[303] Griechenland (Neu-Griechenland, amtlich Hellas genannt, hierzu die Karte »Griechenland«), Königreich im SO. Europas, wurde 1832 gegründet, 1863 um die Ionischen Inseln (s. d.), 1880 um Thessalien und ein Stück von Epirus vergrößert und durch die dem unglücklichen Kriege von 1897 folgende Grenzregulierung um 440 qkm verkürzt. G. liegt (mit Einrechnung der Inseln) zwischen 35°50´-39°50´ nördl. Br. und 19°17´-26°10´ östl. L. und hängt nur im N. längs einer 270 km langen Landgrenze mit der Türkei (Albanien und Mazedonien) zusammen, während es sonst überall vom Meer umgeben ist, im O. vom Archipelagus, im S. vom Mittelmeer, im W. vom Ionischen Meer. Das Land besteht aus drei Hauptteilen: Nordgriechenland (umfassend Thessalien und Mittelgriechenland, letzteres unter türkischer Herrschaft Livadien genannt), die Halbinsel Morea (Peloponnes) und die Inseln.
Die Beschreibung der Gebirge, Hoch- und Tiefebenen mit Angabe ihrer antiken und heutigen Namen, ihrer Höhen etc. findet sich oben bei Alt-Griechenland, im Abschnitt »Bodengestaltung«, S. 288 f.[303]
[Geologische Beschaffenheit.] Von N. her erstrecken sich als Ausläufer der Dinarischen Alpen (s. Türkisches Reich) nach G. hinein zwei Hauptgebirgszüge: im W. der Pindos, im O. das thessalische Küstengebirge. Der Pindos und die westlich angrenzenden Ketten bis zum Meere hin bestehen aus eocänen (früher für eretazeïsch gehaltenen) Ablagerungen (Plattenkalken, Hornsteinen, Flyschsandsteinen und -Schiefern und Nummulitenkalken); auch die Ätolischen und Akarnanischen Alpen, die südliche Fortsetzung des Pindos, haben den gleichen Bau, ebenso wie die jenseit des Korinthischen Golfes im Peloponnes nach dem Kap Matapan und Kap Malea nordsüdlich fortstreichenden Gebirgszüge. Das thessalische Küstengebirge (Olymp, Ossa und Pelion) verläuft quer gegen seine ostwestlich streichenden Gebirgsschichten, und diese sind wesentlich Phyllite und kristallinische Kalke. Ähnliche Gesteine, nicht selten in Verbindung mit Serpentin, finden sich auch in den östlichen Teilen Euböas und Attikas, besonders in dem marmorreichen Pentelikon und Hymettos und in den erzführenden Bergen von Laurion, hier noch durchbrochen von Granit. Auch im östlichen Teil von Morea treten kristallinische Schiefer auf, so in der Umgebung des Pheneos-Sees, in den südlichen Grenzgebirgen Arkadiens, ferner in dem Taygetos und in der Maina, hier in Verbindung mit kristallinischem Kalk (eine Varietät desselben ist der schon im Altertum geschätzte rote Marmor), der sich bis zum Kap Matapan erstreckt, sowie in dem südöstlichen, bis zu Kap Malea fortstreichenden Höhenzug. In Nord- und Mittelgriechenland liegen zwischen dem Eocän im W. und dem kristallinischen Gebirge im O. mehrere kleine nach O. hin streichende Ketten (z. B. der Othrys, Ota, Parnassos, Helikon, Kithäron etc.), die neben den eocänen Ablagerungen noch Schiefer und Kalksteine der Kreide (oft reich an Rudisten) und massenhaft eingelagerte Serpentine enthalten, aber hier und da als Unterlage auch ältere Sedimente der Phyllitformation zu haben scheinen. Derartige Ablagerungen finden sich auch auf dem Isthmos und in den Randgebirgen Arkadiens sowie im Taygetos zwischen Sparta und Messenien und im ganzen östlichen Peloponnes. Südlich von Sparta, zwischen Marathonisi und Levetsova, wird im Gebiet der Kreide der seit dem Altertum berühmte Labradorporphyr (portido verde antico) gebrochen. Sehr verbreitet sind in G. und zumal in den der Küste benachbart liegenden flachern Landstrichen neogene Tertiärablagerungen; sie gehören, wie die Korallenkalke der attischen Ebene, dem obersten Miocän (sarmatische Stufe) an, zum Teil dem ältern Pliocän, zum größern Teil aber dem jüngsten Pliocän. Neogene Konglomerate umgeben die nördlichen und westlichen Grenzgebirge Arkadiens bis zu etwa 1500 m Meereshöhe, während in den flachern Küstengegenden, namentlich am Isthmos und in den Eparchien Korinth, Elis, Messenien, auch in Sparta und Achaia (und ähnlich in Attika, Böotien, Thessalien und auf Euböa), jüngere marine und zum Teil auch brackige und Süßwasserbildungen, bestehend aus blaugrauen Tonen und Mergeln, sandigen Meereskalken, feinschieferigen Süßwasserkalken mit Lignitflözen etc., herrschen, zum Beweis, daß das Land erst in verhältnismäßig junger Zeit zu seiner jetzigen Höhe aus dem Meer emporgestiegen ist. Die Kalke Griechenlands sind reich an Höhlen. Manche derselben sind natürliche Abzugskanäle (Katabothren) für die Gewässer der vielen geschlossenen Beckentäler in Böotien und im Peloponnes. In die Höhlen an der Küste von Kephallinia verlieren sich landeinwärts laufende, Mühlen treibende Meeresströme (s. Argostoli).
Die Inseln der Kykladen folgen der Richtung Euböas und Attikas und setzen sich weit ins Meer hinaus fort, wie die Spitzen eines untergegangenen Festlandes. Die Kaimenigruppe, Santorin und Therasia, zusammen einen Krater bildend, zeigt mächtige vulkanische Massen von Andesit (s. Santorin). Sie ist durch die Ausbrüche von 1866 ff. berühmt geworden. Die jungvulkanischen Gebilde setzen von da über die Milosgruppe fort und erreichen ihr Ende erst im Golf von Ägina (Poros, Halbinsel Methana und Ägina). Fast überall findet sich daselbst älteres Grundgebirge als Basis der Trachyte, Andesite, Obsidiane und Bimssteine und der mancherlei Tuffe und Schlackenbildungen; Basalt ist nur auf Milos beobachtet. An der Zusammensetzung der übrigen Inseln nehmen sowohl ältere als jüngere sedimentäre Gesteine Anteil; kristallinische Schiefer herrschen besonders auf Tinos (mit grünem, weiß und dunkel geflecktem Serpentinmarmor), Syra (Glaukophanschiefer), Paros (mit dem berühmten parischen Marmor), Naxos (mit bedeutenden Schmirgellagern) u. a. Vgl. Philippson, Der Peloponnes (Berl. 1892) und Beiträge zur Kenntnis der griechischen Inselwelt (Gotha 1900); Neumayr u. a., Geologische Studien in den Küstenländern des Griechischen Archipels (Wien 1880).
Kein Land der Erde hat im Verhältnis zum Flächeninhalt eine so reiche Gliederung wie G. Dies beruht auf dem geologischen und tektonischen Bau, der G. freilich auch zu einem der erdbebenreichsten Gebiete macht. Der maritime Charakter ist auf der Ostseite reicher entwickelt und macht sie wegen ihrer vortrefflichen Häfen für den Seeverkehr geeigneter als die Westseite. Deshalb waren die Griechen von Anfang an mehr auf den Verkehr mit dem Osten als mit dem Westen hingewiesen, und die ostgriechischen Landschaften stellten von jeher den Schwerpunkt des griechischen Seelebens und der griechischen Kultur dar. Die Meerbusen von Arta, Lepanto (Korinth), Patras, Navarino, Koroni (Messene), Marathonisi (Lakonien), Nauplia (Argolis), Hydra, Ägina, die golfartige Straße zwischen Euböa und Attika, sie alle sind tief, geschützt und für die Schiffahrt sehr günstig. Die Buchten, Baien und Häfen geringern Umfanges sind unzählige. Auch die zahllosen Inseln (etwa 500) des Agäischen Meeres bildeten stets eine wichtige Brücke nach Asien, die des Westens (über 100) verbinden G. mit dem übrigen Europa.
[Bewässerung.] Große Längentaler und längere Flüsse fehlen, sehr häufig dagegen sind die Sacktäler, in denen die Flüsse in Schlünden (Katabothren) verschwinden, und die Küstenflüsse. Der größte Fluß ist der vom Peristeri kommende, im Unterlauf schiffbare Aspropotamos (s. d., Acheloos); ihm parallel fließt westlich der auf türkischem Gebiet entspringende, in den Meerbusen von Arta mündende Artinos (Arachthos), östlich der Phidaris (Euenos), der in den Golf von [304] Paträ fällt, und der in den Golf von Korinth fallende Mornos (Mornopotamos). Gegen O. fließen in Thessalien der Salamvrias (Peneios) mit dem Sarantaporos und zahlreichen andern Zuflüssen; in Livadien: der Alamana (Hellada, der alte Spercheios) zum Meerbusen von Zituni, der Mavronero oder Mavropotamos (Kephisos), der sich in den ehemaligen See Topolias (Kopaïs, s. d.) ergießt, und der Buriendis (Asopos) zum Agäischen Meer. Auf Morea sind zu erwähnen: der zum Busen von Arkadia fließende Ruphias (Alpheios), der Hauptfluß der Halbinsel, die Pirnatsa (Pamisos), die südlich in den Golf von Koroni, und der Iri (Eurotas), der in den Golf von Marathonisi mündet; endlich die Panitsa (Inachos), die zum Golf von Nauplia fließt. Die meisten Flüsse führen bloß periodisch Wasser, nur die größern fließen ununterbrochen. Quellen sind zahlreich, aber sehr ungleich verteilt. Auf dem Taygetos und Kithäron sind sie häufig, in Attika und Megaris selten, auf der Ebene von Argos gibt es gar keine. Die bedeutendern Seen sind in Thessalien der Karlasee (Boebe) und der Nezero- oder Dauklisee (Xynias), in Livadien der trocken gelegte Topoliassee (98 m hoch), Likerisee, Vrachorisee (Trichonis, 36 m) und der See von Angelokastron, auf der Halbinsel Morea der Zarakasee (Stymphalis, 588 m) und der See von Phonia (722 m). Viele Sacktäler und Becken sind dauernd oder zeitweilig mit Seen und Sümpfen erfüllt.
[Klima.] Da G. den nördlichen kalten Winden vom Schwarzen Meer her ziemlich offen steht, so sind die Winter kälter als im W. des Mittelländischen Meeres. Dabei zeigen sich auf der kurzen Strecke von sechs Breitengraden in G. klimatische Unterschiede, wie sie sich weiter westlich auf eine nordsüdliche Erstreckung von 15 Grad (von Mitteldeutschland bis Sizilien) verteilen. In den ringsum von Bergkesseln umschlossenen Tälern, z. B. in Böotien, bei Sparta und im Innern Arkadiens, ist die Hitze des Sommers sehr hoch (bis 45, ja 50°), die Kälte im Winter oft -12°, die mittlern Jahresextreme der Temperatur betragen für: Valona 35°,-1°, Korfu 35°,-2°, Janina 36°,-8°, Paträ 37°,-1°, Athen 38°,-2° (absol. 41°,-10°). Die Sommer sind sehr regenarm, und die Sommerdürre dauert oft weit in den Herbst hinein fort; regenreicher ist die kalte Jahreszeit. Die Jahressumme der Niederschläge beträgt für: Durazzo 109, Valona 108, Korfu 148, Janina 130, Paträ 66, Kalamata 82, Nauplia 39, Athen 34, Andros 56, Santorin 30 cm (Regentage auf Korfu etwa 120, in Athen 73). Die Luft ist im ganzen ungemein klar und trocken, besonders in Attika. In Athen ist der Himmel durchschnittlich an 179 Tagen klar, an 157 Tagen halbklar und nur an 29 Tagen trübe; Gewitter kommen dort an 19 Tagen vor. Die Jahreszeiten prägen sich ziemlich scharf aus. Mit dem März tritt der Frühling in seiner ganzen Schönheit auf und währt bis Juni, wo sich der fast regenlose Sommer mit großer Hitze einstellt, die bis Ende August anhält. Mit dem September stellen sich erfrischende Gewitterstürme ein, und es beginnt der bezaubernde Herbst. Ende November folgt die Regenzeit, doch werden die naßkalten Tage oft vom lachendsten Lenzwetter unterbrochen. Schnee fällt nur in den Gebirgen, und die Gipfel des Parnaß und Taygetos halten um wohl bis Ende Mai. Auf der Ebene und in den Talern ist er selten oder schmilzt bald, und allgemein strenge Winter sind eine Ausnahme. In den Talern Arkadiens, des Liakura (Parnaß) und des Paläo-Buno (Helikon) verscheucht der Schirokko oft nach zwei oder drei Tagen den Winter.
[Pflanzenwelt.] Au eine durch dünenbewohnende Sand- und Salzpflanzen gekennzeichnete Küstenregion Attikas schließt sich weiter landeinwärts an Flußufern und Tal sohlen sowie auf Kulturflächen und Brachäckern eine Ebenenflora an, die vorwiegend aus mediterranen Formen von allgemeinerer Verbreitung mit beigemischten spezifisch griechischen Elementen besteht. In der zunächst folgenden Region der Hügel und Vorberge herrschen teils niedrige Phryganasträucher, wie Poterium spinosum, Cistus creticus, Anthyllis Hermanniae u. a., teils höhere immergrüne Buschbestände der Macchienformation mit zum Teil für die griechische Flora charakteristischen Bestandteilen vor. Auf höhern Bergen breitet sich der Bergwald aus, dessen Untergrundflora an endemischen Pflanzen formen besonders reich ist. Größere Waldbestände finden sich außer in Attika auch in Megaris, Livadia, Euböa, Paros u. a. Die wichtigsten Nadelholzarten sind Abies Apollinis, A. cephalonica, in Arkadien auch A. Reginae Amaliae, auf dem Gebirge Panachaïkon A. panachaïca, Pinus Picea, P. laricio, mehrere Arten von Zypressen und Juniperus, Taxus baccata am Parnes u. a. Von Laubhölzern ist Quercus Aegilops besonders in der Ebene verbreitet, außerdem kommen vor Q. coccifera, Q. Cerris, Q. Ilex, auf Euböa Q. pubescens, auf dem Parnes Q. congesta u. a. Die mitteleuropäischen Eichen sind selten. Die Buche tritt über der Tannenregion auf; in Epirus und Thessalien hat die Roßkastanie (Aesculus Hippocastanum) einen ursprünglichen Verbreitungsbezirk. Die Edelkastanie wächst in feuchten Talschluchten; die Platane steigt bis über 1000 m im Gebirge auf; Pappeln, Ulmen, Blumeneschen, Linden, Acer creticum, Carpinus Duinensis, Ostrya carpinifolia sind häufigere Holzgewächse. Die alpine Region ist an Glazialpflanzen sehr arm, jedoch hat sie endemische Formen, die in Thrakien und Rumelien fehlen und zum Teil als Varietäten mittelmeerländischer Arten betrachtet werden können. Unter den Kulturpflanzen stehen Ölbaum, Weinstock, Weizen und Gerste obenan.
