1. All, was du siehst, urtheile nicht; all, was du hörest, glaube nicht; all, was du weisst, sage nicht; all, was du kannst, thue nicht. – Hertz, 45.
2. Alles, was ich sihe, das will ich; drumb wird mir wenig, das ist billich.
Lat.: Qui lucra lente fugit, damna repente subit. (Sutor, 24.)
3. Als wenig wir gleich sehen, so wenig sind wir gleich gesinnt. – Schottel, 1124b.
4. An einem andern kann man leicht sehen, was man Lust zu tadeln hat. – Oec. rur., VI, 185.
5. Bann de nett geséä kôst, ze fass de Katz önnerm Aerm. (Henneberg.)
Erinnert an die Gellert'sche Fabel: »Von ungefähr muss einen Blinden u.s.w.« Wenn einer sagt: »Ich kann nicht sehen«, so pflegt der andere mit dem obigen Sprichwort zu antworten: »Wenn du nicht sehen kannst, so nimm die Katze unter den Arm.«
6. Besser einer vom Sehen, als vom Hören zehn. (S. ⇒ Auge 78 und Augenzeuge ⇒ 2 u. ⇒ 3.) – Graf, 457, 525.
7. Besser gut gesehen eider (als) schlecht gehöret. – Blass, 7.
Bei Gericht wird der Augenzeuge dem Ohrenzeugen vorgezogen.
8. Better een van sien, dann van hören thien. (S. ⇒ Augenzeuge 2.) (Westf.) – Tappius, 11a; Körte, 5519.
9. Bi wellt mal saihen, bu de Lame danssen kann, sach de Blinne. (Grafschaft Mark.) – Woeste, 63, 24; für Mecklenburg: Günther, III.
10. Biss, der du wilt gesehen sein. – Franck, I, 158a.
11. Dâr sast mal sehn, segt de Blinn', woans de Lahm dansen kann. – Hoefer, 66.
12. Das möchte (wollte) ich sehen, sagte der Blinde.
Engl.: That would I fain see, said blind George of Hollowee. (Bohn I, 177.)
13. Datt mütt 'k doch seihn, seggt dei Blinn, voans der Lahm danzen kann. (Mecklenburg.) – Raabe, 103.
14. De nêt sehn will, de helpt gên Brill of Kêrs. – Kern, 1085; Eichwald, 1709.
15. De sien nicht alle scheel, de over de siden (halve) sên. – Lübben.
16. Der alles sihet vnd weisst, lasst jhn nit auff den Ermel malen. – Henisch, 926, 6.
17. Der kann sehn, schweigen und horen, hat oft Ruh erkohren. – Schottel, 1130a.
18. Der nicht wol sehen kan durch die Finger, dient nicht in rath vnd vnter kinder. – Zinkgref, IV, 395.
19. Der so weit sihet als sein Nas ist, der ist nicht blind, vnd sihet so viel als ein Katz. – Lehmann, 54, 30.
20. Der was selbst siht, am gewissen zeugt; vom hörsagen man offtmals leugt. – Eyering, I, 580.
21. Die alles wollen sehen, sein blinde Narren. – Oec. rur., 570.
22. Ein gut sehen ist halb arbeit. – Henisch, 1795, 27.
[501] 23. Ein ieder sihet vff den andern vnd keiner vff sich selbst. – Lehmann, 853, 7.
24. Ein ieder sihet wie er glück hat. – Franck, II, 144b; Henisch, 1661, 41; Gruter, I, 26; Petri, II, 202.
25. Ein jeder sehe auf sich, so wird er seinen Nächsten vergessen. – Acerra phil.
26. Ein jeder siehet auff sein Vortheil. – Petri, II, 202.
27. Ein Sehen ist besser denn zehn Hören. – Simrock, 9452; Graf, 457, 527.
28. Einer sihet durch Brillen, ein ander durch ein Schalck. – Lehmann, 55, 41.
29. Einmal gesehen ist besser als zehnmal gehört. – Bücking, 288; Graf, 457, 526; Braun, I, 4069.
Holl.: Beter één, die 't heeft gezien, dan van hooren zeggen tien. (Harrebomée, II, 329b.)
30. Erst sehen, dann gehen. – Sprichwörtergarten, 132.
Erst die Güte des Zwecks und die Anwendbarkeit der Mittel prüfen und dann rüstig handeln.
31. Erst sehen, dann verstehen. – Schlechta, 94.
32. Erst sieh auf dich, dann richte mich. – Wahl, I, 158, 1.
Beseitige erst deine eigenen Fehler, bevor du meine strafst.
Engl.: Judge others by yourself.
Frz.: Il faut mesurer les autres à son aune. – Jugez d'autrui par vous-même. – Nous apercevons plus souvent les fautes d'autrui que nos propres fautes.
It.: Chi vuol dir mal d'altrui, pensi prima di lui. – Non veggendo tu stesso la trave ch' nell' occhio de tuo proprio.
Lat.: Quod aliis vitio vertas, ipse ne feceris.
33. Erst sieh in dein Haus, dann sieh heraus.
34. Es gibt mehr, was man nicht sieht, als was man sieht. – Schlechta, 402.
35. Es hat jhm nie keiner gnug gesehen. – Franck, I, 148b; Gruter, I, 31.
36. Es ist lustig zu sehen, wie Gänse, die geschleiert sind und in Pantoffeln gehen.
37. Es sehen nit alle, die Augen haben, das Liecht. – Lehmann, 52, 7.
»Und meinen doch sie sehen gar wol, wie D. Nollus die Kuh im Harnglass.«
38. Es sieht niemand gern in einen Essigtopf.
39. Gar zu scharf gesehen macht böse Augen. – Winckler, VIII, 83.
40. Gern gesehen ist das beste Gericht.
41. Haben wir gesehen, was war, so werden wir sehen, was kommt.
Böhm.: Co bylo, vidĕli jsme a co bude uvidíme. (Čelakovsky, 262.)
42. He der süht sick as Vadder Lorenz, de sëg en Plôchrad (Pflugrad) för'n Kringel an.
43. Hôg zieht, vêle zieht; vêl klapt, vêle liegt. (Franz. Flandern.) – Firmenich, III, 698, 36.
Wer hoch sieht, sieht viel (nämlich der Hochstehende); wer viel schwatzt, plaudert, lügt viel.
44. Ich muss sehen, was für ein Gebäck das werden wird, sagte der Bäcker, und schiss in den Trog.
Holl.: Ik moet zien, wat er uit zuren zal, zei bakker, en hij sch ... in den trog. (Harrebomée, II, 345b.)
45. Ich seh' ihn nicht, aber ich glaube an ihn, sagte die Magd zum Pfarrer, als sie ein Floh biss.
46. Ich sehe nicht, sagte der Küster, als er den Bischof mit der Nonne in Sachen der Liebe traf. – Klosterspiegel, 59, 9.
47. Ich sehe viele, die nicht hier sind, sagte der Schulmeister.
48. Ich will doch einmal sehen, was aus den Bälgern werden wird, sagte der Blinde, als seine Kinder nicht betteln wollten.
Holl.: Ik wilde wel eens zien, zei de blinde man, dat mijne kinderen vochten. (Harrebomée, I, 405b.)
49. Ik si et allene nich, is den Hôrn êr Trost. (Westfr.)
Eine liederliche Dirne pflegt sich damit zu trösten, dass sie es nicht allein ist.
Schwed.: Hvar man sir på andra, och ingen på sig sjelf. (Grubb, 356.)
50. Jämmerlich gesehen, ist genug gebetet. – Henisch, 1388, 1.
51. Je länger man sieht, je grösser wird das Auge.
[502] 52. Je weniger man darnau sitt, desto mehr hei't titt. (Alt-Pillau.)
