[896] Chemie. I. Begriff u. Aufgabe. Ch. ist derjenige Theil der Naturwissenschaften, welcher die Gesetze kennen lehrt, denen die Stoffe unterworfen sind, welche in der belebten (organischen Ch.) u. leblosen Natur (unorganischen Ch.) einander sich nahen; od. welcher die Zusammensetzung der verschiedenen Körper aus den Elementen u. die Gesetze, nach welchen die Elemente mit einander verbunden od. von einander geschieden werden, lehrt. Sie lehrt daher die Phänomene kennen, welche bei der Bildung der Oberfläche her Erde stattfanden;[896] sie gibt Aufschluß über die Bildung heilbringender Quellen u. leitet bei der Nachahmung derselben; sie klärt auch über die Processe auf, welche im lebenden Organismus des Menschen u. des Thieres vor sich gehen, aus deren Kenntniß der Arzt Belehrung zieht (Physiologische Ch.); sie gewährt einen Blick in das geheimnißvolle Lebender Pflanzen u. deren innige Beziehung zu dem Boden, welcher dieselben trägt, u. zu der Luft, welcher sie ernährt (Agriculturchemie); sie leistet dem Arzt Hülfe, wenn er nach Heilmitteln sucht, um dem gestörten Organismus sein Gleichgewicht wieder zugeben (Pharmaceutische Ch.); sie gibt die Mittel an, wie Vergiftungen an Menschen verübt, selbst an den Leichen u. nach Jahren erkannt werden können (Gerichtliche Ch.); sie unterstützt auch die Gewerbe u. Kunst (Technische Ch.). A) Die Ch. hat hauptsächlich die Aufgabe, die Bestandtheile der Körper zu ermitteln u. die Körper in ihre Bestandtheile zu scheiden; sie stellt sich aber auch die Aufgabe, Körper aus den Bestandtheilen zusammenzusetzen u. dadurch neue Verbindungen hervorzubringen. Man kennt gegenwärtig 62 solcher Stoffe, welche jedem Versuche, Bestandtheile daraus abzuscheiden, Widerstand geleistet haben (einfache Stoffe, Chemische Elemente). Jeder Naturkörper od. jedes Kunstproduct ist nun entweder einer von diesen einfachen Stoffen, z.B. Eisen, Gold, Diamant, Schwefel; od. er ist eine Verbindung von 2 od. mehreren dieser Elemente; od. endlich er enthält Elemente od. Verbindungen als Gemengtheile. Man theilt die einfachen Stoffe in Metalloïde u. in Metalle. a) Zu den Metalloïden gehören solche Stoffe, welchen die metallischen Eigenschaften fehlen, indem sie keinen Metallglanz haben u. die Elektricität nicht leiten; es sind deren 14: Sauerstoff (Oxygen), Wasserstoff (Hydrogen), Stickstoff (Nitrogen), Chlor, Iod, Brom, Fluor, Schwefel, Selen, Phosphor, Arsen, Kohlenstoff, Kiesel (Silicium) u. Bor. b) Die Metalle, deren bis jetzt 48 an Zahl bekannt sind, besitzen Metallglanz u. leiten die Elektricität; man theilt sie in leichte Metalle (Kalium, Natrium, Lithium; Baryum, Strontium, Calcium; Magnesium, Aluminium, Beryllium [Glycium], Zirkonium, Yttrium, Thorium, Cerium, Lanthan, Didym, Erbium, Terbium) u. schwere Metalle (Eisen, Mangan, Kobalt, Nickel, Zink, Uran, Chrom, Tellur, Blei, Wismuth, Kupfer, Kadmium, Titan, Wolfram, Molybdän, Tantal, Niobium, Pelopium, Ilmenium, Zinn, Antimon, Vanadin; Quecksilber, Silber, Rhodium, Osmium, Iridium, Ruthenium, Palladium, Platin, Gold). B) Um die Zusammensetzung eines aus mehreren einfachen Körpern bestehenden Körpers kennen zu lernen, gibt es in der Ch. verschiedene Methoden; die eine besteht darin, den Körper in seine Bestandtheile zu zerlegen, dies ist die analytische Methode od. die Analyse; die andere, aus diesen Bestandtheilen wieder den vorigen Körper zu bilden, dies ist die synthetische Methode od. Synthese. Die synthetische Methode gibt dem von der Analyse gewonnenen Resultate die vollste u. überzeugendste Beweiskraft, u. der Chemiker sucht daher, wo nur immer möglich, diese beiden Beweise für die chemische Constitution eines Körpers in Ausführung zu bringen. Mischt man z.B. zu 16 Theilen geschmolzenem Schwefel nach u. nach 100 Theile Quecksilber, so erhält man eine schwarze Masse, die beim Sublimiren in Zinnober übergeht; das Gewicht des Zinnobers beträgt genau (100 + 16) 116 Theile; man schließt daraus, daß Schwefel u. Quecksilber die Bestandtheile des Zinnobers sind. Diesen synthetischen Beweis vervollständigt man aber noch durch einen analytischen, indem man 116 Theile Zinnober in einer Retorte mit 28 Theilen Eisenfeile erhitzt; man erhält sodann in der Vorlage 100 Theile Quecksilber, während in der Retorte eine schwarze Masse zurückbleibt, deren Gewicht 44 Theile beträgt, da sie außer 28 Theilen Eisen auch noch 16 Theile Schwefel enthält. Alle bis jetzt angestellten Analysen haben folgende 3 Sätze begründet, welche als leitende Grundsätze bei allen analytischen Arbeiten gelten: a) Die einfachen Stoffe verbinden sich unter ein ander in bestimmten Gewichtsverhältnissen; b) aus diesem Grunde muß das Gewicht der einzelnen Bestandtheile, in welche ein Körper zerlegt worden ist, zusammengenommen genau so viel betragen, als das Gewicht des der Analyse unterworfenen Körpers; c) das Gewicht eines aus verschiedenen Bestandtheilen zusammengesetzten Körpers muß gleich der Summe des Gewichts jener Bestandtheilesein. C) Alle Naturkörper bestehen aus kleinsten Theilchen, welche man Atome nennt; sie sind kugelförmig u. von gleicher Größe. Die Atome haben das Bestreben, sich mit einander zu verbinden; dieses Streben ist die Folge einer Kraft, welche man Molecularattraction nennt. Äußert sich diese Kraft bei Atomen derselben Natur, so nennt man sie Cohäsion; ein Stück Schwefel wird also nur durch die Cohäsion verhindert, in seine kleinsten Theile, Atome, zu zerfallen. Äußert sich aber diese Kraft bei Atomen verschiedener Natur, so nennt man sie Verwandtschaft (Affinität). Eben so wie die Atome der Körper durch die Cohäsionskraft zusammengehalten werden, giebt es auch eine Kraft, die Molecularrepulsion, welche die Atome von einander zu entfernen strebt. Je nachdem nun die Attraction od. die Repulsion vorherrscht, erscheinen die Körper in drei Aggregatzuständen: in dem festen, flüssigen u. gasförmigen. Die Atome gasförmiger Körper sindsoweit von einander entfernt, daß die Wirksamkeit der Cohäsion sich gar nicht mehr äußert, daher sie keinen Zusammenhang haben. Preßt man jedoch die Gase sehr stark zusammen, so werden ihre Atome einander so nahe gerückt, daß sie sich anziehen können u. als flüssige od. feste Körper erscheinen. Die Atomenlehre ist zugleich die Lehre von der inneren Mechanik der Materie. Viele Chemiker läugnen die Existenz der Atome, weil man die Atome nicht zu sehen vermöge. Wenn man zu einem zusammengesetzten Körper (A + B) einen anderen Körper (C) bringt, so kommt es häufig vor, daß letzterer den zusammengesetzten Körper in seine Bestandtheile zerlegt u. sich mit einem derselben verbindet. Weil dieser zugesetzte Körper gleichsam zwischen den beiden Bestandtheilen zu wählen scheint, so nennt man diese Art der Verwandtschaft Wahlverwandtschaft u. bezeichnet sie in diesem Falle mit dem Namen der einfachen Wahlverwandtschaft (A + B) + C = (A + C) + B. Setzt man z.B. zu salzsaurem Baryt Schwefelsäure, so wird die Salzsäure frei u. es entsteht schwefelsaurer Baryt. Häufig kommt es aber auch von daß zwei[897] zusammengesetzte Körper (A + B) u. (C + D) ihre Bestandtheile in der Weise umtauschen, daß zwei neue zusammengesetzte Körper (A + D) u. (C + B) entstehen. Diese Zersetzung wird durch folgendes Schema verdeutlicht:
Der doppelten Wahlverwandtschaft bedient man sich häufig zur Erkennung gewisser Substanzen, da der eine der beiden neuentstandenen Körper häufig eine unlösliche Verbindung ist u. zuweilen als charakteristisch gefärbter Niederschlag zu Boden fällt. Vermuthet man z.B. in einer Flüssigkeit die Gegenwart von arseniger Säure, so braucht man nur etwas Natron u. etwas Kupfervitriol hinzuzusetzen, wo, wenn Arsenik vorhanden war, ein grüner Niederschlag sich bildet. Der Kupfervitriol ist demnach ein Mittel, das Arsenik ausfindig zu machen; man nennt ein solches Mittel ein Reagens u. die dadurch hervorgerufene Erscheinung Reaction. D) Die Eigenschaften, durch welche die Körper sich von einander unterscheiden lassen, sind entweder physikalische od. chemische. Zu den physikalischen Eigenschaften rechnet man diejenigen, welche man mit den Sinnen wahrnehmen kann, ohne daß mit dem Körper selbst eine Veränderung der inneren Materie vor sich geht; der Aggregatzustand (ob der Körper fest, flüssig od. gasförmig ist), das specifische Gewicht, das Verhalten gegen Licht, seine Farbe, sein Geruch u. Geschmack, sein Verhalten gegen Elektricität u. Magnetismus, sein Verhalten in Bezug auf Wärme, dieß alles sind physikalische Eigenschaften. So z.B. ist der Schwefel, nach seinen physikalischen Eigenschaften beschrieben, ein fester, spröder, gelber Körper, geruch- u. geschmacklos, zweimal dichter als Wasser u. durch Reiben elektrisch, leitet aber nicht die Elektricität, schmilzt bei 90° u. verwandelt sich bei 320° in Dampf. Fügt man nun hinzu, der Schwefel verbrennt mit blauer Flamme unter Entwickelung eines erstickenden Geruches, so hat man eine chemische Eigenschaft genannt, welche dem Körper erst dann angehört, sobald die innere Materie des Schwefels verändert worden ist, denn der Schwefel ist jetzt nicht mehr Schwefel, sondern schwefelige Säure. E) Sobald Atome hinreichend sich nähern, um Zusammenhang zu erhalten, so ballen sie sich nicht regellos zu einem Klumpen von zufälliger Gestalt, sondern sie ordnen sich in regelmäßigen Formen nach bestimmten Gesetzen (Krystallisation), in welchen jene Symmetrie herrscht, die man an den Schneeflocken wahrnimmt, die aus einzelnen kleinen Eisnadeln zierlich zusammengefügt sind. Die regelmäßigen Gestaltungen der unorganischen Materie werden Krystalle genannt, u. wenn man auch tausende von verschiedenen Formen nennt, so gilt doch unwandelbar das Gesetz, daß einerlei Atome stets in derselben Krystallform sich einigen. So krystallisirt der Alaun überall in Oktaedern, das Fahlerz in Tetraedern, der Granat in Rhombendodekaedern, das Kochsalz in treppenförmigen Würfeln. Nicht immer treten jedoch die Atome. zu Krystallen zusammen. Auch der Thier- u. Pflanzenkörper besitzt eine bildende Kraft, die Atome lagern sich aber darin nach ganz anderen Gesetzen, als dieß im Bereiche der unorganischen Materie der Fall ist; in den organischen Gebilden herrscht durchgehend die feste Form vor. Vereinigen die Atome sich zu regellosen Gestalten, wie man es beim Glas, beim Gummi u. den meisten Harzen sieht, so nennt man den daraus hervorgehenden Zustand den amorphen. Man sieht daher die Materie bezüglich ihrer Form in dreierlei Weise sich darstellen, nämlich krystallisch, organisirt u. gestaltlos (amorphisch). F) Das Gewicht der Atome verschiedener Körper ist sehr ungleich; setzt man das Gewicht eines Atomes Wasserstoff als Einheit, so erhält man für die Gewichte der Atome anderer Körper folgende Zahlen: Wasserstoff = 1, Sauerstoff. 8, Schwefel = 16, Chlor = 35,5, Stickstoff = 14, Phosphor = 32, Kohlenstoff = 6, Calcium = 20, Kalium = 40, Eisen = 28, Quecksilber = 100, Kupfer = 32, Gold = 100, Platin = 08, Blei = 104, Silber = 108. Diese Zahlen, welche angeben, in welchen Gewichtsverhältnissen die Körper sich mit einander verbinden, nennt man die Atomgewichte, Mischungsgewichte, Äquivalent od. Substitutionszahlen. Z. B., um nach der Assinirmethode aus goldhaltigen Silbermünzen das Gold abzuscheiden, löst man das Silber in Schwefelsäure; es bildet sich lösliches schwefelsaures Silberoxyd, während das Gold ungelöst zurückbleibt. Aus diesem Silbersalz wird das. Silber durch Kupfer ausgeschieden. Nimmt man an, es befänden sich 108 Theile Silber in der Lösung, so hat man genau 32 Theile Kupfer nöthig, um. diese 108 Theile Silber niederzuschlagen, da diese beiden Zahlen die Äquivalente dieser Körper ausdrücken. Anstatt des Silbers löst sich nun das Kupfer in der Schwefelsäure, u. man erhält als werthvolles Nebenproduct der Affinirmethode den Kupfervitriol. Hat ein Fabrikant 108 Pfund Silbermünzen zu affiniren, so hat er nicht nöthig, beliebige Mengen Schwefelsäure darauf zu gießen, sondern die Äquivalentlehre sagt ihm genau die Menge der Schwefelsäure, die zur Auflösung des Silbers erforderlich ist. Ein Äquivalent Silberoxyd braucht genau ein Äquivalent Schwefelsäure, um sich damit zu verbinden. Das, was man mit der Schwefelsäure zusammenbringt, ist aber kein Silberoxyd, sondern Silber; es muß deshalb zu dem Silber Sauerstoff gebracht werden. Dieses geschieht, indem man zu dem Silber nicht 1, sondern 2 Äquivalente Schwefelsäure setzt. Die Schwefelsäure ist eine Verbindung von Schwefel mit Sauerstoff in dem Verhältnisse von 1 Äquivalent Schwefel auf 3 Äquivalente Sauerstoff, od. in Gewichtsverhältnissen ausgedrückt von 16 Theilen Schwefel zu 24 (8 x 3) Theilen Sauerstoff. Der Fabrikant setzt nun 2 Äquivalente 80 Pfund Schwefelsäure zu dem Silber u. erhält als Producte 156 Pfund schwefelsaures Silberoxyd u. 32 Pfund gasförmige schwefelige Säure, die als Nebenproduct zum Bleichen noch verwerthet werden kann. Der Vorgang ist folgender: 108 Pfund Silber verbinden sich mit 89 Pfd-Schwefelsäure,[898] die aus 32 Pfd. Schwefel u. 48 Pfd. Sauerstoff besteht, auf die Weise, daß die Hälfte der Schwefelsäure (40 Pfd.) in 32 Pfd. schwefelige Säure, welche gasförmig entweicht, u. in 8 Pfd. Sauerstoff zersetzt wird, welche sich mit 108 Pfd. Silber zu 116 Pfd. Silberoxyd verbinden, die nun mit den übrig gebliebenen 40 Pfd. Schwefelsäure zu 156 Pfd. schwefelsaurem Kupferoxyd zusammentreten. Hat man nun aus letzterem Salz durch Kupfer alles Silber ausgefällt, so sagt auch die Äquivalentlehre, wie viel krystallisirtes Kupfervitriol erhalten werden muß. Indem 108 Pfd. Silber durch 32 Pfd. Kupfer ersetzt worden sind, hat man 32 Pfd. Kupfer + 8 Pfd. Sauerstoff + 40 Pfd. Schwefelsäure, im Ganzen 80 Pfd. wasserfreien Kupfervitriol; dieses Salz krystallisirt aber mit Wasser zusammen, welches man das Krystallwasser nennt, u. es verbindet sich je 1 Äquivalent des wasserfreien Kupfervitriols mit 5 Äquivalenten Wasser. Wasser besteht aus Sauerstoff = 8 u. Wasserstoff 1. 1 Äquivalent Wasser wiegt demnach bei obigem Beispiele 9 Pfd., 5 Äquivalente 45 Pfd., dieß zum wasserfreien Kupfervitriol gerechnet, gibt 125 Pfd. krystallisirten Kupfervitriol, den man bei der Affination von 128 Pfd. Silber erhält. Wird bei diesen u. ähnlichen chemischen Operationen weniger an Product erhalten, als der Rechnung entspricht, so ist dies ein Fingerzeig, daß während der Arbeit irgend ein Fehler vorgefallen, daß ein Theil des Materials in Verlust gerathen ist, ohne sich chemisch zu verbinden. G) Zur genaueren u. kürzeren Bezeichnung der chemischen. Verbindungen haben die Chemiker chemische Zeichen u. Formeln eingeführt. Das Atom eines jeden einfachen Stoffes wird durch einen Buchstaben vorgestellt, welche der Anfangsbuchstabe seines lateinischen Namens ist; sind mehrere Elemente mit gleichem Buchstaben vorhanden, so wird ein folgender Buchstabe aus dem Namen zur Unterscheidung hinzugefügt. So ist () das Zeichen für Sauerstoff (von Oxygenium). H für Wasserstoff (von Hydrogenium), N für Stickstoff (von Nitrogenium), S für Schwefel (von Sulfur), P für Phosphor, Fe für Eisen (von Ferrum), Ag für Silber (von Argentum), Hg für Quecksilber (von Hydrargyrum) etc. Will man nun eine chemische Verbindung aus irgend welchen Stoffen bezeichnen, so setzt man die Zeichen derjenigen Stoffe neben einander, aus welchen dieselbe besteht. So bedeutet HO die Verbindung von 1 Äquivalent Wasserstoff mit 1 Äquivalent Sauerstoff, die Wasser genannt wird; Hg S ist die Formel des Zinnobers, der aus Quecksilber u. Schwefel besteht. Sind in einer Verbindung mehrere Atome eines Stoffes vorhanden, so wird dies einfach durch Hinzufügung von Ziffern ausgedrückt, z.B. NO5 ist die Formel der Salpetersäure, die aus 1 Äquivalent Stickstoff in Verbindung mit 5 Äquivalenten Sauerstoff besteht. Eine aus mehreren einfachen Körpern bestehende Verbindung, z.B. der Kupfervitriol, welcher aus 1 Äquivalent Schwefelsäure u. 5 Äquivalenten Wasser besteht, wird so ausgedrückt: CuO, SO3 + 5HO. Will man das oben erwähnte Beispiel der Affinirung u. der Abscheidung des Silbers durch Kupfer durch Formeln u. durch eine chemische Gleichung ausdrücken, so schreibt man:
H) Die meisten organischen Körper bestehen aus vier Elementen: aus Kohlen-, Wasser-, Sauer- u. Stickstoff. Zählt man hierzu für einige Fälle Schwefel, Phosphor u. Eisen, so sind dies auch die Bestandtheile der unzähligen organischen Verbindungen, die sich aus den Erzeugnissen des Thier- u. Pflanzenreiches ableiten lassen. Darunter sind nicht wenige, die genau eine gleiche Anzahl von Atomen derselben Elemente enthalten u. dennoch sehr verschiedene Eigenschaften besitzen. Die Holzfaser (Flachs, Baumwolle), das Gummi, die Stärke, das Dextrin bestehen aus 12 Äquivalenten Kohlenstoff, 10 Äquivalenten Wasserstoff u. 10 Äquivalenten Sauerstoff, diese Stoffe sind folglich gleich zusammengesetzt u. doch ist ihre Zusammensetzung sehr verschieden. Chemische Verbindungen, die genau dieselben Bestandtheile in gleichen Gewichtsverhältnissen enthalten, dabei aber verschiedene Eigenschaften haben, nennt man isomer. Stellt man sich z.B. 3 Äquivalente Kohlenstoff, 3 Äquivalente Wasserstoff u. 3 Äquivalente Sauerstoff mit einander verbunden vor, so können die Atome so gruppirt sein, daß sie folgende Figuren bilden:
Durch diese verschiedene Gruppirung ist auch eine Verschiedenheit der Eigenschaften dieser Körper bedingt. Alle dem Thier- u. Pflanzenreiche entnommenen Körper zeigen in Folge ihrer Zusammensetzung aus denselben Elementen in ihrem allgemeinen Verhalten vieles Übereinstimmende. Wenn ein organischer Körper erhitzt wird, so schwärzt er sich in der Regel, weil Kohlenstoff ausgeschieden wird; man nennt diesen Vorgang die Verkohlung; weil alle Bestandtheile der organischen Substanz mit dem Sauerstoff der Luft bei höherer Temperatur zu gasförmigen Körpern zusammentreten können, so sind auch die organischen Stoffe vollständig verbrennlich; bei längerem Aufenthalt an der Luft, bei Gezenwart von Wasser u. unter Mitwirkung einer geeigneten Temperatur, zersetzen sie sich, man bezeichnet diese Zersetzung mit den Namen Gährung, Fäulniß, Verwesung. Unter den organischen Stoffen findet sich eine ziemliche Anzahl, die keine Krystallform annehmen, es daß es scheint, daß, wie z.B. bei dem Gummi, dem Eiweiß etc. die chemische Anziehung nicht Meister geworden sei über die organische, der Krystallbildung entgegentretende Kraft. 1) Man stellt die organischen Verbindungen nach besonders hervorstechenden Eigenschaften gewissermaßen zu natürlichen Familien zusammen. Die erste Familie besteht aus a) den organischen Säuren, z.B. Essig-, Wein-, Citron-, Äpfel-, Oxalod. Klee- u. Milchsäure; sie finden theils in[899] der Haushaltung, theils in der Medicin, theils auch zu technischen Zwecken, wie z.B. in der Färberei, Anwendung. Die Gerbsäure, charakterisirt durch ihren zusammenziehenden Geschmack u. ihre Eigenschaft, mit Eisensalzen Tinte zu bilden, wird zur Fabrikation des Leders in den Gerbereien angewendet. Einige organische Säuren, wie die Harn- u. Hippursäure, enthalten Stickstoff. Die zweite Familie enthält b) die organischen Basen, d.h. organische Stoffe, welche Eigenschaft besitzen, mit Säuren zu Salzen zusammenzutreten; sie enthalten sämmtlich Stickstoff u. sind meist stark, zuweilen furchtbar wirkende Substanzen; hierher gehören Morphin aus Opium, Strychnin aus den Krähenaugen, Chinin aus der Chinarinde, Veratrin aus der Nießwurzel, Nicotin aus dem Tabak u. Coniin aus dem Schierling. Auch das Kaffein aus dem Kaffee u. Thee, das Theobromin aus dem Cacao rechnet man in diese Familie. Zur Familie c) der stärkemehlhaltigen Körper werden alle Stärkemehlsorten, wie Weizenstärke, Kartoffelstärke, Arrow-Root, Sago etc. gezählt; sie besitzen sämmtlich die Eigenschaft, mit Iod eine blaue Farbe zu geben u. mit Gerstenmalz od. verdünnter. Schwefelsäure behandelt, in Stärkegummi (Dextrin) u. in Krümelzucker (Stärkezucker) überzugehen. Dieser Familie reihen sich an das Arabische Gummi, Kirschgummi, Pflanzenschleim, wie er z.B. in dem Leinsamen, der Eibischwurzel, dem Tragant sich findet. d) Die Familie des Zuckers wird gebildet von dem Rohrzucker (aus der Runkelrübe, dem Zuckerrohr, dem Zuckerahorn), dem Krümelzucker (aus Honig, Harn von Harnruhrkranken, aus Stärke durch die Einwirkung von Malz od. Schwefelsäure sich bildend) u. Milchzucker (aus der Milch). Alle diese Zuckerarten besitzen außer einem süßen Geschmack die Eigenschaft, mit Hefe zusammengebracht in Gährung überzugehen u. Kohlensäure u. Weingeist zu liefern. e) Die Familie der Alkohole umfaßt hauptsächlich Weingeist, Holzgeist u. Kartoffelfuselöl; die Glieder dieser Familie kommen nicht fertig gebildet in der Natur vor, sondern entstehen erst durch Zersetzung der Glieder vorhergehender Familien; sie sind sämmtlich flüchtig, leicht brennbar, geistig riechend u. brennend schmeckend. Sie lösen bes. die ätherischen Öle (z.B. Eau de Cologne ist eine Auflösung gewisser ätherischer Öle in Alkohol) u. die Harze (die Auflösungen sind die sogenannten Lacke u. Harzfirnisse) auf. Der Weingeist verleiht dem Branntwein, dem Wein, dem Bier etc. die berauschende Eigenschaft. Sehr nahe verwandt den Alkoholen sind f) die Äther, sie sind im Allgemeinen noch flüchtiger u. durchdringender riechend, als die Alkohole u. lösen außer den Harzen noch die Fette auf. Die Gerüche der Ananas, Abricose, der Blume des Weines, der eigenthümliche Geruch des Cognac, Arak, Rum etc. rühren von besonderen Ätherarten her. g) Die Fettsubstanzen besitzen übereinstimmende Eigenschaften, mögen sie aus dem Thier- od. dem Pflanzenreich stammen. Sie sind sämmtlich Verbindungen eigenthümlicher Fettsäuren (Stearin-, Palmitin- u. Ölsäure) mit einem süßschmeckenden Körper, dem Ölfüß od. Glycerin. In Verbindung mit Kali od. Natron bilden die Fettsäuren die Seife. Als Nährstoffe haben die Fette so ziemlich dieselbe Bedeutung wie der Zucker u. das Stärkemehl. h) Die ätherischen od. flüchtigen Öle sind flüssige, flüchtige, ölartige Stoffe, welche sämmtlich einen durchdringenden, zuweilen sehr angenehmen Geruch besitzen. Das Aroma der Gewürze (Zimmt, Nelken, Majoran, Fenchel, Anis, Kümmel, Estragon etc.) u. der Duft der Blumen (Rose, Jasmin, Orangeblüthe) rühren von der Anwesenheit solcher Öle her. Eins der wichtigsten ätherischen Öle ist das durch Destillation aus dem Terpentin erhaltene Terpentinöl. Den ätherischen Ölen sehr nahe stehend sind i) die Harze, da die meisten dieser Stoffe aus den genannten Ölen durch Sauerstoffaufnahme entstehen; sie sind meist in Wasser unlöslich, löslich aber in Alkohol, Äther u. Terpentinöl. Die Harze gehören zum größten Theile dem Pflanzenreiche an; die fossil gefundenen Harze, wie der Bernstein, haben ihren Ursprung jedenfalls in der Zersetzung untergegangener Pflanzen. Harze werden gebraucht z.B. zu Firnissen u. Siegellack, zu Parfümerien, Arzneimitteln etc. k) Die Familie der Farbstoffe od. Pigmente; weniger haltbar sind die Farben der Blumen, da sie so leicht zersetzbar sind, daß sie unter der Hand des Chemikers verschwinden, dagegen sind haltbare Farbestoffe Indig, Krapproth u. Tyrischer Pur. pur u. die Mineralfarben. l) Die Familie der eiweißähnlichen Substanzen enthält außer den gewöhnlichen Elementen die man in der organischen Welt antrifft, auch noch Stickstoff, Schwefel u. zuweilen auch Phosphor. Hierher gehören die Stoffe, welche die Hauptmasse des Fleisches u. des Blutes, das Eiweiß u. das Caseïn in der Milch ausmachen u. auch in vielen Vegetabilien sich finden, so in den Erbsen, Bohnen etc., in den Cerealien, in den Malvenarten etc. Diese eiweißähnlichen Stoffe, welche man sonst Proteïnsubstanzen nannte, sind farblos, nicht krystallisirt u. faulen sehr leicht. Die wichtigsten derselben sind Albumin (Eiweißstoff), Caseïn (Käsestoff), Fibrin (Faserstoff).
