland bezogen. Die Viehzucht ist zurückgegangen. Nach der Zählung von 1900 war der Bestand an Rindvieh 2,588,526, an Schafen 5,655,444, an Pferden 864,324, an Ziegen 232,515, an Schweinen 1,709,205, an Eseln und Maultieren 7700. Zur Ausfuhr gelangen hauptsächlich Schweine, Ochsen und Schafe. Die Bienenzucht ist meist noch primitiv; 1900 hatten die 41,731 Züchter 310,180 Bienenstöcke mit einem Ertrag von ca. 400,000 kg Honig im Werte von 360,000 Lei. Die Fischerei nimmt seit der Einführung des Fischereigesetzes 1895 immer mehr an Bedeutung zu. Der Wert des Ertrages wird jetzt auf über 120 Mill. Lei geschätzt. 1904 wurden 5 Mill. kg Fische im Werte von 4 Mill. Lei ausgeführt. Der Reinertrag aus den fiskalischen Seen betrug 1900: 2,5 Mill. Lei. Forstwirtschaft. Nach einer Statistik von 1899 besitzt R. ungefähr 2,5 Mill. Hektar Waldungen, wovon 1122 Forsten mit über 1 Mill. Hektar dem Staate gehören. Der Ertrag aus den Staatswaldungen betrug 1904: 53,5 Mill. Lei.

[Bergbau.] Der Bergbau erstreckt sich in der Hauptsache auf die reichen, in den Karpathen gelegenen Salzbergwerke (Tîrgu-Ocna in der Moldau, Slanic-Doftana und Ocnele-Mari in der Walachei) und die zahlreichen, sehr ergiebigen Petroleumquellen, die teils dem Staat gehören, teils in Privatbesitz sind. Die Salzbergwerke ergaben 1902/03: 105,056 Ton., wovon 34,370 T. nach Serbien ausgeführt wurden. Das Einkommen aus den Salzbergwerken betrug 7,5 Mill. Lei. Die Ausbeutung der Petroleumquellen nimmt ständig an Ausdehnung zu, doch sind bis jetzt nur verhältnismäßig wenig Quellen in Betrieb; die ergiebigsten sind in den Distrikten Bakau, Buzen, Dimbowitza und Prahova. Im J. 1903/04 wurden 339,987 T. Rohpetroleum gewonnen. Ausgeführt wurden: 57,107 T. Rohpetroleum, 46,947 T. raffiniertes Petroleum und 22,249 T. Benzin. Außerdem gewinnt man Braunkohle in den Distrikten Dimbowitza, Prahova, Bakau, Gorj, Argesu, Vâlcea und Mehedintzi (der Ertrag, 1902: 131,586 T., wird im Lande verbraucht), ferner: schwarzen Bernstein (Buzen), Marmor, Mühlsteine, Kalk, Gips sowie auch Kupfer- und Eisenerze. An Mineralquellen ist R. sehr reich; die bedeutendsten sind die Schwefelquellen in Serbanesti (Distrikt Dimbowitza) und Strunga (Jassy), die Moorbäder von Balta-Alba (Distrikt Rimnic-Sarat), Tikir-Ghiol (Dobrudscha), die Jodquellen in Calimanesti (Vâlcea) und Slanic (Buzeu), die trinkbaren Jodwässer in Predeal u.a.

[Industrie.] Die Industrie in R. datiert erst seit der Einführung des Gesetzes von 1887 zur Aufmunterung der Nationalindustrie, das 1899 abgeändert wurde. Dieses Gesetz räumt den Industriellen mit einem Kapital von mindestens 50,000 Lei große Privilegien ein, z. B. Steuerfreiheit auf 15 Jahre, zollfreie Einfuhr von Maschinen und Rohmaterial, Ermäßigung der Eisenbahnfrachten etc. Hemmend wirken der Mangel an Kapital, das teuere Brennmaterial und der hohe Zinsfuß. Am meisten entwickelt ist die Mühlenindustrie; neben einer sehr großen Anzahl kleinerer Mühlen sind 61 große Kunstmühlen mit einem Kapital von 24,1 Mill. Lei vorhanden, die auch für die Ausfuhr arbeiten. Die größten Mühlen sind in den Distrikten Botoşani und Dorohoi. Von besonderer Bedeutung ist auch die Holzindustrie mit 54 großen Sägewerken; Brennereien gibt es 31 mit einem Kapital von 10 Mill. Lei und einer Jahresproduktion von 200,000 hl, die zum Teil zur Ausfuhr kommt. Ebenso machen auch die 13 Bierbrauereien ziemliche Fortschritte. Nach dem Verzeichnis der Firmen, welche die Vorteile des Industriegesetzes genießen, hat R. 13 Ziegeleien mit einem Kapital von 6 Mill. Lei, 5 Glasfabriken, 26 Gießereien, 4 Nägelfabriken, 5 Möbelfabriken, 11 Konservenfabriken, 6 Zuckerfabriken, 14 Tuchfabriken, 14 Leinwebereien, 5 Trikotfabriken, 8 Papierfabriken etc.

[Handel und Verkehr.] Die Gesamteinfuhr betrug im J. 1904: 311,4 Mill. Lei, während die Ausfuhr nur 261,9 Mill. Lei, um 93,8 Mill. weniger als im Vorjahr, wertete. Eingeführt wurden 1904: Gewebe für 118,2 Mill. Lei, Metalle und Metallwaren 82,9 Mill., Häute und Lederwaren 10,1 Mill., Kolonialwaren und Südfrüchte 10,7 Mill., Mineralien, Ton- und Glaswaren 6 Mill., Brennstoffe 5,9 Mill., Papier und Papierwaren 6 Mill., Chemikalien 6 Mill., Öle und Fette 8,3 Mill. Lei. Die wichtigsten Ausfuhrartikel bilden die Brotfrüchte, deren Wert im J. 1904 nur eine Höhe von 195,9 Mill. Lei erreichte (gegen 276,6 Mill. in 1903), ferner wurden ausgeführt: Produkte der Viehzucht 7 Mill., Früchte und Gemüse 6,7 Mill., Holz 23,5 Mill., mineralische Brennstoffe 6,2 Mill. Lei etc. Der Handelsverkehr mit den einzelnen Staaten gestaltete sich 1904 wie folgt (in Mill. Lei):

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Die Schiffahrt konzentriert sich vornehmlich auf die Häfen Sulina (Sitz der Europäischen Donaukommission), Galatz, Braila, Constantza und Giurgewo. 1904 liefen ein: 29,153 Schiffe von 8,366,081 Ton., aus: 28,847 Schiffe von 8,277,235 T. Die Handelsmarine umfaßte 1905: 329 Schiffe (darunter 69 Dampfer) von 94,007 T.[251]