Die Läuse sind gemeint.
53. Jeder sehe auf seine Füsse.
It.: Ognuno si guardi a' piedi. (Gaal, 996.)
54. Jeder sehe für sich, jeder hat ein Loch für sich. – Fischart, Gesch.
Poln.: Niech każdy siebie patrzy. – Patrz kożucha swego, a nie cudzego. (Lompa, 24 u. 27.)
55. Jeder sieht auf den andern und keiner auf sich selbst.
56. Jeder sieht mehr auf andere als auf sich.
Dän.: Hver mand seer paa andre, og ingen paa sig selv. – Man seer alt paa andres, ingen klager paa sig selv. (Prov. dan., 28.)
57. Jedermann sehe, wofür er sein Geld gibt. – Graf, 260, 209.
Im Altdithmarschen: Malck se, wor he sin ghelt vmme gheue. (Michelsen, 52, 153.) Er prüfe, was er kaufen will, vorher genau, um nicht betrogen zu werden und sein Geld für schlechte Waare hinzugeben.
58. Jo nich sehn, rief der Staar, als ihm die diebische Elster die Börse zeigen wollte.
59. Lange ne gesiehn un do' no' gekennt, söä oll' Krinelke. – Schlingmann, 911.
60. Lasst sehen, welcher es am ersten dem andern erleidet, sagt ein Spinn, fiel sie in ein Pfeffer. – Fischart.
61. Man kann keinen weiter sehen als bis an die Zähne.
Dän.: Man kan ikke see en eenden länger end til tanderne. (Bohn I, 388.)
62. Man kann 't beter sehn, wenn'n achter'n Fôr Heu an löppt, dat 't scheef is, as wenn 'n derup sitt. (Ostfries.) – Hauskalender, IV.
63. Man kann wol sehen, was einer im Schilde führt.
Schwed.: Man kan snart see hvad en förer i skölden. (Grubb, 507.)
64. Man muss erst sehen, wie viel Kegel Hans werfen wird.
Lat.: Verbum laudatur, si factum tale sequatur.
65. Man muss oft hinter sich sehen, wenn man vorwärts kommen will.
Böhm.: Viz za se, před sebou uzříš. (Čelakovsky, 251.)
66. Man muss oft sehen und übersehen.
Lat.: Subesse docet disciplina, cöesse et praeesse. (Chaos, 989.)
67. Man muss sehen, für wen man die Wurst brät. (S. ⇒ Wurst.)
68. Man muss sehen vnd nicht sehen (vnd einem ein zech borgen). – Henisch, 455, 14; Simrock, 9454.
Die Osmanen sagen: Eine bessere Rede gibt es nicht, als: Ich habe nichts gesehen, mir ist nichts bekannt. (Schlechta, 77.)
Böhm.: Vida neviz, slyše neslyš. (Čelakovsky, 77.)
Dän.: Man maae tit see som man ikke seer, og høre som man ikke hører. (Prov. dan., 493.)
It.: Bisogna esser cieco, e forte in molte cose. (Pazzaglia, 54, 3.)
69. Man muss weiter sehen als die Nase geht. – Simrock, 9424a.
Lat.: Isthuc est sapere, non quod ante pedes modo est videre, sed et illa quae futura sunt prospicere. (Seybold, 263.)
70. Man siehet gar wol Weib und Mann, Gedanken niemand sehen kann. – Chaos, 564.
71. Man sieht an die Leute, aber nicht in sie.
72. Man sieht bald, bei was Leuten einer gewohnt hat. – Eiselein, 422.
73. Mau sieht gleich, wo der Pelz zerrissen.
74. Man sieht mehr auf den Wandel als auf die Lehre der Geistlichen.
75. Man sieht scharf die Fehler anderer, ist aber blind für die eigenen.
Dän.: Man er grand-synet til andres feyl, men blind til sine egne. (Prov. dan., 252.)
76. Man sieht schon, wo der Dorn hervorkommen will.
Man ersieht bald, wess Geistes Kind jemand ist.
77. Man sihets bald, welches Vogel der Geiger ist. – Henisch, 1442, 8.
78. Mancher möchte gern noch schlechter sehen als er sieht.
It.: Ci è chi vede male, e vorrebbe veder peggio. (Bohn I, 88.)
[503] 79. Mancher siehet mit einem Auge, was er gibt, vnd mit sieben, was er davon nimpt oder kriegt. – Lehmann, 234, 34.
80. Mancher sieht gar weit ins Feld, der über ein Steinchen vor ihm fällt. – Petri, II, 452; Hoefer, 995a; Körte, 4063.
81. Mancher sieht mit Einem Auge mehr als ein anderer mit zweien.
82. Mann süüt emm woll lengs d'n Arm, äwer nich lengs d'n Darm. (Mecklenburg.) – Firmenich, I, 70, 4; für Strelitz: Firmenich, III, 70, 19; Schlingmann, 37.
Warnung für die, welche viel auf Essen und Trinken verwenden und sich dagegen nachlässig im Aeussern halten.
83. Me süht, dat en blend Ferken en Eikel fend.
84. Muss sehn, sagt Dux. (Hildesheim.)
85. Nicht sehen wollen ist die ärgste Blindheit. – Hollenberg, II, 22.
Engl.: Who is so blind as he, that will not see?
86. Nu will'n wi moal sehn, wo de Loahm danzen kann, sär de Blinn. (Strelitz.) – Hoefer, 66; Firmenich, III, 73, 111; Schlingmann, 98.
87. Säj af dich, net schält mich. (Siebenbürg.-sächs.) – Schuster, 925.
88. Sehen gehet für hören-sagen. – Franck, II, 94b; Tappius, 138a; Petri, II, 518; Henisch, 1428, 20; Lehmann, II, 568, 64; Gaal, 1398; Simrock, 9450-9451; Körte, 5518; Graf, 457, 528-529; Braun, I, 4068.
In Pommern: Seen gêt vör't Seggen. (Dähnert, 420.) Meist in dem Sinne angewandt: Dein Streiten hilft dir nichts, ich habe augenfällige Beweise des Gegentheils deiner Worte. Häufig wird das Wort auch auf Schwangere angewandt. Was man selbst gesehen hat, lässt man sich nicht leicht abstreiten. Wenn jemand streitet, blos um zu streiten, um das letzte Wort zu haben, oder wenn er Augenzeugen gegenüber Thatsachen in Abrede stellt, so wenden die englischen Neger Surinams das Sprichwort an: »Die Seekuh Monati taucht unter und sagt: des Kaimans Mutter ist gestorben. Die Aboma (Abgottsschlange) bleibt am Ufer des Flusses und sagt, es sei nicht wahr.« – Bei Tunnicius (1145): Sein geit boven horen. (Auditum visus praecellit, tactus odorem.)
Dän.: Syn gaaer altid for sagn. (Bohn I, 399.)
Engl.: One eye-witness is worth ten ear-witnesses. (Gaal, 1398.)
Holl.: Sien gaet vor horenseggen. (Tunn., 27, 7.)
It.: Val più un testimonio di vista, che cento d'udita. (Gaal, 1398.)
Lat.: Exemplum est muta adhortatio. (Chaos, 267.) – Oculis magis habenda fides, quam auribus. (Philippi, II, 61; Schonheim, O, 4.) – Pluris est oculatus testis unus, quam auditum decem. (Masson, 35; Philippi, II, 99.) – Visus certificat plus, quam quod Cicero narrat. (Fallersleben, 793.) – Visus certificat plus, quam vox docta loquentis. (Seybold, 401 u. 640.)
Poln.: Oczy stoją za ieszy. (Masson, 33.)