II. Einfluß der Chemie auf andere Wissenschaften. A) Verhältniß der Chemie zur Philosophie. Zu Anfang des 19. Jahrh. trat der Entwickelung der Ch. in Deutschland ein großes Hinderniß entgegen, es wurde dasselbe bes. durch die Richtung gebildet, welche die Wissenschaft durch Speculation, nicht aber durch Sammeln von Thatsachen zu fördern suchte. Während die Geschichte der Ch. u. alle inductiven Wissenschaften zu allen Zeiten nachgewiesen hat, daß hier das Theoretisiren nur in fortwährender Begleitung zuverlässiger Beobachtungen zur Kenntniß der Naturgesetze führe: machte sich die Ansicht geltend, daß alle Erscheinungen u. Gesetzmäßigkeiten der Natur sich leichter u. sicherer durch Speculation auffinden u. durch Schlußfolgerung aus einem einzigen höchsten, in sich u. durch sich selbst erwiesenen Grundsatze erklären lassen. Die von Kant angebahnte u. von Schelling u. Hegel auf die Spitze getriebene Richtung veranlaßte, daß die Naturforscher der Naturphilosophie den Rücken kehrten u. sie gänzlich ignorirten; aber was man auch von der Naturphilosophie urtheilen mag, so ist nicht zu verkennen, daß sie im organischen Zusammenhange mit dem allgemeinen Aufschwung des Geisteslebensin der letzten Hälfte des 18. u. dem Anfange des 19. Jahrh. steht; der Versuch, auch die Natur durch die speculative Idee zu erobern, war eine nothwendige That eines philosophirend en Geistes. B) Verhältniß der Ch. zur Medicin, Physiologie u. Pharmacie. Die Physiologie,[900] die Lehre vom Lebensproceß, von der Ernährung, Entwickelung u. Fortpflanzung des Organismus, ist vor allen das Gebiet, durch welches die Ch. in neuerer Zeit in den weitesten Kreisen Verbreitung erlangt hat. Über zahlreiche Erscheinungen des täglichen Lebens, über dunkle Stellen im Walten des Organismus hat die Ch. ein überraschendes Licht verbreitet, u. beide Wissenschaften gehen jetzt Hand in Hand mit einander. Wenn die Ch. anfangs darin fehlte, daß sie gleich den Stoffwechsel zu beherrschen strebte, so hat sie jetzt mit ungleich größerem Erfolge begonnen, den Stoffwechsel von Unten, von derselben Region, wo er der unorganischen Natur zueilt, aufzubauen. Liebig (auch Lehmann, Funke, Gorup, Scherer, Heinz) hat sich um die physiologische Ch. das große Verdienst erworben, daß er dieselbe vom experimental-analytischen Standpunkte aus auf die Stufe gebracht hat, wohin die unorganische von Berzelius gehoben worden war, u. daß er sie die ersten u. schwersten Schritte auf der Bahn ihrer großen Aufgabe geführt hat. Diese Aufgabe besteht aber nicht darin, den Stoffwechsel nachzuahmen, sondern nur den Stoffwechsel begreifllich zu machen u. zu zeigen, auf welche Weise u. mit welchen Mitteln man in denselben eingreifen kann. Hierdurch ist die erste u. wichtigste Grundlage für die rationelle Medicin gegeben. Die Dienste, welche die Ch. dem Arzneischatz geleistet hat, sind nicht gering anzuschlagen, sie trug viel zur Beseitigung unsicherer Mittel, zur Einführung neuer, energischwirkender (Iodkalium, Iodquecksilber, Morphin, Chinin etc.) bei u. traf in dieser Hinsicht glücklich mit dem Streben der Medicin nach Vereinfachung zusammen. Die Arzneimittel selbst erhalten durch die Fortschritte der Ch. größere Zuverlässigkeit u. geringeren Preis. Aus den Reihen der Apotheker, der ältesten u. treuesten Freunde der Ch., gehen werthvolle Arbeiten hervor. C) Verhältniß der Ch. zur Zoologie u. Botanik. So lange als die Zoologie u. Botanik nichts Anderes war, als eine äußerliche Beschreibung u. Classification, schlossen sich Ch. u. Naturgeschichte gegenseitig aus. Erst als man fühlte, daß eine bloße Kenntniß der Formen u. ihre Übersicht nur ein kleiner Theil des Wissenswerthen sei, fing man an, sich mit der Anatomie der Thiere u. Pflanzen u. mit der Entwickelungsgeschichte zu beschäftigen, u. bei Erörterung der in das Gebiet der Physiologie schlagenden Fragen verkehrten auch Zoologen u. Botaniker mit der Ch. Bei der Bedeutung chemisch physiologischer Arbeiten für die Ernährung der Pflanzen war es natürlich, daß die chemische Pflanzenphysiologie auf den Ackerbau u. die landwirthschaftlichen Gewerbe die ausgedehnteste Anwendung fand. Aber auch der specifische Systematiker in der Botanik kann der Ch. nicht entbehren, indem dieselbe ein Hülfsmittel zur Gruppirung der natürlichen Familien sein wird. Es ist durch neue Untersuchungen (z.B. durch Rochleder. Schwarz, Wicke etc.) mehr als wahrscheinlich gemacht, daß die Pflanzen der gleichen natürlichen Pflanzengruppen gemeinschaftliche Bestandtheile enthalten, u. in den Unterabtheilungen dieser wieder andere, für jede Unterabtheilung gemeinschaftliche; u. es ist gewiß, daß diese Stoffe in dem Ganzen in einem bestimmten Verhältnisse zu dem natürlichen Systeme stehen. Schon durch die gemeine Erfahrung findet sich der chemische Charakter verschiedener Pflanzenfamilien ganz entchieden festgestellt, der durch chemische Untersuchungen seine vollkommene Bestätigung findet; so findet sich z.B. in allen zur Familie der Coniferen gehörigen Individuen ein Gehalt an ätherischem Öl, aus Kohlen- u. Wasserstoff bestehend, das an der Luft unter Sauerstoffabsorption schnell verharzt, wie das Terpentinöl, Wachholderöl; in der großen Familie der Cruciferen, z.B. in dem Senf, dem Rettig, der Kresse findet sich fast in allen Theilen der Pflanzen ein scharfes, schwefelhaltiges Öl. Alle Säuren aus den Unterabtheilungen Pomaecen u. Drupaeêen enthalten einen Stoff, das Amygdalin, welches unter Umständen in Blausäure u. Bittermandelöl übergehen kann etc. D) Verhältniß der Ch. zur Mineralogie. Ch. u. Mineralogie hängen innig zusammen; bes. die quantitative Untersuchungs methode war es, welche gestattete, die Mineralogie aus dem chemischen Gesichtspunkte aufzufassen. Man hatte zwar früher schon versucht, die Classification der Mineralien auf ihre chemische Zusammensetzung zu gründen. Ein solches Bestreben konnte aber von keinem großen Erfolge sein, so lange die Zusammensetzung nur quantitativ ermittelt war. Es fehlt indessen keineswegs an Versuchen, die Mineralogie nach anderem als chemischem Gesichtspunkte aufzufassen. Bes. war es ein Kampf zwischen Form u. Inhalt, zwischen Krystallographie u. Ch., welche längere Zeit mit wechselndem Glück um die Oberherrschaft in der Mineralogie geführt wurde. Neuerdings scheint es, als ob eine Vereinigung beider. Principien stattfinden könne, indem ein krystallochemisches Mineralsystem aufgestellt worden ist. Die Krystallform eines Minerals, eben so wie einer chemischen Verbindung, ist nämlich blos der Ausdruck einer bestimmten Zusammensetzung; sie sagt aber noch weit mehr als die bloße Zusammensetzungsformel des Minerals, sie sagt auch die Art, wie die Atome vereinigt sind, u. diese Verschiedenheit in der Art der Vereinigung der Atome begründet oft mehr die äußere Verschiedenheit der Körper, als die Verschiedenheit der Atome selbst. Unter dem Einflusse der Ch. tritt vor Allem eine Theilung des Stoffes in der Natur ein: als Oryktognosie trennt man die Betrachtung der ungemengten. Mineralen von dem Studium der Felsarten. Die Mineralogie würde gänzlich in der Ch. aufgehen, wenn Oryktognosie ihre alleinige Aufgabewäre, aber dies ist nicht der Fall. Deutlich krystallisirte Mineralien gehören zu den Seltenheiten, während Flugsand, Gerölle, schlackige u. körnige Felsmassen überall entgegentreten. Hier erkennt nun der Chemiker Verhältnisse, die sich seinen Gesetzen entziehen u. deren Verfolgung er dem Mineralogen überlassen muß. Die Kenntniß der Schichtung, der Lagerung der Gesteine, ihre geographische Verbreitung. die Contour- u. Reliefformen des Landes etc. sind Gegenstand der Geognosie. E) Verhältniß der Ch. zu der Physik u. den mathematischen Wissenschaften. Schon im 16. Jahrhundert haben die Physiker begonnen, ihre Aufmerksamkeit der Ch. zuzuwenden. Früher hatte zwar das scholastische Studium der Physikmit den rein empirischen Arbeiten in der Ch. einen zu großen Gegensatz gebildet, als daß eine Vereinigung beider Disciplinen möglich gewesen wäre, aber später kam doch eine solche Vereinigung zu Stande, als die Physiker das unfruchtbare Feld der Speculation verließen u. das Experiment als Basis aller naturwissenschaftlichen Forschung ansahen. Die Behandlungsweise der [901] Physik war vom Anfang an durch die Astronomie im hohen Grade influirt worden, u. die ersten Begründer der Experimentalphysik sind berühmt ms Astronomen u. Mathematiker. Bei der weiteren Ausbildung der Physik blieb die mathematische Behandlungsweise, die Beachtung u. Benutzung der quantitativen Verhältnisse im Zunehmen, während die Chemiker ihre Aufmerksamkeit ausschließlich auf die Erkennung u. Erläuterung der qualitativen Erscheinungen richteten. Physik u. Ch. wurden deshalb getrennt getrieben. Ähnlich stand die Ch. in einem. gewissen Verbande mit der Physik, indem die letztere jene als ihr untergeordnet betrachtete. Man glaubte, daß die Physik, in ihrer allgemeinen Auffassung als Naturlehre, auch die chemischen Kenntnisse mit einschließen müßte. Mit den raschen Fortschritten der Ch. im 18. Jahrhundert konnte eine solche Verschmelzung nicht mehr bestehen; ihr Inhalt wurde zu reichhaltig, als daß sie sich, auch nur in ihren allgemeinen Resultaten, der Physik noch hätte anhangsweise anschließen können. Die Ch. trennte sich bald gänzlich von der Physik; trotz dieser Trennung vermehrten sich aber bald die Berührungspunkte beider Wissenschaften. Der Chemiker ist genöthigt, zur Feststellung des Charakters irgend einer Verbindung denselben äußerlich zu beschreiben; die anzuführenden Merkmale sind im Allgemeinen Gegenstand physikalischer Betrachtung, so die Cohäsionsverhältnisse, das specifische Gewicht, die Gestalt, das Verhalten zum Licht, zur Wärme, zur Elektricität u. zum Magnetismus. Die innigsten Beziehungen zwischen Ch. u. Physik bieten sich dar bei speculativen u. experimentalen Untersuchungen über die elementare Beschaffenheit der Materie, über deren atomistische Constitution, über das Atomvolumen, über den Zusammenhang zwischen den Äquivalentzahlen u. der specifischen Wärme, über den Einfluß der Zusammensetzung. auf den Siedepunkt u. endlich über die zahlreichen Erscheinungen, in welcher Elektricität u. Ch. gleichzeitig auftreten. Was die Beziehung der Ch. zu den mathematischen Wissenschaften betrifft, so ist die Mathematik als Wissenschaft der Quantität die unentbehrliche Begleiterin aller Naturforschung. Die von Seiten der Ch. an die Mathematik gestellte Aufgabe reicht jedoch keineswegs über die Grenze ihres Calculs. Einer besonderen Anlehnung an den geometrischen Theil der Mathematik bedarf noch die Ausbildung der Krystallographie. Von der vereinten Thätigkeit des Chemikers, Mathematikers u. Mineralogen sind auf diesem Gebiete noch die interessantesten Aufschlüsse zu erwarten. Über F) das Verhältniß der Ch. zur Industrie (Gewerbe u. Ackerbau), s. Technologie.
III. Geschichte der Chemie. A) Wann u. wo diese Wissenschaft entstanden ist u. woher sie ihren Namen hat, ist ungewiß. Früher, wo man Ch. u. Alchemie für gleichbedeutend nahm, war man allgemein der Ansicht, sie sei arabischen Ursprungs, namentlich weil das erste ausführliche Werk über Ch. von einem Araber, Geber, welcher im 8. Jahrh. lebte, verfaßt wurde; nach Andern ist das Vaterland der Ch. Ägypten, u. sie selbst habe ihren Namen von diesem, nach Plutarch von den Ägyptiern selbst Chemia (s.d.), d.i. schwarzes Land, genannten Lande; bei Suidas bedeutet Χημεία (Χημευτική) die Schmelzung u. Zubereitung des Erzes. In Bezug auf ihre Entwickelung unterscheidet sich die Ch. von den meisten andern Wissenschaften dadurch, daß ihr Zweck zu verschiedenen Zeiten als ein ganz verschiedener aufgefaßt wird. Die meisten anderen Wissenschaften sind schon früher als die Ch. zu einer gewissen Ruhe u. Abrundung gelangt, in der Ch. dagegen haben stets nur entgegengesetzte Richtungen wechselsweise ihre Herrschaft behauptet: bald war sie die gepriesenste Wissenschaft, bald eine verachtete Beschäftigung; bald ward ihr aller wissenschaftlicher Charakter abgesprochen u. sie selbst von den Freunden der Aufklärung als die Quelle unzähliger Irrthümer verabscheut, bald wieder war sie das Idol, dem sich Kaiser u. Könige, Ärzte u. Theologen beugten, die Wissenschaft, von welcher Jeder Belehrung u. Bereicherung erwartete; bald wurde ihre Ausübung nur insgeheim zu treiben gewagt, bald wieder wurde ihr öffentlich der größte Vorschub geleistet. Die Art ihrer Einflüsse u. ihrer Anerkennung wechselte: bald erschien sie in Begleitung u. als Nährerin aller Ausgeburten geistiger Verblendung, bald zeigte sie sich wieder als eines der wirksamsten Mittel zur Vernichtung des Aberglaubens; bald wurde sie benutzt, um die mystischen Lehren der Theosophie zu unterstützen, bald als Grundlage des gröbsten Materialismus vorgeschoben; bald leitete Habsucht, bald Wißbegierde ihr Studium; bald sollte ihre Ausübung unmittelbar Gold schaffen, bald nur mittelbar durch Förderung der Industrie den Wohlstand heben; die Beschäftigung mit ihr war bald Sache der Heilkunde, bald Finanzspeculation; bald sollte sie das Unmögliche möglich machen, aus eigener Macht den Homunculus zu erzeugen u. Pflanzen aus ihrer Asche erwecken. Ihre Hülfswissenschaften wechselten, bald suchte sie sich auf Magie u. Kabbala, Astrologie u. Geisterbeschwörung zu stützen, bald suchte sie Belehrung in Visionen u. Träumen, bald wieder gaben die Grundsätze gesunder Philosophie, die nüchterne Anwendung der Mathematik, auch zuverlässige Beobachtungen ihre Grundlage ab. Und auch, wo sie in der Wahl ihrer Hülfswissenschaften richtig zu Werke ging, schwebte sie doch anfangs gewöhnlich in Extremen, ordnete sich od. die Hülfswissenschaft ganz unter, bis langes Studium das richtige Verhältniß lehrte. Ebenso wechselnd wurde ihr Werth als Hülfsmittel anderer Wissenschaften geschätzt: bald wurde sie von Allen zurückgewiesen, höchstens als Kunst betrachtet, die jedes geistigen Gehaltes ermangele, u. selbst von den Fächern verleugnet, welche ihrer doch kaum entbehren können; bald wieder wurde sie als der mächtige Hebel angesehen, Wissenschaften zu fördern, die mit ihr in gar keinem Zusammenhange stehen, wurden ihr andere Wissenschaften unbedingt untergeordnet, deren Zweck doch ein ganz anderer ist. Aus einem solchen Chaos der verschiedenartigsten Einflüsse brach sich endlich die heutige Ch. ihre Bahn, nahm eine selbständige Stellung ein, ordnete ihr Verhältniß zu anderen Wissenschaften, wurde ein wesentlicher Zweig allgemeiner Bildung u. nützte mehr in Bewährung ihrer vielseitigen Anwendbarkeit, als man sich je von der Verfolgung einer einseitigen Richtung versprochen hatte. B) In Bezug auf die Entwickelung der Ch. zu ihrer jetzigen Höhe lassen sich 5 verschiedene Perioden der Ch. bilden; a) 1. Periode bis 300 n. Chr. (Ch. der Alten). Unter den Völkern des Alterthums waren es bes. die Ägyptier, welche chemische Processe nach gewissen [902] Regeln u. mit bestimmten Zwecken ausführten u. chemische Thatsachen so sammelten, daß von einer Wissenschaft die Rede sein konnte. Die bei Weitem größte Masse ihrer Kenntnisse blieb jedoch Eigenthum der Priesterkaste. Jene Bewahrer der Mysterien waren aber nicht unempfindlich für den Ruhm u. daher weniger streng gegen wißbegierige Ausländer. Die Griechen benutzten diese Vergünstigung, um alles Wissenswürdige von den Ägyptiern sich anzueignen, die ausgezeichnetsten Griechen begaben sich in jenes Land u. suchten das Vertrauen der Priester zu gewinnen, so u.A. Pythagoras, Herodot, Demokrit u. Plato. Zufolge der Angaben von Moses, Herodot u. Plinius verstanden die Ägyptier die Ausbringung u. Bearbeitung mehrerer Metalle; sie bereiteten Glas, lange bevor die Phönicier ihre Fabriken zu Sidon anlegten; sie brannten Ziegel, fabricirten Soda, Alaun, Kochsalz, Salmiak, Bleiweiß u. Grünspan; verstanden die Seide dauerhaft zu färben, Leichname durch Einbalsamiren vor Fäulniß zu schützen, Essig u. Seife zu bereiten u. sogar Bier zu brauen. Die chemischen Kenntnisse der Israeliten scheinen mit denen der Ägyptier auf gleicher Stufe gestanden zu haben; Moses nahm die Kenntniß der ägyptischen Priester mit sich über das Rothe Meer. Aus den Schriften des Alten Testamentes geht hervor, daß den Israeliten die Metalle Gold, Silber, Eisen, Kupfer, Zinn u. Blei bekannt waren. Griechen u. Römer blieben bei dem stehen, was sie von Ägyptiern gelernt hatten; der Arzt Dioskorides (gegen die Mitte des 1. Jahrh. n.Chr.) ist durch seine chemischen Kenntnisse berühmt, die er zum Theil auf langen Reisen in Asien gesammelt hatte, er verstand schon die Kunst des Destillirens, das Quecksilber aus dem Zinnober abzuscheiden u. verschiedene chemische Präparate darzustellen. b) 2. Periode, 3001525 (Zeitalter der Alchemie). Mit der Völkerwanderung wurden in Europa lange Zeit hindurch alle naturwissenschaftlichen Bestrebungen unterdrückt; nur in Ägypten, wo die Wiege der Ch. stand, fand sie auch jetzt wieder Schutz u. Pflege. Die Schule der Alexandriner wendete zur Unterstützung der Künste u. Gewerbe chemische Kenntnisse an u. ergriff zuerst die Idee der Metallveredlung mit allem Eifer u. legte die Resultate ihrer Beobachtungen u. Untersuchungen in besondern Schriften nieder, die aber durch ihre geheimnißvolle, bilderreiche Darstellung u. wunderbare Nomenclatur zum größten Theile unverständlich geblieben sind. Diese Wissenschaft, die Alchemie, fand an den Arabern, die nach dem Verfall des Römischen Reiches auf den Trümmern ägyptischer u. griechischer Bildung die Wissenschaften neu aufrichteten, wieder Anhänger u. Verehrer. Als sie in Spanien sich festgesetzt hatten, theilten sie ihre Kenntnisse den Völkern des Abendlandes mit. Von ihnen lernten die Franzosen, Engländer, Italiener u. Deutschen die Alchemie kennen. Der bedeutendste der arabischen Alchemisten ist Geber, der um das Ende des 8. od. zu Anfang des 9. Jahrh. in Sevilla lehrte. Er kannte u. beschrieb die Salpetersäure u. das Königswasser, die Pottasche u. die Soda, den Alaun, Salpeter, Salmiak, Vitriol etc. Aus Gebers Schriften folgt, daß die Grundidee der Alchemie die durch nichts unterstützte Hypothese war, daß die Metalle zusammengesetzte od. vielmehr in ihrer Substanz wandelbare Stoffe seien. Die Alchemisten hegten die Meinung, daß es eine geheimnißvolle Substanz gäbe, die ein jedes Metall in Gold verwandeln könne, u. zwar, indem man sie in unendlich kleiner Menge dem fremden Metalle zusetzt. Diese Substanz war der Jahrhunderte lang gesuchte Stein der Weisen (Lapis philosophorum), od. das Große Elixir, das Große Magisterium (Meisterstück), die Rothe Tinctur, weil die Metalle durch sie goldgelb gefärbt wurden. Ein Präparat von geringerer Vollendung war der Stein zweiter Ordnung, das Kleine Elixir, das Kleine Magisterium, die Weiße Tinctur, welche Metalle nur in Silber zu verwandeln vermochte. Der erste alchemistische Schriftsteller deutscher Nation war Albert d. Große (geb. 1193 in Lauingen, gest. 1280 in Köln), er entdeckte das metallische Arsenik u. seine Schwefelverbindungen, er kannte die Reinigung des Goldes vom Silber mittelst Blei u. seine Scheidung durch Salpetersäure. Gleichzeitig mit Albert wirkte Roger Baco (geb. 1214 in Ilchester, gest. 1292 in Oxford). Außer diesen Arnold Bachuone, gewöhnlich Villanovanus genannt (geb. 1235 in Catalonien, gest. 1312), bes. Raymund Lullus (geb. auf der Insel Majorca 1235). Basilius Valentinus ist der Verfasser von Schriften, die der ersten Hälfte des 15. Jahrh. angehören. c) 3. Periode von 15251650 (Zeitalter der medicinischen Ch.). Im 15. Jahrh. erhielt mit der Erfindung der Buchdruckerkunst u. der Entdeckung von Amerika, wie alle Naturwissenschaften, so auch die Ch. einen neuen Aufschwung. Die Ch. wurde von nun an, außer daß sie noch immer zur Metallveredelung dienen sollte, aufs Innigste mit der Heilkunde verbunden, fast allein zur Darstellung der Heilmittel benutzt u. durch neue Entdeckungen bereichert u. erweitert. Die Ch. ging aus den Händen obscurer Laboranten in die von Gelehrten über. Derjenige, welcher zuerst die Ch. der Medicin unterthänig machte, war Paracelsus (geb. 1493 in Einsiedeln). Der Stein der Weisen schien ihm nur suchenswerth, weil er in ihm ein Mittel sah, durch welches der Körper conservirt u. das Leben verlängert werde. Die vermehrte Anwendung auf chemischem Wege dargestellter Arzneimittel machte zu seiner Zeit die Apotheker, die bisher fast nur Kräuterhändler u. Arzneikrämer waren, zu einem Stande, der sich mit Ch. abgab u. sehr bald ihrem Fortschritte sich förderlich erwies. Ein Zeitgenoß des Paracelsus war Agricola (geb. 1494 in Glauchau, gest. 1555 in Chemnitz); er gab zuerst eine klare Anleitung zur Gewinnung vieler Metalle, beschrieb das Zubereiten der Erze, den Röstproceß, lehrte die Gewinnung des Quecksilbers, Antimons u. Bleis, die Darstellung des Eisenvitriols, Alauns, Salpeters, Kochsalzes etc. Hervorragende Chemiker dieser Periode sind Leonhard Thurnheyser (geb. 1530 in Basel, gest. 1595 in Köln) u. Joseph du Chesne (geb. 1521 in Armagnac, st. 1609 in Paris), Oswald Croll aus Hessen (st. 1609), der sich durch sorgfältige Beschreibung der Bereitung chemischer Arzneimittel große Verdienste erwarb; Adrian von Mynsicht in Schwerin, entdeckte unter anderen auch den Brechweinstein; Andreas Libavius (aus Halle, st. 1616), der erste, welcher die wahren Ansichten des Paracelsus von den falschen zu scheiden versuchte; er entdeckte das Zinnchlorid u. verstand das Gold zum Rothfärben des Glases zu benutzen.; Johann van Helmont (Graf von Merode, geb. 1577 in Brüssel, st. 1644) hat das Verdienst,[903] zuerst auf wissenschaftlichem Wege die Gegenwart der luftförmigen Körper, für welche er den generischen Namen Gase einführte, nachgewiesen u. auf die Unterschiede derselben aufmerksam gemacht zu haben; Rudolph Glauber (geb. 1604 in Carlstadt in Franken) trieb technische Ch.; er untersuchte die Auflöslichkeit vieler Metalle in Salzsäure, entdeckte so viele Chlormetalle u. fand auch das Glaubersalz; Franz von Sylvius (geb. 1614 in Hanau, st. 1672 in Leyden), dessen Lehren bes. dazu beigetragen haben, den Ärzten die Wichtigkeit des Studiums der Ch. vor Augen zu führen; Otto Tacher (geb. gegen 1750 in Herford); benutzte zuerst die Farbe des Niederschlages als Mittel, um die Körper von einander zu unterscheiden, beobachtete die Gewichtszunahme der Metalle bei ihrem Übergang in Oxyde etc. In den genannten Männern fand die medicinische Ch. ihre letzten Vertreter; denn seitdem Baco von Verulam (geb. 1561 in London, st. 1626) lehrte, daß man, um sich zum Gebieter über die Natur zu machen, damit anfangen müsse, sich ihr unterzuordnen; seitdem ausgezeichnete Physiker den von Baco. angegebenen Weg betreten u. mit Eifer verfolgend die Physik vervollkommnet u. bereichert hatten: konnte auch deren Schwester, die Ch., nicht mehr in den Fesseln zurückbleiben, sie mußte selbständig allmählig in die Reihe der Wissenschaften eintreten. d) 4. Periode von 1650_1775 (Zeitalter der phlogistischen Ch.). Es waren jetzt hauptsächlich wieder Ärzte, die sich mit dem Studium der Ch. befaßten, obgleich, namentlich in der zweiten Hälfte dieses Zeitalters, auch Apotheker, Physiker, Theologen u. Metallurgen Die Goldmacherei trat vom Schauplatze ab, u. die Heilkunde, zu der Einsicht gelangt, daß der menschliche Körper nicht bloß als ein Laboratorium zu betrachten sei, betrieb u. beschützte die Ch. als eine für die Zwecke der Heilkunde unentbehrliche Wissenschaft. Es wurde das Bedürfniß einer erklärenden Theorie fühlbar, rein chemischer Art u. unabhängig von den Lehren der Medicin. Der Gegenstand, mit welchem die Chemiker dieser Epoche sich vorzugsweise beschäftigten, betraf die Verbrennung; die Veränderung, welche die Körper durch die Einwirkung des Feuers erleiden, wurde als eine u. dieselbe Erscheinung zusammengefaßt, indem man allen verbrennlichen Körpern, je nach dem Grade ihrer Verbrennlichkeit, einen größeren od. geringeren Gehalt an einem eigenthümlichen Stoffe, Phlogiston genannt, zuschrieb u. darauf die phlogistische Theorie gründete, die trotz ihrer Irrthümer eine nothwendige Grundlage der richtigeren Ansicht unsers Zeitalters war. Wichtige Dienste leisteten der Ch. in diesem Zeitalter die sich entwickelnden Akademien, welche die Arbeiten der Forscher in periodischen Schriften der Öffentlichkeit übergaben. Das Verdienst, sich zuerst von dem eitlen Streben, den Stein der Weisen aufzufinden, gänzlich losgemacht u. die Ch. ihrem wahren Zwecke, der reinen Erforschung der Naturgesetze, zugewendet zu haben, gehört Robert Boyle (geb. 1626 in Lismore in Irland, st. 1691 in London). Er untersuchte die Luft in physikalischer u. chemischer Beziehung u. fand, daß die Volumina der Gase sich umgekehrt verhalten wie der Druck, dem sie ausgesetzt sind (ein Gesetz, das in der Physik unter chem Namen des Mariotteschen Gesetzes bekannt ist). Er schloß aus seinen Beobachtungen, daß die Luft einen Bestandtheil enthalten müsse, welcher den Athmungsproceß unterhalte; er bestätigte die schon vor ihm beobachtete Thatsache, daß die Metalle bei ihrer Oxydation an Gewicht zunehmen; indem er die Bestandtheile. vieler Körper genauer als irgend ein Chemiker vor ihm studirte, wurde er der Begründer der analytischen Ch.; er leistete auch in der technischen Ch. Großes, lehrte Eisen vergolden, Kupfer ohne Mithülfe von Quecksilber versilbern, die noch heutzutage angewendete Tinte aus Eisenvitriol u. Galläpfeln bereiten etc. Zeitgenossen Boyle's waren: Kunkel von Löwenstern (geb. 1630 in Rendsburg, st. 1702 in Stockholm). entdeckte den Phosphor, den Salpeteräther, das Rubin-, Aventurin- u. Beinglas etc.; Joh. Joach. Becher (geb. 1635 in Speyer, st. 1682 in London) war als Chemiker, Mechaniker u. Technolog ungemein betriebsam u. erfinderisch; indem er in den Metallen u. anderen verbrennlichen Körpern eine brennbare Erde annahm u. die Austreibung derselben als einen Grund der Verbrennung ansah, legte er das Fundament zu der von Stahl ausgebildeten phlogistischen Theorie; Wilh. Homberg (geb. 1652 in Batavia, st. 1715 in Paris) machte werthvolle Beobachtungen, die sich zum Theil auf technische Ch. bezogen; Nic. Lemery (geb. 1645 in Rouen, st. 1715 in Paris), dessen Verdienste um die Wissenschaft sich bes. auf thätige Verbreitung derselben erstrecken; zur Verbreitung der Ch. trug sein Lehrbuch bei, welches allein bei seinen Lebzeiten 13 Auflagen erlebte. Der Schöpfer des ersten wissenschaftlichen Systems ist Georg Ernst Stahl (geb. 1660 in Ansbach, st. 1734 in Berlin); nach diesem System sind alle brennbaren Körper zusammengesetzt mit Phlogiston, das beim Verbrennen entweicht, die Ursache der Verbrennung ist u. einen Kalk, eine Erde od. eine Säure hinterläßt. Seine Theorie gründete sich auf eine Illusion, nach welcher das Phlogiston in Körpern ungefähr die Function eines Luftballons versähe. Zu gleicher Zeit, wie Stahl, wirkten Fr. Hoffmann (geb. 1660 in Halle, st. daselbst 1742) u. Herm. Boerhave (geb. 1668 in Voorhout bei Leyden, st. 1738 in Leyden), welche theils durch chemische Untersuchungen, theils durch Lehre die Wissenschaft mächtig förderten. Zu Anhängern der Stahlschen Theorie in Deutschland gehörten Neumann, Eller, Pott u. Marggraf, u. von den französischen Chemikern dieses Zeitalters sind hervorzuheben Geoffroy, Hellot, Duhamel u. Macquer. Werthvolle Bereicherungen erhielt die Ch. in dieser Periode durch die Entdeckungen des Engländers Black. Ums Jahr 1773 traten 4 Männer auf, welche die Gestalt der Ch. veränderten: Henry Cavendish (geb. 1731 in Nizza, st. 1810 in London), Jos Priestley (st. 1804 in Nordamerika), Torbern Olof Bergmann (geb. 1735 in Katharinaburg, st. 1784) u. Carl Wilh. Scheele (geb. 1742, st. 1786). Die Untersuchungen dieser Chemiker, welche die Entdeckung der verschiedenen gasförmigen Körper nach sich zog, vor allen des Sauerstoffes, der Kohlensäure, des Stickstoffes, des Wasserstoffes, des Chlors etc. mußten die phlogistische Theorie vernichten. Zur organischen Ch. wurde der Grund gelegt durch die Entdeckung der verschiedenen organischen Säuren. e) 5. Periode, 1775 bis auf die Gegenwart (Zeitalter der analytischen Ch.). Wenn die Phlogistiker in der Erklärung des causalen Zusammenhanges zwischen[904] den Erscheinungen u. der Angabe des Grundes der Erscheinungen nicht glücklich waren, so lag dies daran, daß in dem Zeitalter der Phlogistontheorie eine jede Untersuchungsmethode eine qualitative war u. sich nur auf das Äußere der Erscheinung erstreckte. Die Methode, die jetzt zur Herrschaft gelangt ist, besteht darin, daß sie stets beobachtet u. stets denkt, daß sie eben so sehr den Gedanken durch die Beobachtung, als die Erfahrung durch das Denken controlirt. Sie führte die Wage in die Wissenschaft ein, als die Basis derjenigen Untersuchungsmethode, welche die größte Zuverlässigkeit verdient. Die Fortschritte in der Ch. sind in der gegenwärtigen Periode weniger durch diejenigen Chemiker zu bezeichnen, welche diese Wissenschaft durch zahlreiche Entdeckungen neuer Stoffe u. Verbindungen bereicherten, wie z.B. Scheele u. Priestley, sondern vielmehr durch diejenigen, welche eine neue Methode der Untersuchung u. Betrachtung in den chemischen Verhältnissen einführten. So im letzten Viertel des 18. Jahrh. Anton Laurent Lavoisier (17431794), der neue Ansichten über den Verlauf der chemischen Processe aufstellte, die sich bald allgemein verbreiteten u. angenommen wurden. Er entdeckte, daß es der Sauerstoff sei, welcher bei der Verbrennung sich mit den Metallen u. den brennbaren Körpern verbindet, u. daß bei der Verbrennung in der Luft der andere Bestandtheil, der Stickstoff, unverändert zurückbleibt; er stellte die Bedeutung der Wage erfolgreich fest u. erkannte das Gesetz der Erhaltung der Materie, nach welchem das Gewicht eines zusammengesetzten Körpers gleich ist der Summe der Gewichte seiner Bestandtheile. Lavoisier war der Begründer der antiphlogistischen Ch., Anhänger derselben Berthollet, Guyton de Morveau u. Fourcroy. Außer den genannten sind noch von denen, die an der erfolgreichen Periode der Ch. sich vorzugsweise betheiligten, in Frankreich hervorzuheben Gay-Lussac u. Thénard, in England Davy u. Dalton, in Schweden Berzelius (geb. 1779 in Westerlösa, st. 1848). Auffallend ist es, wie wenig Deutschland in diesem Zeitraume durch hervorragende Chemiker vertreten erscheint. Wenn auch nicht wenig verdienstvolle Arbeiten anzuführen sind, worunter namentlich Klaproth als ausgezeichneter Analytiker, Richter durch vortreffliche Arbeiten über die Gewichtsverhältnisse der chemischen Verbindungen bekannt ist, so tritt doch im Ganzen die Bedeutung des hier Geleisteten gegen die von Frankreich ausgegangene Richtung zurück. Diese Erscheinung mag zum Theil darin ihren Grund haben, daß die Kant'sche Philosophie u. ihre Nachfolger in jener Zeit in alle Wissenschaften eindringend u. auf ihre Richtung mehr od. weniger Einfluß ausübend, den Naturwissenschaften überhaupt sich keinesweges günstig erwies. Den allgemeinsten Einfluß übten in den letzten Decennien die Arbeiten von Faraday, Mitscherlich, Dumas, Liebig, Wöhler, Lehmannn. A., indem sie zahlreiche chemische Untersuchungen hervorriefen. Zu der größten Eigenthümlichkeit der neuesten Ch. gehört ihre vollständige Abzweigung von den verwandten Wissenschaften u. innerhalb der Ch. selbst die eintretende Theilung der Arbeit.
IV. Literatur. Zeitschriften, welche noch erscheinen: Liebig, Wöhler u. Kopp, Annalen der Ch. u. Pharmacie, Heidelberg 1838 ff.; Erdmann u. Werther, Journal für praktische Ch., Leipzig 1834 ff.; Poggendorff, Annalen der Physik u. Eh, ebd. 1824 ff.; Pharm.-Chemisches Centralblatt (redig. von Knop), Lpz. 1830 ff.: Handbücher: von I. Dumas übersetzt von Engelhgri, Nürnb. 1830_48, 8 Bde.; von L. Gmelin, fortgesetzt von List, Heidelb. 184355; von I. Liebig, Heidelb. 1843; Lehrbücher: von Berzelius, 5. Aufl., Dresd. 1848; von E. Mitscherlich, 5. Aufl., Berl. 1854; von Otto, 3. Aufl., Braunschw. 185456; von Schrötter, Wien 1847 f.; kleinere Lehrbücher: von Stöckhardt, Braunschw. 1855; von Wagner, 3. Aufl., Lpz. 1854; von Erdmann, 4 Aufl., Lpz. 1851; von Regnault-Strecker, 2. Aufl., Braunschw. 1853; von Quadrat, Brünn 1854; Hinterberger, Wien 1854; Reinsch, Mannh. 1854; Hirzel, Lpz. 1854 etc.; Taschenbuch der Ch. von Lehmann, 5. Aufl., Lpz. 1854; Lehrbuch der organischen Ch. von Löwig, Braunschw. 1847 u. 1853; Schneider, Wien 1851; Gerhardt, bearbeitet von R. Wagner, Lpz. 185456, 4 Bde.; Kolbe, Braunschweig 185456; Limpricht, ebd. 1855; Schloßber. ger, Stuttg. 1854; Analytische Ch.: H. Rose, Braunschw. 1851, 2 Bde.; Will, Heidelb. 1851; Fresenius (qualitative u. quantitative Analyse), Braunschw. 1854; 3. Aufl., Lpz. 1855; Technische Ch.: Schubarth, 4. Aufl., Berl. 1851; Knapp, Braunschw. 184753, 2 Bde.; Lehrbuch der chemischen Technologie von Wagner, 3. Aufl., Lpz. 1856; Lehrbuch der pharmaceutischen Technik von Mohr, 2. Aufl., Braunschw. 1853; Lehrbuch der Metallurgie von Th. Scheerer, Braunschw. 1847; Handbuch der metallurgischen Hüttenkunde von Kerl, Freib. 1855; Argricultur- u. Physiologische Ch.: Lehrbuch der Ch. für Landwirthe, von Fresenius, Braunschw. 1847; Naturwissenschaft des Ackerbaues von E. Wolff, Lpz. 1851_53; Chemische Feldpredigten von Stöckhardt, 2. Aufl., Lpz. 1854; Physiologische Ch. von Lehmann, 3. Aufl., Lpz 1853; Thierchemie od. die organische Ch. in ihrer Anwendung auf Physiologie u. Pathologie von I. Liebig, Braunschw. 1845; Die Ch. in ihrer Anwendung auf Agricultur u. Physiologie von I. Liebig, Braunschweig 1845; Handwörterbücher: von Liebig, Wöhler, Poggendorff (redig. von H Kolbe), Braunschw. 1842_56, 6 Bde.; Handwörterbuch der Ch. u. Physik, Berl. 184250; Jahresbericht der Ch. von Berzelins u. Svanberg, Tüb. 182248; Jahresbericht der Ch. von Liebig u. Kopp, Gießen 184854, 7 Bde; Geschichteder Ch. von Gmelin, Gött. 179799; Kopp, Braunschw. 184347, 4 Bde.; R. Wagner, 2. Aufl., Lpz. 1855; Dumas, Philosophie der Ch., übersetzt von Rammelsberg, Berl. 1839.
Brockhaus-1809: Die Chemie · Die antiphlogistische Chemie
Brockhaus-1911: Physiologische Chemie · Technische Chemie · Chemie · Organische Chemie
Eisler-1904: Chemie, psychische
Herder-1854: Organische Chemie · Chemie
Kirchner-Michaelis-1907: Chemie
Meyers-1905: Organische Chemie · Physikalische Chemie · Analytische Chemie · Chemīe
Pierer-1857: Physiologische Chemie · Organische Chemie · Analytische Chemie
Buchempfehlung
Die Prosakomödie um das Doppelspiel des Dieners Truffaldino, der »dumm und schlau zugleich« ist, ist Goldonis erfolgreichstes Bühnenwerk und darf als Höhepunkt der Commedia dell’arte gelten.
44 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro