[218] Ostindien (hierzu Karte »Ostindien«), die Halbinseln Vorder- und Hinterindien mit den Inseln des Indischen Ozeans, von den Lakkadiven bis zu den Philippinen; im engern Sinne das Britisch-indische Kaiserreich (Indobritisches, Angloindisches Reich), auch kurz Indien genannt. Auf letzteres beziehen sich allein die nachstehenden Ausführungen; die übrigen Teile des weitern O. sind in besondern Artikeln wie: Niederländisch-Indien, Siam, Malakka, Kambodscha, Anam, Kotschinchina etc. behandelt.
Das britisch-indische Kaiserreich begreift ganz Vorderindien mit Ausnahme von 508 qkm französischer und 3658 qkm portugiesischer Besitzungen und den westlichen Teil von Hinterindien. Es erstreckt sich zwischen 8 und 37° nördl. Br., 61 und 101° östl. L. und wird begrenzt im N. durch Tibet, im W. durch Persien und Afghanistan, im Osten durch China, Französisch-Laos und Siam, im übrigen vom Indischen Ozean (Arabisches Meer und Bai von Bengalen). Von Hinterindien gehören England Ober- und Niederbirma (mit Schanstaaten). Die Gesamtfläche erreicht 4,808,400 qkm und mit Hinzurechnung von Aden, Perim, Sokotra und den Kuria-Muria-Inseln 4,812,300 qkm.
Die Küstengliederung Ostindiens ist gering. Im NW. trennt der flache Golf von Katsch mit dem Sumpf Rann die Insel Katsch vom Festland und bildet mit dem engen verschlammten Golf von Cambay die Halbinsel Kathiawar. Die 1650 km lange Strecke bis zum Kap Comorin an der Südspitze der Halbinsel (zuerst Konkan-, dann Malabarküste genannt) verläuft ziemlich gerade. Im südlichsten Teil ziehen sich Strandseen hinter schmalen Nehrungen hin. Die bedeutendsten Häfen sind auf dieser Seite Karatschi und Bombay. An der Ostseite der Südspitze bildet die Insel Rameswaram den indischen Pfeiler der nach Ceylon führenden Adamsbrücke (s. d.), die den Golf von Manar von der Palkstraße trennt. Die Koromandelküste an der Ostseite ist in ihrer südlichen Hälfte mit kleinen Seen und Lagunen hinter dem niedrigen Küstensaum förmlich besät; die einzigen vorspringenden Punkte sind die Deltabildungen der Flüsse. Sie besitzt nur offene Reeden, wie bei Karikal, Ponditscherri, Madras etc. Die hinterindische Küste ist weit besser gegliedert. In Arakan (s. d.) ist ihr eine Anzahl größerer Inseln vorgelagert; die Andamanen bilden die Fortsetzung der bei Kap Negrais ins Meer tauchenden Gebirgskette; östlich vom Irawadidelta dringt der Golf von Martaban ins Land, und die Küste von Tenasserim begleitet der Mergui-Archipel. Viel mannigfacher ist die vertikale Gliederung. Man kann in Vorderindien fünf Gebiete unterscheiden (als sechstes das hinterindische), nämlich das Himalajagebirge mit seinen Vorbergen, die große Ebene von den Mündungen des Indus bis zu denen des Ganges, die Ebenen längs der Meeresküsten, ein nördliches und ein südliches Plateau. Die Ebene am Fuß des Himalaja ist noch des reichsten Anbaues fähig und im Klima dem Europäer am günstigsten. Am Südrand trennen noch Parallelzüge niedriger, aus tertiären Ablagerungen aufgebauter Hügel (Siwalik Hills etc.) die fruchtbaren Längstäler, die Duns, von der Ebene. Die indische Tiefebene zerfällt nach Bodencharakter und Klima in zwei ganz verschiedene Teile. Der Westen im Flußgebiet des Indus ist wesentlich ein Steppen- und Wüstenstrich; doch zieht sich im N. ein von zahlreichen Flußadern durchfurchter, hochkultivierter Landstreifen hin, im NW. das stark gefaltete Salzgebirge, dessen tiefste sichtbare Ablagerungen rote paläozoische Sandsteine mit mächtigen Lagern von reinem Steinsalz sind. Östlich vom Indus breitet sich die nur in einzelnen Oasen bewohnte indische Wüste, der Thar, aus, deren südlichen Raum der mächtige Salzsumpf des Rann von Katsch bildet. Weiteres über die geologischen Verhältnisse s. Asien und Himalaja. Das östliche indische Tiefland wird fast in seiner ganzen Länge durch einen wenige Kilometer breiten Streifen sumpfiger Waldlandschaft vom Gebirge getrennt, das Tarai. Hart daran stößt die große Ebene von Hindostan, die, soweit fließen des Wasser reicht, von unerschöpflicher Fruchtbarkeit, aber äußerst ungesund ist. Am Rande des Gangesdeltas bilden die Sanderbands ein Gewirr zahlloser entstehender und vergehender Inseln voll dichten Urwalds. Das vorderindische Hochland, das den größern Teil der Halbinsel umfaßt, ist eine ringsum isolierte Bergmasse (s. Dekhan). Gegen die Küsten ist es beiderseits begrenzt durch die steilen Ghats (s. d.). Die Westghats, eine Reihe meridionaler Parallelzüge, sind im Mittel bis 1500 m hoch, nur im S. höher (die Nilgiri bis 2530 m). Die östliche Küstenebene wird ähnlich begrenzt durch die Ostghats. Zwischen beiden Ghats breitet sich ein weites, 600700 m hohes, größtenteils trocknes, steppenartiges, nach Osten abgedachtes Plateau aus, das seine Begrenzung im W. gegen die indische Wüste in der schmalen und steilen, 12001714 m hohen Aravalikette findet, während die Satpura- und Windhyakette das eigentliche Dekhan von einem nördlichen zentralindischen Plateau scheiden. Die Ebenen an der Meeresküste, im Osten der Halbinsel viel breiter als im W., sind wohlbewässert, üppig bewachsen und zwischen Kap Comorin im S. und der Godavari im N. durch ihre Reisernten die Kornkammer Indiens. Der in Hinterindien gelegene Teil des britisch-indischen Reiches hat ganz den Charakter dieser Halbinsel (s. Birma).
Der Mineralreichtum Indiens ist sehr bedeutend, aber erst neuerdings mehr ausgebeutet worden. Goldseifen bestehen seit undenklichen Zeiten an vielen Orten, liefern aber wenig Ertrag; dagegen haben die in Südindien im Wainad (am Westabhang der Nilgiri), in Kolar (Maisur) und in Birma bearbeiteten Goldquarzgänge eine stets wachsende Ausbeute ergeben. Insgesamt brachten die Goldminen an Wert 1902: 35,398,052 Mk. Kupfer, in allen Zeiten stark ausgebeutet, wird jetzt nur noch in Radschputana und Tschutia Nagpur gewonnen, Blei und Silber im westlichen [218] Himalaja und in Radschputana; Zinn in sehr reichen Lagern in Birma; Antimon-, Nickel- und Kobalterze in Radschputana, letztere auch in Nepal und Birma; Manganerze (Ausfuhr 1904: 2,294,094 Rupien) in den Zentralprovinzen. Sehr verbreitet sind Eisenerze, zuweilen von großem Reichtum und hoher Güte, so in Birma, Bengalen, den Nordwestprovinzen, Radschputana, Zentralindien, Pandschab, Zentralprovinzen, Madras, Maisur etc. Die Gewinnung des Eisens (1900: 63,000 Ton.) aus den Erzen ist vielfach noch sehr primitiv, doch liefert das staatliche Eisenwerk in Ranigandsch (Damodartal, Bengalen) allein etwa 57,000 Ton. jährlich. Steinkohlen finden sich in mächtigen Lagern zwischen Ganges und Godavari, und zwar im Damodartal (Gruben von Ranigandsch und Karharbari, die vier Fünftel aller indischen Kohle liefern), in Tschutia Nagpur, in den Zentralprovinzen, im Narbada- und im Godavarital, ferner in Assam (Singareni), am Himalaja (bei Dardschiling etc.), im Pandschab (Salzgebirge), in Bikanir, Haidarabad, Birma, Belutschistan. Die ersten Kohlengruben wurden 1820 in Bengalen eröffnet, 1903 waren 305 Minen mit 88,530 Arbeitern im Betrieb und brachten 7,438,386 (1880 erst 1 Mill.) Ton. im Werte von 19,495,741 Rupien. Die Einfuhr fremder Kohle, Koks etc. ist infolgedessen von (189495) 848,000 Ton. auf (1904) 180,040 Ton. gesunken, dagegen wurden von Kalkutta 1904 bereits 493,070 Ton. ausgeführt. Salz (1900: 1,055,056 Ton.) wird aus dem Meer, aus Salzseen (Sambhar See in Radschputana) und aus den Gruben der Salt Range im Pandschab gewonnen. Salpeter kommt fast ausschließlich aus Bihar, die Ausfuhr betrug 1904: 4,075,000 Rupien. Petroleum ist vornehmlich in Birma, Assam und im Pandschab vorhanden (1900: 37,729,211 Gallonen). Wegen seiner Diamanten war Indien von jeher berühmt, einige der größten und schönsten (s. Diamant, S. 864) stammen von hier (Golkonda); heute ist die Ausbeute nur noch gering (Alluvien der Mahanadi, des Kistna oder Krischna und Pennar sowie in Bandelkhand). Smaragde und Topase finden sich in Hindostan; schöne Rubine und Saphire in Golkonda, Bellary, auch in Gesellschaft von Chrysolith in Maisur, an der Malabar- und Koromandelküste und in Oberbirma; Jaspis, Achat und Karneol in Bombay (Distrikt Gudschrat) und Birma; Granaten werden in großen Mengen ausgeführt. An schönem Baumaterial (Marmor, Kalkstein, Sandstein, Schiefer, Granit, Ton) ist O. reich.