Das Staatseisenbahnnetz hat sich seit der Eröffnung der ersten Linie Bukarest-Giurgewo (78 km) im J. 1869 sehr rasch entwickelt und umfaßte 1905: 3198 km befahrene Bahnen, während mehrere Hundert Kilometer im Bau oder projektiert waren. In den Jahren 1879–88 wurden sämtliche Bahnen verstaatlicht (jetzt nur 18 km Privatbahn). Die Hauptlinie durchschneidet das Land von Verciorova (an der Donau und der ungarischen Grenze) über Bukarest-Focşani bis Itzkani (an der Bukowinaer Grenze). Von der Hauptlinie geht eine Linie bei Piatra Olt über Turnu Roş nach Hermannstadt, eine andre führt von Ploësci über Predeal nach Siebenbürgen, von Bukarest eine nach Giurgewo (gegenüber Rustschuk, dem Anfangspunkt der bulgarischen Linie Rustschuk-Varna) und eine andre über die neue Donaubrücke bei Cernavoda nach Constantza am Schwarzen Meere, mit Anschluß an die rumänischen Dampfer nach Konstantinopel; eine von Adjud über den Gyimes- Paß nach Siebenbürgen. Nach Rußland führt die Bahn Jassy-Ungheni-Kischinew. Im J. 1903 wurden 5,6 Mill. Personen und 4,8 Mill. Ton. Güter befördert und brachten eine Einnahme von zusammen 55,3 Mill. Lei. Auch gute Landstraßen (24,823 km) sind in allen Landesteilen vorhanden. Mit der Post wurden 1904: 63,3 Mill. Briefe und Postkarten und 41,7 Mill. Drucksachen befördert, die eine Einnahme von 10,4 Mill. Lei ergaben. Die Länge der Telegraphenlinien betrug 7013 km mit 18,511 km Leitungsdrähten. Befördert wurden 2,2 Mill. Telegramme mit einer Einnahme von 2,6 Mill. Lei. Für den Fernsprechverkehr bestanden 1904: 3157 Anlagen, die Länge der Linien betrug 26,107 km. Die Münz einheit in R. bildet der Leu (»Löwe«) zu 100 Bani (Para) = 1 Frank oder 81 Pfennig. Man prägt Goldmünzen zu 20,10 und 5 Lei, Silbermünzen zu 5,2,1 Leu und 50 Bani, Nickelmünzen zu 20,10 und 5 Bani, Bronzemünzen zu 2 und 1 Banu. Seit 1880 ist das französische Maß- und Gewichtssystem allgemein eingeführt.

[Staatsverfassung und Verwaltung.] R. bildet einen konstitutionellen Staat unter der erblichen Dynastie des Königs Karl I. von Hohenzollern-Sigmaringen (seit 1866); Thronfolger ist Prinz Ferdinand von Hohenzollern. Die Verfassung beruht auf der Konstitution von 1866, die 1884 revidiert wurde. Hiernach übt das Volk alle Staatsgewalten durch Delegation aus. Die Exekutive gehört dem König (Rege), der mittels seiner verantwortlichen Minister regiert. Die gesetzgebende Gewalt wird ausgeübt von dem König, dem Senat (120 Mitglieder) und der Abgeordnetenkammer (183 Mitglieder), die am 28. Nov. jedes Jahres zu einer dreimonatigen regelmäßigen Session zusammentreten. Das Wahlrecht ist an die Vollendung des 21. Lebensjahres geknüpft; ein Senator muß mindestens 40 Lebensjahre und ein jährlich es Einkommen von 9400 Lei besitzen, ein Abgeordneter mindestens 25 Jahre alt sein. Die Zentralverwaltung zerfällt in die acht Departements des Innern, des Kultus und des Unterrichts, der Justiz, der Finanzen, der Domänen (des Ackerbaues, Handels und der Industrie), der öffentlichen Arbeiten, des Krieges und des Äußern. Hinsichtlich der innern Verwaltung zerfällt R. in 32 Distrikte oder Kreise, 131 Bezirke oder Arrondissements und 2975 Gemeinden, darunter 71 städtische. Dem Distrikt steht ein Präfekt, dem Bezirk ein Unterpräfekt und den Kommunen je ein Primar (Maire) vor. Dem Präfekten zur Seite stehen ein zwölfgliederiger Distriktsrat und in dessen Abwesenheit ein dreigliederiger ständiger Ausschuß. An die Distriktsverwaltung reiht sich die Verwaltung der Kommunen, die in Stadt- und Landgemeinden zerfallen. Dem Primar steht zur Seite ein Gemeinderat, dessen Mitgliederzahl je nach der Einwohnerzahl zwischen 9 und 17 schwankt. Die Beschlüsse des Gemeinderats können teils selbständig ausgeführt werden, teils bedürfen sie der Zustimmung des ständigen Ausschusses und des Ministers des Innern (Budget etc.), teils auch der königlichen Genehmigung (Steuern etc.). Der Primar wird auf den Antrag des Ministers aus der Mitte der gewählten Gemeinderäte vom König ernannt; er ist zugleich Agent der Zentralverwaltung, leitet die Gemeindepolizei, in sechs Städten auch die Ortspolizei, redigiert die Wahllisten und besorgt die Führung der Standesregister und die Eintreibung der direkten Staatssteuern. An der Spitze der herrschenden griechischen Kirche steht der heilige Syn od, dem die beiden Erzbischöfe und Metropoliten in Bukarest und Jassy sowie sechs Bischöfe in Rimnicu-Vâlcea, Buzau und Ardschisch in der Walachei und zu Roman, Huşi und für die untere Donau (Galatz) in der Moldau angehören. Die weltliche Geistlich leit zählt 15,391 Personen mit 6666 Gotteshäusern; die Zahl der Klöster, die in den letzten Jahrzehnten sehr zurückgegangen ist, beläuft sich noch auf 68 mit 718 Mönchen und über 2000 Nonnen. Die Katholiken haben einen Erzbischof in Bukarest und einen Bischof in Jassy; protestantische Gemeinden finden sich in Bukarest, Ploesci, Pitesci, Turnu Severin, Krajova etc. Die Juden besitzen 422, die Türken 238 Gotteshäuser. Für die Justizpflege bestehen ein Kassationshof (Bukarest), 4 Appellhöfe (in Bukarest, Jassy, Krajova und Focşani), 34 Tribunale (darunter 2 mohammedanische in der Dobrudscha) und 131 Friedensrichter (einer in jedem Bezirk). Für Strafsachen ist die Jury eingeführt, die Todesstrafe abgeschafft. Die Richter werden vom Könnt ernannt, und nur die Räte des Kassationshofes sind unabsetzbar. Das Verfahren ist durchweg öffentlich und mündlich. Die Gesetze sind seit Cusa kodifiziert und den französischen nachgebildet. Die Finanzen leitet der betreffende Minister; für die Kontrolle besteht ein Rechnungshof. Die Um legung der direkten Steuern geschieht alle fünf Jahre. Das Budget für 1906/07 beziffert die Einnahmen wie die Ausgaben auf 236,989,238 Lei. Unter den Einnahmen sind die direkten Steuern auf 47,650,000, die indirekten (nebst Stempelgebühren etc.) auf 57,514,000, die Erträge aus den Staatsmonopolen (Tabak, Salz, Zündhölzchen und Zigarettenpapier) auf 51,735,000, aus den Domänen auf 27,458,210 Lei veranschlagt. Unter den Ausgaben erfordert die öffentliche Schuld 83,350,281, die Armee 44,549,399, Kultus und Unterricht 27,711,108, die Finanzen 27,540,357, Inneres 22,272,400 Lei. Die Staatsschuld betrug 1. April 1906: 1441,7 Mill. Lei.