[Tierwelt.] G. gehört zur mittelländischen Subregion des paläarktischen Faunengebietes. In den Gebirgslandschaften Nord- und Mittelgriechenlands gibt es noch ziemlich viel Wild, in Epirus und Pindos sollen noch Bären vorkommen; von Asien aus hat sich der Schakal bis nach G. verbreitet. Neben Edelhirsch und Reh ist für G. charakteristisch das wild vorkommende Damwild; das Wildschwein tritt noch häufig auf; der Steinbock lebt noch auf Kreta, auf den Inseln des Archipels finden sich wild lebende Ziegen oft in großen Herden, auf den Kykladen wilde Kaninchen in ungezählten Scharen. Der Hase ist in G. häufig. G. hat eigne Arten von Vögeln, aber auch ein großer Teil der vom N. nach Afrika ziehen den Vögel passiert G., und eine Anzahl nördlicher Vögel nimmt hier Winterquartier, z. B. Waldschnepfe, Bekassine, Kiebitz, Eisvogel, Wiesen- und Wasserpieper, Feldlerche, Heidelerche und Haubenlerche, Singdrossel, Rotdrossel, Amsel; in den Lagunen, den Sümpfen und Seen leben im Winter der nordische Singschwan und in unglaublichen Scharen Rotente, Tafelente u. a., ebenso Säger, Steißfuß und Möwen. Zu charakteristischen Vogeln der sommerlichen Tierwelt, die höchstens als Irrgäste sich weiter nach N. verfliegen, zahlen Pelikan, grauer Sturmtaucher, Sichler, Löffelreiher, Zwergtrappe. Auf ihrem Zug kommen durch G. Purpurreiher, Silberreiher, Schopfreiher, Nachtreiher, der weiße und schwarze Storch. Als [305] Stand- oder Strichvögel finden sich Falken, im Winter auch der Fischadler, ferner der weißköpfige Geier, in den westlichen Gebirgen der Lämmergeier, von Eulen Uhu, Zwergohreule, Sperlingseule; als Jagdgeflügel spielen eine Rolle Auerwild, Steinhuhn und Trappe. Reptilien und Amphibien, besonders erstere, sind zahlreich vertreten, einige Eidechsen erreichen eine bedeutende Größe. Der Fischfang wird sowohl in den Gewässern des Landes wie an der Küste viel betrieben (Aale im Kopais- und Karlasee, Lachsforellen, Sardellen an der Küste von Nordeuböa). Die Mollusken Griechenlands beweisen die Zugehörigkeit zur levantinischen Provinz. Weiteres, auch über die Schwammfischerei, s. unten, S. 308.
G. hat einen Flächeninhalt von 64,679 qkm und gliedert sich seit 1. Jan. 1900 (Gesetz vom 6. Juli 1899) in 26 Nomen (bis dahin in 16), die in 68 Eparchien und 448 Demen zerfallen. Die Bevölkerung betrug 1896: 2,433,806 Kopfe (1,266,816 männlich, 1,166,990 weiblich) gegen 2,187,208 im J. 1889 und 1,980,000 im J. 1881. Der Zuwachs gegen die Zählung von 1889 beträgt 10,6 Proz. oder jährlich 1,6 Proz. trotz großer Kindersterblichkeit, eine Zunahme, wie sie in Europa nur noch Sachsen und Serbien zeigen. Auf die einzelnen Nomen, deren Flächeninhalt noch nicht ermittelt ist, verteilt sich die Bevölkerung wie folgt:
Die stärkste Volksdichte (98 Einw. auf 1 qkm) und zugleich die stärkste Bodenbenutzung zeigen die ols Ganzes nie unter türkisches Joch gekommenen Ionischen Inseln. In den Kykladen entfallen 56, im Peloponnes 41,5, in Mittelgriechenland 28,4, in Nordgriechenland 29,6 Einw. auf 1 qkm. Die seit langem dicht bevölkerten Inseln zeigen fast allgemein eine Abnahme ihrer Volkszahl, dagegen sind die Städte auf Kosten der Landbevölkerung stark gewachsen, besonders in dem Jahrzehnt 187989, wo die Bevölkerung von Athen um 69,24 Proz., Piräeus 61,18 Proz., Pyrgos 43 Proz. und Paträ 31,56 Proz. anwuchs. Städte über 10,000 Einw. gab es 1896 zwölf. Der Staatsangehörigkeit nach gab es außer den Hellenen (1896) etwa 32,000 fremde Untertanen, in erster Linie Osmanen, Italiener und Engländer. Von griech. Staatsangehörigen lebten 1896: 138,000, meist Kaufleute, im Ausland, davon über die Hälfte in Europa, 43,000 in Asien, 21,000 in Afrika, die in den Haupthandelsstädten ansehnliche Geschäfte betreiben. Im J. 1895 wanderten 2195 Griechen nach Amerika aus, 1896 niemand.
Die Bevölkerung Griechenlands besteht aus zwei vorherrschenden Volksstämmen, den Griechen (Neugriechen 1,850,000), den namentlich auf dem Festland mit slawischem, romanischem, albanesischem und türkischem Blut gemischten Nachkommen der alten Hellenen, die besonders in Südgriechenland und (reinern Blutes) auf den Inseln weit überwiegen, und den Albanesen (s. d.), die im 14. Jahrh. einwanderten und sich besonders im östlichen Mittelgriechenland, in Argolis, Korinth und im südlichen Euböa vorfinden. Ihre Gesamtzahl wird auf 100,000, nach andern auf 250,000 geschätzt, wovon etwa ein Viertel nur seine eigne Sprache versteht. Sie bilden einen stark hellenisierten, weniger durch Zahl als durch industrielle Tätigkeit bemerkenswerten Teil der Bevölkerung, da sie vorzügliche Ackerbauer und die unternehmendsten Seeleute sind. Außerdem leben in G. Kutzowlachen oder Zinzaren (im Pindos und im nördlichen Ätolien), Türken (sogen. Koniariden, im ebenen Thessalien, z. T. ausgewandert) und 6000 Juden. Die Neugriechen tragen trotz starker Beimischung fremder Elemente und trotz Beeinflussung durch Türken, Slawen und Italiener (die Neugriechen sind viel brachykephaler geworden, als es die alten Griechen waren) doch viele unverkennbare Spuren der Ähnlichkeit mit den alten Hellenen an sich und haben sich deren Assimilationskraft bewahrt. Vgl. Fauriel, Chants populaires de la Grèce mederne (Par. 1824; deutsch von W. Müller, Leipz. 1825); Bybilakis, Neugriechisches Leben, verglichen mit dem altgriechischen (Berl. 1840); Firmenich, Neugriechische Volksgesänge (das. 184067, 2 Tle.) und B. Schmidt, Das Volksleben der Neugriechen und das hellenische Altertum (Leipz. 1870); weitere Literatur zur Volkskunde s. unten, S. 311.
Nach dem Religionsbekenntnis verteilt sich die Bevölkerung Griechenlands 1896 folgendermaßen. Es gab 1,922,000 Griechisch-Orthodoxe, 26,000 andre Christen (meist römisch-katholische), 25,000 Mohammedaner, 6000 Juden. Jedem Kultus ist freie Religionsübung gewährleistet. Staatsreligion ist die griechisch-orthodoxe, der sämtliche Kinder des Königs, namentlich auch der Kronprinz und dessen Nachkommenschaft, angehören. Die griechische Staatskirche sagte sich 1833 von der Oberaufsicht des Konstantinopeler Patriarchen los und gestaltete sich durch Einsetzung eines einheimischen obersten Kirchenregiments (heilige Synode zu Athen) zur Nationalkirche. Die Geistlichkeit ist an Zahl (5000) bedeutend und hat ausdedehnte Ländereien. Die Zahl der hohen geistlichen Ämter, die der König ernennt, ist mit der neuen Nomeneinteilung von 39 auf 32 herabgesetzt und der Unterschied zwischen Erzbischöfen und Bischöfen aufgehoben worden. Alle führen in Zukunft den Titel Bischof; nur der Bischof von Athen, zugleich Präsident der Heiligen Synode, behält den Titel Metropolit. Die Zahl der Klöster betrug 1898: 198 (gegen 510 vor 1883 innerhalb der damaligen engern Grenzen) mit 1500 Mönchen, alle von der Regel des heil. Basilius, und 6 Nonnenkloster. Der niedere Klerus, der sich verheiraten darf, ist kärglich besoldet[306] und wenig gebildet, übt aber einen sehr bedeutenden Einfluß auf die niedern Stände aus. Die römischen Katholiken stehen unter 3 Erzbischöfen (Athen, Naxos, Korfu) und 5 Bischöfen. Weiteres über die kirchlichen Verhältnisse Griechenlands s. Artikel »Griechische Kirche«.
Das Schulwesen, das zur Türkenzeit ganz daniederlag, hat einen erfreulichen Aufschwung genommen. Vom 6. bis 13. Lebensjahr ist der Schulbesuch obligatorisch; doch wird diese Bestimmung selten eingehalten, und die Zahl der Analphabeten ist noch immer sehr groß (300 unter 1000 Rekruten). 1832 gab es in ganz G. erst 75 Elementarschulen, 18 hellenische Schulen (Mittelschulen) und 3 Gymnasien. Dagegen zählte man 1897: 2874 Volksschulen (1479 Knaben-, 432 Mädchen-, 963 Schreibschulen) mit 3466 Lehrern und Lehrerinnen, 129,230 Schülern und 29,119 Schülerinnen. Hellenische Schulen gab es 1899: 264 mit 647 Lehrern und 15,739 Schülern, 40 Gymnasien mit 291 Lehrern und 3986 Schülern. Da der dem Bankrott nahe Staat für Unterrichtszwecke nur wenig Geld zur Verfügung hat, so tragen Klöster, Gemeinden und namentlich Private zu den Kosten des Schulwesens das meiste bei. Außerdem bestehen an Bildungsanstalten: ein Polytechnikum, eine theologische Akademie, 5 theologische (griechisch-orientalische) Bildungsanstalten (Seminare), 4 Lehrerseminare, das Lehrerinnenseminar (Arsakeion) in Athen, 3 Navigationsschulen und eine nautische Akademie, eine landwirtschaftliche Akademie und 7 landwirtschaftliche Stationen, eine Militärschule im Piräeus und die Universität in Athen mit (1900) 57 Professoren, wenigen Privatdozenten und 2802 Studenten (damit verbunden die Pharmazeutenschule, ein chemisches, ein anatomisches Institut, die Sternwarte etc.). Rühmliches leistet auch die Archäologische Gesellschaft in Athen. Zu nennen sind außerdem zahlreiche Vereine (Syllogoi) für wissenschaftliche, künstlerische und Unterrichtszwecke; die Nationalbibliothek, das archäologische Nationalmuseum, das epigraphische und das numismatische Museum in Athen. Die Presse ist vertreten durch 160 Tageszeitungen und periodische Schriften (davon 151 griechisch, 4 griechisch und französisch, 3 französisch), von denen 68 in Athen, 11 in Korfu erscheinen. 91 Zeitungen sind politisch, 19 politisch und literarisch zugleich.
Die geistigen Anlagen der Neugriechen sind überaus glücklich. Im Nationalcharakter sind infolge des jahrhundertelangen Druckes die schlechten Eigenschaften fast überwiegend; namentlich sind Eitelkeit, Mißtrauen, Hang zum Lügen, Unzuverlässigkeit, Neigung zu Betrug und Übervorteilung allgemeine Charakterfehler. Die »griechische Treue« (fides graeca) ist berüchtigt. Dazu kommt Hang zu Müßiggang und Scheu vor Handwerk und strenger Arbeit; jeder möchte Handel treiben, für den der Grieche besonders veranlagt ist. Eine Folge davon ist der hohe Arbeitslohn und der niedrige Stand der Bodenkultur. Zu den guten Eigenschaften der Griechen gehören ihre Höflichkeit, Gefälligkeit und Freundlichkeit, die Freigebigkeit der Reichen zu wissenschaftlichen uno kulturellen Zwecken.
Die Wohn- und Lebensweise der Griechen ist einfach. In den Städten sind die Häuser selten zwei Stockwerke hoch. Vieles Hausgerät zeigt antike Form. Selten ißt das Landvolk warme Speisen. Brot, dazu etwas Käse, Früchte, Zwiebeln oder gesalzene Fische sind die tägliche Nahrung, reines Wasser oder ein Schluck wohlfeilen Harzweines (Rezinat) das Getränk. Fleisch wird selten genossen. Die (ursprünglich albanesische) noch sehr verbreitete Nationaltracht der Männer besteht aus einem bunten, vorn offen stehenden Spenzer, einer kurzen, gleichfarbigen, gestickten Jacke darüber und einem farbigen Überwurf mit geschlitzten Ärmeln um die Schultern. Die Hüften umschließt ein breiter, verzierter Gürtel. Von diesem abwärts reicht bis unter die Knie ein weißes, in zahllose Falten gelegtes Hemd, die sogen. Fustanella. Die Waden decken weiße Strümpfe oder enge, bunt gestickte Gamaschen, die Füße rote Schnabelschuhe. Die Tracht der Frauen ist nach den verschiedenen Gegenden verschieden, meist ein langes wollenes Kleid, um die Hüften von einem bunten Schal oder Gürtel zusammengehalten, darüber ein kürzeres wollenes Oberkleid. Die Schließung der Ehe wird als Geschäftssache behandelt, welche die Väter ohne weitere Befragung der Kinder abmachen. Das Leben der griechischen Frauen ist ein häuslich abgeschlossenes. Ehescheidungen kommen äußerst selten vor. Für Musik, Tanz und Festlichkeiten haben die Griechen eine große Vorliebe. Herumziehende Rhapsoden findet man oft. Eine Standesverschiedenheit der Bewohner besteht nur in deren verschiedenen Beschäftigungsarten. Einen Adel gibt es in G. nicht; die Verfassung von Trözen (1827) verbot die Erteilung von Adelstiteln.
Ackerbau. G. ist im ganzen nicht fruchtbar und besteht infolge unvorsichtiger Entwaldung aus kahlen Gebirgen; die fruchtbaren Striche sind auf einzelne Flußtäler, manche Teile von Thessalien, der Kornkammer Griechenlands, und einzelne Inseln (Ionische Inseln) beschränkt. Im allgemeinen fehlt es an Wasser. Einem Aufschwung wirken die ungerechte Besteuerung, die mangelhaften Mittel, die primitiven Ackergeräte, der niedrige Stand der Rindvieh- und Pferdezucht und die geringe Unterstützung seitens des Staates entgegen; dagegen gibt es nur geringen Großgrundbesitz. Nur 14 Proz. des Bodens entfallen auf Äcker und Gärten, 4,6 Proz. auf Weinberge, 37 Proz. sind Wiesen und Weide, 35,1 Proz. sind unproduktiv, der Rest ist stark gelichteter Wald. Lohnend ist besonders der Anbau von Korinthen, Wein, Ölbäumen und Feigen; Getreide bildet dagegen stets den Haupteinfuhrartikel (1900 für 33,6 Mill. Drachmen, meist aus Rußland), weil der eigne Anbau, vor allem in Thessalien, den Bedarf bei weitem nicht deckt. Im jährlichen Durchschnitt beträgt die Produktion von Weizen 2,54 Mill. hl, Gerste 1,09 Mill. hl, Roggen 300,000 hl, Mais (in den alten Provinzen) 980,000 hl, Mengkorn (in den alten Provinzen) 500,000 hl. Die wichtigste Frucht ist die Korinthe, die vor allem längs der Küsten des Peloponnes und auf den Ionischen Inseln gedeiht, aber im Ertrag sehr wechselt: 1870 wurden für 17,3,1890 für 48,1,1900 für 52,6 Mill. Drachmen ausgeführt, davon mehr als die Hälfte nach Großbritannien, der Rest nach Frankreich, Deutschland, Österreich, Holland und Nordamerika. Der übermäßig ausgedehnte Anbau von Korinthen, das Mißverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage haben in den letzten Jahren ein bedeutendes Sinken der Preise zur Folge gehabt. Um den stetig wiederkehrenden Krisen vorzubeugen, ist seit 1895 eine künstliche Beschränkung der Ausfuhr durchgeführt, indem 15 Proz. der Jahresernte an Staatsmagazine abzuführen sind und nur im Inland zur Fabrikation von Kognak, Sirup und Spirituosen verwendet werden dürfen. Eine eigens gegründete Korinthenbank in Paträ soll den Interessen der Korinthenbauern dienen.[307] Den Bemühungen der Regierung und einzelner Privaten, darunter der deutschen Weinbaugesellschaft Achaia in Paträ, ist es gelungen, an Stelle der noch sehr unvollkommenen Methoden eine rationellere Art der Herstellung und Behandlung des Weines (jährlicher Durchschnittsertrag 12/3 Mill. hl) zu setzen, wodurch er ausfuhrfähig wurde. So bezieht Frankreich große Mengen herber Weine, auch nach dem Deutschen Reiche werden herbe und süße Sorten mit Erfolg ausgeführt. Die Weinausfuhr betrug 1900: 4,8 Mill. Drachmen. Tabak wird besonders in Thessalien, Ätolien und Argolis gebaut; der Verbrauch im Inland ist sehr stark, trotzdem wurden 1900. 3,66 Mill. kg im Werte von 3,5 Mill. Drachmen ausgeführt. Die Obstbaumzucht (Kirschen, Äpfel, Birnen) ist unbedeutend, wichtig aber die der Feigen in Messenien, von deren Ertrag fast 3/4, meist nach Österreich-Ungarn, ausgeführt werden, und der Ölbäume, deren Zahl auf 910 Mill. angegeben wird. Das Öl (Jahresproduktion 1899: 13,3 Mill. Lit.) ist wegen der mangelhaften Herstellung meist von minderwertiger Beschaffenheit. Mit Baumwolle (Jahresproduktion 5,3 Mill. kg) sind, namentlich in Lakonien und Böotien, 6000 Hektar bepflanzt.
Tierzucht. Fischerei. 1895 zählte man 2,522,353 Schafe (mehr im Peloponnes), 1,954,640 Ziegen (mehr im Norden), nur 87,453 kleine, unansehnliche, aber ausdauernde Pferde, 85,959 Stück Rindvieh, 45,616 Schweine, 48,191 Maultiere, 86,336 Esel, 5090 Büffel und ca. 200,000 Bienenstöcke. Obwohl es Weiden, darunter sommerliche Alpenweiden (Kalyvien), im Überfluß gibt, wird doch die Tierzucht vernachlässigt, wie die starke Einfuhr (1900 für 3,4 Mill. Drachmen) beweist. Die Seidenraupenzucht, die Mitte des 19. Jahrh. noch 1 Mill. kg Kokons produzierte, ist auf 200,000 kg zurückgegangen, die zur Hälfte im Lande verarbeitet, zur Hälfte nach Frankreich ausgeführt werden. Bedeutend ist die Bienenzucht, besonders am Hymettos. Das Meer ist reich an Fischen, Austern und Muscheln, die einen großen Teil der Volksnahrung bilden. Doch betrug die Einfuhr von Fischereiprodukten (gesalzene und geräucherte Fische, Heringe etc.) 6,2 Mill. Drachmen, davon Schwämme für 1,5 Mill., während deren Ausfuhr nur einen Wert von 0,9 Mill. hatte. Die Schwammfischerei wird ausschließlich von den Bewohnern von Hydra, Ägina und Kranidion mit 300 kleinen Schiffen betrieben.
Forstwirtschaft. Von den 8200 qkm Wald (größtenteils in Mittelgriechenland) sind 80 Proz. Staatsbesitz. Der Wald ist durch Pechgewinnung, Viehbiß und die von den Hirten angelegten Waldbrände schwer geschädigt worden, und alle Bemühungen um Einrichtung einer geordneten Forstwirtschaft sind wegen der Geringfügigkeit der aufgewendeten Staatsmittel erfolglos geblieben. 1877 wurden 190 Forstgendarmen angestellt, 1892 Forstinspektoren ernannt. 1900 mußte noch für 10,5 Mill. Holz eingeführt werden, meist aus Rußland und Österreich. Einen wichtigen Ausfuhrgegenstand (jährlich 2 Mill. Drachmen) bilden Eicheln. Das Fichtenharz findet beim einheimischen Weißwein (Rezinat) Verwendung.
Der Bergbau, der seit Aufnahme der Arbeiten in Laurion einen großen Aufschwung nahm, dann aber nachließ, liefert jetzt stetigere Erträge: die Ausfuhr von Erzen (besonders von Laurion aus nach England, Belgien und Frankreich) nimmt die zweite Stelle nächst den Korinthen ein. Die Marmorindustrie (Pentelikon, Paros) hat ebenfalls einen beachtenswerten Aufschwung genommen. Berühmt ist der Schmirgel pou Naxos. Jetzt sind 44 Bergwerke im Betrieb, die 16 größern, meist ausländischen Gesellschaften gehören. Die Produktion der Bergbauprodukte hatte 1898 einen Wert von 21,3 Mill. Drachmen; Menge und Wert der wichtigsten Produkte ergibt folgende Tabelle.
Die gewerbliche Industrie lag bei Gründung des Königreichs gänzlich danieder. Doch gelang es der Regierung, unter Heranziehung auswärtiger Handwerker fast alle Arten von Gewerben in Gang zu bringen, so daß 1859 in Athen sogar eine Industrieausstellung veranstaltet werden konnte. Immerhin ist G. noch vom Ausland (namentlich dem Deutschen Reich, Österreich-Ungarn, Großbritannien und Frankreich) abhängig. Eine erhebliche Ausdehnung hat der Schiffbau erlangt. Die Hauptwersten sind auf Paros, Hydra, Syra und in Galaxidi am Golfe von Lepanto. Neuerdings hat die Baumwollindustrie einen erfreulichen Aufschwung genommen; es bestehen 20 Spinnereien in Piräeus (40,000 Spindeln), Livadia, Chalkis, Paträ und Syra, 12 Baumwollwebereien mit 2000 Stühlen (für grobe Drellstoffe, Schirtings, Kattun, Möbelstoffe) in Piräeus, Argos u. a. O. Geringer ist die Wollindustrie (nur 4 Tuchfabriken). Zu nennen sind ferner 29 Pulver- und Dynamitfabriken, 37 Seifenfabriken, 13 Dampfmühlen. Die Elektrizität findet neuerdings in G. ein bedeutendes Feld und wird durch die 1895 gegründete griechische Elektrizitätsgesellschaft gefördert.
[Handel und Verkehr.] Das wahre Lebenselement für G. ist der Handel, zu dem es durch seine günstige Lage und Küstenentwickelung sowie durch die Eigenschaften des Volkes schon von Natur in hohem Grade berufen erscheint. Durch den mangelhaften Zustand seiner Industrie und seines Ackerbaues gezwungen, eine Menge von Artikeln sowie Getreide vom Ausland zu beziehen, gibt G. diesem dafür seine reiche Produktion an Wein, Korinthen, Erzen etc. ab, und dieser Tausch nährt den eine immer lebhaftere Zunahme erfahrenden, nur über See stattfindenden Handel. Unter den Haupthandelsplätzen Griechenlands sind als Einfuhrhäfen hervorzuheben: Piräeus, Hermupolis und Paträ, als Ausfuhrhäfen Paträ, Katakolon, Kalamä, Nauplia, Volos, Korfu.
Im Spezialhandel betrugen in Millionen Drachmen:
Ein- und Ausfuhr der wichtigsten Waren im J. 1900 ergeben sich aus nachstehender Übersicht (in 1000 Drachmen Gold):[308]
Der Handel mit den wichtigsten Verkehrsländern stellte sich 1901 (in 1000 Drachmen Gold):
Die griechische Handelsflotte vermittelt namentlich den Zwischenhandel in der Levante. Sie umfaßte 1901: 1075 Seeschiffe (über 50 Ton.) mit 320,620 Reg.-Ton., davon 150 Dampfer mit 139,147 T. 1901 liefen in griechischen Häfen ein: 6415 Schiffe (3,717,355 T.), aus: 6208 Schiffe (3,957,047 T.). Für den Seeverkehr ist durch ein gut eingerichtetes Lotsenwesen und Leuchtfeuersystem ausreichend gesorgt. Regelmäßige Dampfschiffahrten zwischen den griechischen Häfen werden von der Panhellenios- und Neuhellenischen Gesellschaft und vier kleinern Gesellschaften (mit zusammen 42 Dampfern) unterhalten; für den Verkehr mit dem Auslande kommen namentlich der Österreichische Lloyd, die Navigazione Generale Italiana, die russische Dampfschiffahrtsgesellschaft, die Messageries Maritimes und die Compagnie Fraissinet et Co. in Betracht.
Der Bau von Straßen hat sehr zugenommen; es sind jetzt deren 4000 km mit 50 Mill. Drachmen Kostenaufwand fertig gestellt. Da es aber an sorgfältiger Unterhaltung des Bestehenden fehlt, so läßt der Landverkehr viel zu wünschen übrig. An Eisenbahnen waren 1. Jan. 1902: 1035 km in Betrieb. Die wichtigsten Linien sind Athen-Laurion, Piräeus-Pyrgos, Korinth-Kalamata, Volo-Larissa und Velestino-Kalabaka. Von Kanälen ist nur der Kanal von Korinth (s. d.) zu nennen, der die Fahrt aus dem Adriatischen Meere nach dem Piräeus um 325 km abkürzt. Die Telegraphenlinien hatten 1901: 6174 km Länge mit 8998 km Drahtlänge. 241 Ämter vermittelten 1,205,095 Depeschen. Die Telephonlinien waren 151 km lang mit 1336 km Drahtlänge. Postämter gab es 1901: 473, die 12,410,000 Briefe, 1,689,000 Postkarten, 9,658,000 Drucksachen und Warenproben und 133,000 Postanweisungen mit 13,606,000 Drachmen beförderten. Zur Beförderung des Handels und Verkehrs dienen ferner Handels- und Schiffahrtsverträge mit den meisten europäischen Staaten, 10 Handelskammern und besonders die zwei großen Banken: National- und Ionische Bank, die bis zu 88 Mill. Drachmen Noten mit Zwangskurs ausgeben dürfen. Außerdem bestehen ein Crédit mobilier, die Banque de Constantinople und eine industrielle Kreditbank.
Ein Gesetz vom 10. Okt. 1836 (n. St.) führte das metrische Maß system mit Beibehaltung der vorher üblichen Benennungen unter dem Zusatz »königliche« ein: die (königliche) Piki oder 1 m = 10 Palamos zu 10 Daktyl von 10 Gram, das Stadion = 1 km; das Stremma = 10 Ar; das Kiló (für Getreide) oder 1 hl = 100 Litre zu 10 Kotyli von 10 Mystra à 10 Kubus. Bei den Gewichten trat eine Abweichung von den metrischen ein: die Mina = 1500, die Oka = 1250 g, das Tálanton = 100 Mine, der Kantàr zu 45 Oken = 56,25 kg, die Drachmè oder 1 g = 10 Obolos zu 10 Gran. Oft werden jedoch die alten Maßgrößen im Privatverkehr gebraucht, auf den Ionischen Inseln die 1829 gesetzlich eingeführten englischen mit folgenden Bezeichnungen: Miglio für 1760, Stadio für 220, Camaco für 51/2, Jarda ionia für 1 und Piede für 1/3 Yard, Barila für 16, Chili (Kilo) für 8, Metro für 4, Gallone ionia für 1, Dicotilo für 1/8 Gallon, Libbra sottile ionia für 5760, Oncia sottile für 480, Calco für 24, Grano für 1 Troygrain, Centinajo (Telanto) für 25,600, Libbra grosso ionia für 256, Oncia grossa für 16, Dramma für 1 Dram Avoirdupois. Das Münzwesen wurde einheitlich durch Gesetz vom 20. Febr. 1833: die Drachme (s. d.) zu 100 Lepta, aber seit 10. April 1867 nach dem Münzfuße des französischen Silberkurants = 81 Pfennig (Gold zu Silber.= 151/2: 1) mit dem Verhältnis der alten Münzen zu den neuen = 100:112. Im August 1876 dehnte die Regierung diese Währung auf die Ionischen Inseln aus, 1880 auch hinsichtlich der Eingangszölle. Weil indessen Banknoten mit dem Umlaufszwang ausgestattet sind, beruht die Währung auf Papier. Im März 1904 wurden 145 statt bisher 135 Papierdrachmen = 100 Frank Gold für alle Zollzahlungen festgesetzt, weil das gegen den Kurs zu niedrige Aufgeld die Zolleinnahmen geschmälert hatte.
Das Königreich ist nach der Verfassung vom 3. Sept. 1843 und deren Revision vom 28. Nov. 1864 eine konstitutionelle Monarchie. »König der Hellenen« ist seit 6. Juni 1863 Georg I. (geb. 24. Dez. 1845), früher Prinz von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg. Die Krone ist erblich in männlicher Linie der griechisch-orthodoxen Nachkommen des Königs. Bei deren Ermangelung oder im Fall des Aussterbens geht die Nachfolge auf dessen jüngern Bruder und dessen Nachkommen über; in keinem Fall aber können die Kronen Dänemarks und Griechenlands auf Einem Haupt vereinigt werden. Der König besitzt die ausübende Gewalt allein; die gesetzgebende ruht aber in der Nationalversammlung, die aus einer einzigen Kammer von 235 Deputierten besteht, die durch allgemeine direkte Wahlen der über 21 Jahre alten Bürger auf die Dauer von 4 Jahren berufen werden. Zur Wählbarkeit sind 30 Jahre erforderlich; die Kammer soll jährlich mindestens 3 und höchstens 6 Monate tagen. Oberste Behörde ist das Ministerkonseil; es bestehen 7 Ministerien: des Innern, des Äußern, der Justiz, der Finanzen, des Kultus und Unterrichts, des Krieges und der Marine. Für die innere Verwaltung ist das Reich in die oben aufgeführten Nomen geteilt mit je einem Nomarchen (Präsidenten), ferner in Eparchien mit je einem Eparchen (Landrat oder Kreishauptmann) und in Demen mit je einem [309] Demarchen an der Spitze, denen je ein Rat zur Seite steht. Diese Beamten verwalten auch in drei Instanzen die Polizei; nur die Hauptstadt steht unter einem eignen Polizeipräfekten. Für die Rechtspflege besteht als oberster Gerichtshof der Areopag, ein Kassationshof in Athen. Zweite Instanzen sind die fünf Appellationsgerichte in Athen, Larissa, Nauplia, Paträ und Korfu, denen die 22 Gerichts- und Assisenhöfe erster Instanz untergeordnet sind. Außerdem gibt es 237 Friedensgerichte für leichtere Rechtsfälle und Polizeisachen sowie Schiedsgerichte für Zivilsachen. Die Rechtspflege ist leider stark von der Politik beeinflußt; ebenso werden häufige Klagen über die Langsamkeit der Rechtserteilung laut. Eine Folge der vielfach parteiischen Justiz ist die steigende Zunahme der Verbrechen verschiedener Art. 189197 belief sich die Zahl der begangenen Vergehen mit tödlichem Ausgang auf 3847. Außerordentlich zugenommen hat auch die Strafflüchtigkeit (1897 entzogen sich 17,368 Personen der Strafe durch die Flucht).