Schwed.: Ögat är ett troget wittne. – Syn går för sägn (sägen). Gewöhnlich sagt man: Syn för saga. (Grubb, 777.)
89. Sehen geht vor alles. (Ostfries.)
Holl.: Tegenwoordigheid doet gelooven. (Harrebomée, II, 327b.)
90. Sehen, hören und schwitzen ist der beste Lebensreigen.
Jüdisch-deutsch in Warschau: Imisch me wedi me ümaasse.
91. Sehen ist leichter als vorher (zuvor) sehen.
It.: Il veder è facile, mà il preveder difficile. (Pazzaglia, 393, 2.)
92. Sehen ist nicht kaufen. (S. ⇒ Besehen.) – Graf, 259, 195.
93. Sehen macht Wehen.
Lat.: Post visum risus, post risum venit in usum, post usum tactus, post tactum venit in actum, post actum factum, post factum poenitet actum. (Törning, 116.)
94. Sehen thut den Augen wohl.
Lat.: Divitiae, decus, gloria, in oculis sita sunt. (Chaos, 645.)
95. Sehen thut's halb, hören ganz.
Man lernt einen Menschen genauer kennen, wenn man ihn sprechen hört, als vom blossen Sehen.
It.: Vedendo uno lo conosci mezzo, odendolo parlare lo conosci tutto. (Pazzaglia, 64.)
96. Sehne geit ver segge. – Frischbier2, 3472.
97. Selten gesehen ist bald vergessen. – Winckler, II, 41.
[504] 98. Sî säu (sieh so, so recht), dat ruimed, sach de Biur, doa was hai vanner Ledder fallen. (Hemer in der Grafschaft Mark.) – Frommann, III, 260, 25.
99. Siegst, hat de Fink g'sagt und hat ön Spaz'n d' Augng ausg'hackt. (Oberösterreich.) – Baumgarten, 91.
Erwiderung dessen, der eine abschnappende Rede hören musste, im Gespräch a'trumpft worden ist.
100. Sieh auf dich und die Deinen, dann bessere (schilt) mich und die Meinen. – Haug, Lichtensteiner, 245; Simrock, 1557.
101. Sieh dich an und beurtheil' mich, findest dich ohne Schuld, dann straf' mich. – Körte, 5552. ist von Goethe, Zahme Xenien (Hempel, II, 368), die andere Zeile lautet: »Darum ward Gott so oft zu Spott«.
102. Sieh für dich und sieh hinter dich, und handle ja fürsichtiglich; das soltu lern bey dem Gedicht, dass Janus hat zwei Angesicht. – Hertz, 63.
103. Sieh hinter dich, sieh vor dich, die Welt, die ist sehr wunderlich; die Falschheit ist gemein, die Treue aber allein. – J.G. Kohl, Nordwestdeutsche Skizzen (Bremen 1864), II, 214; Hertz, 36.
Ein westfälischer Fensterspruch (s. Leiden, Verb., 47), dessen letzte Zeile wol die glatte Höflichkeit der Menschen charakterisiren, und warnen will, sich von ihr täuschen zu lassen.
Dän.: See dig for, see dig bag, din taersker ei bedrager dig. (Prov. dan., 493.)
104. Sieh nicht auf mich, sondern auf dich; thu' ich unrecht, dafür hüte dich. – Körte, 5551.
105. Sieh nicht über dich, sondern unter dich. – Simrock, 9458; Körte, 5853; Braun, I, 4100.
Nicht auf die Glücklichern, sondern auf die, denen es weniger gut geht als dir.
106. Sieh recht, hör' recht, red' recht; so geht's in aller Welt recht.
107. Sieh selbst nach deinen Dingen, wenn sie sollen wohlgelingen.
Bekümmere dich selbst um dein Hauswesen, dein Geschäft u.s.w., und verlass dich nicht auf Miethlinge.
108. Sieh vor in dein eigen Hauss, dann sih auf mich zum Fenster aus. – Chaos, 156.
109. Sieh, wer du bist, der tod gwus ist; ungwus die stund, redt gotes mund.
Dieser Spruch steht auf einer, wie man vermuthet, von Jakob Stampfer auf den züricher Maler Johann Asper verfertigten Medaille vom Jahre 1540. Alfred von Sallet hat Im neuen Reich (1873, Nr. 42, S. 609-613) Deutsche Sinnsprüche auf Medaillen des 16. Jahrhunderts, die sich im berliner Museum befinden, veröffentlicht, zu denen der obige gehört. Er hebt dabei diesen schönen Brauch unserer Vorfahren hervor, indem er sagt: »Wenn wir unser Porträt verschenken, dann wird die Gabe höchstens von einer kurzen Widmung nebst Datum und Unterschrift begleitet. Unsere Vorfahren waren aber damit nicht zufrieden; der Patricier des 16. Jahrhunderts liess von geschickter Hand sein Bildniss in Stein oder Holz schneiden und von diesem als Modell Abgüsse in edeln und unedeln Metallen verfertigen, deren Rückseite ausser dem Wappen oder einer sinnigen Allegorie, meist kurze, treffende Devisen enthielt. Ein solches, sauber vom Künstler ciselirtes Schaustück war freilich ein solideres und erfreulicheres Andenken als unsere heutigen Photographien; es war kein todtmechanischer Abklatsch der Persönlichkeit, es war ein wahres Abbild des Dargestellten. Wie diese meisterhaften Kunstwerke, so verdienen auch die sie begleitenden Unterschriften, die Sinnsprüche, wie man sie in der Zeit selbst nannte, Beachtung, vor allem natürlich diejenigen, welche nicht in der todten Gelehrtensprache jener Zeit abgefasst, sondern in der neu auflebenden deutschen Sprache gedichtet sind, nicht aus früherer Zeit überkommen, sondern frisch und grün in der Zeit selbst entstanden.« A. von Sallet lässt nun eine Anzahl dieser Sinnsprüche, wortgetreu den Originalen des berliner Museums entnommen, folgen, die im Deutschen Sprichwörter-Lexikon unter den betreffenden Stichwörtern ihren Platz finden werden.
110. Sieh zuerst in dein Haus, danach hinaus. (S. ⇒ Schüssel 18.) – Sailer, 77.
111. Sieh zuvor, so darfst du nachher nicht klagen. – Graf, 423, 173.
Bezieht sich auf Vorsicht bei abzuschliessenden Vergleichen, weil man nach ungünstigem Vergleich nicht mehr den Rechtsweg verfolgen kann. Auf Rügen: Sehe tho thovor, so darffst du namahlen nicht klagen. (Normann, 208, 165.)
[505] 112. Siehe auff dich vnd nicht auff mich; thue ich vnrecht, so hüte dich! – Gruter, III, 81; Lehmann, II, 577, 79; Zinkgref, IV, 374.
Lat.: Officium alterius multis narrare memento, atque aliis, cum tu benefeceris, ipse sileto. (Chaos, 152.)
113. Siehn düt gedenken. (Meurs.) – Firmenich, I, 406, 352.
114. Sihe für dich, trew ist misslich. – Agricola I, 15; Gruter, I, 65; III, 81.
115. Sihe (vor) in dein eygen spil. – Franck, II, 120a.
116. Sihe in dein hauss, danach darauss. – Franck, II, 120b; Gruter, III, 81.
117. Siehet mans, so spile ichs; sihet mans nit, so stile ichs. – Franck, II, 85b; Tappius, 109a; Gruter, I, 65; Lehmann, 91, 44 u. 104, 16; Schottel, 1145b; Eiselein, 573; Körte, 5554; Simrock, 9709; Braun, I, 4202.
»Werd ich gesehen von stund ich spiel; bin ich verborgen, alsdan ich stiel.«
Holl.: Siet ment, so speel ic, siet ment niet, so steel ic. (Tunn., 22, 15.)
Lat.: Si uideor, ludo; si non, tunc furta recludo. (Loci comm., 74.)
118. So wat mag ik nich sên, säd' de Ertehersch, da sett't se sick de Brill up de Näs'. (Hamburg.) – Hoefer, 259.
119. Viel sehen, hören, wenig sagen ist gut und nützt in allen Tagen.
Engl.: Wide ears and short tongue is best.
It.: Il poco mangiar e poco parlare non fece mai male. – Testa savia rende la bocca stretta.
Lat.: Audi, cerne, tace, si vis cum vivere pace. – Nil malius vere, quam cum ratione tacere. (Masson, 283.)
120. Viel sehen, viel hören vnd wenig sagen, das gehört zu fried (zur Gunst) vnnd guten Tagen. – Lehmann, 711, 8; Wirth, II, 422.
Lat.: Loqui et non cogitare est jaculari et non collimare. (Chaos, 805.)
121. Viel sehen, wenig sagen, das gehört zu guten Tagen. – Lehmann, II, 790, 67; Henisch, 1440, 19.
Dän.: Meget see og høre, men lidet tale giver god dag. (Prov. dan., 493.)
122. Viele sehen mehr als einer.
Lat.: Oculi plus vident, quam oculus. (Philippi, II, 61; Schonheim, O, 3.)
123. Vom Sehen kommt man zum Denken, vom Denken zum Gefallen, vom Gefallen zum Wöllen, vom Wollen kommt man zur Höllen. – Parömiakon, 454.
Entwickelungsgeschichte der Sünde mit ihren Folgen.
124. Von oben ist gut sehen, im Thale gut gehen.
Böhm.: S vrchu dobře hledĕtí, po rovinĕ dobře jíti. (Čelakovsky, 179.)
125. Wann man nicht recht sieht, ist das Greifen erlaubt. (Amberg.)
126. Wann siht ein Mensch andere sûr Ding essen, so ilgern (?) ihm die Zäne. – Eiselein, 654.
127. Was einer gern sihet, das glaubet er auch gern. – Pauli, Postilla, I, 635b.
128. Was ich sehe, das glaube ich.
Lat.: Visus fidelior auditu. (Seybold, 640.)
129. Was man am andern sihet, das muss man selber auch gewertig sein. – Henisch, 1594, 62.
130. Was man nicht gesehen hat, kann man nicht malen.
Was einer nicht selbst erfahren hat, davon kann er nicht zeugen.
Böhm.: Kdo co nevidĕl, neumí to dobře malovati; kdo co nezkusil, neumí o tom povídati. (Čelakovsky, 215.)
131. Was man nicht gesehen hat, soll man nicht fest für Wahrheit halten.
Bei Tunnicius (759): Dat men nicht gesein heft, sal men nicht vast vor de wârheit holden. (Quae non visa tibi, noli affirmare frequenter.)
132. Was man nicht sieht, das will man nicht haben.
Böhm.: Co se nevidí, to se nekrade. (Čelakovsky, 144.)
Kroat.: Kadégâ ni vidéti, nigâ nit kaj vzetí. – Ooči jsou svůdkynĕ. (Čelakovsky, 144.)
133. Was man nicht sieht, macht einem keine Sorge.
Will sagen, man soll nicht gar zu neugierig in alle Ecken sehen, um zu erforschen, was unser Gesinde u.s.w. sagt und thut, man mache sich sonst unnöthigen Kummer.
Engl.: What the eye sees not, the eye rues not.
[506] 134. Was man nicht sieht, muss man (ist erlaubt zu) greifen. – Eiselein, 568; Simrock, 9457.
Holl.: Die qualic siet, sal te bet tasten. (Tunn., 12, 10.)
Lat.: Si tibi lumen abest, manibus res tangere prodest. (Fallersleben, 292; Loci comm., 109.)
135. Was man selten sieht, ist bald vergessen.
Engl.: Seldom seen, soon forgotten. (Mair, 63.)
It.: Di rado visto, presto scordato. (Bohn I, 92.)
136. Was man selten sieht, ist leicht verkannt.
Böhm.: Řídké vídání, hotové neznání. (Čelakovsky, 237.)
Poln.: Nieczęste widanie, gotowe nieznanie. (Čelakovsky, 237.)
137. Was man sieht, das glaubet man. – Gruter, III, 99; Lehmann, II, 866, 82.
Engl.: Seeing is believing. (Mair, 63.)
Schott.: Fecin's believin's, but feelin's the naked truth. (Mair, 63.)
138. Was man sihet vnd fühlet, das darff man nicht glauben. – Henisch, 1634, 68.
»Dann kompt einem der glaub in die händ.« (Henisch, 1634, 68.)
139. Was man täglich sieht, hält man nicht hoch.
Frz.: Chose trop vûe n'est chère tenûe. (Bohn I, 13.)
140. Was man zu oft sieht, achtet man nicht.
Frz.: Chose trop veuë n'est chere tenuë. (Kritzinger, 143b.)
141. Was sihet dein aug vnd hört dein ohr, behalt bei dir, du bist kein thor. – Henisch, 249, 1.
142. Was wir gesehen haben, das bezeugen wir, sagte der Hofnarr, als er den Pater Küchenmeister bei der Hirschwirthin im Bett gesehen hatte. – Klosterspiegel, 64, 3.
143. Wat ik sên hew, kann ik segg'n, säd' de Jung, äewerst de Kâlwen kamen ut'n Ners. – Hoefer, 506; Schlingmann, 740.
144. We net sitt, de es blenk (blind). (Aachen.) – Firmenich, I, 494, 151.
145. We net sitt, want he gelt (kauft), de sitt want he gegolden (gekauft) hat. (Aachen.) – Firmenich, I, 494, 154.
146. Welcher sehen muss durch die Brillen, den Leib muss oft purgir'n mit Pillen, muss brauchen Arznei'n allzeit, dess Lebens End kan nit seyn weit.
Lat.: Ne moriare opus est, mortem praecurrere morte, semina nequitiae languidiora facit. (Chaos, 593.)
147. Wen man sieht, den kennt man halb, wen man hört, den kennt man ganz. – Winckler, XV, 91.
148. Wenn ich's sehe, so glaube ich's, sagte der Blinde.
Lat.: Oculatae sunt nostrae manus, credunt, quod vident. (Plautus.) (Philippi, II, 61.)
149. Wenn man nicht sieht, stösst man leicht aneinander. – Eiselein, 568; Simrock, 9955.
150. Wenn's niemand sieht, wird's doch gesehen.
Böhm.: Ač nikdo nevidí, nečiň, co proti bohu a rozumu.
Poln.: Choć nikt niewidzi, nieczyń, czym się bóg abo rozum brzydzi. (Čelakovsky, 6.)
151. Wer am schärpffsten sihet in Weltsachen, der sihet doch so viel als durch ein Nebel. – Lehmann, 55, 40.
152. Wer etwas nicht sehen will, bey dem hilfft weder Fackel noch Brill. – Lehmann, 821, 30.
153. Wer für dich sieht, für den sollst du hören. – Sprichwörtergarten, 107.
Wer dich unterstützt hat, als es dir an Kraft und Mitteln gebrach, dem stehe auch bei, wenn er Hülfe nöthig hat, die du gewähren kannst.
154. Wer gern sieht, will auch gern gesehen sein.
Span.: La que es deseosa de ver, tambien tiene deseo de ser vista. (Don Quixote.)
155. Wer kann sên, segt Lindemann, dôn lêwt he noch. – Hoefer, 669.
156. Wer nicht sehen will, bey dem hilfft weder Licht noch Brill. – Lehmann, 768, 16; Chaos, 647; Steiger, 32; Lohrengel, I, 832.
»Unsinn du siegst und ich muss untergehen. Mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens.«
Dän.: Naar een vil ikke see, da hielper hverken lys eller briller. (Prov. dan., 493.)
Schwed.: När man intet wil see, så hjelper hvarken ljus eller ögon. (Grubb, 582.)
157. Wer nicht sehen will, dem sagt keine Brille zu.
158. Wer nicht sehen will, der bringt die Augen nicht auf.
[507] 159. Wer nicht sieht aus bösem Willen, dem bietet umsonst man tausend Brillen.
160. Wer nicht sieht, der kann tasten.
Bei Tunnicius (443): De nicht en süt, de mach tasten. (Lumine privatus digito rem tangere novit.)
Lat.: Si tibi lumen abest, manibus res tangere prodest. (Fallersleben, 292.)
161. Wer nicht sieht vor sich, der findet sich hinter sich.
162. Wer nicht vor sich sieht, kommt hinter sich.
Engl.: Who looks not before, finds himself behind. (Mair, 78.)
163. Wer nicht will sehen und glauben, der mag fühlen. – Schottel, 1142b.
164. Wer nichts sieht, isst viel Fliegen.
165. Wer nichts sieht, kann nichts erzählen.
Engl.: Those who have not stirred from home, have very little to say.
166. Wer schlecht sieht, soll desto besser tasten. – Simrock, 9456; Körte, 5555.
»Die qualik siet, sal te bet tasten.« (Tunn., 12, 10.)
167. Wer sehen will, dem muss ein Licht scheinen.
168. Wer sehen will, muss gute Augen haben.
In Holland: Zum Sehen gehören mehr als zwei Augen. (Altmann VI, 398.)
169. Wer sehen will, sucht Arzt und Brill'.
170. Wer sieht und nicht glauben will, ist an beiden Augen blind.
Dennoch sagt Seume sehr wahr: »Es gibt Dinge, die ich mit meinen Augen sehen kann und die ich doch nicht glaube.«
171. Wer so viel sihet wie ein Eule, der thut rhatsam, das er sich helt wie ein Eul vnd komme nicht unter die Vogel. – Lehmann, 860, 11.
172. Wer wohl vor sich sieht, wird schwerlich überrücken fallen. – Winckler, XIV, 26.
173. Wer wol sehen kann, braucht keine Brillen, und wer gelehrt ist, keine Postillen. – Schlesw.-holst. Jahrb., IV, 120.
174. Wie man einen sieht, so hält man ihn.
D.h. wie er uns erscheint, so bildet man sich ein Urtheil über ihn.
Böhm.: Jak tĕ vidí, tak té píší. – Jak tĕ vídí, tak tĕ za to mají. (Čelakovsky, 267.)
Poln.: Jak cię widzą tak cię piszą. (Čelakovsky, 267.)
175. Wie Sie sehen, antwortete der Lahme dem Blinden, als dieser ihn fragte: Wie geht's?
»Der blinde Pfeffel konnte auflachen, so oft ihm jemand im Gespräch sagte: Sehen Sie nur, lieber Pfeffel.« (Demokritos, II, 120.)
176. Wie wöllt mal sehen, sä de Blinde, wie de Lahme dansd. (Eiderstedt.)
O. Glogau (Reiseskizzen in der Nationalzeitung, Berlin 1865) bemerkt: »Der Eiderstedter ist schweigsam und zurückhaltend, nicht so gesprächig und händelsüchtig wie der Nordfriese, aber er gleicht diesem wieder an scharfem Verstande und trockenem Witz, was sich auch in vielen Sprichwörtern ausdrückt.«
177. Willst du wohl sehen, so reisse dir die Augen aus.
178. Wir sehen und glauben, was wir beklauben (betasten). – Eiselein, 239.
Lat.: Semper oculatae nostrae sunt manus. (Eiselein, 239.)
179. Wo man mich (dich) gern sieht, geh (ich) selten hin; wo ungern, nie.
Böhm.: Kdes rád vidĕn, zřídka bývej, kde nerad, nikdy. (Čelakovsky, 415.)
Poln.: Gdzie cię radzi widzą, tam nie często bywaj. – Gdzieć rado, rzadko bywaj, gdzie nierado, nigdy. (Čelakovsky, 415.)
180. Zwei sehen mehr als einer. – Dove, 184.
*181. A mag immer sahn, wo der Zimmermann 's lôch gelussen hôt. – Gomolcke, 175.
Er mag sich schleunig davonmachen.
*182. A sieht hoite durch die Hilsen. – Gomolcke, 503.
*183. A sit noch der Seite wie de Gänse, wenn's waterloicht. (Schles.) – Frommann, III, 414, 550.
*184. A sitt wî a Fäld vul Taif'l. – Peter, 453.
*185. A sitt wî d' Koatze wänn's dunnert. – Peter, 453.
*186. A sitt wî nain Tâge Räänwât'r. – Peter, 453.
*187. A sitt wî zahn Taif'l. – Peter, 453.
*188. Dä süht ieder en Möck in der Luet, als e Päed op de Aeede. (Bedburg.)
[508] *189. Dä süht wie 'ne Ôs op en neu Dür. (Bedburg.)
*190. Das sieht man auch ohne Laterne (oder: ohne Augengläser).
Frz.: Cela paraît comme le nez au visage. (Lendroy, 1072.)
*191. Das sihet jm eben so gleich, als ein schneck eim Jagdhund. – Franck, Weltbuch, CXXIXa.
*192. Das sihet jm so gleich, als der Teuffel Gott. – Franck, Weltbuch, CXXVIIIa.
*193. Der muss sehen, was der Letzte für Strümpfe anhat.
In Wien, von einem, der nicht nach Hause gehen will.
*194. Der sieht, er könnte preussischer Unteroffizier werden.
Holl.: Hij ziet zoo statig als Jean Pelsers kat. (Harrebomée, I, 387b.)
*195. Der sieht in die Welt wie ein Kalb.
Ist sehr dumm.
*196. Der sieht nicht, wo der Hase steckt. (Trier.)
*197. Derwel te mich sekst, bäst te nit bläinjt. (Siebenbürg.-sächs.) – Schuster, 1022.
*198. Du hast nichts anders noch gesehen als einen grünen Ofen und eine graue Katz. (Niederösterreich.)
Wer noch wenig aus seinem Geburtsorte weggekommen ist.
*199. Du host dort woas zu säan, wu d' Gänse hîn säächa. – Peter, I, 447.
Du hast nirgends was zu sagen.
*200. Du musst lang sehen, biss du mir was absihest. – Agricola I, 357; Lehmann, II, 74, 98; Sailer, 120; Schottel, 1135b.
*201. Du sollst sehen, dass du auch einen Pathen hast. – Klix, 58.
*202. Du sollst sehen, wer die Katze zum Wasser führt.
*203. E sêgt än de Ploantegôrten1. (Siebenbürg.-sächs.) – Frommann, V, 31, 12.
1) Pflänzchengarten. Ploanze wird im Siebenbürgisch-Sächsischen ausschliesslich von den Setzpflänzchen von Kraut, Kohl, Salat u.s.w. gebraucht. In manchen Gassen der siebenbürgisch-sächsischen Städte waren ehemals, und auf sächsischen Dörfern finden sich hier und da noch jetzt vor den Häusern kleine Gärten abgeschieden, wo diese Pflänzchen gezogen werden. Der Vergleich, um einen Schielenden zu bezeichnen, ist also von einem hergenommen, der in der Gasse geht und nicht vorwärts sieht, sondern seitwärts blickt.
*204. E sêgt än de schiele Wänkel. (Siebenbürg.-sächs.) – Frommann, V, 31, 12.
Er sieht in den schelen Winkel. Von einem Schielenden.
*205. E sêgt den Kîser oussem Land. (Siebenbürg.-sächs.) – Frommann, V, 31, 12.
Er sieht den Kaiser aus dem Lande, er schielt.
*206. E sêgt wä en gestochä Gîs (Geiss). (Siebenbürg.-sächs.) – Frommann, V, 36, 74.
Er ist verlegen.
*207. E sêgt wä e Kako vun der Wîln1. (Siebenbürg.-sächs.) – Frommann, V, 36, 37.
1) Weila, ein sächsisches Dorf im Kreise Bistritz.
*208. E sêgt wä en Kea (Kuh) weder e noa Duer. (Siebenbürg.-sächs.) – Frommann, V, 36, 77.
Er sieht dumm darein.
Lat.: Titanicum tueri. (Tappius, 66b.)
*209. E sêgt wä en Schliddenteisselt. (Siebenbürg.-sächs.) – Frommann, V, 96, 76.
Wie eine Schlittendeichsel, er blickt garstig.
*210. Er darf sich sehen lassen, wie finster es auch ist. – Simrock, 9460.
Lat.: Dignus, qui cum in tenebris mices. (Seybold, 126.)
*211. Er gseht i die ander Wält dure. – Sutermeister, 56.
Von einem Schielenden. (S. ⇒ Lugen 7.)
*212. Er hat es nicht gemalt gesehen. (Altröm.)
*213. Er ist gern gesehen, wie ein Wolf unter den Schafen.
*214. Er kann hinten vnd vorn sehen. – Eyering, II, 384.
*215. Er lässt sich sehen wie der Palmesel, des Jahres einmal. – Eiselein, 503.
*216. Er mag sehen, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat.
Lat.: Lupus aquilam fugit. (Philippi, I, 231.)
[509] *217. Er sicht, als hett man jhme zu Grab geleut. – Lehmann, 754, 1.
*218. Er siehet, als hett er Holtzäpffel gessen. – Lehmann, 754, 1; Egenolff, 322a.
*219. Er siehet, als ob er dem Tode entlaufen wäre. – Schottel, 1115a.
*220. Er siehet überzwerch drein, wie eine Gans nach einem Apfelbutzen.
Man sagt gemeiniglich: »So sieht ein Antrich, ein Wildant, mit einem Aug' uf das Erdrich, wa die Spis und mit dem andern Aug an de Himmel, wa der Sper ver si.«
Lat.: Solio victitat. (Hanzely, 59; Seybold, 281; Philippi, I, 228.)
*221. Er sieht, als hätte er Essig getrunken.
Dän.: Han seer saa mild som en edike-brygger. (Prov. dan., 415.)
*222. Er sieht, als hätt' er Senf gegessen; wenn er lacht, fällt ein Thurm um.
Dän.: Han seer som han ei havde ædt andet end senop. (Prov. dan., 415.)
*223. Er sieht, als ob er nach Wieringen hinein sollte. (Holl.)
*224. Er sieht, dass niemand etwas hineintrage.
*225. Er sieht die Buchstaben doppelt. (S. ⇒ Oberstübchen 3.)
*226. Er sieht drein wie ein gestochen Kalb (oder: wie ein geschossener Wolf).
*227. Er sieht durch ein eichenes Bret. – Frischbier2, 3466.
Auch bei Anwendung auf beschränkte Köpfe mit dem ironischen Zusatze: wenn es ein Loch hat. (S. ⇒ Brett 14.)
*228. Er sieht durch einen Wetschger (Watsack), dass nichts darin bleibt.
*229. Er sieht durch einen Zaunpfahl.
Der Scharfsichtige.
*230. Er sieht durch neun Thüren.
*231. Er sieht gern essen in anderer Leute Häuser.
*232. Er sieht gut, er hält eine Kirche nicht für eine Marktbude.
*233. Er sieht gut, er kann einen Hackstock von einem Pudelhunde unterscheiden. – Eiselein, 273.
*234. Er sieht hinten und vorn.
Lat.: A fronte simul et occipitio oculatus. (Erasm., 789; Philippi, I, 14; Binder II, 7.)
*235. Er sieht nach dem Klundert, ob die Wilhelmsstadt brennt. (Holl.)
Da die beiden Städte (oder Stadttheile) von Rotterdam in gegenüberliegender Richtung liegen, so wird das Sprichwort spottweis von jemand gebraucht, der sehr schel sieht.
*236. Er sieht nicht, was er spricht. – Frischbier2, 3467.
*237. Er sieht nicht weiter alss seine Nass lang ist (reicht). – Lehmann, 818, 1.
Von denen, die wenig Einsicht haben.
Frz.: Il ne voit pas, que le bout de son nez.
Holl.: Hij ziet niet verder, dan zijn neus lang is (dan van den neus tot ten mond). – Hij ziet niet verder, dan zijne slippen lang zijn. (Harrebomée, II, 125a u. 274b.)
Schwed.: Han ser inte längre än näsan är lång. (Marin, 15.)
*238. Er sieht nicht wie die Leute hierzulande. – Eiselein, 421.
Er schielt.
*239. Er sieht schärfer als ein fränkischer Reiter. – Körte, 5659a.
Holl.: Hij kan wel zien door eene dubbele huik, wat een goed man in zijne tasch draagt. (Harrebomée, I, 338.)
Lat.: Plus quam lynceus est. (Binder I, 1370; II, 2600.)
*240. Er sieht so lieblich, wenn er in Milch sähe, sie würde sauer.
*241. Er sieht so scharf als ein fränkischer Reiter, der sah durch neun Kittel, wo Geld steckte. – Eiselein, 527; Simrock, 8425.
Holl.: Hij kan wel zien door eene dubbele huik, wat een goed man in zijne tasch draagt. (Harrebomée, II, 326.)
*242. Er sieht überzwerch wie eine Gans nach einem Apfelgriebs.
*243. Er sieht, was fliegt, aber nicht was kriecht. Körte, 1145.
*244. Er sieht wie die Makrele. (Altgriech.)
D.h. schel, schielt mit einem Auge, weil Aristoteles von diesem Seefisch erzählt, dass er nur mit dem linken Auge sehe. Im Winter hat die gemeine Makrele ein Fell über die Augen.
[510] *245. Er sieht wie die Maus aus dem Loche.
Holl.: Hij ziet als eene rat door de tralien. (Harrebomée, II, 210b.)
*246. Er sieht wie ein abgestochener Kalbskopf.
*247. Er sieht wie ein Maulwurf.
Wenig oder gar nicht.
Frz.: Il ne voit pas plus clair qu'une taupe. (Lendroy, 1398.)
Lat.: Solio victitant. (Erasm., 125; Tappius, 176.)
*248. Er sieht wie eine Gans, wenn's wetterleuchtet. – Körte, 1753.
*249. Er sieht wie eine todte Katz. (München.)
Holl.: Hij ziet als eene rat uit zijne oogen. (Harrebomée, II, 210b.)
*250. Er sieht, wo der Hase im Kraut liegt.
*251. Er sieht, wo der Schornstein raucht. – Frischbier2, 3468.
Wo es zu essen und trinken, zu schlecken und schnabeliren gibt.
*252. Er sieht wol, wie nahe er dem Lande ist.
Wie weit die Sache gefördert ist, wie sie steht.
*253. Er sieht's, wie Doctor Nullus die Kuh im Harnglase.
*254. Er sihet als ein gestochen kalb. – Franck, II, 62a; Sailer, 307.
*255. Er sihet als ein ochs, der dem fleyschhawer entrunnen ist. – Franck, II, 66a; Tappius, 69b; Gesner, I, 124.
*256. Er sihet als ein wald voller teuffel. – Franck, II, 35b.
Holl.: Hij ziet als een bok, die knoflook (kool, palm) eet. (Harrebomée, I, 74a.)
Lat.: Titanicum intuere. – Titanicus adspectus. (Philippi, II, 220; Erasm., 545 u. 926.)
*257. Er sihet, als ess er die wochen nur einmal. – Franck, I, 51b.
*258. Er sihet, als hab er drei tag im rawch gehangen. – Franck, II, 95a.
*259. Er sihet, als hab er holtzäpffel gessen. – Henisch, 1569, 25.
*260. Er sihet, als hab er senff geessen. – Franck, II, 49b.
*261. Er sihet, als hab man jm ghen himel geleut. – Franck, II, 95a.
*262. Er sihet, als sei er drei tag am galgen gehangen. – Franck, II, 95a; Schottel, 1125b; Henisch, 1336, 19; Simrock, 9508.
*263. Er sihet, als were er von dem galgen gefallen. – Henisch, 1336, 18.
*264. Er sihet, als wolt er die leut fressen. – Franck, II, 62a.
*265. Er sihet, als wolt er Gots marter schweren. – Tappius, 70a.
Lat.: Tauricum tueri. – Tragicum tueri. (Erasm., 544; Tappius, 69b.)
*266. Er sihet, als wolt er grind schweren. – Franck, II, 62a.
*267. Er sihet auff die seiten wie ein Ganss, die einen Apffel suchet. – Lange, 419; Eiselein, 206; Körte, 1753.
Die Franzosen sagen von einem, der schielt: Er sieht nach der Richtung von Noyon zu, ob St.-Quentin nicht brennt. (Illustr. Zeitung, Leipzig 1447.)
Lat.: Pro superi quantum mortalia pectora caeca noctis habent. (Sutor, 88.)
*268. Er sihet eben, als hab jm ein katz die augen gesogen. – Franck, II, 111a.
*269. Er sihet so sauer, dass ein milch vor seinem gesicht ersawren solt. – Franck, II, 62a.
*270. Er sihet vberzwerch wie ein Ganss in das logel. – Moscherosch, 171.
*271. Er sihet, wann er in ein milch sehe, sie würde saur. (Sauersehen 10.) – Franck, I, 51b; II, 35b; Eiselein, 402; Simrock, 7020.
*272. Er sihet wie ein geschossener wolff. – Franck, I, 49b.
Holl.: Hij ziet als eene rat in de val. (Harrebomée, II, 210b.)
*273. Er soll sehen, von was für Holz ich bin.
Er soll, wenn er mich herausfordert, inne werden, mit wem er es zu thun hat.
Frz.: S'il m'attaque, je lui ferai voir de quel bois je me chauffe. (Starschedel, 50.)
[511] *274. Er will gern sehen, was unser Herrgott macht. – Meisner, 36.
Man hatte früher Trinkgefässe, auf deren innerm Boden sich irgendeine bildliche Darstellung Gottes befand. Je mehr das Gefäss geneigt wurde, desto mehr trat das Bild vor die Augen, was natürlich stets beim Austrinken geschah.
*275. Hä süht we 'nen Ochs op en neu Döhr. (Köln.) – Weyden, IV, 14.
*276. Hä süüt ander Lück's Splinter un singen eigen Balke nit. (Köln.) – Firmenich, I, 472, 49.
*277. Haste nich gesehen. – Trachsel, 22.
Ausdruck zur Bezeichnung der Geschwindigkeit oder des schnellen Verschwindens.
*278. He sett as en Vögelschen en et Käuken (Käfiglein). (Meurs.)
*279. He sitt wo de Täne los sönn. – Frischbier, 470.
Er bohrt gern das Bret an, wo es am dünnsten ist.
*280. Hei süt so weit as em de Nase steit. (Westf.)
*281. Hoa ich doch gesân, doss ich verblinden mechte. (Schles.) – Frommann, III, 243, 42; Gomolcke, 526.
*282. Hoa ich's doch nie su gesahn. – Gomolcke, 429.
*283. Hoast'n nit g'seg'n, siegst'n nit ah. (Steiermark.)
Hast ihn nicht gesehen, siehst ihn auch nicht. Ausruf des Aergers über ein hastiges, ungestümes Wesen.
*284. Ich hab' es nicht gesehen, aber gehort hab' ich es wol. – Agricola I, 181.
Früher als verneinende Antwort, wenn jemand zum Zeugen aufgefordert wurde.
Lat.: Audita narro. – Commemorata aliis refero; nec demo, nec addo; prorsus, qua mihi sunt credita, reddo fide. (Glandorp, 95, 2087.)
*285. Ich hoa dich gesân, ich wêss nich wû. (Schles.) – Frommann, III, 415, 586.
*286. Ich möchte gern den sehen, der es gesehen hette. – Agricola I, 182; Gruter, I, 50; Egenolff, 108b.
Wenn man ein Gerücht, eine Rede in Zweifel zieht oder glaubwürdige Zeugnisse dafür fordert.
*287. Ich muss erst sehen, wie die Zäume hängen. (Thüringen.)
Ob Meinungen, Gelegenheit, Umstände, Zeit u.s.w. günstig ist.
*288. Ich sehe dich von weitem nicht gern. (Breslau.)
Scherzhafte Aufforderung näher zu treten.
*289. Ich sehe jhn lieber denn mein Augen. – Eyering, III, 71; Schottel, 1120a.
*290. Ich sehe jn lieber dann Got. (S. ⇒ Liebhaben 27.) – Franck, II, 74b.
*291. Lang' nich gesehn on doch noch gekannt. (Ostpreuss.)
Oft auch ironisch bei schnellem Wiedersehen.
*292. Lass hier sehen, was du kannst.
Lat.: Hic Rhodus, hic saltus. (Seybold, 216.)
*293. Man kann davon so wenig sehen als Füsse an einer Schlange.
In der Herzegowina: Alles verdeckt er, wie die Otter die Füsse. (Hausfreund, XVI, 519, 82.)
*294. Man muss es sehen, um's zu glauben. (Schles.)
*295. Man muss sehen, was er im Schilde führt.
Frz.: Il faut voir ce qu'il a dans le corps.
*296. Man muss sehen, wie es gebacken ist.
Untersuchen, wie die Sache ist.
*297. Man sieht da, wer zu Brote gewöhnt ist.
*298. Man sieht ihn nur alle Festtage einmal.
*299. Man sieht ihn so oft wie einen Palmesel. – Parömiakon, 1606.
D.h. sehr selten, da der Palmesel jährlich nur einmal erscheint.
*300. Man sieht wol, wess Geistes Kind er (sie) ist.
*301. Man sieht's an deiner Nase, dass du lügst.
*302. Mer wull'n sehn, wie Hans a Bôk wird stechen. (Hirschberg.)
*303. Nê, sât doch! (Schles.) – Frommann, III, 245, 128.
*304. Sehen wie Hase läuft. – Gartenlaube (Leipzig 1863), Nr. 20, S. 80.
*305. Sehen, woher der Wind pfeift (bläst, kommt, weht).
Frz.: Voir de quel côté vient le vent.
*306. Sie sehen als weren sie aus dem grabe vom tode auffgestanden. – Tappius, 139b; Franck, II, 95a.
*307. Sie sehen auf einen Pfennig und lassen den Batzen liegen (fahren).
[512] *308. Sie werden sehen, in wen sie gestochen haben. – Franck, II, 89a.
*309. Siehste, wie de bist.
Wenn man hämisch einen auslacht und verspottet.
*310. Sihe yhm auff die hende, du darffest yhm auff die fuesse nicht sehen. – Agricola I, 118.
»Wenn ich yemand vor eines andern tucken warne, dass er sich vor yhm fürsehe, es sey auff dem spiel, odder sonst jnn einer fahr, dass er schlagen odder hawen wolle heymlich vnd schelcklich, so sprich ich: Sihe yhm auff die hende.«
*311. Sistu, wie onser junem gef. – Frischbier2, 3473.
Die Entstehung dieser Redensart, welche sich auf der Grenze von Ermland und Natangen verbreitet findet, wird so erzählt: Ein katholischer und ein evangelischer Hirtenknabe stritten sich darüber, ob der Gott der Katholiken oder der Gott der Evangelischen mächtiger sei. Während des Streites erhob sich ein Gewitter und der Blitz schlug in eins der an der Landstrasse (in Ermland) stehenden Crucifixe. Da schrie der evangelische Knabe triumphirend: Siehst du, wie unser euerm gab! Die Redensart wird angewandt, wenn irgendwo ein starker Knall hörbar wird, wenn jemand eine Ohrfeige bekommt u.s.w.
*312. Wann ichs sihe, so glaub ichs, ich bin der vngleubig sant Thomas. – Franck, II, 94b.
*313. Wann ick dat noch êns (noch einmal) sê, kann ick 't ok. (Strelitz.) – Firmenich, III, 73, 96.
*314. War'sch ne sitt, dar glôbt's nich. (Schles.)
*315. Was er sieht, will er haben.
Böhm.: Uzřel – zachtĕl. (Čelakovsky, 123.)
Poln.: Ujrzał, zachciał. (Čelakovsky, 123.)
*316. Wenn ich dich sehe, fällt mir gleich die Butter vom Brote. – Klix, 16.
*317. Wenn man ihn auch nicht sieht, so hört man ihn doch.
Den Schreier.
*318. Wenn man ihn sieht, möchte man glauben, er könne nicht bis auf drei zählen.
Frz.: A le voir on dirait qu'il ne sait ni A ni B.
*319. Wenn man ihn sihet, so kennt man ihn ausswendig; wenn man ihn höret, so kennt man ihn ganz.
Lat.: Non ille sapit, qui multa scit, sed qui sapit quod est utile, et ad rem facit. (Chaos, 822.)
*320. Wenn öck dat noch ênmol seh, denn kann öck 't ok. – Frischbier2, 3475.
Scherz- oder spottweise zu jemand, der aus Versehen oder Ungeschicklichkeit einen Schaden gemacht hat, z.B. eine Tasse umgestossen, ein Geschirr zerbrochen u.s.w.
*321. Wenn öck den seh' on drink e mal, den si öck e ganz Vêrtendag (auch: e ganz Achtdag) satt.
Um eine starke Abneigung auszudrücken.
*322. Wenn wi us nich ehr wedder sehen, denn upen gützkowschen Piermarkt.
In der pommerschen Stadt Gützkow wird ein grosser Pferdemarkt abgehalten, der gleichzeitig eine Art Vereinspunkt für die Landleute ist, weshalb sie bei der Trennung einander zurufen: Wenn wir uns nicht eher wiedersehen, dann auf dem gützkowschen Pferdemarkt. (Schmidt, Jubelschrift, 16.)
*323. Wer das nicht sieht, hat keine Augen.
*324. Wer dich gesehen hat, kann wahrsagen. (Altröm.)
Von sehr hässlichen Leuten. Einer schönen Person zu begegnen, galt als eine glückliche, einer hässlichen und schwarzen, als eine unglückliche Vorbedeutung.
*325. Werden wir halt sehn, wem der Vater 'n Schimmel schenkt? – Wurth, 220.
In Oesterreich, um zu sagen, ob die Sache gut endet und wer den Nutzen davon, wer's Glück hat.
*326. Wi îch'n soak, schoss mer'sch Blott. – Frommann, III, 410, 391.
*327. Wir werden es sehen, wenn der Grund gegraben (der Boden gelegt) wird.
*328. Wir wollen sehen, hat der Blinde gesagt.
Frz.: Nous verrons, dit l'aveugle. (Bohn I, 40.)
*329. Wir wollen sehen, wie der Mutter die Haube wird stehen. (Schles.)
Wird gebraucht, wenn man etwas versucht, zunächst beim Anprobiren von Kleidungsstücken, dann aber auch in weiterer Beziehung.
*330. Wü män säh't ihm nit, dort wachst er. (Jüd.-deutsch. Warschau.)
Er ist überall, wo man ihn am wenigsten braucht und gern sieht.
331. Du siehst vnd denkst wohin möglich, allenthalb ist Gott krefftiglich.
Lat.: Enter, praesenter Deus est, et ubique potenter. (Loci comm., 40.)
332. Jeder muss sehen, wie er vorkommt.
Lat.: Callidum esse aequum est ad suum quemque quaestum.
333. Jetzt seh' ich den dicken Herrn heut schon das dritte mal vorübergehen, und er hat mir noch nicht einmal einen Kreuzer gegeben, sagte der arme Blinde.
[1727] 334. Man sieht wol im Angesichte, wie einem zu Muthe ist.
Bei Tunnicius (1163): Men süt wol in dem angesichte, wo einem is to mode. (Ostendunt animos vultus, et verba dolorem.)
335. Nun seh' ich alles doppelt, sagte der Mann mit den schwachen Augen, dem man den Rath gegeben hatte, es mit Gläsern zu versuchen und der deshalb in der Schenke ei nige Gläser genommen hatte.
336. Sehen kostet kein Geld. – Horn, Spinnstube, 1846, S. 195.
337. Um gesehen zu werden von Leuten, soll man nicht fremde Pferde reiten. – Olearius, 356.
In dem Sinne: sich mit fremden Federn schmücken.
338. Von Sehen und Hören wird man nicht satt.
339. Was ich seh', das steht; was ich streich', das geht. – Neue illustrirte Zeitung, 1879, I, 10.
Mit dieser Zauberformel werden im Lauenburgschen Warzen vertrieben, indem man dabei stark in den Vollmond sieht und die Warze mit dem Zeigefinger bestreicht.
340. Wen man nicht sieht, den kann man nicht lieben.
»Aus den Augen, aus dem Sinn.« Der Geliebte, den man nicht mehr sieht, sagte schon Ovid, ist bald vergessen.
341. Wenn man gut sieht, ist es leicht eine Nadel einzufädeln. – Neue Freie Presse, 4592.
342. Wer alles sieht und bezeugen kann, ist ein viel geplagter Mann.
Böhm.: Vidiče vedou, a nevidič na peci leží. (Čelakovsky, 77.)
343. Wer sehen will, muss nicht die Augen verschliessen.
344. Wi ware e mol sehen, seggt jen Blinder, on heft sin Dag nuscht mehr gesehen. – Frischbier, I, 388.
*345. Er muss sehen, wo die Thür ein Loch hat. – Herberger, I, 118.
*346. Er siht als hett er ein kind derbissen. – Mathesius, Historia Jesu, LXXXVIIa.
*347. Nicht weiter sehen als von elf bis Mittag. – Ueber Land und Meer, 1862, S. 274c.
*348. Sehen, wo das Thor ein Loch hat. – Herberger, Ib, 161.
*349. Sehen, wo die Glocken hangen. – Hermes, VI, 403.
*350. Sehen wollen, ob der Grossmutter alte Katze noch lebt. – Schaltjahr, III, 531.
*351. Sie sieht als sei sie auff der gabel gefahren (Hexe). – Ayrer, IV, 2644, 27.
*352. Sie sieht als sei sie dem Hencker entloffen. – Ayrer, IV, 2644, 26.
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