Die Hauptgewässer Ostindiens entspringen am Nordfuß des Himalaja: der Ganges, Brahmaputra, Indus und sein Nebenfluß Satledsch, die nach ihrem Durchbruch die großen Tiefebenen des Nordens durch ziehen. Alle andern Flüsse haben ihre Quelle innerhalb des Landes. Das nördliche Plateau wird entwässert durch Sabarmati, Mahi, Narbada und Tapti gegen W., Mahanadi und Godavari gegen Osten. In den Bengalischen Meerbusen ziehen auch die Flüsse des Dekhan, wie Kistna, Pennar und Kaweri. Die kurzen Flüsse der Westküste stürzen über die Westghats in jähem Lauf zur schmalen Randebene hinab. Als Wasserstraßen sind nur Ganges, Brahmaputra und Indus von Wert, von den Flüssen Südindiens keiner, doch können die meisten Bewässerungskanäle zugleich der Schiffahrt dienen. In Hinterindien ist der Irawadi für den Verkehr höchst wichtig, der Salwen dagegen nur zum Holzflößen. An bedeutenden Seen ist das Land äußerst arm. Der größte ist der 891 qkm große Tschilkasee in Orissa, dann der Salzsee Sambhar in Radschputana, der 260 qkm große Wularsee in Kaschmir. Durch Querdämme in Tälern hat man zumeist in Südindien große künstliche Seen hergestellt, darunter den 30 qkm großen Radschnagarteich.
Das Klima Indiens ist, vom Himalaja abgesehen, eins der heißesten der Erde. Die mittlere Temperatur ist am höchsten im S., die höchsten Temperaturgrade kommen aber im trocknen Nordwesten vor. Auf die Gesundheit der Bewohner wirken die klimatischen Einflüsse periodisch höchst verderblich. Im Sommer (Mitte April bis Oktober) herrscht der die Regenzeit bringende Südwestmonsun, im Winter der im allgemeinen trockne Nordostmonsun. Man unterscheidet drei Jahreszeiten: die kühle (Oktober bis März), die heiße (April bis Regenzeit) und die Regenzeit, deren Dauer, Eintritt und Ende verschieden sind. Am kältesten sind Dezember oder Januar, am wärmsten im S. April oder Mai, im N. Mai bis Juli.
Die größten Regenmengen finden sich in den dem Südwestmonsun zugekehrten Gebirgsabhängen, namentlich an den Westghats und am Himalaja. In Tscherrapundschi (Assam, 1398 m ü. M.) fällt die größte Regenmenge der Erde (12,530 mm), am wenigsten in Sind (Jacobabad 120 mm), im Pandschab (Muzassargarh 150 mm), in Westradschputana (Bikanir 350 mm).
Das Ausbleiben der Monsunregen hat wiederholt, namentlich auch in letzter Zeit, Hungersnöte zur Folge gehabt, die Millionen von Menschen hinrafften. Zyklonen sind zur Zeit des Monsunwechsels nicht selten und besonders an den Ostküsten und im Gangesdelta gefährlich, wo die über die flache Küste getriebenen Meeresfluten wiederholt weite Gegenden vernichtet haben, während Cholera und Fieber fast unaufhörlich das Menschenmaterial Indiens schwächen. Für Europäer ist längerer Aufenthalt nur unter größter Vorsicht möglich, daher die Errichtung zahlreicher Gesundheitsstationen in höherer Lage, z. B. Dardschiling (s. d.).
O. zerfällt in mehrere Vegetationsgebiete. Der äußerste Nordwesten reiht sich unmittelbar an die mesopotamisch-persische Dattelregion. Der Feigenbaum erreicht hier seine östlichste Grenze. Aus Gebüschen von Tamarix gallica erheben sich Acacia arabica (namentlich am untern Laufe des Indus) und eine Pappel Mesopotamiens: Populus euphratica. Das Hochland von Dekhan bedecken tropische regengrüne Waldungen mit wertvollen Baumhölzern, z. B. Tiekholz (Tectona grandis), Sandelholz (Santalum album und Pterocarpus santalinus), Tunbaum (Cedrela Toona). Daneben herrschen Wein- und Dattelpalmen (Borassus und Phoenix silvestris) und die das Katechuharz liefernde Akazie. Die Waldregion des Himalaja (s. d.) scheidet sich in eine tropische bis 900 m mit Dalbergia Sissoo und Shorea robusta und eine subtropische und gemäßigte bis 3600 m mit Eichen, Nadelhölzern und borealen Laubholzgattungen, wie [219] Rhododendron. In Assam treffen die Vegetation des Himalaja, des Khasiagebirges und Bengalens zusammen. In Birma treten hauptsächlich immergrüne Waldungen aus Dipterokarpeen und Eichen auf, durchsetzt mit sommergrünen (charakteristisch ist der Reichtum an Magnoliazeen).
Die Tierwelt gehört zu der orientalischen Region, mit Ausnahme des südlichen Teiles der Halbinsel als indische Subregion, deren Charaktertiere sich fast alle auch in den andern Subregionen wiederfinden, während eine Reihe wichtiger Formen fehlen. O. eigentümlich und auf Kathiawar (Gudscharat) beschränkt ist der Löwe. Für O. und Ceylon charakteristisch ist der Lippenbär (Ursus labiatus); weitere Raubtiere sind Tiger, Panther, Hyäne, Wolf, wilder Hund, Viverren, Mangusten; Elefant, Nashorn, Wildschwein und etliche Hirscharten kommen hier wie in der ganzen orientalischen Region vor. Die Rinder werden vertreten durch den gemeinen asiatischen Büffel (Bubalus buffelus L.) und den Gaur (Bos gaurus H. Sm.). Von Antilopen sind zu erwähnen die Vierhornantilope oder Tschikara (Tetraceros quadricornis H. Sm.), die Hirschziegenantilope oder Safi (Antilope cervicapra), einige Gazellenarten und das auf Vorderindien beschränkte Nilgau (Portax picta Wagn.). Im Ganges und Indus findet sich der Schnabeldelphin Platanista. Der Gebirgszug der Nilgiri zeichnet sich durch eigne Fauna aus mit Schlankaffen (Semnopithecus), bestimmten Arten von Halbaffen, der Schraubenhornziege (Capra Falconeri), einer Stachelratte etc. Unter den Vögeln spielen Bartvögel, Trogoniden, Nashornvögel, vornehmlich aber Raubvögel und Wasservögel die Hauptrolle. Von Reptilien findet sich zahlreich die Gattung Crocodilus, dem Ganges eigen ist der Gavial. Unter den Schlangen treten Baumschlangen und gefährliche Brillen- und Klapperschlangen hervor. Die Flüsse Ostindiens besitzen großen Fischreichtum. Die sehr reich vertretenen gedeckelten Landschnecken finden hier eine Hauptentwickelung in allen möglichen Formen und Gattungen. Die Süßwasserfauna ist echt tropisch, reich an Melanien, Paludinen, Ampullarien und eigentümlichen Limnäen. Insekten sind sehr reich vertreten.
Nach dem 1901 angestellten Zensus war die Zahl der Einwohner Britisch-Indiens nebst allen Außenbesitzungen 294,361,056 (fast der fünfte Teil der Erdbewohner), wovon 231,899,507 auf die unmittelbaren, 62,461,549 auf die mittelbaren Besitzungen kommen. Durch Pest und Hungersnöte hat ein großes Gebiet von O., nämlich Zentralindien und das nordwestliche Dekhan, seit 1891 eine Abnahme der Bevölkerung erfahren. Bei den mittelbaren Besitzungen ergibt sich eine Abnahme von 4,3 Proz., der bei den unmittelbaren nur eine Zunahme von 4,4 Proz. gegenübersteht. Die Zunahme für ganz Britisch-Indien betrug nur 1,5 Proz. gegen 11 Proz. im vorausgegangenen Jahrzehnt. Dem Geschlecht nach unterschied man bei 293,377,300 Personen, über die genauere Erhebungen gemacht werden konnten, 149,420,853 männliche und 143,956,447 weibliche Personen. Der Nationalität nach waren von 1,180,772 Nichtindern 154,691 Briten, 14,986 andre Europäer (1500 Deutsche), 66,779 Chinesen (namentlich in Birma), 307,920 Araber (namentlich in Bombay und Baroda) u.a. Die Auswanderung, der auch eine Rückwanderung gegenübersteht, betrug 1901 nur 34,147 Personen, davon 21,613 Kulis (s. d.), die meist nach den britischen Kolonien Mauritius, Natal, Guayana, Fidschiinseln und nach Uganda (zum Eisenbahnbau seit 1896) gingen. Die Sterblichkeit hat namentlich durch Hunger und Pest sehr zugenommen; sie stieg von 18991900, auf das Tausend berechnet: in Bengalen von 31,2 auf 36,6, im Pandschab von 29,6 auf 47,7, in den Zentralprovinzen von 28,1 auf 56,8, in Bombay von 35,7 auf 70,1, in Berar von 39,9 auf 82,7, in Adschmir-Merwara von 33,2 auf 120,0 etc. Durch Raubtiere und Giftschlangen starben 1904: 24,037 Menschen. Die Verteilung der Bevölkerung ergibt sich aus nachfolgender Tabelle.
Dem Religionsbekenntnis nach unterschied man 207,147,026 Hindu, 62,458,077 Mohammedaner, 8,584,148 Buddhisten, 9,476,759 Naturanbeter, 2,923,241 Christen, 2,195,339 Sikh, 1,334,148 Dschaina, 94,190 Parsi, 18,228 Juden u.a. Überwiegend vertreten sind die Mohammedaner in Bengalen u. im Pandschab, die Buddhisten in Birma, die Christen in Madras, die Sikh im Pandschab, die Dschaina und Parsen in Bombay. Von den Christen waren 169,677 Europäer, 89,251 Eurasier, 1,664,313 Eingeborne. Die einheimischen Christen sind teils sogen. Thomaschristen an der Malabarküste, teils durch Franzosen und Portugiesen bekehrte Katholiken, teils durch Engländer, Amerikaner, Deutsche, Schweden und Dänen gewonnene Protestanten. Die Zahl der römischen Katholiken betrug 1901: 1,202,169, der Anglikaner 453,099, der syrischen Christen 248,741, der Baptisten[220] 221,040, der Lutheraner 155,455 etc. Es arbeiten hier 30 Missionsgesellschaften, neben englischen und amerikanischen auch 6 deutsche (Baseler, Leipziger, Hermannsburger, Brecklumer, Goßnersche, Brüdergemeinde), eine schwedische und eine dänische. Die römisch-katholische Kirche hat 18 apostolische Vikariate und eine Präfektur sowie mehrere bedeutende Lehranstalten der Jesuiten in Kalkutta, Bombay, Negapatam, Mangalor etc. S. Indische Religion. Vgl. Holdich, India. Maps, diagrams (in dem Sammelwerk »Religions of the world«, Lond. 1904).
