Russisches Reich [2]

[516] Russisches Reich (Gesch.). Die Ländermassen, welche jetzt Rußland heißen, waren den Griechen, welchen man die ersten geographischen u. ethnographischen Kenntnisse derselben verdankt, lange ganz unbekannt. Die Homerische Weltkarte kennt Länder[516] u. Völker östlich u. nördlich von Thracien gar nicht; erst seit Herodot (Mitte des 5. Jahrh. v. Chr.) wurden die Gegenden nördlich vom Schwarzen Meere etwas bekannt, nach ihm wohnten zwischen Dniepr u. Don Scythen u. östlich von diesen die Sauromatä (Sarmaten), weiter im Norden von beiden ebenfalls Scythen; zur Zeit des Eratosthenes (um 200 v. Chr.) hatte sich der Stand der Völker nur in so fern geändert, daß die Scythen westlicher u. die Sauromaten nördlicher erscheinen, während an ihrer Stelle am Schwarzen Meere, zwischen Dniepr u. Don, die Rhoxolaner, ein scythischer Stamm, hausen, zu denen später bei Ptolemäos (um die Mitte des 2. Jahrh. n. Chr.) noch die Jazygen kommen; im Nordwesten, nach Germanien hin, u. der Weichsel entlang, saßen Bastarnen, Rueiner, Murer, Androphagen etc., während seit dem 2. Jahrh. n. Chr. in den Ländern zwischen Donau u. Dniepr Gothen aus Norden einzogen. Hier wurde seit dem 5. Jahrh. der Tummelplatz, wo Alanen, Hunnen, Avaren u. Bulgaren sich drängten, denen dann die Slawen, ein sarmatischer Stamm, folgten, von welchen die eine Abtheilung das vormals von den Sarmaten bewohnte Land einnahm, woraus sie aber seit dem 6. Jahrh. durch die Chazaren u. Petschenegen verdrängt wurden, von denen sich die Ersteren zwischen Don u. Wolga, die Letzteren zwischen Don u. Aluta niederließen, während die Slawen nordwestlich wanderten u. dort Kiew u. Nowgorod anlegten. In den nordöstlichen Theilen Rußlands wohnten die Scythen od. Tschuden, ein finnischer Stamm, unter denen im 8. Jahrh. auch Slawen erscheinen. Ein gewisser Grad von Bildung u. Wohlstand zeigte sich am ersten bei den Slawen, daher wählten im Süden die Chazaren u. im Norden die Waräger (Wäringer), ein normannisches Volk am Baltischen Meere in Schweden, sie zum Ziel ihrer Angriffe. Die Waräger eroberten im 9. Jahrh. das Land um Riga, Petersburg u. den Ladoga- u. Onega-See, wo das seiner Abstammung nach unbekannte (vielleicht zu dem germanischen Stamme gehörende), damals zuerst genannte Volk der Russen wohnte, u. machten sich die Slawen von Nowgorod u. die finnischen Tschuden, Wessen, Meren u. Kriwitschen tributbar. Die Russen zogen sich darauf nördlich nach Finnland u. Karelien, die Waräger aber hießen seitdem die Russischen Waräger (im Gegensatz zu den skandinavischen). Indeß die genannten finnischen Stämme vertrieben in Verbindung mit den Slawen die Waräger wieder u. gründeten am Ilmensee einen Bundesstaat mit demokratischer Verfassung; aber als nach Kurzem Uneinigkeit unter den Bundesstämmen ausbrach, kamen sie dahin überein, die Waräger aus Schweden zurückzurufen u. sich ihnen freiwillig zu unterwerfen. In Folge einer an die Waräger geschickten Gesandtschaft kam 862 (nach der unbegründeten Angabe mancher russischer Historiker schon 852) der Fürst Rurik von Roßlagen mit seinen Brüdern Sineus u. Truwor u. einer großen Schaar Begleiter u. wurde der Begründer des R-n R-es.

Ruriks Reich umfaßte bereits die jetzigen Gouvernements Livland, Kurland, Pskow, Witebsk, das vormalige Gouvernement Wiborg, Petersburg, Nowgorod, Jaroslaw, Kostroma, Smolensk, Olonez, Archangel, Wladimir u. Wologda. Obgleich die Russischen Waräger der herrschende Stamm waren u. dem Volke u. Staate ihren Namen gaben, so nahmen sie doch von den gebildeteren u. die Mehrzahl ausmachenden Slawen Sprache u. Sitten an. Die Verfassung, welche Rurik einführte, war eine patrimoniale. Der Großfürst konnte seinen Söhnen u. Brüdern einzelne Fürstenthümer verleihen, wie denn Rurik selbst seine miteingewanderten Brüder, den einen, Sineus, mit dem Lande der Wessen (Bjelosersk), den andern, Truwor, mit dem der Kriwitschen (Isbork) belehnte, welche Länder aber nach Beider kinderlosem Ableben wieder an den Großfürsten Rurik zurückfielen. Dieser residirte zu Alt-Ladoga. Auch die südlich am Dniepr wohnenden Slawen hatten, um sich der sie bedrängenden Chazaren zu erwehren, den Großfürsten Rurik um einen Fürsten aus seinem Stamme gebeten. Rurik schickte ihnen 865 seinen Stiefsohn Oskold in Begleitung des edeln Waräger Dir, welchen jene Slawen, nachdem sie unter ihm die Chazaren besiegt hatten, als Fürsten annahmen, u. welcher Kiew zur Residenz wählte. Währenddem hatte der Knees Wodin 864 eine Verschwörung gegen Rurik angezettelt, welche aber unterdrückt wurde. Rurik hinterließ bei seinem Tode 879 das Reich seinem vierjährigen Sohne Igor, zu dessen Vormund er seinen Bruder Oleg ernannte; Letzter sammelte 882 ein Heer, unterwarf damit Smolensk, dann Lubetsch u. zog darauf vor Kiew. Er lockte den Fürsten Oskold durch List aus der Stadt, ließ ihn umbringen, nahm Kiew, vereinigte beide Slawenstaaten u. verlegte die Residenz des vereinigten Reiches nach Kiew, überwältigte die Chazaren, kämpfte siegreich gegen die Magyaren, welche Kiew belagerten, u. unterwarf ganz Südrußland. 903 vermählte er seinen Neffen Igor mit der Bäuerin Olga u. segelte dann mit einem Heere den Dniepr hinab in das Schwarze Meer, plünderte die umliegenden Landschaften aus, zog vor Constantinopel, wo aber ein Sturm seine Flotte zerstreute, u. kehrte mit Beute beladen in sein Reich zurück. Er gründete mehre Städte, knüpfte Handelsverbindungen an, gab dem Reiche Gesetze u. st. 912. Nun übernahm Igor die Regierung selbst, gegen ihn empörten sich aber die abhängigen Derewier, wurden jedoch bald überwältigt. Darauf griffen ihn die Petschenegen an, denen er Wohnsitze an den Grenzen einräumte. 941 that Igor einen zweiten Zug gegen Constantinopel, wurde aber von Theophanes besiegt u. zur Heimkehr genöthigt. 944 erschien er mit einem Heere wieder an der Mündung der Donau; doch die Griechen erkauften 945 Frieden u. Bündniß durch Tribut. Noch 944 zog Igor gegen die abermals empörten Derewier aus, doch wurde er von denselben überfallen u. getödtet. Sein Sohn Swätoslaw war noch minderjährig, daher übernahm seine Mutter Olga die Regierung; sie unterwarf die Derewier, theilte das Reich in Kreise, verordnete feste Abgaben u. gründete die Stadt Pskow. Damals begann das Christenthum sich in Kiew zu verbreiten. Olga war ihm geneigt, unternahm deshalb 955 eine Reise nach Constantinopel, ließ sich dort taufen u. nahm den Namen Helena an. Swätoslaw übernahm 965 die Regierung selbst, blieb aber Heide, besiegte die Wiätitschen u. Chazaren u. erweiterte sein Gebiet bis an das Asowsche Meer. Während er 967 die Bulgaren bekriegte u. überwand, belagerten die Petschenegen Kiew, wurden aber zurückgeschlagen. Darauf theilte er 970 sein Reich unter seine drei Söhne; Jaropolk erhielt Kiew, Oleg das Land der Derewier u. Wladimir Nowgorod. Swätoslaw selbst ging nach Bulgarien zurück, vollendete die Überwältigung[517] des Landes u. wählte Perejaslaw zum Wohnsitz. Die Griechen wollten ihn aber dort in ihrer Nähe nicht dulden u. der Kaiser Johann Zimiskes schlug ihn 971 bei Silistria u. zwang ihn Bulgarien zu räumen; da er auf seiner Rückkehr durch das Gebiet der Petschenegen gehen wollte, widersetzten sich diese u. schlugen u. tödteten ihn 972. Durch Swnneid aufgereizt, entzweiten sich Swätoslaws Söhne mit einander; Jaropolk überzog Oleg mit Krieg, in welchem dieser blieb. Wladimir, seinen Bruder fürchtend, entfloh zu den Warägern u. begleitete dieselben zwei Jahre auf ihren Zügen, kehrte aber 980 zurück, eroberte Nowgorod u. Kiew, lockte Jaropolk durch List zu sich u. ließ ihn tödten. Nun war Wladimir I., der Apostelgleiche, Alleinherr von Rußland; er vertrieb die Waräger, eroberte Galizien zurück, überwältigte Lithauen u. machte Livland zinsbar. Das Christenthum verfolgte er Anfangs, als er aber 988 einen Zug nach Cherson gemacht u. dasselbe erobert hatte, schloß der byzantinische Kaiser Basilius einen Vertrag mit ihm u. gab ihm seine Schwester Anna zur Gemahlin. Wladimir ließ sich nun zu Cherson an seinem Vermählungstage taufen u. führte 989 (988) das Christenthum nach griechischem Ritus im R. R. ein, nachdem er alle Götzenbilder hatte zerstören lassen. Fast alle Einwohner von Kiew wurden im Dniepr zugleich getauft, am meisten Widerstand zeigte sich in Nowgorod. Nun zog Wladimir Gelehrte u. Künstler in sein Reich, sandte seine Unterthanen zu Erlernung von Kenntnissen in das Ausland, stiftete Kirchen, gründete Städte (u.a. Wladimir in Volhynien) u. hielt auf strenges Recht. Vor seinem Tode theilte er das Reich unter seine 12 Söhne. Alsbald empörte sich einer derselben, Jaropolk, Fürst von Nowgorod, gegen ihn; Wladimir berief gegen ihn die Waräger zur Hülfe, doch starb er 1015, ehe es zur Schlacht kam.

Boris, der Lieblingssohn Wladimirs, stand mit einem Heere gegen die Petschenegen, als sein Vater starb. Das Heer rief ihn zum Großfürsten aus, aber Swätopölk I. (eigentlich nicht ein Sohn Wladimirs, sondern seines von ihm ermordeten Bruders Jaroslaw, dessen Gemahlin Wladimir schwanger geheirathet u. Swätopolk immer als Sohn betrachtet hatte), welcher sich schon Kiews bemächtigt hatte, ließ Boris nebst Glieb, Fürsten zu Morum, u. Swätopolk von Derewien ermorden. Gleiches war dem vierten Bruder, Jaroslaw, Fürsten von Nowgorod, zugedacht, welcher eben einen Aufstand zu bekämpfen hatte. Er gewann aber die Aufrührer für sich, führte ein Heer gegen Swätopolk, schlug denselben 1016 bei Ljubetsch u. zwang ihn zu seinem Schwiegervater, dem Könige Boleslaw I. von Polen, zu fliehen. 1017 brannte Kiew ab, auch überzogen die Petschenegen Rußland mit Krieg, doch schlug sie Jaroslaw zurück u. schloß einen Bund mit dem Kaiser Heinrich III. gegen Boleslaw I. von Polen. Dieser aber besiegte Jaroslaw am Buck, eroberte Kiew u. setzte seinen Eidam wieder ein. Der undankbare Swätopolk wollte aber seinen Wohlthäter ermorden lassen; dieser jedoch, rechtzeitig gewarnt, verließ Kiew, nahm aber den Schatz von Kiew u. viele vornehme Geißeln mit sich u. behielt die in Galizien besetzten tscherwenischen Städte. In Rußland währte der Kampf zwischen Jaroslaw u. dem von den Petschenegen unterstützten Swätopolk noch eine Zeit lang fort, bis Jaroslaw 1016 in der dreitägigen Schlacht an der Alta siegte u. Swätopolk auf der Flucht in Polen starb. Jaroslaw erhob das Fürstenthum Kiew zum Großfürstenthum u. die Stadt zur Landeshauptstadt; der Stadt Nowgorod ertheilte er aber 1019 das berühmte Stadtrecht. Bald darauf wurde diese Stadt von des Großfürsten Neffen, Brätschislaw, Fürsten von Polock, überfallen u. geplündert. Jaroslaw nahm ihm die Beute wieder ab, schloß aber 1021 Frieden u. einen Bund mit ihm. Sein jüngster Bruder, Mstislaw, Fürst von Tmutorakan, stürzte, vereinigt mit den Griechen, 1016 das Chazarenreich in Taurien, unterwarf sich 1022 auch die Kassogen, entriß 1024 seinem Bruder Jaroslaw, welcher gerade in Susdal einen Aufruhr bekämpfte, Tschernigow, besiegte ihr in der Schlacht bei Lystwen u. zwang ihn ihm Murom mit einem Gebiet an dem Dniepr abzutreten. 1026 kam der Friede zwischen Beiden zu Stande, u. es fiel 1036 nach Mstislaws Tode, da er ohne Kinder starb, dessen ganzes Land an Jaroslaw. Dieser führte auch 1024 einen unglücklichen Krieg mit Polen; dagegen kämpfte er glücklich gegen die Livländer 1026, welche er zinsbar machte u. wo er 1030 die Stadt Juriew (Dorpat) erbaute. Darauf eroberte er Rothrußland von Polen, bevölkerte mit polnischen Gefangenen die wüsten Gegenden Rußlands, schlug 1036 die Petschenegen, befestigte 1037 Kiew, überwältigte 1038 die Jatwägen, 1041 die Lithauer u. Masovier, u. sein Sohn, Wladimir, Fürst von Nowgorod, 1043 die Finnen. Noch zog er 1040 mit 100,000 Mann gegen Constantinopel, um die Ermordung russischer Kaufleute zu rächen, schloß aber, da seine Flotte durch das griechische Feuer u. durch Stürme vernichtet wurde, 1043 Frieden. Seinem Schwager, dem Polenkönige Kasimir, half er 1046 Mieczislaw, welcher sich in Masovien unabhängig machen wollte, züchtigen. Jaroslaw ließ das russische Gesetzbuch zusammentragen (Ruskaja Prawda), regelte die Verfassung u. die Abgaben, schlug die ersten russischen Münzen, gründete Schulen (die erste 1054) u. Kirchen, ließ griechische Bücher ins Slawische übersetzen, berief Künstler aus Griechenland u. stiftete eine Erziehungsanstalt in Nowgorod für Geistliche u. Adlige. Unter ihm wurde 1051 der erste geborene Russe, Hilarion, Metropolit, u. St. Antonius stiftete den Mönchsorden der Antoniten u. das Petscherschkische Kloster. Vor seinem Tode verordnete er eine Reichstheilung unter seine vier Söhne in der Art, daß der älteste, Isäslaw, Großfürst u. Oberregent blieb u. als solcher die Länder Kiew u. Nowgorod behielt; Swätoslaw erhielt Tschernigow, Wsewolod Perejaslaw u. Wälscheslaw Smolensk. Er st. 1054. Nun bildeten die Großfürstenthümer Kiew u. Wladimir, so wie die Fürstenthümer Nowgorod u. Smolensk die Haupttheile Rußlands, in der Folge zerfiel aber jedes in besondere Theilgebiete, u. so kommen Fürsten von Murom, Derewien, Polock, Tmutorakan, Moskau, Tschernigow, Perejaslaw, Halicz, Terebol, Rjäsan, Twer, Minsk, Susdal, Plaskow, Turow, Gorin, Torschesk, Rostow, Jaroslaw, Volhynien, Wiäsma u.m.a. vor. Isäslaw I. Dimitrj ließ seine Brüder Swätoslaw u. Wsewolod Theil an der Regierung nehmen; sie schlugen 1059 die Galender u. die Torken. 1060 wurde Rußland von den Polowskern überfallen u. Wsewolod von ihnen geschlagen. Darauf entstanden innere Kriege; Rastislaw, Sohn des Prinzen Wladimir, vertrieb mit einer Schaar nowgorodscher Abenteurer 1064 den Fürsten Glieb aus Tmutorakan[518] u. machte sich die umliegenden Nomadenvölker zinsbar, bis er 1066 vergiftet wurde. Nun empörte sich Wseslaw, Fürst von Polock, u. verwüstete Nowgorod; die drei Fürsten besiegten ihn u. nahmen ihn gefangen, erlitten aber, als die Polowsker wieder einen Einfall machten, 1069 eine Niederlage an der Alta. Da zogen die Bürger von Kiew den gefangenen Wseslaw aus dem Kerker u. erhoben ihn zum Großfürsten von Kiew, Isäslaw aber floh zum Könige von Polen, mit dessen Beistand er den Usurpator vertrieb u. wieder in den Besitz von Kiew kam. Wseslaw kehrte erst 1071 wieder in sein Fürstenthum Polock zurück. Darauf machten Swätoslaw u. Wsewolod ein Bündniß gegen ihren Bruder Isäslaw, welcher vergebens erst bei dem Polenkönige, dann bei dem Kaiser Heinrich IV. u. beim Papst Gregor VII. Hülfe suchte; erst nachdem Swätoslaw 1076 gestorben war, führte König Boleslaw II. von Polen den Isäslaw nach Rußland zurück, setzte ihn, nach Wsewolods Vertreibung aus Kiew, wieder als Großfürsten ein. Als Wsewolod von Swätoslaw Söhnen Boris u. Oleg auch aus seinem Erbfürstenthum Tschernigow vertrieben wurde, suchte er bei Isäslaw Hülfe; dieser zog 1078 mit einem Heere zum Beistande seines Bruders aus u. besiegte seine Neffen bei Neskadina-Niva, blieb aber selbst in der Schlacht. Wsewolod I. wurde nun als der Stammesälteste, von seinem Sohne Wladimir unterstützt, Großfürst; doch behielten Isäslaws Söhne, Swätopolk u. Jaropolk, die Länder ihres Vaters. Unter Wsewolod zerrütteten innere Kriege das Reich. Roman, Fürst von Tmutorakan empörte sich, aber die Polowsker in seinem Solde schlossen mit Wsewolod Frieden, ermordeten Roman u. verbannten Oleg, welcher ihn unterstützte. Nach zwei Jahren aber kehrte Oleg zurück u. eroberte Tmutorakan. Der Fürst von Polock überfiel Smolensk u. verbrannte es; Wladimir verwüstete dagegen das Polockische u. eroberte Minsk, dann schlug er die Türken u. betrieb die eingefallenen Polocker. Die Kamischen Bulgaren eroberten 1088 Murom u. 1092 brachen die Polowsker wieder verheerend in Rußland ein. Nach Wsewolods Tode 1093 trat sein Sohn Wladimir das Großfürstenthum freiwillig seinem Vetter Swätopolk II., dem einen der Söhne Isäslaws, ab (der andere, Jaropolk, war vorher ermordet worden) u. begnügte sich mit seinem Fürstenthum Tschernigow. Er überzog die Polowsker mit Krieg, erlitt aber an der Stugna eine Niederlage u. mußte einen nachtheiligen Frieden schließen. Als er aber zwei Heerführer der Polowsker ermorden ließ, fielen diese aufs Neue in Rußland ein u. verheerten es mehre Jahre, bis sie 1096 an der Trubescha geschlagen wurden. Oleg hatte unterdessen 1094 den Fürsten Wladimir angegriffen u. ihm Tschernigow abgedrungen. Rußland war damals durch diese inneren Kriege so zerrüttet, daß Swätopolk II. 1097 zum Erstenmal einen Reichstag ausschrieb, wo Fürsten, Geistlichkeit u. Vertreter des Bürgerstandes erschienen, welchem 1100 schon der zweite folgte. Veranlassung zu einem neuen Streite gab Fürst David von Terebol, welcher den Großfürsten gegen den Fürsten Wasiliko aufhetzte; Wasiliko wurde verhaftet u. geblendet, David aber von den andern Fürsten vertrieben; er kam 1099 von Polen u. Magyaren begleitet zurück, wurde zwar geschlagen, später aber wieder eingesetzt. Nach vielen Kriegen mit den Mordwen u. Polowskern starb der Großfürst Swätopolk II. 1113.

Nach Swätopolks Tode wurde Wladimir II. Monomach von den Kiewern zum Großfürsten gewählt u. von dem byzantinischen Kaiser Alexius Komnenus anerkannt; er soll der erste gewesen sein, welcher sich krönen ließ. Noch bevor er die Regierung übernahm, brach in Kiew ein Aufruhr gegen die Juden aus, welche seitdem aus dem ganzen Reiche verbannt wurden (u. sind es aus der Stadt Kiew u. dem größten Theil von Altrußland immer geblieben). Seine vier Söhne führten glückliche Kriege, bes. Mstislaw u. Jaropolk mit den Tschuden, Jurje mit den chazarischen Bulgaren, Jaroslaw mit den Polowskern am Don. Mstislaw der Große, des Vorigen ältester Sohn, wurde 1125 sein Nachfolger. Wsewolod, Neffe des Großfürsten, Fürst von Nowgorod, vertrieb 1127 seinen Oheim Jaroslaw aus Tschernigow, doch erbten dessen beide Söhne 1129 Murom u. Rjäsan. Den Fürstenstamm zu Polock, welcher sich dem Großfürsten widersetzlich gezeigt hatte, vertrieb Mstislaw 1129, verbannte alle Glieder desselben nach Griechenland u. gab Polock nebst Minsk seinem Sohne Isäslaw; der Großfürst bekriegte 1131 Lithauen u. führte Gefangene hinweg, welche die Zahl der Leibeigenen vermehrten; die Polowsker, welche wiederholt Krieg angefangen hatten, trieb er jetzt an die Wolga zurück. Ihm folgte 1132 sein Bruder Jaropolk II.; dieser belehnte Wsewolod von Nowgorod mit Perejaslaw, diesen aber vertrieb sein Oheim Jurje, Fürst von Susdal (welcher 1147 Moskau gründete). Die Polowsker vertrieben darauf ihren Fürsten Swätopolk, den Sohn Isäslaws, u. riefen 1133 Wasiliko, einen Sprößling ihres alten Herrscherstammes, zum Fürsten aus. Darauf begann Wsewolod Krieg gegen die Susdaler, wurde aber 1134 in der Schlacht auf dem Berge Sahdnow von denselben geschlagen. Im südlichen Rußland standen Olegs Söhne, Fürsten in Tschernigow, 1136 gegen den Großfürsten auf, besiegten ihn in der Schlacht am Supoj u. eroberten Kursk u. einen Theil von Perejaslaw, wurden aber in dem wiederbegonnenen Kriege 1139 geschlagen. Die Nowgoroder vertrieben 1137 ihren Fürsten u. wählten Rostislaw, Jurjes Sohn, zum Fürsten. Da trennte sich Pskow von ihnen, u. Wsewolods Bruder u. Erbe, Swätoslaw, beherrschte es als besonderes Fürstenthum. Immer in Streit mit Polen, wurde Jaropolk von Boleslaw II. aufgehoben u. mußte seine Freiheit um großes Lösegeld erkaufen, begann aber den Krieg von Neuem u. schlug Boleslaw II. bei Halicz; er st. 1139. Sein Bruder u. Nachfolger, Wätscheslaw, Fürst von Perejaslaw, wurde schon nach acht Tagen gezwungen, die Herrschaft an Wsewolod II., Fürst von Tschernigow, abzutreten. Dieser stammte von Oleg, dem Sohne Swätoslaws II., u. machte daher nach dem bisherigen Herkommen Ansprüche auf die Großfürstenwürde u. setzte sie trotz dem Widerspruch der Familie Wladimir Monomachs durch. In Nowgorod herrschten noch immer Unruhen; dies hinderte die mächtige Freistadt aber nicht 1142 eine Flotte des Schwedenkönigs zu schlagen u. die Finnländer, welche in Karelien eingefallen waren, zu züchtigen. Gegen Wladimirko von Halicz führte Wsewolod 1144–46 siegreiche Kriege. Wsewolod II. st. 1146 u. ernannte seinen Bruder Igor zum Nachfolger, weil dieser aber seinen Günstlingen große Vortheile gewährte, empörte sich das Volk gegen ihn u. rief Isäslaw II., einen Sohn Mstislaws aus Wladimir[519] Monomachs Stamm, auf den Thron u. ermordete Igor kurz darauf.

Isäslaw war der erste, welcher den Titel Czar führte, dessen sich später seit Dimitri u. Iwan I. alle Herrscher Rußlands bedienten. Eine von Igors Freunden gegen Isäslaw gemachte Verschwörung wurde zwar unterdrückt, weil Kiews Bürger die Verschwörer bekämpften, darauf erhoben sich aber Isäslaws Oheime Jurje von Susdal u. Wälscheslaw gegen ihn, Erster siegte 1149 in der Schlacht bei Perejaslaw u. eroberte Kiew; mit Letzterem versöhnte sich Isäslaw, von seinem Schwager Geisa, König der Magyaren, in sein Land zurückgeführt, besiegte nun Jurje 1150 an der Rut u. übernahm wieder die Regierung, welche er jedoch mit Wätscheslaw theilte. Ein zweiter Gegner Isäslaws war Wladimirko, Fürst von Halicz, gegen den er immer zu kämpfen hatte. Als Isäslaw II. 1154 starb, übernahm sein Bruder Rostislaw I. Michael die Regierung in Kiew, mußte aber, von den Kiewern vertrieben, 1155 in sein Fürstenthum Smolensk zurückkehren, wogegen sich Isäslaw III., Fürst von Tschernigow, der Regierung bemächtigte; doch wurde er von Jurje von Susdal vertrieben, welcher in Kiew bis 1157 herrschte. Nach seinem Tode riefen die Kiewer Isäslaw III. zurück, aber unter ihm sank die großfürstliche Würde bis zum Schatten herab, indem die Fürsten von Perejaslaw, Nowgorod, Smolensk, Turow u. Gorin sich unabhängig machten u. nur Kiew u. ein Theil von Tschernigow ihm noch gehorchte; dieses machte ihm Jurjes Sohn, Andrei Bogolubski, streitig. Da dieser jenen aber nicht völlig überwältigen konnte, so herrschten zu der Zeit neben einander zwei Großfürsten, Isäslaw in Kiew u. Andrei in Wladimir; Letzter nahm den Titel Großfürst von Weißrußland an. Isäslaw lebte mit Andrei in Frieden u. erhielt von ihm Beistand gegen seine Feinde; als er 1159 in einer Schlacht gegen Jaroslaw, Fürst von Halicz, fiel, erhielt Rostislaw I. von Smolensk als Großfürst von Kiew die Herrschaft, welcher 1164 die Schweden besiegte u. 1167 starb. Nach seinem Testament war Isäslaws Sohn, Mstislaw, sein Nachfolger, welcher 1168 die Polowsker schlug. Als er darauf seinen Sohn Roman zum Fürsten von Nowgorod ernannte, bekriegte ihn Andrei, Großfürst von Weißrußland, u. eroberte 1169 Kiew. Von da ab hörte diese Stadt auf die Hauptstadt von Rußland zu sein u. die Großfürstenwürde war nun bei verschiedenen Staaten, so bei Wladimir, Rostow, Twer, Nowgorod u. endlich seit 1328 bei Moskau.

Andrei, nun alleiniger Großfürst, gebot über ganz Rußland, mit Ausnahme der Fürstenthümer Tschernigow, Halicz u. Nowgorod, welche noch unabhängig geblieben waren. Seinem Bruder Glieb gab er Kiew, u. Mstislaw starb als Flüchtling in Volhynien. Darauf gerieth Andrei mit den Nowgorodern in Krieg, u. obgleich ihn die Nowgoroder besiegten, boten sie ihm doch kurz darauf freiwillig den Frieden an u. erkannten seinen Bruder Rurik als ihren Regenten an. Glieb starb schon 1171, u. Andrei verlieh nun Kiew dem Fürsten Roman von Smolensk. Da die Nowgoroder mit Ruriks Herrschaft nicht zufrieden waren, so gab ihnen der Großfürst seinen Sohn Jurje zum Fürsten. Mit Rostislaws Söhnen gab es große Streitigkeiten, als der Großfürst dieselben des Mordes seines Bruders Glieb beschuldigte, dem Roman Kiew nahm u. dasselbe Michael von Tortschesk gab. Bes. gefährlich wurde Mstislaw der Tapfere, des Großfürsten Sohn; Jurje führte ihm ein großes Heer entgegen, vermochte aber nichts damit auszurichten. Andrei wurde 1170 durch Meuchelmord umgebracht u. Michael I., Sohn des Großfürsten Andrei von Tschernigow, als Großfürst von Wladimir anerkannt, welcher aber nur bis 1176 regierte. Ihm folgte sein Bruder Wsewolod III. der Große, dagegen wählten die Bojaren u. die Rostower seinen Neffen Mstislaw von Nowgorod, woraus ein Bürgerkrieg entstand, in welchem Moskau verbrannt wurde. Wsewolod bekriegte dann 1177 die Fürsten von Tschernigow, 1183 die Bulgaren u. die südrussischen Fürsten. Darnach erhoben sich in mehren Ländern die Unterthanen gegen ihre Fürsten u. vertrieben dieselben, auch bekriegten sich nicht allein die Fürsten der einzelnen Länder, sondern auch die Verwandten einzelner Fürstenfamilien unter einander; in Halicz mengten sich die Ungarn u. Polen in die Thronstreitigkeit nach dem Tode Jaroslaws (s. Galizien S. 860). 1196 kam Nowgorod wieder unter den Großfürsten Wsewolod, welcher es 1201 an seinen Sohn Swätoslaw abtrat. Nach Wsewolods Tode 1212 wurde das Großfürstenthum Susdal getheilt, Jurje, Wsewolods jüngster Sohn, erhielt Wladimir u. Susdal, Constantin, der ältere, Rostow u. Jaroslaw mit der Großfürstenwürde; diese Würde erhielt nach seinem Tode 1219 sein Bruder Jurje II. Unter ihm drangen aus Osten unter Dschingis-Khan u. seinen Söhnen Schaaren von Mongolen nach dem Westen vor, gelangten 1223 bis ans Kaspische Meer u. hatten die Polowsker überwältigt; viele Polowsker waren nach Rußland geflüchtet, u. ihr Fürst Kodian, Schwiegervater des Fürsten Mstislaw von Halicz, reizte die russischen Fürsten von Kiew, Tschernigow u. Volhynien zum Kriege gegen die Mongolen; diese ermordeten erst die Friedensgesandten der Mongolen, dann zogen sie mit den Polowskern unter Mstislaws Oberanführung gegen das herannahende Mongolenheer. Am 31. Mai 1223 kam es an der Kalka (Kaleza) unweit Mariupol zur Schlacht, welche Mstislaw allein begann u., von den Polowskern verlassen, besiegt u. dann mit seinem Heere niedergehauen wurde. Die Mongolen verfolgten aber ihren Vortheil nicht, sondern verließen Rußland u. gingen nach Osten zurück (s.u. Mongolen). Die russischen Fürsten, welche meinten, von der von den Mongolen drohenden Gefahr befreit zu sein, fuhren nun fort, ihre Kräfte durch Kriege gegen einander od. gegen ihre westlichen Nachbarn zu schwächen; 1225 fielen die Lithauer ins Land u. plünderten die Landschaften Nowgorod, Smolensk u. Polock aus; Jaroslaw, Fürst von Nowgorod, überzog 1227 Finnland mit Krieg, führte viele Einwohner gefangen fort u. ließ die Karelier taufen; Daniel von Volhynien verheerte den südlichen Theil des Reiches. Da erschienen die Mongolen unter Batu-Khan 1237 von Neuem, unterwarfen das Land an der Wolga u. überfielen das Fürstenthum Rjäsan u. verheerten es, schlugen bei Kolomna den Sohn des Großfürsten Jurje II., eroberten u. verbrannten Moskau u. 1238 Wladimir u. besiegten dann am 4. März an der Sita den Großfürsten Jurje II., welcher hier selbst blieb. Nun überschwemmten die Mongolenhorden verwüstend u. mordend ganz Rußland, u. nur die Priester u. deren Familien schonten sie aus Achtung vor allem Kirchlichen. Nachdem Batu Khan[520] so gehaust hatte, wandte er sich nach Koselsk, einem Städtchen bei Kaluga, eroberte dies u. bezog darauf ein Steppenlager am Don. Jurjes Nachfolger, sein Bruder Jaroslaw II., der Wiederhersteller, gebot nur über ein zu Grunde gerichtetes Land, er machte zwar gut, so viel er konnte, aber den Russen fehlte Muth u. Einigkeit, u. mit Mühe vermochte er die in Smolensk eingefallenen Lithauer zu verjagen. In Kiew war Wladimir von Isäslaw IV., Fürsten von Smolensk, 1236 vertrieben worden, welcher sich statt seiner nun Großfürst von Kiew nannte. Nachdem Batu-Khan Kiew 1240 erobert hatte, wagten es die Fürsten Rußlands nicht länger, sich den Mongolen zu widersetzen, sondern huldigten ihnen u. nahmen ihre Länder von ihnen zu Lehn. Das Fürstenthum Nowgorod war allein von den Mongolen durch Verträge mit denselben unabhängig geblieben; es herrschte darin Alexander Newski, ein Sohn Jaroslaws II., welcher große Eroberungen machte u. von mehren Siegen, welche er über die Schweden, Livländer u. Lithauer 1241 an der Newa erfocht, seinen Beinamen erhielt.

So stand das R. R. unter der Herrschaft der Mongolen, welche es zu dem Kaptschakischen Khanat (Goldne Horde) schlugen. Nach Jaroslaws II. Tode 1247, folgte ihm sein Bruder Swätoslaw III. in dem Großfürstenthum Wladimir: unter ihm belegten die Mongolen das nördliche Rußland, wie früher schon das südliche, mit festen jährlichen Abgaben. Swätoslaw wurde in Kurzem von seinen Bruderssöhnen abgesetzt u. nun wurde Alexei (Alexander) I. Newski mit dem Großfürstenthum Kiew Andrei aber mit Wladimir belehnt. Alexei, welcher mit großer Weisheit regierte, die Mongolen in Frieden zu erhalten wußte u. sogar den Zorn des Khans über die Ermordung mehrer Steuereinnehmer durch seine persönliche Reise zur Horde beschwichtigte, st. 1263 u. vorher schon Andrei. Ihm folgte Jaroslaw III., Fürst von Twer, Bruder Andreis, als Großfürst; er regierte bis 1272, nach ihm sein jüngerer Bruder Wasili I. (Basil) bis 1276. Unter diesem wurde 1274 zu Wladimir eine große Kirchenversammlung gehalten, u. kurz vor seinem Tode belegten die Mongolen Rußland mit einer erhöhten Schätzung. Sein Nachfolger Dimitri (Demetrius) I., Alexander Newskis Sohn, hatte schon früher Nowgorod besessen, war aber von seinen Unterthanen vertrieben u. Jaroslaw III. an seine Stelle Fürst daselbst geworden. Als dieser stark, erhielt Dimitri Nowgorod wieder u. nach Wasilis Tode auch Wladimir. Er führte mit seinem Bruder Andrei fortwährend Krieg; Letzter rief die Mongolen zu seinem Beistande; sie kamen u. verheerten beinahe ganz Rußland. Dimitri starb 1294. Sein Bruder Andrei, welcher ihm folgte, machte sich durch eine schlechte Regierung verhaßt. Unter ihm erweiterte Daniel (der jüngste Sohn Alexander Newskis), welcher sich Fürst von Moskau nannte, durch die Eroberung von Rjäsan sein Gebiet, begann 1300 den Bau des Kreml, befestigte Moskau u. gründete hier den nachmaligen Mittelpunkt der Macht Rußlands. 1300 legten die Schweden an den Grenzen von Nowgorod die Festung Landskrona an, welche Andrei aber wieder zerstörte. Nach Andrei's Tode, 1304, stritten die Fürsten Michael von Twer u. Jurje III. von Moskau um das Großfürstenthum, Michael wurde von Tokhtagu-Khan bestätigt. Er kriegte bis 1308 mit Jurje, konnte ihn aber nicht überwältigen. Unterdeß war Tokhtagu-Khan 1313 gestorben u. sein Nachfolger Usbek verlieh Jurje das Großfürstenthum, gab ihm auch ein Heer, um sich in den Besitz des Thrones zu setzen, aber Michael schlug die Mongolen u. Moskowiter 1318 bei Twer u. reiste darauf an das Hoflager des Khans, wo er 1320 ermordet wurde, Sein Sohn Dimitri (Demetrius) II. mußte den Frieden 1321 um eine große Geldsumme erkaufen u. Jurje III. wurde als Großfürst bestätigt. Inzwischen gingen 1319 Volhynien u. 1320 Kiew an die Lithauer verloren. 1323 erbaute Jurje an dem Ufer der Newa gegen die Schweden u. Livländer den Platz Orschek (das nachmalige Schlüsselburg). Um eine Geldstreitigkeit zu schlichten, waren 1323 Dimitri II. u. Jurje III. an den Hof des Großkhans gekommen; u. da hier Dimitri den Jurje ermordet hatte, ließ ihn der Großkhan hinrichten, nachdem er 1324 dessen Bruder Alexei (Alexander) II. zum Großfürsten von Rußland ernannt hatte, welcher seine Residenz in Twer nahm. Als hier 1328 eine mongolische Gesandtschaft ihrer begangenen Zügellosigkeit wegen von den Einwohnern ermordet worden war, setzte der Khan den Großfürsten Alexei ab u. ernannte Iwan I. Kalita (d.i. der Beutel), Fürsten von Moskau, zum Großfürsten, welcher, unterstützt von 50,000 Mongolen, Alexei vertrieb; das Großfürstenthum blieb nun immer bei Moskau. Iwan nachte sich durch Wohlthätigkeit u. Erbauung neuer Kirchen beliebt, vereinigte 1338, nachdem Alexei mit seinem Sohne Fedor auf Befehl des Khan Usbek hingerichtet worden war, das Fürstenthum Twer mit Moskau, verschönerte u. befestigte Moskau u. begann 1339 den Neubau des Kreml; er starb, Mönch geworden, 1341. Sein Sohn u. Nachfolger, Semen (Simeon) der Stolze, der erste, welcher sich Großfürst von ganz Rußland nannte, benahm sich gegen den Khan demüthig, gegen die Fürsten kraftvoll u. streng. Unter ihm wurde 1342 Narwa erobert u. 1347 der König Magnus von Schweden, welcher Rußland bekriegte, mit Verlust zurückgeschlagen. Die allmälig wieder entstehende Blüthe des Landes wurde durch den Schwarzen Tod unterbrochen, welcher sich schon 1346 am Don zeigte u. bis 1352 ganz Rußland durchzog; der Großfürst Semen selbst unterlag dieser Krankheit 1353. Unter seinem Bruder u. Nachfolger, Iwan II., dem Sanften, wurden die Moldau u. Walachei unabhängige Fürstenthümer. Iwan II. starb bereits 1360. Dimitri (Demetrius) III., Sohn Constantins, vorher Fürst von Susdal, von den Mongolen als Großfürst eingesetzt, zog sich 1362 freiwillig in sein Erbfürstenthum zurück, u. sein Schwiegersohn Dimitri (Demetrius) IV. Donski, ein Enkel Iwans II., wurde vom Khan zum Großfürsten ernannt. Die Pest wüthete bei Beginn seiner Regierung, innere Unruhen zerrütteten das Reich, die Lithauer u. die Deutschen Ordensritter von Livland machten verheerende Einfälle u. der Großfürst Olgerd von Lithauen überzog 1368 Rußland mit Krieg, schlug am 21. Nov. am See Trostenskoje das russische Heer, drang bis Moskau vor u. zog, nur durch Frost u. Mangel an Lebensmitteln genöthigt, wieder ab. 1371 schloß Dimitri einen Frieden mit den Deutschen Rittern. Als 1374 Gesandte der Mongolen in Nishnei-Nowgorod ermordet worden waren, erschien der Großkhan Mamai zur Rache in Rußland u. war Anfangs[521] 1377 glücklich, wurde jedoch beim zweiten Einfall am 11. Aug. 1378 an der Wascha im Rjäsanischen, beim dritten Einfall am 8. Sept. 1380 auf der Kulikower Ebene am Don (daher Dimitri's Beiname) geschlagen. Bei dem vierten Einfall 1381 unter Tokhtamisch wurde aber Moskau von den Mongolen erobert u. Dimitri erkaufte nur mit einem drückenden Tribut den Frieden. Unter ihm wurden die Permier zum Christenthum bekehrt u. zuerst Silbermünzen u. Feuergewehre in Rußland eingeführt; er st. 1389. Sein ältester Sohn u. Nachfolger Wasili II. führte 1392 einen Krieg gegen Schweden u. dann gegen die Mongolen. Darauf fiel Timur 1395 in Rjäsan etc. ein. Der Großfürst hatte bereits 400,000 M. beisammen, zog sich aber beim Annahen des Winters zurück. Der Khan Tokhtamisch, welcher sich gegen den Großkhan Timur empört hatte, suchte 1399 eine Zuflucht in Kiew u. Hülfe gegen seinen Herrn; Witold, Großfürst von Lithauen, leistete ihm Beistand, konnte jedoch nichts ausrichten. Jetzt entstand ein Krieg zwischen Wasili II. u. Witold; der Letztere hatte sich bereits eine große Landstrecke angemaßt (fast ganz Westrußland huldigte den Lithauern), nun vertrieb er 1402 auch den russischen Fürsten Jurje von Smolensk aus seinem Fürstenthum, u. Wasili versuchte vergebens Smolensk wiederzuerobern (es blieb 110 Jahre bei Lithauen). 1407 kriegte Wasili II. unglücklich mit dem Deutschen Orden in Livland u. in demselben Jahre fielen auch die Mongolen unter dem Khan Edigei in Rußland ein; die Belagerung von Moskau wurde zwar mit Gelde abgewendet, die Verheerung des platten Landes währte aber bis 1411. Wasili II. st. 1425. Sein Sohn Wasili III. der Blinde folgte ihm 10 Jahr alt; er stand mehre Jahre unter der Vormundschaft der Bojaren, während welcher Zeit die Lithauer u. Tataren Rußland verheerten. Kaum war er volljährig, als ihm sein Oheim Jurje Semeika, Fürst von Halicz, den Thron streitig machte. Zwar erhielt Wasili die Belehnung von dem Tatarenkhan, doch führte Jurje Krieg gegen ihn, besiegte ihn 1434 u. bemächtigte sich der Herrschaft, indeß wurde Wasili III. unter dem Beistande des Volks wieder eingesetzt, Während der Zeit war auch sein Lohnsherr der Khan Ulu-Mahmed vertrieben worden u. gründete 1437 in Kasan ein neues Reich, welches für Rußland höchst gefährlich wurde. Ulu-Mahmed überzog Rußland 1445 mit Krieg, schlug den Großfürsten u. nahm ihn gefangen, entließ ihn aber 1446 wieder. Kaum war aber Wasili nach Rußland zurückgekehrt, als sein Vetter Dimitri Semeika, Fürst von Halicz u. Jurjes Sohn, Moskau überfiel u. eroberte u. den Großfürsten entthronte; doch das Volk empörte sich gegen den Thronräuber u. setzte 1448 Wasili III. wieder ein. Dimitri floh nach Nowgorod, wo er 1450 starb, u. Wasili III. regierte darauf in Frieden. Zu seiner Zeit wurden die Kosacken zuerst bekannt, auch kamen unter ihm viele griechische Gelehrte u. Künstler nach Rußland, welche bei der Einnahme von Constantinopel aus ihrem Vaterlande geflohen waren. Unter ihm reiste auch der Metropolit Isidor 1439 nach Florenz zum Concil, auf welchem die Vereinigung zwischen der Griechischen u. Lateinischen Kirche geschlossen wurde, welche jedoch den Beifall des Großfürsten u. der russischen Clerisei nicht hatte u. bald wieder aufgehoben wurde (s. Union). Wasili st. 1462. Sein Sohn Iwan I. (III.) Wasiljewitsch der Große stellte alsbald die Ordnung im Innern durch Verträge mit den Vasallenfürsten her u. verweigerte den Mongolen Huldigung u. Tribut. Als ihn Achmet Khan deshalb bekriegen wollte, wurde er von dem Khan der Krim angegriffen, Iwan aber konnte seine Kriegsrüstungen vollenden u. zog nun 1469 gegen den Khan von Kasan, welchen er sich zinsbar machte, bekriegte 1470 den Freistaat Nowgorod, welcher ihm die Huldigung verweigerte, u. überwältigte 1471 die Stadt u. das ihr bis dahin unterworfene Permien. Khan Achmet wagte nun den Kampf gegen die Russen nicht. 1473 verheirathete sich Iwan in zweiter Ehe mit der klugen Sophia, der Tochter des byzantinischen Kaisers Emanuel, durch welche er Anwartschaft auf den Byzantinischen Kaiserthron bekam, u. nahm den Titel Beherrscher von ganz Rußland u. als Reichswappen einen zweiköpfigen Adler an. Mit dem Landmeister in Livland schloß er Frieden; in Nowgorod nährte er die Uneinigkeit der Bürger unter einander, belagerte dann 1478 die Stadt nochmals u. zwang sie zur Unterwerfung, worauf sie zur Provinzialstadt herabsank; dann eroberte er Pskow. Nachdem seine Macht so befestigt war, erklärte Iwan den Gesandten des Großkhans der Tataren, daß er den bisher bezahlten Tribut ferner nicht entrichten, auch keine Lehnsherrschaft über sich anerkennen werde. Deshalb fiel 1481 der Khan Achmet mit einem Heere in Rußland ein; Iwan stand ihm zwei Wochen lang gegenüber, in der dritten begann er den Rückzug, um die Tataren auf ein günstigeres Terrain zu locken, diese merkten aber die List u. zogen sich auch in ihre Heimath zurück, wurden jedoch auf ihrem Rückzuge von sibirischen Fürsten überfallen u. aufgerieben. So war Rußland, ohne Blutvergießen seinerseits, von der Mongolenherrschaft befreit.

Im Jahr 1483 schloß Iwan, nachdem er mehre siegreiche Kriege gegen die Lithauer, Finnen u. Tataren geführt hatte, ein Bündniß mit König Mathias von Ungarn u. eroberte 1485 Twer, welches er mit Rußland vereinigte, u. Kasan, wo er einen Lehnsfürsten einsetzte. 1487 wurden auch die Wodjäken unterworfen u. 1491 die reichen Bergwerke in der Statthalterschaft Archangel von Deutschen entdeckt, u. von nun an goldene, silberne u. kupferne russische Münzen geprägt. Nachdem 1492 König Kasimir von Polen gestorben u. dessen jüngerer Sohn, Johann I. Albrecht, Großherzog von Lithauen geworden war, griff Iwan Lithauen an, eroberte die Städte u. Landschaften wieder, welche einst zu Rußland gehört hatten, u. erzwang 1494 die völlige Abtretung derselben in einem Friedensschluß. 1495 schloß er mit Sultan Bajazed II. einen Handelsvertrag u. unterwarf 1499 Sibirien. Darauf begann er mit dem Großfürsten Alexander von Lithauen 1500 wegen des Gebietes von Smolensk einen Krieg, eroberte mehre Städte u. schlug die Lithauer bei Mstislawl. Da die Deutschen Ritter in Livland den Lithauern Beistand geleistet hatten, so brach er 1501 in Livland ein, doch wurde er vom Landmeister Walther von Plettenberg an der Siriza u. 1502 nochmals bei Pskow geschlagen, so daß er einen Waffenstillstand auf 50 Jahre schloß. Noch that sein ältester Sohn Dimitri 1503 einen erfolglosen Kriegszug gegen Polen, um Smolensk zu erobern. Iwan verbesserte die Gesetze, ordnete die Abgaben u. hielt streng auf Recht; zwar war er[522] jähzornig u. strafte dann grausam, doch hemmte er die inneren Kriege u. Zerrüttungen u. legte den Grund zur Größe des Reiches. Er zog Künstler u. Handwerker aus Italien nach Rußland u. eröffnete den europäischen Sitten den Eingang bei seinem, bes. unter der Mongolenherrschaft verwilderten Volke. Unter ihm kamen zuerst Gesandte des Papstes, des Sultans von Constantinopel, der Republik Venedig u. des Königs von Dänemark nach Moskau, u. Iwan schloß Verträge mit allen diesen Mächten. Von seinen Verwandten wurden mehre Verschwörungen gegen ihn gemacht, so von seinen jüngsten Brüdern Andrei u. Boris, welche im Gefängniß starben, u. von seiner Tochter Helena, aus erster Ehe mit Marie, für Dimitri, ihren Sohn vom Polenkönig Alexander, welcher ebenfalls im Kerker starb. Iwan selbst st. 7. Oct. 1505. Wasili IV. (II.), zweiter Sohn des Vor. u. der Sophia, weniger hart, aber staatsklug u. streitbar wie sein Vater, befolgte in Allem dessen Grundsätze. Der Khan von Kasan, Mahmed Amin, hatte russische Kaufleute ermorden lassen u. die Genugthuung dafür verweigert, Wasili überzog ihn 1506 mit Krieg; aber sein Heer, welches sein Bruder Dimitri anführte, wurde geschlagen. Bei einem zweiten Feldzuge 1508 wurde das tatarische Lager erstürmt u. geplündert, wobei 7000 Russen umkamen; darauf bat der Khan um Frieden. 1509 wurde Pskow, welches bisher wie Nowgorod einen Freistaat gebildet hatte, mit Rußland vereinigt; 300 der reichsten Familien mußten nach Moskau ziehen. Mit Lithauen gerieth Wasili IV. 1512 in Krieg u. entriß Smolensk 1513 den Lithauern, verlor aber 1514 die Schlacht an der Orscha gegen dieselben. Der Krieg wurde dann von den Lithauern unter dem Beistande des Hochmeisters Albrecht von Preußen fortgesetzt, u. erst 1522 kam ein Waffenstillstand auf 5 Jahre zu Stande, in welchem der Dniepr als Grenze angenommen ward, Smolensk aber bei Rußland blieb. Während dieser Zeit drangen Kasansche u. Krimsche Tataren in Rußland ein, eroberten Moskau u. erzwangen Tribut, aber 1524 u. 1530 zog Wasili mit 150,000 M. vor Kasan u. zwang die Kasaner um Frieden zu bitten u. den Russen lehnbar zu werden. Auch Rjäsan wurde 1517 u. Severien 1523 Rußland einverleibt, u. damit hörten die letzten Lehnfürstenthümer auf. Wasili IV. st. 1533. Sein Sohn u. Nachfolger Iwan II. (IV.) der Schreckliche, war erst 3 Jahr alt; seine Mutter Helena Glinska, eine Lithauerin, u. sein Oheim Michael Glinski führten die Vormundschaft. Helena ließ aber ihren Bruder Michael, welcher ihr wegen ihres ausschweifenden Lebens mit dem Kneesen Iwan Tjelepnew-Obolenski Vorwürfe machte, blenden u. in ein Kloster sperren; ebenso wurde ihr anderer Bruder Andrei Glinski, welcher sich gegen Helena 1535 empörte, verhaftet u. st. 1537 im Kerker. Damals entzog sich Kasan der russischen Oberherrschaft wieder u. auch Polen begann einen neuen Krieg, welchen aber bald ein Friede endete. Nachdem auch Helena 1537 gestorben u. sogleich darauf Obolonskj vom Volk ermordet worden war, übernahm erst Wasili Schuiskoi u. nach seinem baldigen Tode sein Bruder Iwan die Regentschaft, welche er jedoch seinen Verwandten Iwan u. Andrei Schuiskoi u. Fedor Scopin-Schuiskoi überlassen mußte. Gegen sie erhoben sich Feinde, u. sie starben auf dem Schaffot. Als darauf das Reich in Parteiungen zerfiel, verbanden sich die Kasanschen u. Krimschen Tataren mit Polen u. thaten von drei Seiten Einfälle in Rußland; aber jetzt vergaßen die Russen ihren Hader, verbündeten sich 1541 gegen die auswärtigen Feinde u. trieben dieselben zurück. Zwar begannen darauf die inneren Streitigkeiten aufs Neue, aber 1545 ergriff der 14jährige Großfürst unter dem geheimen Einfluß der Glinski die Zügel der Regierung selbst, ließ mehre Häupter der Parteien hinrichten u. herrschte von nun an selbständig mit furchtbarer Strenge; er errichtete sofort eine stehende Leibwache, die Strelitzen (s.d.), eroberte nach einigen Feldzügen 1552 Kasan, wo er fast alle Einwohner niederhauen ließ u. den Khan Muhammed Indiger nach Moskau gefangen führte, u. 1554 das Königreich Astrachan. Vorher hatte er 1553 mit der Königin Elisabeth von England, deren Schiffe den Seeweg nach Archangel gefunden hatten, einen Vertrag abgeschlossen, wodurch er den russischen Handelsbetrieb nach außen begründete, u. nach seiner Rückkehr von dem südlichen Feldzuge ließ er 1555 ein Civilgesetzbuch (Sudobnik) zusammentragen. Nicht so glücklich, wie im Süden, waren seine Kriege in Westen gegen Esthland u. Livland; Esthland ergab sich an Schweden, u. in Livland verbanden sich die Deutschen Ritter unter Gotthard Ketteler mit den Schweden, Polen u. Dänen, u. Iwan mußte 1561 einen Waffenstillstand schließen. Als 1562 seine Gemahlin Anastasia, welche durch ihre Sanftmuth u. Klugheit einen wohlthätigen Einfluß auf ihn geübt hatte, gestorben war, legte Iwan 1563 die Regierung nieder u. zog sich, indem er dem vormaligen Khan von Kasan Indiger, jetzt Simeon, die Regierung übergab, auf einige Zeit zurück. Zu seinem Unterhalt bestimmte er Gebiete, Opritschine (Vorbehalt) genannt, u. umgab sich mit einer Leibwache junger Adeliger, den Opritschinkis. Als aber die Türken u. Tataren von Astrachan ins Reich einfielen, trat er wieder aus seiner Verborgenheit hervor, zog gegen die Feinde u. trieb sie zurück, eroberte 1564 Polock, unternahm einen Zug gegen Livland, schloß mit Polen 1567 einen Waffenstillstand auf 3 Jahre, mit König Erich von Schweden, welchem er Esthland überließ, ein Bündniß, mit dem Schah von Persien 1569 einen Bund gegen die Türken u. sicherte sich durch geheimen Vertrag mit der Königin Elisabeth für den Fall der Noth einen Zufluchtsort in England. In Nowgorod, welches er wegen der Freiheitsliebe der Einwohner haßte, ließ er 1570 mehr als 60,000 Menschen umbringen u. dann die Stadt völlig ausplündern, wodurch der Glanz Nowgorods für immer erlosch; in Twer u. Moskau fanden ähnliche Mordscenen Statt, 1571 thut der Khan von Astrachan einen Einfall u. eroberte Moskau bis auf den Kreml, verbrannte die Stadt u. führte 100,000 Gefangene mit sich fort. Einen zweiten Einfall machte der Khan 1572, wurde aber bei Molody vom Fürsten Worotyuski geschlagen, so daß kaum 1/4 seines Heeres entkam. 1578 entdeckte der Kosackenhetman Jermak Timosega Sibirien (s.d.), welches Land bis 1587 für Rußland erobert wurde. 1582 mußte Iwan seine Ansprüche auf Livland an Polen abtreten u. st. 1584. Unter ihm wurden fremde, bes. deutsche Handwerker, Künstler u. Gelehrte nach Rußland gezogen, 1564 die erste russische Druckerei in Moskau errichtet u. 1545 die erste lutherische Kirche daselbst gebaut. Ihm folgte sein Sohn Fedor I., an Geist u. Leibe schwach, weshalb ihm sein Vater die vier Bojaren Schuiskoi, Mstawskoi, Jurgiew[523] u. Belskoi zur Regierung beigeordnet hatte, welche an der Spitze eines Rathes von 31 Mitgliedern standen. Da aber unter diesen Uneinigkeit entstand, so benutzte dies der Schwager des Czars, Boris Godunow, entfernte die Häupter des Regierungsrathes u. bemächtigte sich selbst der Staatsgewalt, welche er seit 1588 im Namen Fedors mit Einsicht u. Kraft ausübte, doch strebte er unablässig sein Haus statt des bisherigen auf den Thron zu beben. Den Prinzen Dimitri, den Sohndes ältesten Bruders des Großfürsten Fedor Iwan, ließ er 1591 ermorden, auch die kaum geborne Tochter Fedors u. die übrigen Glieder der großfürstlichen Familie starben auf verdächtige Weise, u. wer irgend ihm gefährlich schien, wurde aus dem Wege geräumt. Dabei wurden neue Colonien nach Sibirien gesendet, Tobolsk 1587 u. andere Städte gegründet, mit England ein neuer Handelsvertrag geschlossen, 1589 ein besonderes Patriarchat für Rußland gestiftet, 1595 Friede mit Schweden (durch welchen Ingermanland an Rußland u. Esthland an Schweden kam) u. mit den Tataren geschlossen. Fedor I. st. 1598, u. mit ihm erlosch Ruriks Dynastie im Mannsstamm.

Boris Godunow bestieg nun den Thron, durch die Bojaren nach langer Berathschlagung berufen. Gleich nach seinem Regierungsantritt schloß er einen Bund mit Schweden gegen Polen; erbaute Beresow, umgab Smolensk mit steinernen Mauern, um die Grenzen zu sichern, u. schloß 1600 mit Polen einen Waffenstillstand auf 20 Jahre; im Inneren hielt er auf eine unparteiische Rechtspflege, unterstützte die Künste, munterte die Gewerbe auf, zog viele Ausländer ins Land u. strebte nach der Verbreitung nützlicher Kenntnisse. Als aber Ende 1601 eine heftige Hungersnoth wüthete, wobei allein in Moskau 127,000 Menschen ums Leben kamen, so benutzten dies mehre Betrüger (Pseudo-Dimitris), um den Versuch zu machen, sich des Thrones zu bemächtigen. Zuerst gab sich Jachko Otrepiew (s. Demetrius 17), ein entlaufener Mönch, für den Prinzen Dimitri aus. Er hatte sich in Polen aufgehalten u. wurde dort vom Fürsten Adam Wichnewetsky, welcher ihm Marina, die Tochter des Palatins von Sendomir Mischek, vermählte, u. ohne von dem König Sigismund gehindert zu werden, zur Rückkehr nach Rußland unterstützt. Als dieser falsche Dimitri 1604 in Rußland erschien, fand er vielen Anhang, so daß er einen Sieg bei Nowgorod gegen Boris' Truppen erfocht. Zwar verließen ihn die Polen, u. die Feldherren des Czars erfochten 1605 einen Sieg bei Sewsk über ihn, allein der Aufruhr zeigte sich schon in Moskau, Unzählige fielen dem neuen Herrscher zu, u. da kurz darauf Boris 1605 starb, so traten Viele zu der Partei des Dimitri über. Fedor II., Boris' Sohn, ein 15jähriger Jüngling, empfing zwar noch die Huldigung als Czar, doch bald gingen seine Feldherren zum falschen Dimitri über, welcher auch von den Einwohnern Moskaus anerkannt wurde, Fedor nebst seiner Mutter, der Großfürstin Maria, gefangen nahm u. erdrosseln ließ u. in Moskau seinen Einzug hielt. Aber durch Grausamkeit gegen Alle, welche an der Wahrheit seiner Abstammung zweifelten, durch Begünstigung der Polen, deren Unterstützung er bes. seine Erhebung dankte, u. durch Verletzung der volksthümlichen Sitten der Russen hatte er sowohl die Großen, als das Volk gegen sich aufgebracht u. wurde durch eine vom Fürsten Wasili Schuiskoi gestiftete Verschwörung am 17. Mai 1606 ermordet. Mit Mühe entkam seine Gemahlin Marina, ihren Vater schützte Schuiskoi selbst. Dieübrigen in Moskau befindlichen Polen wurden umgebracht, dann aber der Aufstand von den Bojaren schnell gestillt u. Schuiskoi auf den Thron gehoben, welcher nun als Czar den Namen Wasili V. (III.) führte, aber nicht Kraft genug besaß sein Ansehen zu behaupten u. die Parteiungen niederzuhalten. Sein Versuch mit Polen Frieden zu schließen mißlang. Bald stand ein neuer Betrüger, Iwan Bolotnikow, angeblich früher Schulmeister in Westpreußen, als Prinz Dimitri gegen ihn auf u. fand großen Anhang. Doch in Polen kam nun ein dritter falscher Dimitri zum Vorschein, eigentlich ein russischer Geistlicher, Iwan, welcher vom Palatin von Sendomir unterstützt u. von Marina als Gemahl, welcher 1606 nicht ermordet worden wäre, anerkannt wurde, ein Heer zusammen brachte u. 1609 auf Moskau losging. Czar Wasili bat den König von Schweden um Beistand, aber die gesendeten 5000 M. gingen, da sie keinen Sold u. Unterhalt erhielten, zu den Polen über u. halfen denselben Moskau belagern. Von Hunger bedrängt, empörten sich die Bürger u. lieferten den Czar Wasili 1610 an die Polen aus, welche ihn in ein Kloster steckten. Nichtsdestoweniger setzten sie u. der falsche Dimitri die Belagerung Moskaus fort. Nun war Rußland völlig der Zerrüttung Preis gegeben. Der dritte falsche Dimitri wurde zwar von einem Tataren auf der Jagd bei Kaluga 1610 umgebracht, doch seine Anhänger vereinigten sich unter dem Kosacken Zaruczki u. beschlossen die schwangere Gemahlin des Gemordeten auf den Thron zu heben. Nun wählten die Bojaren den Prinzen Wladislaw, Sohn des Königs Sigismund III. von Polen, zu ihrem Oberherren, zugleich aber stand ein vierter falscher Dimitri, ein gewisser Sidor, auf, welcher indessen bald unterdrückt u. gehängt wurde. Gegen die Wahl Wladislaws äußerte sich indeß bald ein großes Mißvergnügen, da die Polen Rußland wie eine eroberte Provinz behandelten u. die eingegangenen Bedingungen nicht erfüllen wollten. Anfangs 1611 erhob sich in Nishnel-Nowgorod der Fleischer Kosma-Minin u. sammelte ein Heer, über welches der Fürst Dimitri Posharski den Befehl übernahm; auch in Perejaslaw brachte Procop Lippenow ein Heer zusammen, u. beide Heere rückten gegen Moskau vor. Die polnische Besatzung dieser Stadt, welche sich unterdessen den Polen ergeben hatte, wurde von den Einwohnern angegriffen u. 6000 M. davon getödtet; doch erhielt sie unerwartet Verstärkung. Moskau wurde nun von den Polen an fünf Orten angesteckt u. die Einw. niedergemacht, wobei fast 100,000 Menschen ums Leben kamen. Dadurch wurden aber die Russen nicht abgeschreckt für die Unabhängigkeit ihres Vaterlandes zu kämpfen; der Aufstand wurde allgemein, die Polen geschlagen u. 1612 völlig aus Rußland vertrieben, welches nun zwar frei, aber fast eine Wüste war. Lange waren die Meinungen über die Wahl eines neuen Czars schwankend; endlich vereinigten sich alle Stimmen 21. Februar 1613 für Michail Fedorowitsch Romanow, aus Ruriks Stamm, einen Sohn des Bojaren Fedor Nikititsch Romanow, des nachmaligen Metropoliten Filaret von Rostow (s.u. Romanow), von welchem es hieß, daß ihn der letzte Rurik, Iwan I., sterbend zum Czar empfohlen hätte. So kam das Haus Romanow auf den Russischen Thron.

[524] Michail Romanow, welcher in seinem 16. Jahre den Thron bestieg u. von seinem, zum Patriarchen von Moskau erhobenen Vater Filaret in der Regierung unterstützt wurde, fand Rußland im Innern zerrüttet u. von auswärtigen Feinden bedroht. Noch verheerte der Kosack Zaruczki, welcher die Marina, die Wittwe der beiden falschen Dimitri, geheirathet hatte, mehre Jahre das Land, ehe er gefangen u. hingerichtet wurde. Die Schweden hatten unterdessen den Krieg fortgesetzt u. Nowgorod erobert, u. als der Czar den 27. Febr. 1617 den Frieden zu Stolbowa mit ihnen schloß, mußte er ganz Ingermanland, Karelien, Kexholm u. alles Land bis zum Lawafluß an Schweden abtreten u. 200,000 Rubel zahlen, wogegen er Nowgorod u. die übrigen Eroberungen zurückerhielt. Auch mit den Polen, welche inzwischen den Krieg gegen Rußland fortgesetzt u. Moskau erobert hatten, machte Michail 11. Decbr. 1618 den Frieden zu Dewilina, wornach er Smolensk, Severien u. Tschernigow abtrat, die übrigen von Polen besetzten Länder aber zurückerhielt. Der Czar stellte nun den Wohlstand des Landes her u. strebte den Handel zu befördern, weshalb er 1618 u. 1622 Gesandtschaften nach Persien u. China abgehen ließ, um dort Handelsverbindungen anzuknüpfen. 1632 zog er wieder mit 100,000 M. gegen Polen zu Felde, indeß da Schweden gegen seine Hoffnung den Krieg gegen Polen nicht fortführte, auch in dem russischen Heere eine üble Stimmung herrschte, so schloß er 1634 den Frieden zu Wiasma, in welchem er die früheren Abtretungen bestätigte, auch allen Rechten auf Liv-, Esth- u. Kurland, Polen dagegen seinen Ansprüchen auf den russischen Thron entsagte. Zugleich kam ein Vertrag mit dem Großsultan zu Stande, wodurch derselbe den Khan der Krim von den Einfällen in Rußland abzuhalten versprach. Michail starb 12. Juli 1645. Sein Sohn Alexei (Alexander) I. (III.) war erst 16 Jahr alt, als er den Thron bestieg, u. wurde von seinem Erzieher, Boris Morozow, mit Maria Miloslawska, seiner Schwägerin, vermählt; Morozow gewann durch diese nahe Verwandtschaft mit dem Czar großen Einfluß, welchen er mit dem Vater der Czarin u. einigen andern Günstlingen theilte, aber in Folge eines, 1648 gegen dieselben in Moskau gemachten Aufstandes wieder verlor. Darauf standen wieder zwei Betrüger auf, deren einer sich für den Sohn des falschen Dimitri, der andere für einen Sohn des Czaren Wasili III. Schniskoi ausgab. Des Erstern nahm sich König Wladislaw von Polen an, doch dessen Nachfolger Kasimir verließ ihn, u. Dimitri floh nach Schweden u. dann zum Herzog Karl von Holstein, welcher ihn aber an den Czar auslieferte, worauf er nach Moskau gebracht u. dort 1654 hingerichtet wurde; der andere falsche Czar aber verschwand spurlos. Hierauf begann Alexei 1654 einen Krieg zur Wiedergewinnung der an Polen abgetretenen Provinzen u. eroberte Kiew, Tschernigow, Severien u. Smolensk, welche Polen in dem Frieden abtreten mußte u. von welchen seitdem Rnßlands Herrscher den Titel Czaren von Weiß- u. Kleinrußland führen. Mit Schweden kam Rußland 1656 wegen der Eroberungen in Polen auch in Krieg; die russischen Heere verwüsteten Livland, Karelien u. Ingermanland u. eroberten Dorpat u. Narwa, belagerten aber mit den Polen vergebens Riga. Der Czar schloß 1658 einen dreijährigen Stillstand zu Wallisaar u. darauf 1661 den Frieden zu Kardis, durch welchen der Friede zu Stolbowa bestätigt wurde. Mit Polen brach 1659 der Krieg aufs Neue aus, hauptsächlich wegen der Kosacken diesseit des Dniepr, welche sich Polen wieder unterworfen hatten; die Polen, unterstützt von den Krimschen Tataren, schadeten durch Streifzüge Rußland beträchtlich, 1667 wurde der Krieg durch den Waffenstillstand von Andrussow geendigt; Rußland behielt Smolensk, Severien, Tschernigow u. einen Theil der Ukraine jenseit des Dniepr, die Polen dagegen Plock, Witebsk u. Kiew. 1661 brach in Moskau wegen der Kupfermünze, welche durch Falschmünzer vervielfältigt worden war, ein Aufstand ans, wobei über 4000 Menschen blieben u. worauf an 500 gehängt wurden. Einen neuen Aufruhr erregte 1669 Stenko Razin, der Hetman der Donischen Kosacken, er verheerte die Gegend an der Wolga, zwang die Bevölkerung sich mit ihm zu vereinigen, bemächtigte sich der Stadt Jaik u. eroberte Terki in Georgien. Zwar unterwarf er sich dem Statthalter Prosorowski von Astrachan, welcher ihm ein Heer entgegenstellte, u. kehrte nach seiner Heimath zurück, sammelte aber schnell ein neues Heer, überfiel eine Flotte auf der Wolga, verleitete die 6000 dieselbe begleitenden Strelitzen sich mit ihm zu vereinigen, nahm den Titel eines Czars an u. unterwarf mehre Plätze, endlich sogar Astrachan. Erst das unter Fürst Georg Dolgoruky entsendete Heer zerstreute die Aufrührer u. ein zweites Heer unter dem Fürsten Schermalow dämpfte den Aufruhr völlig. Razin wurde später ergriffen u. 1671 hingerichtet. Mit den Polen verbunden begann Alexei I. 1672 einen Krieg gegen die Türken, um Asow zu erobern, erlebte aber das Ende desselben nicht. Auf die Unterwerfung der noch freien Völker, auf die Anlegung von Pflanzorten, Manufacturen, Eisen- u. Kupferbergwerken u. auf den Kunstfleiß seiner Unterthanen verwandte Alexei I. große Sorgfalt, u. kenntnißreiche Ausländer, bes. holländische Schiffsbaumeister (unter denen David Butler das erste russische Kriegsschiff baute), fanden gute Aufnahme bei ihm; er gab ein Gesetzbuch (Uloschenie), u. unter ihm entdeckte der Kosack Deschnew 1648 die Behringsstraße. Alexei st. 1676 u. hinterließ von seiner ersten Gemahlin Maria zwei Söhne, Fedor u. Iwan, von seiner zweiten, Natalie Narischkin, aber Peter, nachmals der Große genannt. Fedor III., der älteste Sohn des Vor., mild, wohlwollend u. einsichtsvoll, doch kränklich, setzte den Krieg mit den Türken fort, welche 1677 geschlagen wurden u. die Ukraine an Rußland verloren, doch nun schlossen die Polen Friede mit den Türken u. forderten von Rußland einen Theil der früher verlorenen Länder zurück. Der friedliebende Czar trat ihnen eine Strecke an der lithauischen Grenze ab u. zahlte eine Geldsumme. 1678 eroberten die Türken die Ukraine zwar wieder, aber Mangel an Lebensmitteln nöthigte sie dieselbe wieder aufzugeben, u. 1680 kam der Radzinsche Friede auf 20 Jahre zu Stande; die Zaporogischen Kosacken, der Hauptgegenstand des Streites, blieben unter russischem Schutz u. ein Landstrich zwischen den an Rußland abgetretenen Städten Tripol, Staiki u. Wasikow u. den Zaporogischen Inseln blieb von beiden Theilen unbesetzt. Fedor III. suchte sein Volk zu civilisiren, verschönerte die Städte durch Bauwerke, verbesserte den Landbau durch die Einführung preußischer Pferde, ließ 1682 die Geschlechtsregister des Adels verbrennen (wodurch er zugleich die erblichen Ansprüche der Adeligen auf[525] die höheren Stellen abschaffte) u. gab so tüchtigen Männern die Gelegenheit zu Staatsämtern zu gelangen; er hielt auf gute Rechtspflege, beschützte Künste u. Wissenschaften, verbesserte den Kirchengesang, stiftete Erziehungsanstalten etc. Er st. 1682. Da er keine Kinder hatte, so war sein jüngerer Bruder Iwan sein rechtmäßiger Erbe, doch dieser war körperlich u. geistig schwach, u. so wurde nach Fedors III. Verordnung u. durch den Beschluß der Großen des Reichs sein Stiefbruder Peter, der Sohn des Czaren Alexei aus seiner zweiten Ehe mit Natalie Narischkin, damals erst 10 Jahr alt, zum Czar ernannt. Dem widersprachen aber die von der ehrgeizigen Großfürstin Sophia, der rechten Schwester Iwans, u. von deren Vertrauten, dem Minister Fürsten Galyzin, aufgeregten Strelitzen; sie erregten einen Aufruhr, bei welchem sich Peter mit seiner Mutter in das Dreieinigkeitskloster zu Moskau flüchtete u. sein Oheim Athanasius Narischkin nebst vielen Andern ermordet wurde, u. es kam endlich dahin, daß Iwan u. Peter gemeinschaftlich als Czaren gekrönt wurden, Sophia aber die Leitung der Regierung erhielt, welche ganz willkürlich regierte u. es namentlich auf die Ausrottung des Hauses Narischkin abgesehen hatte. Den neuen Hof hielten die Strelitzen durch Spione in demüthigender Abhängigkeit. Darauf entstand 1684 in Moskau ein heftiger Religionsstreit zwischen der Secte der Abakunasten u. den Altgläubigen, an welchen sich die Verschwörung der Strelitzen unter Chawanski reihete, bei deren Ausbruch die Regentin nur durch Schlauheit u. festes Benehmen gerettet wurde; Chawanski u. die Schuldigsten wurden hingerichtet. 1686 schloß Sophia den Frieden mit Polen, Letzteres trat Smolensk u. die Ukraine an Rußland ab, Rußland dagegen verhieß Polen Beistand gegen die Krimschen Tataren. Fürst Galyzin rückte 1688 gegen sie ins Feld, richtete aber nichts aus; ein zweiter Feldzug, welchem der Czar Peter selbst beiwohnte, war nicht glücklicher. Peter hatte bisher in anscheinender Unbedeutendheit u. in kindischen Spielen befangen seine Zeit hingebracht, aber von seiner klugen Umgebung, bes. von Lefort, aufmerksam gemacht, das Gefährliche seiner Lage, das Schmachvolle der Abhängigkeit von seiner Schwester u. von den Strelitzen, die zu große Macht der Geistlichen u. der Bojaren, das weite Zurückbleiben des Volks im Verhältniß der fortschreitenden europäischen Cultur u. mehre andere Mißstände begriffen u. beschloß dies Alles zu ändern. In der Stille warb er 50 seiner Gespielen an u. bildete eine Compagnie aus ihnen (Poliechne genannt), welche er durch Lefort nach europäischer Weise einüben ließ u. welche einst den Kern der russischen Garden bilden sollte. Sophia dagegen, welche ihn Anfangs verachtete u. vielfach zurücksetzte, dann aber völlig haßte, dachte darauf, den kränklichen Iwan zu verheirathen, um so für dessen einstigen Sohn die Regentschaft fortsetzen zu können. Aber bald darauf heirathete auch Peter die Eudoxia Lapuchin, welche ihm einen Sohn gebar. Noch unangenehmer ward Sophiens Stolz berührt, als Peter seit 1687 im Staatsrathe Sitz u. Stimme nahm u. selbständiger in die Regierung eingriff. Sie stiftete daher 1689 eine Verschwörung der Strelitzen unter Schaklowitoi gegen ihn, durch welche er zur Entsagung auf den Thron gezwungen werden sollte; aber Peter, auf die Gefahr aufmerksam gemacht, entfloh nach dem Dreieinigkeitskloster, beorderte ein ihm ergebenes Strelitzenregiment dahin u. untersuchte von hier aus das Geschehene. Sophia wurde in ein Kloster gebracht (wo sie, nach vergeblichen Versuchen ihr Ansehen herzustellen, 1704 starb); mit ihr wurde auch ihr Günstling Galyzin gestürzt u. nach einer Insel im Weißen Meere verbannt, die übrigen Verschworenen aber zu Tode geknutet od. nach Sibirien geschickt. Im September 1689 hielt Peter seinen Einzug in Moskau.

Von nun an herrschte Peter I. der Große selbständig u. nur dem Namen nach war sein Bruder Iwan bis 1696, wo er starb, Mitregent. Er verwandte seine ganze Thätigkeit darauf sein Volk auf eine höhere Stufe der Civilisation zu erheben u. in seinem Reiche alle Einrichtungen einzuführen, welche sich in andern europäischen Staaten als zweckmäßig bewährt hatten. Rußland, welches sich damals von Archangel bis Asow erstreckte, aber im Westen noch nicht die Ostsee berührte, sollte eine Macht ersten Ranges u. eine Seemacht werden; dazu brachte er das Kriegswesen auf einen bessern Fuß u. verstärkte u.a. seine Garde (Preobratschenskische Garde), welche endlich bis auf 5000 Mann heranwuchs u. größtentheils durch Ausländer vollzählig gemacht wurde; als Anfang zu einer Flotte besaß er vor Asow schon 2 Kriegsschiffe, 4 Galeeren, 2 Galionen u. 4 Brander. 1695 begann nämlich der Czar einen Krieg mit den Türken, um Asow zu erobern u. sich die Krimschen Tataren zu unterwerfen. Er machte diesen Feldzug, in welchem seine beiden Lehrer in der Kriegskunst, Gordon u. Lefort, die Land- u. Seemacht befehligten, selbst mit, konnte aber Asow erst 1696 einnehmen. Die Russen erfochten darauf den 17. Aug. 1696 einen Sieg bei Perekop über die Türken u. noch einen zweiten zu Ende des Jahres. Darauf wurde der Krieg mit weniger Thätigkeit fortgesetzt u. 1699 durch den Frieden zu Karlowitz geendigt, in welchem Asow an Rußland abgetreten wurde. Vorher hatte er, nachdem er im Februar 1697 eine Verschwörung der Strelitzen unterdrückt hatte, in demselben Jahre eine Reise durch Livland, Preußen, Holland, England u. Deutschland nach Wien gemacht. (Auf dieser Reise war es, wo er sich einmal mehre Wochen von seinem Gefolge trennte u. als Schiffszimmermann zu Saardam arbeitete.) In Wien erfuhr er 1698 eine neue Empörung von 4 Strelitzenregimentern, welche an der Grenze Polens standen u. von da gegen Moskau zogen; er eilte nach Rußland zurück, wo er im September 1698 eintraf, die Empörung bereits vom General Gordon unterdrückt fand u. nun Gericht über die Schuldigen hielt. 6 Wochen dauerten die Hinrichtungen, 28 Galgen wurden vor dem Kloster, in dem sich Peters Schwester, Sophia, welche im Verdacht war bei der Verschwörung die Hand im Spiel gehabt zu haben, errichtet u. an diesen 130 Strelitzen gehängt. Diese Verschwörung war bes. im Interesse des alten Russenthums gegen den neuerungsliebenden Czar gemacht; um diese nationalen Elemente unschädlich zu machen, löste Peter darauf die Strelitzen völlig auf, an deren Stelle er Infanterie errichtete, u. verstieß seine Gemahlin Eudoxia, welche als eine Begünstigerin des Altrussenthums galt, u. schickte sie ins Kloster. Nun begann er den Staat im Innern zu ordnen u. die auf seinen Reisen gesammelten Kenntnisse anzuwenden; er ließ eine große Buchdruckerei in Moskau errichten, russische Wörterbücher u. Sprachlehren abfassen, wissenschaftliche Werke ins Russische übersetzen, richtete eine Hauptkanzlei zur[526] besseren Erhebung der Staatsabgaben nach deutscher Art ein, belegte die geistlichen Güter mit Steuern, verbot den Eintritt in die Klöster vor dem 50. Jahre u. ordnete mit dem 1. Jan. 1700 eine neue Jahresrechnung an, welche (statt mit dem 1. Sept.) mit dem 1. Jan. begann. Auch erließ er zur Milderung der Sitten der Russen eine Menge Verordnungen, erleichterte das Reisen ins Ausland, verbot das Tragen der Bärte, beschränkte die Nationaltracht u. nöthigte die Großen des Reiches öfter an seinem Hofe zu erscheinen u. sich daselbst mit Anstand zu betragen. 1699 stiftete er den Andreasorden. 1700 begann der Nordische Krieg mit Schweden, welcher während seiner 20jährigen Dauer große Anstrengungen erforderte u. durch die Schlacht von Pultawa am 27. Juni (8. Juli) 1709 eigentlich schon zu Peters Gunsten entschieden wurde, s.u. Nordischer Krieg. An Leforts u. Gordons Stelle, welche 1699 gestorben waren, erhielt er in Mentschikow einen gewandten Vollstrecker seines Willens u. zur Leitung der auswärtigen Angelegenheiten den scharfsinnigen Osterman. 1701 wurde eine Flotte von 150 Galeeren auf dem Peipussee erbant, welche zur Eroberung der Ostseeprovinzen die wesentlichsten Dienste leistete; 1702 begann die Grabung von Kanälen, durch welche die Düna mit dem Don u. der Wolga u. durch diese das Schwarze u. Kaspische Meer mit der Ostsee verbunden wurden; am 27. Mai 1703 wurde die neue Hauptstadt St. Petersburg gegründet, welche Peter nach 1714 zu seiner Residenz wählte. Dabei wurden deutsche Metallarbeiter, Leinweber u. Papierfabrikanten in die Landstädte vertheilt u. die sibirischen Erzgruben von deutschen Bergleuten bebaut. Während des Nordischen Krieges fielen mehre innere Empörungen vor; so 1703 in Kasan, wozu die Bedrückungen des Commissars Pavin Anlaß gaben; nachdem die Tataren vergebens beim Czar geklagt hatten, griffen sie zu den Waffen, verheerten viele altrussische Ortschaften u. wurden nur durch Abstellung aller Beschwerden u. durch Gewährung einer vollständigen Amnestie beschwichtigt. 1704 brachten in Astrachan einige dahin verwiesene Strelitzen die mit den Neuerungen des Czars unzufriedene Bevölkerung auf ihre Seite u. ermordeten die Beamten u. alle Europäer, auch die Jaikschen u. Donischen Kosacken schlossen sich den Empörern an; doch gelang es dem Feldherrn Peter Schermetew die Aufrührer zur Unterwerfung zu bringen. Die Donischen Kosacken empörten sich 1707 unter Hetman Bulawin nochmals, weil sie die Streifereien ins Türkische Gebiet nicht unterlassen u. die ihnen zugekommenen Überläufer nicht ausliefern wollten, u. ermordeten den Fürsten Dolgoruki, welcher die Überläufer von ihnen empfangen sollte. Nun sandte Peter den Bruder des Ermordeten mit einem Heere von 15,000 M. gegen sie u. unterwarf sie. Noch ernstlicher war die Empörung der Zaporogischen Kosacken unter Mazeppa 1708 (s.u. Nordischer Krieg S. 89). 1711 setzte Peter den dirigirenden Senat ein u. vermählte sich mit Katharina (s.d. 10), einem Mädchen von niederer Geburt, Bereits 1710 hatte die Pforte, bewogen von dem auf Türkisches Gebiet geflüchteten König Karl XII. von Schweden, Rußland den Krieg erklärt, u. Peter rückte 1711 dem Großvezier an den Pruth entgegen, wurde aber hier eingeschlossen u. nur durch Katharinas Dazwischenkunft gerettet, worauf der Friede zu Falschy (od. zu Husch) am 23. Juli 1711 zu Stande kam, in welchem Rußland Asow herausgab u. andere Plätze am Schwarzen Meere wie Taganrog etc. schleifte. Dieser Rettung zu Ehren stiftete Peter 1714 den Katharinenorden. 1712 machte er zur Wiederherstellung seiner Gesundheit eine Reise nach Karlsbad, wo er sich bes. mit den Vertretern Dänemarks u. Preußens über seinen Plan der Eroberung Finnlands besprach. Bereits 1713 rückten die Russen in Finnland ein u. eroberten das Land durch die Einnahme der Festung Nyslot. 1714 erließ Peter ein Kriegs-, 1718 ein Seereglement; 1716 unternahm er mit Katharina eine Reise nach dem Haag, nach Frankreich u. durch Deutschland, welche mehr politischer Natur war. In Kopenhagen vernahm er, daß daheim von der altrussischen Partei unter Begünstigung seines Sohnes Alexei eine Verschwörung gestiftet worden sei; er berief daher den Prinzen zu sich nach Kopenhagen, u. dieser verließ zwar 1717 Moskau, kam aber nicht nach Kopenhagen, sondern ging nach Wien u. Neapel. Der Czar versprach ihm Verzeihung seines Ungehorsams u. lockte ihn so nach Moskau. Hier angekommen wurde Alexei von seinem Vater durch Ukas vom 2. Febr. 1718 enterbt u. vor ein Gericht gestellt, welches ihn einstimmig zum Tode verurtheilte; der Czar begnadigte ihn, die anderen Theilnehmer der Verschwörung aber, darunter des Czaren erste Gemahlin Eudoxia u. Halbschwester Marie, wurden hart bestraft, zum Theil hingerichtet. Bei der Rückkehr von seiner Reise hatte Peter große Unordnungen in der Verwaltung u. das Volk sehr mißvergnügt gefunden. Er setzte daher ein besonderes Gericht nieder, welches alle Klagen gegen die Staatsbeamten untersuchen mußte. Dies gab Gelegenheit zur Einführung der Geheimen Kanzlei, welche zwar die Furcht erhielt, aber auch geheimen Anfeindungen Thor u. Thür öffnete. Durch den Nystädter Frieden am 10. Sept. 1721 wurde der Nordische Krieg beendigt u. Livland, Esthland u. Ingermanland nebst den finnischen Länen Wiborg u. Kexholm an Rußland abgetreten u. dem R. R. einverleibt, wodurch Rußland in die Reihe der europäischen Seestaaten eintrat u. die Hauptmacht in Nordeuropa wurde. Peter nahm nun den Titel als Kaiser aller Reussen an, zugleich änderte er durch Bestimmung vom 5. Februar 1722 die bisherige Thronfolgeordnung dahin ab, daß es dem jedesmaligen Herrscher freistehen sollte seinen Nachfolger nach Belieben zu bestimmen. Den Frieden benutzte Peter vor Allem zur Hebung des Seehandels, dessen Mittelpunkt Petersburg werden sollte u. wohin er mehre tausend Familien aus Moskau zog den seehandelnden Nationen räumte er große Vortheile ein, ließ bequeme Handelsniederlagen errichten u. organisirte das Postwesen. 1721 errichtete er, nachdem er den Patriarchenstuhl schon seit 1699 nicht besetzt hatte, den Heiligen Synod als höchste Behörde in allen kirchlichen Angelegenheiten u. erklärte sich zum Oberhaupt der Kirche (s.u. Russische Kirche). Die Bibel ließ er ins Russische übersetzen u. wohlfeil an das Volk verkaufen. Er führte eine Rangordnung in 14 Klassen ein u. verordnete, daß der durch diese Rangordnung erworbene Dienstadel vor dem Erbadel gelten sollte (s. Russisches Reich, Geogr.), daß alle Offiziere beim Heere den persönlichen, Stabsoffiziere aber auch den erblichen Adel, auch das Civil durch eine gewisse Rangstufe denselben erhalten, alle Soldaten aber von der Leibeigenschaft frei sein sollten. Durch einen Kanal[527] zwischen den Flüssen Mita u. Twer stellte er die Wassercommunication des Ladogasees u. des Schwarzen Meeres her. Sein lebhafter Wunsch war die Unterwerfung der noch freien Nomadenvölker in Sibirien u. die Cultivirung dieses weitläufigen Landes, doch konnte er durch die vielen Kriege u. die europäischen Angelegenheiten abgehalten, nicht alle seine Pläne ausführen, u. Gagarin, den einsichtsvollen Gouverneur von Sibirien, welcher ihm verdächtigt worden war, als ob er sich unabhängig machen wollte, ließ er 1721 hinrichten. Um seinen Unterthanen einen vortheilhaften Handel auf dem Kaspischen Meere zu sichern, unternahm er noch 1722 einen Eroberungskrieg gegen Persien, gewann Derbent u. erhielt von dem Schah, welchem er alsbald Beistand gegen den Empörer Mir-Mahmud geleistet hatte, 1723 die Provinzen Ghilan, Mazenderan u. Asterabad abgetreten. Über diesen Länderzuwachs wurden die Türken eifersüchtig u. erklärten zweimal (1723 u. 1724) den Krieg an Rußland, ließen sich aber durch Frankreichs Vermittelung beruhigen. 1724 ließ Peter seine Gemahlin Katharina als Kaiserin krönen, in der Absicht ihr die Thronfolge zu sichern, u. st. 28. Febr. 1725. Er stiftete noch den Alexander-Newski-Orden u. die Akademie der Wissenschaften, ließ untersuchen, ob Asien u. Amerika wirklich durch eine Straße getrennt sei, schloß einen neuen Handelsvertrag mit Schweden, verbannte die Kapuziner aus Rußland u. suchte die Streitigkeiten zwischen den schismatischen Raskolniken u. den Bekennern des orthodoxen Kirchenglaubens zu schlichten.

Peters des Großen Tod drohte Rußland in Verwirrung zu stürzen, da Peter die Thronfolgeordnung geändert u. nichts über seinen Nachfolger hinterlassen hatte, obschon er kurz vor dem Persischen Kriege alle Stände seines Volkes hatte schwören lassen, den als Thronfolger anzuerkennen, welchen er dazu bestimmen würde. Peters ältester Bruder, Iwan, hatte zwei Töchter hinterlassen, von denen die älteste, Katharina, an den Herzog Karl Leopold von Mecklenburg, die jüngere, Anna, an den Herzog Friedrich Wilhelm von Kurland vermählt war. Von Peters des Großen Sohne erster Ehe, Alexei, war ein Prinz Peter, aus des Kaisers zweiter Ehe zwei Töchter, Anna, an den Herzog von Holstein verlobt, u. Elisabeth vorhanden. Der Senat berathschlagte nun, wer von diesen auf den Thron erhoben werden sollte, doch der Fürst Mentschikow hatte Anstalten getroffen, daß unmittelbar nach Peters Tode dessen zweite Gemahlin Katharina I. von mehren Großen u. Theophanes, Erzbischof von Pskow, als Thronfolgerin anerkannt wurde. Sie bestieg auch ohne Widerspruch den Thron u. erwarb sich dadurch, daß sie nach Peters Planen unter Mentschikows Leitung fortregierte, alle von ihrem Gemahl angestellten Beamte im Dienst ließ, 1/8 der Steuern auf zwei Jahre erließ etc. die allgemeine Zuneigung. Den Widerstand der Zaporogischen Kosacken stillte sie dadurch, daß sie denselben die von Peter entzogenen Vorrechte größtentheils wiedergab. Unter ihr wurde das erste Silberbergwerk entdeckt; sie ließ die von Peter gestiftete Akademie der Wissenschaften ins Leben treten u. beschränkte die Geistlichkeit mehrfach. Mit Österreich u. Spanien schloß sie den 6. Aug. 1726 ein Schutz- u. Trutzbündniß, mit Schweden einen Vertrag gegen Dänemark, um dem Herzog von Holstein zum Besitze Schleswigs zu verhelfen, u. mit Preußen ein Bündniß gegen Polen, weil der dortige König Kurland seinem natürlichen Sohne, dem Grafen Moritz von Sachsen, zuwenden wollte. Katharina I. st. bereits 17. Mai 1727, u. zufolge ihres Testaments bestieg Alexei's 13jähriger Sohn Peter II. den Thron. Ihm war bis zum 16. Jahr ein Vormundschaftsrath beigeordnet, welcher aus seinen Stiefschwestern, den Prinzessinnen Anna u. Elisabeth, dem Herzoge von Holstein, dem Fürsten Mentschikow u. fünf Senatoren bestand; doch Mentschikow bemächtigte sich der Leitung der Staatsgeschäfte ausschließlich u. verlobte den jungen Czar mit seiner Tochter Maria, um seinen Einfluß für immer zu sichern. Da Mentschikow aber durch Willkür u. Härte sich viele Feinde zugezogen hatte, so gelang es dem Fürsten Alexander Dolgoruki schon nach einem halben Jahre ihn zu stürzen u. nach Sibirien zu schicken (s. Mentschikow). Dolgoruki verlobte nun den Kaiser mit seiner Schwester Katharina u. gelangte zu so großer Gewalt, wie früher Mentschikow. Peter bemühte sich um die Liebe seiner Unterthanen; rief seine Großmutter Eudoxia Lapuchin aus dem Kloster an den Hof zurück, verlegte seinen Hofsitz nach Moskau, begünstigte talentvolle Ausländer, u. bes. gelangten Osterman als Reichskanzler u. Münnich als Feldherr unter ihm zu großem Einfluß. Unter ihm wurde 1727 ein Grenzvertrag mit China geschlossen u. die von Peter dem Großen eroberten Provinzen an Persien zurückgegeben. Peter II. starb unerwartet am 19. Jan. 1730 an den Pocken. Mit ihm erlosch das Haus Romanow im Mannsstamm.

Da Peter kein Testament hinterlassen hatte, so war die Thronfolge abermals zweifelhaft. Durch den Einfluß Dolgorukis, welcher vergebens seine Schwester Katharina als Peters Braut zur Thronfolgerin auszurufen versucht hatte, erhielt Anna, die Tochter Iwans, des Halbbruders von Peter dem Großen u. Wittwe des Herzogs Friedrich Wilhelm von Kurland, die Krone. Sie mußte aber zuvor eine Wahlcapitulation unterschreiben, in welcher sie sich verbindlich machte ohne Beistimmung des Senats weder Krieg noch Frieden zu beschließen, keine Abgaben aufzulegen, keine Gütereinziehungen zu verfügen, keine Krongüter zu veräußern, keinen Adeligen ungehört zu verdammen, keinen Gemahl od. Nachfolger eigenmächtig zu wählen u. auch ihren Günstling Biron nicht an ihrem Hofe zu dulden. Anna genehmigte Alles, aber wenige Tage, nachdem sie den Thron in Besitz genommen, erklärte sie sich als Selbstherrscherin aller Reussen für unumschränkt u. vertraute Biron die Leitung aller Staatsgeschäfte an. Dieser verwies die Dolgorukis nebst 20,000 Russen nach Sibirien, schickte die Braut Peters II. ins Kloster, vertrieb die Galyzin u. ließ viele Andere hinrichten u. regierte nun im Namen der Kaiserin unumschränkt. Da es ihm aber an Talenten in Staatssachen fehlte, so überließ er Osterman die Leitung des Auswärtigen u. Münnich die des Krieges. Schon 1731 adoptirte Anna ihre Nichte Anna, die Tochter des Herzogs von Mecklenburg, u. vermählte dieselbe später mit dem Prinzen Anton Ulrich von Braunschweig. Mit Nadir Schah schloß die Kaiserin ein Bündniß gegen die Türken, da die Krimschen Tataren seit 1732 Einfälle in Rußland begonnen hatten. Durch die Erledigung des polnischen Thrones 1733 wurde Rußland veranlaßt seinen Einfluß auf Polen zu befestigen; nach Augusts II. Tode wollte Frankreich den ehemaligen König Stanislaw Leßczynski dort[528] auf den Thron erheben, wogegen sich Österreich setzte u. Rußlands Beistand in Anspruch nahm. Ein russisches Heer rückte in Polen ein, um die Wahl Stanislaws zu hintertreiben u. die des Kurfürsten August III. von Sachsen zu unterstützen, u. belagerte 1734 Danzig, wohin sich Stanislaw geflüchtet hatte; ein anderes von 12,000 M. ging 1735 zur Unterstützung Österreichs nach Deutschland. Nachdem 1735 der Polnische Thronfolgestreit durch die Wiener Friedenspräliminarien beendigt war u. Österreich die vertragsmäßige Hülfe gegen die Türken forderte, begann 1736 der Krieg gegen die Türken. Das russische Heer unter Münnich fiel in die Krim ein u. eroberte Asow, doch leisteten die Türken tapfern Widerstand u. das russische Heer war genöthigt sich zurückzuziehen. Auf dem zweiten Feldzug 1737 eroberte Münnich Oczakow, Choczim u. die ganze Moldau u. gewann mehre Siege über die Türken, namentlich 1739 den bei Stawutschane, in deren Folge 1740 die Türkei den Belgrader Frieden schloß, doch waren, da Österreich von der Allianz mit Rußland abzufallen drohte, die Bedingungen für die Türken sehr günstig: Asow blieb zwar bei Rußland, doch mußten die Festungswerke geschleift werden u. die Russen durften das Schwarze Meer nicht beschiffen. Unter Anna wurden auch die Entdeckungsreisen fortgesetzt; Capitän Behring untersuchte die Küsten von Sibirien, gelangte auch zu dem Festlande von Amerika u. entdeckte mit Czirikow die Aleutischen Inseln, auch wurden die Kurilischen Inseln untersucht. Obgleich die Kaiserin Anna ihre Nichte, die Herzogin Anna von Braunschweig, adoptirt hatte, so erklärte sie doch, als dieselbe 1740 einen Sohn gebar, vielmehr diesen zum Nachfolger u. Biron für den Fall, daß der Ernannte minderjährig zur Regierung kommen sollte, zum Reichsregenten. Anna st. den 28. Oct. 1740, u. Biron trat im Namen des jungen Kaisers Iwan die Regierung an; da er aber durch den Mißbrauch der Gewalt sich allgemein verhaßt gemacht hatte u. selbst den Eltern des Kaisers unehrerbietig begegnete, stifteten Münnich u. Manstein eine Verschwörung gegen ihn verhafteten ihn den 18. Nov. 1740 Nachts in seinem Palast u. brachten ihn nach Schlüsselburg, worauf die Herzogin Anna zur Regentin im Namen ihres Sohnes erklärt wurde. Sie verwandelte das über Biron gesprochene Todesurtheil in Verbannung nach Sibirien. Die Regentin besaß wenig Talent zur Führung der Staatsgeschäfte u. auch unter den Ministern herrschte Zwiespalt; da sie den Grafen Münnich statt des früher innegehabten Oberbefehls über Heer u. Flotte (welches der Herzog Ulrich erhielt) zum ersten Minister ernannte, beleidigte sie dadurch den Reichskanzler Osterman, welcher mit dem Vicekanzler Golowkin ihn von den Geschäften zu verdrängen wußte, worauf Münnich seinen Abschied nahm. Seit Peters des Großen Zeit war Rußland stets auf Preußens Seite gewesen, nun bewirkte es der österreichische Gesandte bei Gelegenheit der Streitigkeiten über die Pragmatische Sanction, daß die Regentin sich mehr zu Österreich hinneigte. Um aber die Mitwirkung Rußlands unschädlich zu machen, verwickelten die Intriguen des französischen Gesandten dasselbe 1741 in einen Krieg gegen Schweden. Kurz darauf gab die projectirte Vermählung Elisabeths, der Tochter Peters des Großen aus zweiter Ehe, mit dem Prinzen Ludwig von Braunschweig, Bruder Anton Ulrichs, zu der man diese Fürstin nöthigen u. ihr Kurland als Mitgift geben wollte, Anlaß zu einer Verschwörung gegen Iwan u. die Regentin Mutter, welche, von dem französischen Gesandten de la Chetardie unterstützt, den 6. Dec. 1741 zum Ausbruch kam. L'Estocq, ein französischer Wundarzt u. Vertrauter der Prinzessin Elisabeth, bestach das Preobratschenskische Garderegiment, ließ durch die Verschwornen die Regentin nebst ihrem Gemahl u. dem jungen Kaiser überfallen u. letzteren nach Schlüsselburg, die Regentin u. ihren Gemahl nach Cholmogory auf einer Insel der Dwina am Weißen Meere bringen. Nun wurde Elisabeth als Kaiserin ausgerufen u. die übrigen Truppen, der Senat u. die Staatsbeamten huldigten ihr, worauf alle einflußreiche Große, unter ihnen Münnich, Osterman, Golowkin, Löwenwolde nach Sibirien verwiesen wurden. Noch während der Regentschaft Annas hatte Schweden, von Frankreich gereizt, an Rußland den Krieg erklärt; die Russen drangen unter Lascy in Finnland ein, schlugen den General Wrangel bei Wilmanstrand, nahmen denselben mit dem größten Theil seines Heeres am 3. Sept. 1741 gefangen u. eroberten Wilmanstrand. Der französische Gesandte vermittelte zwar einen Waffenstillstand; doch da der Friede während desselben nicht zu Stande kam, besetzten die Russen ganz Finnland, nachdem sie am 4. Sept. 1742 Helsingfors eingenommen hatten, u. in dem Frieden zu Åbo am 7. August 1743 mußte Schweden den zunächst an Rußland grenzenden Theil von Finnland bis an den Kymmenefluß abtreten, wodurch Petersburg gegen schwedische Einfälle gesichert wurde. Noch zuvor ernannte Elisabeth den Sohn ihrer Schwester Anna u. des Herzogs Karl Friedrich von Holstein-Gottorp, Karl Peter Ulrich von Holstein-Gottorp, zu ihrem Nachfolger. 1743 wurde eine Verschwörung gegen Elisabeth angezettelt, deren Mitglieder die Lapuschin, Golowkin u. andere Verwandten der nach Sibirien verwiesenen Großen u. in welche auch der österreichische Gesandte, Marquis von Botta, verwickelt war, welcher dadurch seinem Hofe zu nützen glaubte. Das Complott wurde aber entdeckt u. die Verschworenen nach Sibirien geschickt. In Folge davon blieben die Höfe von Petersburg u. Wien gespannt, bis die Kaiserin Elisabeth, durch ein scharfes Urtheil des Königs Friedrich II. von Preußen über sie geärgert, 1744 ein Vertheidigungsbündniß mit Österreich schloß u. 1747 ein russisches Heer von 37,000 M. nach Deutschland sendete, welches den Abschluß des Aachener Friedens 1748 bewirken half. Auch an dem Siebenjährigen Kriege nahm die Kaiserin gegen Preußen Theil, ein Heer von 100,000 M. rückte 1757 unter Apraxin in Preußen ein u. siegte bei Kunersdorf u. Großjägerndorf, wogegen es bei Zorndorf geschlagen u. durch den Tod der Kaiserin in seinen ferneren Operationen gehemmt ward (s.u. Siebenjähriger Krieg). Elisabeth st. den 5. Jan. 1762.

Peter III., der Neffe der Verstorbenen u. Sohn der Anna, der älteren Tochter Peters des Großen, u. des Herzogs Karl Friedrich von Holstein-Gottorp, mit welchem das Haus Holstein-Romanow auf den Russischen Thron kam, erregte bei seiner Thronbesteigung viele Hoffnungen. Er bewies festen Willen selbständig u. frei von dem Einflusse der Großen des Reiches zu regieren. Am 16. März schloß er, ein Verehrer Peters des Großen u. seiner Einrichtungen mit Preußen einen Waffenstillstand, am[529] 5. Mai Frieden u. Anfangs Juni ein Bündniß; dagegen ließ er seine Truppen gegen Dänemark rücken, welches er wegen eines seiner Familie entrissenen Gebietes bekriegen wollte. Thätig griff er in alle Zweige der Verwaltung ein, er schaffte die geheime Polizei, die grausamen u. entehrenden körperlichen Strafen beim Militär, die Beschränkungen des Adels in Hinsicht seines Aufenthalts u. der Annahme der Staatsämter u. viele andere Mißbräuche ab, gab zweckmäßige Verordnungen für die Verwaltung der Finanzen u. zur Beförderung des Handels; aber durch andere Verordnungen verletzte er die Privatinteressen Vieler, den von Elisabeth begünstigten Adel schränkte er ein, der Geistlichkeit entzog er Güter u. Einkünfte, bei dem Heere führte er Uniformen u. Exercitium nach Art der Preußen u. eine holsteinische (deutsche) Garde ein. Dadurch brachte er aber Adel, Geistlichkeit u. Heer gegen sich auf. Verderblicher noch war aber die Uneinigkeit, in welcher er mit seiner Gemahlin Katharina, einer Anhalt-Zerbster Prinzessin, lebte, von welcher er sich scheiden u. sie dann ins Kloster schicken wollte. Um sich die Freiheit zu retten, verband sich Katharina mit den Brüdern Orlow, der Fürstin Daschkow, dem Grafen Panin, dem dänischen Gesandten, Grafen von Ranzau, dem Feldmarschall Buturlin u. dem Grafen Rasumowski; die Verschwörung wurde zwar verrathen u. schon war ein Verschworner verhaftet, aber in der Nacht 8./9. Juli 1762 eilte Katharina vom Lustschloß Peterhof nach Petersburg zu den Kasernen der Garden, sprach in Uniform gekleidet zu ihnen u. gewann u. bewog sie, nachdem das Gerücht verbreitet worden war, daß der Kaiser gestorben sei, ihr den Eid der Treue zu leisten. Der Senator Teplow, welcher nun ein Manifest, worin Peters III. u. Katharinens Sohn zum Kaiser erklärt werden sollte, in der Kasanischen Kirche verlesen sollte, schob auf Anstalten Orlows ein anderes unter, wodurch Katharina II. zur Kaiserin u. Selbstherrscherin erhoben wurde, u. sicherte ihr so die Herrschaft, u. die Flotte u. die übrigen Truppen stimmten bei. Peter III. verlor den Muth, er wollte nach Kronstadt segeln, fand aber dies bereits von seinen Gegnern besetzt u. wurde an der Landung verhindert. Unentschlossen kehrte er um, wurde in Oranienbaum verhaftet, dankte dort ab u. wurde dann am 14. Juli zu Ropscha ermordet.

Katharinas II. nächste Sorge war sich auf dem Throne zu befestigen; nachdem sie sich sogleich in Moskau hatte krönen lassen, bestätigte sie, um Ruhe von Außen zu haben, den Frieden mit Preußen, zog aber die russischen Hülfstruppen vom preußischen Heere zurück u. stellte die friedlichen Verhältnisse mit Dänemark wieder her. Der entthronte Iwan, welcher seit Elisabeths Thronbesteigung in Schlüsselburg gefangen gehalten wurde, wurde bei einem Versuch des Lieutenants Mirowitsch zu seiner Befreiung, 5. Dec. 1764 auf Befehl des Commandanten getödtet; die Tochter der Kaiserin Elisabeth u. Rasumowskis, welche als Elisabeth Tarakanow in Pisa lebte, wurde entführt u. verschwand in Kronstadt. Katharinas Herrschaft ist durch viele nützliche u. vortreffliche Einrichtungen, durch Milde u. Wohlthaten bezeichnet, so forderte sie Ausländer, bes. Deutsche, zur Niederlassung in ihrem Reiche auf, gründete in den wüsten Landstrecken an der Wolga u. Sarpa Colonien u. legte über 200 Städte an; sie ließ die Pockenimpfung einführen u. Findelhäuser in Moskau u. Petersburg errichten, gab dem Senat u. den andern Reichscollegien am 15. Decbr. 1762 bessere Einrichtungen u. errichtete 1769 ein Staatscollegium unter ihrem eigenen Vorsitz, von welchem aus die bessere Organisirung aller Regierungszweige veranlaßt wurde. Am 14. Decbr. 1766 berief sie Abgeordnete aus allen Provinzen zu einer Reichsversammlung nach Moskau, um ein neues Gesetzbuch zu entwerfen, u. verfaßte 1767 eine eigenhändige Instruction dazu, doch kam dasselbe nicht zur Ausführung; sie vermehrte u. verbesserte die Unterrichts- u. wissenschaftlichen Anstalten, als die Schifffahrtsschule, die Land- u. Seecadettenhäuser, die Moskauer Universität, die Petersburger Akademie der Wissenschaften u.a., gründete bei der Akademie der Künste 1764 eine Erziehungsschule u. errichtete 1778 das Oberschulcollegium zur Leitung der im ganzen Reiche eröffneten Volksschulen, vermehrte u. verbesserte die Seminarien, sandte seit 1766 Gelehrte u. Künstler auf Reisen, stiftete 1783 auch eine Akademie zur Vervollkommnung der Russischen Sprache. Auch in andern Verwaltungsfächern traf sie nützliche Einrichtungen, 1774 führte sie die Bankassignaten ein, 1766 erneuerte u. erweiterte sie den Handelsvertrag mit England, wie sie auch der Kaufmannschaft neue Rechte u. 1785 ein neues Seerecht u. eine Schifffahrtsordnung gab; zur Belebung des Handels ließ sie mehre Kanäle graben; auch der Bergbau hob sich unter ihr. Durch dies alles stiegen unter ihrer Regierung die Staatseinkünfte von 30 auf 60 Mill. Rubel u. dabei mehrte sich die Landmacht auf 450,000 M. u. die in Verfall gerathene Flotte auf 45 Linienschiffe. Gleich im Anfang ihrer Regierung nöthigte sie den kurländischen Adel ihren neu eingesetzten Herzog Karl von Sachsen aufzugeben u. den wieder befreiten Biron als Herzog anzuerkennen. Die Thronerledigung in Polen durch den Tod Augusts III. 1763 gab Katharinen Veranlassung ihren Einfluß auf dieses Reich zu erweitern, sie bewirkte 1764 mit Preußen die Wahl ihres früheren Günstlings, Stanislaw Poniatowski, zum König von Polen u. gewann als Beschützerin der Dissidenten einen immer größeren Einfluß auf Polen (s.u. Polen S. 258). Dagegen reizten die polnischen Conföderirten die Pforte, u. diese erklärte, die Verwüstung der türkischen Stadt Balla zum Vorwand nehmend, am 30. Oct. 1768 Rußland den Krieg. Zwei Heere unter Galyzin u. Romanzow rückten gegen die Türken, u. Orlow erschien mit einer Flotte im Archipelagus gegen sie. Am 17. Sept. 1769 wurde ein türkisches Heer bei Choczim von Galyzin geschlagen, am 21. Choczim besetzt u. damit zugleich der größte Theil der Walachei erobert. Dieser Siege wegen stiftete Katharina 7. Decbr. 1769 den St. Georgsorden. Während darauf Romanzow, welcher den Oberbefehl überkommen hatte, die Türken bis Isakia zurückdrängte, bewog General Medem die Gebirgsvölker des Kaukasus, die Fürsten von Karthli, Georgien, die Mainotten in Morea u. Ali Bei in Ägypten zum Aufstand gegen die Pforte. Auch zur See waren die Russen glücklich, am 5. Juli 1770 erhielt Orlow mit seiner Flotte, welche unter Spiritow u. Elphistone aus der Ostsee nach den griechischen Gewässern gesegelt war, einen Sieg über die türkische Flotte bei Skio u. verbrannte am 7. deren Rest in der Bucht bei Tschesme; eine zweite türkische Flotte wurde am 17. Juli bei Andros vernichtet. Das russische Landheer erlitt zwar in der [530] Moldau durch Hunger u. Pest (welche sich von hier aus verheerend nach Volhynien, Podolien u. durch Rothrußland, selbst nach Moskau verbreitete) große Verluste, dennoch siegte Romanzow am 18. Juli 1770 am Flusse Karga u. 1. Aug. am See Kagul u. zwang den Großvezier Halil Pascha über die Donau zu fliehen. Am 26. Sept. eroberte Panin Bender u. besetzte Bessarabien. Dolgoruki, welcher an Panins Stelle den Oberbefehl des in Bessarabien befindlichen Heeres übernahm, besetzte 1771 die Krim, vertrieb den Khan Gherai u. ließ einen neuen Khan wählen, welcher Rußlands Oberherrschaft anerkannte, nahm Asow ein u. erbaute eine Flotte auf dem Schwarzen Meere. Bei dem Hauptheere wurde General Essen am 17. Aug. 1771 bei Giurgewo geschlagen, erfocht dagegen am 30. Octbr. einen Sieg bei Bucharest; General Weismann eroberte am 25. Octbr. das türkische Lager bei Babadagh. Durch diese Siege Rußlands, verbunden mit den glücklich geleiteten Aufständen in Georgien u. Ägypten, wurde die Pforte dem Untergange nahe gebracht, indeß wieder gerettet durch die Eifersucht Österreichs u. Preußens auf Rußland u. durch den Aufstand Pugatschews. Österreich hatte nämlich am 6. Juli 1771 ein Bündniß mit den Türken geschlossen u. zog beträchtliche Streitkräfte an den Grenzen der Moldau zusammen, doch kam durch Preußens Vermittelung eine Waffenruhe zu Stande, während deren der gemeinschaftliche Vortheil bei der von Katharina II. vorgeschlagenen ersten Theilung Polens 1772 (s. Polen S. 259) Österreich u. Rußland wieder versöhnte. Rußland erhielt dadurch die Woiwodschaften Witebsk, Mohilew, die Hälfte von Polock u. einen Theil von Minsk, im Ganzen über 3000 QM. mit fast zwei Mill. Menschen. Währenddem ruhten die Feindseligkeiten gegen die Türken; es wurden Friedensunterhandlungen erst zu Fokschani, darauf zu Bucharest angeknüpft, welche sich aber wieder zerschlugen; 1773 überschritt das russische Heer die Donau, wurde aber am 21. Juni geschlagen u. über die Donau zurückgetrieben; ebenso mußte Romanzow im Juli die Belagerung von Silistria aufheben u. sich mit großem Verlust über die Donau zurückziehen. Erst mit dem Tode des Sultans Mustapha III. im December 1773 wendete sich das Glück den russischen Waffen wieder zu; denn während ein Aufruhr der Janitscharen das türkische Heer unthätig machte, ging Romanzow aufs Neue über die Donau, rückte vor Silistria u. Rustschuck, schlug den Großvezier bei Bazardschik, schloß denselben in den Gebirgen der Bulgarei ein u. nöthigte ihn am 21. Juli 1774 zum Frieden von Kutschuk-Kainardschi. Rußland gewann die beiden Festungen Jenikale u. Kertsch, Asow (das Katharina bereits seit 1771 zur Festung hergestellt hatte), Kinburn, den Strich zwischen dem Bug u. Dniepr, einen Theil der Kabardei, die freie Schifffahrt auf dem Schwarzen Meere, bedang die Unabhängigkeit der Krim u. erhielt 51 Mill. Thlr. für die Kriegskosten. Inzwischen war am Don in der Mitte August 1773 der Aufstand des Kosacken Pugatschew (s.d.) ausgebrochen. Dieser, welcher sich für Peter III. ausgab, zog die Besatzung der Festung Jaizkoi, die Raskolniken u. viele Bauern an sich, daß sein Heer an 15,000 M. stark wurde, mit welchem er mehre Festungen am Ural u. Don eroberte u. welches er durch Baschkiren, Wotjäken u. Permjäken vermehrte. Der gegen ihn gesandte General Michelson vermochte nichts wider ihn, vielmehr eroberte Pugatschew Kasan, überschritt die Wolga u. ging 1775 auf Moskau los; jetzt erst gelang es Michelson u. Suworow das Rebellenheer zu theilen u. Pugatschew zu fangen, welcher in Moskau hingerichtet wurde.

Die Kaiserin fuhr nun in der Organisation ihres Reiches fort, errichtete 1774 ein Handelsgericht, gab 1775 Aufwandgesetze, um dem übertriebenen Luxus zu steuern, u. theilte das Reich in Gouvernements. In der äußern Politik unterstützte Katharina, eng verbunden mit Friedrich dem Großen von Preußen, in Schweden die Parteien der Mützen, wodurch sie dieses Reich in Verwirrung u. Schwäche erhielt, besetzte 1778 die Krim u. beschleunigte, als in Deutschland der Bairische Erbfolgekrieg ausbrach, durch die Drohung, Preußen mit 60,000 M. beizustehen, 1779 den Frieden zu Teschen. Einen Beweis von Rußlands Macht u. überwiegendem Einfluß auf die Angelegenheiten der europäischen Mächte gab die 1780 gestiftete bewaffnete Neutralität, wozu die Beleidigung der russischen Flagge durch Spanien die Veranlassung gab. Rußland stellte den Grundsatz auf, daß Schiffen mit neutraler Flagge der Handel mit den kriegführenden Mächten, ausgenommen mit Kriegsbedürfnissen, erlaubt sei; diesem traten Dänemark, Schweden, Preußen u. Portugal bei; England war höchst unzufrieden damit, durfte sich aber nicht öffentlich dagegen erklären. Um das Bündniß Rußlands mit Preußen, auf welches Österreich schon lange eifersüchtig gewesen war, zu trennen, veranlaßte Kaiser Joseph II. 1780 eine Zusammenkunft mit der Kaiserin Katharina zu Mohilew. Ein neuer Eroberungsplan wurde hier mit Österreich verabredet; denn der Sturz des Türkischen Reichs u. die Errichtung eines russischen Secundärstaates in Griechenland mit einem russischen Prinzen auf dem Throne u. mit der Hauptstadt Byzanz war immer die Absicht Katharinens. Das förmliche Bündniß beider Mächte gegen die Pforte kam 1783 zu Stande, welches Friedrich der Große durch die Sendung seines Neffen nach Petersburg zu hintertreiben vergebens gestrebt hatte. Gestützt auf Österreichs Beistand erweiterte Rußland seine Forderungen an die Pforte u. veranlaßte im April 1783 den Khan von der Krim, Sahib Gherai, sein Land an Rußland förmlich abzutreten. Die Pforte rüstete sich u. ein russisches Heer zog sich in der Ukraine zusammen; doch Frankreich vermittelte am 8. Jan. 1784 einen neuen Friedensvertrag, in welchem die Krim nebst der Insel Taman u. die Kubanische Steppe an Rußland abgetreten wurde, woraus das Gouvernement Taurien gebildet wurde. Dadurch bekam Rußland die Herrschaft auf dem Schwarzen Meere u. die freie Fahrt durch die Dardanellen ins Mittelmeer. Der Fürst von Karthli u. Kakheti hatte sich schon 1783 Rußland unterworfen (s. Georgien [Gesch.] VI. C), welches auch dem entflohenen Woiwoden Maurokordato Schutz gewährte u. überhaupt alle aufrührerischen Unterthanen der Türken unterstützte. 1787 fand eine neue Zusammenkunft der Kaiserin mit Joseph II. zu Cherson statt. Auf der Reise dahin war es, wo Potemkin durch die Anordnung einzelner fliegender Dorfschaften mit zahlreichen Häusern, Bewohnern u. Heerden u. allerhand idyllischer Staffage, welche auf der Reisetour der Kaiserin aufgestellt u. dann abgebrochen u. an der nächsten Stelle wieder aufgestellt wurden, der Kaiserin den Glauben beibringen[531] wollte, als wären die früheren Steppen durch seine Bemühung so cultivirt worden. Bei dieser Zusammenkunft war eine geheime Allianz zwischen Rußland u. Österreich gegen die Türkei geschlossen worden, die Türkei kam aber zuvor u. erklärte am 24. Aug. 1787 an Rußland den Krieg. Russische Heere drangen unter Romanzow u. Repnin in die Moldau ein, richteten aber nichts aus. Nun übernahm Potemkin den Oberbefehl u. eroberte nach langer Belagerung am 17. Dec. 1788 Oczakow. Die russische Flotte hatte am 28. Juni 1788 einige Vortheile über die türkische in der Mündung des Dniepr erlangt, dagegen am 14. Juli eine Niederlage bei Sebastopol erlitten. Der Feldzug 1789 gewährte den Russen größere Vortheile, am 1. Mai wurde Galacz, am 13. Oct. Akjerman u. am 15. Nov. Bender erobert, am 31, Juli siegte Suworow bei Fokschani u. mit den Österreichern vereinigt am 22. Sept. bei Martinesty, sowie auch Choczim, am 15. Oct. 1790 Kilianova u. am 22. Dec. Ismail erobert wurde. Schweden, auf Rußlands steigende Macht eifersüchtig, hatte inzwischen 1788 an Rußland den Krieg erklärt u. König Gustav III. fiel 1789 in das russische Finnland ein, wurde aber am 24. Aug. bei Högsars zurückgetrieben; zur See focht er 1790 mit größerem Erfolg u. gewann am 15. Mai die Seeschlacht bei Frederikshamm, nachdem er den Tag vorher einigen Verlust bei Reval erlitten hatte. Darauf wurde seine Flotte von der russischen unter dem Prinzen von Nassau im Wiborger Sund eingeschlossen, schlug sich aber am 3. Juli bei Schenkasund durch u. zerstörte am 9. u. 10. Juli die ganze russische Flotte. Petersburg gerieth in Gefahr u. die Kaiserin bereitete sich schon zur Abreise vor. Aber Meutereien im schwedischen Heer hemmten Gustavs Fortschritte, u. deshalb schloß er am 14. Aug. 1790 den Frieden zu Wärälä. Österreich ließ sich durch die drohende Stellung der andern Mächte zuerst 1790 zur Convention zu Reichenbach bewegen, wodurch es versprach mit der Pforte ohne Länderverlust Frieden zu schließen, was es 1791 im Frieden zu Szistowa auch that. Alles dieses beschleunigte den Abschluß der Friedenspräliminarien zwischen Rußland u. der Türkei zu Galacz am 11. Aug. 1791; doch erfolgte der förmliche Friede erst zu Jassy am 9. Jan. 1792. Rußland erhielt Oczakow u. das Land zwischen dem Dniepr u. Dniester, die Abtretung der Krim wurde bestätigt. Rußland wendete nun 1792 wieder seine Waffen gegen Polen u. unterstützte die, gegen die von den Polen am 1. Mai 1791 angenommene neue Verfassung gerichtete Targowiczer Conföderation. Eine zweite Theilung Polens wurde mit Preußen u. Österreich verabredet u. durch den Vertrag zu Grodno am 17. Aug. 1793 ausgeführt, wobei Rußland den größten Theil von Lithauen u. Kleinpolen u. die Ukraine, ein Gebiet von 4553 QM., erhielt. Hieraus entstand aber eine allgemeine Erhebung Polens u. ein blutiger Krieg, indem die russische Besatzung von Warschau am Gründonnerstage 1794 theils niedergemacht, theils vertrieben wurde, die Russen aber später Kosciuszko bei Maciejavice schlugen u. gefangen nahmen, Praga mit Sturm eroberten u. so die Oberhand gewannen (s.u. Polen S. 261 f.). Der Rest von Polen wurde dann durch den Grenzvertrag mit Preußen am 24. Oct. 1795 u. den Definitivvertrag am 26. Jan. 1797 in einer dritten Theilung unter Rußland, Österreich u. Preußen getheilt; Rußland erhielt die Reste von Lithauen u. Samogitien, ganz Volhynien u. Theile von Brzesk u. Chelm (s. ebd. S. 263). Auch Kurland, wo der Adel, welcher mit dem Bürgerstande seit vielen Jahren im Streite lag, sich 1795 dem russischen Scepter unterwarf u. der Herzog Peter von Kurland (ein Sohn Birons), welcher keine männlichen Erben hatte, seine Rechte abtrat, wurde dem R. R. einverleibt. An dem Französischen Revolutionskriege nahm Rußland während Katharinas Regierung keinen Antheil, sondern beschränkte sich darauf den mit Frankreich geschlossenen Handelsvertrag auszuheben, dagegen begann es 1796 einen Krieg mit Persien zur Vertheidigung der Rechte des Prinzen Heraklius von Georgien u. sandte ein Heer unter Subow, um die Provinzen zunächst dem Kaspischen Meere zu erobern. Das Ende dieses Krieges erlebte Katharina II. nicht mehr; sie starb den 17. Nov. 1796. Während ihrer Regierung war Rußland über 10,000 QM. vergrößert worden. Außer den St. Georgsorden stiftete sie auch 1782 den St. Wladimirorden. Bedeutenden Einfluß auf Katharinas II. Regierung hatten ihre Günstlinge, bis 1774 war Gregor Orlow von mächtigem Einfluß, von da an war es Potemkin bis an seinen Tod (1791) u. nach ihm Subow.

Paul I., der einzige Sohn u. Nachfolger Katharinas II. von Peter III., war bei Lebzeiten seiner Mutter von aller Theilnahme an den Staatsgeschäften entfernt u. in einer Beschränkung gehalten worden, welche nachtheilig auf seinen Charakter einwirkte. Er bestrafte zuerst die an dem Tode seines Vaters hauptsächlich Betheiligten mit Verbannung, begnadigte dagegen viele wegen politischer Meinung nach Sibirien Exilirte u. entließ die Gefangenen, welche noch nach der Polnischen Revolution in russischer Haft waren, unter andern Kosciuszko. Den Subsidienvertrag mit England löste er auf u. ließ die von Katharina II. befohlene Aushebung der Recruten einstellen, da er den Staat in keinen neuen Krieg verwickeln wollte. Durch ein Thronfolgegesetz vom 16. April 1797 bestimmte er das Recht der Erstgeburt in der männlichen Linie, nur im Fall die männliche ausstürbe, sollte die weibliche succediren. Darauf erfolgten vielfache u. durchgreifende Veränderungen, die meisten von seiner Mutter getroffenen Einrichtungen wurden aufgehoben u. viele bei ihr angesehene Beamte entfernt, dagegen andere, in Ungnade gewesene, angestellt. Die Garderegimenter verloren die meisten ihrer Vorrechte, die Söhne vornehmer Adeliger den Vorzug schon im Knabenalter Offizierstellen bekleiden zu können; die Uniformen u. der Garnisondienst wurde wieder auf preußischen Fuß eingerichtet u. strenge Übungen eingeführt; bei den Civilbeamten fanden scharfe Untersuchungen u., wo sich Dienstverletzungen fanden, strenge Strafen statt. Die Unzufriedenheit, welche diese Anordnungen bei Adel, Militär u. Beamten hervorriefen, blieb dem Kaiser nicht verborgen, er wurde argwöhnisch u. verordnete eine geheime Polizei, welche die Unterthanen boshaften Angaben Preis gab; eben so verschärfte er die Censur. Um die Verbreitung revolutionärer Gesinnungen vom Auslande, bes. von Frankreich her, zu verhindern, wurde allen Russen der Aufenthalt im Auslande untersagt, den Ausländern der Eintritt ins Reich erschwert u. so der Handelsverkehr beschränkt. 1798 trat Paul I., von dem französischen Directorium sich beleidigt glaubend, mit den gegen [532] Frankreich kriegführenden Mächten in Verbindung, erklärte der Französischen Republik den Krieg, vereinigte den 20. Sept. seine Flotte mit der türkischen gegen Frankreich, schloß am 29. Dec. einen neuen Subsidienvertrag mit England, stellte 1799 ein Heer von 80,000 M. unter Suworow in Italien auf u. vereinigte außerdem eine Flotte mit der englischen zu einer Expedition gegen Holland. Suworow drang nach der Schweiz vor u. ging über den St. Gotthard, wurde jedoch, durch die von seinem Untergeneral Korsakow bei Zürich verlorene Schlacht gehemmt, zum Rückzug u. zur Beziehung von Winterquartieren in Deutschland genöthigt (s.u. Französischer Revolutionskrieg S. 649). Auch mit Spanien, als Verbündetem Frankreichs, war Paul in Krieg. Erbittert über den geringen Erfolg seiner großen Anstrengungen zu diesem Kriege u. gekränkt von England, weil dieses die gemeinschaftlich im Texel weggenommene holländische Flotte für sich behielt, u. durch die Schwierigkeiten, welche ihm England, als er sich zum Großmeister des Malteserordens erklärt hatte, bei der Besitznahme Maltas in den Weg legte, u. später noch mehr durch die Pläne, welche er von Österreich auf einen Theil des Kirchenstaates u. Savoyens vermuthete: näherte er sich 1800 Frankreich, da Bonaparte ihm durch wohlberechnete Zuvorkommenheiten zu schmeicheln wußte. Er entfernte Ludwig XVIII., welchem er eine Freistätte in Mietau gewährt hatte, so wie alle in Rußland lebende französische Ausgewanderte aus seinen Staaten, untersagte den Verkauf von Schiffsbaumaterialien nach England u. rief seine Gesandten aus London u. Wien zurück. Außerdem lud er Preußen, Dänemark u. Schweden zu Erneuerung der bewaffneten Neutralität gegen England ein u. legte Beschlag auf alle englischen Schiffe in den russischen Häfen. Nur der Seekrieg, bes. im Mittelmeer, dauerte russischer Seits fort u. Korfu wurde 1800 von den Russen besetzt, wodurch sich deren Ansehn im Mittelmeer bedeutend steigerte. Das Mißlingen seiner Pläne erfüllte den Kaiser mit Unmuth, welchen er den Staatsbeamten u. selbst seiner Familie fühlen ließ; es entstand daraus ein allgemeines Mißvergnügen, in Folge dessen sich eine Verschwörung bildete, an deren Spitze Pahlen, Dubow, Bennigsen, Uwarow u. A. standen, u. dort Kaiser wurde in der Nacht vom 23. bis 24. März 1801 in seinem Schlafgemach im Michailowschen Palais in Petersburg todt gefunden.

Alexander I., Pauls ältester Sohn, verbannte sogleich, nachdem er die Huldigung empfangen hatte, alle Theilnehmer an der Verschwörung gegen seinen Vater aus Petersburg u. erklärte nach den milderen Grundsätzen seiner Großmutter Katharina II. regieren zu wollen, dann stellte er den von Peter dem Großen gestifteten dirigirenden Senat her, hob alle drückenden, die persönliche Freiheit u. den Handel seiner Unterthanen beschränkenden Verordnungen seines Vaters auf, gestattete den Ausländern den Eintritt ins Reich, gab der Garde, dem Adel, der Geistlichkeit u. den Bürgern die ihnen unter der vorigen Regierung genommenen Rechte zurück u. beschränkte freiwillig seine Macht, um unparteiisches Recht walten zu lassen. Zu dem Zweck errichtete er ein Geheimes Conseil von acht Mitgliedern, stellte die Gesetzgebungscommission wieder her, setzte damit eine Rechtsschule in Verbindung, stiftete den 20. Sept. 1801 ein Ministerium der Volksaufklärung, gründete neue od. verbesserte u. erweiterte schon bestehende Universitäten, Akademien, Gymnasien u. Schulen, errichtete Versorgungsanstalten für die Wittwen u. Waisen der Soldaten u. sicherte durch das Edict vom 24. Dec. 1801 den Freigelassenen u. Kronbauern das Eigenthumsrecht ihrer Grundstücke gegen einen Grundzins zu. Um sich der Verbesserung der inneren Regierung ungehindert widmen zu können, war er bemüht mit allen auswärtigen Mächten in friedlichen Verhältnissen zu bleiben. Mit England stellte er sogleich das gute Vernehmen her, mit Schweden schloß er am 11. Juni 1801 einen Freundschafts- u. Handelsvertrag, mit Frankreich am 8. Oct. u. mit Spanien am 5. Oct. Frieden, mit Frankreich am 4. Juni 1802 eine Convention wegen der Entschädigung deutscher Staaten für die an Frankreich abgetretenen Länder u. ordnete mit dieser Macht gemeinschaftlich Deutschlands Verhältnisse. Nur mit Persien wurde der Krieg fortgesetzt, am 9. März 1803 ein Sieg über die Lesghier erfochten, den 20. März 1804 die Schlacht bei Etschmiadzin gewonnen u. am 30. das persische Lager bei Kinagira erobert; das Treffen bei Eriwan den 15. Juli war dagegen unentschieden u. am 15. Sept. mußten die russischen Truppen sogar den Rückzug nach Grusien antreten. Dennoch behauptete sich das Übergewicht der russischen Waffenmacht, u. Georgien wurde Rußland einverleibt. Während 1804 die Universitäten Kasan u. Charkow gestiftet, Vorkehrungen zur allmäligen Aufhebung der Leibeigenschaft getroffen u. mehre Anordnungen zur Vervollkommnung der inneren Verwaltung gemacht wurden, erkaltete die Freundschaft Rußlands gegen Frankreich, da die Franzosen Hannover u. Neapel besetzt hatten u. die Anmaßungen Bonapartes täglich größer wurden, u. als Bonaparte endlich durch die Hinrichtung des Herzogs von Enghien offenbar das Völkerrecht verletzt hatte, brach Rußland förmlich mit Frankreich, trat 1805 der Coalition von England, Österreich, Schweden u. Neapel bei u. schickte drei Heere gegen Frankreich. Eins dieser sollte gemeinsam mit den Engländern in Neapel, das zweite in Nord-Deutschland, das dritte mit den Österreichern vereinigt kämpfen. Das erste u. zweite dieser Heere landeten den 20. Nov. u. 12. Oct. in Neapel u. Schwedisch Pommern, thaten aber wenig; das dritte, 80,000 M. stark, unter Kutusow u. unter den Augen Alexanders selbst focht zum Theil in Österreich. Nach der verlornen Schlacht bei Austerlitz schlossen die Russen einen Waffenstillstand u. traten den Rückzug an (vgl. Österreichisch-Russischer Krieg gegen Frankreich von 1805), setzten indessen den Krieg mit Frankreich in Dalmatien fort u. machten sich den 4. März 1806 zum Meister von Cattaro. Zwar ließ sich der russische Gesandte Oubril auf die von England gemachten Friedensvorschläge ein u. schloß am 20. Juli bereits einen Friedensvertrag, aber der Kaiser Alexander verwarf denselben am 15. Aug. u. verband sich nun mit Preußen u. erließ am 28. Nov. 1806 ein Manifest gegen Frankreich; doch die preußischen Streitkräfte waren bereits zertrümmert, als die russischen Heere an der Weichsel erschienen u., nach mehren Gefechten bei Pultusk etc., den 7. u. 8. Febr. 1807 die Schlacht von Eylau lieferten (s. Preußisch-Russischer Krieg gegen Frankreich 1806 u. 1807 S. 575 ff.). Nach der verlornen Schlacht bei Friedland wurden die Russen bis an ihre Grenzen zurückgedrängt u. Kaiser Alexander schloß am 7. Juli den Frieden zu Tilsit mit Frankreich. Rußland gab[533] die Jonischen Inseln an Frankreich zurück, trat die Herrschaft Jever an Holland ab, räumte Cattaro u. Korfu, empfing aber dagegen den Bezirk Bialystock mit 184,000 Ew. u. machte sich in einem geheimen Artikel verbindlich dem Continentalsystem beizutreten u. den englischen Schiffen seine Häfen zu verschließen. Noch vor Ausbruch dieses Krieges waren im Osten Derbend u. Schirwan den Persern von den Russen abgenommen worden. Als Frankreich gegen Rußland in den Kampf trat, hatte Ersteres die Türken zu einem Kriege gegen Rußland bewogen. Rußland kam der türkischen Kriegserklärung zuvor, ein russisches Heer überschritt den Dniestr, besetzte die Moldau u. Walachei, eroberte bis zum 20. Nov. Choczim, Bender, Jassy u. Bucharest u. gewann dann am 18. Juni 1807 die Landschlacht bei Arbatschai u. am 1. Juli die Seeschlacht bei Lemnus. Am 24. Aug. wurde zwar ein Waffenstillstand zu Slobosia auf zwei Jahre geschlossen, ein Friede kam aber nicht zu Stande, da Rußland die Moldau u. Walachei nicht zurückgeben wollte. Durch den Beitritt zum Continentalsystem wurde nun Rußland in einen Krieg mit England u. Schweden verwickelt. Die Angriffe der Engländer gegen Dänemark veranlaßten die russische Kriegserklärung den 28. Oct. 1807. Von russischer Seite konnte aber den Engländern kein Schade zugefügt werden, dagegen mußte sich eine russische Flotte von neun Kriegsschiffen u. einer Fregatte unter Admiral Siniäwin in dem Hafen von Lissabon an die Engländer ergeben u. in der Ostsee wurde die russische Flotte von der englischen in den Häfen blockirt. Gegen Schweden hatten die russischen Waffen einen glücklicheren Erfolg; da nach einem geheimen Artikel des Tilsiter Friedens Frankreich sich der Eroberung Finnlands nicht widersetzen wollte, so drang Buxhöwden am 21. Febr. 1808 mit einem Heer in Finnland ein u. eroberte diese ganze Provinz nebst Ostbothnien u. einem Theil der Ålandsinseln, worauf Rußland zu Folge der Convention zu Olkioski vom 19. Nov. u. durch den Frieden zu Frederikshamm am 17. Sept. 1809 Finnland, die Ålandinseln u. Ostbothnien bis Torneå abgetreten erhielt, somit eine Vergrößerung von 5472 QM. mit 898,500 Menschen gewann. 1808 hatte eine Zusammenkunft Alexanders mit Napoleon in Erfurt Statt, wo Napoleon sich der Hülfe Rußlands im Fall eines ausbrechenden Krieges mit Österreich versicherte u. Rußland bei dem Continentalsystem erhielt. Wirklich trat auch Rußland 1809 als Frankreichs Bundesgenosse gegen Österreich auf, u. obgleich das russische Heer wenig Theil an dem Kampfe nahm, so mußte Österreich doch den Tarnopoler Kreis von Westgalizien mit einer Bevölkerung von 400,000 Menschen an Rußland abtreten (welchen es aber am 12. April 1815 vertragsmäßig an Österreich zurückgab). Nach Ablauf des Waffenstillstandes wurde der Krieg mit den Türken u. Persern fortgesetzt; am 26. Sept. 1809 eroberten die Russen Ismail, am 1. Juni 1810 Rasgrad u. am 11. Silistria, am 23. gewannen sie die Schlacht bei Schumla, erlitten aber am 23. Juli eine Niederlage bei Karkali Dere; dagegen eroberten sie die Donauverschanzungen am 7. Sept., Aidowo den 15., Rustschuk u. Giurgewo den 27. Sept., am 17. Sept. das persisch-türkische Lager bei Ätolkalaki u. am 27. Oct. Nikopolis. Noch erlitten sie am 5. Juli eine Schlappe bei Rustschuk, erstürmten dagegen das dortige türkische Lager am 14. Oct. Am 28. Mai 1812 wurde endlich durch Englands Einfluß der Krieg mit den Türken durch den Frieden zu Bucharest geendigt. In diesem Frieden behielt zwar Rußland die einverleibten Provinzen am Schwarzen u. Kaspischen Meere, von der Moldau u. Walachei aber nur den jenseit des Pruth gelegenen Theil mit den Festungen Choczim, Bender, Akjerman, Kilia u. Ismail. Mit Persien wurde gleichzeitig ein Waffenstillstand geschlossen, welchem 1814 der Friede zu Tiflis folgte. Außerdem wurde Rußland ein Schutzrecht über die türkisch gebliebene Moldau u. Walachei eingeräumt u. die dadurch entstehenden Verhältnisse genau bestimmt.

Die Pforte erhielt nur deshalb einen so vortheilhaften Frieden, weil die Abschließung desselben im Interesse Rußlands wegen des mit Frankreich ausgebrochenen Krieges lag. Da bei der strengen Handelssperre gegen England Rußlands Handel ungemein litt u. seine Finanzen in Verfall geriethen, u. die Sperre daher nicht mit aller Strenge durchgesetzt werden konnte, so nahm Frankreich davon Anlaß zu Beschwerden; dagegen hatte Napoleon dem Herzog von Oldenburg 1810 sein Land genommen, wodurch er den Kaiser Alexander als Chef des Hauses Oldenburg verletzte, u. sich vertragswidrig Eingriffe in die Rechte unabhängiger, mit Rußland befreundeter Staaten erlaubt. Deshalb nahm das friedliche Verhältniß zwischen beiden Mächten ein Ende u. sie rüsteten sich beide mit größter Anstrengung. Rußland schloß den 24. März 1812 ein Bündniß mit Schweden, u. Napoleon, welcher beinahe alle Staaten des Festlandes von Europa in seinem Bunde hatte, rückte im Frühjahr 1812 mit einem Heere von 595,000 M. gegen Rußlands Grenzen; mit dem Überschreiten des Niemen durch französische Truppen den 24. Juni 1812 begann der Krieg Frankreichs gegen Rußland von 1812. Das russische Heer zog sich fechtend in das Innere des Landes, um seinen Hülfsquellen näher zu sein; daher fand Napoleon wenig Widerstand u. konnte, nur einmal durch die Schlacht von Smolensk aufgehalten, schnell vordringen, bis endlich die Schlacht an der Moskwa geschlagen wurde u. die Besetzung Moskaus im September den ersten Theil dieses Krieges endigte. Als aber Moskau 14.–21. Sept. in Flammen aufging u. Napoleon sich am 18. Oct. durch Mangel u. den herannahenden Winter bedrängt zum Rückzug entschließen mußte, fand der größte Theil des französischen Heeres auf Rußlands Boden sein Grab; darüber s.u. Russisch-Deutscher Krieg von 1812–15. Die Russen drangen dann über die Oder u. führten im Bunde mit Preußen u. Österreich 1813 den großen Befreiungskrieg in Deutschland u. 1814 in Frankreich; s. ebendort. Rußland trug in diesem Kriege unter allen europäischen Mächten den größten Vortheil davon, da es weder Länderabtretungen hatte machen, noch Kriegscontributionen zahlen müssen, u. machte sich nun als tonangebende Macht geltend; dazu kam ihm der zu Gulistan geschlossene u. zu Tiflis am 26. Sept. 1814 ratificirte Friede mit Persien, wodurch Rußland von den Persern Daghestan u. Schirwan am Kaspischen Meere erhielt, sehr zu Statten. Bei dem Wiener Congreß bekam der Kaiser Alexander den größten Theil des Herzogthums Warschau als erbliches, zwar für sich bestehendes, doch für immer mit Rußland verbundenes Königreich Polen (s.d.), u. Rußland erhielt durch dies Arrangement nicht nur ansehnlichen Gebietszuwachs, sondern auch eine vortheilhafte [534] Stellung gegen den Westen von Europa. An dem durch die Rückkehr Napoleons von Elba entstehenden Kriege 1815 nahm Rußland nicht Theil, da derselbe bereits beendigt war, ehe die russischen Truppen, trotz ihrer Eilmärsche, auf dem Kriegsschauplatz ankamen. Alexanders Wunsch, den Frieden in Europa zu erhalten, war mit ein Grund zu der 1815 von ihm gestifteten Heiligen Allianz (s.d.); auch bedurfte Rußland dringend des Friedens, denn die Finanzen des Reiches waren gestört, mehre Provinzen u. Moskau lagen noch verwüstet da u. die umfassenden Plane des Kaisers, die Verwaltung des Reiches zu vervollkommnen u. den Culturzustand seiner Völker zu verbessern, waren nur in Friedenszeiten ausführbar. Bald erstanden nun die durch den Krieg eingeäscherten Ortschaften aus dem Schutt, dann wurde der Anbau wüster Landstrecken in Bessarabien u. den Kaukasischen Ländern durch deutsche Colonisten seit 1817 betrieben, die bürgerlichen Verhältnisse geregelt u. Vorkehruugen zur ällmäligen Aufhebung der Leibeigenschaft getroffen, welche in Kurland, Livland, Esthland 1817–1820 ins Leben trat, auf andere Provinzen aber nicht übertragen wurde, nur der Verkauf der Leibeigenen ohne die Güter wurde 1823 untersagt. Der Landbau erhielt durch die 1819 in Moskau gestiftete Landwirtschaftsgesellschaft u. durch die von derselben errichtet Landbauschule großen Vorschub, die Schafzucht durch Ankauf veredelter Heerden u. Anlegung von Wollenwaarenfabriken auf Kosten der Regierung Ermunterung; mit dem Weinbau wurden in Rußland die glücklichsten Versuche gemacht, die dem Bergbau gewidmete Aufmerksamkeit gab eine alle Erwartung übersteigende Ausbeute u. bes. brachten die Goldwäschereien am Ural reichen Gewinn; die Fabriken mehrten sich jedes Jahr, u. wiewohl sie ihren Flor hauptsächlich durch Verbote der Einfuhr gewannen, so erweiterte sich derselbe doch jährlich. 1817 wurde das Ministerium der Volksaufklärung mit dem der Geistlichen Angelegenheiten verbunden u. 1819 das Polizeiministerium aufgehoben u. die Polizeiverwaltung mit dem Ministerium des Innern vereinigt. Seit 1821 nahm der Kaiser den Vorsitz in allen hohen Reichscollegien. Religiöse Duldung wurde geübt, dagegen den Jesuiten wegen Proselytenmiacherei schon 1816 der Aufenthalt im Reiche vorboten u. dieses Verbot 1820 mit Einziehung ihrer Güter geschärft. Während der Regierung des Kaisers Alexander wurden 5 Universitäten, 50 Gymnasien, 100 Kreisschulen u. eine große Menge Volksschulen gestiftet u. viele gelehrte u. Kunstbildungsanstalten ins Leben gerufen; die Protestantischen u. schon 1819 wurde ein lutherischer Bischof eingesetzt u. ein evangelisches Reichsgeneralconsistorium in Petersburg errichtet. Die Union der beiden evangelischen Glaubensparteien erfolgten theilweis 1820. Große Thätigkeit äußerten die zahlreichen Bibelgesellschaften in Rußland; sie erfreuten sich lange der Begünstigung des Kaisers, wurden jedoch später untersagt, da sie zum Deckmantel geheimer Gesellschaften gemißbraucht worden waren. In den verschiedenen Statthalterschaften wurden zu Folge eines Befehls vom 26. April 1826 Kornmagazine angelegt, um Theuerung u. Hungersnoth zu verhindern. Obgleich der Kaiser gegen Polen sehr liberal war u. diesem Lande sogar eine Constitution gab, ward er doch verstimmt durch das Widerstreben des polnischen Reichstags u. mehre Verschwörungen, welche dort entdeckt wurden, u. er wurde nun zurückhaltend in Zugeständnissen. Überhaupt neigte er sich in den letzten Jahren, immer ernster werdend, mehr u. mehr den strengeren religiösen Ansichten u. Übungen zu, denen er von jeher geneigt gewesen war u. worin er von Frau von Krüdener (s.d.) bes. beeinflußt u. bestärkt wurde. Die Censur wurde von 1818 an mit großer Strenge geübt u. bes. auch die Einbringung ausländischer Schriften genau beaufsichtigt; die Polizei war ungemein wachsam. Die Regierung nahm die Veranlassung dazu von den Angriffen der deutschen Presse auf Stourdza (s.d.) wegen dessen, bes. die deutschen Universitäten denuncirenden Memoire sur l'etat actuel de l'Allemagne, sowie auf Kotzebue wegen der demselben Schuld gegebenen Auskundschaftung deutscher Verhältnisse, u. endlich von der Erdolchung desselben durch Sand, u. sie trat nun im Inland wie im Ausland auf das entschiedenste gegen die Demagogischen Umtriebe auf. Auf mehren russischen Universitäten wurden Untersuchungen gegen die Professoren verfügt u. zu Wilna 1823 eine Menge Studirender eingekerkert od. verwiesen; 1822 hob ein kaiserliches Verbot alle Freimaurerlogen, alle Betversammlungen u. alle Missionsgesellschaften im Reiche auf. Gleich darauf wurden geheime Verbindungen unter dem Militär zur Anzeige gebracht. An der Vervollständigung der Gesetzgebung wurde seit 1815 mit großer Thätigkeit gearbeitet, doch immer konnte noch kein vollständiges Gesetzbuch zu Stande gebracht werden; indeß wurden 1822 mehre zu harte Strafgesetze gemildert. Auch bei dem Kriegswesen erfolgten Veränderungen u. Verbesserungen, namentlich wurden 1819 die Militärcolonien (s.d.) gegründet, wodurch die leichtere Unterhaltung u. Ergänzung des Heeres bezweckt wurde. Durch Einschränkungen wurde es dahin gebracht, daß vom Jahre 1823 jährlich 18 Mill. Papierrubel in Friedenszeiten bei den Kriegsausgaben erspart wurden. Gegen das Ausland zeigte sich der Einfluß des Kaisers auf den Congressen zu Aachen, Karlsbad, Troppau, Laibach u. Verona. Von der großen Abneigung Alexanders gegen den Krieg zeugte sein Benehmen gegen die Pforte, welche ihm durch Nichterfüllung des Friedensvertrags von Bucharest, durch Verletzung der bestehenden Verträge über die Moldau u. Walachei, durch Beleidigung seines Gesandten Gregor Stroganow (welcher deshalb Constantinopel verließ), sogar durch Beschlagnahme russischer Schiffe genug Anlaß zum Krieg gab. Selbst aus dem Aufstand der Griechen 1821 gegen die Türken nahm er keine Gelegenheit zum Kriege gegen die Türkei, welchen alle Stände in Rußland dringend wünschten, vielmehr zog er den Weg der Unterhandlungen vor, ließ die Griechen (welche als Rebellen beim russischen Hof eben nicht in Gunst waren) ohne Unterstützung u. nahm in Folge einer persönlichen Zusammenkunft mit dem Kaiser Franz von Österreich in Czernowitz 6.–11. Oct. 1823 die Vermittelung der anderen europäischen Großmächte an, u. nach Unterhandlungen Metternichs u. Nesselrode's deshalb in Lemberg, erschien im Dec. 1824 ein neuer russischer Botschafter in Constantinopel. Überhaupt zeigte sich das russische Cabinet den revolutionären Bewegungen in Spanien, Portugal, Neapel u. Piemont abhold u. stimmte für energische Maßregeln zur Unterdrückung derselben. Zu dieser Zeit erfolgte[535] die Besitznahme der Nordwestküste von Amerika, nicht ohne Mißfallen Großbritanniens u. der Vereinigten Staaten von Nordamerika, dann auch die Aufnahme sieben kirgisischer u. kalmückischer Horden, welche sich der chinesischen Oberhoheit entzogen u. sich 1823 der russischen unterwarfen. Am 1. Dec. 1825 starb Kaiser Alexander zu Taganrog in der Krim.

Alexanders Tod veranlaßte den Ausbruch einer, durch ganz Rußland vorbereiteten Verschwörung, welche an 50,000 Wissende umfaßte u. deren Zweck nach dem Sturz des regierenden Hauses die Beseitigung der autokratischen u. die Einführung einer constitutionellen Regierungsform mit Beimischung republikanischer Elemente unter den hervorragenden Führern derselben war. An der Spitze der Verschwornen standen der Fürst Trubetzkoi, der Oberstlieutenant Murawiew-Apostol, der Zeitungsschreiber Rylejew, Bestuschew-Rjumin, Kapowski u. der Oberst Pestel; es war früher auf den Kaiser Alexander abgesehen gewesen, welcher bei einer Musterung im Mai 1826 ermordet u. dann die Plane der Verschwörer ins Werk gesetzt werden sollten. Da Alexander keine Kinder hatte, so war nach dem Erbrecht sein älterer Bruder, der Großfürst Constantin, der rechtmäßige Thronfolger, allein dieser hatte, wie jetzt bekannt wurde, durch eine freiwillige Verzichtleistung am 14. Jan. 1822, mit Zustimmung des Kaisers Alexander, das Erbfolgerecht an seinen jüngern Bruder Nikolas abgetreten. Diesen Vorgang stellten nun die Verschwornen so dar, als ob der Großfürst Constantin von seinem jüngeren Bruder mit Gewalt aus der Thronfolge verdrängt worden sei. Einige Gardeabtheilungen in Petersburg standen am 26. December 1825 gegen den Kaiser Nikolas auf; Pöbel gesellte sich zu ihnen, u. es entstand ein Tumult, bei welchem der General Miloradowitsch blieb u. welcher nur durch den Heldenmuth des Kaisers u. des ihm treu gebliebenen Theils der Garde nach großem Blutvergießen gedämpft wurde. Nur Murawiew-Apostol machte noch in Kiew mit einem Theil des Regiments Tschernigow einen Versuch zur Rebellion, welcher aber mit Waffengewalt unterdrückt wurde. Eine Untersuchungsbehörde zur Ermittelung dieser Verbrechen entdeckte zugleich viele Mißbräuche u. Unterschleife während der Regierung Alexanders. Kaiser Nikolas ergriff sogleich energische Maßregeln zur Bestrafung der Verbrecher; die Rädelsführer u. Kapowski, welcher Miloradowitsch erschossen hatte, wurden im August gehängt, Trubetzkoi (auf Fürbitte seiner Gemahlin vom Tode gerettet) nebst 84 andern (unter ihnen der Dichter Bestuschew) nach Sibirien verbannt, wo sie aber nach u. nach begnadigt wurden; die Gardeabtheilungen, welche zur Empörung mitgewirkt hatten, gegen die Bergvölker des Kaukasus u. gegen Persien gesendet. Aber auch zur Abstellung der aufgefundenen Mißbräuche wurden Maßregeln ergriffen, eine große Menge untreuer Beamten abgesetzt, eine genauere Controle der öffentlichen Einnahmen u. Ausgaben eingeführt u. die Ausgaben des Staates gleich zu Anfang um 67 Mill. Rubel Papier vermindert, die Gesetzgebungscommission zur Beschleunigung ihrer Arbeiten angetrieben. Die Meuterei der Militärcolonie der Grenadiere bei Nowgorod, in denen sich eine bedenkliche Mißstimmung offenbart hatte, wurde durch die Energie des Kaisers im Entstehen unterdrückt, u. sie erhielten verbesserte Statuten u. Erleichterungen des Dienstes. Am 3. Sept. 1826 ließ sich Kaiser Nikolas mit seiner Gemahlin Alexandra zu Moskau krönen. In allen Zweigen der Verwaltung erfolgten nun durchgreifende Reformen, namentlich die neue Organisirung des Minister-Conseils, die Hülfsgerichtshöfe zu Beendigung verzögerter Processe u. die zweckmäßigere Organisation der Criminaljustiz. Für den gelehrten u. den Volksunterricht wurden feste Vorschriften erlassen.

Im Jahr 1826 wurde Rußland in Krieg mit Persien verwickelt. Sobald die Nachricht von dem Tode des Kaisers Alexander u. von der Empörung gegen den neuen Kaiser erscholl, fiel der Kronprinz Abbas-Mirza mit 30,000 M. in das Russische Gebiet ein u. drang bis Jelisawetpol vor. Der russische Statthalter Yermolow zog Truppen aus Georgien herbei u. lieferte den Persern am 14. September ein Treffen, zwang sie Jelisawetpol zu räumen u. warf sie über den Araxes zurück. Der Winter unterbrach die Feindseligkeiten. Unter dem neuen Obercommandanten Paskewitsch begann im April 1827 der Feldzug mit der Eroberung des Klosters Etschmiadzin, die Festung Sardar Abad wurde vergeblich angegriffen u. am 6. Mai ein scharfes Gefecht mit der persischen Reiterei bestanden, in welchem die Russen nur mit Mühe einige Vortheile über den Feind errangen. Entschiedenes Übergewicht erhielten aber die russischen Waffen, als es dem General Pankratiew gelang den Mekhri-Kuli Khan u. den Sultan der Schachlinen zum Abfall von Persien zu bewegen. Immer fechtend rückte das Hauptheer gegen Nachitschewan, schlug die Perser am 6. Juli, eroberte am 7. durch Capitulation die Festung Abas Adad, siegte am 30. August am Abaran u. drang darauf in die Provinz Eriwan ein, deren Bewohner sogleich von Persien abfielen. Nachdem nun die Feste Sardar Abad 1. October mit Sturm genommen worden war, schritt Paskewitsch zur Belagerung Eriwans, welcher Platz sich 13. October ergab, auch Kurtasch u. Tauris die Hauptstadt von Aserbeidschan u. Residenz Abbas-Mirzas, fielen ohne Gegenwehr, u. Abbas-Mirza bat nun um Frieden, zu welchem die Präliminarien 5. November 1826 in Tauris vertragen wurden. Persien trat an Rußland die Provinz Eriwan u. Nachitschewan ab u. zahlte 20 Mill. Rubel Kriegskosten. Da jedoch der Schah diesem Frieden die Ratification verweigerte, so ließ Paskewitsch durch Pankratiew am 15. Januar 1828 Urmia u. durch Suchtelen Ardebil nehmen, u. nun willigte der Schah im Definitivfrieden zu Turkmantschai am 22. Febr. 1828 in die Bedingungen, mußte aber statt 20 nun 80 Mill. Rubel Kriegskosten zahlen u. die Salinen von Kulpi abtreten u. den Russen große Handelsvortheile gewähren. Diese Eroberungen wurden mit Rußland unter dem Namen Armenien vereinigt. Die Verhältnisse mit der Türkei gestalteten sich immer drohender; der Vertrag von Akjerman vom 6. October 1826, worin die Pforte versprach der russischen Flagge freie Fahrt auf dem Schwarzen Meere zu gewähren u. die Verhältnisse in Serbien, in der Moldau u. Walachei auf den Fuß wie vor 1820 herzustellen, war nicht erfüllt worden, daher wurden die an der türkischen Grenze stehenden russischen Truppen auf dem Kriegsfuß gehalten u. der Aufstand der Griechen gegen die Türkei jetzt für das eigene Interesse benutzt, indem Rußland mit den andern Großmächten den 6. Juli 1827 den Vertrag zu London abschloß, nach welchem Griechenland als unabhängiger[536] Staat anerkannt u. die Pforte aufgefordert wurde binnen Monatsfrist ihre Erklärung abzugeben. Als aber keine Antwort erfolgte, so vereinigte sich zunächst die aus 3 Linienschiffen u. 4 Fregatten bestehende russische Flotte unter Heiden mit der britischen u. französischen, lief am 20. Oct. 1827 in den Busen von Navarin ein u. vernichtete die dort liegende ägyptisch-türkische Flotte (s.u. Griechischer Freiheitskampf S. 625). Darauf überschritt das russische Heer unter Wittgenstein am 7. Mai 1828 den Pruth, besetzte die Moldau u. Walachei, belagerte u. eroberte Braila u. rückte dann nach mehren Kämpfen vor Varna, welcher Platz erst nach beträchtlichem Verlust durch Capitulation genommen ward, dagegen mußte die Belagerung von Silistria, Giurgewo u. Schumla wegen des nahenden Winters aufgehoben werden u. die Russen sich über die Donau in die Winterquartiere zurückziehen. 1829 rückte Diebitsch, welcher an Wittgensteins Stelle das Obercommando erhalten hatte, vor Schumla, wo er den Großvezier eine Zeit lang beobachtete, ging nach der Schlacht bei Madara über den Balkan, bestand mehre glückliche Gefechte u. erreichte Adrianopel, von wo aus er Constantinopel bedrohte. Inzwischen hatte Paskewitsch 1828 in Asien bedeutende Eroberungen gemacht, 1829 zersprengte er die Heere zweier Paschas, eroberte später nach mehren glücklichen Schlachten auch Erzerum u. machte beträchtliche Fortschritte gegen den Pascha von Trapezunt. Die Einnahme von Adrianopel u. die Bedrohung Constantinopels machten den Sultan nachgiebiger, u. durch preußische Vermittelung kam am 14. September 1829 der Friede zu Adrianopel zu Stande. Rußland gab alle Eroberungen, bis auf einen Theil des Paschaliks Achalzik (Poti, Achalkalaki u. Anapa) zurück, dagegen erhielt es Handelsfreiheit für seine Unterthanen im ganzen Türkischen Reiche u. freie Schifffahrt für alle Nationen auf dem Schwarzen Meere; der Vertrag von Akjerman u. die Zurückgabe der 6 serbischen Districte an den serbischen Fürsten Milosch sollte sogleich in Vollziehung gesetzt werden, die Pforte 10 Mill. Ducaten Kriegskosten u. 11/2 Mill. für die Verluste der russischen Kaufleute bezahlen. Bis zum Abtragen dieser Schuld blieb die Moldau u. Walachei, wiewohl unter eigenen Hospodaren, von Russen besetzt. In Persien wurde 12. Februar 1830 der russische Gesandte Gripojetow bei einem Volksauflaufe zu Teheran ermordet, u. die Bevölkerung dieser Stadt forderte mit Ungestüm den Krieg gegen Rußland; aber der Schah sandte den Thronfolger Abbas-Mirza zum Kaiser Nikolas, um ihn zu versöhnen. Er erreichte seinen Zweck u. erhielt überdies noch einen Erlaß von 12 Mill. Rubel Kriegssteuer.

Unterdessen war im Innern eine Generalcontrole der Ministerien u. des Senats unter eigener Aufsicht des Kaisers, u. eine Controle des Rechnungswesens organisirt worden, um willkürlichen Verschleuderungen vorzubeugen. Zur Belebung des Handels war ein eigenes Comité niedergesetzt, welches aber nur eine geringe Wirksamkeit äußern konnte, da zu Gunsten der Fabriken die Handelszölle erhöht wurden. Mehr wurde für den Landbau gethan; der Kaiser Nikolas errichtete bei Saratow Landwirthschaftsschulen u. gab den Gutsbesitzern der Ostseeprovinzen beträchtliche Vorschüsse zur Veredlung der Schafzucht; auch errichtete er Erziehungsanstalten für die Nomadenvölker; dagegen erließ er ein neues geschärftes Censuredict u. verfügte mehre Beschränkungen des Unterrichts in den philosophischen Wissenschaften. Die Provinz Kaukasien wurde 1827 neu organisirt. Am 17. Mai 1830 ließ sich der Kaiser in Warschau auch zum König von Polen krönen. Die große Kunststraße von Petersburg nach Moskau wurde beendigt; die Grabung des Kanals zur Verbindung der Wolga mit der Moskwa fortgesetzt, eine Synode zur Entwerfung eines Reglements für die Evangelische Kirche am 17. October eröffnet u. am 4. Nov. in Petersburg ein Handelsconseil errichtet.

Die Julirevolution in Frankreich zog auch Rußlands Aufmerksamkeit auf sich. Kaiser Nikolas hatte schon die Schritte Karls X. u. Polignacs gegen die französische Constitution gemißbilligt u. er erkannte die Erhebung Louis Philipps auf den französischen Thron an. In Folge der Französischen Revolution brach am 29. Novbr. in Warschau ein Aufstand gegen die russische Herrschaft aus, worauf der Großfürst Constantin die Stadt verließ u. nach vergeblicher Unterhandlung es im Februar 1831 zum offenen Kampfe kam. Die Russen rückten unter Diebitsch in Polen ein, konnten aber nach der Schlacht bei Grochow u. einigen vergeblichen Versuchen oberhalb Warschau über die Weichsel zu gehen, nicht jenseit dieses Flusses vordringen. Dagegen insurgirten die Polen mehre Districte in Volhynien, Lithauen u. Schamaiten. Uneinigkeit schwächte sie jedoch u. trotz mehrer günstiger Gefechte mißlangen ihre Versuche den lithauischen Insurgenten Hülfe zu bringen, u. auf dem Rückzug von der lithauischen Grenze wurde die für die Polen nachtheilige Schlacht bei Ostrolenka geliefert. Nachdem Diebitsch an der Cholera, welche seit 1830 im Innern u. im Westen Rußlands wüthete, gestorben war, erhielt Paskewitsch das Commando, er ging unterhalb Warschau über die Weichsel u. nahm Warschau durch Capitulation am 7. Septbr. 1831 (s.u. Polnischer Insurrectionskrieg S. 287 ff.). Kaiser Nikolas, durch diesen Aufstand der Polen u. durch deren Erklärung, daß das Haus Romanow unfähig sei in Polen ferner zu regieren, schwer verletzt, verfuhr mit Strenge gegen Polen u. hob am 26. Febr. 1832 durch das Organische Statut die bisherige polnische Constitution auf u. vereinigte Polen nun gänzlich mit Rußland; auch keine polnische Armee sollte ferner bestehen, sondern die militärpflichtigen Polen in russische Regimenter eingereiht werden (s.u. Polen S. 266). Nach Unterwerfung der Polen zeigte sich Kaiser Nikolas fortwährend der Erhaltung des europäischen Friedens geneigt u. ließ in diesem Sinne bei den Londoner Conferenzen 1831 für die Anerkennung Belgiens stimmen. Als 1832 die Pforte von dem Vicekönig von Ägypten bekriegt wurde, half Rußland den Türken im Febr. 1833 mit einer Schiffsdivision unter Lazarew u. einem Corps von 16,000 Mann unter Murawiew, welche sich, Constantinopel deckend, zu Bujukdere in der Asiatischen Türkei aufstellten, während sich zugleich ein Hülfsheer den Donaugegenden näherte. Dadurch wurden die Ägyptier zum Frieden genöthigt, u. darauf schloß die Pforte, dankbar für die geleistete Hülfe, am 8. Juli 1833 die Defensivallianz zu Hunkiar-Skelessi mit Rußland, wodurch sie die bisherigen Verträge bestätigte u. dem Kaiser von Rußland versprach den Flotten fremder Mächte, mit denen etwa Rußland in Krieg käme, die Dardanellen zu verschließen, wogegen Rußland sich verpflichtete[537] im Fall eines Krieges stets der Pforte beizustehen. Sogleich regte sich die Eifersucht Englands u. Frankreichs, u. beide Mächte gaben Noten in Constantinopel u. Petersburg ein, welche auf die möglichen Folgen dieses Vertrags aufmerksam machten; daher wurde der Vertrag von Hunkiar-Skelessi 1837 nach dessen Ablauf nicht erneuert. Bereits 1830 hatte Rußland der Pforte von der im Frieden von Adrianopel stipulirten Kriegscontribution von 10 Mill. Ducaten, bis zu deren Abzahlung die Moldau u. Walachei besetzt bleiben sollten, 3 Mill. erlassen, 1834 wurden noch 2 Mill. erlassen, wogegen Achalzik vollends an Rußland abgetreten wurde; nun verließen die russischen Truppen beide Fürstenthümer, nur Silistria blieb bis zu völliger Lösung der Verbindlichkeiten von Rußland besetzt. Mehre Versuche polnischer Verbannter sich über die russische Grenze einzuschleichen u. andere Anzeigen hatten schon früher den Verdacht erregt, daß die Entschiedensten der polnischen Emigration Complotte gegen das Leben des Kaisers geschmiedet hätten; strenge Untersuchungen im Innern von Rußland u. Polen waren die Folge hiervon, welche bes. in Wilna 1838–39 gegen Koinarski u. seine Gefährten sehr ernstlich geführt wurden u. mit Koinarski's Todes- u. mehrern Verbannungsurtheilen u. der Schließung der Universität Kiew auf ein Jahr endigten. Auch nahm Rußland an der vorübergehenden Besetzung Krakaus, wo der Herd der Unzufriedenheit u. der Intrigue war, im Februar 1836 in Verbindung mit Österreich u. Preußen Theil (s.u. Krakau). Seit 1837 gab der Kaiser Nikolas den Polen Zeichen seiner rückkehrenden Gnade, so wurde die Grenzsperre zwischen Rußland u. Polen versuchsweise aufgehoben u. 1842 selbst ein Senat wieder für Polen eingeführt (s.u. Polen).

Auf allen Punkten des R-n R-s hatte der Friede von Adrianopel u. die Bezwingung der Polnischen Insurrection den Frieden hergestellt, nur in Kaukasien nicht, dessen kriegerische Bergvölker (im gewöhnlichen Leben Tscherkessen [s.d.] genannt) zum Theil bisher dem Namen nach der Pforte od. Persien unterworfen, in der That aber fast gänzlich unabhängig gewesen waren u., als sie durch die Frieden von Tiflis u. Türkmanschai von Persien u. durch den von Adrianopel u. spätere Verträge von der Pforte an Rußland abgetreten wurden, den Russen in den dortigen Gegenden den entschiedensten Widerstand entgegensetzten. Die Russen, welche zu schwach waren jene Gebirgspässe zu überwältigen, temporisirten, u. es entspann sich ein langwieriger kleiner Krieg zwischen den Tscherkessen u. Russen. Bereits 1826 waren nach dem Petersburger Militäraufstand die Schuldigen der Garde dahin geschickt u. auch später manche Entsendungen dahin gemacht worden; als aber der Polnische Krieg geendet war, beschloß Kaiser Nikolas die Sache ernstlicher anzugreifen u. schickte bedeutende Truppenmassen nach dem Süden. Schon 1833 war das Heer in Ciskaukasien 80,000 Mann stark u. eben so stark in Transkaukasien. Jenes sollte die Bergvölker abhalten in das bereits unterworfene Gebiet herabzusteigen u. es zu verwüsten, zugleich aber dieses in seinen Offensivoperationen unterstützen. Aber die Anstrengungen der Russen blieben erfolglos; zwar versuchten sie unermüdet durch die steilen Gebirgspässe vorzudringen, allein die Bergvölker zogen sich tapfer fechtend in das Hochgebirge zurück, u. die Russen vermochten nicht ihnen zu folgen. Auch die Forts, welche die Russen am Ausgang der Pässe u. bes. am Meere für 800 bis 1500 Mann anlegten, um die Debouchées zu schließen u. die Zufuhr von Kriegsbedarf zu hindern, eroberten die Tscherkessen u. zerstörten einige, wenn sich die Hauptmassen der Russen entfernt hatten. Vergebens ging Kaiser Nikolas 1837 persönlich nach Kaukasien, vergebens war der öftere Wechsel der Obercommandanten, der Krieg blieb ohne Resultat (s.u. Tscherkessenkrieg).

Aus der Größe Rußlands, seinem immerwährenden Fortschreiten, seinem Einfluß in der Türkei, der Besetzung Krakaus, der Collision mit England an Kaukasiens Küsten wegen der Waffen- u. Munitionslieferungen an die Tscherkessen u. der Strenge, womit es über Polen waltete, nahmen die Landesvertretungen u. die Presse in Frankreich u. England Gelegenheit, um ihre Regierungen zu Interventionen gegen die russische Politik aufzufordern. Aber das Benehmen des französischen u. britischen Cabinets blieb vorsichtig. Der Eifersucht Englands gegen Rußland gab bes. der Orient neue Nahrung, u. wirklich schwächte der Handelsvertrag Englands mit der Pforte das Ansehen Rußlands dort in etwas, dagegen strebte Rußland seine Macht in Mittelasien zu mehren, bes. durch Beihülfe Persiens, welches unter dem neuen Schah Muhammed Mirza seit 1834 den russischen Interessen ganz ergeben war, u. man sah es für eine Demonstration gegen die Briten in Indien an, daß der Schah auf den Rath des Grafen Simowitsch, russischen Gesandten in Teheran, u. unter Beirath u. Begleitung russischer Offiziere 1837 eine Expedition gegen den mit den Engländern befreundeten Schah von Herat unternahm, welche jedoch mißglückte, worauf der englische Einfluß dort in Geltung blieb u. England seine Besitzungen in Indien von dorther gegen russische Nachbarschaft gesichert sah. Als einen Versuch sich in Mittelasien festzusetzen u. einen einstigen Zug nach Indien von dieser Seite zu ermöglichen, betrachtete man auch den Zug nach Khiwa, welchen der Kaiser 1839 wegen feindseliger Gesinnung des dortigen Khans u. wegen übler Behandlung der russischen Gefangenen, durch den Generallieutenant Perowsky unternehmen ließ. Die Russen litten aber auf diesem Zuge durch Kälte u. Mangel so, daß Perowsky umkehren mußte u. mit großen Verlusten hinter de Gemba wieder anlangte (s.u. Khiwa). Die Orientalischen Angelegenheiten verwickelten sich aber nach dem Tode des Padischah Mahmuds II. 1839 u. nach der Thronbesteigung Abdul Medschids immer mehr, indem der Vicekönig von Ägypten Syrien, Adana, Cypern u. Candia nach Ansicht der fünf Großmächte der Pforte u. nach Ausspruch der Londoner Conferenz herausgeben sollte; da er sich aber deß weigerte, so sollte er durch Gewalt der Waffen dazu gezwungen werden. Aber Rußlands Flotte deckte im Mittelmeer die durch Briten, Österreicher u. Türken geschehende Einnahme von Beirut, St. Jean d'Acre etc. u. Mehemed Ali unterwarf sich nach diesen Vorfällen der Pforte. An der westlichen Grenze waren mittlerweile von Rußland so strenge Maßregeln in Bezug auf das Zoll- u. Paßwesen angeordnet u. die Grenzbewohner so beschwert worden, daß dadurch das gute Verhältniß Preußens u. Österreichs zu Rußland gestört wurde. Auch wurde die Furcht vor einem Umsichgreifen Rußlands nach Westen allgemeiner, man brachte die[538] fortwährende Vergrößerung Rußlands in allen Friedensschlüssen, die langsame aber um so beharrlichere Politik des russischen Cabinets, die Besetzung des Sulina, des fast einzig schiffbaren Arms der Donau, u. viele Umstände in Erinnerung u. hielt bes. Preußen das Schreckbild des russischen Kolosses vor, welcher sich bald der Weichsel, wo nicht der Oder als Grenze bemächtigen u. seine Suprematie auf ganz Europa ausdehnen werde. Zu dieser Mißstimmung Westeuropas gegen Rußland trugen mehre bekannt gewordene Depeschen des russischen Cabinets, welche die Stellung der deutschen Mittelstaaten unter Rußlands Protection empfahlen (s. Portfolio), so wie von Rußland ausgegangene Schriften, welche die Vertheilung der Klein- u. Mittelstaaten unter die Großmächte verlangte, (namentlich das 1842 erschienene Buch: Die europäische Pentarchie) bei, nicht weniger die Furcht vor dem hier u. da angeregten Panslawismus (s.d.), wobei man argwohnte, daß die russische Regierung ihre Hand im Spiele habe. Am 22. Septbr. 1842 erlosch der Cartellvertrag zwischen Rußland u. Preußen, vermöge dessen Deserteurs u. Militärpflichtige, welche auf dem Gebiet des andern Staats betroffen würden, ausgeliefert werden sollten. Rußland verordnete die Grenze nicht nur um so strenger zu sperren, sondern auch Übergetretene, selbst wenn sie Preußen ausliefern wolle, nicht anzunehmen. Nun erschien eine solche Menge russischer Deserteurs u. Militärpflichtiger (binnen wenigen Monaten über 6000) auf preußischem Gebiet, daß Preußen in die größte Verlegenheit kam, was es mit diesen Leuten machen sollte, u. endlich sich genöthigt sah, den Cartellvertrag 8. Mai 1844 zu erneuern. In der Moldau u. Walachei übte Rußland um diese Zeit stets den vertragsmäßigen Einfluß (s. Moldau u. Walachei), ebenso in Serbien (s.d.); auch auf die Vorfälle in Montenegro (sd.) wirkte Rußland ein.

Die ersten Regierungsjahre des Kaisers Nikolas waren unter Kriegen dahin gegangen u. hatten ihn verhindert tiefgreifende Maßregeln für das Innere zu treffen, erst nach der Niederwerfung der Polnischen Insurrection that er seit 1832 mit strenger Consequenz Alles zur Ausführung seiner großartigen Plane für die Organisationen im Inneren. Der Perser- u. Türkenkrieg, noch mehr aber die Polnische Insurrection hatten gezeigt, daß viele Mängel im Civil u. bes. im Militär beständen, deshalb regenerirte er 1833 die ganze Armee, organisirte eine active europäische Armee u. eine aus den in der Linie Ausgedienten bestehende Reservearmee u. machte alle Waffengattungen so kampffähig als möglich. Dabei suchte er Unterschleifen u. Unregelmäßigkeiten im Dienst möglichst vorzubeugen. Um die treffliche Beschaffenheit seiner Armee dem übrigen Europa recht in die Augen fallen zu lassen, stellte er außer den gewöhnlichen jährlichen Sommerlagern seiner Garden auch andere großartige Revuen an, wobei ihm Offiziere fremder Mächte willkommen waren, so 1835 die Revuen zu Kalisch u. zu Orel, 1837 die zu Woßnosensk, wo er mit 45,000 M. Cavallerie seine neuen Cavalleriemanövers praktisch zur Anschauung brachte; andere solche militärische Schauspiele waren die große Parade zur Einweihung der Alexanderssäule in Petersburg u. das große Militärerinnerungsfest bei Borodino am 7. Sept. 1839 (dem Jahrestag jener denkwürdigen Schlacht am 7. Sept. 1812) etc. Auch in Civil gestaltete er Alles in militärische Form u. nach soldatischem Schnitt. Rußland war nach des Kaisers Ansicht in seinem Culturzustand auf den Punkt gekommen, daß es selbständig, ohne od. wenigstens nur mit geringer fremder Hülfe bestehen könne, er beschloß daher, obgleich ein großer Theil seiner Umgebung u. seine einflußreichsten Minister, wie Nesselrode, Cancrin u. von Benkendorff, aus den Ostseeprovinzen od. Deutsche waren, alles Fremde so viel als möglich zu verbannen od. mit dem russischen Princip zu verschmelzen, Zu der Handelsmarine durften seit 1840 nur Russen genommen werden u. die Colonisation in Südrußland durch Deutsche wurde wenigstens nicht mehr mit dem Eifer betrieben, wie unter Alexander I., wenn gleich derselben die Regierung keine Schwierigkeit in den Weg legte. Vor Allem war es aber die Einführung Russischer Sprache u. Sitte in allen auch nicht-russischen Provinzen, wodurch die Regierung jenes Ziel erreichen wollte, weshalb in allen Schulen, selbst in den Ostseeprovinzen u. Polen, das Erlernen des Russischen zur Pflicht gemacht u. befohlen wurde, daß kein Lehrer von 1840 an mehr angestellt werde, welcher nicht seine Wissenschaft russisch vortragen könne. In derselben Absicht wurde auch die Annahme deutscher u. französischer Lehrer u. Gouvernantinnen erschwert u. Letztere zum Theil in Petersburger Erziehungsanstalten erzogene ersetzt u. von russischen Erziehern mehre nach Frankreich u. Deutschland gesendet, um sich als solche auszubilden u. später alle fremden Hauslehrer entbehrlich zu machen. Mit dieser Absicht alle Unterthanen mehr zur Einheit hinzuleiten stund auch das Streben der russischen Regierung die Wiedervereinigung der Unirten-griechischen (Griechisch-katholischen) mit der Russisch-griechischen Kirche zu bewirken in Verbindung. Schon seit 1828 war diese ernstlich im Werke gewesen u. durch mancherlei Mittel von der Regierung im Stillen begünstigt worden. Von der Synode aller griechisch-katholischen Bischöfe u. anderer Geistlichen in Polock 1839 wurde eine Deputation nach Petersburg gesendet, welche um den Wiederanschluß der Katholischen Kirche in Rußland an die Russischgriechische Kirche nachsuchte, was gern gewährt wurde; so kehrten, ungeachtet des Widerspruches des Papstes, 41/2 Mill. unirte Griechen in den Schooß der Russischen Kirche zurück, unterwarfen sich dem Heiligen Synod u. nahmen alle gottesdienstlichen Gebräuche der Russisch-griechischen Kirche an (s. Russische Kirche). Mit gleicher Consequenz wurden die herkömmlichen Rechte der Russischen Kirche aufrecht erhalten, so bes. das, daß alle Kinder aus gemischten Ehen, von denen der eine Theil der Russischen Kirche angehöre, selbst in den lutherischen Ostseeprovinzen, in dieser erzogen werden mußten. Irrthümliche Vorstellungen, welche Vortheile der zur Russischen Kirche Übergetretenen warteten, führten in den Ostseeprovinzen selbst zu Excessen. Da den armen Bauern in Livland gesagt worden war, daß es die russisch-griechischen Glaubensgenossen in Südrußland besser hätten, u. viele 1841 nach Riga kamen, um zur Russischen Kirche überzutreten u. nach Südrußland gebracht zu werden, wurden sie nur mit Mühe von dem Gouverneur verständigt u. zur Ruhe gebracht. Mit kaiserlicher Munificenz ausgestattet wurden Werke über Länder- u. Völkerkunde u. Naturgeschichte, von der Akademie der Wissenschaften in Petersburg herausgegeben, auch die russiche Nationalliteratur sehr begünstigt,[539] namentlich die Dichtkunst u. Geschichtskunde (s.u. Russische Literatur), auch viel gethan, um das russische Nationaltheater zu heben. Mit dem Streben nach nationaler Bildung des Volkes stand auch zum Theil das Erschweren der Reisen ins Ausland in Verbindung. Es wurde die Verordnung erlassen, daß kein Russe, bei Strafe der Vermögenseinziehung, über 5 Jahre im Auslande sich aufhalten dürfe, u. auch hierzu war die specielle Erlaubniß des Kaisers erforderlich. Bereits 1841 war auch die Verordnung ergangen, daß jeder ins Ausland reisende Russe während seiner Abwesenheit jedes halbe Jahr 10 Rubel zahlen solle, u. 1843 kam die Verordnung noch hinzu, daß jede ins Ausland reisende Person für den Paß 100 Rubel zu zahlen habe, blos Kaufleute waren ausgenommen u. zahlten nur 25; am 23. März 1844 folgten einige mildernde Modificationen, wornach die der Gesundheit wegen ins Ausland reisenden Civilpersonen nur 25 Rubel für den Kopf, Militärpersonen, welche wegen Krankheiten in Folge des Dienstes in auswärtige Bäder gehen, u. Kaufleute mit ihrer Dienerschaft gar nichts, u. wegen Vermehrung landwirthschaftlicher Kenntnisse ins Ausland Gehende eine geringere Taxe zahlen sollten. Um das Paschen verbotener Waaren an der Westgrenze möglichst zu vermeiden, erging am 20. April 1843 ein Ukas, welcher den längs der preußischen u. österreichischen Grenze wohnenden Juden befahl ihren Wohnort von da nach den inneren Gouvernements zu verlegen; denen, welche Häuser besaßen, wurde eine zweijährige Frist gestattet, dieselben zu verkaufen. Indeß wurde Anfangs 1845 letztere Frist weiter hinaus gerückt u. mancherlei Modificationen hierüber getroffen. Der frühere Ukas (vom 17. April 1835), welcher die Verhältnisse der Juden regeln u. bes. denen, welche sich als Ackerbau treibend ansiedeln wollten, bedeutende Vortheile gewähren sollte, wurde im Febr. 1845 aufgehoben u. die Juden den übrigen Unterthanen des R-n R-s gleichgestellt, ausgenommen waren nur die in den Ostseeprovinzen u. in Sibirien lebenden, sowie die ackerbautreibenden Juden u. die Karaiten in Taurien. Auch in den Pässen wurden die Juden mehren Beschränkungen unterworfen u. im Königreich Polen wurde, wie es im eigentlichen Rußland schon längere Zeit der Fall gewesen war, vom 1. Jan. 1844 die Militärpflichtigkeit auch auf die Juden ausgedehnt. Den Leibeigenen suchte der Kaiser fortwährend einen freieren Zustand zu verschaffen, so namentlich durch Ukas vom 2. April 1842, worin den Gutsbesitzern gestattet wurde Vergleiche mit ihren Leibeigenen zu schließen u. ihnen Eigenthum zu gewähren, ohne daß sie hierdurch frei würden, aber das Recht der Klage gegen ihren Herrn im Fall der Nichterfüllung ihrer Verträge erhielten u. daher den freien Bauern näher gerückt wurden. Für die durch Staatsdienste zum Adel gelangten Leibeigenen wurde durch Ukas vom 21. Mai 1842 bestimmt, daß sie bis ins dritte Glied keine Güter mit Leibeigenen sollten erwerben können. Den 27. Mai 1842 erfolgte durch Ukas das Verbot des Negerhandels; wer ihn doch trieb, sollte als Seeräuber bestraft werden. 1833 wurde der Swod od. das allgemeine Reichsgesetzbuch (nur für die Ostseeprovinzen nicht gültig) vollendet u. eingeführt, sowie 1840 der Militärswod ins Leben trat. In der Sorge für das Unterrichtswesen wurde der Kaiser bes. von dem Minister des Unterrichtes, Uwarow, welcher seit 1832 jährlich befriedigende Berichte über das Zunehmen der Unterrichtsanstalten abstattete, treu unterstützt; nach einem Ukas von 1837 sollte in jeder Schule nur das gelehrt werden, wozu sie bestimmt wäre u. nicht über die genau vorgeschriebene Grenze hinausgegangen werden, u. bes. die Leibeigenen nicht mehr Unterricht empfangen, als für die Trivialschulen vorgeschrieben wäre. Dagegen waren schon 1836 nächst den bereits bestehenden Ackerbauschulen, landwirthschaftliche Vorträge auf den Universitäten u. Realschulen für Landwirthschaft u. Handel angeordnet. Die Regimentsschulen waren dagegen wieder eingegangen. Die Zulassung fremder Schriften, bes. französische, wurden durch eine streng gehandhabte Censur beschränkt; für Rußland unzulässige Stellen ausländischer zugelassener Zeitschriften wurden mit Druckerschwärze überdeckt, um ihr Lesen zu hindern. Mit Sorgfalt wurde der Staatshaushalt überwacht, u. Rußlands Finanzen verbesserten sich fortwährend, so mehrte sich die Einnahme 1838 allein um 25 Mill. Rubel Papier u. die Staatsschulden verminderten sich zugleich. Eine Verordnung von 1839 ordnete die Verhältnisse von Papier u. Silber; der Silberrubel galt seit 1840 als Einheit, u. wurde auch durch neues Papiergeld, welches dem Silberrubel gleich gestellt wurde u. diesen Curs behielt, regulirt, während das alte Papiergeld den fixirten Curs von 3 Rubel 50 Kopeken = 1 Rubel Silber erhielt, s. oben S. 514. Aller Sparsamkeit ungeachtet fuhr Kaiser Nikolas fort, die ansehnlichsten Bauten u. Kunstwerke auszuführen u. unternahm neue, so wurde die Isaakskirche u. die Alexanderssäule in Petersburg vollendet, das dortige Museum u. eine steinerne Brücke über die Newa begonnen, der am 23. Dec. 1837 abgebrannte Winterpalast, die kaiserliche Residenz in Petersburg, prächtiger wieder hergestellt, die Gouvernementsstädte fast sämmtlich mit Regierungsgebäuden verschönert, mehre Chausseen gebaut, die angefangenen Kanalbauten fortgeführt u. neue unternommen, seit 1836 einzelne Eisenbahnen begonnen u. eine neue Section des Ministeriums der Wasser- u. Wegebauten u. für Eisenbahnen geschaffen, u. sowohl hierdurch, als auch durch Dampfschifffahrt zwischen den wichtigsten Punkten der Ostsee u. des Schwarzen Meeres, so wie auch im Inneren, z.B. auf dem Dniepr bei Kiew etc., die Communicationsmittel vervielfältigt u. der Verkehr begünstigt.

Um diese Unternehmungen zu beaufsichtigen u. das Militär u. Civil zu controliren, allenthalben mit eigenen Augen zu sehen, Mißbräuche u. Unterschleife wahrzunehmen u. zu bestrafen, war Kaiser Nikolas einen großen Theil des Jahres unterwegs nach den verschiedenen Theilen seines Reichs, u. zwar unternahm er diese Reisen unerwartet u. ohne daß oft seine nächsten Umgebungen von deren Plan u. Ziel etwas wußten; so reiste er 1837 nach Wosnosensk u. über Odessa, Sebastopol, an die tscherkessische Küste, über den Kaukasus, durch Grusien nach Tiflis u. Eriwan, Neu-Tscherkask u. dann über Moskau zurück nach Petersburg; Ende 1838 reiste er nach Moskau u. dem Süden, 1839 nach Moskau, 1841 nach Moskau u. Warschau, 1842 nach Kiew u. Wosnosensk u. Warschau, 1843 nach Moskau, Warschau u. dem Inneren. Meist waren solche Reisen mit großen Musterungen verbunden. Auch Reisen in das Ausland unternahm er, theils um Verwandte zu sehen, Verbindungen anzuknüpfen od. zu erhalten, über Staatsangelegenheiten Besprechungen[540] zu pflegen, sich von den politischen Zuständen zu unterrichten od. sonst für sein Reich zu sorgen; solche Reisen waren 1835 zu den Besprechungen in Teplitz, 1838 nach Deutschland bis an den Bodensee, nach Hannover, dann über Berlin u. Stettin zur See zurück u. nach Schweden etc., 1840 stand er an dem Sterbebette seines Schwiegervaters, des Königs Friedrich Wilhelm III. von Preußen, 1843 war er wieder in Deutschland, 1844 reiste er durch Norddeutschland u. den Haag nach England. Von 1845 an nahmen die Angelegenheiten im Kaukasus die Aufmerksamkeit Rußlands mehr in Anspruch. Der Krieg gegen die Tscherkessen nahm seinen ungehinderten Fortgang; Woronzow drang im Sommer 1845 bis Dargo, Schamyls Residenz, welche er zwar am 1. Aug. erstürmte, aber das russische Heer konnte sich im Gebirge nicht halten, erlitt auf dem Rückzuge große Verluste u. alle gemachte Eroberungen gingen verloren. 1846 wurde der Feldzug erneuert, um die Unterwerfung zu erzwingen, aber Schamyl wartete das Eindringen der Russen nicht ab, er fiel, zum Zweck einer Vereinigung aller Stämme, in die Kabarda ein u. überschritt am 7. Mai 1847 den Terek u. lagerte sich vor Naltschik, dem nördlichen Centralpunkte des Kaukasus; dem Andrange der russischen Truppen weichend, kehrte er in die Berge zurück, ohne daß dieselben ihm dahin folgten (s.u. Tscherkessenkrieg). Größere Vortheile als durch eine gewonnene Schlacht erlangte Woronzow durch die Aufhebung des Verbotes tscherkessische Mädchen nach Constantinopel zu verkaufen, womit ein Grund der Unzufriedenheit jener Völker gegen die russische Regierung beseitigt wurde. Schamyls Sendboten fanden jetzt weniger Gehör, auch kämpfte Fürst Bebutow noch am 28. Oct. mit Glück gegen ihn. Die hauptsächlichste Unternehmung der Russen im Jahr 1847 war gegen die Veste Ghergebil gerichtet, welche die Verbindung der russischen Macht in Süd u. Nord hinderte; dieser Zweck wurde zwar nicht erreicht, dagegen gelang es im Spätjahr die Veste Ssalty zu zerstören. Die politischen Ereignisse des Jahres 1848 veranlaßten Rußland seine Streitkräfte in Kaukasien zu verringern, doch erlitt dadurch der Krieg keine Unterbrechung. Die Bergvölker, von den Vorgängen in Europa unterrichtet, versuchten verschiedene Ausfälle, mehre unterworfene Stämme, wie die Abadsechen, welche 1845 die Waffen niedergelegt hatten, erhoben sich, u. die Russen waren mehr auf die Vertheidigung beschränkt, doch gelang ihnen im Juli die Einnahme von Ghergebil, welches geschleift u. dagegen ein Fort bei Aimiaki angelegt wurde, welches das mittlere Daghestan schützte.

Die Hauptrichtung der inneren Politik des Kaisers ging fortwährend dahin, die Bevölkerung des weiten Reiches in eine durch Sprache, Religion, Unterricht u. Sinnesweise gemeinsame Masse zu verschmelzen. Daher rührten die Angriffe gegen die Bekenner jeder anderen als der Staatsreligion. Der Römisch-Katholischen Kirche waren ihre liegenden Gründe, Zehnten u. Capitalien entzogen u. die außerordentlichen Einkünfte gestrichen worden, um sie rücksichtlich ihres Einkommens, wie die Geistlichkeit der Staatskirche, vom Staat abhängig zu machen. Die Zahl der jungen Theologen war durch Aufhebung der theologischen Seminarien von Alyka, Kraslaw, Bialystock, Zwinogrod, Mohilew u. Wilna gemindert, die katholische Mission in Transkaukasien aufgehoben u. ein Theil des niederen Adels, sowie eine beträchtliche Zahl katholischer Landleute in die inneren Provinzen übergesiedelt worden. Von dem Besuche des Kaisers in Rom den 13. Dec. 1845 versprach man sich viel, doch war das Abkommen, welches Bludow in Rom nach langen Untorhandlungen zu Stande brachte u. welchem der Kaiser am 17. Dec. 1847 seine Genehmigung ertheilte, weit entfernt den Päpstlichen Stuhl zu befriedigen. Ähnlich war das Verfahren gegen die Lutherische Kirche in den Ostseeprovinzen; die russische Geistlichkeit setzte zur Zufriedenheit der Regierung ihre Bestrebungen das lutherische Landvolk zum Übertritt zu bewegen fort u. hatte bei Livländern u. Esthen nicht geringen Erfolg, da es den evangelischen Predigern u. Gutsherren untersagt war dem entgegenzuwirken. Durch eine Verordnung im Jahr 1845 wurde den Proselyten die freie Niederlassung in den livländischen Städten bewilligt. Zeichen seiner gedrückten Lage gab der livländische Adel im Jahr 1846 in der Bitte an den Kaiser, der Staat möchte seine Besitzungen ankaufen, den Edelleuten aber die Auswanderung nach Deutschland gestattet werden, worauf einige Milderungen eintraten, so z.B. wurde die Aufnahme von Protestanten in den Schooß der Griechischen Kirche auf 6 Monate untersagt. Die weibliche Erziehung sollte nach demselben nationalen Typus geregelt werden, wie solcher für die männliche Jugend im Jahr 1844 festgestellt wurde. Eine Verordnung vom 11. Febr. 1845 stellte sie unter die Leitung eines Centralverwaltungsrathes mit dem Prinzen Peter von Oldenburg als Präsidenten an der Spitze. Um der russischen Schifffahrt die Gleichberechtigung in fremden Häfen zu erwirken, untersagte ein Ukas vom 1. Juli 1845 vom Jahr 1846 an den Schiffen solcher Staaten, mit denen Rußland nicht in Handels- u. Schifffahrtsverträgen steht, die Küstenfahrt, belegte die Einfuhr unter solcher Flagge mit einem um 50 Procent höheren Zoll u. einem Lastgelde von 1 Silberrubel für die Last beim Ein. wie beim Auslaufen. Um die Einziehung der noch umlaufenden Bancozettel zu bewirken, ordnete ein Ukas vom 8. März 1845 die Ausgabe von ferneren 9 Mill. Rubeln in Reichscreditscheinen an. Als ein Zeichen des guten Standes der russischen Finanzen sah man den vom Reichsrath gebilligten u. vom Kaiser am 12. April 1847 genehmigten Antrag des Finanzministers an, aus dem für die Einlösung der Creditbillete gegründeten Schatze 30 Mill. Rubel zum Ankauf einheimischer u. fremder Werthpapiere zu entnehmen. Von diesem Betrage wurde ein Theil zum Ankauf von 50 Mill. Francs französischer Rente (sie wurden nach Herabsetzung des Zinsfußes auf 41/2 Procent im Jahr 1852 gekündigt u. zurückgezogen) verwendet, damit die auf 115,678,595 Rubel angegebene Summe des in der Peter-Paulsfestung liegenden Schatzes nicht zinslos daliege. Doch machten die Ereignisse des folgenden Jahres am 27. Juli 1848 die Ausgabe von 15 Mill. Rubeln verzinsliche Schatzkammerscheine nöthig. Nach außen erhielt Rußland, durch die Herstellung freundlicher Beziehungen mit Persien im Jahr 1846 wichtige Vortheile; Häfen u. Arsenale wurden an den persischen Küsten des Kaspischen Meeres erbaut; auf den Rheden von Engeli u. Astrabad faßte Rußland mit seinen Schiffen festen Fuß u. an der Straße von Rescht nach Teheran legte es befestigte Karavanserais an, welche eben so zum Schutze der Reisenden[541] dienen, als sie eine Reihenfolge russischer Castelle bilden. Der polnische Aufstandsversuch von 1846 (s. Polen S. 267) verbreitete seine Wirkungen auch auf die altpolnischen Provinzen des R-n R-s; Volhynien u. Podolien wurden mit dem Königreich Polen zugleich in Belagerungszustand erklärt u. dieser durch einen Ukas vom 18. Juli d. J. auch auf Wilna, Grodno u. Kowno ausgedehnt, da sich revolutionäre Verzweigungen bis dahin erstreckt zu haben schienen. Die friedliche Haltung des Bauernstandes bei dieser Veranlassung belohnte ein Ukas vom 7. Juni, welcher den Schutz des bäuerlichen Grundbesitzes auf den Gütern des Adels zum Zweck hatte. Wichtiger noch war der Ukas vom 24. Novbr. 1847, welcher leibeigene Bauern in allen Theilen des Reiches zum Ankauf überschuldeter, zur Versteigerung kommender Güter ihrer Grundherren ermächtigte, sowie ein anderer vom 15. März 1848, welcher unter gewissen Bedingungen das Recht zum Erwerb unbeweglichen Eigenthums auf Leibeigene übertrug. Durch einen Ukas vom 5. Sept. 1848 übernahm der Kaiser die Überwachung der Dienstverhältnisse der Civilbeamten unter seine eigene Leitung, demgemäß ein Inspectionsdepartement in der ersten Abtheilung der kaiserlichen Kanzlei errichtet wurde, von welchem alle Ernennungen, Entlassungen u. Verfügungen in anderen dienstlichen Verhältnissen der Beamten seit dem 1. Jan. 1847 ausgehen sollten. Für die Verwaltung der Transkaukasischen Länder erschien ein neues Statut vom 26. Decbr. 1846, demgemäß diese in vier Gouvernements, Tiflis, Kutais, Schemaha u. Derbent, zerfielen, jedes derselben erhielt einen Militärgouverneur, welchem auch die bürgerliche Gewalt zusteht. Die panslawistischen Umtriebe, in welche sich mehre russische Gelehrte u. Literaten eingelassen u. ihr Absehen dabei auch auf die Slawen im österreichischen Staate gerichtet hatten, fanden die Billigung der russischen Regierung nicht, im Gegentheil verhängte dieselbe im Anfang von 1847 über Lehrer der Universität Kiew u. andere Personen, welche von Österreich aus als in diese Angelegenheit verwickelt bezeichnet worden waren, eine Untersuchung. Eine schwere Heimsuchung für Rußland war in den Jahren 1847 u. 1848 die Cholera (s.d.), welche beträchtliche Opfer forderte.

In die friedlichen Beziehungen Rußlands zu den auswärtigen Mächten hatten weder die englischen u. französischen Proteste gegen die Aufhebung der Republik Krakau eine wirkliche Störung hineingetragen, u. nur mit der Schweiz trübten sich die Verhältnisse. Sowohl in der Sonderbund- als in der Verfassungsfrage befand sich Rußland im vollsten Einvernehmen mit den übrigen Großmächten u. trat der Erklärung bei, welche Österreich, Frankreich u. Preußen am 18. Jan. 1848 abgegeben hatten (s.u. Schweiz, Gesch.). Die erschütternden Ereignisse, welche bald darauf Frankreich, Deutschland u. Italien bewegten, brachten in Petersburg einen gewaltigen Eindruck hervor, doch wurden in einer Note vom 31. März alle russischen Gesandtschaften in Deutschland dahin instruirt, sich in keiner Weise in die inneren Angelegenheiten der Länder einzumischen, welche ihre Organisation verändern wollten; dagegen aber sei der Kaiser entschlossen, jede Beeinträchtigung der eigenen inneren Sicherheit zurückzuweisen u. darüber zu wachen, daß, wenn das Territorialgleichgewicht auf irgend einem Punkte vernichtet od. verändert würde, dies nicht auf Kosten der rechtmäßigen Interessen Rußlands geschehe. In dieser Beziehung wurden in Bessarabien wie in Polen große Truppenmassen zusammengezogen. Allen Ausländern wurde die Rückkehr in ihre Heimath freigestellt, russischen Unterthanen dagegen das Reisen ins Ausland untersagt. Als der erfolgreiche Aufstand der Walachei dahin strebte, sich sowohl von der Oberherrlichkeit der Türkei, als der Schutzherrschaft Rußlands frei zu machen, war Rußland mit der Pforte wegen eines gemeinsamen Einschreitens übereingekommen, am 27. Juni besetzten die Russen die Moldau u. am 26. Sept. nahmen die Türken Bukarest. Der russisch-türkische Vertrag, welcher am 28. April 1849 in Baltaliman zu Stande kam, entschied das Schicksal dieser Länder, welche vorläufig militärisch besetzt blieben u. erst Anfang Juni 1851 geräumt wurden. In Betreff des deutsch-dänischen Streites bewahrte Rußland im Jahr 1848 seine neutrale Stellung u. lehnte die ihm von Dänemark angetragene Vermittelung ab; erkannte dagegen die Französische Republik an, als die Verhältnisse sich im Herbst auf eine Weise gestaltet hatten, welche nur geringe Befürchtungen für die Störung des europäischen Friedens übrig ließen, u. am 26. Mai 1849 trat Baron Kisselew seinen Posten als russischer Geschäftsträger in Paris an. Im Inneren blieb die Ruhe erhalten u. nur Gerüchte über eine in Moskau entdeckte Verschwörung verbreiteten sich, an welcher sich Gardeoffiziere, höhere Beamte, Studenten u. Literaten betheiligt hatten. Um Österreich in der Bewältigung des ungarischen Aufstandes zu unterstützen, hatte General Lüders schon Anfang Februar ein Hülfscorps von der Walachei nach Siebenbürgen entsendet, welches aber am 15. März von Bem wieder über die Grenze zurückgedrängt worden war. Darauf marschirten im Mai sowohl von Krakau durch Mähren, als von Galizien über Dukla in die Bergstädte, als von der Walachei nach Siebenbürgen die russischen Streitkräfte vor. Den thätigsten Antheil an dem Kampfe nahmen die Truppen des Generals Paniutin beim österreichischen Hauptheere u. die des Generals Lüders in Siebenbürgen, während das russische Hauptheer durch sein bloßes Vorrücken die magyarische Macht lähmte u. die Ergebung Görgeys bei Vilagos am 13. Aug. bewirkte (s.u. Ungarn, Gesch.). Das wichtigste Ereigniß auf dem kaukasischen Kriegsschauplatze im Jahr 1849 war die Erstürmung der Festung Achulko, welche nach langer Belagerung am 29. Aug. den Russen in die Hände fiel. Die kriegerischen Ereignisse dieses Jahres machten eine am 10. Aug. befohlene neue Ausgabe von 21 Mill. Rubeln in Schatzscheinen nöthig, so daß also bis dahin zusammen 78 Mill. Rubel solcher Scheine in Umlauf gesetzt waren. Die Fundirungssumme der Creditpapiere mußte ebenfalls angegriffen werden u. verminderte sich auf 171/2 Mill. Silberrubel, endlich sah sich der Staat genöthigt die bei den Creditanstalten eingetragenen Hypothekenschulden der Grundbesitzer zu kündigen, was mehre Verlegenheiten herbeiführte u. einen großen Theil des Landadels zum Verkaufe seiner Güter zwang. Die Wiederherstellung des 1812 abgebrannten Kremls in Moskau gab im April 1849 Veranlassung zu einem Nationalfeste.

Nach der Überwältigung Ungarns beschäftigte sich die russische Politik mit der Streitfrage über die nach[542] der Türkei geflüchteten Magyaren u. Polen, u. es kam am 31. Dec. das Übereinkommen in Constantinopel zu Stande, wonach die zum Islam übergetretenen polnischen Flüchtlinge in Aleppo überwacht, die übrigen aber aus dem Türkischen Reiche gewiesen werden sollten. Auch die Spannung mit England, welches dem Londoner Vertrage von 1841 zuwider mit seiner Flotte in den, schon innerhalb der Dardanellen gelegenen Hafen von Barbieri geankert hatte, glich sich aus. Reicher noch an diplomatischen Unterhandlungen war das Jahr 1850. Zwei Mal, im Mai u. Oct., reiste der Kaiser nach Warschau, um zwischen Österreich u. Preußen eine Einigung über die Deutsche Frage zu vermitteln. Der Kaiser neigte sich dabei der Seite zu, welche sich auf die Verträge von 1815 stützte, daher Preußens späteres Nachgeben in der Conferenz zu Olmütz. In dem Kriege Dänemarks gegen die deutschen Herzogthümer erschien eine russische Flotte an den Küsten Schleswig-Holsteins u. leistete den Dänen, ohne am Kriege selbst Theil zu nehmen, mancherlei Dienste. Mit England, Frankreich u. Schweden unterzeichnete Rußland in London die Protokolle vom 4. Juli u. 2. Aug., welche die Integrität des Dänischen Staates verbürgten u. welche später die Zustimmung Österreichs u. Preußens erhielten. Wegen der Execution gegen Griechenland drang die russische Regierung darauf, die griechische Regierung sich mit den Vermittelungsvorschlägen Frankreichs einverstanden erklärte (s.u. Griechenland S. 615 f.). Eine zu Zwecken der Eisenbahnbauten gemachte Anleihe von 51/2 Mill. Pfund Sterl. bei Baring u. Comp. in London, während der Baarfond in den Gewölben der Peter-Paulsfestung auf 943/4 Mill. Rubel sank, zeigten von der fortwährenden Anstrengung der Finanzen, welche zum guten Theil die Erhaltung der großen Armee unter den Waffen forderte. Im Frühjahr 1851 waren alle Punkte beseitigt, welche zwischen Rußland u. Preußen eine Spannung erhalten hatten, namentlich die Union aufgegeben u. Holstein entwaffnet; die Monarchen Rußlands u. Preußens sahen sich im Mai in Warschau, worauf der Kaiser Nikolas dem Kaiser Franz Joseph den vorjährigen Besuch entgegnete. Das wichtigste Ereigniß des Jahres 1851 für Rußland aber war die Eröffnung der Petersburg-Moskauer Eisenbahn am 16. Aug. In Betreff des Paßwesens traten neue Beschränkungen ein; ein Ukas vom 27. Juni bestimmte, daß Adelige statt, wie früher auf fünf, nur auf zwei, Nichtadelige statt auf drei nur auf ein Jahr Pässe ins Ausland erhalten u. daß außer der Zahlung für das Blanquet von jeder im Passe aufgeführten Person 250 Silberrubel für je sechs Monate (für Kranke nur 50) entrichtet werden sollen. Diese Erschwerungen dehnte der Verwaltungsrath des Königreichs Polen Anfangs Oct. 1852 noch mannigfach weiter aus. Der am Anfang des Jahres 1851 in Wirksamkeit tretende neue Zolltarif erhöhte die Eingangssteuer auf alle Arten von Geweben, Zucker u. anderen Gegenständen in einer Weise, daß die fremde Mitbewerbung gänzlich ausgeschlossen wurde. Dazu gesellten sich im Jahr 1852 größere Beschränkungen der Reisen nach Rußland, welche namentlich den Handwerksgesellen den Eintritt in das eigentliche Rußland verboten u. dieselbe nur noch nach Polen zuließen. Die Ausfuhr des Silbers in Barren u. Münzen verbot ein Ukas vom 10. Jan. 1851, um bei der vermehrten Nachfrage nach Silber auf den europäischen Geldmärkten dieses Umlaufsmittel dem Reiche zu erhalten. Die feste Begründung friedlicher Verhältnisse führte alle Glieder der kaiserlichen Familie im Jahr 1852 nach Deutschland. Der Kaukasische Krieg behielt während dieser Jahre seinen zeitherigen Charakter bei; ungestüme Anfälle der Bergvölker bald aus diesen, bald jenen Punkt der ausgedehnten Operationslinie, führten für die russischen Truppen oft beträchtliche Nachtheile herbei, wiewohl diese Kämpfe immer damit endigten, daß der Feind den gewonnenen Boden, sobald sich größere russische Streitkräfte gegen ihn sammelten, nicht zu behaupten vermochte, wogegen die Russen nicht im Gebirge Fuß fassen konnten u. durch ihre fortgesetzten Lichtungen der Wälder nur den Saum der Gebirge verwüsteten, ohne dem Hauptzweck wesentlich gedient zu haben. Gegen Ende Oct. 1852 brach in Petersburg die Cholera aus. Schon seit dem 18. Jahrh. hatte Rußland sein Augenmerk auf den kleinen Slawenstaat Montenegro, als einen für sich wohlgelegenen Punkt im Mittelmeere, gerichtet gehalten u. seinen Einfluß dort immer ausgedehnt, indem der Vladika nicht nur von dort eine jährliche Geldhülfe u. andere Unterstützungen, sondern auch seine Investirung in Petersburg erhielt; als 1852 der Vladika sein Land als unabhängig von der Pforte u. sich selbst als weltlichen Fürsten erklärte, erkannte ihn der Koiser von Rußland als solchen förmlich an, bemühete sich aber zugleich einen dem Ausbruch nahen Krieg zwischen Montenegro u. der Pforte beizulegen. Bei der Regelung der dänischen Angelegenheiten hatte der Kaiser als das Haupt des Hauses Holstein-Gottorp eine entscheidende Stimme abzugeben, denn erst durch den Verzicht dieses Hauses auf seine dänischen Thronfolgerechte wurde es den in London am 28. April u. 8. Mai 1852 abgehaltenen Conferenzen der Gesandten Dänemarks, Rußlands, Österreichs, Großbritanniens, Frankreichs u. Schwedens möglich festzustellen, daß nach dem Aussterben des in Dänemark damals regierenden Zweiges des Königshauses Prinz Christian von Glücksburg die Krone Dänemark erhalten sollte, jedoch behielt der Kaiser von Rußland dem Hause Holstein-Gottorp das Erbfolgerecht auf Holstein nach einer besonderen Übereinkunft mit Dänemark für den Fall vor, daß auch das Haus des Prinzen Christian aussterben sollte.

Die bevorstehende Restauration des Kaiserreiches in Frankreich veranlaßte den Kaiser zu einer Reise nach Deutschland, wo er sich in Wien (vom 8.–11. Mai) mit dem Kaiser von Österreich u. in Potsdam (16.–26. Mai) mit dem Könige von Preußen besprach. Eine vollständige Verständigung der drei Höfe in Bezug auf das bei der Anerkennung des Kaisers Napoleon III. zu beobachtende Verfahren kam aber nicht zu Stande. Der russische Kaiser sprach zwar seine Anerkennung Napoleons III. aus, gönnte ihm aber nicht die unter ebenbürtigen regierenden Häuptern übliche Anrede (Monsieur mon frère). Diese Verstimmung hatte ihren wesentlichen Grund in dem Auftreten der französischen Regierung u. deren Bevollmächtigten in Constantinopel u. Jerusalem, beziehentlich der Heiligen Stätten (s.u. Frankreich S. 594). Dem Kaiser von Frankreich war es nämlich gelungen Rechte der Lateinischen Christen in der Türkei, welche sich auf einen alten Vertrag von 1740 gründeten, durch Erneuerung dieses Vertrages wieder zu beleben;[543] als nun der Kaiser von Rußland verlangte, daß ein Firman mit der Bestimmung, die Lateinische Kirche solle der Griechischen in Bezug auf die Heiligen Stätten nicht vorgezogen werden, in gehöriger Weise erlassen u. publicirt würde, die türkische Regierung aber Schwierigkeiten machte u., obgleich sie 1852 wiederholt diesen Firman versprochen, ihr Wort doch nicht gehalten hatte, schickte Kaiser Nikolas im März 1853 den Fürsten Mentschikow nach Constantinopel, welcher den Abschluß einer dauerhaften Vereinbarung verlangte, wodurch die griechisch-katholischen Unterthanen des Sultans gegen die Unbilden der türkischen Beamten sicher gestellt würden. Als der Sultan die Abschließung einer solchen Vereinbarung bestimmt ablehnte, verließ die russische Gesandtschaft im Mai Constantinopel u. am 2. Juli rückten russische Truppen in die Moldau u. Walachei ein, jedoch mit der Versicherung, daß sie nach Rußland zurückkehren würden, sobald die Türkei die geforderten Bürgschaften geleistet haben würde. Inzwischen hatten sich Frankreich u. England geeinigt gemeinschaftlich gegen Rußland vorzuschreiten u. dessen Macht im Osten zu brechen. Bereits am 4. Juni erhielten die englische u. französische Flotte den Befehl, sofort sich den Dardanellen zu nähern u. besetzten am 15. Juni die Besikabai in der Nähe der Dardanellen. Das Kriegsmanifest der türkischen Regierung erschien 3. Oct., worauf die russische Regierung den Großmächten ihre vorige Erklärung wiederholte. Am 2. Nov. lief die englisch-französische Flotte im Bosporus ein, die türkische aber, welche auf dem Schwarzen Meere dem türkischen Heere in Asien u. den Tscherkessen Kriegsbedürfnisse zuführte, wurde am 30. Nov. im Hafen von Sinope vom russischen Viceadmiral Nachimow zerstört. Darauf beschlossen England u. Frankreich jedes im Schwarzen Meere angetroffene russische Schiff nach Sebastopol zurückzuweisen u. einen Angriff auf türkische Schiffe mit Gewalt zu hindern, das Schwarze Meer aber bis zur Herstellung des Friedens als Pfand zu behalten, um jeden Seeverkehr Rußlands mit seinen asiatischen Besitzungen unmöglich zu machen. Das Protectorat Rußlands über die Moldau, Walachei u. Serbien erklärte der Sultan für aufgehoben; jedoch wünschte der serbische Fürst Alexander, daß die russisch-türkischen Verträge in voller Wirksamkeit blieben, u. erhielt seine Beziehungen zu Rußland u. der Türkei unverändert aufrecht. Es erfolgten nun ausgedehnte Rüstungen im Inneren Rußlands, die Zurückziehung russischer Staatscapitalien aus den Banken in London u. Paris u. die Bemühungen Geld in Amsterdam zu borgen. Von dem Vordringen der russischen Macht in Asien lagen auch in diesem Jahre theils Thatsachen, theils Andeutungen vor. Drei russische Kriegsschiffe gingen im Sommer 1853 unter Viceadmiral Putiatin nach Japan (s.d.), um mit diesem Reiche einen Handelsvertrag abzuschließen; am Irtysch an der chinesischen Grenze wurde ein neuer Handelsplatz angelegt u. die Schifffahrt auf dem Amur bis ins Stille Meer unternommen; im Südosten eroberten die Russen die Festung Akenas am Syr Darja u. unterwarfen einige Kirgisenstämme; mit dem Khan von Khiwa u. den Fürsten von Bochara u. Kabul wurden freundschaftliche Verhältnisse unterhalten. Nachdem die Wiener Conferenz noch ein Mal Friedensvorschläge, welche auch von der türkischen Regierung gebilligt worden waren, nach Petersburg zur Annahme gesendet u. sodann ihre Sitzungen beschlossen (16. Jan. 1854), England u. Frankreich den dermaligen Status im Schwarzen Meere unverändert aufrecht zu erhalten erklärt u. Österreich u. Preußen eine Verpflichtung zu strenger Neutralität abgelehnt hatten, da die russische Regierung sich nicht verbindlich machen wollte die Donau nicht zu überschreiten u. beim Abschluß des Friedens die Untheilbarkeit der Türkei anzuerkennen u. sofort die Fürstenthümer zu räumen: so machte ein Manifest vom 21. Febr. dem Reiche bekannt, daß der Krieg Frankreichs u. Englands gegen Rußland begonnen habe. Österreich stellte an seinen südöstlichen Grenzen ein Beobachtungsheer von 50,000 Mann auf. Am 27. Februar forderte England u. Frankreich zur Räumung der Donaufürstenthümer auf, was von Preußen u. Österreich in Petersburg unterstützt wurde; die russische Regierung veröffentlichte dagegen eine Denkschrift vom 3. März, worin der Stand der Orientalischen Frage u. das Verhalten Rußlands dabei auseinander gesetzt wurde, u. erklärte die Gouvernements Jekaterinoslaw, Petersburg, Esthland. Livland, Archangel, Kurland, Kowno, Grodno, Volhynien, Podolien, das Königreich Polen u. die Stadt Taganrog in Kriegszustand. Bei dem Aufstand der Griechen in Epirus sagte der Kaiser denselben, als seinen Glaubensgenossen, seine Theilnahme u. seinen Beistand zu. Am 27. u. 28. März erfolgte nun die förmliche Kriegserklärung von Seiten Frankreichs u. Englands, u. die Russen rückten in die Dobrudscha vor. Es erfolgte nun die von den Russen bewirkte Räumung der kleinen Walachei (21. April), das Bombardement von Odessa (22. April), die Einnahme des russischen Forts Redut-Kaleh an der Küste von Tscherkessien durch den englischen Admiral Lyons u. der Beginn der Belagerung von Silistria (19. Mai), die Eröffnung der Feindseligkeiten im Finnischen Meerbusen, die rückgängige Bewegung des russischen Generals Liprandi u. die Räumung Slatinas (13. Juni), ein Sieg der Russen in Kleinasien (16. Juni), die Beschießung von Bomarsund durch die Verbündeten (21. Juni), die Aufhebung der Belagerung von Silistria u. der Rückzug der Russen aus den Donaufürstenthümern (s. Russisch-türkischer Krieg). Schon am 9. April hatte sich nämlich England, Frankreich, Österreich u. Preußen durch ihre Bevollmächtigten zu Wien verpflichtet die Selbständigkeit u. Untheilbarkeit der Türkei aufrecht zu halten u. die Räumung der Donaufürstenthümer als eine wesentliche Bedingung derselben zu betrachten, sowie die kirchlichen u. bürgerlichen Rechte der christlichen Unterthanen der Pforte nach der Absicht des Sultans zu befestigen u. weder mit Rußland noch sonst ein Abkommen zu treffen, was diesen Punkten widerspräche; ferner hatten Preußen u. Österreich am 20. April ein Schutz- u. Trutzbündniß abgeschlossen, namentlich auch um die Rechte u. Interessen Deutschlands zu schützen, welche durch eine auf unbestimmte Zeit fortgesetzte Besetzung des Gebietes an der unteren Donau durch russische Truppen gefährdet würde, wobei sich jedoch Preußen erst bei dem Übergang der Russen über den Balkan od. bei der Einverleibung der Fürstenthümer ins R. R. zu einem angriffsweisen Vorgehen gegen Rußland verbindlich machte; ein Bündniß, welchem auch der Deutsche Bund am 24. Juli beitrat. Darauf gestützt forderte Österreich von der[544] russischen Regierung die Räumung der Donaufürstenthümer (3. Juni) u. traf mit der Pforte am 14. Juni eine Übereinkunft, um die Befreiung der Moldau u. Walachei von der russischen Besetzung zu bewirken; dabei war ausgemacht worden, daß die Donaufürstenthümer bis zum Abschluß eines Friedensvertrags zwischen der Pforte u. Rußland durch österreichische Truppen besetzt werden sollten. Die russische Regierung erklärte sich nunmehr (30. Juni) bereit, mit Rücksicht auf die besonderen Interessen Österreichs u. Deutschlands an der Donau u. auf die Beschaffenheit der Verpflichtungen, welche die Höfe von Wien u. Berlin durch das Protokoll vom 9. April übernommen hätten, sich aus den Fürstenthümern zurückzuziehen u. auf Grundlage der in dem Protokoll niedergelegten drei Hauptprincipien in Friedensunterhandlungen einzutreten, auch zu dem Ende einen Waffenstillstand abzuschließen. Obgleich nun England u. Frankreich erwiderten, daß die Friedensbedingungen vom Gange des Krieges abhängig sein würden, dabei aber als die wesentlichsten vier Punkte aufstellten: Aufhebung des russischen Protectorats an der Donau; freie Donauschifffahrt; Revision des Vertrags vom 13. Juli 1841; Aufhören eines Protectorates von irgend einer einzelnen Macht über türkische Unterthanen, u. statt dessen Verpflichtung der Großmächte, gemeinschaftlich bei der hohen Pforte Fürsprache für die Rechte der Christen einzulegen; so gab doch Kaiser Nikolas Befehl zum Rückzug seiner Truppen aus den Donaufürstenthümern. In Asien kämpften dagegen die Russen fortwährend glücklich. Zur Fortsetzung des Krieges ordnete ein Ukas vom 20. Juni eine neue Staatsanleihe von 50 Mill. Silberrubel an. Ein Seerechtsvertrag mit Nordamerika vom 22. Juli enthielt als Hauptpunkte: feindliche Waare auf neutralen Schiffen ist frei, neutrale Waare auf feindlichen Schiffen wird nicht weggenommen; Kriegscontrebande bleibt in beiden Fällen ausgeschlossen. Das Königreich Neapel trat diesem Vertrage bei. Am 8. August verpflichtete sich Österreich, England u. Frankreich zu Wien bis zur Herstellung des allgemeinen Friedens mit Rußland nur noch zu verhandeln, nachdem dieses die Annahme der von England u. Frankreich aufgestellten vier Punkte ohne weiteres zugestanden haben werde. Als dies der Kaiser abgelehnt hatte, erklärte Preußen, daß es weder an einem Angriffskriege gegen Rußland, noch an sonstigen Zwangsmaßregeln zur Durchführung der vier Friedenspunkte theilnehmen, für deren Annahme von Seiten Rußlands aber sich auch ferner in Petersburg verwenden werde. Die Besetzung der Moldau u. Walachei durch österreichische Truppen machte es nun den englischen u. französischen Truppen möglich, die Europäische Türkei zu verlassen, u. mit der Landung der Verbündeten an der westlichen Küste der Krim u. der Besetzung der Stadt Eupatoria begann die zweite Periode dieses Krieges; die Belagerung Sebastopols vom Herbst 1854 bis zu den Wiener Friedensconferenzen im Frühjahre 1855 mit ihren mannigfaltigen Kämpfen u. Wechselfällen des Kriegsglückes, s. Russisch-türkischer Krieg. Während dieser Zeit erklärte das russische Cabinet auf die nochmalige preußische Empfehlung der Annahme der vier Friedenspunkte, am 6. Nov. in Berlin u. 28. Nov. in Wien, die Geneigtheit des Kaisers auf Grund derselben an Friedensverhandlungen theilzunehmen; sollten indeß neue, mit der Würde Rußlands unverträgliche Bedingungen aufgestellt werden, so zweifele der Kaiser nicht, daß die Bundesstaaten solche Ansprüche, von welcher Seite sie auch kommen möchten, zurückweisen würden, u. er erwarte von denselben vollkommene Neutralität, wie sie von Anbeginn des Kampfes an verkündet worden sei. Österreich u. Preußen hatten jedoch am 26. November bereits einen Zusatzartikel zum Bündniß vom 20. April unterzeichnet, wonach die vier Punkte als Grundlage für künftige Friedensverhandlungen u. ein einiges Auftreten Deutschlands als eine Forderung der ernsten Zeitverhältnisse anerkannt wurden, u. im Fall eines Angriffs auf die österreichischen Truppen in den Donaufürstenthümern Preußen zu gemeinsamer Abwehr sich verpflichtet; am 9. December trat diesen Bestimmungen der Deutsche Bund bei. Außerdem schloß Österreich zu Wien am 2. December 1854 ein Bündniß mit Frankreich u. England, wonach sich diese drei Mächte zu gemeinschaftlicher Friedensunterhandlung mit Rußland verpflichteten, im Falle eines Krieges zwischen Rußland u. Österreich ein Schutz- u. Trutzbündniß mit England u. Frankreich in Aussicht gestellt wurde u. man sich verbindlich machte, gemeinschaftlich weiter zu ergreifende Maßregeln zu erwägen, wenn bis zum Schlusse des Jahres 1854 der Friede nicht hergestellt sei. Wenn auch die russischen Truppen in der Krim der Übermacht der vereinigten Engländer, Franzosen, Türken u. Ägyptier meistens unterlagen, so glaubte sich doch Rußland noch nicht in der Lage, um jeden Preis Frieden suchen zu müssen, es war in Asien gegen die Türken u. selbst noch gegen die Kaukasischen Völkerschaften siegreich. Daß der König von Sardinien nach einem am 16. Januar 1855 mit England u. Frankreich geschlossenen Bündniß mit 15,000 M. Hülfstruppen am Kampfe gegen die Russen vor Sebastopol theilnahm, ohne vorher eine Kriegserklärung an Rußland erlassen zu haben, änderte wenig an dieser Sachlage. Daher zeigte sich der Kaiser zwar fortwährend bereit auf Grundlage der vier Punkte über den Frieden zu unterhandeln; vermehrte aber zugleich die Vertheidigungsmittel, indem er durch Manifest vom 10. Februar die Bildung einer allgemeinen Reichswehr anordnete. Der Kriegszustand, welcher am 8. Februar über die Gouvernements Woronesh, Kursk u. Tschernigow u. am 15. über die von Minsk u. Mohilew verhängt wurde, schien mit unruhigen Bewegungen im Innern zusammenzuhängen.

Die Gesandten Rußlands, Österreichs, Frankreichs, Englands u. der Türkei sollten in Wien zu Friedensunterhandlungen zusammentreten, als kurz vorher am 2. März 1855 Kaiser Nikolas I. starb, u. sein ältester Sohn Alexander II. ihm folgte. Im Thronbesteigungsmanifest bewies die Stelle: unser Bestreben wird dahin gerichtet sein, dasjenige zu erfüllen, wonach Kaiser Peter I., Kaiserin Katharina, Kaiser Alexander u. unser Vater unablässig gestrebt haben, daß der neue Kaiser den Grundsätzen seines Vaters treu bleiben wolle. Daher wurden denn auch sofort die Instructionen, womit die Bevollmächtigten Rußlands in Wien seit dem December 1854 zur Eröffnung der Wiener Verhandlungen versehen worden waren, erneuert u. die Verhandlungen begannen am 15. März, scheiterten aber, wurden am 21. April vertagt u. am 4. Juni geschlossen. Beim Deutschen Bundestage verhieß der Kaiser unter 30. April, daß er[545] dasjenige, was in Betreff der Donaufürstenthümer u. der freien Donauschifffahrt allseitige Zustimmung erlangt hätte, so lange für Rußland als bindend betrachten werde, als die deutschen Höfe an ihrer strengen Neutralität festhielten, da diese beiden Punkte die Interessen Deutschlands berührten. Österreich war der Ansicht, daß die Stellung Deutschlands nicht als streng neutral bezeichnet werden könnte, so lange das türkische Gebiet des Schutzes der österreichischen Waffen gegen Rußland bedürfte, Preußen sprach dagegen die Hoffnung aus, daß die russische Depesche vom 30. April von keinem Rückhaltsgedanken gegen Österreich eingegeben sei u. den Verpflichtungen Rechnung tragen werde, welche zwischen Preußen, Österreich u. dem Deutschen Bunde durch den Vertrag vom 20. April 1854 eingegangen worden seien. Österreich vermehrte seine Truppen in den Donaufürstenthümern, während auch Rußland eine neue Truppenaushebung von 12/1000 in 17 Gouvernements (6. Mai) u. in 12 anderen die Einberufung der Reichswehr im Verhältniß von, 23/1000 (12. August) angeordnet hatte. Die Vertheidigung der Küsten am Asowschen Meere u. der Krim verlangte die Räumung von Sudschuk-Kaleh am 28. Mai u. von Anapa am 5. Juni u. die Einnahme des südlichen Theiles von Sebastopol durch die Belagerer am 8. Sept., so wie die Zerstörung der russischen Kriegsflotte im Schwarzen Meere veranlaßte den Kaiser sich selbst auf den Kriegsschauplatz zu begeben; nachdem er das Heer, den nördlichen Theil von Sebastopol u. die festen Gebirgsstellungen in Augenschein genommen hatte, kehrte er nach Petersburg zurück u. ordnete 15 Oct. ein allgemeines Aufgebot im ganzen Reiche mit Ausnahme von sieben schon sehr in Anspruch genommenen Gouvernements im Verhältniß von 1/100 an. Während sonst überall die Russen im Nachtheil waren od. wenigstens nichts mehr erlangten, als daß der Feind unverrichteter Dinge sich zurückzog, wie vor Kronstadt, blieb ihnen in Asien das Kriegsglück treu; die Festung Kars ergab sich am 28. November an Murawiew. Die Rüstungen dauerten fort; ein Ukas vom 8. December schrieb eine neue Anleihe von 50 Mill. Silberrubel aus. Da sandte Österreich nach vorausgegangener Verständigung mit Frankreich u. England am 16. December neue Friedensvorschläge nach Petersburg, welche der Kaiser Mitte Januar 1856 einfach u. unumwunden annahm. Von großem Einflusse auf diesen Entschluß waren geheime Verhandlungen, welche durch den sächsischen Diplomaten v. Seebach in Petersburg zwischen Rußland u. Frankreich geführt wurden. Schon am 1. Febr. 1856 unterzeichneten zu Wien die Bevollmächtigten Österreichs, Frankreichs, Englands, Rußlands u. der Türkei das Protokoll über die Annahme der Friedenspräliminarien u. am 25. Februar traten die Bevollmächtigten Frankreichs, Englands, Österreichs, der Türkei u. Sardiniens in Paris zu Friedensverhandlungen zusammen, an denen später auch Preußen theilnahm. Rußland wurde durch den Grafen Orlow u. Baron von Brunnow vertreten. Der Friedensvertrag, welcher endlich am 30. März definitiv unterzeichnet wurde, stellte die Unabhängigkeit u. Untheilbarkeit der Türkei unter den Schutz der Vertragsmächte, nahm Kenntniß von einem Firman des Sultans über die seinen christlichen Unterthanen gewährten Rechte, erklärte die Aufrechthaltung des Vertrags vom 13. Juli 1841 in Bezug auf die Schließung des Bosporus u. der Dardanellen, verbot dem Sultan u. dem russischen Kaiser am Schwarzen Meere Seearsenale zu errichten od. zu behalten, regelte die Donauschifffahrt, verpflichtete Rußland einen Theil Bessarabiens abzutreten, stellte die Moldau, Walachei u. Serbien, welche unter der Oberherrlichkeit des Sultans bleiben, unter den Schutz der Vertragsmächte etc. Außerdem verpflichtete sich Rußland noch im Schwarzen Meere nicht mehr als 10 Kriegsdampfer zu halten u. in der Ostsee die Ålandsinseln auf keine Weise zu befestigen (s. Türkisch-Russischer Krieg). Ein Tagesbefehl des Kaisers vom 17. April löste die Reichswehr auf, u. die Truppen der Verbündeten räumten bis zum 24. Juni das russische Gebiet. Die Schwierigkeiten, auf welche die Grenzbestimmungscommission in Bessarabien bei Ausführung des Pariser Friedensvertrages stießen, wurden durch Vertreter der im Pariser Congreß betheiligt gewesenen Mächte in einer Conferenz am 6. Januar 1857 zu Paris u. durch Unterzeichnung des diesfallsigen Protokolls vom 19. Juni beseitigt, indem man vereinbarte, daß die neue russisch-türkische Grenze längs dem Trajanswalle, der Moldau Belgrad u. Tobak überlassend, bis zum Flusse Yatpuk sich erstrecken u. daß Rußland auf dem rechten Ufer dieses Stromes die Stadt Komrat mit einem Gebiete von etwa 7 Quadratmeilen behalten solle. Das Donaudelta wurde der Türkei unmittelbar zurückgegeben, die Schlangeninsel als Zubehör der Donaumündungen betrachtet u. das im Westen der neuen Grenzscheidung gelegene Gebiet der Moldau zugetheilt. Bis zum 30. März 1857 hatten hierauf die österreichischen Truppen die Donaufürstenthümer u. die englische Flotte das Schwarze Meer geräumt, u. nun erst gestattete die russische Regierung die im Pariser Frieden stipulirte Einsetzung englischer Consuln in der Städten am Schwarzen Meere. Es blieb eine Spannung zwischen Rußland einer- u. England, Österreich u. der Türkei andererseits, theils wegen der Ordnung der Verhältnisse der Donaufürstenthümer, theils wegen des Vorschreitens der Engländer gegen Persien u. China; dagegen fand eine völlige Aussöhnung mit Frankreich u. Sardinien statt. Im August 1857 schickte die Türkei einen stehenden Gesandten nach Petersburg.

Von hoher Wichtigkeit war eine mit Persien abgeschlossene Übereinkunft, wonach das längs der Grenze von Türkisch-Armenien hinstreifende Gebiet zwischen Bajazid u. Nachitschewan vom Januar 1857 an zu Rußland gehört. Überhaupt war die Ausbreitung u. Stärkung der Macht Rußlands in Asien schon seit den letzten Regierungsjahren des Kaisers Nikolas von der größten Bedeutung. Nach Beendigung des Krieges in der Krim wurden bedeutende Streitkräfte am Kaukasus verwendet, um die Bergvölker zu unterwerfen (s. Tscherkessenkrieg). Es gelang im Febr. 1857 durch einen, in die große Tschetschna unternommenen Zug die Verbindung zwischen Grosnoi u. Tschuschum-Bars herzustellen u. so die Verbindung zwischen den Cordonfestungen am Kaukasus u. der Ebene Kumik vollständig zu machen. Auf dem Kaspischen Meere, wo Rußland allein Kriegsschiffe halten darf, wurde seit dem Kriege die russische Seemacht bedeutend verstärkt, Baku zum Kriegshafen erhoben u. um die Seeräuber im Zaum zu halten, eine Besatzung auf die Inseln Tschelckan u. Ogurtschin an der Ostküste des Kaspischen Meeres gelegt. Während Rußland am[546] Kaspischen Meere nach Persien vordrang, rückte es in der großen Turanischen Ebene gegen die Gebirgsscheide des Indobritischen Reiches noch erfolgreicher vor. Ein Gebiet von mindestens 22,000 deutschen Quadratmeilen kam so zwischen dem Kaspischen Meere u. China an Rußland, deshalb außerordentlich wichtig, weil es den Schlüssel zu dem Flußgebiete des Syr (Jaxartes) u. Amu (Oxus) bildet, in dessen Schooß Buchara u. Kokand liegen. Sämmtliche Ufer des Aralsees wurden bereits thatsächlich von den Russen beherrscht. Eine neue russische Stadt Kopal entstand östlich vom Balkaschsee auf vormaligem chinesischen Boden, welche bereits 1857 eine für den Handel höchst wichtige Waarenniederlage bildete. Im Jahre 1853 wurde von den Russen unter Perowsky das Fort Akmedschid, nachher Perowsky genannt, am Syr genommen, nachdem bereits 1847 am Syr die kleine Festung Aralsk angelegt u. 1852 zum Schutze der Mündungen dieses Flusses u. der umliegenden Inseln die Festung Koss-Aral u. zur vollständigen Beherrschung der Karawanenstraße vom Aralsee ins innere Rußland die Forts Jagysch u. Kara-Butak gebaut worden waren. Im Frühjahr 1854 unternahm Perowsky mit 17,000 M. einen neuen Zug gegen Khiwa u. Bochara u. zwang, vor Khiwa angelangt, dessen Khan zu einem Vertrage, laut dessen der Czar als der rechtmäßige Oberherr dieses Landes zu betrachten sei. Von Ostsibirien aus haben ferner die Russen seit ungefähr 1845, ohne Widerstand des Kaisers von China, in der östlichen Mandschurei im Stromgebiete des Amur große Landstrecken in Besitz genommen u. Niederlassungen gegründet, welche kräftig emporsteigen. Zugleich setzten sich die Russen der Insel Sachalin gegenüber u. auf dieser Insel an den Ufern des Japanischen Meeres fest. Dort entstanden Alexandrowsk in der Castries-Bai an der Tatarischen Meerenge, welches schon seit 1850 vorhanden war, aber erst im Sommer 1855 gegen englische Kriegsschiffe befestigt wurde u. bereits einen lebhaften Handel mit den Amerikanern unterhielt, welche Kriegsbedarf u. Vorräthe aller Art lieferten; Cap Lasarew an derselben Meerenge der Insel Sachalin gegenüber; Fort Nikolajewsk am rechten Ufer des Amur nicht weit von der Mündung, etwa unter dem 53° nördlicher Breite; den Fluß weiter hinauf an demselben Ufer Fort Marinisk od. Kisi. Außerdem hatten die Russen längs der ganzen Küste Castelle gebaut u. Besatzung hineingelegt, u. 1857 wurde südlich von der Castries-Bai an Port-Imperial an der Tatarischen Meerenge (unter 40°58' nördl. Breite u. 140°17' östl. Länge) ein großes Seeetablissement zur Aufnahme einer großen Kriegsflotte begründet. Nach der Zerstörung von Petropawlowsk auf Kamschatka wurde diese Halbinsel durch Ukas vom 9. Dec. 1856 dem unter dem Namen Ostsibirischer Küstenbezirk aus den Küstengebieten des östlichen Sibiriens gebildeten besonderen Bezirke einverleibt, dessen Hauptort Nikolajewsk ist. 1856 schloß Rußland auch mit dem König von Siam einen Freundschaftsvertrag ab, wonach die Russen in Siam Handel treiben u. ihre Religion frei ausüben dürfen. Ein Handels- u. Grenzvertrag vom 26. Januar 1856 mit Japan bestimmte, daß die Grenze zwischen der japanischen Insel Iturup u. der russischen Urup durchgehen soll, u. eröffnet den russischen Schiffen die japanischen Häfen Simoda, Hakodade u. Nagassaki, wo auch russische Consuln zugelassen werden. In Beziehung auf das Verhältniß Rußlands zu China wurde durch Ukas vom 11. Juni 1851 der südliche Theil des Gouvernements Irkutsk zwischen dem Baïkalsee u. der chinesischen Grenze losgetrennt u. erhielt den Namen Transbaïkalien. Hier liegt seit langer Zeit der große Lagerplatz des russisch-chinesischen Handels in den Grenzorten Kiachta u. Maimatschin, aber außerdem führt hier durch die große Straße nach dem neubesetzten Amurgebiete, u. die russische Regierung hat daher in den letzten Jahren viel für die Landstraßen am Baïkal gethan. Auch ist eine directe Postverbindung zwischen Kiachta u. Peking, 200 Meilen auseinanderliegend, eingerichtet worden, durch welche jedoch nur amtliche Depeschen befördert werden. Der Handel mit dem westlichen China wurde seit 1852 auf Grund eines kaiserlichen Privilegiums bei der Ein- u. Ausfuhr steuerfrei geführt, mit Ausnahme des Thees. Die kaiserlich russische, aus geistlichen u. weltlichen Mitgliedern bestehende Mission, welche nach einem Vertrage vom 1. Jan. 1728 in Peking ihren Sitz hat, wird nach einer Anordnung von 1857 von da an immer nach Ablauf von sechs Jahren abgelöst. Diese Mission entstand, nachdem die russische Festung Albasin am Amur 1685 von den Mandschuren zerstört u. die russische Besatzung kriegsgefangen nach Peking abgeführt worden war, um sie u. ihre Nachkommen, welche Christen blieben, mit Geistlichen zu versehen.

Im Innern hatte der Türkische Krieg für Handel, Gewerbe, Ackerbau bedeutende Nachtheile herbeigeführt; alle Küsten, selbst am Weißen Meere, waren gesperrt, alle bedeutenden Niederlagen u. Magazine am Asowschen Meere, alle Handelsfahrzeuge daselbst zerstört worden u. Hunderttausende von tüchtigen Arbeitern, welche dem Ackerbau u. den Fabriken entzogen wurden, im Kriege umgekommen. Die Minister seines Vaters hatte Alexander II. zuerst beibehalten, jedoch wurde an der Stelle Bibikows I. am 20. August 1855 Sergius Lanskoy zum Minister des Innern u. für Kleinmichel am 27. October Tschewkine zum Minister der öffentlichen Bauten ernannt; mit dem Seeministerium war Viceadmiral Wrangel unter Oberleitung des Großfürsten Constantin beauftragt worden, während Fürst Mentschikow in der Krim beschäftigt war; eine wesentliche Veränderung im Ministerium trat im April 1856 ein, indem Nesselrode im April die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten an Fürst Alexander Gortschakow III. abtrat, jedoch mit Beibehaltung des Titels eines Reichskanzlers im Gesammtministerium blieb; den Vorsitz im Gesammtministerium erhielt Graf Orlow; Kriegsminister wurde General Suchozanett II. Der Kaiser beschäftigte sich angelegentlich mit Maßregeln zur Hebung der Kräfte des Reiches sowohl nach innen als außen, stellte laut Ukas vom 17. Mai 1856 den Volksunterricht unter seine besondere Aufsicht, erließ am 27. Mai u. 3. Juli eine Amnestie, welche den polnischen Flüchtlingen erlaubte straffrei nach Polen zurückzukehren, dieselben in ihre bürgerlichen Rechte wieder einsetzte u. nach Verlauf von 3 Jahren ihnen sogar den Eintritt in den Staatsdienst verhieß. Im Mai 1856 nahm Rußland auch Theil an den Verhandlungen wegen Ablösung des Sundzolles (s.d.). Im Mai reiste der Kaiser nach dem Königreich Polen u. blieb vom 22.–29. Mai in Warschau, von wo er den Hof in Berlin besuchte; am 7. September fand zu Moskau die Krönung des kaiserlichen Paares statt (s.u. Krönung S. 845 f.). Ein Gnadenmanifest,[547] welches der Kaiser bei dieser Gelegenheit erließ, enthielt eine Reihe von Maßregeln zur Linderung der durch den Krieg herbeigeführten Übelstände, zur Belohnung geleisteter Dienste, Aufhebung od. Milderung von Strafen u. zur Hebung anerkannter Beschwerden, u.a. wurde allen Verurtheilten vom Jahre 1825 die Freiheit u. ihren Kindern der Grafen- u. Fürstentitel ihrer Eltern zurückgegeben, ganz Rußland wurde auf vier Jahre von der Recrutirung befreit, 24 Mill. Silberrubel Steuerrückstände erlassen, eine Volkszählung zur gleichmäßigeren Vertheilung der Steuern angeordnet, die Abgabe von den Pässen ins Ausland bis auf den für die Invalidenkasse bestimmten Stempelbetrag u. die Specialbelastungen, denen die Juden bisher hinsichtlich der Recrutirung unterworfen waren, aufgehoben. Schon vorher war zur Verbesserung der Verhältnisse der Juden angeordnet worden, gelehrte Juden bei den Chefs der Landestheile anzustellen, wo eine zahlreiche jüdische Bevölkerung vorhanden ist. 1857 erhielten die Juden auch das Recht Landgüter zu erwerben; die Freilassung von Leibeigenen ganzer Gütercomplexe wurde 1857 geordnet, wobei die Regierung den alten Plan, die Leibeigenen nach u. nach in steuerpflichtige Kronbauern zu verwandeln, im Auge behielt (vgl. Leibeigenschaft S. 235 f.). Indessen betrug die Zahl der leibeigenen Bauern, welche Privaten gehörten, nach amtlichen Angaben im J. 1855 immer noch 1/5 der ganzen Bevölkerung in Rußland. Die Wehrkraft des Reiches wurde durch Vermehrung der Artillerie u. Reiterei verstärkt, außerdem 32 neue Bataillone Scharfschützen nebst vier Lehrbataillonen u. bei jedem Bataillon der Garde u. der Linie eine Compagnie Scharfschützen, außer den finnischen Scharfschützenbataillonen, gebildet. Die Militärcolonien, welche während ihres vierzigjährigen Bestandes sich als unzweckmäßig erwiesen hatten, wurden aufgehoben u. die Colonisten unter die Zahl der Kronbauern aufgenommen; die Cavalleriecolonien seit Anfang 1858 als Südliche Colonien neu organisirt. In Kronstadt wurde eifrig an Kanonenschaluppen gebaut u. die Segelkriegsschiffe in Schraubendampfer umgewandelt. Unter dem persönlichen Schutze des Kaisers u. von der Regierung (mit gegen 2 Mill. Rubel) unterstützt trat im Sommer eine russische Dampfschifffahrt- u. Handelsgesellschaft zusammen, welche regelmäßige Fahrten zwischen den Häfen des Schwarzen u. Asowschen Meeres, dem Dniepr, Bug u. der Donau, dem Marmarameer u. Archipel einrichtete u. ihre Curse auf die Nordsee, den Atlantischen Ocean u. das Mittelmeer ausdehnte; eine zweite u. dritte Gesellschaft bildete sich einestheils zur Beschiffung des Don u. anderntheils zu der der Oka, Wolga u. Kama. In Folge dessen herrschte eine große Rührigkeit auf den Werften des Schwarzen Meeres, bes. war die Regierung bemüht Feodosia (Kaffa) zu einer bedeutenden Handels- u. Hafenstadt zu erheben. Die Erweiterung der Strecken elektrischer Telegraphen geschah auf Staatskosten; um aber den Bau der großen Eisenbahnlinien zu beschleunigen, trat die Regierung mit auswärtigen Capitalisten in Unterhandlung, u. die Häuser Stieglitz, Baring, Hope u. Pereire übernahmen mit einem Capital von 1080 Mill. Fr. die Vollendung der Strecke von Petersburg nach Warschau u. den Neubau einer Bahn von Moskau nach Feodosia, einer anderen von Moskau nach Nishnel-Nowgorod u. einer dritten von Kursk nach dem Hafen von Libau. Mehre Maßregeln wurden getroffen zur Förderung des Verkehrs an der Grenze u. im Allgemeinen, u.a. die Ausführung gemünzten Geldes freigegeben. Ein neuer Zolltarif wurde am 23. Juni 1857 veröffentlicht u. sollte sofort an allen Zollstätten in Kraft treten (s. unten S. 550). Zugleich hatte die Regierung einen neuen Handelsvertrag mit Frankreich abgeschlossen, welcher an die Stelle des Vertrags von 1846 u. mit dem neuen Zolltarif ins Leben trat. Den Franzosen wurde dadurch zugleich das Recht eingeräumt in Rußland unbewegliche Güter zu besitzen, ohne genöthigt zu sein russische Unterthanen zu werden. Der inzwischen abgeschlossene Vertrag über Ablösung des Sundzolls (s.d.) trat im Frühjahr 1857 in Kraft. Das Streben, freundschaftliche Beziehungen zum westlichen Europa mehr als früher zu pflegen, gab sich auch durch die Reise des Großfürsten Constantin (6. Januar) in der ersten Hälfte des Jahres 1857 nach Frankreich, England, Belgien, Holland, Oldenburg u. Hannover kund, von welcher er am 15. Juni nach Petersburg zurückkehrte, um während der Abwesenheit des Kaisers die Leitung der Regierungsgeschäfte zu übernehmen. Dieser hatte die am Krönungstage v. J. ertheilte Amnestie unter dem 29. April noch mehr ausgedehnt u. schiffte sich am 23. Juni nach Kiel ein. Nach längerem Aufenthalt in Deutschland traf er am 1. Aug. 1857 wieder in Petersburg ein, trat aber schon Anfang Sept. eine neue Reise dahin an u. kam in Stuttgart am 25. Sept. mit dem Kaiser Napoleon zusammen; die vermuthete politische Bedeutung dieses Zusammentreffens fand ein Gegengewicht darin, daß unmittelbar darauf in Weimar eine gleiche Zusammenkunft des Kaisers von Rußland mit dem Kaiser von Österreich stattfand. Bei der Rückkehr über Warschau feierten dort glänzende Feste seine Anwesenheit. Auch in den folgenden Jahren nahm der Kaiser neben weitausgedehnten Reisen im Innern des Reiches wiederholt Aufenthalt in Warschau; dort begrüßten ihn bei Gelegenheit glänzender militärischer Übungen der Prinz von Preußen u. Prinz Napoleon (Sept. 1858). Von da reiste er (Oct. 1859) zu einer Zusammenkunft mit dem Prinzregenten von Preußen nach Breslau, wo ein festes Zusammenstehen des Berliner u. Petersburger Cabinets namentlich in der Italienischen Frage vereinbart wurde. Noch wichtiger war die Zusammenkunft, welche 22.–26. Oct. 1860 den Kaiser von Österreich u. den Prinzregenten von Preußen zu Warschau mit dem Kaiser von Rußland zusammenführte; ist auch ein positives Ergebniß derselben nicht bekannt geworden, so blieb sie doch selbst nach ihrem rein persönlichen Charakter nicht ohne Einfluß auf eine politische Annäherung, zwischen Rußland u. Österreich. Die Nachricht von der plötzlichen Erkrankung der Kaiserin Mutter in Petersburg machte dem Congreß ein unerwartet rasches Ende (sie st. 1. Nov. 1860 in Petersburg).

Durch die Anordnung, daß der Kaiser künftig wöchentlich einmal selbst einer Versammlung sämmtlicher Minister präsidiren wolle, wurde dem Mangel einer einheitlichen Geschäftsbehandlung zwischen den verschiedenen Ministerien abgeholfen. Den Vorsitz im Gesammtministerium, zu dessen einzelnen Departements ein Ende 1859 errichtetes aber bald wieder beseitigtes Ministerium für Censurangelegenheiten hinzukam, übernahm im Jan. 1861 Graf Bludow an [548] Orlows Stelle; andere Veränderungen im Ministerium waren: im April 1857 übernahm General Murawiew II. das Portefeuille der Domänen, an dessen Stelle im Jan. 1862 General Zelany trat; im April 1858 Geheimrath Knäjewitsch das der Finanzen; Minister des Unterrichts wurde, nachdem Kovalewsky (von April 1858 bis Juli 1861) zurückgetreten war, Admiral Putiatin, welchen (Jan. 1862) Golownin ersetzte; im Marineministerium folgte dem Admiral Metlin im Oct. 1860 Contreadmiral Krabbe u. im Ministerium des Innern dem Geheimrath Lanskoy seit Mai 1861 Geheimrath Walujew. Den europäischen Verwicklungen gegenüber nahm Rußland in den letzten Jahren im Wesentlichen eine reservirte theilweis schwankende Haltung an, aus welcher es nur selten heraustrat; während der Kaiser persönlich mehr geneigt war durch ein Zusammengehen mit Preußen, England u. selbst Österreich der Übermacht Frankreichs einen Damm zu setzen, strebte Fürst Gortschakow mehr nach einem Anschluß an Frankreich gegen Österreich u. suchte für die russischen Pläne im Orient freie Hand zu gewinnen. In dem deutsch-dänischen Conflict sprach sich Rußland für die deutsche Auffassung aus, an den diplomatischen Verhandlungen vor Beginn des Italienischen Krieges betheiligte es sich lebhaft; nachdem der von Rußland vorgeschlagene Congreß nicht zu Stande gekommen war, beobachtete es dem weiteren Verlauf der Dinge gegennüber Neutralität, welche es jedoch nicht abhielt an den preußischen u. namentlich österreichischen Grenzen Truppen zu concentriten, wahrscheinlich zu Gunsten Frankreichs, falls der Deutsche Bund im Französisch-Österreichischen Kriege Partei ergreifen sollte. Die Betonung des Nationalitätsprincips durch Frankreich aber, welches in Polen einen für die russische Regierung unwillkommenen Widerhall fand, veranlaßte noch vor dem Frieden von Villafranca eine Entfernung Rußlands von Frankreich u. eine Annäherung an Preußen u. England, weshalb der Großfürst Constantin eine Reise dahin machte. Die Politik Sardiniens hinsichtlich der übrigen italienischen Staaten fand Rußlands Mißbilligung, u. der russische Gesandte wurde (10. Oct. 1860) von Turin abberufen (n. ist bis jetzt [Anfang März 1862] noch nicht dahin zurückgekehrt). Wenn das Benehmen Rußlands gegen den Päpstlichen Stuhl im Jahre 1859 ein sehr entgegenkommendes war, so trat doch seitdem namentlich wegen der Haltung der katholischen Geistlichkeit in den polnischen Wirren eine sichtbare Erkaltung ein, welche sich bis zu gereizten Erklärungen steigerte. In den französischen Händeln mit der Schweiz erklärte das russische Cabinet aus Anlaß der französischen Occupation Savoyens, es werde ernstlich für Aufrechthaltung der Stipulationen Sorge tragen, welche die Sicherheit eines Staates garantiren, dessen Neutralität ein europäisches Interesse ist. Eine Reihe Verträge mit den Hauptstaaten Europas war bestimmt den internationalen Verkehr zu heben u. die beiderseitigen Staatsgenossen im Gebiete des Handels gleich zu stellen; so schloß Rußland Handels- u. Schifffahrtsverträge mit Belgien u. Großbritannien (1858), mit Österreich (1860), mit letzterem auch einen Auslieferungsvertrag, einen Vertrag mit Preußen (1857) wegen einer Eisenbahnverbindung (Kowno-Eydtkuhnen, 1861 eröffnet), Telegraphenverträge mit dem Deutsch-Österreichischen Telegraphenverein u. mit Schweden. Die den Franzosen eingeräumten Handelsvortheile wurden den Angehörigen Griechenlands, der Niederlande u. des Zollvereins eingeräumt, mit Frankreich ein neuer Vertrag zum Schutz des literarischen u. artistischen Eigenthums, mit Baiern über die Verlassenschaften der beiderseitigen Staatsangehörigen abgeschlossen.

Dem Gang der Dinge im Äußern folgte Rußland mit einer durch das eigene Interesse geschärften Aufmerksamkeit; trat es auch im einzelnen Falle minder activ hervor, so war es doch allen Verwicklungen unverkennbar nicht fremd, u. namentlich in den türkischen Vasallenstaaten an der Donau war sein Einfluß überwiegend. Der Vertrag über die Grenze in Bessarabien war kaum unterzeichnet (19. Juni 1857), als die Wahlen in den Donaufürstenthümern zu neuen Verwicklungen Anlaß gaben, in deren Folge Rußland mit den übrigen Großmächten die diplomatischen Verbindungen mit der Pforte abbrach (6. Aug.) u. erst nach erfolgter Annullirung der Wahlen wieder aufnahm. Ging Rußland hierbei wie bei den folgenden Verhandlungen über die Organisation der Donaufürstenthümer Hand in Hand mit den übrigen Großmächten, eine Einigkeit, welche auch den Vorschlägen zur Herstellung der Ruhe in Montenegro u. der Herzegowina zu Grunde lag, so nahm es andererseits in mehren Fragen, namentlich bezüglich der Donauschifffahrtsacte gegenüber Österreich u. der Besetzung der Insel Perim um Eingang in das Rothe Meer gegenüber England einen wesentlich abweichenden Standpunkt ein. Die Lage der Christen in der Türkei gab Rußland wiederholt Anlaß diplomatisch zu interveniren, so namentlich wegen Christenverfolgungen in Bosnien, Bulgarien u. Syrien (Circulardepesche vom 20. Mai 1860), u. Untersuchung u. Reformen zu verlangen; auch den seit 1860 wieder ausgebrochenen Unruhen in Montenegro, welches eine Gesandtschaft nach Petersburg schickte, schenkte Rußland seine Aufmerksamkeit u. das Einrücken österreichischer Truppen in die Suttorina (Ende 1861) gab Rußland Anlaß zu einer diplomatischen Reclamation.

Weit mehr als nach Außen war fortan die Thätigkeit der Regierung Alexanders II. auf innere Reformen gerichtet; für Volksaufklärung, Handel u. Verkehr wurden große Anstrengungen gemacht eine Umwandlung des Militärstaates angebahnt. Den Anfang dieser Reformen machte, nachdem in Folge des Pariser Friedens die Milizen heimgekehrt waren, eine umfassende Armeereduction, welche man auf mindestens 3000 Offiziere u. 200,000 Mannschaften schätzte, u. welche sich finanziell u. volkswirthschaftlich gleich ersprießlich erwies. Doch betrug die Armee mit Einschluß der Garnisons- u. irregulären Truppen Anfang 1860 noch immer mehr als 1,300,000 M. Die Recrutirungen waren seit dem Friedensschluß sistirt; ein kaiserlicher Ukas im Sept. 1859 setzte die Dienstzeit in der Armee u. Marine auf 15 resp. 14 Jahre herab, auf die Ausbildung der Soldaten wurde größere Sorgfalt verwendet, die Errichtung von Regimentsschulen angeordnet, durchgängig eine bessere Bewaffnung in Infanterie u. Artillerie eingeführt; zu Änderungen in der Uniformirung, dem Verwaltungswesen u. den Verpflegungsanstalten gaben die Erfahrungen des Krimfeldzugs Anlaß. Die Kriegsflotte unter Oberleitung des Großfürsten Constantin, welcher persönlich wiederholt die europäischen Gewässer besuchte,[549] ergänzte eifrig die Lücken, welche der Orientalische Krieg in sie gemacht hatte; während sie 1857 nur 158 größere Schiffe (darunter 73 Dampfschiffe) zählte, war sie 1860 bis auf 313 Schiffe mit 3851 Geschützen (darunter 242 Dampfer mit 36,935 Pferdekräften u. 2374 Kanonen) gewachsen, welche in allen Meeren kreuzten. An der Nordküste des Tyrrhenischen Meeres erwarb die große russische Dampfschifffahrtsgesellschaft (s. oben S. 548) 1858 in dem ehemaligen Bagno von Villafranca (s.d.) ein Depot für Lebensmittel u. Brennmaterial, welches unverkennbar als Stapelplatz auch für die russische Kriegsmarine politische Bedeutung hat. Eine neue Ära für den Aufschwung des Handels eröffnete der am 23. Juni 1857 publicirte neue Zolltarif, welcher den Übergang vom Prohibitivsystem zu den Schutzzöllen anbahnte, die Einfuhrverbote fast sämmtlich aufhob, das Zollsystem wesentlich vereinfachte (er enthielt 367 statt bisher 472 Nummern), für eine Reihe von Artikeln, darunter auch Bücher, die zollfreie Einfuhr gestattete, für viele andere, wie Seide, Baumwollengarn u. Eisen, die Zollsätze wenigstens wesentlich herabsetzte. Odessa's Privilegium als Freihafen wurde aufgehoben; ein neues Zollreglement für Finnland gab den Verkehr nach Rußland wesentlich frei. Durch Aufhebung der Schlagbäume vor den Städten, mit Ausnahme der Festungen, wurde eine lästige Schranke des Verkehrs weggeräumt; Reiselegitimationen für das ganze Reich wurden eingeführt, die Erlaubniß zum Aufenthalt im Ausland auf fünf Jahre festgestellt, später aber die Paßgebühr hiefür auf 10 Rubel per Monat erhöht. Außer den drei der Grande société des chemins de fer russes übertragenen, auch militärisch wichtigen Eisenbahnlinien wurden eine große Anzahl anderer an Privatpersonen od. Gesellschaften concessionirt, so: Riga-Dünaburg (Mai 1858 eingeweiht), Moskau-Rjäzan-Saratow, Orel-Kiew-Odessa, Braclaw-Brody, Rybinsk-Blagow, Odessa-Mazakow, Dulow-Kolatschew (von der Wolga nach dem Don). Weitere Projecte zielten auf eine Verbindung des Schwarzen mit dem Kaspischen Meere, des Amurgebietes mit dem Baikalsee u. Irkutsk, des Salzsees Elton mit der Wolga (Astrachan). Große Telegraphenlinien, auf Staatskosten errichtet, verbinden die Hauptstädte des Reiches: St. Petersburg, Warschau, Odessa, Kiew; schon Ende 1859 betrug die Ausdehnung des Telegraphennetzes an 2000 Meilen. Dem durch die Behringsstraße u. Sibirien projectirten Telegraphen würde, seine Ausführbarkeit vorausgesetzt, durch Verbindung mit der Linie New-York-San-Francisco die Vermittlung des Verkehrs zwischen Europa u. Amerika vorbehalten sein. Wasserbauten zur Verbesserung der Häfen (Riga, dessen Festungswerke abgetragen wurden, Libau, Kronstadt, Odessa) wie zur Ausnutzung des vortrefflichen Stromsystems wurden in Angriff genommen u. der Saimakanal in Finnland vollendet; eine Vereinigung der Ostsee mit dem Schwarzen Meere durch Vereinigung der Weichsel mit Dniester od. Dniepr blieb Project. Dampfschifffahrtsgesellschaften bildeten sich für fast alle größeren Ströme, Weichsel, Dniepr, Lena etc. Der Zinsfuß der Reichscreditbanken wurde herabgesetzt, um das Capital zu bestimmen auch anderwärts seine Verwendung zu suchen, u. den Stadtgemeinden die Errichtung von Communalbanken gestattet. Dieses Hervortreten des Staates aus der Starrheit seiner früheren volkswirthschaftlichen Principien veranlaßte den Zusammentritt unzähliger Actiengesellschaften zu den verschiedensten Zwecken; so bildeten sich namentlich große Handelsgesellschaften, welche im engsten Zusammenhang mit dem Staat stehen u. dessen Zweck fördern; so eine Nordrussische, Baltische, eine Amurcompagnie, eine Kaspische u. Transkaspische. Aber die Actiengesellschaften haben die von ihnen gehegten Hoffnungen nicht erfüllt u. sind in Mißcredit gekommen. Das Silbergeld war während der letzten Jahre gänzlich aus dem Verkehr verschwunden, u. eine gesteigerte Prägung von Kupferscheidemünzen, sowie eine geringhaltigere Ausmünzung der Silberstücke vermochten nicht eine dauernde Geldcalamität zu beseitigen, welche bes. Anfangs 1861 den Handel lähmte u. die wirthschaftliche Entwickelung zurückhielt. Weitere Reformen betrafen das Gebiet der Volksaufklärung. Das Verbot der Bibelverbreitung wurde aufgehoben (1858) u. der Kaiser verwilligte sogar 25,000 Rubel zur Unterstützung der Bibelgesellschaft. Die Censur gegen die Presse wurde milder gehandhabt u. die Verhältnisse des Auslandes, theilweis auch die inneren Reformen des Reiches, durften ungescheut besprochen werden; 1858 erschienen in Rußland 109 Zeitungen u. 95 Journale u. periodische Schriften; seitdem hat deren Zahl sich mit der der Presse gewährten größeren Freiheit bedeutend vermehrt u. betrug 1860 schon 310, wovon 142 in St. Petersburg. Selbst in Irkutsk (Sibirien) erscheint eine Gouvernementszeitung. Bildungsanstalten für Volksschullehrer sollen in allen Districten u. Elementarschulen allenthalben auf dem platten Lande, bis jetzt in Rußland etwas ganz Ungewöhnliches, errichtet werden, dagegen erschwerte ein neues Unterrichtsgesetz 1861 den Eintritt in die höhern Lehranstalten. Ein Ukas vom Juni 1860 stellt die Fremden den Russen völlig gleich u. erlaubt ihnen die Betreibung aller Geschäfte, den Eintritt in Gilden, den Ankauf von Häusern u. anderen Grundstücken unter denselben Bedingungen, wie sie für die Russen gelten. Strenge Untersuchungen, welche wegen großartiger Unterschleife im Krimkriege angestellt wurden, lenkten die Aufmerksamkeit wieder auf die Bestechlichkeit u. Willkürlichkeit der Beamten. Aber den einzigen Weg jene u. damit auch diese auszurotten, die Verbesserung der ganz unzureichenden Gehalte, gestatteten die Finanzen des Staates nicht, u. so sind die Wsättki (Trinkgelder) in allen Formen u. Beträgen noch alltäglich. In der Gleichstellung der Juden wurden wesentliche Schritte vorwärts gethan; ihren höheren Lehrern wurde gestattet die Uniform des Ministeriums der Volksaufklärung zu tragen, der Güterbesitz in den ihnen offenen Gouvernements ihnen freigegeben, den polnischen Juden die Niederlassung in Rußland erleichtert. Von demselben Geiste religiöser Duldsamkeit zeugte, daß das Concordat mit dem Päpstlichen Stuhl vom Jahre 1847 endlich zu ungeschmälerter Ausführung kommen sollte. Für eine lange Reihe verwaister Bisthümer in Polen u. Kleinrußland wurden Bischöfe u. zugleich ein Metropolitan sämmtlicher römisch-katholischer Kirchen des R. R. (Erzbischof Zylinski in Mohilew seit 1856) ernannt u. der Vicepräsident des evangelischen Generalconsistoriums Ullmann (Präsident ist ein russischer General) wurde 1858 lutherischer Bischof. Reformen in der Justiz wurden mehr gewünscht als ausgeführt; ein Ukas von 1858 führte eine bessere Form der Registrirung ein, erleichterte[550] die Acteneinsicht, änderte aber im Übrigen nichts Wesentliches. Namentlich kam es nicht zur Einführung eines selbständigen Advocatenstandes od. zur Trennung der Justiz von Polizei u. Verwaltung, doch entzog ein Ukas vom Juni 1860 der Polizei die Voruntersuchung der Verbrechen u. übertrug dieselbe gerichtlichen Instructoren, deren in allen 44 Gouvernien eine genügende Anzahl angestellt u. welche lediglich dem Justizminister unterstellt werden sollten. Vom 1. Oct. 1860 sollte die Prügelstrafe beim Militär abgeschafft sein u. nur für dessen zweite Klasse wegen Diebstahls, Desertion u. anderer entehrender Verbrechen beibehalten werden. Große topographische u. chartographische Arbeiten erweiterten die Kenntniß des ungeheueren Reiches. Eine im Juli 1857 angeordnete Volkszählung (die zehnte) wurde mit großer Genauigkeit vorgeschrieben. Konnte auch das System des Tschin (des Rangs nach Klassen), welches mit dem ganzen Staatsdienst eng verwachsen ist, noch nicht zur Aufhebung kommen, so wurden doch dem Vorrücken nach Befähigung u. Verdienst freiere Bahn gebrochen.

Ungleich wichtiger als alles bisher Angeführte waren aber die Maßregeln zur Aufhebung der Leibeigenschaft, deren Durchführung eine vollständige Umwälzung in allen socialen, finanziellen u. wirthschaftlichen Verhältnissen des Staates herbeiführen muß. Zur Verbesserung der Lage der Bauern (dies ist der officielle Ausdruck) waren schon unter den beiden früheren Kaisern Schritte geschehen, doch war es meist bei den Vorbereitungen geblieben; Alexander II. nahm die Sache mit rücksichtsloser Energie in die Hand, u. die Durchführung ist, trotz dem Widerstande des Adels, bis jetzt zwar nicht zu Ende geführt, aber doch wesentlich gefördert. Der Adel der Gouvernements Wilna, Grodno u. Kowno bat auf erhaltenen Wink zuerst um die Ermächtigung zur Erleichterung seiner Leibeigenen; der Adel des Gouvernements Petersburg folgte (Dec. 1857) u. erhielt wie jener die erbetene Erlaubniß; zur Berathung u. Ausarbeitung der Vorschläge sollten in den einzelnen Gouvernements Adelscomités niedergesetzt werden. Ein kaiserliches Decret vom 20. Nov. 1857 stellte als leitende Grundsätze für die Emancipation fest: die Leibeigenen werden frei, doch bleiben sie noch 12 Jahre unter der Botmäßigkeit ihrer Herren; diese Zeit sollen sie verwenden, um sich von ihren Verpflichtungen gegen den Grundherrn freizumachen. Dies kann durch Ablösung in Geld od. durch Übernahme bestimmter Frohnden geschehen. Nach Verlauf jener Frist wird der Leibeigene frei u. erhält gegen die mit dem Grundherrn verabredeten Bedingungen das Eigenthumsrecht an seinem Gehöft u. Ländereien. Allmälig bildeten sich auch in den übrigen Gouvernements die gleichen Comités, Nishuei-Nowgorod, Moskau, Kursk, Kasan, Pultawa folgten zunächst, u. bis zum Juli 1858 waren bereits die Comités in 38 Gouvernements mit mehr als 91/2 Mill. Leibeigenen zusammengetreten. Die Adelsversammlungen zeigten sich aber dem Plane keineswegs günstig; sie erblickten darum eine Minderung des Vermögens der Grundbesitzer um die Hälfte u. folgerten, daß somit auch die Leistungen derselben an den Staat um so viel herabgesetzt werden müßten. Ein Rescript des Ministers des Innern (März 1858) erläuterte, daß die Vorbereitung der Details nach den Bedürfnissen der Localitäten den Comités überlassen bleiben solle, u. daß nur die von dem Kaiser aufgestellten Principien, nämlich Sicherstellung des Grundeigenthums für die Grundbesitzer, Gewähr einer Wohnstätte für die Bauern nebst bestimmten Mitteln zum Lebensbedarf u. zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen unabänderlich u. unverletzbar seien; die Übergangsperiode der Abzahlungen sollte jedesfalls 12 Jahre nicht überschreiten, der Bauer, so lange er nicht ganz abgezahlt hat, auch nicht völlig sein eigner Herr werden, die vom Bauer durch Abschlagszahlungen vom Grundherrn erstandenen Landstücke immer nur wieder an ein Mitglied des Bauernstandes übergehen können etc. Durch einen am 3. März bekannt gemachten Erlaß verordnete der Kaiser, daß unter seiner unmittelbaren Leitung ein Hauptcomité zur Prüfung der Einrichtungen u. Projecte hinsichtlich der Leibeigenschaft zusammentreten solle; es bestand außer dem Präsidenten des Reichsraths Fürsten Orlow aus dem Großfürst Constantin, dem Grafen Bludow, den Ministern des kaiserlichen Hauses, des Innern, der Justiz, des Bauwesens u. der Finanzen, dem Fürsten Gagarin, Baron Korff, Fürst Dolgorukow, General Murawiew, Generaladjutant Rostowzów. Wenig später wurde ein Centralcomité für Statistik im Ministerium des Innern gegründet, welches namentlich auch die Begutachtung u. Bearbeitung der in die agrarische Organisation eingreifenden Gegenstände übertragen erhielt. Nach den Ermittelungen dieses Comité betrug die Gesammtzahl der Leibeigenen bei der zehnten Volkszählung (1858–59) im Europäischen Rußland, Sibirien u. Transkaukasien über 23 Mill., von denen 22,285,000 den Gutsbesitzern, der Rest gewissen Staatsanstalten gehört. In einigen Gouvernements beträgt die Zahl der Leibeigenen 40–50 Proc., in einigen sogar 66–70 Proc. der Gesammtbevölkerung. Das Hauptcomité entwarf ein allgemeines Programm für die Beschäftigungen der Gubernialcomités. Hiernach zerfällt deren Thätigkeit in drei Perioden: In der ersten haben sie das Statut für die Emancipation zu entwerfen; in der zweiten das Statut, nachdem es die kaiserliche Genehmigung erhalten hat, ins Leben zu führen; in der dritten sich mit der definitiven Regelung aller ländlichen Verhältnisse zu befassen, welche natürlich erst dann ins Leben treten kann, wenn die provisorischen Übergangszustände beendet sein werden. Für die beiden ersten Perioden, um welche es sich zunächst handelt, wird gleichzeitig ein bestimmter Geschäftsgang vorgezeichnet. Nachdem die Comitéwahlen erfolgt sind, entwirft der Adelsmarschall ein allgemeines Formular, nach welchem die Nachrichten für alle Güter des Gouvernements eingesammelt werden. Diese von den Gutsbesitzern auszufüllenden Formulare enthalten in 16 Rubriken die Seelenzahl des Gutes, die Art der Verpflichtungen der Bauern, das Verhältniß der Bodenfläche zur Seelenzahl, die verschiedenen Erwerbsthätigkeiten außer dem Ackerbau, die Verschuldung des Gutes etc. Nach Bezirken zusammengesetzt gehen diese Nachrichten an das Gubernialcomité, welches die erforderlichen Grundlagen sammelt u. schließlich das Statut über die Verbesserung der Existenz der Gutsbauern im Gouvernement entwirft, welches überall gleiche Gestalt haben u. in folgende 10 Capitel zerfallen soll: Übergang der Bauern aus dem leibeigenen Zustand in den provisorisch verpflichteten (Aufhören der Leibeigenschaft in allen Arten, Verleihung aller persönlichen u.[551] Vermögensrechte an die Bauern, wie sie den übrigen abgabepflichtigen Ständen zustehen, Benennung der Gutsbauern als provisorisch Verpflichtete); Wesen des provisorisch verpflichteten Zustandes (die Bauern bleiben noch an die Scholle gebunden u. können nur in einzelnen Personen od. Familien, nicht in größerer Zahl od. ganzen Dörfern übersiedeln); Recht des Gutsbesitzers auf den ganzen Boden (das Recht desselben auf das Eigenthum des ganzen Bodens, die mineralischen Schätze, Wald u. Wasser auf allen seinen Besitzungen mit Ausnahme der verkauften Stellen u. somit auch sein Recht des Verpfändens u. Verkaufens bleibt unberührt); die bäuerlichen Stellen (worin sie bestehen, Gebäude, Ländereienabschätzung, Recht der Bauern auf Erwerbung durch Kauf, auf Nießbrauch bis zum Kauf, der Kauf nach festgestelltem Preise, auf einmal od. allmälig, durch Geld od. Arbeit); Zutheilung des Ackerlandes u. anderer Leistungen an die Bauern (Princip der Theilung nach Frohngesinden, Seelen od. Tagelöhnern, Maß der Zutheilung in landarmen, mittlern u. reichen Gütern); Leistungen der Bauern (an die Krone, an die Gutsbesitzer in Geld u. in Natur; Art der Auflage u. Ableistung, Sicherung der Erfüllung durch gegenseitige Bürgschaft); die Hofleute (die, welche den Häusern u. Capitalien, u. die, welche bewohnten Besitzungen zugeschrieben sind); Bildung der ländlichen Gemeinden (Gemeinden einer u. verschiedener Herrschaften, Polizeieinrichtungen, Gemeindeverwaltung); Rechte u. Beziehungen des Gutsbesitzers; Modus u. Mittel der Ausführung des neuen Statuts (Verpflichtung jedes Gutsbesitzers einen besondern schriftlichen Act für u. mit seinen Bauern aufzusetzen; Beglaubigung u. Bestätigung desselben durch das Gubernialcomité). In den Adelsversammlungen fand die Emancipation eine lebhafte Opposition; nachdem aber der feste Entschluß des Kaisers zur Durchführung der Bauernbefreiung bekannt geworden, ein Entschluß, der sich namentlich durch die gänzliche Freierklärung der Apanagebauern (800,000 Seelen) u. unentgeltliche Überweisung der von ihnen bebauten Grundstücke aussprach (Ukas vom 2. Juli 1858), setzten die Grundherrn wenigstens der Ausführung vielfache Schwierigkeiten entgegen. Nur langsam wurden die Arbeiten der Comités gefördert; Orenburg eröffnete 23. Dec. 1858 als das letzte Gouvernement sein Adelscomité. Allmälig gingen die Vorschläge der Gubernialcomités dem zu deren Zusammenstellung niedergesetzten Redactionsausschuß ein, sie waren außerordentlich zahlreich u. sich widersprechend; bis Mitte 1859 hatten sich deren 331 verschiedene im Archiv des Comité angehäuft. Die Regierung ließ sich hierdurch nicht beirren; ein kaiserlicher Ukas vom 26. Aug. 1859 dehnte die den Apanagebauern zuerkannten Persönlichkeits- u. Eigenthumsrechte auch auf die Bauern der kaiserlichen Güter u. der des kaiserlichen Hofes aus. Aus jedem Gouvernement berief das Redactionscomité zwei Abgeordnete des Adels nach Petersburg, um bei weiterer Feststellung der Sache zur Hand zu gehen. Da aber diese Abgeordneten eine weit über die Absichten der Regierung hinausgehende Vermuthung von ihren Befugnissen hegten u. aus mehren Gouvernements Beschwerden gegen die beabsichtigte Aufhebung der Leibeigenschaft eingaben, wurden sie wieder entlassen. Auf seinen Rundreisen durch das Reich richtete der Kaiser wiederholt aufklärende u. warnende Ansprachen an den Adel der einzelnen Bezirke. Sagte so der Emancipationspian im Allgemeinen dem Adel wenig zu, so führte er andererseits unter den Bauern zu blutigen Mißverständnissen. Die Meinung, der Kaiser habe die volle Freiheit aller Leibeigenen proclamirt, ihnen Felder u. Wiesen der Gutsbesitzer zugesprochen etc., veranlaßte die Bauern die Arbeiten für ihre Herren zu verweigern u. sich mit Gewalt gegen sie aufzulehnen. Solche Unruhen brachen aus in den Gouvernements Orel, Minsk, Grodno, Kowno, Nishuei-Nowgorod, Woronesh, Simbirsk, Tambow, Samara u. vielen anderen. In Podolien hatten sich bis Ende Mai 1861 141 Dörfer mit 71,000 Einwohnern erhoben. Zur Unterdrückung mußten die in die Gouvernements abgesandten Generaladjutanten des Kaisers in den meisten Fällen militärische Gewalt anwenden, u. grausame Strafen trafen die Rädelsführer. Das ganze Jahr 1860 wurde durch die Vorbereitungen u. Berathungen im Redactionscomité in Anspruch genommen (dem im Februar verstorbenen Vorsitzenden desselben, Rostowzów, folgte der Justizminister Graf Panin); nachdem das Comité im Oct. 1860 seine Berathungen geschlossen hatte, gingen dessen Vorschläge noch an das Ministerium u. den Reichsrath; im letzteren namentlich fand der Plan vielfache Gegner, doch besiegte der Kaiser, welcher regelmäßig in den Sitzungen erschien, alle Hindernisse. Unterm 19. Febr. (3. März) 1861 veröffentlichte ein kaiserliches Manifest nebst angehängtem Statut die näheren Bestimmungen (s. oben S. 551). Um den Bauern die Erwerbung des Landes zu freiem Eigenthum zu erleichtern, wird die Regierung durch Darlehen Unterstützungen bewilligen. Ein späterer Ukas verordnete Näheres zur Einführung der Friedensgerichte, Bezirks- u. Gemeindeverwaltungen. Die Aufstände der Bauern, welche nach Erlaß des kaiserlichen Manifests von Neuem aufloderten u. außer den schon genannten Gouvernements die von Kasan, Pansa, Witebsk, Kostroma, Pskow, Smolensk, Wilna u. andere umfaßten, wurden bis Mitte 1861 fast sämmtlich unterdrückt, wobei sich namentlich die Installirung der neuen Friedensrichter von guter Wirkung zeigten. Die Besorgniß vor weiterem Umsichgreifen der Aufstände machte zugleich den Adel der Emancipation geneigter. Obgleich nicht ohne Schwierigkeit schreitet die Angelegenheit dennoch vorwärts; es gelingt, obwohl langsam, die Bauern zur Unterzeichnung der Statuten zu bewegen (bis Ende 1861 sollen 1600 Urbarialurkunden eingelaufen sein, von denen 1420 bereits in Wirksamkeit getreten, aber nur 932 von den Bauern unterschrieben sind; nur in 211 Fällen hat ein wirklicher Loskauf stattgefunden). Unabhängig von der Frage der Leibeigenschaft veranlaßte noch eine andere Agitation wiederholte Unruhen in verschiedenen Bezirken, nämlich unter den angestrebten Reformen war zwar auch die Aufhebung des bisherigen Branntweinpachtes, welchen man durch eine Steuer auf die Production u. den Ausschank zu ersetzen dachte, aber die finanziellen Schwierigkeiten des Staates gestatteten nicht eine Einnahmequelle aufzugeben, deren Reinertrag 1860 140 Mill. betrug. Deshalb schritt die Regierung gegen die Vereine ein, welche durch religiöse Gelübde sich zur Enthaltsamkeit vom Branntwein verbanden, so namentlich in den Gouvernements Grodno, Wilna u. Kowno, u. ein Rescript des Ministers des Innern (März 1859) untersagte ausdrücklich über diejenigen, welche[552] das Gelübde der Enthaltsamkeit brechen, Strafen zu verhängen.

Seit Antritt seiner Regierung hatte sich Alexander II. sehr mild gegen Polen bewiesen. Zahlreiche Verbannte erhielten auch nach der Amnestie vom 27. Mai 1857 Begnadigung u. durften straffrei in die Heimath zurückkehren, darunter namentlich die Führer des Aufstandes von 1831; die Errichtung einer Ackerbaugesellschaft für das Königreich Polen wurde gestattet, die Robotablösung dem gütlichen Übereinkommen der Betheiligten überlassen, die Sistirung der Aushebung auf weitere 3 Jahre verlängert, bei dem Postwesen, wie schon in den Schulen das Gerichtswesen reorganisirt (namentlich Vermehrung der Kreisgerichte u. Einrichtung von Gemeindegerichten), eine Medicinische Akademie u. eine Vorbereitungsklasse für das juristische Studium im Gymnasium zu Warschau (statt der gewünschten Wiederherstellung der Universitäten in Warschau u. Wilna) errichtet, das polnische Reichswappen wieder hergestellt, durch ein Gesetz über die Civilanstellung der Bildung u. dem Verdienst ein rascheres Vorrücken im Staatsdienst gesichert. Aber die Hoffnungen der Polen, angeregt durch den Italienischen Krieg u. Frankreichs Anerkennung des Nationalitätsprincips, gingen weiter; sie hofften zur Ausführung gekommenen Organischen Statuts, vollständige Wiederherstellung der Universitäten, Einführung der Polnischen Sprache als allgemeine Unterrichtssprache, Organisation einer ausschließlich polnischen Verwaltung u. Justizpflege. Weitergehende träumten wohl gar von Herstellung des alten selbständigen Polenreiches in seinen früheren Grenzen u. trugen die Agitation über die russische Grenze nach Preußen u. Österreich hinüber. Schon während der Fürstenzusammenkunft in Warschau (Oct. 1860) zeigte sich die Verstimmung der Polen in demonstrativer Weise, u. der polnische Adel hielt sich fern von den Festen, welche durch die Anwesendem Jahrestag der Revolution von 1830, wurde bei einer scheinbar harmlosen Trauerfeier in der Warschauer Karmeliterkirche, damals Gefängniß für die Polen, ein Lied gesungen, welches die Befreiung des Vaterlandes vom Tyrannenjoch verkündete. Demonstrationen dieser Art mit Pasquillen, Katzenmusiken, Fenstereinwerfen u. dergl. setzten sich fort, die Stimmung wurde immer gereizter, der Haß gegen Russen u. Deutsche offener zur Schau getragen; doch vermied die Regierung mit Strenge einzuschreiten. Ernstliche, schon mehre Tage vorher angekündigte Unruhen, welche mehren Personen das Leben, vielen die Freiheit kosteteten, brachen in Warschau am 25. Febr. 1861, dem Jahrestag der Schlacht bei Grochow, aus, ein Zug von meist jungen Leuten mit Fahnen u. Gesängen patriotischen Inhalts wurde von Polizei u. Gendarmerie auseinander getrieben; vielfache Verletzungen steigerten die Erbitterung noch mehr, welche sich wie auf allgemeine Verabredung dadurch zeigte, daß die ganze Bevölkerung Trauer anlegte. Schon am 27. Febr. wiederholten sich die Unruhen aus Anlaß einer Leichenfeier, wobei die Priester von den Kosacken mit dem Kantschu zurückgetrieben u. sechs Personen durch Salven des Militärs getödtet wurden. Die Aufregung der Stadt stieg hierdurch auf den höchsten Gipfel. Der Oberpolizeimeister Trepow wurde entlassen u. an seine Stelle Marquis Paulucci zum provisorischen Chef der Stadtpolizei ernannt. Die Bürgerschaft trat zu einem Sicherheitscomité zusammen; mit Tausenden von Unterschriften bedeckt ging eine, auch von dem Erzbischof unterzeichnete Adresse an den Kaiser ab, in welcher die polnischen Wünsche auf Anerkennung ihrer Nationalität so formulirt waren: das Vertrauen zwischen Regierenden u. Regierten wird nicht zurückkehren, die Anwendung gewaltsamer u. erfolgloser Repressivmittel wird nicht aufhören, u. dieses Land wird nicht zur Entwickelung seiner sittlichen u. materiellen Kräfte kommen, so lange nicht die aus dem Volksgeist, seiner Überlieferung u. Geschichte sich ergebenden Grundsätze in Kirche, Gesetzgebung u. öffentlicher Erziehung, kurz im ganzen gesellschaftlichen Organismus durchgeführt werden. Sämmtliche Adelsmarschälle des Königreichs gaben ihre Entlassung ein u. ihrem Beispiel folgten die meisten in russischem Dienst stehenden Polen. Der Landwirthschaftliche Verein, welcher eben 900 Edelleute in Warschau versammelt hatte, bildete den Mittelpunkt der Agitation. Die auf 24 Personen verstärkte Bürgerdelegation sorgte durch ihren Einfluß für Aufrechterhaltung der Ruhe, Überwachung der Verhaftungen, Vermittelung mit den russischen Behörden. Die Antwort des Kaisers auf die Adresse warnte ernstlich vor allen Unordnungen, versicherte, daß seine Unterthanen im Königreich Polen ebenso wie die im übrigen Reich Gegenstand seiner Sorge seien, daß er die Gesinnungen, nach denen er sie bereits an den Wohlthaten nützlicher, ernster u. fortschreitender Verbesserungen habe Theil nehmen lassen, ihnen auch ferner bewahren werde, daß aber Anforderungen, welche sich auf Unruhen stützten, jedes Vertrauen zerstören u. von seiner Seite eine strenge Zurückweisung finden würden. Doch schritt die Regierung in Warschau nicht mit Strenge ein, der bei den Polen sehr mißliebige Staatsrath Muchanow wurde entlassen, die Bürgerdelegation erhielt mehrfache neue Concessionen. Eine kaiserliche Verordnung ordnete an, daß an Stelle des Warschauer Lehrbezirks u. der geistlichen Abtheilung in der Regierungscommission des Inneren u. der geistlichen Angelegenheiten eine besondere Regierungscommission der religiösen Culte u. der öffentlichen Aufklärung unter dem Grafen Wialopolski gebildet, ein Staatsrath des Königreichs u. Gubernialdistrictes u. Municipalräthe errichtet, die Schulen reformirt, höhere Lehranstalten gegründet u. namentlich eine Rechtsschule hergestellt werde. Doch weder diese Zugeständnisse noch mehrfache beschwichtigende Bekanntmachungen des Statthalters minderten die Aufregung. Der Landwirthschaftliche Verein, welcher auch die Frage der Ablösung der Frohnden zur Agitation benutzt hatte, wurde als den gegenwärtigen Verhältnissen unangemessen aufgelöst (Anfang April) u. mehr Truppen nach Polen zusammengezogen. In Warschau fanden von Neuem Volkszusammenrottungen statt, welche am 8. April zu einem blutigen Kampfe vor dem Schlosse führten, in welchem mehre Personen aus dem Volk u. mehre Soldaten getödtet wurden. Nun wurde die Stadt militärisch besetzt, alle nationalen Abzeichen, Trauerkleider u. das Tragen u. Verkaufen von Waffen untersagt, die Bürgerwehr, welche bis jetzt die Ordnung aufrecht erhielt, u. der Municipalrath aufgelöst. Auch in Kalisch, Lublin. Radom u. an anderen Orten des Königreichs äußerten[553] sich unruhige Bewegungen, welche theilweis blutige Zusammenstöße veranlaßten, jedoch ebenso energisch wie in Warschau unterdrückt wurden. Die nationalen Demonstrationen fanden nunmehr einen neuen Ausdruck in dem Singen von nationalen Liedern in u. vor den Kirchen, welchem ein Verbot des Cultusministers von Wiatopolski, nachdem der Erzbischof ein Verbot dieser Gesänge abgelehnt hatte, vergebens zu steuern suchte. Die aufrührerischen Zwischenfälle verzögerten die Ausführung der von dem Kaiser verwilligten Reformen. Auf dem Lande verbreiteten sich Gehorsams- u. Arbeitseinstellungen der Bauern gegen die Gutsbesitzer, welche dieselben mit nunmehr nicht erfüllten Versprechungen zur Erhebung gegen die Regierung aufgereizt hatten. Ein Ukas vom 16. Mai verordnete die Aufhebung der Robotpflicht vom 1. Oct. 1861 in der Weise, daß, wo der Frohndienst bisher nicht verzinst war, der gesetzmäßige Loskauf, d.h. die Ablösung, eintreten sollte. Für dieselbe sollte das Königreich nach Maßgabe der wirthschaftlichen Entwickelung in vier Kreise getheilt werden u. die Ablösungssumme für einen Tag Handarbeit zwischen 12 u. 71/2 Kopeken, Spanndienst mit zwei Stück Vieh zwischen 30 u. 20 Kopeken, mit vier Stück zwischen 45 u. 30 Kopeken sein, die Abzahlungen aber bis zum Abschluß von Erbzinsverträgen fortdauern. Dem Statthalter Fürsten Michael Gortschakow, welcher plötzlich erkrankte u. am 30. Mai 1861 starb, folgte der bisherige Kriegsminister General Suchozanet II. Noch am 29. Mai waren die Gefangenen des 8. April, welchen nichts nachgewiesen werden konnte als auf dem Schloßplatz betroffen worden zu sein, aus der Hast entlassen worden. Die Freude der Polen über den Tod Gortschakows, welche sich sogar durch Ablegung der Trauerkleider äußerte, verschwand bald in Folge des energischen Auftretens des neuen Statthalters, welcher nationale Demonstrationen aufs Strengste ahndete u. die betroffenen Theilnehmer körperlich abstrafen ließ. Am 18. Juni erschien die Verordnung über die Bildung des Staatsrathes des Königreichs: Er soll unter Vorsitz des Statthalters aus den Mitgliedern des Administrationsrathes, aus ständig ernannten Staatsräthen, aus ständig od. zeitweilig berufenen Mitgliedern aus den Kreisen der höheren Geistlichkeit, der Gubernialräthe, der Behörden des Landwirthschaftlichen Creditvereins u. anderen Personen nach kaiserlichem Befinden bestehen. Der Staatsrath soll seine Thätigkeit verrichten in den Abtheilungen, wo nur die ernannten Staatsräthe ihren Sitz führen; im Bestand als richterliche Behörde; in der allgemeinen Versammlung. Abtheilungen gibt es vier: für Gesetzgebung, für Streitsachen, für fiscalisch-administrative Angelegenheiten u. für Petitionen u. Beschwerden. Aus den drei erstgenannten Abtheilungen wird der Bestand des Staatsrathes als richterliche Behörde gebildet, wobei die Anwesenheit von mindestens 7 Mitgliedern erforderlich ist. Die allgemeine Versammlung, zu deren Gültigkeit die Anwesenheit wenigstens der Hälfte der in Warschau anwesenden Mitglieder erforderlich ist, hält ihre Sitzungen wenigstens einmal im Jahr u. zwar vom 1. Oct. an. Außerordentliche Sitzungen beruft der Statthalter. Gleichzeitig erschien ein liberales Wahlgesetz, welches die active Wahlfähigkeit allen polnisch lehrenden u. schreibenden ständigen Einwohnern verleiht, welche 180 Silberrubel Einkommen haben od. 6 bez. 4 Silberrubel Steuern od. einen jährlichen Miethzins von 60 Silberrubeln zahlen. Die passive Wählbarkeit ist von einer Steuerquote von 10–15 Silberrubeln u. Grundbesitz od. Zugehörigkeit zu einer Handelsgilde od. einem größeren Industriebetrieb abhängig. Nach diesem Gesetz soll zu den Kreis- u. Stadträthen gewählt werden, welche wiederum die Gubernialräthe ernennen sollen. In Warschau soll die Municipalität aus 24, in Städten zweiten Ranges aus 12, in denen dritten Ranges aus 8 Mitgliedern bestehen. Ein drittes Reformgesetz betraf die Stadträthe, darnach soll die städtische Verwaltung aus dem Municipalrath u. dem Magistrat bestehen; der letztere besteht aus dem Präsidenten u. 3 resp. 2 Beigeordneten; der Präsident führt in der Sitzung des Municipalrathes den Vorsitz; diese Sitzungen sind nur einmal im Jahre öffentlich, wenn der Magistrat über die Verwaltung der Stadt im verflossenen Jahre Bericht erstattet. Dem Municipalrath liegt die innere u. äußere Verwaltung der Stadt, die Aufstellung der Etats, die Aufsicht über die städtischen Institute, sowie die Begutachtung der ihm von den Behörden überschickten Gegenstände ob; wichtigere Beschlüsse unterliegen der behördlichen Bestätigung. Der Magistrat ist die executive Behörde der Stadt u. vertritt sie nach Außen.

Die Ernennungen der Mitglieder des Staatsrathes erfolgten bald, meist Russenfreunde, dagegen wurden die Wahlen für die Stadt-, Kreis- u. Gubernialräthe einstweilen noch suspendirt. Die nationalen Demonstrationen dauerten trotz der strengsten Verbote fort; Trauerfeierlichkeiten, so namentlich für den Fürsten Adam Czartoryski, den Nestor der polnischen Patrioten (welcher seit 1831 in der Verbannung lebend am 15. Juli 1861 bei Paris starb), an denen sich auch die Geistlichkeit betheiligte, schürten immer von Neuem die Aufregung. Verhöhnungen der Russen, Verbindungen zu dem Zwecke, nie ein Wort Russisch od. Deutsch zu sprechen, patriotische Gesänge in den Kirchen, Fortdauer der nationalen Trauer war allgemein. Die politische Bewegung durchsetzte sich vielfach mit religiösen Elementen, wobei die Besetzung der Kirchen durch Militär neuen Stoff zur Aufregung gab. Trotz vorausgegangenen Verbotes beging Warschau, wie die geheimen Leiter der Agitation angeordnet hatten, den 12. Aug., als den Tag der Vereinigung Polens mit Lithauen, in festlicher Weise, doch erfolgte, da eine imposante Militärmacht in der ganzen Stadt entwickelt war, kein Conflict. Auch an vielen anderen Orten Polens wurde dieses Verbrüderungsfest gefeiert. Ihm folgten am 15., 16. u. 17. Aug. neue Excesse, u. die Behörden schienen alle Autorität eingebüßt zu haben, das Militär wurde, wo es nicht in überwiegender Zahl vorhanden, insultirt, der erbittertste Russenhaß offen zur Schau getragen. Ende August wurde General Suchozanet von dem Statthalterposten entbunden; ihm folgte General Graf Lambert, welchem als Generalkriegsgouverneur General Gerstenzweig zur Seite trat. Ein versöhnliches kaiserliches Rescript von Lambert gab Hoffnung auf eine friedlichere Zukunft, aber die Manifestationen unterblieben nicht; in Wilna u. Kalisch erfolgten Unruhen; in Lentschitza wurde ein Bischof gemißhandelt; vielfachen Excessen gegen die Deutschen sah die Regierung ruhig zu. Einem von den katholischen Bischöfen an den Statthalter gerichteten Memorandum, in welchem die Abänderung des bisherigen Verwaltungsorganismus der geistlichen[554] Angelegenheit u. vollständige Selbständigkeit in kirchlichen Dingen verlangt wurde, verweigerte Graf Lambert die Annahme. Die Wahlen zu den Stadträthen gingen meist ruhig vorüber u. fielen durchaus auf polnische Patrioten. Zu neuen Demonstrationen gab das Begräbniß des Erzbischofs Fialowski u. eine auf den 10. Oct. nach Horodlo zusammenberufene Verbrüderungsversammlung Anlaß. Unterm 14. Oct. endlich verkündete ein Erlaß des Statthalters, welcher die verschiedenen Ordnungsübertretungen aufzählte, den Kriegszustand über das Königreich Polen; die öffentlichen Plätze in Warschau bedeckten sich mit lagerndem Militär; Nationaltrachten u. Trauerabzeichen wurden aufs Strengste verboten. Schon am 15. Oct., als die nationale Partei Kosciuszkos Todestag feierte, entstand ein Conflict. Die Kirchen, in denen das verbotene nationale Klag- u. Bittlied gesungen ward, wurden von Militär umstellt, welches, als die Sänger herauskamen, die jüngeren Männer herausgriff u. auf sie lospeitschte, hieb u. stieß; in andern Kirchen drangen sogar die Soldaten ein u. entweiheten dieselben. Massenhafte Verhaftungen erfolgten, alle Ansammlungen auf den Straßen wurden verboten. Dagegen schloß die katholische Geistlichkeit die entweiheten Kirchen u. alle Verhandlungen waren vergeblich, sie zu deren Wiedereröffnung zu bewegen. Schon Ende October trat Graf Lambert von dem Statthalterposten zurück u. Suchozauet übernahm denselben wieder. Viele angesehene Personen, der Bischof von Lublin u. mehre andere höhere Geistliche, die meisten Comitémitglieder vom März u. andere wurden verhaftet. Anfang November trat General Lüders als Statthalter ein. Der Kriegszustand dauerte fort; Theater, Concerte, Bälle, aber auch Kirchen u. Schulen blieben geschlossen. Neben vielen anderen traf das Schicksal der Verhaftung (13. Novbr.) auch den Prälaten von Bialobrzeski, den Administrator der Warschauer Diöcese seit dem Tode des Erzbischofs. Er wurde, weil er eigenmächtig die Schließung sämmtlicher katholischer Kirchen Warschaus angeordnet, an die Regierung die Forderung eine stattgehabte Profanation zweier Kirchen zuzugeben gestellt u. das Domcapitel unbefugt zusammenberufen hatte, zum Tode verurtheilt, jedoch zu einem Jahr Festungshaft vom Kaiser begnadigt. Der am 1. Oct. eröffnete neue Staatsrath wurde Mitte December wieder geschlossen; er hatte Gesetzentwürfe über Organisation des öffentlichen Unterrichtes u. die Rechte der Juden zu berathen, das Budget des Königreichs für 1862 u. die Rechenschaftsberichte für 1860 zu prüfen. Zur Berathung des Gesetzentwurfes über die Grundlagen für Ordnung der bäuerlichen Verhältnisse soll eine außerordentliche Sitzung des Staatsrathes einberufen werden. Der Kriegszustand dauerte Anfang 1862 fort, Einstellungen von Verurtheilten in das Orenburger Corps als gemeine Soldaten kamen noch täglich vor; doch herrschte im Allgemeinen Ruhe u. die nationalen Abzeichen waren verschwunden. Handel u. Verkehr lagen in Warschau gelähmt; die Kirchen waren noch geschlossen, das Theater aber wurde am 8. Jan. wieder eröffnet. In mehren Provinzialstädten hatten die neugewählten Stadträthe ihre Wirksamkeit begonnen; in Warschau erwartete man, da viele der Gewählten gefänglich eingezogen waren, die Anordnung von Neuwabten. Die Stimmung blieb eine sehr gedrückte u. die strengsten militärischen Maßregeln allein hielten die Ordnung aufrecht.

Einer friedlicheren geordneten Entwickelung erfreuten sich die Ostseeprovinzen. Die dort schon vor 40 Jahren erfolgte Ablösung der Leibeigenschaft hatte die Lage u. den Wohlstand der Bauern sehr verbessert. Wenn trotzdem (Mitte 1858) auch in Esthland ein ausgebreiteter Bauernaufstand ausbrach, welcher militärisch unterdrückt werden mußte, so gaben den Anlaß hierzu wohl meistentheils Mißverständnisse zwischen Gutsbesitzern u. Bauern hinsichtlich der kaiserlichen Erlasse über Aufhebung der Leibeigenschaft. Eine verbesserte Bauernordnung für die esthländischen Gouvernements gewährte erleichterte Freizügigkeit, ein günstigeres Proceßverfahren, Einführung von Vormundschaftsregulirungen, Schutz gegen Wucher. Die liberale Bewegung, welche in den letzten Jahren unverkennbar durch Rußland ging, war bes. in den Ostseeprovinzen lebendig. Auf mehrfache Petitionen hatte der Kaiser eine Commission zur Bearbeitung einer Provinzialverfassung für diese Provinzen zusammentreten lassen. Ein kaiserliches Rescript für Finnland vom 10. April 1861 berief, bis die Zeitverhältnisse den Zusammentritt des Landtages selbst gestatten, einen Ausschuß der vier finnischen Stände (je zwölf Personen aus jedem Stand) auf den 20. Jan. 1862 nach Helsingfors. Man knüpfte an diese Versammlung weitgehende Hoffnungen. In Helsingfors bildete sich ein zahlreicher Anticensurverein, dessen Mitglieder sich aus jeder Gesellschaft entfernen, in welcher ein Censor anwesend ist. In Rußland selbst wird das Streben nach immer weiteren Reformen namentlich an den Universitäten laut: Ungehörigkeiten der Studenten in Charkow gegen die Person des Kaisers, Demonstrationen derselben in Moskau, geräuschvolles corporatives Vordrängen in Petersburg bei mehren öffentlichen Gelegenheiten, lärmende Huldigungen für einzelne Professoren wurden Anfangs nur mild geahndet. Namentlich in Petersburg fanden die Studenten in dem 1857 zum Curator des Petersburger Lehrbezirkes ernannten Fürsten Tscherbatow einen Beschützer ihrer Freiheit, u. als 1858 Kowalewski Minister der Volksaufklärung u. Deljanow Curator wurde, war die Bewegung kaum noch gütlich beizulegen. Die Bewegung der Studenten erscheint nur als die Fortsetzung des Ringens um eine veränderte Staatsform, welches sich schon seit 40 Jahren durch das Reich in geheimen Gesellschaften bekundet hat; selbst Professoren, die militärisch eingerichteten Bildungsanstalten u. viele Offiziere sympathisiren mit ihnen. Sogar der Adel steht nicht mehr unbedingt zur Regierung, seit er durch Aufhebung der Leibeigenschaft sein Vermögen u. seine politische Stellung verloren hat, u. er hofft durch eine Constitution seine verlorenen politischen Rechte wieder zu erlangen. So ist eine Duma des Reiches ein Schlagwort geworden, welches öfters laut wird. Es kommt hinzu, daß im Auslande von russischen Flüchtlingen herausgegebene u. in Rußland heimlich verbreitete Zeitungen, namentlich A. Herzens in London erscheinende Kolokol (Glocke), die Aufregung schüren. Ein nach dem Eintritt des Grafen Putiatin als Unterrichtsminister u. des General Philippson als Curator für die Petersburger Universität erscheinendes Reglement, welches die Vertheilung des für unbemittelte Studenten bestimmten Fonds aus der Hand der Studenten in die der [555] Regierung legte, nichtzahlenden Hörer nicht mehr zuließ u. von jedem Studenten den Nachweis der abgelegten Beichte forderte, veranlaßte unruhige Bewegungen unter den Studenten, namentlich einen demonstrativen Zug vor die Wohnung Philippsons, welchem zahlreiche Verhaftungen u. die Sistirung der Vorlesungen folgten (Oct. 1861). Am 23. Oct. wurden die Vorlesungen zwar wieder eröffnet, aber schon Tags darauf kam es zu neuen Unruhen, wobei sogar ein Zusammenstoß mit Militär erfolgte. Ähnliche Auftritte kamen auf den anderen Universitäten Kasan, Moskau, Charkow vor. Die Folge hiervon war die vollständige einstweilige Schließung dieser Universitäten, ebenso wie der Petersburger. Im Jahre 1862 steht Rußland ein großes Staatsfest bevor, indem das 1000 jährige Bestehen des R. R. solenn gefeiert u. dabei in Nowgorod ein großartiges Denkmal mit Reliefs aus der russischen Geschichte aufgestellt werden soll.

In Asien machte Rußlands Machtentwickelung unverkennbar weitere Fortschritte. Über die Unterwerfung der Gebirgsvölker, welche mit der Gefangennahme Schamyls als beendigt angesehen werden kann, s. Tscherkessenkrieg. Sibirien wurde immer mehr der Cultur entgegengeführt, zwei neue Districtsstädte, Werchnolensk u. Balagansk, gegründet; am Kaspischen Meer eine neue Stadt Petrowsk, am Strome Seja an der Mündung des Buraj (Amurgebiet) ebenfalls eine Stadt projectirt. Die Steinkohlenproduction in Sibirien verhundertfachte sich in 10 Jahren, Kupfer- u. Silberlager in Ostsibirien u. ein in der Kirgisischen Steppe am Flusse Argus unweit Semipalatinsk entdecktes Graphitlager versprechen reiche Ausbeute. Nertschinsk erhob sich zum Mittelpunkt der Handelsbewegung in Sibirien; eine von da über Gorbitza längs des Amur bis Nikolajewsk hergestellte Poststraße zählte 102 Stationen auf 3039 Werft Die Goldproduction in Sibirien, wovon die Regierung 20 bis 35 Procent als ihren Gewinnantheil nimmt, wurde schon 1857 auf 47,280 Pfund geschätzt. Mit Zunahme der Bevölkerung (es wurden angeblich durchschnittlich jährlich 9500 Personen ohne die Frauen u. Kinder nach Sibirien geschafft) wurden Mädchen- u. Sonntagsschulen gegründet. Auf den größeren Strömen, Lena, Ob u. Amur, belebten Dampfschiffe den Verkehr. In Centralasien brachten wissenschaftliche u. militärische Expeditionen den Einfluß Rußlands zu immer größerer Geltung, die räuberischen Turkomanen am Kaspischen Meere wurden gezüchtigt u. eine wissenschaftliche Expedition unter Chanikow ging 1858 über Tiflis u. Baku nach Khorassan. Andere derartige Expeditionen durchforschten Ostsibirien, den Südosten der Mandschurei, das Stromgebiet des Ussuri (eines südlichen Nebenflusses des Amur) u. das Sichotagebirge bis an die Grenze von Korea. Den Kokandern wurden mehre kleine Festungen, Tokmak, Pischpok (1860), Jany Kurgan (1861) genommen, doch wiederholten sich ihre Einfälle auch fernerhin. Unter den mongolischen Nomaden, namentlich den Buriäten am oberen Irkut, machte das Christenthum Fortschritte; diese, wie die Tataren am Tarbagatai, erkannten die russische Herrschaft an. Die Festung Orsk wurde wahrscheinlich wegen weiteren Vorrückens der Grenzen nach dem Aralsee aufgehoben; doch können die Versuche, zwischen dem Kaspischen u. Aralsee weiter nach Mittelasien vorzudringen, für die letzten Jahre nicht als gelungen bezeichnet werden. Erfolgreicher war die Ausdehnung im Siebenstromland, südöstlich des Balkhasch, wo die Stadt Djernöje u. die Festung Kopalsk gegründet wurde. In Persien hatte der russische Einfluß fortdauernd mit dem englischen zu kämpfen, ein außerordentlicher Gesandter des Schahs von Persien überbrachte dem Statthalter im Kaukasus Fürst Baratynski den Dank seiner Regierung für das Einschreiten der Russen gegen die Turkomanen in der Provinz Asterabad (1857), doch trat nachher wieder eine Spannung zwischen Rußland u. Persien ein, weil die Russen zahlreiche Agenten nach Masenderan u. an den Golf von Asterabad geschickt hatten, u. der englische Einfluß blieb in Persien vorherrschend. Die Colonisation des Amurgebietes, welches durch Ukas vom 8. Dec. 1858 in die Küstenprovinz von Ostsibirien u. die Amurprovinz getheilt wurde, war nach Nachrichten aus dem Jahr 1858 unter Murawiews Leitung durchaus günstig, 29 Dampfschiffe befuhren den Amur, welcher auf 2000 Werste schiffbar ist, so daß bis Irkutsk nur noch ein Landweg von 180 Werft bleibt; in Nikolajewsk war ein Consulat der Nordamerikanischen Union errichtet worden, der Handel, namentlich die Ausfuhr von Wolle, Talg, Häuten, Hanf, Pelzwerk war lebhaft, die nomadisirenden Mongolenstämme zur Unterwerfung gebracht, militärisch organisirt u. so aus ihnen eine brauchbare Grenzmiliz gebildet worden. Der Grenzvertrag von Aichun mit China vom 28. Mai 1858 setzte fest, daß der Amur von der Vereinigung der Schilka mit dem Argun (von wo an der Strom Amur heißt) bis zur Einmündung des Ussuri u. von da eine Linie bis zum Kaiserhafen die Grenze zwischen Rußland u. China bilden solle; den Russen wurde die freie Schifffahrt auf dem Ssungari u. Ussuri, den Chinesen auf dem Amur vorbehalten; Posten auf Entfernung von 60–70 Meilen sind auf der Grenze angelegt; der Posten Ust Seisk an der Mündung der Seja wurde die Hauptstadt der Amurprovinz Blagoweschtschensk. Am 13. Juni schloß Admiral Putiatin in Tientsin einen Friedensvertrag mit den Chinesen auf denselben Grundlagen wie die Westmächte ab; China öffnete in Folge dessen seine Häfen den Russen, gab das Christenthum frei, ließ Consuln u. diplomatische Agenten zu u. gestattete den Handel. Eine monatliche Post soll von Kiachta nach Peking gehen. Seit 1860 aber versichern verschiedene Berichte, die Niederlassungen am Amur seien keineswegs so werthvoll, wie man anfänglich glaubte, der Strom ist an seiner Mündung 6 Monate des Jahres zugefroren, mehre Niederlassungen sind angeblich von den Chinesen zerstört worden. Thatsache ist, daß über den Fortgang der Amurcolonisation im Jahr 1861 fast gar keine zuverlässige Nachricht bekannt geworden ist. Die Wirren in China erschwerten die Beziehungen zu diesem Staate. Die Mitglieder der geistlichen Mission in Peking gelangten erst nach vielen Schwierigkeiten dahin. Am Kriege der Westmächtemit China betheiligte sich Rußland nicht activ, der russische Gesandte Ignatiew kam aber (1860) gleichzeitig mit dem englischen u. französischen nach Tientsin u. vermittelte den Frieden. Gleichzeitig aber schloß er am 14. Nov. 1860 mit China einen den früheren wesentlich erweiternden Vertrag, nach demselben läuft die Grenze Rußland mit China, wie früher bestimmt, längs des Amur bis zum Einfluß des Ussuri, diesen aufwärts, desgl. den Songatsch, schneidet den See Hinkai, geht bis zum Flusse Belen-ho (Tur),[556] von der Mündung dieses letzteren bis zu der des Flusses Hupitu, folgt von dort dem Gebirge zwischen dem Flusse Khur-tschun u. dem Meer bis zum Flusse Thu-men-kiang, 20 chinesische Li vor seiner Mündung in das Meer. Die bisher unbestimmte westliche Grenze soll von dem letzten Thurm Chabindabaga nach Südwest bis zum Dsaisangsee, von hier bis zum Tengri-Chan (Ala-Tau) u. dieses Gebirge u. den Thian-Schan entlang bis zu den Besitzungen von Khokand reichen. In Urga (auf dem Weg von Kiachta nach Peking) u. in Kaschgar soll die russische Regierung Consuln ernennen. In Kaschgar wird der Handel versuchsweise eröffnet. Der Handelsverkehr ist an der Grenze ganz frei, die russischen Kaufleute können nach Peking kommen, in China reisen, jedoch nicht mehr als 200 zusammen. Weitere Bestimmungen betreffen den Verkehr der Behörden u. den Dienst der Posten u. Couriere zwischen Kiachta u. Peking. Rußlands Streben nach südlichen Seehäfen, welche nicht vom Eis versperrt werden, ist durch diesen Vertrag erreicht, der Kaiserhafen, die Castriesbai u. die großen Buchten im Süden seines neuerworbenen Gebietes bilden vortreffliche Stationen für seine Flotte, der Tatarische Meerbusen ist ein russisches Binnenwasser, die Herrschaft über das Japanische Meer angebahnt. Eine Nachricht, daß die zweite Hälfte der Insel Sachalin von Japan bereits an Rußland abgetreten worden sei, bedarf der Bestätigung.

Vgl. außer den Werken russischer Geschichtschreiber, wie Nestor, Tatischtschew, Schtscherbatow, Lomonossow, Chilkow u. A., welche unter Russische Literatur aufgeführt sind: Treuer, Einleitung zur moskowitischen Historie bis auf den Stolbovischen Frieden (1617), Lpz. 1720; C. Schmidt-Phiseldeck, Einleitung in die Russische Geschichte, Riga 1772–1773, 2 Bde.; Sophienchronik von 862–1534 (russisch), herausgeg. von Strojew, Moskau 1820–1822, 2 Bde.; S. von Heberstein, Rerum mosco viticarum commentarii (bis Iwan II.), Bas. 1556, Fol. (deutsch von H. Pantaleon, ebd. 1567); H. Petrejus de Erlasunda, Historie u. Bericht von dem Großfürstenthum Muschkow, Lpz. 1624; D. E. Wagner, Geschichte des europäischen Nordens, Lpz. 1778–89, 9 Thle.; N. G. le Clerc, Histoire de la Russie, Par. 1783–94, 6 Bde.; I. Müller, Altrussische Geschichte, Berl. 1812; P. C. Levesque, Histoire de Russie, mit Zusätzen von Deppen u. Maltebrun, Par. 1812, 8 Bde.; D. E. Merkel, Geschichte des R-n R-s, Lpz. 1795, 3 Bde.; A. L. von Schlözer, Handbuch der Geschichte des Kaiserthums Rußland bis zum Tode Katharinens II., Gött. 1802; C. H. Bencken, Geschichte Rußlands, Riga 1811; I. P. G. Ewers, Geschichte der Russen, ebd. 1816; N. M. Karamsin, Istorija Rossijskaja, ebd. 1816, 11 Bde. (deutsch von Hauenschild, Riga 1820–33, 11 Bde.); Polewoi, Geschichte des russischen Volks, Petersb. 1829–38, 8 Bde.; B. von Wichmann, Chronologische Übersicht der russischen Geschichte von Peters des Großen Geburt an, Lpz. 1821–25, 4 Bde.; A. Weydemeyer, Tableau hist., chronol., géogr. et stat. de Russie, ebd. 1828, 16 Tabellen Fol.; P. P. de Segur, Hist. de Russie et de Pierre le Grand, Par. 1829, 2 Bde.; C. Compagnoni, Storia dell' impero Russo, Livorno 1829, 6 Bde.; Galletti, Geschichte des R-u R-s, Lpz. 1832; Strahl u. Hermann, Geschichte des russischen Staats, Hamb. u. Gotha 1832 ff. (bis 1860 6 Bde.); F. Ustrjalow, Geschichte Rußlands, deutsch Stuttg. 1840, 2 Bde.; A. Herzen, Die russische Verschwörung u. der Aufstand von 14. Decbr. 1825, Hamb. 1858; A. Schumacher, Die Thronentsetzung u. der Tod Peters III., ebd. 1858; Rußland bei der Thronbesteigung Pauls I., Lpz. 1859; A. Buddeus, Rußland unter Alexander II. (1855–60), ebd. 1860; I. Lacombe, Hist. des révolutions de l'empire de Russie, Par. 1760, 3 Bde. (deutsch von I. F. Joachim, Halle 1761–63, 2 Bde.); G. Bottin, Remarques sur l'histoire de la Russie par M. Leclerc, Petersb. 1787, 2 Bde.; P. C. Levesque, Hist. des différens peuples soumis à la domination des Russes, ebd. 1787, 2 Bde.; I. P. G. Ewers, Vom Ursprung des russischen Staats, ebd. 1808; Derselbe, Kritische Vorarbeiten zur Geschichte der Russen, Dorpat 1814, 2 Bde.; Lehrberg, Untersuchungen zur Erläuterung der älteren Geschichte Rußlands, Petersb. 1816; Hammer, Sur les origines russes, Petersb. 1825; Revelations of Russia, Lond. 1844, 2 Bde. (deutsch von Heller, Grimma 1845); Rußland im Jahr 1844, deutsch von Heller, Grimma 1845; Schlözer, Les premiers habitants de la Russie, Par. 1846; Antiquités russes, Kopenh. 1850 ff., 2 Bde.; Turgenew, Historica Russiae monumenta, Petersb. 1841 ff., 2 Bde. Bes. hat die Archäographische Commission mehre Sammlungen russischer Geschichtsquellen veröffentlicht, z.B. Acten gesammelt in den Bibliotheken des R-n R-s, Petersb. 1836 ff.; Vollständige Sammlung russischer Annalen, ebd. 1841 ff.; Historische Acten, ebd. 1841 ff.; Acten, welche die Geschichte des westlichen Rußlands betreffen, ebd. 1846 ff.; A. Erman gibt heraus: Archiv für wissenschaftliche Kunde von Rußland, Berl. 1840 bis 1860, 20 Bde.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 14. Altenburg 1862, S. 516-557.
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