Die griechischen Finanzen befanden sich stets in einem bedenklichen Chaos, dessen Ordnung nie gelungen ist und das 1893 durch die wiederholten Kriegsrüstungen, durch die Beteiligung an den kretischen Aufständen, durch übertriebene Ausgaben für die Marine und die Unfähigkeit der meisten Finanzminister zum Staatsbankrott führte. Nachdem die Staatsschuld auf 598 Mill. Drachmen in Gold und 152 Mill. Drachmen in Papier gestiegen war, setzte die Regierung mehrere Jahre lang in willkürlicher Weise die Zinsen der auswärtigen Anleihen auf ein Drittel des ursprünglichen Betrags herab. Als die Finanzen infolge des unglücklichen Krieges mit der Türkei 1897 sich noch mehr verschlechterten, wurde dem Finanzminister eine aus je einem Vertreter der sechs europäischen Großmächte bestehende internationale Finanzkontrolle mit dem Sitz in Athen beigegeben. Das Schuldarrangement vom 26. Febr. 1898 überweist als Garantie für den Dienst der äußern Schuld folgende Staatseinkünfte: die Monopoleinnahmen (aus Salz, Petroleum, Streichhölzern, Spielkarten, Zigarettenpapier und Naxosschmirgel) mit einem jährlichen Mindestertrag von 12,300,000 Drachmen, Tabaksteuer mit 6,600,000 Drachmen, Stempelsteuer mit 10 Mill. Drachmen, zusammen 28,900,000 Drachmen. Falls dieser Betrag nicht erzielt wird, sind zur Aushilfe noch die Piräeuszölle, deren Jahresertrag auf durchschnittlich 10,700,000 Drachmen angesetzt ist, verpfändet. Der Zinsendienst der einzelnen Anleihen ist wie folgt festgesetzt: Gruppe I (4proz. Monopolanleihe) erhält 43 Proz., Gruppe II (5proz. Anleihe von 1881, 5proz. Anleihe von 1884, 5proz. Piräeus-Larissa-Anleihe von 1890 und Fundinganleihe) und Gruppe III (4proz. Goldrente) erhalten 32 Proz. der ursprünglichen Zinsen. Die Überschüsse aus den verpfändeten Staatseinkünften sowie der Gewinn aus der Kursdifferenz (normierter Umwechselungskurs 1,65) werden zwischen der griechischen Regierung (40 Proz.) und den Gläubigern (30 Proz. zur Zinsaufbesserung und 30 Proz. zur Amortisation) verteilt. Vgl. Pflug, Die Organisation der internationalen Kontrolle der griechischen Staatsfinanzen (in »Staatsbankrott und internationales Recht«, Münch. 1898). Weiteres über die Einrichtung der Kontrolle s. Artikel »Finanzkontrolle, internationale«.
Seit Einführung der Kontrolle ist eine Besserung der Finanzen zu bemerken. Der Wechselkurs ist nicht unwesentlich gefallen (zeitweise 1,40 pro Frank), und in der Ausstellung der Etats ist gegen die frühern, meist unglaubwürdigen Budgets eine größere Vorsicht und Genauigkeit zu bemerken. Das Budget für 1903 beziffert die Einnahmen auf 120,194,362, die Ausgaben auf 117,436,549 Drachmen.
Am 31. Dez. 1902 war der Stand der Staatsschuld folgender, in Gold: 715 Mill., in Papier: 178,624,062 (davon 87,8 Mill. Papiergeld) Drachmen.
Heerwesen. Die allgemeine Wehrpflicht (Gesetz vom 28. Mai 1887) reicht vom 21.51. Lebensjahr: 2 Jahre stehendes Heer, 10 (Kavallerie 8) Jahre Reserve, 8 (Kavallerie 10) Jahre Nationalgarde (Landwehr), 10 Jahre Reserve der Nationalgarde. Abiturienten und Studenten dienen ein Jahr. Nicht oder nur kürzere Zeit Dienende zahlen Wehrsteuer. Oberster Kriegsherr ist der König. An der Spitze des Heeres stehen: Armeeoberkommando, Kriegsministerium mit Generalstab und drei Generalkommandos: Athen, Larissa, Mesolongion. Friedensstärke: 10 Infanterieregimenter zu je 2 Bataillonen à 19 Offiziere, 391 Mann und 1 Kaderbataillon, 8 Jäger- (Evzonen-) Bataillone zu 25 Offizieren, 394 Mann; 3 Kavallerieregimenter zu 4 Eskadrons; 3 Artillerieregimenter mit 12 Feldbatterien und 8 Gebirgsbatterien zu 6 Geschützen; 1 Pionierregiment (2 Bataillone mit zusammen 9 Kompagnien, 1 Telegraphen- und 1 Feuerwehrkompagnie); 1 Train-, 2 Sanitätskompagnien; 1 Arsenal-, 1 Handwerkerkompagnie, 2000 Mann Train und 4000 Mann Gendarmerie. Friedensetat 1903: 22,427 Offiziere und Mannschaften. Die Kriegsstärke: 55 Bataillone, 18 Eskadrons, 29 Feldbatterien, 16 technische Kompagnien, zählt 82,125 Mann mit 174 Geschützen und 14,441 Pferden, außerdem 76,800 Mann Nationalgarde und 58,000 Mann deren Reserve. Ob diese Stärken wirklich erreicht werden, ist zweifelhaft. Die Nationalgarde darf nur im Kriegsfall, ihre Reserve bei einem feindlichen Einfall einberufen werden. Infanterie und Jäger führen das Grasgewehr M/74 (Kaliber 11 mm), Kavallerie Säbel und Graskarabiner, Feld- und Gebirgsbatterien Kruppsche 8,7-, bez. 7,5 cm-Geschütze. Die Beschaffung von Mannlicher-Gewehren ist beschlossen, der Finanzlage wegen aber noch nicht als sicher zu betrachten. Bildungsanstalten: Artillerie- und Genieschule[310] in Athen, Infanterie- und Kavallerieschule, Infanterieschießschule, Kavallerieequitationsschule, Reserveoffizieraspirantenschule; für Unteroffiziere eine Genieregimentsschule. Auf Geist und Ausbildung schien das 1900 geschaffene Armeeoberkommando (Kronprinz Konstantin) günstig zu wirken, doch sind seine Befugnisse durch das Militärgesetz 1903 bedenklich eingeschränkt zugunsten des neun Sektionen umfassenden Kriegsministeriums. Die Befestigungen (wie z. B. Korfu, Nauplia) genügen modernen Anforderungen kaum noch. Vgl. Loebells »Jahresberichte über die Veränderungen und Fortschritte im Militärwesen« (Berl. 190203).
Die Marine bestand 1904 aus 3 Küstenpanzerschiffen, erbaut 1889 u. 1890, von je 4885 Ton. Größe, 6700 Pferdekräften, 17 Seemeilen Fahrt, 3 schwerern, 6 mittlern, 28 leichten Geschützen, einem alten hölzernen Kreuzer, einem alten Panzerkanonenboot, 11 Kanonenbooten (davon 5 aus den Jahren 1858 u. 1856), 3 Transportdampfern, ein Torpedodepotschiff, 6 kleine Torpedoboote von 85 T. und 25 von 5020 T.; 2 alte Unterseeboote (Nordenfelt), 3 Minenleger, 3 Schulschiffe, 3 Zolldampfer, eine königliche Jacht, 8 Werftfahrzeuge, ein Kasernenschiff. Das Marinepersonal hat etwa 4000 Mann Kriegsstärke. Haupthafen und Arsenal ist Poros. Unter dem Marineministerium stehen eine Oberinspektion und Hafenkommandos, die zugleich die Kontrolle der Seewehr führen; die Marine ergänzt sich zunächst durch Freiwillige, dann durch Auslösung aus den Bewohnern der »Seegemeinden«. Für die Ausbildung des Offizierkorps besteht eine Marineakademie in Piräeus.
Das griechische Wappen zeigt in himmelblauem Feld ein schwebendes silbernes, gleicharmiges Kreuz, dessen Mitte mit einem kleinen Herzschild, dem dänischen Wappen, wegen der Abstammung des Königshauses (in Gold drei gekrönte blaue Löwen, das Feld mit neun roten Herzen bestreut), belegt ist (s. Tafel »Wappen II«, Fig. 6). Im größern Wappen erscheint der Schild des großen dänischen Wappens. Landesfarben sind Himmelblau und Weiß. Die Flagge enthält fünf blaue und vier weiße abwechselnde Längsstreifen, oben aut Flaggstock in der Breite von fünf Streifen ein blaues Quadrat mit weißem Kreuz. Die Kriegsflagge zeigt dieses Kreuz in der Mitte mit einer goldenen Königskrone belegt (s. Tafel »Flaggen I«, Fig. 16). Einziges Ehrenzeichen ist der Erlöserorden (s. d. und Tafel »Orden II«, Fig. 4). Haupt- und Residenzstadt ist Athen.
[Geographisch-statistische Literatur.] Vgl. E. Curtius, Peloponnesos (Gotha 185152, 2 Bde.); K. Bursian, Geographie von G. (Leipz. 186872, 2 Bde.); Neumann u. Partsch, Physikalische Geographie von G. (Bresl. 1885); A. Philippson: G. und seine Stellung im Orient (Leipz. 1897), Der Peloponnes (Berl. 1891) und Thessalien und Epirus, Reisen und Forschungen im nördlichen G. (das. 1897); Th. Fischer in A. Kirchhoffs »Länderkunde von Europa«, Bd. 2 (Leipz. u. Prag 1893); Jul. Schmidt, Beiträge zur physikalischen Geographie von G. (Leipz. 186470); Stephanos, La Grèce au point de vue naturel, etc. (Athen 1884); Cordella, La Grèce sous le rapport géologique et minéralogique (Par. 1878); Chloros, Die Waldverhältnisse Griechenlands (Münch. 1884); Decasos, Die Landwirtschaft im heutigen G. (Berl. 1904); v. Maurer, Das griechische Volk in öffentlicher, kirchlicher und privatrechtlicher Beziehung (Heidelb. 1835, 3 Bde.); Tuckerman, Greeks of to-day (Lond. 1872); Jebb, Modern Greece (das. 1880 u. 1901); About, La Grèce contemporaine (8. Aufl., Par. 1883); Deschamps, La Grèce d'aujourd'hui (4. Aufl., das. 1894; deutsch, Großenh. 1896); Rodd, Customs and lore of modern Greece (2. Aufl., Lond. 1892); weitere Literatur zur Volkskunde s. oben, S. 306; Reisehandbücher für G. von Bädeker (4. Aufl., Leipz. 1904), Meyer (»G. und Kleinasien«, 5. Aufl., das. 1901) und Murray (Lond.). Karten: »Karten von Attika« (hrsg. von Curtius u. Kaupert, Berl. 1881 ff.); »Generalkarte des Königreichs G.« (1:300,000; 13 Blatt, Wien 1885); Scandalides, Verkehrskarte von G. (6 Blatt, Athen 1890); vgl. Textbeilage zu Artikel »Landesaufnahme«.
Nachdem G. schon im 3. Jahrh. von den Goten verheert worden war, durchzog es Alarich an der Spitze der Westgoten 395397; er drang in den Peloponnes ein und zerstörte Korinth, Argos, Sparta u. Olympia. Im 6. Jahrh. setzten sich Bulgaren und Slawen in einigen Landschaften fest. Außerdem wirkte auch das Christentum zersetzend auf die alte griechische Kultur. Zunächst freilich brach es sich in G. nur langsam Bahn, und Kaiser Julians Bemühungen, den heidnischen Götterkult von neuem zu beleben, fanden besonders im alten Hellas Anklang. Selbst die Strenge des Kaisers Theodosius, der die heidnischen Priester ihrer Privilegien beraubte und die Tempel schließen ließ, bewirkten noch nicht die völlige Vernichtung des Heidentums: die Mainoten z. B. wurden erst im 9. Jahrh. bekehrt. Durch eine furchtbare Pest (746747) dezimiert, vermochten die Griechen den wieder beginnenden Einfällen der Slawen keinen Widerstand zu leisten. Slawische Stämme durchzogen Hellas, drangen in die Peloponnes ein und ließen sich in den verödeten Gegenden nieder, deren Berge und Flüsse, Täler und Landschaften sie mit slawischen Namen benannten. So entstanden neben den altgriechischen oder romäischen Stadtgemeinden an der Küste slawische Gemeinden im Binnenland, die sich zu besondern Bezirken verbanden und erst nach Annahme des Christentums in Sprache und Sitte mit den Griechen verschmolzen. Die Versuche der Araber, sich in G. festzusetzen, wurden durch die byzantinischen Kaiser abgewehrt; nur vorübergehend eroberten sie Demetrias (896), Lemnos (901) und Thessalonich (904) und mußten 961 auch Kreta räumen. Auch die Bulgaren suchten zwar im 10. Jahrh. G. wiederholt mit Plünderungen heim; beim letztenmal 995 erlitten sie aber eine entscheidende Niederlage, und 1018/19 wurde Bulgarien vom Kaiser Basileios II. unterworfen.
Nachdem schon die Normannen Robert Guiscard 1081 und Bohemund 1084 vom Ionischen Meer aus Züge nach Nordgriechenland unternommen und Inseln und Küstenstädte sich unterworfen hatten, plünderte König Roger 1146/47 auch Theben und Korinth. Nach der Errichtung des lateinischen Kaisertums in Konstantinopel (1204) bemächtigten sich fränkische Ritter des Landes. Der Markgraf Bonifatius von Montferrat, der Thessalonich als Königreich erhalten hatte, schlug bei den Thermopylen ein griechisches Heer unter Leo Sguros und unterwarf sich Theben, Athen und Euböa. Nach seinem Tode (1207) folgte ihm Demetrius, der aber 1222 von dem Griechen Theodor Komnenos verdrängt wurde, bis schließlich Nordgriechenland an die Paläologen fiel. In Athen gründete 1205 der Ritter Otto Delaroche[311] ein Herzogtum, das seine Familie bis 1308 behauptete, und das auch Böotien umfaßte. Die Grafen von Brienne, die Athen von der Tochter des letzten Herzogs aus dem Hause Delaroche erbten, traten es 1326 an das Königreich Sizilien ab; 1386 eroberte es der Florentiner Nerio Acciajuoli, dessen Geschlecht es erst unter venezianischer, dann unter türkischer Oberhoheit beherrschte. Wilhelm von Champlitte eroberte durch den Sieg am Olivenwald von Kondura (1205) den größten Teil des Peloponnes und wurde als Fürst von Achaia anerkannt. Als er 1209 nach Frankreich zurückkehrte, verteilte er das Land als Lehen unter seine Ritter und setzte Villehardouin als seinen Stellvertreter ein, der 1210 zum erblichen Oberherrn des Peloponnes erhoben wurde. Sein ältester Sohn, Gottfried, Schwiegersohn des lateinischen Kaisers Peter von Courtenay, erhielt von diesem den Titel eines Fürsten von Achaia und starb 1245. Ihm folgte sein Bruder Wilhelm (124578), der 1262 in die Gefangenschaft des Kaisers Michael Palaiologos fiel und sich mit der Abtretung eines Teiles der Halbinsel loskaufen mußte. Auch auf Achaia machten die Könige von Sizilien Ansprüche und erlangten wenigstens die Oberlehnshoheit, während die Nachkommen der Familie Villehardouin in weiblicher Linie bis 1346 im Besitz des Fürstentums verblieben. Nach dem Tode des Fürsten Robert (1346) zerfiel Achaia in mehrere Herrschaften und schwächte sich durch innere Kämpfe. So überdauerten die fränkischen Herrschaften in G. das lateinische Kaiserreich, wurden aber im 15. Jahrh. von den Türken vernichtet. Sultan Murad II. eroberte 1446 den größten Teil des Peloponnes, und Mohammed II. vollendete unter Greueln 145861 die Unterwerfung. Böotien wurde den Acciajuoli schon 1435 von den Türken entrissen; 1459 ward der letzte Herzog aus diesem Hause, Franko II. Acciajuoli, auf Befehl des Sultans ermordet und 1460 Athen nochmals besetzt. Schwieriger wurde es den Türken, die Venezianer aus G. zu vertreiben. Korkyra und Kreta eignete sich die Republik Venedig an; der kleinern Inseln im Agäischen Meer bemächtigten sich venezianische Edle. Der mächtigste unter diesen wurde Marco Sanudo, der Naxos und die benachbarten Kykladen unter seiner Herrschaft vereinigte und sich von Venedig unabhängig machte. Durch geschickte Politik hielt sich Naxos lange unabhängig und wurde erst 1566 von den Türken unterjocht. 1462 wurde Lesbos, 1470 Euböa (Negroponte) den Venezianern von den Türken entrissen. Nach einem neuen unglücklichen Krieg (1499 bis 1502) mußte Venedig 1503 auch Lepanto, Koron, Navarino und Ägina und 2. Okt. 1540 die letzten Plätze auf dem Peloponnes an den Sultan abtreten. Im Frieden vom 7. März 1573 behielt es, trotz des Sieges von Lepanto (s. Naupaktos), bloß Kreta, die Ionischen Inseln und einige Festungen auf der albanesischen Küste.