[Armee und Kriegsmarine.] Nach dem Wehrgesetz von 1900 währt die allgemeine Dienstpflicht 26 Jahre (21.–46.), davon 7 Jahre erste Linie, 2 Reserve, 7 Miliz und 10 Jahre Landsturm. Fahnenpflichtige sind bei Unabkömmlichkeit infolge häuslicher Verhältnisse vom Friedensdienst in der ersten Linie befreit, Abiturienten und Hochschüler dienen ein Jahr präsent und werden dann Reserveoffiziere. Die permanenten Truppen (das 1. und 2. Bataillon jedes Infanterieregiments, Jäger, Artillerie, technische Truppen und ein Teil der Kavallerie) sind 3 Jahre aktiv, 4 Jahre Urlauber; halbpermanente Truppen[252] machen außer der Rekrutenausbildung nur wochenweise Waffenübungen mit (Infanterie insgesamt 1 Jahr, Kavallerie 11/2 Jahr). Urlauber, Reservisten und Milizsoldaten können alljährlich einen Monat zur Waffenübung einberufen werden. Meist aber erfolgt nur die nicht alljährliche Einziehung des Urlauber- und Reservestandes. Die Infanterieergänzung geschieht territorial, bei der Kavallerie muß der Mann des Ablösungsstandes ein kriegsbrauchbares eignes Pferd haben. Das Rekrutenkontingent betrug 1905: 33,000 Mann, davon zwei Drittel permanent. Friedensstärke 67,000 Mann, 16,000 Pferde; darunter 34 Infanterieregimenter (102 Bataillone), 9 Jäger-, 1 Grenzwachtbataillon (mit 50 Offizieren und 2600 Mann), 17 Kavallerieregimenter (6 Roschiori oder rote Husaren, 11 Kalaraschi oder schwarze Husaren) und 3 Eskadrons berittene Gendarmerie, zusammen 71 Eskadrons; 12 Feldartillerieregimenter und 1 Abteilung (3 Batterien), zusammen 450 bespannte Geschütze (nach Durchführung der Bewaffnung mit Schnellfeuergeschützen soll beabsichtigt sein die Formierung in 9 Divisionsartillerieregimentern zu 6 Batterien zu 4 Geschützen; 4 Korpsartillerieregimentern zu 4 Kanonen, 2 Haubitz-, eventuell 1 Gebirgsbatterie; 4 reitenden Batterien für die Kavalleriedivisionen im Kriege), 2 Festungsartillerieregimenter zu 2 Bataillonen, je 5 Kompanien, 2 Regimenter technische Truppen mit 12 Pionier-, 4 Telegraphenkompanien, 1 Eisenbahn-, 1 Pontonierbataillon zu 4 Kompanien, 1 Luftschifferabteilung, 5 Traineskadrons, 5 Sanitäts-, 5 Professionisten-, 6 Verpflegungskompanien. Von 1907 ab erhalten die Infanterieregimenter ein 4. Bataillon und wird die Feldartillerie mit Haubitzen dotiert. Kriegsstärke: Ohne Ersatztruppen, Neuaufstellungen und Landsturmformationen 143 Infanteriebataillone, 10 Grenzwachtkompanien, 71–78 Eskadrons, 81 (künftig 86) Batterien der Feldarmee mit 160,000 Gewehren, 13,000 Säbeln und 486 Geschützen (künftig 344). Überhaupt aufgestellt können werden 600,000 Mann, davon 280,000 ausgebildet. Die territoriale Organisation, das Vorhandensein von 32 Milizbataillonskaders der Infanterie (je 1 Offizier, 5 Mann), der verhältnismäßig hohe Friedensstand (das permanente Infanterie- oder Jägerbataillon 19 Offiziere, 405 Mann, die Eskadron 4 Offiziere, 146 Mann, 141 Pferde, die fahrende Batterie 4 Offiziere, 85 Mann, 61 Pferde) fördern die Kriegsbereitschaft der Armee. Bewaffnung: Infanterie 6,5 mm-Mannlicher-Repetiergewehr M/93 mit Paketladung und Dolchbajonett, Kavallerie (erstes Glied Roschiori hat Lanzen und Revolver) 6,5 mm-Mannlicher-Repetierkarabiner M/93, Artillerie ist in Neubewaffnung begriffen mit Kruppschem 7,5 cm-Rohrrücklaufgeschütz M/1903. Den Oberbefehl in Krieg und Frieden führt der König, die Heeresverwaltung besorgt das Kriegsministerium. Im Frieden: 4 Armeekorps (Krajova, Bukarest, Galatz, Jassy), 1 selbständige Division (Dobrudscha), 1 Kavalleriedivision; im Kriege: 1 Armeeoberkommando, 4 Korps zu 2 Infanteriedivisionen, 1 Miliz- und 1 Kalaraschenbrigade, je ein Armeekorps 39,000 Gewehre, 17,000 Säbel, 108 Geschütze (künftig 76) Gefechtsstand; die selbständige Dobrudschadivision (7700 Gewehre, 740 Säbel, 18, künftig 24 Geschütze); 2 Kavalleriedivisionen, je 3000 Reiter, 12 Geschütze. Die Formierung von 8 Korps ist geplant. Anstalten: zur Heranbildung von Offizieren dienen Militärgymnasien und 2 Offiziersschulen (Infanterie und Kavallerie, Artillerie und technische Truppen) in Bukarest; Unteroffiziere gehen aus der Mannschaft hervor und werden in besondern Kursen von 6–9 monatiger Dauer herangebildet; der Generalstabsergänzung dient die Kriegsschule in Bukarest mit zweijähriger Dauer; Kavalleriekurs in Buzau, Militärgestüt in Cislau; Artilleriewerkstätte und Munitionsfabrik in Bukarest, Pulverfabrik in Laculete. Landesbefestigung: Die Serethlinie Galatz-Namoloassa-Focşani als Verteidigungsstellung (Panzerartillerie) der Feldarmee gegenüber einem Angriff durch die Moldau oder vom Schwarzen Meer aus; Bukarest (s. d.) mit einem nach Brialmonts Entwurf 1885–96 ausgeführten Gürtel, bestehend in 18 Forts, 18 Zwischenwerken, sämtlich mit Panzerdrehkuppeln deutschen Systems. Vgl. Socecu, Die rumänische Armee (2. Aufl., Wien 1905); Kremnitz, Die Entwickelung der rumänischen Armee seit dem Feldzuge 1877/78 (Bresl. 1904); »L'armée roumaine en 1900« (Angers 1900). – Die Marine besteht aus einem kleinen Kreuzer, 4 Kanonenbooten, 12 kleinen Torpedobooten, 2 Schulschiffen; Besatzung insgesamt etwa 1000 Mann. Galatz ist Kriegshafen.

Das Wappen Rumäniens (s. Tafel »Wappen II«) bildet ein gevierter, mit einem Herzschilde belegter Hauptschild. Der Herzschild, von Silber und Schwarz geviert, ist das Stammwappen der Dynastie (Hohenzollern); im ersten, blauen Felde des Hauptschildes befindet sich ein gekrönter goldener Adler mit silbernem Kreuz im Schnabel, Schwert und Zepter in den Fängen (dem alten Wappen der Walachei entnommen), im rechten Obereck von einer goldenen Sonne begleitet; im zweiten, roten Feld ein goldener Stierkopf, zwischen den Hörnern ein silberner Stern (für die Moldau), im linken Obereck von einem silbernen Halbmond begleitet; im dritten, roten Feld steigt aus einer Krone ein gekrönter goldener Löwe, zwischen dessen Pranken ein silberner Stern schwebt, zur Hälfte hervor (Krajova); im vierten, blauen Feld zwei goldene, nach unterwärts mit den Köpfen gegeneinander gekrümmte Delphine (Dobrudscha). Schildhalter sind zwei goldene Löwen; darunter die Devise des fürstlichen hohenzollerischen Hauses: »Nihil sine Deo«. Die Landesfarben sind Blau, Gelb und Rot; die Flagge ist vertikal gestreift (s. Tafel »Flaggen I«). An Orden bestehen: der Stern von R. (s. Tafel »Orden II«, Fig. 21), der Elisabethorden und die Krone von R.; s. die betreffenden Artikel. Haupt- und Residenzstadt ist Bukarest.

Vgl. Lehmann, R., in Kirchhoffs »Länderkunde von Europa«, Bd. 2, zweite Hälfte (Prag 1893); Aurelian, Terra nostra (Bukar. 1880); Samuelson, Roumania past and present (Lond. 1882); E. de Laveleye, Die Balkanländer (deutsch, Leipz. 1888, 2 Bde.); Blaramberg, Essai comparé sur les institutions et les lois de la Roumanie (Bukar. 1886); Bergner, R., Land und Leute (Bresl. 1887); Benger, R. im Jahre 1900 (Stuttg. 1901); A. Sturdza, La terre et la race roumaines (Par. 1904); Bellessort, La Roumanie contemporaine (das. 1905); A. Müller, Die Gemeinden und ihr Finanzwesen in R. (Jena 1906); Grothe, Zur Landeskunde von R. Kulturgeschichtliches und Wirtschaftliches (Halle 1907); Lahovari, Geographisches Lexikon von R. (Bukar. 1898–1902, 5 Bde.); Coles cu, La loi rurale de 1864 et la statistique des paysans devenus propriétaires (das. 1900); Moroianu, La loi agraire de 1864 et l'état du paysanen Roumanie (Stuttg. 1898); »Statistica din Romania« (amtliches Sammelwerk); »Annuaire de Roumanie«; »Anuarul Statistic al Ro- [253] maniei« (1904) und »Miscarea populaţiunei in 1902«; Draghicenu, Geologische Karte von R. (Wien 1884); »Charta terilor Române« (Bukar. 1888, 12 Blätter); Golescu, Produktionskarte von R. (das. 1905). Eine Generalkarte der Walachei (1: 288,000) des Militärgeographischen Instituts in Wien erschien 1867 in 6 Blättern; eine systematische Landesaufnahme hat neuerdings begonnen; s. Textbeilage »Landesaufnahme« (Bd. 12).

Geschichte.

Die Ufergebiete der untern Donau waren in alten Zeiten von den thrakischen Geten oder Daken, der östliche Teil zeitweilig auch von den Skythen bewohnt. Zur Abwehr der Einfälle der kriegerischen Daken schickte Rom wiederholt Legionen gegen sie. Trajan eroberte in zwei großen Feldzügen (101–106) Dacien, verwandelte es in eine römische Provinz und kolonisierte es. Die Blüte dieser Ansiedelungen dauerte bis zu den Einfällen der Goten (270). Aurelian zog die Legionen aus Dacien zurück und führte viele Kolonisten nach Mösien, das fortan Aurelianisches Dacien hieß. Nunmehr ergoß sich der Strom der Barbaren über das linke Donaugebiet. Hunnen, Gepiden (450), Avaren (555), Slawen, Bulgaren (680), Ungarn (830), Petschenegen (900), Kumanen (1050) besetzten es nacheinander. Die germanischen Stämme verschwanden bald; die slawischen und finnischen verschmolzen mit den Dakorömern allmählich zu dem rumänischen Volk (s. Rumänen). Im 10. und 11. Jahrh. bildeten sich in verschiedenen Teilen Daciens kleinere Herzogtümer (Banate), von denen die in Siebenbürgen und an der Theiß gelegenen von den Ungarn unterworfen wurden. Die Fürstentümer südlich und östlich von den Karpathen widerstanden den Petschenegen, Kumanen und Tataren, bis sie sich im 14. Jahrh. zu zwei selbständigen Staaten, Moldau und Walachei, vereinigten. Damit schließt Rumäniens ältere Geschichte, und es beginnt die neue, die bis zum Verfall der Fürstentümer unter der Fanariotenherrschaft reicht, und in der die Fürstentümer auf Grundlage von Verträgen oder Kapitulationen unter die türkische Suzeränität kamen. Näheres über diese Zeits Moldau und Walachei.

Die neueste Geschichte Rumäniens beginnt mit dem Pariser Frieden vom 30. Aug. 1856, der das russische Protektorat in den Fürstentümern aufhob, einen Teil des russischen Bessarabien (Ismail, Bolgrad, Kahul) der Moldau zuteilte und in den Artikeln 23 und 25 bestimmte, daß die Bevölkerung bezüglich der Grundlagen der Neugestaltung und der Verwaltungsreform selbst befragt werden solle. Die Pforte ersetzte die beiden Hospodare durch provisorische Statthalter. Zum Kaimakam in der Moldau wurde Theodor Balsch, nach dessen Tod (1857) Fürst Vogorides, in der Walachei Alex. D. Ghika ernannt. Im März 1857 erließ die Pforte zwei Fermane behufs Einberufung der Volksversammlungen (Diwane); Anfang Juni trat die internationale Kommission der Großmächte in Bukarest zusammen. Die Diwane versammelten sich im Oktober in Bukarest und in Jassy und beschlossen gleichlautend folgendes: 1) Aufrechterhaltung der Autonomie und der Rechte der Fürstentümer; 2) ihre Vereinigung zu Einem Staat R.; 3) erblicher Fürst aus einer herrschenden europäischen Dynastie; 4) Neutralität der Fürstentümer; 5) Ausübung der gesetzgebenden Gewalt durch eine Volksvertretung; dies alles unter der gemeinsamen Bürgschaft der Vertragsmächte. Aber weder die Pforte noch die Mächte waren zur Bewilligung dieser Forderungen geneigt. Die Konferenz der Großmächte in Paris bestimmte vielmehr 19. Aug. 1858, daß die Fürstentümer Tribut an die Pforte zahlen und je einen Hospodar wählen sollten, dem der Sultan die Investitur zu erteilen habe. Die neugewählten gesetzgebenden Versammlungen der Walachei und Moldau wählten jedoch Anfang 1859 beide den Obersten Alexander Cusa zum Fürsten und stellten dadurch zunächst eine Personalunion her, die später zur Realunion führen sollte. Cusa bestieg den Thron als Alexander Johann I., nachdem er sich verpflichtet hatte, im Fall der Realvereinigung der Fürstentümer zugunsten eines ausländischen Fürsten abzudanken. Im April 1859 erklärten die Vertreter der sieben Vertragsmächte zwar die Doppelwahl Cusas für widersprechend der Konvention vom 19. Aug. 1858, empfahlen aber der Pforte die Erteilung der Investitur. Diese erfolgte Anfang Oktober in zwei besondern Fermanen.

Bei der durch die langjährige Fanariotenherrschaft verursachten Verderbtheit des herrschenden Bojarenstandes, der Armut und Verkommenheit der bäuerlichen Bevölkerung war ein gesundes politisches Leben unmöglich. Zwei Ministerien, zwei Residenzen (Jassy und Bukarest) und eine Zentralkommission in Focşani erschwerten das Reformwerk außerordentlich. Parteileidenschaft schuf bald Hader zwischen den Versammlungen und dem Fürsten; Cusa hatte während dreier Jahre in der Moldau 6, in der Walachei 9 Ministerien. Nach längern Verhandlungen zwischen den Vertragsmächten genehmigte die Pforte 4. Dez. 1861 eine zeitweilige Union mit der Bestimmung, daß die Zentralkommission aufgehoben werden und der Fürst unter Mitwirkung eines gemeinsamen Ministeriums und einer einzigen Nationalversammlung regieren solle. Eine fürstliche Proklamation vom 8. Dez. erklärte hierauf die Gründung des einheitlichen Staates R. Unter dem hochkonservativen Kabinett B. Catargiu trat 5. Febr. 1862 die erste einheitliche Nationalversammlung in Bukarest zusammen. Am 20. Juni 1862 wurde jedoch Catargiu meuchlings erschossen. Die Kammer stellte sich dem ebenfalls konservativen Ministerium Cretzulesco feindlich gegenüber, wurde daher aufgelöst und 12. Okt. 1863 vom Fürsten ein neues Kabinett unter Vorsitz Cogalniceanus gebildet. Die Kammer beschloß im Einvernehmen mit dem Kabinett die Abschaffung der Todesstrafe, der körperlichen Züchtigung und die Säkularisation der Klostergüter. Als jedoch die Kammer die Beratung eines neuen Wahlgesetzes verweigerte und dem Ministerium ein Tadelsvotum gab, wurde sie 14. Mai 1864 gewaltsam aufgelöst. Eine Proklamation des Fürsten forderte das Volk auf, sich über ein Zusatzstatut der Pariser Konvention von 1858, enthaltend die Abänderung des Wahlgesetzes, Einführung des allgemeinen Wahlrechts, eines Senats und eines Staatsrats, auszusprechen. Die Volksabstimmung vom 22. Mai ergab 682,621 Stimmen mit Ja und 1307 mit Nein. Cusa versicherte sich in Konstantinopel der Genehmigung der Pforte für den Staatsstreich, und nachdem die Mächte das Zusatzstatut und das neue Wahlgesetz bestätigt hatten, wurden diese 19. Juli verkündet.

Bis zum Zusammentritt der neuen Kammern (18. Dez. 1864) übte Cusa eine unumschränkte Gewalt aus und erließ wichtige Gesetze: ein Ackergesetz, das die Fronen auflöste und den Bauern Grundeigentum verlieh, ein Zivil-, Kriminal- und Handelsgesetzbuch nebst den Prozeßordnungen, eine neue Gerichtsorganisation, ein Unterrichtsgesetz u.a. Als aber 23. Juli 1865 die Regierung die Einführung des Tabakmonopols und die Ablieferung der Tabakvorräte an den [254] Staat für 15. Aug. anordnete, kam es in Bukarest zu einem Aufstand, dessen Unterdrückung nur mit Waffengewalt möglich war. Die Finanzen waren durch Verschwendung und mutwillige Ausgaben zerrüttet; für 1865 ergab sich ein Defizit von 17 Mill., während Mißernten und Hungersnot die Steuerkraft des Landes erschöpft hatten. Die Allmacht von Günstlingen (wie dem Ostender Kellner Librecht) und Mätressen beleidigte die gebildeten Klassen. In der Nacht vom 22. zum 23. Febr. 1866 drangen Verschworne in den Palast; Cusa wurde gezwungen, abzudanken und verließ R. Eine provisorische Regierung konstituierte sich sodann mit einem Koalitionsministerium aus allen Parteien. Beide Kammern wählten hierauf einstimmig den Grafen von Flandern, jüngern Bruder des Königs der Belgier, zum Fürsten. Da dieser die Wahl ablehnte, ordnete die Regierung 14. April eine Volksabstimmung über die Wahl des Prinzen Karl von Hohenzollern-Sigmaringen an, die am 20. April mit günstigem Ergebnis erfolgte. Die Konstituierende Versammlung proklamierte die Wahl 13. Mai, und Fürst Karl I. hielt seinen Einzug in Bukarest 22. Mai. Eine freisinnige Verfassung nach belgischem Muster wurde vom Fürsten beschworen und veröffentlicht (11. Juli). Die Mächte erkannten 24. Okt. die neue Ordnung der Dinge an.

Unter dem Fürsten Karl I. nahm das Land auf vielen Gebieten einen mächtigen Aufschwung. Die freie Entfaltung des Verfassungslebens erlitt von obenher keinerlei Beengung. Doch wurde der stetige Fortschritt beeinträchtigt durch das Repräsentativsystem und das Hereinziehen politischer Rücksichten in alle ökonomischen Fragen, während die Finanzen unter der Entfaltung eines für den jungen Staat und seine Hilfsquellen zu kostspieligen Verwaltungsapparats sowie durch überstürzte Ausgaben arg litten. Das Volk war politisch unreif, der Staat ein Spielball in den Händen gewissenloser, ehrgeiziger Politiker. Der Fürst hatte den Führer der starken Liberalen (Roten), Joan Bratianu, zum Ministerpräsidenten ernannt; die Partei der Weißen (Bojaren) zerfiel in machtlose Cliquen. Das Ministerium Bratianu schloß 1868 mit Strousberg einen Eisenbahnvertrag, der zwar die wirtschaftliche Entwickelung Rumäniens erst ermöglichte, aber es in ernste finanzielle Verlegenheiten stürzte. Judenkrawalle und Umtriebe von Bulgarenbanden, die das Mißtrauen der Pforte und Österreichs erregten, führten im November 1868 den Sturz der Liberalen herbei. Die konservativen Ministerien Cogalniceanu (1868 bis Februar 1870), Golesco (Februar bis Mai 1870) und Epureano (Mai bis Dezember 1870) konnten sich nicht lange halten. Als das Ministerium Ghika (Dezember 1870 bis März 1871) eine rohe Störung des deutschen Friedensfestes (22. März 1871) ungeahndet ließ, drohte der Fürst mit Abdankung und erlangte dadurch ein konservatives Ministerium Lascar Catargiu. 1872 wurde nach dem Bankrott Strousbergs das Eisenbahnwesen durch Gesetz geregelt und mit der neugebildeten Gesellschaft in Berlin eine Übereinkunft erzielt, das Tabakmonopol eingeführt und mehrere Anleihen bewilligt. Da 1876 die Wahlen liberal ausfielen, bildete Florescu 17. April ein neues Ministerium, das aber schon 6. Mai zurücktrat. Am 5. Aug. übernahm Bratianu den Vorsitz und behauptete sich mit kurzer Unterbrechung (1881) bis 1888.

Die Bemühungen, das Land si mich, geistig und materiell zu heben, der Verderbnis in den höhern Schichten, dem Stumpfsinn und der rohen Borniertheit des niedern Volkes zu steuern, erlitten eine nachteilige Unterbrechung durch den russisch-türkischen Krieg 1877. Da weder in dem Pariser Vertrag die Neutralität des rumänischen Territoriums ausdrücklich bestimmt war, noch die letzte Konferenz der Mächte in Konstantinopel, trotz rumänischer Bitten, diese Neutralität aussprechen wollte, so schloß R. angesichts der russischen Invasion 16. April 1877 mit Rußland ein Bündnis ab, wofür Rußland auf eine Ablösung der Ansprüche russischer Klöster auf rumänische Güter einging. Die russischen Heere, die am 24. April den Pruth überschritten, besetzten alle Hafenstädte, während die rumänischen Truppen sich in der Kleinen Walachei zusammenzogen. Gegen Rußlands Willen proklamierten die Kammern 21. Mai die völlige Unabhängigkeit Rumäniens und verfügten die Einstellung der Tributzahlung. Nach den russischen Niederlagen im August wurde die Hilfe der rumänischen Truppen in Anspruch genommen: drei rumänische Divisionen (35,000 Mann mit 108 Geschützen) vereinigten sich mit einem russischen Korps in Bulgarien unter dem Oberbefehl des Fürsten und nahmen 11. und 12. Sept. am Sturm auf Plewna mit Auszeichnung teil. Am 19. Okt. versuchten die Rumänen die Bukowacredoute bei Plewna zu stürmen, wurden jedoch unter empfindlichen Verlusten abgeschlagen. An der endlichen Einnahme Plewnas (10. Dez.) hatten die Rumänen entschiedenen Anteil; Osman Pascha übergab sich ihnen, wurde aber den Russen ausgeliefert. Hierauf eroberten die Rumänen Widin. Dennoch mußte R. den Undank des übermächtigen Verbündeten erfahren. Zu den Verhandlungen in Santo Stefano wurde es gar nicht zugezogen. Rußland erwirkte zwar von der Pforte die Anerkennung der rumänischen Unabhängigkeit, forderte aber die Rückgabe des 1856 an die Moldau abgetretenen Bessarabien gegen die wertlose Dobrudscha. Vergebens wendete sich R. an den Berliner Kongreß; dieser machte sogar die Aufhebung aller Beschränkungen der Juden zur Bedingung der Anerkennung der Souveränität. Die rumänischen Kammern mußten 12. Okt. 1878 die Abtretung Bessarabiens genehmigen, worauf dieses geräumt und 25. Nov. die Dobrudscha einverleibt wurde.

Da die von den Mächten geforderte Gleichstellung der Juden eine Verfassungsänderung notwendig machte, so mußten 1879 besondere Revisionskammern gewählt werden. Diese sträubten sich lange dagegen, da sie den Bauernstand in der Moldau, wo die nach Religion, Sprache und Sitten fremden Juden besonders zahlreich sind, zu gefährden drohte. Als jedoch von den Mächten keine Milderung zu erlangen war, wurde im Oktober 1879 das Gesetz angenommen, das jeden Unterschied der Religion hinsichtlich der bürgerlichen Rechte aufhob, für Fremde aber die Erwerbung des Indigenats, das zum Ankauf von Grundbesitz berechtigte, von einem zehnjährigen Aufenthalt in R. abhängig machte. Hierauf erfolgte die Anerkennung der Souveränität Rumäniens durch die Mächte; trotzdem versuchten im September 1902 die Vereinigten Staaten von Amerika eine Einmischung zugunsten einer endgültigen Lösung der rumänischen Judenfrage. Außerdem wurden die Eisenbahnen angekauft, die rumänische Eisenbahnaktiengesellschaft aufgelöst. Das Tabakmonopol wurde in Staatsregie übernommen, eine Nationalbank sowie Bodenkreditanstalten gegründet. Das Gleichgewicht der Ausgaben und Einnahmen im Staatshaushalt wurde hergestellt. Die Territorialarmee ward reorganisiert und endlich, da die Ehe des Fürsten kinderlos war, eine Thronfolgeordnung[255] beschlossen, die einen Neffen des Fürsten, Prinz Ferdinand von Hohenzollern (s. Ferdinand 24), zum Nachfolger bestimmte. Hiernach proklamierten die Kammern 26. März 1881 R. als Königreich. Fürst Karl wurde 22. (10.) Mai in Bukarest feierlich zum König gekrönt. 1884 wurde für den König eine Kronapanage geschaffen, bestehend aus 12 Gütern mit 700,000 Frank Einkommen. Das gemäßigt-liberale Ministerium Bratianu hob Gesetzlichkeit, Ordnung, Volksbildung und Wohlstand. Eine neue Verfassungsrevision hatte die alten Wahlkollegien beseitigt, das Wahlrecht beträchtlich erweitert und den Einfluß der Regierung auf die Wahlen geschwächt. Von den orientalischen Wirren hielt sich R. fern. In seiner äußern Politik schloß es sich vielmehr Österreich-Ungarn und Deutschland an und hielt trotz mancher Differenzen mit ersterer Macht in Handelsangelegenheiten an diesem Bündnis fest. Erst 13. April 1888 nahm Bratianu infolge von Straßenkrawallen in Bukarest und Bauernaufständen seine Entlassung An die Spitze der Regierung traten Th. Rosetti und Carp von der Partei der (Konstitutionellen oder) Junimisten (s. d.), die von den russisch gesinnten Konservativen (Bojaren) unterstützt wurden. Da bei den Neuwahlen im Oktober die Konservativen die überwiegende Mehrheit erlangten, traten die Junimisten drei wichtige Ministerien an jene ab. Dennoch drängten die Konservativen die Junimisten aus dem Ministerium heraus, worauf Lascar Catargiu 11. April 1889 ein rein konservatives Kabinett bildete. Dieses machte aber schon im November einem konservativjunimistischen Ministerium Platz, das 1890 die großartigen Landesbefestigungen, die Reform des Richterstandes, die Ermäßigung der Staatszinsenlast und die Einführung der Goldwährung durchführte. Das Budget wies kein Defizit auf. Nachdem die Konservativen unter Florescu seit März 1891 allein die Regierung geführt hatten, bildete Catargiu 1892 wieder ein (gemäßigt) konservativ-junimistisches Kabinett (dem auch Carp angehörte), das sich die Reform der Agrargesetzgebung zum Ziele setzte, die Gemeindesteuern regelte und mit den Mächten des Dreibundes Handelsverträge schloß.

Der Thronfolger Ferdinand, der am 1. Mai 1889 seinen feierlichen Einzug in Bukarest gehalten hatte, vermählte sich 10. Jan. 1893 mit der Prinzessin Maria von Edinburg. Sein am 15. Okt. 1893 geborner Sohn, Prinz Karl, wurde griechisch-katholisch getauft; damit war die Dynastie fest begründet und nahm fortan eine herrschende Stellung über den Parteien ein. Dies zeigte sich, als der Zwist zwischen den Konservativen und den Junimisten im Oktober 1895 einen Ministerwechsel nötig machte. Der König lehnte das Anerbieten Catargius, ein rein konservatives Kabinett zu bilden, ab und berief 15. Okt. den Führer der Nationalliberalen, Demeter Sturdza. Das Volk wählte denn auch im Dezember nur 3 Konservative.

Am 28. Okt. 1896 legte der König den Grundstein zum neuen Hafen in Constantza, der durch die am 26. Sept. 1895 eröffnete Eisenbahnbrücke bei Czernawoda mit dem europäischen Eisenbahnnetz in Verbindung stand. Am 2. Dez. reichte das durch den Agitator Fleva (Minister des Innern bis 25. Jan.) bekämpfte Ministerium Sturdza seine Entlassung ein. Sein Parteifreund Aurelian übernahm die Bildung eines neuen Ministeriums. Da er aber der Voraussetzung der Sturdzaschen Partei nicht entsprach, traten der Minister der Finanzen, Cantacuzino, und der des Äußern, Stoicescu, Anfang 1897 zurück, und Sturdza legte das Präsidium des Senats nieder. Nachdem das Budget genehmigt war, wurde Aurelian gestürzt, und Sturdza bildete 12. April 1897 ein neues Ministerium aus der nationalliberalen Mehrheit.

Der Handelsvertrag mit der Türkei und der Eisenbahn- und Postverkehrsvertrag mit dem Deutschen Reich festigten die internationale Stellung des Königreichs. Als nach einer oppositionellen Volksversammlung in Bukarest 9. April 1899 die Teilnehmer von Truppen mit Waffengewalt auseinandergesprengt und dabei mehrere Personen getötet wurden, kam Sturdza dem Ausbruch der allgemeinen Entrüstung durch seinen Rücktritt 11. April zuvor. Der konservative Senatspräsident Graf Cantacuzino bildete 22. April ein neues Ministerium, in das er auch den Demagogen Fleva als Domänenminister aufnahm. Durch die Aufnahme einer Anleihe im Auslande sicherte R. 1899 die durch Mißernte gefährdeten Staatsfinanzen; einige Steuern wurden im Dezember erhöht, teils neu eingeführt, was eine Mehreinnahme von 6 Mill. Lei ergab. Im Januar 1900 wurde Cantacuzino, der nur den Vorsitz behielt, das Ministerium des Innern abgenommen und dem bisherigen Finanzminister Mano übertragen; die Finanzen übernahm der bisherige Kultusminister Take Ionescu, Kultus und Unterricht der Minister der öffentlichen Arbeiten Istrati, dessen Nachfolger der Deputierte Joan Gradischtiano wurde. Das umgearbeitete Budget wies mit 245 Mill. Einnahmen und 238 Mill. Ausgaben einen Überschuß von 7 Mill. auf. Ein noch aus Sturdzas Zeit datierender Streit zwischen R. und Ungarn über die offizielle Unterstützung der rumänischen Schulen Siebenbürgens durch R., die sich Ungarn nicht länger gefallen lassen wollte, wurde im Januar 1900 gütlich geschlichtet. In der Sache des französischen Unternehmers Hallier, der den Ausbau des Hafens von Constantza übernommen, aber wegen Mangels an Geldmitteln nicht vollendet hatte, verurteilte das Schiedsgericht 4. April 1900 den rumänischen Staat zur Rückerstattung der Kaution und zur Zahlung von 5,5 Mill. für gemachte Aufwendungen, wies aber Halliers weitere Ansprüche zurück. In dem neuen Ministerium vom 19. Juli, dem eine Fusion der konservativen und der konstitutionellen (Junimisten-) Partei, vorausgegangen war, übernahm Carp den Vorsitz und die Finanzen. Die letztern boten die schwierigste Aufgabe. Da jedoch Carps Pläne, namentlich die Einführung einer ertragreichen Patent- oder Gewerbesteuer Anfang Januar 1901 vom Delegiertenkomitee abgelehnt wurden, reichte Carp seine Entlassung ein und trat, nachdem Cantacuzino und seine Versuche, ein lebensfähiges Kabinett zu bilden, 25. Febr. gescheitert waren, 26. Febr. endgültig zurück. Aus den Liberalen, die inzwischen ihre 1899 ausgebrochenen Zwistigkeiten beigelegt hatten, bildete der Nationalliberale D. Sturdza 27. Febr. ein neues Ministerium, worin er den Vorsitz und das Auswärtige übernahm.

Außer der Sanierung der Finanzen (Fehlbetrag im Etatsjahr 1900/01: 23 Mill. Lei) war die schwierige Agrarfrage zu lösen. Die Wirtschaft der kleinbäuerlichen Bevölkerung, durch das Cusasche Ackergesetz vom 26. Aug. 1864 »befreit«, hatte sich wenig gehoben: die den einzelnen Bauern eingeräumten Eigentumsstellen waren zu klein bemessen, die Wiesen und Weiden zu knapp, als daß die Emanzipation vom Großgrundbesitz hätte gelingen können. Während man dieser Schwierigkeit durch Sparsamkeit im Staatshaushalt zu begegnen bestrebt war, befehdeten sich die Konservativen der alten Richtung (Cantacuzino-Ionescu)[256] und der junimistischen Richtung (Carp-Filipescu) von neuem. Am 29. Juli 1902 fand eine Umbildung des liberalen Ministeriums statt: die Finanzen übernahm an Stelle G. Palladas (der schon 22. Jan. zurückgetreten war, nun die innern Angelegenheiten erhielt und Anfang Dezember durch W. Lascar ersetzt wurde) der streng schutzzöllnerische Bankdirektor E. Costinescu, den Handel vorübergehend der bisherige Minister des Innern P. Aurelian und die Justiz der Senatspräsident E. Statescu; an Stelle Aurelians kam Anfang Dezember K. Stoicescu, bisher Minister der öffentlichen Arbeiten, an die Statescus 1. Nov. 1903 Al. Gianni. Costinescu bewährte sich als Finanzgenie; sein Hochschutzzolltarif wurde 5. April 1904 angenommen. Trotzdem fiel das Kabinett Sturdza 30. Dez. durch persönliche Ränke und machte 4. Jan. 1905 einem konservativen Ministerium Cantacuzino Platz, das den bewährten T. Ionescu für die Finanzen gewann. Doch Ende März 1907 bewirkten schwere Bauernaufstände antisemitischer und sozialistischer Natur den Sturz des Kabinetts, an dessen Stelle Sturdza ein neues bildete. Die Legung des deutschen Kabels Konstantza-Konstantinopel (-Kilia) fand 29. Mai 1905 statt. Am 21. Mai 1906 wurde das 40. Regierungsjubiläum König Karls durch eine außerordentliche Sitzung des Parlaments festlich begangen.

In den Balkanwirren (s. Bulgarien, S. 589, und Mazedonien, S. 490 f.) hatte Sturdza eine kluge, maßvolle Zurückhaltung bewahrt, die ihm freilich von den konservativen Gegnern als Verrat an der nationalen Sache ausgelegt wurde. Als nun Anfang 1905 letztere aus Ruder kamen, wehte sofort ein schärferer Wind. Die rumänischen Mazedonier, die sogen. Kutzowalachen (s. Zinzaren), erlangten von der Pforte verschiedene Zugeständnisse, sogar die politische Emanzipation vom ökumenischen Patriarchat in Konstantinopel und entzogen sich dadurch wirksam einer drohenden Gräzisierung. Damit aber gerieten sie bald in Gegensatz zu der in Mazedonien arbeitenden griechischen Propaganda, die in der Bekämpfung des übergreifenden Bulgaren tums bisher diese Rumänen auf ihrer Seite gefunden und als ihr zugehörig betrachtet hatte. Die neue Gegnerschaft spitzte sich durch Übergriffe griechischer Banden etc. im Laufe des Herbstes 1905 so zu, daß zunächst die offiziellen diplomatischen Beziehungen zwischen R. und Griechenland suspendiert wurden; 9. Okt. folgte die Kündigung des gegenseitigen Handelsvertrags durch R. Seit Juni 1906 sind R. und Griechenland gänzlich auseinander. Vgl. Laurianu, Istoria românilor (3. Aufl., Jassy 1873, 2 Bde.); Haşdeu, Kritische Geschichte der Rumänen (Bukar. 1874, 2 Bde.; franz. 1878); Cogalniceanu, Cronice (das. 1874, 3 Bde.); Schinkai, Cronica (das. 1886, 3 Bde.); Tocilescu, Istoria Romanici (1888); Hurmuzaki, Documente privitôre la istoria românilor (bisher 22 Bde., das. 1876 bis 1904) und Fragmente zur Geschichte der Rumänen (das. 1878–84, 5 Bde.); Xenopol, Histoire des Roumains (bis 1859, das. 1898, 2 Bde.); Damé, Histoire de la Roumanie contemporaine, 1822–1900 (Par. 1900); Iorga, Geschichte des rumänischen Volkes (Gotha 1905, 2 Bde.); P. Eliade, Histoire de l'esprit publicen Roumanie an XIX. siècle (Par. 1905, Bd. 1); Vacarescu, Rumäniens Anteil am Krieg der Jahre 1877 und 1878 (deutsch von M. Kremnitz. Leipz. 1888); D. Sturdza, La succession an trône de Roumanie (1886) und Le dix Mai (1887); Zingeler, Die Hohenzollern in R. (Bonn 1890); »Aus dem Leben König Karls von R.« (Stuttg. 1894–1900, 4 Bde.); Sturdza, Charles I, roi de Roumanie. Chronique, actes, documents (Bd. 1, Bukar. 1900); Baicoianu, Geschichte der rumänischen Zollpolitik (Stuttg. 1896); Teutschländer, Geschichte der evangelischen Gemeinden in R. (Bukar. 1891); Sincerus, Les Juifsen Roumanie depuis le traité de Berlin 1878 jusqu'à ce jour (Lond. 1901); Verax, La Roumanie et les Juifs (Bukar. 1903; verteidigt auf statistischer Grundlage die Maßnahmen der rumänischen Regierung); Haret, Rapport adressé à Sa Majesté le roi de Roumanie sur l'activité du Ministère de l'Instruction publique et des Cultes (das. 1904; Kulturbild).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 249-257.
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