Die Volksbildung steht noch auf niedriger Stufe. Von der Gesamtbevölkerung waren, soweit feststellbar, 1901 des Lesens und Schreibens kundig 14,690,080 männliche und 996,341 weibliche, Analphabeten waren 134,752,026 männliche und 142,976,459 weibliche. An der Spitze der Bildungsanstalten stehen die Universitäten in Kalkutta, Allahabad, Lahor (orientalische Studien), Madras und Bombay, die indes nicht Lehranstalten, sondern Prüfungsbehörden sind und 1903 von 2584, 760, 1331, 2509, 1359 Studenten besucht wurden. Erziehungsanstalten gab es 1903: 152,530 (8603 für Mädchen) mit 4,693,212 Schülern (472,171 weiblichen). Darunter befanden sich 194 Colleges (12 für Mädchen) mit medizinischen, gewerblichen und technischen Kursen und 23,972 Studierenden (225 Mädchen), 5544 Mittelschulen (461 für Mädchen) mit 569,455 Schülern (42,902 Mädchen), 102,215 Elementarschulen (6508 für Mädchen) mit 3,411,202 Schülern (370,398 Mädchen), außerdem 1228 Spezial- und 43,349 Privatschulen. Die Aufwendungen für Schulzwecke betrugen 1903: 44,486,644 Rupien. Die Presse ist vertreten durch 1270 Zeitungen, Zeitschriften, Magazine etc., darunter 797 Zeitungen in 24 verschiedenen Landessprachen. In den Vereinigten Provinzen (135) und im Pandschab (179) erscheinen sie in Hindustani oder Urdu, der Sprache der Mohammedaner, in Bombay (203) in Mahratti und Gudscharati, letzteres Sprache der Parsi, in Madras (154) in Tamil und Telugu. Diese indischen Blätter haben durchweg eine den Engländern feindliche Haltung, die englischen sind meist regierungsfreundlich. Etwa 60 Zeitungen erscheinen englisch und in einer indischen Sprache. Außerdem erscheinen in englischer Sprache religiöse, freimaurerische und fachwissenschaftliche Zeitschriften. Die Buchliteratur (1903: 8715 Bücher, davon 7319 in heimischen Sprachen) besteht aus Kalendern, religiösen Abhandlungen, Übersetzungen europäischer Meisterwerke etc. 1903 waren 2156 Druckerpressen im Betrieb.
Ethnologisch scheidet sich die Bevölkerung Indiens in zwei Hauptgruppen: die Arier (s. d.), hauptsächlich in den nördlichen Ebenen vom Indus bis in das Tal des Brahmaputra, und die Drawida (s. d.), die, früher über ganz Indien verbreitet, jetzt mit Tanuba, Kanaresen, Telugu, Malabaren u.a. den südlichen Teil, das Dekhan, nebst dem gebirgigen Innern einnehmen. Neben diesen beiden Gruppen lebt meist in unzugänglichen Berg- und Waldgegenden eine Anzahl von Stämmen, die das Land wahrscheinlich schon lange vor jenen bewohnten und sich von ihnen in jeder Hinsicht sehr scharf unterscheiden. Zu diesen gehören die Gond, Santal, Kund, Kol, Bhil u.a. Im Norden und in Hinterindien wohnen zahlreiche tibeto-birmanische Stämme, wie die Katschar oder Bodo, Garo, Newar, Leptscha, Both, Naga, Mikir, Birmanen, Kunn, Karen u.a. An sie schließen sich Siamesen, Lao, Schau u.a. an. Eine ganz andre Stellung nehmen jene Volksstämme ein, die in geschichtlicher Zeit als Eroberer ins Land kamen, wie die mohammedanischen Mongolen, Perser und Afghanen, oder sich als Kaufleute in den Städten Malabars, in Calicut, Goa, Gudscharat etc., niederließen, wie die Araber, deren mit Hindu erzeugte Mischlinge in Südindien Mopla genannt werden, die Parsi und die Juden, welch letztere, angeblich schon zur Zeit der babylonischen Gefangenschaft eingewandert, sich in weiße und schwarze Juden, wohl die Nachkommen bekehrter Eingeborner, scheiden. Wenn man von den mongoloiden Birmanen Hinterindiens absieht, sind in O. vier große Rassengruppen zu unterscheiden: die Kol, die Drawida, die Tibetaner und die Arier (vgl. überall die Sonderartikel). Die Kol (Kolarier), im mittlern Vorderindien als Waldstämme zerstreut, sind wahrscheinlich die Kaste der ältesten erhaltenen Urbewohner, die Drawida wohl später, aber auch vor sehr alter Zeit und aus unbekannter Heimat eingewandert. Die Tibetaner leben in den Himalajaländern. Die Arier, ein Glied der ostarischen Völkerfamilie, sind von NW. eingewandert und haben die Drawida nach S., die andern Stämme in Gebirgs- oder Waldgebiete zurückgedrängt. In den ersten Zeiten vermischten sich die arischen Sieger vielfach mit den dunkeln Aboriginern, später entstand ein Gegensatz zwischen den drei alten arischen Klassen der Priester, Krieger und ansässigen Ackerbauer einerseits und den gemeinen Arbeitern, den unterworfenen Ureinwohnern. Darauf deutet die Sanskritbezeichnung Varna (ursprünglich »Farbe«) für Kaste. Doch bestand diese Einteilung in Kasten bereits lange vor Christi Geburt (1200, nach andern 500 v. Chr.) nicht mehr; vielmehr hatte sich eine Menge andrer Kasten gebildet (Weiteres s. Kaste). Unter der mohammedanischen Herrschaft griff die Zersetzung noch weiter um sich, zugleich nahm das Kastenvorurteil nach zu, denn auch die Mohammedaner schlossen sich streng ab. Die Engländer trugen diesen Verhältnissen überall Rechnung, traten indes seit 1850 groben Mißbräuchen energisch entgegen. Seitdem hat sich das Kastenvorurteil etwas gemildert, der große Hause hängt aber so starr daran, daß eigentlich nur der eingewanderte Europäer als Kastenloser dasteht. Entscheidend für die Stellung eines jeden ist, mit welchen Kasten ihm Ehe und Verkehr erlaubt ist. Noch immer entscheiden Schiedsgerichte (pantschayad) alle Streitigkeiten über Kastenfragen (Ehezulässigkeit, Gemeinschaft von Essen und Schlafen etc.), und Jahrhunderte werden noch vergehen, ehe das Kastenwesen ernstlich erschüttert sein wird. Politisch ist es der Ruin des Landes gewesen, hat den fremdländischen Eroberern den Sieg erleichtert und ermöglicht noch heute wenigen Engländern die Herrschaft über die Völkermassen, wozu auch die scharfen Gegensätze zwischen Hindu und Mohammedanern, Sikh und Dschaina mithelfen. Vgl. Kitts, Compendium of castes and tribes found in India (Bombay 1883); Senart, Les castes dans l'Inde (Par. 1896). Über die Sprachen der Bevölkerung Indiens s. Indische Sprachen.
Die Zahl der Städte betrug 1901: 2148 mit einer Gesamtbevölkerung von 29,244,221 Einw. Die größte Stadt ist Kalkutta mit 847,796, nebst Vorstädten 1,125,400 Einw., dann folgen Bombay mit 776,006 (1891 noch 821,764), Madras mit 509,346, Haidarabad mit 448,466, Lakhnau mit 264,049, Rangun mit 234,881, Benares mit 209,331, Dehli mit 208,575 Einw. etc. Im ganzen besitzt O. 31 Städte mit über 100,000,52 mit 50100,000,167 mit 2050,000,471 mit 1020,000 Einw. etc.[221]
Von dem Gesamtareal Britisch-Indiens waren 1903. 205,205,128 Acres wirklich bebaut, 37,252,452 lagen brach, 108,099,459 sind noch kulturfähig, 67,562,445 Wald und 134,379,294 Acres Unland. Im nördlichen Indien ist das Land Eigentum von Großgrundbesitzern, die es den Bauern pachtweise überlassen, im mittlern und südlichen Indien ist es meist Eigentum kleiner Bauern, in Madras sind beide Klassen vertreten. Von der Gesamtbevölkerung leben 191,691,731 vom Landbau, davon 88,347,718 als eigentliche Arbeiter. Erst seit 1891 hat sich die Regierung der Förderung des Ackerbaues durch Errichtung landwirtschaftlicher Behörden in jeder Provinz und durch Bewässerungsanlagen energisch angenommen. Der schon 1854 vollendete Gangeskanal bewässerte 1903: 871,862 Acres; neuere, besonders wichtige Systeme sind der Sirhindkanal im Pandschab und die Systeme der Godavari, Kistna und Kaweri in Madras (zusammen 2,420,840 Acres). 1903 wurden künstlich bewässert insgesamt 19,301,273 Acres. Die Kapitalanlagen verzinsten sich dabei mit 7,26 Proz. Es waren 1903 bebaut mit Reis (vornehmlich in Bengalen, dann in Birma, Madras) 71,596,561 Acres, mit Weizen (Pandschab, Vereinigte Provinzen, Zentralprovinzen) 19,615,561, mit andern Nahrungspflanzen (Vereinigte Provinzen, Madras, Bombay, Bengalen, Pandschab) 92,467,143, mit Zuckerrohr (Vereinigte Provinzen, Bengalen, Pandschab) 2,358,101, mit Baumwolle (Bombay, Berar, Madras, Haidarabad, Vereinigte Provinzen) 11,104,298 (1904 bereits 17,549,299 Acres mit einer Ernte von 2,874,893 Ballen zu 400 Pfd.), mit Ölsaaten (Bengalen, Madras, Zentralprovinzen, Bombay) 13,095,565, mit Jute (fast allein in Bengalen) 2. 145,707, mit Indigo (Bengalen, Madras, Vereinigte Provinzen) 653,801 (dauernd abnehmend), mit Tabak (Bengalen, Madras) 935,042, mit Tee (Assam, Bengalen) 505,932 (steigend), mit Kaffee (Kurg, Madras) 109,877 Acres. Außerdem baut man Gewürze, Mohn zur Opiumbereitung (in Bengalen Regierungsmonopol), den Chinarindenbaum (Madras), Kartoffeln (Assam). Tee, Chinarinde u.a. wurden erst durch die Engländer eingeführt, andres, wie Weizen, ungemein erweitert. Der Ackerbau steht aber wegen der Armut der Volksmasse noch immer auf sehr niedriger Stufe; betrug doch der Prozentsatz des bestellbaren Areals 1903 nur: in Bengalen 9,09, in Madras 4,87, in Agra (Vereinigte Provinzen) 4,75, in Bombay 4,30, im Pandschab 4,11, in den Zentralprovinzen 3,06 Proz., sonst überall noch erheblich weniger. Noch niedriger steht die Viehzucht. Die Rinder gehören zur Zeburasse, oder es sind Büffel; beide werden trotz aller Verehrung der Hindu für die Kuh grausam vernachlässigt; ebenso sind die Pferde entartet und sollen jetzt durch Einführung fremder Zucht veredelt werden. Die Schafe sind sehr geringwertig; die großen, aber häßlichen Schweine werden nur von den niedrigsten Kasten gegessen. Die Seidenraupenzucht ist im Rückgang (Ausfuhr von Rohseide aus Kalkutta 1903 nur 624,064 Pfd.), in den Wäldern findet man eine grobe, wilde, die Tasarseide. Die Wälder sind aus manchen Gegenden infolge der Brandkultur bereits ganz verschwunden. Erst seit 1877 sorgt ein staatliches Forstdepartement für die zu Staatseigentum erklärten Waldreserven, namentlich der wertvollen Tiekwaldungen, sowie für Anpflanzungen geeigneter Baumarten, auch australischer und amerikanischer. Auch liefern die Wälder, namentlich in den Dschangeln, Lack, Harze und Drogen als bedeutende Ausfuhrartikel. Die staatlichen Reserven betrugen 1903: 230,000 qkm (namentlich in den Zentralprovinzen, Birma, Madras und Bombay). Der Bergbau steht noch auf keiner hohen Stufe, entwickelt sich aber jetzt allmählich mehr (s. oben). Perlenfischerei wird an der Küste von Madura und im Golf von Cambay betrieben. Die meisten sogen. indischen Perlen stammen indes aus Ceylon oder dem Persischen Golf; Fischerei von Kaurimuscheln (Cypraea moneta) wird bei den Malediven und Lakkadiven betrieben.
(Hierzu die Tafel »Ostindische Kultur I u. II«.)
Das indische Gewerbe ist uralt; mit den einfachsten Werkzeugen haben die Bewohner des Gangestals wie der Küstenprovinzen in Weberei, Wirkerei und Goldschmiedekunst unübertroffene Leistungen hervorgebracht. Ihre Baumwollengewebe waren von jeher wegen Feinheit, Färbung und Zeichnung berühmt; aber nachdem England seit dem 18. Jahrh. die Einfuhr indischer Gewebe verboten hatte, begann es mit billigen Maschinenfabrikaten den indischen Baumwollenzeugen in Indien selbst eine gewaltige Konkurrenz zu machen. Noch jetzt bilden Baumwollenstoffe über ein Drittel der Einfuhr, obgleich seit 1854 auch in Indien großartige Spinnereien und Webereien entstanden sind (1904: 201 Fabriken, meist in Bombay, mit 5,213,344 Spindeln, 46,421 Webstühlen, 186,271 Arbeitern und 171,569,688 Rupien Anlagekapital), die nun wiederum England in China und Japan, Arabien und Afrika Konkurrenz machen. Die Juteindustrie in Bengalen beschäftigt jetzt 38 Fabriken (fast alle bei Kalkutta) mit 376,718 Spindeln, 18,406 Stühlen, 123,869 Arbeitern und 74,305,370 Rupien Anlagekapital und liefert namentlich Säcke nach Amerika, China und Australien. Die Wollenzeugfabrikation im Pandschab und in den Vereinigten Provinzen ist noch wenig bedeutend (6 Fabriken, 25,216 Spindeln, 673 Stühle). Die Gerberei arbeitet in Südindien für Ausfuhr nach Amerika, in Nordindien (Khanpur) für den Militärbedarf. Hochberühmt ist Indien durch die auch im Pandschab gefertigten Kaschmirschals, seine Stickereien, Seidenstoffe, Teppiche, Goldschmiedearbeiten, Waffen mit eingelegter Arbeit, Kettenpanzer, Messing- und Kupferwaren. Künstlerische Töpfer waren liefern Sind und das südliche Pandschab; aus gezeichnet sind die Holz- und Elfenbeinschnitzereien. Einige Beispiele des indischen Kunstgewerbes bieten beifolgende Tafeln sowie die Tafeln »Musikinstrumente I«, Fig. 15, II, Fig. 4; »Ringe«, Fig. 16 u. 17; »Rauchgeräte II«, Fig. 1519 u. 22. Die Eisengießereien liefern bereits einen ansehnlichen Teil des Eisenbahnmaterials. Das alte heimische Papier ist durch das Fabrikat von neun Dampfpapiermühlen in Kalkutta und Bombay ersetzt worden (1903. 44 Mill. Pfd. zu 5,914,799 Rupien). Zu den eingeführten Industrien gehören auch zahlreiche Brauereien im Himalaja, den Nilgiris etc., die 1904 über 6 Mill. Gallonen Bier erzeugten. Doch wurden noch 281,000 Gallonen (meist aus Deutschland) eingeführt. Kleinere Industrien sind ferner Kunstmühlen, Glas-, Sei sen- und Sodafabriken, Ölpressen, Ziegeleien etc. Vgl. auch Artikel »Indische Kunst«.
Der Handel ist in den letzten Jahren außerordentlich gestiegen. Über die Landgrenzen nach Afghanistan, Tibet, Nepal, Sikkim, Bhutan, die Schanstaaten und Siam hat er zum Teil mit russischer Konkurrenz zu kämpfen; dennoch betrug er 1904 bei der Einfuhr (hauptsächlich Getreide, Holz, Ghibutter, Sämereien, [222] Obst, Häute) 78,166,399, bei der Ausfuhr (Baumwollwaren, Salz, Zucker) 59,495,029 Rupien. Im Seehandel erreichte die Einfuhr 1904: 1,139,676,632, die Ausfuhr 1,589,394,269 Rupien (ausschließlich des Regierungshandels). Von dem Warenhandel entfielen auf England 958,131,000, Deutschland 170,807,000 (Einfuhr 29,204,000, Ausfuhr 141,603,000), Hongkong 120,895,000, Frankreich 114,423,000, Belgien 108,505,000, Vereinigte Staaten 103,088,000, Japan 97,218,000, Straits Settlements 96,626,000, China 77,721,000, Österreich 66,199,000 Rupien. Andre wichtige Verkehrsländer sind Italien, Ceylon, Ägypten, Mauritius, Persien, Rußland, die Niederlande, Arabien, Australien, Südamerika, Ostafrika, asiatische Türkei, Aden. An dem Gesamthandel nahmen 1903/04 die fünf Haupthäfen mit 95 Proz. teil, und zwar Kalkutta mit 936,1, Bombay mit 787, Rangun mit 241,3, Karatschi mit 226,1, Madras mit 187,4 Mill. Rupien. Unter den Einfuhrwaren überragen Baumwollwaren mit 1904: 310,105,000 Rupien alle andern weit, es folgen Metalle und Metallwaren mit 163,6, Nahrungsmittel mit 117, Öle mit 35,4, Zucker mit 57,3, Maschinen mit 33,5, Chemikalien mit 24,5, Seide mit 21,4, Kleider mit 17,2, Wollwaren mit 13,5 Mill. Rupien, dann Getränke, Eisenbahnmaterial, Gewürze, Tabak, Kohle (s. oben). Hauptausfuhrartikel sind Getreide und Hülsenfrüchte mit 312,9, Rohbaumwolle mit 243,8 (1903 nur 147,6), Sämereien mit 145,2, Rohjute mit 117,2, Opium mit 104,7, Baumwollfabrikate mit 103,2, Jutefabrikate mit 94, t, rohe und zugerichtete Häute und Felle 89,8, Tee 88,1, Rohwolle 13,8, Kaffee 13,7, Indigo 10,8 Mill. Rupien, außerdem Holz, Rohseide, Ölkuchen, Hanf etc. Bis 10. März 1894 wurden fast gar keine Einfuhrzölle erhoben, seitdem gehen nur noch Baumwollwaren frei ein. Der Binnenhandel ist meist in den Händen der Eingebornen; er wird namentlich vermittelt durch die Jahresmessen bei religiösen Festen, zu denen ungeheure Menschenmengen zusammenströmen. Im Schiffsverkehr sind nach Eröffnung des Suezkanals die Segelschiffe fast völlig durch Dampfer verdrängt. Außer mehreren englischen Dampferlinien laufen drei deutsche und je eine französische, österreichische und italienische die großen indischen Häfen an (vgl. Dampfschiffahrt, Übersicht). 1904 verkehrten in allen Häfen 9530 Schiffe mit 12,559,260 Ton., darunter 8268 unter britischer Flagge, danach 394 deutsche, 173 norwegische, 143 französische, 134 österreichische etc. Seine heutigen Verkehrsmittel verdankt O. fast ausschließlich der britischen Regierung, die 1903: 551,200 km Landstraßen unterhielt, darunter 100,950 km Chausseen. Den Bau von Eisenbahnen hat sie zum großen Teil selbst ausgeführt, teils durch Garantien und Subventionen unterstützt. Die erste Eisenbahn wurde 1853 von Bombay nach Tanna (32 km) eröffnet; 1903 waren im Betrieb 69,812 km, davon 50. 646 km Staatslinien, 10,264 km Privatlinien und 8433 km in den Tributärstaaten. Diese Linien beförderten 210,231,000 Reisende u. 47,684,000 Ton. Güter. Die Einnahmen aus erstern betrugen 125,440,000, aus letztern 224,192,000 Rupien. Bis Ende 1903 waren für die Eisenbahnen in O. ausgegeben 3,445,938,000 Rupien. Seit ihrer Eröffnung hat die Dampfschiffahrt auf dem Ganges und Indus fast ganz aufgehört, während sie auf dem Brahmaputra und Irawadi noch fortbesteht. Die Post beförderte 1903 durch 45,807 Ämter 536,426,689 Briefe, 32,558,182 Zeitungen und 32,708,771 Pakete und hatte 21,5 Mill. Rupien Einnahme. Seit 1876 gehört Indien zum Weltpostverein. Die Telegraphenlinien hatten 1903 eine Länge von 147,184, die Drähte von 519,350 km einschließlich Kabel, auf denen 6,742,094 bezahlte Telegramme durch 2051 Ämter befördert wurden. Unterseeische Kabel verbinden Karatschi mit Buschir, Bombay mit Aden, Madras mit Singapur.
Einheit des Münzwesens ist seit 1. Sept. 1835 die Rupie (rupee) von 165 Troygrän oder 10,692 g reinem Silbergehalt = 1,9245 Mk. der Talerwährung, jetzt auch in den Schutzstaaten fast allgemein; man teilt sie beim Zoll- und Postwesen in 100 Cents. 1 Rupie = 16 Anna zu 4 Peiß (pice) von 3 Pei (pie); 100,000 Rupien heißen ein Lakh, und das Crore hat 4 Arebs von 25 Lakhs. Als Goldmünze wurde der Mohur (s. Tafel »Münzen V«, Fig. 16) wenig geprägt und ist seit 1853 dem Kurs unterworfen. Gesetzliches Zahlmittel in jeder Höhe sind britische Sovereigns seit 1899 (zu 15 Rupien), indische ganze und halbe Silberrupien. Den schweren Bedrängnissen durch Sinken des Silberwerts hat man bedächtig abgeholfen. Ein Gesetz vom 16. Juli 1861 machte Kassenscheine, seit 1871 von 5 Rupien bis 10,000 aufwärts, zu gesetzlichen Zahlmitteln innerhalb eines bestimmten Landbezirks, und als 1902 ihrer 337 Mill. Rupien im Umlauf waren, zu zwei Dritteln durch Edelmetall und restlich durch Sicherheiten gedeckt, gilt das Papiergeld überall außer Birma als volles Zahlmittel, wogegen keine Bank Noten ausgibt. Durch die Bill vom 26. Juni 1893 wurde das Recht der Privaten, Silbermünzen gegen Barren zu empfangen, beseitigt und einer Rupie bei allen Zahlungen an öffentlichen Kassen 16 Pence engl. gleichgesetzt. Münzstätten sind Kalkutta und Bombay, beide erst 1900 für Neuprägungen der Regierung wieder geöffnet und seitdem stark beschäftigt, weil die vor 1863 angefertigten Stücke eingezogen werden. Der von 1835 ab angesammelte Vorrat an Gold und Silber läßt sich auf je 3000 Mill. Rupien schätzen, er dient hauptsächlich als Schmuck. Alle Silbermünzen werden 11/12 fein geprägt und tragen seit 1903 auf der Vorderseite das Bildnis des Königs mit der Inschrift »Edward VII, King and Emperor« (ebenso die Kupfermünzen), auf der Rückseite »India«, einen beiderseits von der Kaiserkrone überragten Lotuskranz, die Wertbezeichnung in englischer Sprache oben und in Urdu unten. Geprägt werden in Silber 1, 1/2, 1/4 und 1/8 Rupie, in Kupfer 2, 1,1/2 und 1/3 Peiß.
Maße und Gewichte. Das bengalische Göß (guz) von 36 engl. Zoll = 91,438 cm ist seit Anfang 1889 normales Längenmaß für den ganzen Umfang des Kaiserreichs; das Coss hat 2000 Yards = 1828,8 m, das bengalische Bigga (beegah) 1600 Quadratyards = 1337,8 qm. Als Urmaß bestimmte ein Gesetz von 1871 zwar das Kilogramm unter dem Namen ser mit Zehnteleinteilung für Gewichte und Hohlmaße, ohne damit jedoch durchzudringen. Das Mahnd des Zollwesens (Indian Maund) = 40 Sihr (seer) zu 16 Tschittak von 5 Tola enthält 37,324 kg, und das Tola = 11,664 g ist die Einheit des neuen Gold- und Silbergewichts. Im Verkehr verbreitet sind noch das Faktoreimahnd von 33,868 kg, in der Präsidentschaft Bombay ein Kändi von 20 Mahnd = 254,012 kg sowie in der Präsidentschaft Madras ein Mahnd von 11,34 kg. Zahlreiche andre Maße haben sich erhalten, und bei Verschiffungen kommt vorzugsweise das englische Rechnungswesen in Betracht.
Bis 1858 eine Domäne der Ostindischen Kompanie, wurde O. dann zu einer britischen Provinz, deren [223] Generalgouverneur dem Staatssekretär für Indien unterstellt wurde. Am 1. Jan. 1877 nahm Königin Viktoria den Titel Kaiserin von Indien an. Der Generalgouverneur oder Vizekönig, dessen Amtsdauer gewöhnlich auf fünf Jahre bemessen ist, ernennt außer den Gouverneuren von Bombay und Madras, die von dem Kaiser ihre Bestallung empfangen, alle Beamten, die Leutnantgouverneure selbst (vorbehaltlich der Bestätigung durch die Krone), die Chief Commissioners im Council. Die Stellung der einzelnen Landesteile zur Regierung ist aus der Tabelle S. 220 ersichtlich. Sitz der Zentralregierung ist Kalkutta, während der heißen Jahreszeit Simla im Himalaja. Ebenso haben die obersten Verwaltungsbeamten der Provinzen Sommer- und Winterresidenzen. Dem Generalgouverneur steht ein Ausführender Rat (Executive Council) zur Seite, dessen fünf ordentliche Mitglieder auf 5 Jahre von der englischen Krone ernannt werden, sowie ein Gesetzgebender Rat (Legislative Council), bestehend aus dem Ausführenden Rat, 16 vom Vizekönig ernannten Mitgliedern und dem Gouverneur der Provinz, in der die Sitzungen stattfinden. Die Mitglieder des Ausführenden Rates stehen je einem der Staatssekretäre für Inneres, Finanzen, öffentliche Arbeiten, Steuern und Landwirtschaft zur Seite; das Äußere leitet der Generalgouverneur selbst, das Militärische der Commander-in-Chief (seit 1902 Lord Kitchener, s. d.). Der Generalgouverneur kann Krieg erklären, muß aber innerhalb einer bestimmten Zeit dem englischen Parlament davon Mitteilung machen, auch kann er Frieden schließen. Gesetzen und Vorlagen, die Finanzen, Religionsübung, Militärwesen und Auswärtiges betreffen, kann der Generalgouverneur seine Zustimmung versagen oder an den Staatssekretär für Indien in London verweisen, der alle in Indien gefaßten Beschlüsse wieder aufheben kann. Ihm steht gleichfalls ein beratendes Kollegium (Council of India) von 15 Personen zur Seite, die er selbst ernennt. Zehn davon müssen mindestens zehn Jahre in Indien gelebt haben. Ist die Zustimmung dieses Rates zu den Vorlagen des Staatssekretärs erfolgt, so gibt dieser einen Erlaß with council, sonst (gegen die Majorität des Rates) einen Erlaß in council. Auch die Gouverneure von Bombay und Madras, die direkt mit dem Staatssekretär für Indien korrespondieren, und der Leutnantgouverneur von Bengalen haben einen Gesetzgebenden Rat, dessen Mitglieder sie ernennen, doch hat der Generalgouverneur die Vorlage von Gesetzen zu genehmigen. Hohe Gerichtshöfe bestehen für die Präsidentschaften Bombay und Madras sowie für Bengalen und die Vereinigten Provinzen, doch kann an das Gerichtskomitee des Geheimen Rates in London appelliert werden; das Pandschab und Birma haben Obergerichte, die übrigen Provinzen Einzelrichter. Neben den vom englischen Parlament und den Gesetzgebenden Räten in Indien erlassenen Gesetzen gelten auch Hindu- und mohammedanische Gesetze und solche betreffs besonderer Kasten und Stämme. Die obersten Richter werden in England ernannt, die übrigen Beamten von der indischen Regierung, jedoch erst nach Ablegung einer Prüfung in England. Die Provinzen zerfallen in Divisionen, diese in Distrikte (im ganzen 250). Die neue Nordwestgrenzprovinz wurde 9. Nov. 1901 aus dem Hazaradistrikt, den vier Trans-Indusdistrikten des Pandschab und einigen Agentschaften (Dir, Swat, Tschitral, Chaiber, Kurram, Tochi und Wara) geschaffen.
Die heimischen Fürsten, deren Zahl 601 beträgt, besitzen nur zum vierten Teil erblichen Rang, zugleich mit dem Recht, in Ermangelung eines leiblichen Erben einen Nachfolger zu adoptieren. Die englische Regierung läßt den Fürsten ziemlich freie Hand, überwacht sie aber durch politische Agenten. Die mächtigsten der indischen Fürsten sind der Nizam von Haidarabad, die Maharadschas von Sindia (Gwalior), Dschaipur, Travankor, Kaschmir, Dschodhpur, Patiala, Udepur, Bhartpur, der Holkar von Indor, der Gaikwar von Baroda und die Begum von Bhopal.
Finanzen. Die englische Verwaltung hat meist die althergebrachten Zustände, die altindischen u. mohammedanischen, angenommen; 1904/05 betrugen die Einnahmen 1,202,229,000, die Ausgaben 1,188,448,000 Rupien. Davon kamen bei den Einnahmen auf Grundsteuer 294, Opiumsteuer 74,3, Salzmonopol 77, Stempelsteuer 54,6, Akzise 75,8, Eisenbahnen 324,2, Bewässerung und andre öffentliche Arbeiten 44,4; bei den Ausgaben auf Eisenbahnen 318,9, Bewässerung 40,6, Armee 286,7, Zinsen der öffentlichen Schuld 23,7, Zivilgehälter 191,9 Mill. Rupien. Von den Ausgaben wurden 275,4 Mill. in England gemacht. Die Staatsschuld erreichte 1903: 3300 Mill. Rupien, davon waren konsolidierte Schuld 1175,5 in Indien, 1954,4 in England zahlbar, dazu 170,3 Mill. nichtkonsolidierte Schuld.
Die Bestandteile des englisch- oft indischen Heeres sind: 1) die reguläre Armee, von der 52 Bataillone, 9 Kavallerieregimenter, 45 Feld-, 11 reitende, 8 Gebirgsbatterien, 6 bespannte Fußartilleriebataillone national-englische Truppen (Ersatz aus dem Heimatland), 140 Bataillone, 39 Kavallerieregimenter, 10 Gebirgsbatterien, eine Fußartilleriekompanie, 20 Pionierkompanien angeworbene Eingebornentruppen sind; Friedensstärke der erstern 74,657, der letztern 156,870, Kriegsstärke rund 63,000, bez. 160,000 Mann. 2) Die Reserve der Eingebornenarmee, aus gedienten Unteroffizieren und Mannschaften von 512jähriger Dienstzeit bestehend, etwa 20,000 Mann stark, die Lord Kitchener auf 50,000 zu erhöhen gedenkt, bestimmt zur Ergänzung der Eingeborneninfanteriebataillone. Die Leute üben 2 Monate jährlich. 3) Die Reichstruppen (Imperial service troops, seit 1889); es sind Truppen indischer eingeborner Fürsten, die der Regierung im Kriege zur Verfügung gestellt werden. Die Ausbildung erfolgt unter englischer Aussicht, wofür 1 Generalinspekteur und 18 Inspektionsoffiziere angestellt sind; Stärke 1904 etwa 16,200 Mann. 4) Die Freiwilligen, etwa 30,000 Mann, aus Europäern und Mischlingen bestehend, in Infanterie, Kavallerie, berittene Infanterie und Artillerie eingeteilt, zum Schutz der europäischen Niederlassungen bei einem Aufstand und zum Schutz der Eisenbahnen bestimmt. Die Organisation ist auf das energische, verdienstvolle Betreiben des Höchstkommandierenden, Lord Kitchener, zurzeit in einer Umgestaltung begriffen, durch die eine kraftvolle Verwendung der Streitkräfte ohne Zeitverlust gewährleistet ist. Die Stellung des Höchstkommandierenden gegenüber dem Vizekönig ist jetzt wesentlich selbständiger als früher. Die Dislokation war früher so weitläufig, daß größere Truppenübungen ausgeschlossen, die Mobilmachung erschwert war; die Zahl der Garnisonen wird jetzt vermindert. ihre Stärke erhöht, für Ausbau der Eisenbahnen gesorgt. Früher waren nur wenige höhere Stäbe vorhanden, Bataillon, Kavallerie regiment und Artillerieabteilung bildeten die größten taktischen Einheiten. Jetzt bestehen 3 Commands: Pandschab, Bengalen, Bombay, jedes zu 3 Divisionen (rund 1516,000[224] Mann), zu 3 Infanteriebrigaden (je 4 Bataillone), einer Kavalleriebrigade (3 Regimenter und eine reitende Batterie) und Divisionstruppen (2 Bataillone. ein Kavallerieregiment, 7 Batterien, 3 Pionierkompanien). Das nunmehrige Vorhandensein aller nötigen höhern Stäbe wird Mobilmachung, Ausbildung und Führung sehr günstig beeinflussen. Die Trains sind mit Rücksicht darauf, daß gewisse Eingeborne aus religiösen Gründen keine handwerksmäßigen Arbeiten verrichten, sehr stark: 21 Maultierkorps, 18 Cadres für Maultierkorps, 2 Cadres für Ponytrains, 13 Kamelkorps mit zahlreichen Followers (Arbeitern). Bewaffnung: Die Infanterie führt bei den Grenzkorps das kurze Lee-Enfield-Gewehr, M/1903, sonst das lange Lee-Enfield-Gewehr M/95, Kaliber 7,7 mm; welches von beiden durchweg zur Einführung gelangt, scheint noch nicht festzustehen (s. Handfeuerwaffen, S. 752, unter Großbritannien). Bei der Artillerie wurden ausgerüstet: die fahrenden Batterien mit einem 8,38 cm-Rohrrücklaufgeschütz (18-Pfünder Schnellfeuerkanone Mark 1), die reitenden mit einem 7,62 cm-Rohrrücklaufgeschütz (13-Pfünder Schnellfeuerkanone Mark 1), die Gebirgsartillerie führt die 7,5 cm-Maxim-Nordenfeldt-Kanone, ihr früheres 6,3 cm-Geschütz soll abgeschafft werden. Eine 10 cm-Haubitze soll im Versuch sein. In Quetta wird eine Kriegsakademie, soweit bis jetzt bekannt mit zweijährigem Kursus, eröffnet. Vgl. Paul, Imperial army of India, its history, government, etc. (Lond. 1902); W. v. Bremen, Die Kolonialtruppen und Kolonialarmeen der Hauptmächte Europas (Bielef. 1902); Loebells »Jahresberichte über die Veränderungen und Fortschritte im Militärwesen«.
Die Flotte bestand 1905 aus einer kleinen Zahl veralteter Torpedoboote und Hafenschiffe verschiedener Art, ohne Gefechtswert. Die englischen Geschwader auf der ostindischen und ostasiatischen Station verteidigen O. zur See. Die Flagge des Generalgouverneurs ist die britische, darauf ein blaues Band auf strahlendem goldenen Felde mit der Inschrift: »Heaven's light our guide«. Es bestehen sechs Orden: der Orden des Sterns von Indien, Kaiserlicher Orden des Indischen Reiches, Kaiserlicher Orden der Krone von Indien, Orden des Britischen Indien, Verdienstorden für eingeborne Soldaten und Militärorden für die Eingebornen von Britisch-Indien (s. Orden mit Tafeln).
[Geographisch-statistische Literatur.] Vgl. Monier Williams, Modern India and the Indians (4. Aufl., Lond. 1887); Dowson, Classical dictionary of Hindu mythology and religion, geography, history, etc. (das. 1879); Wilkins, Hindu mythology (2. Aufl., das. 1900); Schlagintweit, Indien in Wort und Bild (2. Aufl., Leipz. 1890, 2 Bde.); Watson und Kaye, The people of India, Photographien (Lond. 186670, 4 Bde.); R. D. Oldham, Manual of the geology of India (das. 1893); Reclus, L'Inde et l'Indochine (Bd. 8 der »Nouvelle géographie universelle«, Par. 1883); G. Smith, Geography of British India (Lond. 1883); Strachey, India (3. Aufl., das. 1903); Balfour, Cyclopaedia of India (3. Aufl., das. 1885, 3 Bde.); Mantegazza, Indien (deutsch, Jena 1885); Hunter, Imperial Gazetteer of India, Hauptwerk (2. Aufl., Lond. 188587, 14 Bde.), daraus besonders: »The Indian empire, its history, people and products« (2. Aufl. 1893); E. G. Ravenstein, Gazetteer of India (das. 1900); Haeckel, Indische Reisebriefe (4. Aufl., Berl. 1903); Garbe, Indische Reiseskizzen (das. 1889); E. Schmidt, Reise nach Südindien (Leipz. 1894); Baden-Powell, The land systems of British India (Oxford 1892, 3 Bde.); Macgeorge, Ways and works in India (Lond. 1894); Watt, Dictionary of economic products of India (das. 1893, 6 Bde.); Hopkins, The religions of India (Boston 1895); Ragojin, Vedic India (Lond. 1895); Ribbentrop, Forestry in British-India (Kalkutta 1900); Mukherji, Handbook of indish agriculture (das. 1901); G. W. Forrest, Cities of India (Westminster 1903); Buckley, Irrigation works of India (2. Aufl., Lond. 1905); Arnold, Das indische Geldwesen (Jena 1906). Karten: Constable, Hand Atlas of India (Westminster 1893); Johnston, Atlas of India (Edinb. u. Lond. 1894); »Statistical Atlas of India« (2. Aufl., Lond. 1895); eine große Karte des Survey of India in 1:1,000,000 hat zu erscheinen begonnen; vgl. auch die Textbeilage zum Artikel »Landesaufnahme« und die Geschichtskarte bei Artikel »Großbritannien«. Reisehandbuch von Murray (5. Aufl., Lond. 1905). Weiteres in den Artikeln: Indische Kunst, Indische Philosophie, Indische Religion, Kaste etc.
Vorderindien ward in ältester Zeit von wilden Volksstämmen schwarzer Farbe (Dasyu) bewohnt. Im 3. Jahrtausend v. Chr. wanderte ein Zweig des großen Völkerstammes der Indogermanen oder Arya von Nordwesten her in das Gebiet des Indus ein und nahm von diesem Strome den Namen Inder (Hindu) an. Über 1000 Jahre führten die arischen Inder im Lande der fünf Ströme, in viele Stämme geteilt, unter Häuptlingen und Königen ein seßhaftes Hirten- und Landleben, verehrten den Donner- und Regengott Indra und die übrigen Naturmächte mit Liedern und Opfern und breiteten ihre Herrschaft bis zur Mündung des Indus aus; die Ureinwohner des Landes wurden von ihnen verdrängt. Von einer Verbindung mit Vorderasien gibt die Erzählung des Ktesias von dem Zuge der Semiramis nach Indien Kunde, die wohl auf irgendeine geschichtliche Tatsache zurückgehen mag, wie denn auch Handelsbeziehungen mit den Babyloniern und Phönikern bestanden haben mögen. Im 14. Jahrh. v. Chr. drangen die Inder nach Osten vor und eroberten in jahrhundertelangen Heldenkämpfen, verherrlicht in den Nationalepen Râmâyana und Mahâbhârata, das Gangesland, das sie dann mit noch größerer Anstrengung gegen spätere Einwanderer verteidigen mußten. In diesen Kämpfen erschöpfte sich der kriegerische Geist des Volkes, wozu auch das erschlaffende Klima und die große Fruchtbarkeit Bengalens beitrugen, und so gewann der Priesterstand, die Brahmanen, die Herrschaft und gewöhnte das Volk durch Umbildung der Götterlehre und durch religiöse Gesetze an ein beschauliches Leben und bloß friedlichen Erwerb. Indra wurde zurückgedrängt, Brahma, die Weltseele, höchste Gottheit; die strenge Kastenordnung lähmte jede freie Kraftentfaltung des Volkes; die zahllosen kleinlichen Zeremonien und Ritualvorschriften, die Lehre von den Wiedergeburten und Höllenstrafen, die finstere Asketik ertöteten allen Lebensmut. Auch das Staats- und Rechtswesen brachten die Priester durch das angeblich von Mann herrührende Gesetzbuch unter ihre Herrschaft und unterwarfen das Volk einem königlichen Despotismus, der jede politische Selbständigkeit unterdrückte. Dagegen förderten sie nicht die Bildung eines oder mehrerer größerer Staaten. O. zerfiel vielmehr in eine Menge kleiner oder größerer Reiche ohne allen Zusammenhang miteinander, die keine Kra st besaßen,[225] die Eroberung Dekhans zu vollenden und den fremden Eroberern erfolgreichen Widerstand entgegenzusetzen. Die Inder, abgestoßen vom wirklichen Leben, flüchteten sich ganz in die Welt der Phantasie.
Im 6. Jahrh. v. Chr. erstand der Buddhismus (s. d.) als eine Reaktion gegen das Brahmanentum (vgl. Purna Chandra Mukherji, A report on a tour of exploration of the antiquities in the Tarai, Nepal, the region of Kapilavastu; Kalkutta 1901). Obwohl schließlich aus O. verdrängt, übte er doch auf die Umgestaltung der brahmanischen Religion durch die Lehre von den Inkarnationen und der Trimūrti einen wesentlichen Einfluß aus. Doch den passiven Charakter des Volkes veränderte er nicht, und nach dem Siege des Brahmanentums nahmen die Inder nicht nur seine Religion mit allen Dogmen und Zeremonien wieder an, sondern hingen auch seitdem an ihr mit unüberwindlicher Zähigkeit.
Schon Dareios I. von Persien eroberte 517 einen Teil des Indusgebiets. Alexander d. Gr. drang 326 bis an die Ostgrenze des Pandschab vor und fuhr den Indus bis zu seiner Mündung hinab; er gründete Kolonien in dem eroberten Land und ließ mazedonische Truppen zurück. Das Verdienst, die fremden Krieger vertrieben zu haben, wird dem König Tschandragupta (Sandrokottos, 316296) zugeschrieben, der, in Patna residierend, fast das ganze nördliche Indien unter seiner Herrschaft vereinigte. Sein Enkel Asoka (269232) begünstigte die Ausbreitung des Buddhismus; sein Reich erstreckte sich bis an den Ganges. Im letzten Jahrhundert v. Chr. bemächtigten sich skythische Völker aus Hochasien, die Saka, des Pandschab; aus dem mittlern Indien wurden sie vom König Wikramāditya von Malwa 57 v. Chr. (mit diesem Jahre beginnt die Samwat-Ära) wieder vertrieben. Am 15. März 78 n. Chr. wurde der bedeutendste der Indoskythen, Kanishka, gesalbt (seitdem die Saka-Ära).
Von Iran aus drangen 705 die Araberin Sind ein; völlig erobert wurde es 712 vom Meer aus durch den arabischen Statthalter von Chorasan, Mohammed ben Kasim, der drei Statthalterschaften errichtete, und dessen Nachfolger auch die Halbinsel Gudscharat besetzten. 1001 unternahm der Ghasnawide Mahmud seinen ersten Heereszug nach Indien; auf den weitern Kriegszügen drang er bis Dehli vor und zerstörte Städte und Tempel. Doch behaupteten die Ghasnawiden dauernd nur die Indusprovinzen, bis sie Ende des 12. Jahrh. von den afghanischen Ghoriden gestürzt wurden. Sultan Schahab ed-dîn aus dieser Dynastie eroberte 1190 das Pandschab, ward jedoch siebenmal vom König Prithwiradscha von Dehli zurückgeschlagen. Erst 1192 siegte er am Flusse Saraswati (Gogra) und brachte Dehli unter seine Gewalt; in allen unterworfenen Ländern wurde der Islam ausgebreitet. Auf die erste von Schahab ed-dîn begründete Dynastie folgten in Hindostan noch vier afghanische Dynastien bis 1526, die jedoch in Dekhan und dem nordöstlichen Indien nur vorübergehend Einfluß gewannen.
Der letzte afghanische Sultan von Dehli, Ibrahim, fiel 1526 bei Panipat im Kampf gegen den tatarischen Sultan Baber, der nun das Reich der Großmoguls gründete. Der bedeutendste war Akbar (15561605), der seine Waffen siegreich bis zur West- und Ostküste trug, großartige Paläste und Moscheen erbaute und eine vortreffliche Verwaltung schuf. Sein Sohn Dschihangir (160527) war grausam, dabei aber kunstliebend und duldsam; unter dessen Sohn Aurangzêb (16581707) erreichte das Reich seine größte Ausdehnung, zerfiel jedoch bald nach seinem Tode. Die mohammedanischen Statthalter und die Hindu-Radschas, denen ihr Land gegen bestimmte Abgaben zu Lehen gegeben war, machten sich mehr und mehr unabhängig. Besonders das von Siwadschi (gest. 1682) gegründete Reich der Mahratthen (s. d.) wurde dem Großmogul gefährlich. 1739 überzog der persische Schah Nadir Hindostan mit Krieg, richtete in Dehli ein schreckliches Blutbad an und schleppte eine ungeheure Beute (angeblich 2500 Mill. Mk.) mit sich fort. Ein Einfall der Afghanen unter Ahmed Schah Abdalli (1760) befreite Nordindien von der Herrschaft der Mahratthen, die es 1758 erobert hatten, durch die Schlacht bei Panipat (6. Jan. 1761), verhalf aber dem Großmogulreich nicht zu neuer Macht.
Inzwischen war 1498 nach der Umschiffung Afrikas der Portugiese Vasco da Gama in Kalikat an der Küste Malabar gelandet, wo er von dem einheimischen Landesfürsten mit Ehren aufgenommen wurde. Die Portugiesen machten sich aber bald durch Grausamkeit und Einführung der Inquisition verhaßt. Gleichwohl entrissen sie den Arabern den einträglichen Handel mit O. und befestigten unter den Vizekönigen Almeida und Albuquerque ihre Herrschaft; 1509 nahmen sie Goa ein. Als Portugal unter spanische Herrschaft kam (1580), suchten sich die Holländerin O. festzusetzen und gründeten 1594 die Holländisch Ostindische Handelskompanie, der 1600 eine englische, 1616 eine dänische, 1664 eine französische folgten. Die niederländische Handelskompanie, die ihr Hauptaugenmerk auf die Inseln richtete, und die dänische gelangten auf dem Festland zu keiner Bedeutung; die Besitzungen der erstern gingen Mitte des 18. Jahrh., die der letztern (Trankebar, Frederiksnagar und Serampur) 1845 durch Kauf an England über. Die Englisch-indische Handelskompanie gab sich 1612 eine festere Organisation und erhielt 1624 die peinliche Gerichtsbarkeit verliehen; von da an ward die Handelsgesellschaft zugleich als politische Regierung anerkannt. Die erste Faktorei ward 1612 mit Bewilligung des Großmoguls Dschihangir in Surate gegründet, der an der Ostküste 1620 Masulipatam und Armaghon folgten. 1639 ward das Fort St. George in Madras erbaut; 1640 gelangten die ersten englischen Schiffe nach der Mündung des Hugli in Bengalen. Durch Nachgiebigkeit und Unterstützung des einen Gewalthabers gegen den andern gelangten die Engländer zu vorteilhaften Handelsverträgen. Wichtig waren der Erwerb der Insel Bombay, die, 1532 von den Portugiesen besetzt, 1661 als Mitgift der Gemahlin Karls II. an die englische Krone kam und von dieser 1668 an die Handelskompanie abgetreten wurde, und die Gründung des Forts William am Hugli (Kalkutta).
Die von Colbert gegründete Französisch-ostindische Handelskompanie blühte anfangs rasch auf, erwarb 1674 durch Kauf Ponditscherri und Tschandernagor in Bengalen und hatte auch vorübergehend (174648) Madras im Besitz (vgl. Dupleix). Fast ganz Südindien war damals dem Nizam von Haidarabad untertan; der Nabob von Karnatik (Arkot) war sein Vasall. Die Franzosen begünstigten Tschanda Sahib, einen Nachkommen der Dynastie, welcher der Nizam die Nabobwürde von Karnatik entzogen hatte, während die Engländer dessen Feind, den Fürsten von Tandschor, einen Vasallen der Mahratthen, unterstützten. In dem sich nun entspinnenden Kampf erfochten die Franzosen Sieg auf Sieg, bis Clive die [226] Führung der Engländer erhielt und durch die Einnahme von Arkot (30. Aug. 1751) dem Krieg eine andre Wendung gab; er befreite Tritschinapalli von der französischen Belagerungsarmee und nahm diese im Juni 1752 gefangen. Clive wandte sich darauf nach Bengalen, wo der Nabob Suradsch ed-daulah 1756 Kalkutta eingenommen und in einem Raum von nur 20 Quadratfuß, das »schwarze Loch« genannt, 146 gefangene Engländer eingesperrt hatte, die bis auf 23 den Erstickungstod starben. Mit 3000 Mann, worunter 900 Engländer, schlug Clive 23. Juni 1757 das 60,000 Mann starke Heer des Gegners bei Plassey, machte ungeheure Beute (über 40 Mill. Mk.) und erwarb die ersten Territorialrechte in Bengalen. Den französischen General Lally Tollendal, der nach der Einnahme der englischen Feste David (im April 1758) Madras belagerte, zwang er zum Rückzug und nahm den Franzosen mehrere Plätze ab. Im Pariser Frieden (10. Febr. 1763) erhielten diese Ponditscherri und Tschandernagor zurück; 1770 jedoch löste sich die Französisch-ostindische Kompanie auf, und England hatte nun in O. keinen europäischen Nebenbuhler mehr zu bekämpfen. Der mit dem Fürsten von Audh verbündete Nabob von Patna wurde 23. Okt. 1764 von Clive bei Baksar geschlagen, und 1765 erlangte die Ostindische Kompanie das Recht der Steuererhebung und Zivilverwaltung in ganz Unterbengalen und Bihar. In Südindien gingen die Engländer zunächst noch vorsichtig vor. Als der Nizam von Haidarabad sich mit Haider Ali von Maisur gegen sie verbündete, mußten sie sich 3. April 1769 zu einem schimpflichen Vertrag bequemen. Der Sieg des Generals Sir E. Coote (2. Juni 1782) und der Tod Haider Alis (10. Dez.) gaben ihnen aber auch hier das Übergewicht.
In Anbetracht dieser Gebietserwerbungen hatte das englische Parlament 1773 die Verhältnisse der Ostindischen Kompanie geregelt und namentlich bestimmt, daß Kriegserklärungen und Verhandlungen über Ländererwerb stets dem englischen Ministerium vorgelegt werden müßten; an der Spitze der indischen Besitzungen sollte ein Generalgouverneur stehen. Pitts India-Bill vom 18. Mai 1784 setzte in England einen Aufsichtsrat (Board of control) ein, dessen Präsident ein verantwortlicher Minister war. Die Vorrechte der Kompanie wurden aber 1793 auf 20 Jahre verlängert. Erster Generalgouverneur (seit 1773) waren Warren Hastings, der ohne Rücksicht auf die Verträge mit den indischen Fürsten das Gebiet der Kompanie den Ganges aufwärts erweiterte und Bengalen vortrefflich organisierte, aber nicht bloß sich selbst bereicherte, sondern dies auch seinen Beamten gestattete und die Einwohner damit unsäglichen Bedrückungen preisgab. Hastings wurde 1785 durch Lord Cornwallis (17861793) ersetzt, der Haider Alis Sohn Tippu Sahib von Maisur, welcher den Engländern den Krieg erklärt hatte, unterstützt von dem Nizam von Haidarabad und den Mahratthen, glücklich bekämpfte, ihn 1791 bei Bangalor besiegte und in Seringapatam einschloß, so daß Tippu 1792 Malabar und Kurg abtreten mußte. Unter Lord Wellesley (17981805) erneuerte Tippu 1799 den Krieg; doch fiel er 4. Mai bei der Erstürmung seiner Hauptstadt Seringapatam. Der größere Teil von Maisur wurde unter direkte englische Herrschaft gestellt, das Binnenland den Nachkommen Tippus belassen, bis es 1832 wegen schlechter Regierung ebenfalls in englische Verwaltung genommen wurde. Nachdem sich Wellesley durch den Vertrag von Bassein (31. Dez. 1802) festen Einfluß in Puna, der Hauptstadt des Peischwa, gesichert hatte, besiegte er den Sindia in der Schlacht bei Assaye (23. Sept. 1803), während das andre, weniger mächtige Oberhaupt der Mahratthen, der Holkar von Indor, seine Unabhängigkeit behauptete und der Sindia nach Wellesleys Abberufung seine Residenz Gwalior zurückerhielt. Der Marquis von Hastings (181323) zwang den Holkar, der sich mit den Räuberbanden der Pindari vereinigt hatte, 1817 durch den Sieg bei Mehidpur, sich unter britischen Schutz zu stellen; die Pindari wurden unterworfen und Puna, der Sitz des Peischwa, zu Bombay geschlagen. Nepal mußte im Vertrag von Sigauli (4. März 1816) Kamaon abtreten und wurde dadurch von Kaschmir getrennt. Lord Auckland (183642) begann den an Wechselfällen reichen Krieg mit Afghanistan (s. d., S. 131). Lord Ellenborough (184244) erwarb Sind, das Land am untern Indus. 1845 griffen die Sikh (s. d.) das britische Gebiet an und erhoben sich, 1846 zum Frieden von Lahor gezwungen, 1848 von neuem. Nach ihrer Niederlage bei Gudschrat (21. Febr. 1849) wurde ihr Reich mit Britisch-Indien vereinigt; sonst war das »Anheimfallen« einheimischer Staaten der Grundsatz Earl Dalhousies (184856; vgl. Lee- Warner, The life of Marquis of Dalhousie, Lond. 1904, 2 Bde.). Pegu in Hinterindien ward 1852 nach einem Krieg mit Birma erworben, Audh 1856 einverleibt. Der mit 30. April 1854 abgelaufene Freibrief der Kompanie wurde nicht erneuert, sondern durch Gesetz vom 4. Mai 1854 die Aufsichtsrechte der Krone erweitert und bestimmt, daß die Verhältnisse der Kompanie jederzeit gesetzlich geregelt werden könnten.
Unter dem Generalgouverneur Viscount Canning (185662) brach der große indische Aufstand aus. Den an sich geringen Anlaß gab die Einführung der Enfieldbüchse und deren mit Rindertalg und Schweineschmalz (ersterer den Hindu, letzteres den Mohammedanern ein Greuel) bestrichenen Patronen bei den eingebornen Truppen (Sepoys oder Sipahis). In Mirat bei Dehli kam es 10. Mai 1857 zuerst zu einer Empörung: die Rebellen entkamen nach Dehli, wo drei eingeborne Regimenter sich ihnen anschlossen. Europäer, die sich nicht geflüchtet hatten, wurden ermordet und der Großmogul Mohammed Bahadur Schah, dessen Macht bisher nur ein Schein gewesen, an die Spitze gestellt. Rasch verbreitete sich nun der Aufstand über ganz Hindostan; in Khanpur wurden die Briten, die sich in ein Hospital gerettet hatten, auf Befehl Nana Sahibs ermordet. Das Pandschab dagegen stellte zuverlässige Soldaten gegen die Aufständischen, und in den Präsidentschaften Madras und Bombay schlossen sich die Truppen nur vereinzelt der Bewegung an. Die Entscheidung knüpfte sich an den Besitz von Dehli; es wurde daher regelrecht belagert und 20. Sept. 1857 unter furchtbarem Blutvergießen erstürmt. Auch das übrige Hindostan wurde allmählich unterworfen, Lakhnau 19. März 1858 und Gwalior 18. Juni. Der Scheinherrschaft des Großmoguls ward ein Ende gemacht.
Für die Verwaltung Indiens ward der Sepoy-Aufstand zum entscheidenden Wendepunkt. Durch Gesetz vom 2. Aug. 1858 wurde jene auf die englische Krone übertragen; der Generalgouverneur nahm den Titel Vizekönig an. Unter den Mohammedanern dauerte die Gärung einige Zeit fort; so ward 1863 in Patna eine Verschwörung (Patna-Anschlag) im Keim erstickt, und durch strenge Ausnahmegesetze wurden die fanatischen Sekten der Wahabi im Pandschab und Mophla (Mapilla) in Malabar im Zaum gehalten. 1863 mußte ein Krieg gegen [227] Bhutan geführt werden. Doch widmeten sich nun die Vizekönige vorzugsweise der innern Verwaltung, der Regelung des Steuerwesens und der Linderung der periodisch auftretenden Hungersnöte (s. unten). Durch Parlamentsakte vom 29. April 1876 legte sich die Königin Viktoria den Titel »Kaiserin von Indien« (»Empress of India, Kaiser-i-Hind«) bei, und der Vizekönig Lord Lytton verkündete 1. Jan. 1877 in Dehli unter großen Feierlichkeiten die Errichtung des Indischen Kaiserreichs. Im Innern wurde es durch Ordnung seiner Finanzen, Einführung von Zöllen und Organisation seiner Gerichte möglichst selbständig gemacht. Nach außen hin entfaltete es seine Kräfte in den Kriegen mit Afghanistan (s. d.) und Birma, das 1886 mit Indien vereinigt wurde. Sowohl 1877 bei der Bedrohung Konstantinopels durch die Russen und 1882 in Ägypten als auch 1900 im Kriege gegen die beiden Burenrepubliken konnte England indische Truppen verwenden und die Kosten dem indischen Budget zur Last legen. Glänzend verlief unter Beteiligung des Herzogs von Connaught und eines halben Taufen ds eingeborner Fürsten die Ausrufung König Eduards VII. zum Kaiser-i-Hind in Dehli (29. Dez. 1902 bis 1. Jan. 1903).
Dennoch bietet die britische Verwaltung genug der Angriffspunkte. Abgesehen von der Pest, die z. B. allein in der Präsidentschaft Bombay im Oktober 1903 an 14,000 Menschen hinwegraffte, ist namentlich Hungersnot seit 1873 fast zu einer ständigen Einrichtung in O. geworden: 18991900 waren 81 Mill. Menschen (30 Proz. der Gesamtbevölkerung auf 40 Proz. vom Flächeninhalt) davon betroffen. Unter solchen Umständen ist es nicht verwunderlich, daß die indischen Nationalkongresse, die seit zwei Jahrzehnten in Ahmedabad, Bombay und andern Städten abgehalten werden, in ihrem Verlangen nach Reformen (in Verwaltung und Besteuerung, Unterrichtswesen, Kleingrundbesitz und andern Fragen) bei aller Loyalität immer dringlicher werden. Auch sonst machten sich Schwierigkeiten geltend. Die Notwendigkeit, vor allem die schon wegen der schwankenden Haltung Afghanistans unsichere Nordwestgrenze des Reiches zu schützen und die Wehrkraft des ganzen Landes möglichst zu heben, hatte militärische Maßnahmen des Oberstkommandierenden Lord Kitchener (s. d.) im Gefolge, die teilweise die Billigung des militärischen Mitgliedes des Indischen Rates nicht fanden; und als in Verfolgung dieses Kompetenzkonflikts die Befugnisse Lord Kitcheners entsprechend erweitert werden sollten, reichte der damit nicht einverstandene Vizekönig Lord Curzon (s. d.), der sich in einer außergewöhnlich langen Amtszeit beträchtliche Verdienste um O. erworben hatte, seine Entlassung ein und wurde 16. Aug. 1905 durch den Earl of Minto ersetzt. Die Teilung Bengalens in zwei Provinzen stieß im Sept. 1905 auf eine heftige Gegenbewegung unter den Hindu.
In der äußern Politik waren gewisse Fortschritte unverkennbar; wichtig in dieser Hinsicht sind die Expedition nach Tibet (s. d.) 1904 und der am 12. Aug. 1905 mit dem siegreichen Japan abgeschlossene Zwei bund, der den Bestand des anglobritischen Reiches ausdrücklich verbürgt. Unter diesen Auspizien trat 19. Okt. das britische Thronfolgerpaar seine indische Reise an, die im Mai 1906 ihr Ende fand.
[Geschichtsliteratur.] Vgl. Lassen, Indische Altertumskunde (2. Aufl., Leipz. 1866 ff., 4 Bde.); K. Fr. Neumann, Geschichte des englischen Reichs in Asien (das. 1857, 2 Bde.); v. Orlich, Indien und seine Regierung (das. 185961, 2 Bde.); Elphinstone, History of India. Hindu and Mahometan periods (9. Aufl. von Cowell, Lond. 1905); Kaye u. Malleson, History of the Indian mutiny (neue Ausg., das. 1897, 6 Bde.); Wheeler, History of India from the earliest ages (das. 186881, 4 Bde.) und India under British rule (das. 1886); H. M. Elliot, History of India as told by its own historians: The Mussulman period (das. 186977, 8 Bde.); Keightley, Geschichte von Indien (deutsch, 3. Aufl., Leipz. 1874); Digby, The famine campaign in Southern India (Lond. 1878, 2 Bde.); Lefmann, Geschichte des alten Indien (Berl. 188190); M. Müller, Indien in seiner weltgeschichtlichen Bedeutung (deutsch, Leipz. 1884); Trotter, History of India under Queen Victoria (Lond. 1887, 2 Bde.); Dutt, History ot civilisation in ancient India (Kalkutta 188990, 3 Bde.), Economic history of British India (Lond. 1902) und India in the Victorian age (das. 1904); Keene, History of India (das. 1893, 2 Bde.); Cuppy, The rise of the Anglo-Indian empire (1893); Lyall, Rise and expansion of the British dominion in India (2. Aufl., das. 1894); Lee- Warner, The protected princes of India (das. 1894); P. N. Bose, History of Hindu civilisation during british rule (das. 1896 ff., 4 Bde.); Sir W. W. Hunter, History of British India (das. 18991900, 2 Bde.) und The India of the Queen (das. 1903); D. C. Boulger, India in the 19. century (das. 1901); MacCrindle, Ancient India (Westminster 1901); Emil Schmidt im 2. Bande von Helmolts »Weltgeschichte« (Leipz. 1902); Garbe, Beiträge zur in dischen Kulturgeschichte (Berl. 1903); Irvine, The army of the Indian moghuls (Lond. 1904); Lane-Poole, Mediaeval India under mohammadan rule 7121764 (das. 1903); Cotton, New India (2. Aufl., das. 1904); G. W. Forrest, History of the indian mutiny (neue Ausg., das. 1904, 2 Bde.); Vincent A. Smith, The early history of India, from 600 b. C. to the muhammadan conquest (Oxford 1904); Sherring, History of Protestant missions in India (2. Aufl., Lond. 1884); Richter, Indische Missionsgeschichte (Gütersl. 1906). Über die Entdeckungsgeschichte Indiens vgl. noch Art. »Asien«, S. 865 ff., und Clifford, Further India, story of exploration (Lond. 1905).
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