Seit 1503 war G. eine in Sandschaks geteilte türkische Provinz, der ein Beglerbeg vorstand; die Kykladen zahlten nur einen jährlichen Tribut. Nach dem 1669 Kreta in den Besitz der Türken gekommen und der 1687 von den Venezianern eroberte Peloponnes 1718 im Frieden von Poscharewatz wiedergewonnen war, wurde G. in Paschaliks geteilt und dem Rumeli-Valessi (Großrichter von Rumelien) untergeordnet, während über die Inseln des Ägäischen Meeres der Kapudan-Pascha den Befehl erhielt. Die Käuflichkeit und der häufige Wechsel der Beamten verführten zu Willkür bei der Erhebung der Abgaben und hatten eine grausame Aussaugung zur Folge. Da der größte Teil des Grundeigentums in die Hände der Türken gefallen war, erlahmte die produktive Tätigkeit des Landes, und die Griechen warfen sich fast ausschließlich auf den Handel; nur die Inseln und einige Gebirgsdistrikte bewahrten sich eine gewisse Unabhängigkeit. Alles wissenschaftliche Leben war erstickt, und durch den türkischen Despotismus wurde die griechische Nation auch moralisch erniedrigt. Was die griechische Nationalität rettete, war die Kirche und die Lokalverwaltung. Die griechische Kirche, die von den Türken, wenn auch mit Verachtung, geduldet wurde und mit der griechischen Sprache ein nationales Unterscheidungszeichen bildete, nahm sich durch den Patriarchen und die heilige Synode zu Konstantinopel der Rechte der Griechen mit Erfolg an und übte einen mächtigen Einfluß auf die innern Verhältnisse der Nation aus. Die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten lag in den Händen selbstgewählter Lokalbehörden, der Demogeronten (auch Archonten, Primaten, Ephoren, Kodscha-Baschi genannt), die an manchen Orten im erblichen Besitz ihres Amtes den Charakter eines Provinzialadels annahmen. Dieser bewahrte eine gewisse Selbständigkeit und verhinderte die Vermischung der Griechen mit den Türken. Die Fanarioten (s. Fanar) gewannen in Konstantinopel großen Einfluß, der jedoch der griechischen Nation keinen Nutzen brachte. In Nordgriechenland behaupteten die Armatolen (s. d.) an der Spitze ihrer kriegerischen Klephthen (Räuber) den Türken gegenüber eine gewisse Selbständigkeit.
Bedeutend war der Seehandel der Griechen, die über eine Handelsflotte von 600 Schiffen mit 17,000 Matrosen und 6000 Kanonen verfügten. Durch ihn kamen sie mit den westeuropäischen Völkern in Berührung und erwachte in ihnen trotz aller Verwahrlosung und Roheit unter der Fremdherrschaft die immer stärker werdende, auf den von griechischen Kaufleuten gestifteten Bildungsanstalten genährte Sehnsucht nach geistig-sittlicher und politischer Wiedergeburt. Schon seit Peter d. Gr. erwartete man von dem durch gleiche Konfession mit G. verbundenen Rußland Schutz und Hilfe. Als 1768 der Krieg zwischen der Türkei und Rußland ausbrach, bemühte sich Katharina II., unter den Griechen einen Aufstand zu erregen, und schickte ein Schiffsgeschwader unter Fedor Orlow nach G., das am 28. Febr. 1770 bei Witylo in der Peloponnes landete. Hier, in Missolunghi und auf den Inseln erhoben sich die Griechen (aus jener Zeit stammt das »Klephthikon«, das Nationallied der Aufständischen; noch heute erhalten), wurden aber von Albanesenbanden, die von der Pforte angeworben waren, bald unterdrückt. Die Russen wurden besiegt und zur Abfahrt genötigt, und im Frieden von Kütschük Kainardschi ließ Rußland die Griechen im Stiche. Die Albanesen hausten fürchterlich, bis sie 1779 von den Türken bei Tripolitsa aufgerieben wurden. Dennoch ward die nationale Bewegung nicht erstickt, erhielt vielmehr durch die Stiftung von Schulen in G. selbst und durch die Wirksamkeit der Männer, die ihre Bildung im Abendland vollendeten, neue Nahrung; es erstand eine neugriechische Nationalliteratur. Der Dichter Konstantin Rhigas aus Pherä in Thessalien stiftete in Bukarest einen Geheimbund (Hetärie) zur Befreiung des Vaterlandes, wurde aber 1798 von Österreich an die Türken ausgeliefert und mit seinen Genossen in Belgrad hingerichtet. Der Wiener Kongreß ließ auf Metternichs Betrieb die Wünsche der Griechen unbeachtet. Indes die Errichtung der Republik[312] der Ionischen Inseln, wo zuerst die griechische Sprache amtliche Geltung erlangte, und die Freiheitskämpfe der Serben ermutigten die Griechen wieder. Mehrere angesehene Fanarioten, wie A. Maurokordatos und Konst. Ypsilantis, nahmen sich ihrer Sache an. Der Korfiote Kapo d'Istrias stiftete 1812 den Verem der Philomusen zur Erhaltung der griechischen Altertümer. Noch wichtiger wurde die Hetärie der Philiker, die, 1814 von drei Odessaer Kaufleuten gegründet, sich die Befreiung Griechenlands und die Errichtung eines griechischen Reiches mit der Hauptstadt Konstantinopel zum Ziel setzte. Sie wußte sich geschickt den Anschein zu geben, als genieße sie den Schutz des Zaren, zählte die angesehensten Männer, wie die Prinzen Ypsilantis, den Patriarchen Gregor und den Erzbischof Germanos von Patras, zu Mitgliedern und breitete von Konstantinopel, wohin sie 1818 ihren Sitz verlegte, ihr Netz über ganz G., namentlich über den Peloponnes, aus
Der Aufstand Ali Paschas in Albanien gegen die türkische Herrschaft schien einen Aufstand zu begünstigen. Der Generalephor der Hetärie, Alexander Ypsilantis, fiel 7. März 1821 in die Moldau ein und verkündete, daß eine große Macht (Rußland) den Aufstand beschützen werde. Das rumänische Volk haßte die Türken und ermordete in Galatz und Jassy einige hundert, zeigte aber für die hellenische Erhebung kein Verständnis. Nur langsam sammelte Ypsilantis eine »Heilige Schar« von 2000 Mann um sich, mit der er im April bis Bukarest vordrang. Aber der Zar Alexander I. verleugnete unter Metternichs Einfluß Ypsilantis und gestattete das Einrücken türkischer Truppen in die Donaufürstentümer, denen Ypsilantis 19. Juni 1821 bei Dragaschan erlag. Er floh nach Österreich; der Rest der Heiligen Schar unter Georgakis sprengte sich 26. Aug. 1821 im Kloster Sekko in die Luft. Inzwischen hatte der Erzbischof Germanos auf die Kunde von Ypsilantis' Einfall in die Moldau 25. März 1821 die peloponnesischen Griechen zu den Waffen gerufen. Petros Mauromichalis und Th. Kolokotronis stellten sich in der Maina und in Arkadien an die Spitze, und binnen wenigen Wochen wurden 15,000 Türken erschlagen; was von der türkischen Bevölkerung nicht flüchten konnte, rettete sich hinter die Mauern von Tripolitsa. Die von den Griechen verübten Grausamkeiten reizten die fanatischen Türken zu blutiger Rache; in mehreren kleinasiatischen Städten fiel der türkische Pöbel über die griechischen Christen her und zerstörte die Kirchen. In Konstantinopel wurden 300 griechische Kaufleute ermordet und der Patriarch Gregorios beim Osterfest am Tor seiner Kathedrale aufgehängt. Ein Erlaß des Sultans Mahmud II. rief alle Moslemin zur Verteidigung des Glaubens unter die Fahnen. Der Aufstand breitete sich nun in G. immer mehr aus und wurde pou dem »Senat von Messenien«, einer in Kalamata zusammentretenden Versammlung, geleitet. Attika, Böotien, Megaris schlossen sich an. Die Inselgriechen erhoben sich und brachten ihren Wohlstand dem Vaterland zum Opfer; besonders die Seeleute von Psara, Hydra und Spetsä zeichneten sich durch Kühnheit aus Bald waren 180 Briggs ausgerüstet und bemannt; mehrere türkische Kriegsschiffe wurden erbeutet oder in die Luft gesprengt, zahlreiche Handelsschiffe weggenommen. Die Ionischen Inseln lieferten Geld und Kriegsbedürfnisse. In Epirus bemächtigten sich die Sulioten unter Markos Botzaris ihrer heimatlichen Berge, aus denen sie Ali Pascha vertrieben, und erklärten sich für unabhängig. Wichtig war, daß nach dem Scheitern aller türkischen Entsatzversuche Tripolitsa 5. Okt. 1821 von den Griechen erstürmt wurde; die ganze Besatzung (8000 Mann) wurde niedergemetzelt.
Demetrios Ypsilantis wurde zum Archistrategen gewählt; ihm und den von ihm begünstigten Klephthen oder militärischen Führern, wie Kolokotronis, stellte sich die bürgerliche Partei der Primaten unter Alexander Maurokordatos entgegen, welche die Berufung einer Nationalversammlung nach Argos durchsetzte, von wo sie nach Piada bei Epidauros verlegt wurde. Die Versammlung erließ 13. (1.) Jan. 1822 die Unabhängigkeitserklärung des hellenischen Volkes und eine Verfassung nach modernem Zuschnitt, das Organische Statut von Epidauros, kraft deren Maurokordatos als Präsident (Proëdros) an die Spitze der vollziehenden Gewalt trat. Doch es fehlte an Einheit in der Leitung und an Geld und Waffen für die Ausrüstung eines größern Heeres, während die Türken nach dem Fall Ali Paschas (5. Febr. 1822) stärkere Truppenmassen frei bekamen und eine Flotte ausrüsteten. Im April 1822 erschien diese vor Chios, das erst im Februar sich dem Aufstand angeschlossen, aber sich nicht gerüstet und gesichert hatte. Nachdem der Kapudan-Pascha die Insel mühelos erobert hatte, ließ er sie verwüsten, 23,000 Männer hinschlachten und 47,000 Frauen und Kinder in die Sklaverei verkaufen. Der Psariot Kanaris rächte die Unglücklichen, indem er mit seinen Brandern das türkische Admiralschiff mit dem Pascha und 3000 Mann 19. Juni bei Chios in die Luft sprengte und 10. Nov. auch ein zweites Linienschiff zerstörte, so daß die türkische Flotte nichts mehr zu unternehmen wagte. Zu Lande versuchte Churchit Pascha zuerst die Sulioten zu unterwerfen. Zu ihrem Beistand rückte Maurokordatos mit einem Heer, bei dem sich die Philhellenenschar unter General v. Normann befand, nach Akarnanien, erlitt aber durch den Verrat eines albanesischen Häuptlings, Gogos, bei Peta 16. Juli eine vernichtende Niederlage; er warf sich nach Missolunghi, das et eiligst befestigte und in Verteidungszustand setzte. Während die Türken es belagerten, fiel Mahmud Dramali in den Peloponnes ein, nahm Korinth und Nauplia, wurde aber vor dem von Dem. Ypsilantis tapfer verteidigten Argos so lange aufgehalten, bis Kolokotronis und sein Neffe Nikitas die Engpässe in seinem Rücken besetzt hatten. Bei Tretä und Kleonä wurde im Dezember 1822 das türkische Heer fast ganz aufgerieben. Die Belagerung von Missolunghi mußte Omer Vrione, nachdem ein Angriff 6. Jan. 1823 abgeschlagen worden, 13. Jan. abbrechen; mit Zurücklassung seiner Geschütze und Kriegsvorräte zog er nach Epirus ab. Als im Sommer ein türkisches Heer in Ätolien einbrach, ward es 20. Aug. 1823 von Markos Botzaris bei Karpenizza überfallen und nach einem fürchterlichen Blutbad, in dem auch Botzaris den Tod fand, zum Rückzug genötigt.
Die erfolgreiche Abwehr der türkischen Angriffe erfüllte die militärischen Führer mit Dünkel. Der Hader zwischen der Partei der Politiker (Maurokordatos, D. Ypsilantis, Kolettis, Konduriottis) und den militärischen Häuptlingen (Kapitani: Kolokotronis, Mauromichalis, Odysseus), die in Tripolitsa eine eigne Exekutive bildeten, vor der die Nationalversammlung nach Kranidhi floh, führte endlich zum offenen Bürgerkrieg, in dem die Häuptlinge unterlagen; Kolokotronis und Odysseus wurden gefangen und jener nach Hydra, dieser auf die Akropolis in Hast gebracht. Unter diesen Umständen waren größere Unternehmungen,[313] um dem Aufstand auch in Thessalien, Epirus und Mazedonien zum Sieg zu verhelfen, unmöglich. Da es indes auch den türkischen Befehlshabern an Geschick, Geld und Mannschaft gebrach, so durften die Griechen hoffen, sich gegen die Türken allein behaupten, ja sogar den Sieg erringen zu können. Da kam der Pforte vom Vizekönig Mehemed Ali von Ägypten wirksame Hilfe. Nachdem dessen Stiefsohn Ibrahim Pascha 1824 mit einer Flotte Kreta unterworfen und Psara zerstört hatte, landete er 5. Febr. 1825 mit 20,000 Mann europäisch geschulter Truppen su Messenien und bemächtigte sich trotz aller Anstrengungen von Miaulis, der im Hafen noch 20 ägyptische Schiffe mit seinen Brandern zerstörte, des wichtigen Navarino. Von hier aus durchzog er plündernd die Halbinsel; mit knapper Not wurde Nauplia gerettet. Gleichzeitig begann Reschid Pascha mit 20,000 Mann von neuem die Belagerung von Missolunghi, das von 4000 Mann unter Nothi Botzaris verteidigt wurde. Erst als Ibrahim Pascha mit ägyptischen Truppen den Korinthischen Meerbusen überschritt und eine ägyptisch-türkische Flotte Missolunghi von der Seeseite einschloß, ohne daß die griechischen Schiffe einen Versuch zur Befreiung machten, wurde die Besatzung durch Hunger und Seuchen erschöpft. Ein Teil versuchte 22. April 1826 einen nächtlichen Durchbruch, wobei die Mehrzahl zugrunde ging; die Zurückgebliebenen sprengten sich 25. April mit den eingedrungenen Türken in die Luft. Hiermit war das Bollwerk von Westhellas gefallen. Im Osten verteidigten Guras und nach seinem Tode (12. Okt. 1826) seine Witwe und Karaiskakis die Akropolis von Athen. Die neuernannten Oberbefehlshaber der griechischen Streitmacht, Admiral Cochrane und General Church, erlitten beim Versuch, die Akropolis zu entsetzen, 6. Mai 1827 eine empfindliche Niederlage, und 5. Juni mußte die Akropolis kapitulieren. G. schien verloren zu sein, um so mehr, als der Parteihader auch in der höchsten Not nicht aufhörte und die Regierung vor der zuchtlosen Soldateska von Nauplia nach Ägina flüchten mußte.
Die Rettung kam den Griechen von außen. Im Abendlande wuchs die Teilnahme für den heldenmütigen Befreiungskampf und die fürchterlichen Leiden des Volkes, dessen große Vergangenheit eine glückliche Zukunft versprach. Überall bildeten sich Philhellenen vereine, die Geld sammelten (bis 1826: 2,5 Mill. Frank) und Waffen aufkauften, um die Griechen zu unterstützen: König Ludwig von Bayern, der Genfer Bankier Eynard, der Dichter Wilh. Müller sachten die philhellenische Stimmung zur Begeisterung an. Hervorragende Männer, wie Byron, viele Offiziere, auch Abenteurer eilten nach G. Endlich änderten auch die Kabinette die gleichgültig ablehnende Haltung, die sie bisher unter Metternichs Einfluß beobachtet hatten. Seit dem Amtsantritt Cannings zeigte England Interesse für die Sache der Griechen, und der neue Zar Nikolaus I. nahm eine drohende Haltung gegen die Pforte an. Beide Mächte vereinbarten im Petersburger Protokoll (4. April 1826) eine gemeinschaftliche Aktion, um den Griechen eine freiere Stellung unter der Oberhoheit der Pforte zu verschaffen. Unter der Leitung des besonnenen Maurokordatos vertrauten die Griechen ihre Sache den Mächten an. Da der Sultan alle Vermittelungsvorschläge Englands beharrlich zurückwies, schlossen England, Frankreich und Rußland (6. Juli 1827) den Londoner Vertrag, wonach G. einen türkischen Vasallenstaat mit autonomer Verwaltung bilden und die drei Mächte nötigenfalls Zwangsmaßregeln gegen die Pforte anwenden sollten. Diese lehnte die Vorschläge der Mächte 30. Aug. ab und ließ eine neue ägyptische Flotte von 89 Schiffen mit 5000 Mann kommen, um den Peloponnes völlig zu unterwerfen. Die Flotte der drei Mächte erschien hierauf vor Navarino, wo Ibrahim Pascha lag, und erlangte von ihm das Versprechen, vor Empfang weiterer Verhaltungsbefehle aus Konstantinopel nichts zu unternehmen. Als er dennoch die Halbinsel mit einer Verwüstung heimsuchte, griff ihn die verbündete Flotte 20. Okt. 1827 im Hafen von Navarino an und vernichtete von den ägyptisch-türkischen Schiffen 55. Gereizt, forderte der Sultan Rußland zum Kriege heraus, der 1828 ausbrach und alle türkischen Streitkräfte in Anspruch nahm. Ibrahims Stellung war nun unhaltbar, und als im August 1828 ein französisches Korps unter Marschall Maison in Koron landete, räumte er den Peloponnes. Hiermit waren diese und Mittelgriechenland befreit, wenn auch gänzlich verwüstet, und der Friede von Adrianopel (14. Sept. 1829) verpflichtete den Sultan, sich den Beschlüssen der Mächte über G. zu unterwerfen.
Ende Januar 1828 war der am 11. April 1827 zum Präsidenten der Regierung gewählte Graf Kapo d'Istrias in Ägina gelandet und hatte die Leitung der Geschäfte übernommen. Er versöhnte die Parteihäupter und bot, von den Schutzmächten mit Geld unterstützt, alles auf, um G. auf europäische Weise, wenn auch durch bureaukratische Mittel, zu organisieren. Sein Eigensinn, seine Abhängigkeit von Rußland und die gewaltsame Beseitigung der alten Selbstregierung der Demogeronten entfremdeten ihm freilich viele Patrioten, die mehr den Westmächten zuneigten. Dennoch bewog er die Nationalversammlung zu Argos (Juli bis August 1829) zur Genehmigung seiner Vorschläge und erreichte die Bildung eines von ihm abhängigen Senats. Auch für Griechenlands Freiheit erzielte er Erfolge. Die drei Schutzmächte hatten im Londoner Protokoll vom 22. März 1829 festgesetzt, daß G., dessen Nordgrenze von Arta bis Volo laufen solle, einen tributpflichtigen Staat unter einem christlichen Fürsten und der Souveränität der Pforte bilden solle. Kapo d'Istrias weigerte sich, diese Bedingungen anzunehmen; Rußland trat nach dem Frieden von Adrianopel auf seine Seite und setzte durch, daß die Mächte 3. Febr. 1830 sich für die Errichtung eines völlig unabhängigen Staates erklärten, dessen Nordgrenze von der Mündung des Aspropotamos bis zu der des Spercheios laufen und dem außer Euböa auch die Kykladen angehören sollten. Als Fürst wurde den Griechen Prinz Leopold von Koburg empfohlen, der anfangs annahm, dann aber ablehnte. Dies hatte Kapo d'Istrias bewirkt, der selbst nach der Herrschaft strebte, aber sein Ziel nicht erreichte. Seine Geringschätzung der griechischen Barbarei, sein bureaukratisches Verfahren und seine Vorliebe für das despotische Rußland beleidigten den Stolz und das Freiheitsgefühl der Griechen. Nur ein Teil der Parteiführer, die Kybernitiker, hing ihm an; der größere Teil, die Syntagmatiker (Verfassungspartei), an ihrer Spitze Konduriotis und Maurokordatos, erklärte sich gegen ihn. Auf Hydra bildeten 1831 Konduriotis und Miaulis eine besondere Regierung und stellten sich unter französischen Schutz; auch die Maina erhob sich. Miaulis bemächtigte sich 30. Juli durch einen Handstreich der griechischen Flotte im Hafen von Paros, und als der russische Admiral Ricord Anstalt traf, sie ihm zu entreißen, überlieferte er sie, 28 Schiffe, 13. Aug. den Flammen. Der Aufstand in der Maina[314] wurde unterdrückt, und viele Mitglieder der Familie Mauromichalis, auch der alte Petrobei, als Hochverräter eingekerkert. Aus Erbitterung hierüber ermordeten Konstantin und Georg Mauromichalis, der Bruder und der Neffe des Petros, den Präsidenten 9. Okt. 1831 beim Eintritt in die Kirche zu Nauplia. Der Senat bildete zunächst eine aus Augustin Kapo d'Istrias, Kolokotronis und Kolettis bestehende Regierungskommission, und die (nicht vollständige) Nationalversammlung wählte 20. Dez. Augustin Kapo d'Istrias zum provisorischen Präsidenten. Doch die Syntagmatiker verweigerten ihm die Anerkennung, beriefen eine neue Versammlung nach Perachore und zwangen, indem sie bewaffnet in Argos eindrangen, Kapo d'Istrias 13. April 1832 zur Abdankung. Unter Vermittelung des Philhellenen Thiersch wurde darauf eine neue Regierungskommission eingesetzt, der innere Friede aber damit nicht hergestellt. Unterdessen hatten die Schutzmächte in dem Prinzen Otto von Bayern (geb. 1815) einen Fürsten für G. gefunden und die von dessen Vater, König Ludwig, gestellten Bedingungen: den Königstitel, die Grenzlinie von Arta bis Volo und die Garantie einer Anleihe von 60 Mill., zugestanden. Nachdem der Staatsvertrag vom 7. Mai 1832 die Verhältnisse des neuen Königreichs geordnet hatte, wurde die Nationalversammlung nach Nauplia berufen und erkannte 8. Aug. einstimmig den Prinzen als König Otto I. von G. an; bis zu seiner Volljährigkeit (1835) sollte eine aus drei Mitgliedern (den bayrischen Staatsraten Armansperg und Maurer sowie dem General Heideck) bestehende Regentschaft die Regierung führen. Der junge König hielt 7. Febr. 1833 an der Spitze von 3500 Mann Bayern seinen feierlichen Einzug in Nauplia.
Die Regentschaft hatte in dem verwüsteten, zerrütteten Lande eine schwierige Aufgabe zu erfüllen. Steuern wurden nicht gezahlt, und die meisten Gerichte hatten ihre Tätigkeit eingestellt; das Räuberunwesen nahm überhand. Verständige Maßregeln wurden nicht gewürdigt, bureaukratische Mißgriffe über Gebühr getadelt. Die Führer des Aufstandes, von Eitelkeit und Überhebung erfüllt und in ihren Hoffnungen auf reiche Belohnung getäuscht, zettelten Verschwörungen an, die mit Gewalt unterdrückt werden mußten. Das freisinnigste Mitglied der Regentschaft, Maurer, wurde durch den russischen Gesandten verdrängt. Der absolutistisch gesinnte Armansperg hatte jetzt den herrschenden Einfluß und behielt ihn auch mit dem Titel eines Erzkanzlers, als König Otto I. Juni 1835 in Athen, wohin im Januar die Residenz verlegt worden war, selbst die Regierung übernommen hatte. Erst als er durch das Dotationsgesetz vom 7. Juni, das jeder ansässigen hellenischen Familie von den Staatsländereien einen Anteil im Wert von 2000 Drachmen zur Nutznießung zuwies, und durch die Einsetzung eines Staatsrats zur Kontrolle der Verwaltung das Volk für sich zu gewinnen suchte, ward er nach der Rückkehr König Ottos aus Deutschland, wo dieser sich 22. Nov. 1836 mit der Prinzessin Amalie von Oldenburg vermählt hatte, von König Ludwig Febr. 1837 abberufen und durch Rudhardt ersetzt, der indes durch sein bureaukratisches Wesen sich unbeliebt machte, mit dem englischen Gesandten in Streit geriet und daher schon Ende 1837 zurücktrat. Seitdem waren die Minister Griechen, wechselten aber unaufhörlich, da die Schutzmächte sich fortwährend in die innern Angelegenheiten des jungen Staates einmischten und G. ein Tummelplatz für das Ränkespiel in der orientalischen Frage wurde. Die ehrgeizigen Politiker gaben bald den schmeichlerischen Hoffnungen Gehör, mit denen Rußland ihre Sehnsucht nach Erweiterung der enggezogenen Grenzen nährte, bald den westmächtlichen Mahnungen an eine Begründung innerer Freiheit. Im September 1843 kam es in Athen zu einer Erhebung für eine Verfassung, die der König bereitwillig zugestand. Eine Nationalversammlung, die am 20. Nov. zusammentrat, beschloß 2. März 1844 die neue Verfassung, wonach ein vom König ernannter Senat und eine vom Volk gewählte Kammer die Volksvertretung mit gesetzgebender Gewalt bilden sollten. Nun hatten die Ränke der Parteien und ihrer Führer freies Spiel, und Ministerwechsel und Kammerauflösungen lösten sich ab. Von fruchtbarer politischer und wirtschaftlicher Tätigkeit wurde die Nation hierdurch abgezogen; nur für Verbreitung höherer Bildung zeigte sich ein leidenschaftlicher Eifer. Eine Universität in Athen, die über das Bedürfnis hinaus studierte Leute ausbildete, und zahlreiche höhere Schulen wurden gegründet; das klassische Altertum wurde durchforscht und nach Kräften erneuert.
König Otto besaß nicht die Kraft, seinen Willen zur Geltung zu bringen. Es fehlte ihm an militärischen Gaben und ehrgeizigem Unternehmungssinn. Auch war seine Ehe kinderlos, und die Adoption eines andern bayrischen Prinzen unterblieb, da dieser sich zur griechischen Kirche hätte bekennen müssen. Je mehr sich in G. nationaler Ehrgeiz nach Vergrößerung auf Kosten der Türkei geltend machte und der russische Einfluß wuchs, desto feindlicher zeigten sich die Westmächte, namentlich England. Letzterm gab die übermäßige Entschädigungsforderung eines Juden, Pacifico, für seinen bei einem Pöbelauflauf 1847 erlittenen Verlust, welche die Regierung zu zahlen sich weigerte, Anlaß, 1850 zu Gewaltmaßregeln zu schreiten, die Häfen zu blockieren und griechische Schiffe (gegen 200) wegzunehmen, bis G. nachgegeben hatte. Als bei Ausbruch des Krimkriegs die Hoffnungen auf Befreiung der noch unter türkischem Joch schmachtenden Stammesgenossen sich wieder im griechischen Volke regten und es zu stürmischen Kundgebungen in Athen kam, vor denen sich die türkische Gesandtschaft zurückzog, erschien eine englisch-französische Flotte im Piräeus, der am 26. Mai 1854 von einer französischen Brigade besetzt wurde. G. mußte sich während des Krieges ruhig verhalten, dessen Verlauf ihm ja auch keinen Gewinn versprochen hätte. Aber die an der Politik teilnehmende Bevölkerung war mit diesem Ergebnis natürlich unzufrieden, zumal die Hellenen sich gewöhnt hatten, sich als die berechtigten Erben des griechischen Kaiserreichs und jede Einmischung einer fremden Macht auf der Balkanhalbinsel als einen Eingriff in ihre geheiligten Rechte anzusehen. Die Unzufriedenheit richtete sich gegen den König und kam in Attentaten etc. zum Ausbruch. Eine größere Militärrevolte brach 13. Febr. 1862 in Nauplia aus; sie wurde unterdrückt. Aber während der König auf der Reise, die er im Herbst nach dem Peloponnes unternahm, gut aufgenommen wurde, erhob sich in Vonitsa, Paträ und andern Orten ein neuer Aufruhr, und 22. Okt. traten Bulgaris, Kanaris und Rufos in Athen zu einer provisorischen Regierung zusammen, die »kraft einstimmigen Beschlusses der Nation« die Entsetzung des Königs Otto aussprach. Otto erschien 22. Okt. im Piräeus, faßte aber nach einer Beratung mit den Gesandten der Mächte den Beschluß, nach Bayern zurückzukehren.
