[528⇒] Erfurt, Hauptstadt des Reg.-Bez. E. (3532 qkm, 466.419 E., 3 Stadt-, 9 Landkreise), in der preuß. Prov. Sachsen, 1814-73 Festung (Zitadellen Petersberg und Cyriaksburg), an der Gera, (1900) 85.202 E. (10.672 Katholiken), Garnison, Land-Amtsgericht, Oberpost-, königl. Eisenbahndirektion, Reichsbankstelle, Handelskammer, got. Dom (12. Jahrh.), ehemal. Augustinerkloster (Luthers Aufenthalt 1505-8), jetzt Martinsstift für verwahrloste Kinder, Akademie der Wissenschaften, Gymnasium, Realgymnasium, Realschule, höhere Handelsschule, Lehrerseminar, zwei höhere Mädchenschulen, königl. Bibliothek (65.000 Bände) der ehemal. Univesität (1392-1816); zahlreiche Fabriken, Kunst- und Handelsgärtnereien. – E., im frühern Mittelalter Erpesford, ist eine uralte slaw. oder german. Gründung; 741 Bistum von Bonifatius gegründet, im 14. und 15. Jahrh. Mitglied der Hansa, seit 1664 zu Kurmainz gehörig, seit 1802 zu Preußen. 27. Sept. bis 14. Okt. 1808 Erfurter Kongreß zwischen Napoleon I. und Alexander I. von Rußland in Anwesenheit vieler deutscher Fürsten. 20. März bis 29. April 1850 Sitz des deutschen Unionsparlaments. – Vgl. Beyer (1900-1). [⇐528]
[34⇒] Erfurt (hierzu der Stadtplan), Hauptstadt des gleichnamigen Regierungsbezirks, Stadt- und Landkreises in der preuß. Provinz Sachsen, der Mittelpunkt und die alte Metropole Thüringens, bis 1873 Festung, 213 m ü. M., liegt an der Gera in fruchtbarer, freundlicher Gegend. Die unregelmäßige innere Stadt gewährt mit den vielen Türmen, dem Dom und Severistift auf der Höhe und den beiden ebenfalls hoch gelegenen Zitadellen einen imposanten Anblick. Die ehemaligen sieben Tore mit ihren Befestigungen und die Stadtumwallung sind verschwunden und vor denselben, besonders im W., SW. und S., neue Stadtteile entstanden. Die Hauptstraße ist der Anger; an seinem obern Ende ein schöner Monumentalbrunnen, [⇐34][35⇒] am untern, bei der Kaufmannskirche, das Erzstandbild Luthers. Unter den öffentlichen Plätzen sind zu erwähnen: der Friedrich-Wilhelmsplatz, sonst »Vor den Graden« (ante gradus) genannt, am Petersberg und Dom liegend, mit einem großen Obelisken vom Jahre 1777 zum Andenken an den letzten Kurfürsten von Mainz, Friedrich Karl Joseph von Erthal; der Fischmarkt mit einer sog. Rolandssäule, der Wenigenmarkt (d. h. Kleine Markt), der Hirschgarten mit dem Kriegerdenkmal, der Kaiserplatz mit dem Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. (modelliert von Brunow) und der Hermannsplatz. Die beiden Zitadellen, Petersberg und Cyriaksburg, ehemals Klöster, welche die Stadt bedeutend überragen, sind jetzt jedermann zugänglich u. gewähren eine herrliche Aussicht.
Die erste Zierde der Stadt ist der katholische Dom Beatae Mariae virginis, der sich auf dem Domberg, unweit des Petersbergs, mit der dicht daneben ebenso hoch stehenden St. Severikirche erhebt; zu beiden Kirchen steigt man auf 48 breiten, steinernen Stufen, von denen der frühere Name des Platzes »Vor den Graden« (Stufen) herrührt. Nicht nach einem Plan gebaut, sondern aus einzelnen, in verschiedenem Stil gearbeiteten Teilen zusammengesetzt, bietet der Dom die größten Unregelmäßigkeiten. Das Langhaus, zwar 1153 gegründet, aber schon im 13. Jahrh. gotisch umgebaut, erhielt im Anfang des 13. Jahrh. einen schönen Kreuzgang, dazu kam von 134972 das herrliche lange Chor. Seltsam ist die Stellung der Türme zwischen Chor und Langhaus und der mit dem Chor gleichzeitige, hübsche, dreieckige Portalbau an der Nordseite des Langhauses. Unter dem auf mächtigen Substruktionen, der sogen. Kavate, ruhenden Chor liegt eine aus der Mitte des 14. Jahrh. stammende Krypte. An Kunstwerken besitzt das Innere des Domes ein Steindenkmal des Grafen Ernst III. von Gleichen und seiner zwei angeblich gleichzeitigen Gemahlinnen, aus dem 13. Jahrh., eine eherne Grabplatte mit der Krönung Mariä von Peter Vischer (1521), eine Holzschnitzerei (Grablegung Christi), angeblich von Michael Wolgemut, eine riesengroße Freskomalerei, den das Christuskind tragenden Christophorus darstellend, von 1499 etc., und im nördlichen Turm die große, 1497 gegossene, 275 Ztr. schwere Glocke Maria gloriosa. In einer Nische des Giebels über dem Westportal steht eine 9 m hohe, in Mosaik (von Salviati in Venedig) ausgeführte Madonnenstatue.
Neben dem Dom liegt die gotische fünfschiffige Hallenkirche St. Severi mit einem kolossalen Taufstein aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrh. Die evangelische Predigerkirche, aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrh., ist im reinsten gotischen Stil erbaut. Erwähnung verdienen der Schnitzaltar im Chor, der große Kronleuchter mit den zwölf Aposteln und vorzüglich das Denkmal des Ritters Theoderich von Lichtenhain (von 1266). Andre nennenswerte Kirchen sind: die evangelische Augustinerkirche bei dem ehemaligen Augustinerkloster, in dem Martin Luther, dessen Zelle bei dem 1872 stattgehabten Brand zerstört ward, Mönch war, und wo sich seit 1819 das Martinsstift für arme, verwahrloste Kinder mit evangelischem Waisenhaus befindet; die gotische evangelische Barfüßerkirche mit einem prachtvollen Schnitzaltar und schönen Grabsteinen aus dem 14. Jahrh. und die evangelische Reglerkirche, ursprünglich im romanischen Stil, 1859 restauriert, mit einem Turm aus dem 12. Jahrh. und einem Altarwerk von Michael Wolgemut. Im ganzen hat die Stadt 9 evangelische und 9 kath. Kirchen nebst mehreren Kapellen, 2 Klöster (der Franziskanerinnen mit Mägdebildungsanstalt und der Ursulinerinnen) und eine neue Synagoge. Unter den weltlichen Gebäuden sind hervorragend: das im gotischen Stil 186875 erbaute neue Rathaus mit prächtigem Festsaal, in dem sich sechs große, von Jansen ausgeführte Freskogemälde (Szenen aus der Geschichte Erfurts) befinden, während der untere und obere Flur und die Wände an dem Treppenaufgange mit Freskomalereien von Kämpfer, die Gleichen-, Faust- und Tannhäusersage und Szenen aus Luthers Aufenthalt in E. darstellend, geschmückt ist, das Regierungsgebäude, das Postgebäude, die Wage oder das Kaufhaus (jetzt königliche Bibliothek und Museum), das Große Kollegium etc.
Die Bevölkerung zählte 1900 mit der Garnison (2 Infanteriebataillone Nr. 71 und 1 Regiment Feldartillerie Nr. 19) 85,202 Seelen, darunter 10,672 Katholiken und 782 Juden. Industrie und Handel haben sich, besonders seit Schleifung der Festungswerke, stetig gehoben. Außer der in großartigem Maßstab betriebenen Handelsgärtnerei (s. unten) hat E. bedeutende Konfektion von Damenmänteln, Schuhfabrikation und Fabrikation von Maschinen, Lampen, Möbeln, wollenen Phantasiewaren, musikalischen Instrumenten, landwirtschaftlichen Maschinen und Geräten, Malz, Leder, Wichse, Tabak und Zigarren, Chemikalien etc., ferner bedeutende Bierbrauerei, Garnbleicherei, Wollfärberei, eine Eisenbahnhauptwerkstätte, eine königliche Gewehrfabrik u. a. Der Handelsverkehr Erfurts, unterstützt durch eine Reichsbankstelle (Umsatz 1902: 1137,8 Mill. Mk.) und durch andre Geldinstitute, ist lebhaft, beschränkt sich aber, soweit er nicht den Vertrieb industrieller Erzeugnisse zum Gegenstand hat, auf die Befriedigung des Konsums Thüringens. E. ist Knotenpunkt der Staatsbahnlinien Bebra-Weißenfels, Sangerhausen-E. und Nordhausen-E.; dem Verkehr innerhalb der Stadt dient eine elektrische Straßenbahn.
Von hervorragender Bedeutung ist E. durch seine Gartenkultur, die gegenwärtig von 44 Kunst- und Handelsgärtnern mit ca. 2000 Arbeitern betrieben wird. Die Blumenkultur allein erstreckt sich auf ca. 100 Hektar Land. Die Blumistik beschäftigt sich z. T. mit der Fortzüchtung ausdauernder Gewächse, z. T. mit Neuzüchtung von Farbenvarietäten, beides zum Zwecke der Samenkultur. Mit besonderer Vorliebe werden Astern und Levkojen gezogen. Außerdem werden junge Georginenpflanzen, junge Nelkenpflanzen, Edelrosen, Orchideen, Pelargonien, Kalceolarien, Fuchsien, Verbenen, Heliotropen in Millionen von Exemplaren kultiviert und versendet. Manche Gärtnereien befassen sich noch besonders mit dem Trocknen der Blumen und der Herstellung von Blumenbuketts aus denselben, die besonders nach England, Rußland und Amerika ausgeführt werden. Die Haupterzeugnisse der Gemüsegärtnerei sind: Blumenkohl, Brunnenkresse, Wirsing, Spargel, Gurken etc.; der größte und beste Teil davon wird auf die Märkte von Halle, Leipzig, Berlin, Magdeburg, Dresden, Kassel etc. versendet. Die produktivste Kulturfläche ist das nach SW. zu rechts von der Gera liegende Dreienbrunnenfeld (jetzt durch die dort hin gerichtete Ausdehnung der Stadt beschränkt), das, im 16. Jahrh. ein Sumpf, zu [⇐35][36⇒] Ende des 18. Jahrh. kultiviert ward und vorzüglich Gemüse und Brunnenkresse (in langen, gut gehaltenen Wassergräben, sogen. Klingen) liefert.
An die ehemalige Universität (s. unten, Geschichte) erinnern noch die 1758 gestiftete, jetzt königliche Akademie der Wissenschaften, die, königliche Bibliothek von etwa 60,000 Bänden und 1000 Handschriften, die sonst nach ihrem Stifter, dem Grafen Boyneburg, die Boyneburgsche hieß und später durch Büchersammlungen aufgehobener Klöster etc. vermehrt wurde. Außerdem hat E. ein Gymnasium, ein Realgymnasium, eine Realschule, eine königliche Baugewerk- und eine Handwerker- und Kunstgewerbeschule, eine höhere (Privat-)Handelsschule, ein Lehrerseminar, eine Taubstummenanstalt, eine landwirtschaftliche Winterschule, eine Hebammenlehranstalt, einen Gewerbeverein, einen Kunst- und Kunstgewerbeverein, einen Verein für Geschichte und Altertumskunde, 2 Musikvereine, eine Akademie der Tonkunst, 3 Theater und ein Museum. An Wohltätigkeitsanstalten bestehen das Martinsstift (s. oben), 2 Waisenhäuser etc. E. ist Sitz einer königlichen Regierung, eines Bezirksverwaltungsgerichts, eines evangel. Ministeriums (Mediatkonsistorium), eines bischöflichen geistlichen Gerichts, eines Landratsamts, eines Hauptsteueramts, einer Berginspektion, eines Landgerichts (für die zwölf Amtsgerichte zu Arnstadt, Ebeleben, E., Gehren, Greußen, Langensalza, Mühlhausen i. Th., Sömmerda, Sondershausen, Tennstedt, Treffurt und Weißensee), der Generaldirektion des Thüringer Zoll- und Handelsvereins, einer Oberpostdirektion und einer königlichen Eisenbahndirektion. Außerdem befinden sich hier die Kommandos der 38. Division, der 76. und 83. Infanterie- und der 38. Feldartilleriebrigade. Die städtischen Behörden zählen 17 Magistratsmitglieder und 48 Stadtverordnete. Vor der Stadt das uralte, merkwürdige Sibyllentürmchen und schöne Fußwege in den ehemaligen Glacis; hier auch die Sandsteinstatue des Begründers des Gartenbaues, Christian Reichardt, und in der Nähe der neuangelegte Luisenpark. Der beliebteste Vergnügungsort in der Umgebung Erfurts ist der Steiger, eine Höhe im S. von E. mit schattigen Promenaden und zahlreichen Vergnügungslokalen und Felsenkellern; dabei auf einer Waldwiese (auf der ehemaligen Napoleonshöhe) ein im Oktober 1868 eingeweihtes Denkmal König Friedrich Wilhelms III. von Preußen, nahebei (im Augustapark) ein Denkmal der Kaiserin Augusta. Im N. von der Stadt ist ein Steinsalzbergwerk auf dem Johannisfeld bei Ilversgehofen (s.d.).
[Geschichte.] E. (im Mittelalter Erpesfurt, Erphorde, lat. Erfordia) soll nach einer Sage zu Anfang des 8. Jahrh. von einem gewissen Erpes gegründet worden sein und nach ihm ursprünglich Erpesford (Erphesford) geheißen haben. Der heil. Bonifatius errichtete hier 741 ein Bistum, das jedoch mit dem Märtyrertod des ersten Bischofs, Adolar, 755 wieder einging und der Erzdiözese Mainz einverleibt wurde. Karl d. Gr. bestimmte E. 805 zum Haupthandels- und Stapelplatz für die Sorben und verlieh dem Ort Privilegien. König Heinrich I. ließ hier 936 auf einem Reichstage seinen Sohn Otto zum Nachfolger wählen. Trotz der Ansprüche, die Kurmainz, gestützt auf alte Urkunden Kaisers Ottos I., auf die Stadt machte, behielt sie doch eine gewisse Unabhängigkeit. Aber der Burggraf wurde vom Erzbischof ernannt, bis jenes Amt im 13. Jahrh. einging. Die Vogtei kam im 12. Jahrh. in den erblichen Besitz der Grafen von Gleichen. Im thüringisch-sächsischen Kriege ward E. 1080 vom Kaiser Heinrich IV. in Asche gelegt, aber bald wieder aufgebaut. Von 110937 stand es unter der Oberhoheit der Landgrafen von Thüringen; 1118 ward es vom Herzog Lothar von Sachsen eingenommen. 1181 fand in E. der Reichstag statt, auf dem sich Herzog Heinrich der Löwe von Sachsen dem Kaiser Friedrich I. unterwarf. Trotz des Gnadenbriefs Friedrichs II. von 1242 blieb die Stadt unter der Herrschaft des Erzbischofs. Gerhard I. von Mainz sah sich 1255 genötigt, der Stadt eine besondere, aus 2 Ratsmeistern und 12 Beisitzern bestehende Behörde zuzugestehen. 1289 hielt Rudolf von Habsburg in E. einen großen Reichstag, um dem Faustrecht in Thüringen zu steuern. 1307 geriet E. in eine Fehde mit dem Markgrafen Friedrich dem Freidigen, der die Grafschaft an der Schmalen Gera, die sein Vater Albrecht der Unartige 1270 an die Stadt veräußert hatte, zurückforderte. Nach einem achtjährigen Krieg erkaufte die Stadt 1315 den Frieden um 10,000 Mark Silber. Die Grafschaft verblieb ihr auch ferner und wurde erst 1485 von Sachsen eingelöst.
Der Anfang des 15. Jahrh. war die Zeit der höchsten Macht Erfurts, das auch der Hansa beitrat. Damals besaß es die Grafschaft Kapellendorf als Reichslehen und hatte sich von den benachbarten Fürsten und Herren zahlreiche Besitzungen zu Lehen übertragen lassen. Selbst eine Universität hatte es aus eignen Mitteln gründen können (1378), die erste Europas, die alle vier Fakultäten in sich vereinigte; sie hatte zur Zeit ihrer Blüte (um 1480) über 850 Studenten, doch sank diese Zahl im 16. Jahrh. auf 200 herab. E. galt damals für eine der größten Städte in Deutschland; doch hatte es um die Mitte des 15. Jahrh. nur 32,000 Einw. Infolge der Verheerungen während des sächsischen Bruderkriegs und durch den großen Brand 1472 sowie durch verminderten Handelsverkehr sank der Wohlstand der Stadt. Der lange Streit mit dem Erzstift Mainz und dem kurfürstlich sächsischen Haus um die landesherrlichen Rechte wurde endlich durch den Amorbacher Vertrag von 1483 geschlichtet, in dem E. mit Sachsen ein Schutz- und Trutzbündnis schloß. Das sogen. tolle Jahr (1509) war der Anfang schlimmster innerer Zerwürfnisse, in deren Verlauf der Vizeherr Kellner 1510 hingerichtet wurde. Die Einführung der Reformation hatte seit 1521 neue Unruhen zur Folge. Im Dreißigjährigen Krieg öffnete E. 1631 den Schweden die Tore, und 1640 hatte Banér daselbst sein Hauptquartier. Nach dem Westfälischen Frieden sollte sich die Stadt auf kaiserlichen Befehl Kurmainz unterwerfen und ward auf ihre Weigerung 1660 in die Acht erklärt, deren Exekution Kurmainz übertragen wurde. Der Erzbischof zwang sie mit Hilfe französischer, aus Ungarn zurückkehrender Truppen 1664 zu einer Kapitulation, worin sie Unterwerfung, er aber vollkommene Religionsfreiheit versprach. Die sächsischen Fürsten mußten ihr Hoheits- und Schutzrecht über E. 28. Okt. 1664 an Kurmainz abtreten. Von diesem Zeitpunkt an hörte die politische Freiheit Erfurts auf. Im Siebenjährigen Krieg eroberte der preußische General v. Knoblauch die Stadt (1759). 1802 kam E. nebst Gebiet mit 2 Städten, 3 Flecken, 72 Dörfern und 46,000 Einw. an Preußen, ging aber nach der Schlacht bei Jena 16. Okt. 1806 durch eine schimpfliche Kapitulation an die Franzosen über und ward durch den Tilsiter Frieden an Napoleon I. abgetreten. 1808 hatte Napoleon hier vom 27. Sept. bis 14. Okt. eine Zusammenkunft mit dem russischen Kaiser Alexander I., bei der auch die Könige von Bayern, Sachsen, Westfalen und Württemberg, der Fürst-Primas [⇐36][37⇒] und viele andre Fürsten und Große erschienen und glänzende Festlichkeiten veranstaltet wurden (Erfurter Kongreß). Nach dem Rückzug der Franzosen aus Deutschland wurde E. im Dezember 1813 von den Preußen beschossen und nach längerer Belagerung zur Übergabe gezwungen; doch räumten die Franzosen erst nach dem ersten Pariser Frieden 1814 die Zitadelle. 1815 kam die Stadt nebst ihrem Gebiet und dem Eichsfeld wieder unter die Hoheit des Königs von Preußen, der davon die Ämter Schloß-Vippach, Atzmannsdorf und Tonndorf an das Großherzogtum Weimar abtrat. E. wurde der Sitz einer Regierung, 1816 aber die Universität aufgehoben. Vom 20. März bis 29. April 1850 tagte hier in der Augustinerkirche das sogen. Unionsparlament (Erfurter Parlament), das eine Verfassung für Deutschland unter Preußens Führung beschloß, die aber nicht zur Ausführung gelangte. Im Juni 1873 wurde E. seines Charakters als Festung entkleidet. Am 21. Aug. 1902 fand eine glänzende Feier der 100jährigen Vereinigung mit Preußen statt. Vgl. Beyer, Neue Chronik von E., 7361815, nebst Nachträgen (Gotha 1821 u. 1823); v. Tettau: E. in seiner Vergangenheit und Gegenwart (2. Aufl., Erf. 1880), Geschichtliche Darstellung des Gebiets der Stadt E. (das. 1886), Erfurts Unterwerfung unter die mainzische Landeshoheit 16481664 (Halle 1887), Bau- und Kunstdenkmäler von E. (das. 1890); Beyer, Geschichte der Stadt E. bis 1664 (das. 1892); Derselbe, Geschichte der Stadt E. (Erf. 1900); Reineck, E. und das tolle Jahr 1509 (Hamb. 1893); Herrmann, Der Kampf um E. 16361638 (Halle 1880); Lambert, Die ältere Geschichte u. Verfassung von E. (Hamb. 1868); Kirchhoff, Die ältesten Weistümer der Stadt E. (das. 1870); Kampschulte, Die Universität E. in ihrem Verhalten zu dem Humanismus und der Reformation (Trier 185860, 2 Bde.); Overmann, Die ersten Jahre der preußischen Herrschaft in E. 18021806 (Erf. 1902); »Akten der Erfurter Universität« (hrsg. von Weißenborn u. Hortzschansky in den »Geschichtsquellen der Provinz Sachsen«, Bd. 8, Halle 18811899, 3 Tle.); »Urkundenbuch der Stadt E.« (hrsg. von Beyer, ebenda, Bd. 13 u. 24, das. 1890 u. 1897); Gurlitt, Historische Städtebilder, Bd. 1: E. (29 Tafeln mit Text, Berl. 1900).
Der Regierungsbezirk E., ein sehr zerrissenes Gebiet mit Teilen des Harzes, des Thüringer Waldes und Vogtlandes (s. Karte »Provinz Sachsen«), größtenteils innerhalb der thüringischen Staaten gelegen, umfaßt 3530 qkm (64,11 QM.) mit (1900) 466,419 Einw. (132 auf 1 qkm), davon 361,666 Evangelische, 101,662 Katholiken und 1978 Juden, und besteht aus den zwölf Kreisen:
Über die vier Reichstagswahlkreise des Regierungsbezirks s. Karte »Reichstagswahlen«. [⇐37]
[843⇒] Erfurt, 1) Regierungsbezirk der preußischen Provinz Sachsen; gebildet aus Erfurt, Theilen des ehemaligen thüringer u. neustädter Kreises Sachsens, dem preußischen Hohenstein u. Eichsfelde, Nordhausen, Mühlhausen, Treffurt, Voigtei Dorla, 2 Dörfern Hannovers u. den eingetauschten schwarzburgischen Ortschaften; grenzt (ohne die davon getrennten Parzellen) an Braunschweig, den Regierungsbezirk Merseburg, Schwarzburg-Sondershausen, Weimar, Gotha, Kurhessen u. Hannover; Boden wellenförmig, eben u. hügelig, nordwestlich (von den Vorbergen des Harzes) u. südlich (von dem Thüringer Walde) bergig; Flüsse: Saale, Gera, Unstrut, Wipper, Helbe, Helme, Leine u. Werra; 613/4 QM. u. 346,000 Ew. (246,270 Evangelische, 98,350 Kath.); 9 Kreise: Erfurt, Ziegenrück, Schleusingen, Nordhausen, Worbis, Heiligenstadt, Mühlhausen, Langensalza u. Weißensee. 2) Kreis daselbst; 53/4 QM., 48,000 Ew. 3) Hauptstadt der beiden vorigen, an der Gera, ist eine starke Festung zweiter Klasse, namentlich durch seine zwei selbständigen Werke, der älteren, mit der Stadt unmittelbar verbundenen Citadelle auf dem Petersberg u. der nach neueren Principien erbauten Cyriaksburg. Die Stadtbefestigung bildet ein Wall mit Mauer, vorspringenden viereckigen Thürmen mit davorliegenden größtentheils nassen Gräben, hat 2 Bastions nahe dem Petersberg am Brühler u. Andreasthor, außerdem im Osten die hohe Batterie; in neuester Zeit durch Anlage zweier größerer detachirter Werke mit Reduits, der Daberstädter Schanze im Süden, einer größeren Lünette im Osten, einer kleineren, der Auenschanze, im Norden, demnächst durch Ordnung des Glacis, des gedeckten Weges, der zur Thorvertheidigung nöthigen Werke u. namentlich durch Benutzung des Wassers zu vortheilhaftem Schleußenspiel bedeutend verstärkt. Der Petersberg liegt dicht an der Stadt auf einer Anhöhe; ist unregelmäßig nach der Stadt zu mit tenaillirten Werken, nach dem Felde zu mit 4 Bastions befestigt u. hat mehrere Ravelins u. Lünetten, eine neue, sehr große Defensionskaserne gegen Norden u. 1 Hornwerk; die Cyriaksburg (sonst Kloster) liegt ganz von der Stadt getrennt, auf einer die vorigen überhöhenden Anhöhe, ist ein Viereck mit Thürmen an den zwei äußern Ecken, mit Defensionskaserne, Ravelins u. bedecktem Weg, in welchem sich steinerne Caponieren befinden. Man zählt 202 Straßen u. Gassen; von den zum Theil mit steinernen Trottoirs versehenen, bei Nacht durch Gas erleuchteten größeren Straßen sind der Anger, sehr breit u. ziemlich lang, u. die Johannisstraße zu erwähnen, von Plätzen der Friedrich-Wilhelmsplatz (sonst vor den Graden) an dem Petersberg u. Dom, mit Denkmal des letzten Kurfürsten von Mainz, Karl Friedrich Joseph, in Form eines Obelisken; außerdem der Fischmarkt mit Rolandssäule etc. E. hat 6 Thore, 1 Pforte u. 1 Durchgang durch den Petersberg, welcher für das Publicum geschlossen ist. Der innere Raum von E. ist nicht ganz bebaut, ein großer Theil gegen SW., am Brühler Thor u. Pförtchen (Hirschbrühl) sind Gärten. E. hat 9 protestantische Kirchen, einen Betsaal im Arbeitshaus, einen Betsaal im Martinsstift, eine Kirche der altlutherischen Gemeinde, 8 katholische Kirchen, zwei Kapellen u. eine Synagoge. Von den katholischen Kirchen sind merkwürdig: der Dom, zu dem man vom Friedrich-Wilhelmsplatz aus auf einer breiten Freitreppe hinaufsteigt; in ihm das Grabmal des Grafen Ernst von Gleichen mit seinen 2 Frauen (sonst in der 1813 abgebrannten Benedictinerkirche auf dem Petersberg) u. auf dem Thurme die 1497 gegossene, 1/4 Elle dicke, 275 Ctnr. schwere Glocke Maria gloriosa, eine der größten in Deutschland, die im J. 1251 bei dem Brande geschmolzene hieß Susanna u. nach ihr heißt die jetzige im Munde des Volks auch Susanna. Dicht neben dem Dom steht die Kirche zum St. Severus. Von den protestantischen Kirchen sind die neu hergestellte Barfüßerkirche, die Predigerkirche, die Augustinerkirche, welche, nachdem in ihren Räumen 1850 das Erfurter Parlament sich versammelte, neu u. geschmackvoll restaurirt ist, merkwürdig. Die sonst zahlreichen Klöster sind aufgehoben, bis auf das Kloster der Ursulinerinnen, in welchem auch eine von den Nonnen geleitete Erziehungsanstalt sich befindet. Die Räume des ehemaligen Augustinerklosters, in welchem noch Luthers Zelle gezeigt wird, dienen einstweilen dem Martinsstifte für verwahrloste Kinder u. dem evangelischen Waisenhause, welches verschiedene Sammlungen, wie einen sehenswerthen Todtentanz, bewahrt. E. ist Sitz einer Regierung (in der sonstigen Statthalterei), der Generalinspection des Thüringischen Zollverbandes, eines Kreisgerichts, der Direction der Thüringischen Eisenbahn, Landraths, Magistrats, Steueramts etc. Wissenschaftliche u. Erziehungsanstalten: E. war sonst Sitz einer 1378 gestifteten, 1816 aufgehobenen Universität (s. unt.); noch besteht die königliche Akademie gemeinnütziger Wissenschaften, am 19. Juli 1754 gestiftet, unter dem Präsidium des Prinzen Adalbert von Preußen, hat eine Bibliothek von 50,000 Bänden (sonst Universitäts- od. Boyneburgsche Bibliothek, da sie nach ihrer früheren Zerstörung von dem Statthalter von Boyneburg mit der großen Bibliothek seines Vaters beschenkt worden ist; später erhielt sie bedeutenden Zuwachs durch einen Theil der Bibliothek des Coadjutors von Dalberg, der Büchersammlungen der aufgehobenen Klöster u. der Bibliothek des Collegium Amplonianum [s.u. [⇐843][844⇒] Amplonius]); eine Kunst- u. Naturaliensammlung, außerdem ein gemischtes (katholisches u. protestantisches) Gymnasium, Schullehrerseminar mit Seminarschule, Taubstummenanstalt, Blindenheilanstalt, Kunst- u. Bau-, Handwerks-, Real-, Handlungs-, Zeichenschule, Hebammeninstitut, Entbindungsanstalt, Gärtnerlehrlingsanstalt, Mädchenoberschule, Stadtschulen, Handelskammer, Filial der preußischen Bank, Gewerbverein, Gartenbauvereine, 2 Musikvereine, Thüringische Bibelgesellschaft, der Thüringische Kunstverein, ein Verschönerungsverein, Missionsverein, Vereine zur Unterstützung armer Handwerker, zwei patriotische Vereine, Sparverein für Beschaffung von Holz, zwei Frauenvereine, Verein für verwahrloste Kinder; die Stiftung Nationaldank hat hier ein Commissariat, in welchem mehrfache wohlthätige Stiftungen begründet sind. Öffentliche u. milde Anstalten: Arbeitshaus, Hospital, 2 Krankenhäuser, 2 Waisenhäuser, ferner das Martinsstift (s. ob.), Institut für Augenkranke, zwei Rettungshäuser (evangelisches u. katholisches). Hauptnahrungszweige sind Ökonomie (mehr als 150 Ökonomen) u. Gartenbau (mehr als 80 Gärtner), durch welchen außer Handels- u. Arzneikräuter aller Art, namentlich die Brunnenkresse (in den Gartenklingen an dem Treuen Brunnen u. der Milchinsel) u. der Blumenkohl in schöner u. reicher Fülle gezogen u. weithin versandt wird; ferner Kunst- u. Handelsgärtnerei (mehr als 20 Handelsgärtner), Sämereihandel, Mühlenfabrikate, Schuh- (364 selbständige Meister), Strumpf- (27), Tabaks-, Leder-, Essig-, Garn- (16) Fabriken. Es befinden sich in E. 7 Bierbrauereien, 11 Buchdruckereien, 10 Buchhandlungen u. 9 Steindruckereien. In E. hat die Versicherungsgesellschaft Thuringia u. die Erfurter Hagelschädenversicherungsgesellschaft ihren Sitz. Durch den Verkehr der Thüringischen Eisenbahn, deren Mittelpunkt E. ist, ist der Waarenumsatz sehr gehoben, 1857 1,304,246 Centner. Es erscheinen hier die Erfurter Zeitung, zwei Adreßblätter, ein Regierungsamtsblatt, eine Gartenzeitung. Für die Vergnügungen sorgt ein Theater (im Sommer ein Tivoli), das Casino, die Ressource u. viele andere gesellschaftlichen Vereine. Spaziergänge bieten namentlich der anmuthig gelegene Steiger (Rhoda, Waldschlößchen) im SW. der Stadt mit Promenadenwegen (Hedemannsweg) u. die nahe gelegenen Dörfer Harsgehofen, Gispersleben, Hochheim, Stedten u.a. Freimaurerloge: Karl zu den drei Adlern. 33,800 Einwohner, von denen 5300 auf die Garnison kommen u. ein Drittel katholisch, 204 Israeliten sind. E. soll der Sage nach von einem gewissen Erpes gegründet u. darnach Erpesford genannt worden sein, wahrscheinlicher aber wurde es zur Zeit des Bonifacius, welcher hier um 741 ein Bisthum gründete, welches aber bald wieder aufgehoben wurde, angelegt, 805 von Karl d. Gr. zum Handelsplatz mit den Sorben bestimmt, u. wurde im Mittelalter, bes. vor Einführung des Indigos, Mittelpunkt des thüringischen Waidhandels u. zugleich Stapelplatz des Saflors u. Anis zwischen Ober- u. Niederdeutschland. 1080 wurde E. von Heinrich IV. geplündert u. in Brand gesteckt, von Lothar von Sachsen 1118 eingenommen u. 1203 Philipp von Schwaben, dessen Partei es genommen, belagert. E. gehörte zu dem Kirchsprengel u. der weltlichen Gerichtsbarkeit von Mainz, unter der Oberhoheit der Landgrafen von Thüringen. Oft aber gehorchte die Stadt den Erzbischöfen nicht, u. diese belegten sie dann mit Bann u. Interdict, so 1224, 1234, 1244, 1277 u. 1279. Erzbischof Gerhard I. gestand E. 1255 eine besondere Stadtobrigkeit (3 Rathsmeister u. 12 Beisitzer) zu. Viele Fehden führte E., so mit Friedrich dem Gebissenen, der von E. die Grafschaft an der Schmalen Gera, die sein Vater Albrecht der Unartige 1979 wiederkäuflich an die Stadt verkauft hatte, zurückforderte, von 130916, wo E., zugleich von innerlichen Unruhen bedrängt, den Frieden für 10,090 Mark Silber erkaufte. Hier 1289 großer Reichstag, von Rudolf von Habsburg angeordnet, wodurch dem Faustrecht in Thüringen gesteuert wurde. Für ein jährliches Schutzgeld begab sich E. 1483 in die Schutzgerechtigkeit des Hauses Sachsen, welchen Vertrag es, bei innern Unruhen von Mainz verlassen, 1516 erneuerte. Luther studirte von 1501 daselbst, auch war er dort Augustinermönch. 1524 nahm E. die Reformation an. Unruhen brachen deshalb aus, aber ein Vergleich mit Kurmainz stillte sie. Viel litt E. im Dreißigjährigen Kriege u. öffnete 1631 den Schweden die Thore. Der Petersberg wurde von den Schweden besetzt gehalten, während Baner daselbst 1640 lange sein Hauptquartier hatte. Im Westfälischen Frieden wurde die Oberhoheit des Erzstiftes über E. anerkannt, aber Kursachsen weigerte sich, seiner Schutzgerechtigkeit zu entsagen, u. erst 1664 wurde E. mir Hülfe von Reichstruppen durch Capitulation von Mainz genommen u. Johann Georg II., Kurfürst von Sachsen, u. das Ernestinische Haus traten 1665 das Hoheits- u. Schutzrecht an Mainz ab. Im Siebenjährigen Kriege wurde es durch den preußischen General von Knoblauch 1759 eingenommen. 1802 den 21. August wurde E. nebst dem E-er Gebiet (mit der Stadt E. 2 Städte, 3 Flecken, 72 Dörfer u. 46,000 Ew.) von Preußen in Besitz genommen. 1806 capitulirte E. gleich nach der Schlacht bei Jena, den 16. Oct., kam unter französische Administration u. wurde durch den Tilsiter Frieden von Preußen an Napoleon überlassen, der jedoch nicht darüber verfügte. Vom 27. Sept. bis 14. Oct. 1808 hielt Napoleon hier den Erfurter Congreß, bei dem der Kaiser Alexander, die Könige von Baiern, Westfalen, Württemberg, Sachsen u.a. Fürsten zugegen waren. E. litt 1813 eine harte Belagerung, wurde im Novbr. von den Preußen mit österreichischem Geschütz beschossen u. dabei 188 Häuser zerstört. Im Dec. capitulirte die Stadt, die Franzosen zogen sich in die Citadellen u. räumten diese, nachdem Kleist von Nollendorf die Stadt am 6. Jan. 1814 besetzt hatte. Am 26. Jan. trat Preußen von dem Erfurter Gebiete die Ämter Vippach, Atzmannsdorf u. Tonndorf nebst 4 Dörfern an Weimar ab. E. wurde 1815 Sitz einer Regierung. In Folge der Renitenz der Landwehr am 24. Nov. 1848 wurde über E. der Belagerungszustand verhängt, welcher am 4. Aug. 1849 aufgehoben wurde. Im Jahr 1850 im März u. April tagte hier das Unionsparlament (Erfurter Parlament) in der Augustinerkirche. Die Erlaubniß, eine Universität anlegen zu dürfen, wurde der Stadt E. durch Papst Clemens VII. 1378 ertheilt, doch hielt es der Rath für nöthig, 1389 vom Papst Urban VI. eine neue Erlaubniß einzuholen. Benedict IX. ließ sie 1392 feierlichst einweihen. Sie war die vierte der [⇐844][845⇒] deutschen Universitäten u. Anfangs sehr besucht. 1472 wurde ein Theil ihrer Gebäude durch einen Mönch Burkhard abgebrannt u. 1510 artete eine Schlägerei der Studenten mit der Besatzung in ein völliges Gefecht aus, die Soldaten u. das Volk pflanzten Kanonen vor dem Collegium, wohin sich die Studenten retirirten, auf, stürmten es u. demolirten es gänzlich. Seitdem ist die Universität nie wieder zu ihrer Blüthe gekommen; sie hob sich zwar in der Mitte des 18. Jahrh. etwas, aber durch Abberufung ihrer besten Lehrer u. durch den Krieg sank sie sehr; 1816 wurde sie aufgehoben u. ihr Vermögen zu andern Unterrichtsanstalten geschlagen. Vergl. Falkenstein, Civitatis Erfurtensis historia, Erf. 17391746, 2 Bde.; I. Dominikus, E. u. das E-er Gebiet, Gotha 1793, 2 Bde.; (Rössig), Geschichte u. Statistik der Stadt E., ebd. 1794; Arnold, E. u. seine Merkwürdigkeiten u. Alterthümer, ebd. 1802; J. F. Müller, Alte Geschichte von E., ebd. 1820; C. Beyer, Neue Chronik von E., ebd. 1822; Erhard, E. u. seine Umgebungen, ebd. 1830; Noback, Beschreibung des Regierungsbezirkes E., ebd. 1841; Thüringisch-Erfurter Gedenkbuch, ebd. 1840; Horn, Charakterisirung der Stadt E., ebd. 1843; Cassel, Erfurter Erinnerungsalbum an den 21. u. 22. Aug. 1852, ebd. 1852; Michelsen, Die Rathsverfassung von E. im Mittelalter, Jena 1855; Kampschulte, Die Universität E., Trier 1858; Cassel, Geschichte der Akademie, in der Denkschrift der königlichen Akademie der Wissenschaften, ebd. 1854. [⇐845]
[595⇒] Erfurt, stark befestigte Hauptstadt des gleichnamigen Reg.-Bez. und Kreises in der preuß. Provinz Sachsen, an der Gera, mit 33000 E., worunter über 1/5 Katholiken, mit kathol. und evangel. Gymnasium, einem Schullehrerseminar, Taubstummen-, Blinden- u. Hebammeninstitut, einer königl. Akademie gemeinnütziger Wissenschaften, Handelslehranstalt, vielen gemeinnützigen Vereinen und Anstalten, worunter ein Ursulinerinenkloster mit einer weiblichen Erziehungsanstalt. Der Handel wird durch die Thüringer Eisenbahn gefördert; starke Schuhmacherei, Lein-, Baumwollen-, Wollzeug-, Bandweberei, Fabriken in Leder, Tabak, Nudeln; Bierbrauereien, Essig- und Oelsiedereien. Unter den Gebäuden 20 Kirchen, worunter der im 14. Jahrh. erbaute goth. Dom mit der 275 Ctr. schweren Susannaglocke, die Prediger-, St. Severi- und Barfüßerkirche. Das Augustinerkloster, in welches Luther 1505 eintrat, ist jetzt ein Waisenhaus, Luthers Zelle in ihrem alten Zustande erhalten. Er nannte E. das »Paradies Deutschlands«; wichtig ist die Kunst- u. Handelsgärtnerei, der Gemüse-, Kümmel- und Mohnbau, angenehm der Vergnügungsort Steiger und der Gartenbezirk [⇐595][596⇒] Dreibrunnen. E. war schon in heidnischer Zeit eine Stadt, Bonifaz stiftete hier 741 ein Bisthum für das fränkische Nordthüringen, doch verlor es rasch seine Selbstständigkeit u. wurde von Mainz aus verwaltet. Die Stadt gehörte zur Hansa und zählte im 15. Jahrh. gegen 60000 E., kam aber durch Brand und Pest, durch das »tolle Jahr« 1509, die Studententumulte von 1480 und 1510, sowie durch die Reformation herab. Die Kurfürsten von Mainz erlangten Landeshoheit u. 1648 Anerkennung als unumschränkte Herren des Fürstenthums E., d.h. der Stadt und ihres Gebietes. E. fiel 1803 an Preußen, war 1806 bis 13 von Franzosen besetzt, wo die Preußen die Stadt und 1814 die Citadellen, den Petersberg und die Cyriaksburg, durch Capitulation wieder eroberten. Die Universität E., als die 5. unter den deutschen 1392 eröffnet, zählte 1455 noch 538 Studenten, aber 1523 nur 34, 1524 24, 1525 21 und 1526 gar nur 14 Immatriculierte und von 15201689 kam nicht Eine Doktorpromotion in der theolog. Fakultät vor. Gustav Adolf vermochte die Universität nicht zu heben, dagegen blühte sie im 18. Jahrh. durch die Kurfürsten von Mainz wieder auf, zählte 179244 Lehrer, ward jedoch 1816 aufgehoben. Im Frühling 1850 tagte in E. das Parlament für die zur Union zusammengetretenen Staaten. [⇐596]
[685⇒] Erfurt, Hauptstadt des gleichnamigen Regierungsbezirks im preuß. Herzogthum Sachsen und jetzt wichtige Festung, ist eine der ältesten deutschen Städte, liegt in Thüringen an der Gera und hat, ohne das Militair, gegen 25,000 Einw., deren Haupterwerbzweig in Wollen- und Baumwollenweberei, Lederfabrikation und ungewöhnlich starkem Garten- und Gemüsebau besteht.
E. ist Sitz einer Regierung und einer 1754 gegründeten Akademie der nützlichen Wissenschaften; es befinden sich daselbst eine Hebammenschule, ein Schullehrerseminar, ein Gymnasium, eine Handlungsschule, eine Heilanstalt für Blinde, eine Kunst- und Bauschule, das 1820 errichtete Martinsstift zur Erziehung armer und verwaister Kinder; die Festungswerke sind nebst den beiden Citadellen, dem Petersberge und der Cyriaksburg, in neuerer Zeit bedeutend verstärkt worden. Unter den 18 [⇐685][687⇒] Kirchen E.'s ist der alte, auf einem Hügel liegende, Dom mit der großen, 275 Ctr. schweren, Glocke, Susanna genannt, die merkwürdigste. In dem ehemaligen Augustinerkloster, welches aber jetzt zum Waisenhause benutzt wird, zeigt man noch die vorstehend abgebildete Zelle, welche Luther als Mönch bewohnte, ehe er nach Wittenberg ging. Die Sage läßt E. im 5. Jahrh. von einem gewissen Erpes gründen, und schon der heil. Bonifacius stiftete zu Erpchesford ein Bisthum. Von Karl dem Großen erhielt die Stadt die Stapelgerechtigkeit, trieb nach der Zeit einen sehr wichtigen Handel, da sie hierzu sehr vortheilhaft fast in der Mitte Deutschlands liegt, und zählte im 16. Jahrh. an 60,000 Einw. Obgleich keine freie Reichsstadt, behauptete E. doch gegen die Ansprüche der Erzbischöfe von Mainz auf die Landeshoheit eine gewisse Unabhängigkeit und lebte mit ihnen in beständiger Fehde. Einen langwierigen Kampf hatte es auch mit dem Markgrafen von Thüringen, Friedrich mit der gebissenen Wange (von 1309–16) zu bestehen, mußte damals für eine Summe von 10,000 Mark Silber den Frieden erkaufen und trat deshalb 1488 unter sächs. Schutz. Im dreißigjährigen Kriege wurde es aber von den Schweden eingenommen und 1664 mit Hülfe franz. Truppen von Kurmainz erobert, dessen Oberhoheit es seitdem anerkannte und von kurmainz. Statthaltern regiert wurde. Durch den dreißigjährigen Krieg verlor E. auch den größten Theil seines Handels und Verkehrs, ohne seitdem seine frühere Blüte wieder erreichen zu können, kam 1802 als Entschädigung für die an Frankreich abgetretenen Besitzungen an Preußen und 1806, nach der Schlacht bei Jena, unter franz. Administration. Eine harte Belagerung hatte es 1813 auszuhalten, wo die Preußen es im Nov. beschossen und wo fast 200 Häuser, unter ihnen auch das alte Benedictinerkloster mit dem Grabmale des berühmten doppeltbeweibten Grafen von Gleichen, niederbrannten. Die damalige franz. Besatzung mußte noch im Dec. desselben Jahres die Stadt übergeben, zog sich aber in die Citadelle zurück, die sie erst nach dem pariser Frieden 1814 räumte, worauf E. wieder an Preußen fiel. Die 1392 hier gestiftete Universität ist 1810 ganz aufgehoben worden. [⇐687]
[473⇒] Erfurt, Hauptstadt des preußischen Regierungsbezirkes gleiches Namens, war schon zu Karl's des Großen Zeiten ein berühmter Handelsplatz Deutschlands, noch im Mittelalter höchst blühend, und zählte 1597 gegen 60,000 Einwohner. Durch den 30jährigen Krieg litt ihr Wohlstand sehr und Erfurt zählt jetzt nur 25,000 Einwohner. Die Stadt, jetzt zugleich Festung mit zwei Citadellen, ist alt und unregelmäßig gebaut; hat aber viele stattliche und ehrwürdige Gebäude, darunter den Dom mit 3fachem Thurm und der 275 Ctr. schweren Glocke, das Augustinerkloster (jetzt ein Waisenhaus), worin Luther's Zelle gezeigt wird. In dem Benediktinerkloster auf dem Petersberge ist das Grabmal des durch seine Doppelehe bekannten Grafen von Gleichen befindlich. Erfurt hat viele wissenschaftliche, Kunst- und wohlthätige Anstalten, unter letzteren namentlich eine Hebammenschule, das Martinsstift zur Erziehung armer Kinder etc. Nicht unwichtig sind die Woll-, [⇐473][474⇒] Baumwoll-, Seiden-, Band-, Leder-, Graupen- und andere Fabriken. Die Gegend ist sehr fruchtbar, namentlich an Sämereien, Gemüsen, Waid, Gewürzpflanzen etc. Am Fuße des Cyriaksberges ist eine Mineralquelle in der Nähe die uralte merkwürdige Burg Gleichen. [⇐474]
[393⇒] Erfurt, eine große und etwas feste Stadt in Thüringen, zu deren schönen und überaus fruchtbaren Gebiete etliche siebzig umher liegende Dörfer gehören, war im 15. und dem folgenden Jahrhunderte, vorzüglich durch ihren Handel, sehr blühend – Erfurt gehörte zu den Hansestädten, hatte die Stapelgerechtigkeit und große Vortheile von den Speditionen und dem Landhandel in Deutschland, da es gerade in der Mitte desselben liegt, – und zählte zu Ende des 16. Jahrhunderts gegen 60000 Einwohner. Allein durch den veränderten Gang des Handels, welcher sich nach Leipzig zog, durch die Deutschen Kriege und die Streitigkeiten mit und unter den Deutschen Fürsten um den Besitz dieser Stadt und Landschaft – in welchem seit 1663 Churmainz ist, welches dieselbe durch einen Statthalter regieren läßt; bekannter Maßen bekleidet gegenwärtig der berühmte Coadjutor Freiherr von Dalberg diese Stelle – ist dieselbe so gesunken, daß die Stadt Erfurt noch vor einigen Jahren nicht über 14000 Einwohner zählte, welche Anzahl jedoch seit der Französischen Revolution durch eine große Anzahl Ausgewanderter aus mehrern Gegenden, von denen jedoch die Französischen Emigrés sich wieder hinweg begeben müssen, beträchtlich gestiegen ist. Nicht leicht hat eine Stadt in Deutschland mit ihrem Gebiet so viel Cultur und Handel mit Gartengewächsen aller Art als Erfurt. Der Hauptzweig des Stadtgewerbes sind indeß die Wollmanufacturen. Die Einwohner dieser Stadt nebst dem Rathe und der daselbst befindlichen Universität sind theils katholisch – es giebt auch mehrere Klöster in Erfurt – theils lutherisch; doch sind unter den Einwohnern die meisten lutherisch. Uebrigens hat die Stadt Erfurt noch folgende Sehenswürdigkeiten: die Citadelle auf dem Petersberge, nebst dem Benedictinerkloster, in welchem der Graf von Gleichen mit seinen beiden Gemahlinnen begraben liegt; den Dom, mit der großen 275 Centner schweren Glocke, Maria genannt; das ehemahlige Augustiner-Kloster, in welchem jetzt das lutherische Gymnasium ist, mit D. Luthers Zelle. die er von 1505 bis 1512 bewohnte; das jedesmahlige Frohnleichnamsfest, welches mit großem Pomp gefeiert wird und eine große Menge Fremde nach Erfurt zieht. [⇐393]
[325⇒] Erfurt: diese Hauptstadt Thüringens wurde mit ihrem Gebiete von 16 Quadratmeilen zugleich mit dem Eichsfelde (zwischen Thüringen, Hessen und dem Fürstenth. Grubenhagen und Calenberg gelegen) im J. 1802 zur Entschädigung für die an Frankreich abgetretenen Besitzungen von Preußen in Besitz genommen; allein die schon ziemlich gesunkene Stadt schien dadurch noch mehr an Sitten und Wohlstand zu leiden. Durch den unglücklichen französisch-preuß. Krieg i. J. 1806 und nach der unglücklichen Schlacht vom 14. Oct. bei Jena und Auerstädt ging Erfurt den 16. Oct. durch Capitulation über, wobei unter mehreren Generalen der Feldmarschall Möllendorf, der Prinz von Oranien etc. zu Kriegsgefangenen gemacht wurden. Das Eichsfeld wurde in der Folge zu Westphalen geschlagen: Erfurts Schicksal ist bis jetzt noch unentschieden geblieben. – Berühmt wurde der Ort neuerlich wieder durch die merkwürdige Zusammenkunst im Oct. 1808 zwischen dem russischen und französischen Kaiser, den Königen von Sachsen, Bayern etc. und so vielen andern hohen Personen, obgleich die segensreichen Folgen, die man sich von diesem merkwürdigen Congreß versprach, wenigstens bis jetzt noch nicht ihre Wirkung gezeigt haben. [⇐325]
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