Ein Dekret der provisorischen Regierung berief die [315] Nation zur Wahl eines neuen Königs; mit 230,016 von 249,701 Stimmen wurde Prinz Alfred von Großbritannien gewählt. Da aber die Übereinkunft von 1830 jedes Mitglied der Dynastien der Schutzmächte ausschloß, so lehnte der englische Prinz die Wahl ob, und nachdem der Herzog Ernst von Koburg und andere Prinzen ebenfalls eine Wahl abgelehnt hatten, einigten sich die drei Schutzmächte über den Prinzen Wilhelm von Dänemark als Thronkandidaten. Dieser wurde 30. März 1863 als Georg I. einstimmig gewählt und 5. Juni von den Schutzmächten anerkannt. Nachdem blutige Unruhen in Athen, die am 30. Juni infolge von Parteistreitigkeiten ausgebrochen waren, durch englische und französische Marinetruppen unterdrückt worden, hielt der neue König 30. Okt. seinen Einzug in Athen. England machte dem neuen König ein Geschenk mit seinem Verzicht auf das Protektorat über die Ionischen Inseln, die am 30. Mai 1864 G. feierlich übergeben wurden. Dennoch stießen König Georg und sein dänischer Ratgeber, Graf Sponneck, auf große Schwierigkeiten. Die Nationalversammlung, welche die provisorische Regierung berufen hatte, schritt zu einer Verfassungsrevision und beschloß im September 1864 die Abschaffung des Senats. Vergeblich sträubte sich der König gegen diesen Beschluß; er mußte im November die neue Verfassung beschwören und, nachdem ein Vermittelungsversuch seines Oheims, des Prinzen Julius von Glücksburg, fruchtlos geblieben, im Dezember 1865 den Grafen Sponneck entlassen, weil das Mißtrauen gegen die Fremden unausrottbar war. Die Anfeindungen zwischen den Ministern und den Parteihäuptern in der Kammer nahmen immer mehr zu und hinderten eine stetige ruhige Verwaltung, die für die Beseitigung der Finanznot dringend notwendig gewesen wäre. Alle Anleiheversuche scheiterten; die Erhöhung der Zölle und die Entwaffnung der Kriegsflotte halfen nichts. Schon konnten die Beamtengehalte nicht vollständig gezahlt werden. Ein Ministerium nach dem andern trat auf und versprach, den öffentlichen Kredit herzustellen und mit durchgreifenden Reformen das Gleichgewicht im Staatshaushalt zu erzielen; die Kammer vereitelte durch ihre Umtriebe alle Versuche zur Besserung. Dagegen mischten sich 1866 die Griechen in den Aufstand Kretas, der die Vereinigung mit G. zum Zweck hatte. Es bildete sich in Athen sofort ein kretensisches Komitee, das zu Beiträgen für den Aufstand aufforderte; zahlreiche Freiwillige strömten nach Kreta, während die Regierung Truppen an der türkischen Grenze zusammenzog und die Mächte aufforderte, den Sultan zur Nachgiebigkeit zu veranlassen. Aber diese billigten es, als die Pforte, deren Geduld erschöpft war, 1. Dez. 1868 beschloß, ein Ultimatum an G. zu stellen und im Falle der Ablehnung den Krieg zu erklären. Eine Konferenz der Mächte in Paris (Januar 1869) verbot G., die Bildung von Banden und die Ausrüstung von Schiffen zum Angriff auf türkisches Gebiet zu gestatten. Das griechische Ministerium weigerte sich, zu gehorchen, wollte es auf einen Krieg ankommen lassen und schrieb eine patriotische Anleihe von 100 Mill. Drachmen aus. Als auf diese nur 100,000 Drachmen gezeichnet wurden, trat das Ministerium ab, und das neue Kabinett Zaimis unterwarf sich 6. Febr. den Mächten. Eine zweite empfindliche Demütigung erlitt G., das eine hohe Entschädigung bezahlen mußte, als bei einem Raubanfall 11. April 1870 dicht bei Athen drei Engländer ermordet wurden. Diese Mißerfolge der Regierung steigerten den Parteistreit in der Kammer, die durch Austritt der Opposition wiederholt beschlußunfähig gemacht wurde; die Ministerien hielten sich mitunter nur, weil niemand diese dornenvolle Stellung einnehmen mochte.
Auch als 1876 die orientalische Frage sich wieder einer Krisis näherte, waren die Parteihäupter anfangs nicht einig: Kumunduros und Bulgaris waren dafür, sobald Rußland losschlage, der Türkei den Krieg zu erklären, und beantragten großartige Rüstungen; Deligeorgis hoffte durch die Gunst der Westmächte Thessalien und Epirus zu gewinnen. Schließlich wurde ein Fusionsministerium gebildet, das rüstete, aber auf den Rat Englands anfangs neutral blieb und erst nach dem Fall Plewnas im Januar 1878 ein Heer von 12,000 Mann nach Thessalien schickte, das wenig ausrichtete. Rußland berücksichtigte daher im Frieden von Santo Stefano G. gar nicht. Der Berliner Friede sprach ihm jedoch eine Erweiterung seiner Nordgrenze zu. Da die Verhandlungen über deren Festsetzung zwischen G. und der Pforte nicht zum Ziele führten, trat 1880 in Berlin eine Konferenz zusammen, die G. fast ganz Thessalien und das südliche Albanien zu sprach. Die Pforte weigerte sich anfangs, sich diesem Beschluß zu fügen, und wieder rüstete die griechische Regierung trotz gänzlicher Zerrüttung der Finanzen zum Krieg. Endlich gelang es den Westmächten, die Türken zur Nachgiebigkeit zu bestimmen, und 24. Mai 1881 wurden fast ganz Thessalien und der albanesische Distrikt Arta, 13,200 qkm mit 390,000 Einw., an G. abgetreten. Die Presse und die Kammer waren aber mit diesem Ergebnis keineswegs zufrieden, und der Minister Kununduros, dem man die Gebietsvergrößerung verdankte, wurde 1882 gestürzt. Als daher 1885 mit dem Staatsstreich in Ostrumelien und dem Kriege zwischen Bulgarien und Serbien neue Verwickelungen auf der Balkanhalbinsel entstanden, hoffte das Ministerium Delyannis eine Gelegenheit zu neuen Erwerbungen zu finden. Auch als die Ruhe im Norden hergestellt war, setzte es die Rüstungen fort in der Absicht, durch die Drohungen mit einem Angriff auf die Türkei, der einen Weltkrieg entzünden konnte, Zugeständnisse von den Mächten zu erzwingen. Aber diese blieben, außer Frankreich, unerbittlich. sandten eine große Kriegsflotte nach dem Ägäischen Meer und verhängten, als Delyannis ihr Ultimatum vom 6. Mai 1886 ablehnte, über alle ostgriechischen Häfen die Blockade. Nun trat Delyannis zurück; der neue Minister Trikupis befahl die Abrüstung, worauf die Blockade aufgehoben wurde, und widmete sich der Regelung der Finanzen, die durch die Kosten der Rüstungen (100 Mill.) in die ärgste Verwirrung geraten waren; auch setzte er durch ein neues Wahlgesetz die Zahl der Deputierten, die nach Provinzen (Nomen) gewählt werden sollten, auf 207 fest. Die wohltätigen Folgen der neuen friedliebenden und sparsamen Regierung machten sich bald bemerkbar, und König Georg konnte 31. Okt. 1888 sein 25jähriges Regierungsjubiläum unter lebhaften Sympathiebezeigungen der Nation feiern. Indes der verderbliche Parteigeist ließ das Land nicht zur Ruhe kommen. Die Opposition beutete die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit einigen nötigen neuen Steuern und mit der Nichtunterstützung eines Aufstandes in Kreta bei den Neuwahlen im Oktober 1890 rücksichtslos aus. Nur 50 Anhänger der Regierung wurden gewählt, und nach dem Rücktritt des Ministeriums Trikupis bildete Delyannis ein neues. Dieser setzte 1891 in der Kammer die Annahme neuer Steuergesetze, namentlich des Tabakmonopols, durch, zögerte aber nachher, die Gesetze auszuführen, weil er den Verlust seiner Popularität[316] fürchtete. Da sich Delyannis auch sonst anmaßend und unzuverlässig zeigte, nötigte ihn der König im März 1892 zum Rücktritt. Zunächst wurde Konstantopulos zum Ministerpräsidenten ernannt, der am 25. März die Kammern auflöste. Da bei den Neuwahlen im Mai 1892 die Trikupisten glänzend siegten, trat Trikupis wieder an die Spitze der Regierung. Dieser wollte die immer wachsenden finanziellen Schwierigkeiten durch eine neue Anleihe von 109 Mill. beseitigen; doch knüpften die englischen Kapitalisten an die Hergabe des Geldes die Bedingung, daß G. sich einer Kontrolle der Steuereinziehung durch die Staatsgläubiger unterwerfe. Hierauf wollte der König nicht eingehen, und daher trat Trikupis im Mai 1893 zurück. An seiner Stelle übernahm Sotiropulos die Bildung eines neuen Ministeriums, das aber gleich nach dem Zusammentritt der Kammer im November 1893 abdanken und von neuem Trikupis Platz machen mußte. Aus der Finanznot half sich das neue Ministerium, indem es im Dezember 1893 der Kammer ein Gesetz vorlegte, das auch angenommen wurde, und das einfach den Staatsbankrott erklärte. Au Zinsen für die Goldanleihen im Auslande sollten nur 30 Proz. gezahlt, die Amortisation eingestellt und die als Garantien für die Anleihen bestimmten Einkünfte fortan zugunsten des Staates eingezogen werden. Mit den auswärtigen Gläubigern wurden zwar Verhandlungen über eine gütliche Vereinbarung (Erhöhung der Zinszahlung auf 50 Proz., etc.) angeknüpft; sie hatten aber kein Ergebnis, da Trikupis alle Zugeständnisse ablehnte.
Die durch die systematischen Täuschungen in den offiziellen Budgets lange verhüllte verzweifelte Lage der Staatsfinanzen wurde 1894 immer offenbarer; der Staat war nicht imstande, etwas für die Förderung von Verkehr und Handel (Bau der Eisenbahnen vom Piräeus nach Larissa und von Myli nach Kalamata in Messenien) zu tun. Sowie Trikupis Miene machte, neue Steuern einzuführen, veranstaltete die Opposition Volksversammlungen (17. und 20. Jan. 1895 in Athen). Daraufhin reichte Trikupis seine Entlassung ein, und Nikolaus Delyannis, Neffe des bekannten Parteiführers, bildete 24. Jan. ein Geschäftsministerium. Bei den Neuwahlen 28. April erlangten die Delyannisten die so überwiegende Mehrheit, daß Theodor Delyannis 11. Juni ein neues Ministerium antrat, das der Kammer ein Budget mit fiktivem Überschuß vorlegte; die Einnahmen waren auf 91, die Ausgaben auf 89 Mill. Drachmen berechnet. Eine auswärtige Kontrolle der griechischen Finanzen zugunsten der fremden Staatsgläubiger erklärte Trikupis für unvereinbar mit der Würde des Staates; die Gläubiger mußten sich auch ferner mit 30 Proz. der Zinsen begnügen. Die großen Verluste, welche die Korinthenproduzenten durch Preissturz erlitten, suchte die Regierung durch ein Gesetz, wonach ein Teil der Korinthenernte an die Staatsmagazine abzuführen sei (s. oben, S. 307), und durch Herabsetzung des Ausfuhrzolls zu vermindern. Die Finanzlage besserte sich auch 1896 nicht. Trotzdem forderte die Regierung besondere Gelder für Verstärkung der Marine. und 14. Dez. legte Delyannis der Kammer einen Gesetzentwurf vor, durch den 2,600,000 Drachmen für ein befestigtes Lager bei Theben, für die Einberufung von zwei Reserveklassen und den Ankauf von Pferden bewilligt wurden. Denn 1896 war wieder ein Aufstand auf Kreta ausgebrochen, und ungestüm nahm die öffentliche Meinung für die Kreter Partei. Es bildete sich ein nationaler Verband (Ethnikē Hetairia, s. d.), um eine Erhebung des gesamten hellenischen Volkes in Kreta, in Mazedonien, auf den Inseln gegen das türkische Joch ins Werk zu setzen. Als der Aufstand in Kreta, der 1896 durch die Zusicherung von Reformen vorläufig beschwichtigt wurde, Anfang 1897 von neuem ausbrach, glaubten der König und das Ministerium ihre eigne Stellung gefährdet, wenn sie länger der immer höher gehenden nationalen Begeisterung Widerstand leisteten. Große Rüstungen zu Wasser und zu Lande wurden veranstaltet. Während die griechische Landarmee sich in den Nordprovinzen, Epirus und namentlich Thessalien, zusammenzog und auch die Kriegsflotte sich zur Abfahrt dahin sammelte, landete 15. Febr. 1897 eine griechische Abteilung unter Oberst Vassos auf Kreta, um im Namen des griechischen Königs von der Insel Besitz zu ergreifen. Doch die Großmächte richteten 2. März an die griechische Regierung ein Ultimatum, das die Räumung von Kreta innerhalb sechs Tagen forderte, wogegen die Autonomie der Insel unter Suzeränität des Sultans verbürgt wurde. Am 8. März willigte G. zwar in die Zurückziehung seiner Schiffe aus den kretischen Gewässern, lehnte aber die Abberufung der gelandeten Truppen ab, da sie allein die Pazifikation der Insel durchführen könnten, worauf die Kreter durch eine Volksabstimmung über ihr Schicksal entscheiden sollten. Hierauf beantragte das Deutsche Reich bei den Mächten die sofortige Blockade des Piräeus; aber England erhob dagegen Einspruch, und man begnügte sich mit einer Blockade der Insel Kreta und der Besetzung einiger Küstenstädte. Dadurch fühlte sich die griechische Regierung zu kühnerm Vorgehen auch in Thessalien ermutigt. Hier wurde die ganze griechische Armee auf Kriegsfuß zusammengezogen und unter den Oberbefehl des Kronprinzen Konstantin gestellt; Freischaren, die aus der Türkei, Italien und andern Ländern nach G. geströmt und von der Ethnike Hetairia organisiert worden waren, wurden bis dicht an die türkische Grenze vorgeschoben.
Inzwischen hatte die Türkei eine bedeutende Streitmacht unter Edhem Pascha zusammengezogen und erklärte 17. April 1897 an G. den Krieg. Gleich die erste griechische Stellung am Melunapaß wurde von den Türken genommen, und nach dem siegreichen Treffen bei Turnawos wurde 25. April Larissa von ihnen besetzt. Infolge davon wurde Delyannis vom König entlassen, und der bisherige Führer der Opposition, Ralli (Rhallis), übernahm die Leitung. Dieser befahl dem Obersten Vassos, Kreta zu räumen, konnte jedoch dem Gang der Kriegsereignisse keine andre Wendung geben. Die Eroberung der türkischen Inseln im Agäischen Meer, das Bombardement türkischer Häfen, die Landung griechischer Truppen im Rücken der Türken erfolgten ebensowenig, wie der Angriff auf Prevesa in Epirus glückte. Nach zweitägigen Kämpfen (5. und 6. Mai) räumten die Griechen auch ihre Stellung bei Phersala (Pharsalos), und nachdem der linke Flügel der Türken die Griechen 6. Mai bei Walestinon besiegt hatte, besetzten die Türken 8. Mai Volo. Die griechische Hauptarmee wurde dann bei Domokos 18. Mai wieder geworfen. Schon nach der Niederlage bei Phersala hatte die griechische Regierung die Hoffnung auf eine glückliche Wendung aufgegeben, sich der Entscheidung der Mächte in der kretischen Frage unterworfen und 11. Mai ihre Vermittelung für einen Waffenstillstand angerufen. Dieser wurde 19. Mai abgeschlossen. Auch die Verhandlungen über den Frieden mit der Türkei übertrug G. den Mächten. Die Verhandlungen in Konstantinopel zogen sich lange hin, da die Türkei zwar[317] bereit war, Thessalien zu räumen, aber eine Kriegskostenentschädigung forderte. Deutschland bestand darauf, daß G. sich einer Kontrolle seiner Finanzen durch die Mächte unterwerfe; England erhob dagegen Einspruch. Am 18. Sept. 1897 wurden die Friedenspräliminarien unterzeichnet: G. sollte eine Kriegsentschädigung von 4 Mill. türk. Pfd. (75 Mill. Mk.) bezahlen, wogegen Thessalien geräumt werden sollte; doch wurde der Türkei an der thessalisch-mazedonischen Grenze eine strategisch wichtige Berichtigung zugestanden. Als das von Ralli geforderte Vertrauensvotum von der Kammer 30. Sept. abgelehnt ward, beauftragte der König Zaimis (Saimi), einen Neffen und bisherigen Anhänger Delyannis', mit der Bildung des neuen Ministeriums, in dem General Smolenski den Krieg, Streit die Finanzen übernahmen. Den am 4. Dez. in Konstantinopel unterzeichneten definitiven Frieden genehmigte die Kammer ebenso wie die Finanzkontrolle der Mächte, da man keine andre Möglichkeit sah, sich aus der Finanznot zu retten; die Staatsausgaben beliefen sich 1897 auf das Doppelte des Voranschlags (95 Mill.). Über die Kriegführung zu Land und zur See wurden Untersuchungen angeordnet. Bei der Umgestaltung des Ministeriums (10. Nov. 1898) wurden Smolenski durch den Obersten Korpas, Streit, der die europäische Finanzkontrolle in Gang gebracht hatte, durch Negris ersetzt; das Innere erhielt Triantophylakos. Zaimis behielt den Vorsitz und das Auswärtige. Die internationale Finanzüberwachung (s. »Finanzkontrolle, internationale«) erzielte schon im ersten Jahr ihrer Tätigkeit 6 Mill. Drachmen mehr Einnahmen, als der Voranschlag (30 Mill.) angenommen hatte. Die türkische Herrschaft in Kreta (s. d.) hörte auf, und der griechische Prinz Georg wurde Regent.
Dennoch erhielten bei den Neuwahlen (19. Febr. 1899) die Trikupisten unter Führung von Theotokis die Mehrheit; am 12. April nahm das Ministerium Zaimis seine Entlassung. Der König beauftragte Theotokis mit der Bildung eines neuen Kabinetts, das zumeist aus Trikupisten bestand. In der im Mai 1899 eröffneten Tagung beschäftigte sich die neue Kammer namentlich mit der Heeresreform. Schließlich wurde ein Gesetz angenommen, das die Berufung von fremden Offizieren zur Reorganisation des Heeres und der Marine bestimmte; zwei höhern Offizieren mit je einem Adjutanten sollte mit dem Titel Reorganisator die Inspektion und die höchste Leitung des Generalstabs der Armee und der Marine übertragen werden. Dagegen konnte das Gesetz über die dringend nötige Entfernung der jüngern Offiziere (bis zum Oberstleutnant) aus der Kammer nicht durchgebracht werden. Aber die Reformen des Steuersystems, die Neueinteilung der Verwaltung, eine Reihe von Gesetzen für die Justiz, die Erziehung, das Konsularwesen wurden erledigt und auch für die Witwen und Waisen der im Kriege Gefallenen gesorgt.
In seinem (1899 veröffentlichten) Generalstabsbericht über den Krieg hatte der Kronprinz die Errichtung eines Generalkommandos mit dem Sitz in Athen vorgeschlagen, dem alle Abteilungen des Kriegsministeriums, mit Ausnahme des Justizwesens und der Intendantur, unterstehen sollten; auf diese letztern Dienstzweige sollte der Kriegsminister beschränkt sein. Der Kriegsminister, Oberst Kumunduros, sprach sich aber entschieden dagegen aus. Da er sich auch mit dem Finanzminister Simopulos über eine Erhöhung des Heeresbudgets nicht zu verständigen vermochte, nahm er 10. Jan. 1900 seine Entlassung. An seiner Stelle brachte der bisherige Präsident der Kammer, Oberst Tsamados, der früher wiederholt unter Trikupis Kriegsminister gewesen war, Mitte Februar mit Erfolg einen Gesetzentwurf ein, wonach die Leitung der gesamten bewaffneten Macht und die Verantwortung für deren Verwaltung dem Kriegsminister zustehen, das Generalkommando der Armee aber dem rangältesten Divisionsgeneral (dem Kronprinzen) übertragen und diesem ein fremder Offizier als Generalstabschef beigegeben werden sollte. Theotokis legte der Kammer die Verträge über den Ausbau des griechischen Eisenbahnnetzes vor, für den eine englisch-französische Finanzgruppe die erforderlichen Gelder, allerdings gegen Zinsgewähr, vorzuschießen bereit war; zur Bestreitung der Zinsgewähr beantragte die Regierung einen Zuschlag zur Tabaksteuer. Im Herbst 1900 übernahm der Kronprinz Konstantin das Oberkommando über die griechische Armee und das Gendarmeriekorps. Die Sitzungen der Kammer wurden 17. Nov. wieder eröffnet. Zum Präsidenten wurde zwar der theolokistische Kandidat Bonfidis gewählt; aber die Mehrheit war den Ränken der Oppositionsparteien nicht gewachsen. Am 3. Jan. 1901 legte der Minister des Äußern den Gesetzentwurf über den neuen Handelsvertrag mit Rumänien der Kammer vor. Um eine außerordentliche Tagung zu ersparen, beantragte die Regierung, die den Staatshaushaltsvoranschlag für 1901 erst in zwölfter Stunde unter Dach und Fach hatte bringen können, eine Entschädigung von 1200 Drachmen für jeden Abgeordneten; doch vorzeitig bereitete Theotokis 7. Febr. 1901 der Kammer ein Ende, um unbequemen Anfragen aus dem Wege zu gehen. Nach monatelanger Vertretung trat im September der Justizminister Karapavlos zurück, um durch den bisherigen, vom König besonders geschätzten Minister des Äußern, Romanos, ersetzt zu werden. Die überaus schwache Stellung des von dem guten Willen der kleinern Parteien unter Zaimis und Deligeorgis abhängigen Ministeriums Theotokis zeigte sich gleich bei der Wiedereröffnung der Kammer (12. Nov.) deutlich. Gestürzt wurde es durch eine von der Studentenschaft in Athen ausgehende Bewegung gegen eine volkstümliche Übertragung der Evangelien (Ende November 1903 wiederholte sie sich anläßlich der Ausführung der »Orestie« des Äschylos in neugriechischer Sprache). Als die Unruhen eine unangenehme Wendung nahmen, ging Theotokis 23. Nov. freiwillig, um der Krone die Sache zu erleichtern; an die Stelle des abgesetzten Metropoliten von Athen, Prokopios (der bald darauf starb), trat im November 1902 der in Deutschland vorgebildete bisherige Bischof von Sparta, Theoklitos.
Unter der Bedingung, daß sein Ministerium farblos bleibe, erhielt Zaimis die Unterstützung der Theotokisten und bildete 25. Nov. 1901 ein Kabinett, worin Topalis (bis 27. Febr. 1902) die Justiz, Triandafyllakos das Innere, Montferrato den Kultus, Negris die Finanzen und Oberst Korpas den Krieg übernahmen. Die Dauer dieses Zwischen- (oder »Verwandten«-) Ministeriums war gering; als es sich anschickte, sich von der Partei Theotokis-Simopulos zu emanzipieren, waren seine Tage gezählt. Die Neuwahlen vom Anfang Dezember ergaben die Notwendigkeit, Theodor Delyannis, der seit 29. April 1897 das früher so oft gehandhabte Präsidium nicht mehr besessen hatte, mit der Kabinettsbildung zu betrauen. Unterm 11. Dez. kam das neue Ministerium zustande; Romas übernahm den Kultus, Karapanos die Marine, Zygomalas die Justiz, Mavromichali das Innere,[318] Skuzis das Äußere und Oberst Lymbritis den Krieg; letzterer legte jedoch schon 30. März 1903 sein Amt nieder, da er sich vom Ministerpräsidenten, der auf bessere Beziehungen zur Krone besonderes Gewicht legte, nicht genügend unterstützt sah. Doch auch Delyannis mußte bald danach vom Schauplatz wieder abtreten.
Diesmal war die Frage des Rosinenmonopols der Stein des Anstoßes. Seit Jahren arbeitete man in den Rosinenprovinzen Griechenlands mit sehr geringem Verdienst. Deshalb erschien der davon betroffenen und in ihrer Meinung durch die Presse bestärkten Landbevölkerung das einer englischen Gesellschaft einzuräumende Monopol, das den Aufkauf der gesamten Korinthenernte des Landes vorsah und den Erzeugern sichern und größern Gewinn in Aussicht stellte, sehr willkommen. Aber einzelne Punkte des Vertrags wären dem Lande schädlich gewesen; und schon darum erhoben mehrere an den griechischen Finanzen im allgemeinen und der Rosinenausfuhr im besondern interessierten Mächte (England, Deutschland, die Niederlande und Italien) dagegen Einspruch. Die Haltung des Kabinetts dem gegenüber war schwankend und widerspruchsvoll: Delyannis war selbst nicht für das Monopol, stellte aber die Sache so dar, als ob die Opposition (Theotokis) dagegen sei, die ihrerseits nur begründete Abänderungen an dem Vertrage vorzunehmen wünschte. Als nun die Kammer die Vertagung der Debatte beschloß, damit die Regierung mit den Vertretern der (inzwischen übrigens durch Austritt zweier Mitglieder geschwächten) englischen Gesellschaft erneut unterhandeln könne, glaubte das Volk in den Rosinenbezirken, die ganze Angelegenheit sei damit abgelehnt oder doch auf lange Zeit verschoben, und revoltierte (Anfang Juni 1903). Delyannis machte daraufhin demselben Trikupisten Theotokis Platz, der 1901 über den Evangelienstreit gestürzt war; in das neue Kabinett, dem die Unterstützung durch Zaimis sicher war, traten 29. Juni Simopulos (Finanzen), der frühere Delyannist Nik. Lewidis (Inneres), Oberst G. G. Grivas (Krieg), Andr. Stephanopulos (Marine), Nik. Kalogeropulos (Justiz) und Lombardos Argassaris (Unterricht) ein. Doch die Lage war schon dermaßen verfahren, daß Theotokis kaum nach zwei Wochen, gezwungen durch die namentlich in dem Peloponnes ungeschwächt sich wiederholenden erbitterten Ausbrüche des Volksunwillens, es vorzog, zurückzutreten, da er zugunsten des Monopols nicht nachgeben wollte. Seinen Posten nahm darauf 11. Juli der Halb-Delyannist Ralli (18. Febr. bis 29. Juni Kammerpräsident) ein; seine Gehilfen waren: Mavromichali (Inneres; Intimus Delyannis'), Oberst Konstantinidis (Krieg), Merlopulos (Justiz), Pharmakopulos, ein Neffe von Delyannis (Kultus und Unterricht). Eine der ersten Taten des neuen Ministeriums war die im Interesse des Landes längst ersehnte Herabsetzung der Zahl der Abgeordneten von 234 auf 198. In Sachen des Korinthenmonopols versprach Ralli alles zu tun, um den Widerspruch der Mächte zu beheben. Doch ehe er noch etwas erreicht hatte, trat auch er 16. Dez. zurück, und 18. Dez. 1903 kam von neuem ein Kabinett Theotokis zustande, das Simopulos (Finanzen), Leidilis (Justiz), Romanos (Äußeres), Stats (Unterricht; bat 1. Juli 1904 um Entlassung, weil er im Duell einen Deputierten getötet hatte), Sp. Kumunduros (Marine) und Smolenski (Krieg) zu seinen Gliedern zählte Es brachte ein neues Korinthengesetz ein, stieß jedoch damit auf Englands Widerspruch; die Verhandlungen zwischen den beiden Staaten waren im Juni 1904 noch zu keinem befriedigenden Abschluß gekommen. Besser stand es mit der Ausführung des Planes, das Heer zu reorganisieren; kurz vor ihrer Vertagung genehmigte die Kammer ein Gesetz über die Schaffung eines nationalen Kriegsschatzes und mehrere hiermit zusammenhängende Finanzvorlagen (Mitte April 1904).
Im Verhältnis zur Türkei war in den letzten Monaten (noch im Februar 1902 beschwerte sich G. über das geringe Entgegenkommen der Pforte bei den Verhandlungen über einen Handelsvertrag) eine merkliche Besserung eingetreten, als ein an sich unbedeutender Zwischenfall in Smyrna (Ende April 1904) die griechische Empfindlichkeit von neuem reizte und schwere Konflikte heraufzubeschwören schien; doch die Friedensliebe des Königs und der Takt des türkischen Wali beseitigten auch diesmal den Stein des Anstoßes. Eine der Hauptursachen der Annäherung, die im März 1903 zur offiziellen Wiederherstellung des status quo ante bellum führte, waren die mazedonischen Unruhen insofern, als darunter die dort wohnenden Griechen ebenso zu leiden hatten wie die Türken und andern Nichtslawen. Mit dem österreichisch-russischen Reformprogramm (s. Mürzsteg und Türkisches Reich, Geschichte) war man deshalb einverstanden.
[Geschichtsliteratur.] Vgl. W. Mitford, History of Greece (Lond. 17841818, 5 Bde.; 7. Aufl. 1838, 10 Bde.; deutsch von Eichstädt, Leipz. 180208, 6 Bde.); Fallmerayer, Geschichte der Halbinsel Morea während des Mittelalters (Stuttg. 183036, 2 Bde.); Hopf, Geschichte Griechenlands vom Mittelalter bis auf unsere Zeit (aus Ersch und Grubers Enzyklopädie, Leipz. 1870); Finlay: Geschichte Griechenlands von seiner Eroberung durch die Kreuzfahrer bis zur Besitznahme durch die Türken (deutsch von Reiching, Tübing. 1853), History of Greece under the Othoman and Venetian domination (Lond. 1856) und History of the Greek revolution (das. 1861, 2 Bde.); Sathas, Documents inédits relatifs à l'histoire de la Grèce an moyen âge, 1. Reihe: 1400 bis 1500 (Par. 188090, 9 Bde.); Philadelpheus, Geschichte Athens unter der Türkenherrschaft 14001800 (griech., Athen 1902); Herre, Europäische Politik im cyprischen Krieg 15701573 (Leipz. 1902, Teil 1); Gervinus, Geschichte des 19. Jahrhunderts, Bd. 5 u. 6 (das. 186162); Mendelssohn-Bartholdy. Geschichte Griechenlands von 1453 bis auf unsere Tage (das. 187074, 2 Bde.); Hertzberg, Geschichte Griechenlands seit Absterben des antiken Lebens bis zur Gegenwart (Gotha 187578, 4 Bde.); Gordon, History of the Greek revolution (Lond. 1832; deutsch von Zinkeisen, Leipz. 1840, 2 Bde.); Trikupis, Geschichte der griechischen Wiedergeburt (in neugriech. Sprache, Lond. 185357, 4 Bde.; 2. Aufl. u. d. T. »Geschichte des griech. Aufstands«, 1862); Lenormant, La révolution de Grèce, ses causes et ses conséquences (Par. 1862); v. Prokesch-Osten, Geschichte des Abfalls der Griechen (Wien 186768, 6 Bde.); Thiersch, Griechenlands Schicksale vom Anfang des Befreiungskrieges bis auf die gegenwärtige Krisis (Münch. 1863); Schmeidler, Geschichte des Königreichs G. (Heidelb. 1877); Smith, Greece under King George (Lond. 1893); Sergeant, Greece in the nineteenth century (das. 1897). Woodhouse, The tutorial history of Greece (das. 1904); Nic. Ypsilantis, Mémoires (hrsg. von Kamburoglu, Athen 1902); Vlachojannis, Ἀρχεῖα τῆς νεωτέρας ἑλληνικῆς ἱστορίας (Archive der neuern griech. Geschichte 182162, Bd. 1; Athen 1901);[319] (N. n. Strantz,) Der griechisch-türkische Krieg des Jahres 1897 von einem höhern Offizier (Berl. 1897); Kloer, Der türkisch-griechische Krieg im J. 1897 (das. 1897); v. Prollius, Der türkisch-griechische Krieg (Leipz. 1897); Fetzer, Aus dem thessalischen Feldzug der Türkei Frühjahr 1897 (Stuttg. 1898); C. von der Goltz, Der thessalische Krieg und die türkische Armee (Berl. 1898); Boysen, G. vor und nach dem Kriege (Halle 1899), Lardy, La guerre gréco-turque (Par. 1899).
Brockhaus-1809: Griechenland · Griechenland
DamenConvLex-1834: Griechenland (Literatur) · Griechenland (Moden) · Griechenland (v Geschichte) · Griechenland (Frauen) · Griechenland (Geographie) · Griechenland (Kunst)
Meyers-1905: Griechenland [1]
Pierer-1857: Griechenland [4] · Griechenland [5] · Griechenland [3] · Griechenland [1] · Griechenland [2]
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Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro